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Fränkische Königstradition: Könige mit Königsheil in ihren Haaren

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Generationen von Historikern haben Ursprünge und Funktion des germanischen Königtums erforscht und eine ganze Reihe höchst interessanter Thesen aufgestellt, die samt und sonders Teilbereiche eines Phänomens erfassen, das wir einzig aus der Sichtweise der römischen Geschichtsschreiber kennen, nicht aber aus Selbstzeugnissen der Germanen, denn die lebten weitgehend unschriftlich. Wir brauchen allerdings das fränkisch/germanische Königtum nicht bis in seine Urzeiten zurückzuverfolgen, um etwas über die Herrschertradition zu erfahren, in der Karl der Große stand, es genügt ein Blick auf die bewegte Zeit nach der Gründung des großfränkischen Reiches durch König Chlodwig (481/482–511), zu dem neben den fränkischen Stammlanden auch noch die Gebiete der Alemannen und Burgunder sowie mit Gallien ein Teil des Römischen Reiches gehörten.

Die Merowinger

Chlodwig war ein Abkömmling des merowingischen Königshauses, dessen Stammvater Merowech der Sage nach von einem Seeungeheuer mit Stierkopf gezeugt worden sein soll. Der Ursprung des Geschlechts war dadurch der rein menschlichen Sphäre entrückt, wie der König selbst. Er war Träger des Königsheils, das er an seine Söhne vererbte. Aufgrund dieses Erbrechts wurde das Frankenreich immer wieder geteilt, Streitigkeiten unter den Verwandten führten zu zahlreichen Kriegen, in denen die Macht des merowingischen Hauses dahinschmolz und die des Adels wuchs. Die Adeligen standen in einem Treueverhältnis zu ihrem Herrn, das zwar zu gegenseitiger Treue verpflichtete, aber doch Freiraum für eigenständige Machtpolitik der Vasallen selbst gegen den König ließ. Der Herrschaftsaufbau des Frankenreiches beruhte auf dem sich allmählich herausbildenden Lehnswesen, dem im Gegensatz zum antiken Römischen Reich das herausstechende Merkmal von Staatlichkeit, die Zentralverwaltung, fehlte.

Königsheil

Das Königsheil hatte seinen Sitz in den Haupthaaren der Könige. Sollte ein Merowinger regierungsunfähig gemacht werden, schor man ihn und steckte ihn ins Kloster, wie Dagobert II. († 679). Bevor dieser Jahre später doch noch auf den Thron erhoben wurde, musste er seine Haarpracht nachwachsen lassen.

„Staatsstreich“ und neue Legitimation

Den Merowingern war nach zahllosen Kriegen der Familienmitglieder gegeneinander wenig mehr als das Königsheil als Herrschaftsgrundlage geblieben. Welch große Legitimationskraft diesem jedoch zugemessen wurde, zeigt, dass Kaiser Karls Großvater, Karl Martell, es nicht wagte, nach der Krone zu greifen, obwohl er über Jahre hinweg ohne König über das ganze Frankenreich herrschte. Seine Söhne, Pippin der Jüngere und Karlmann, sahen sich 943 gezwungen, zur Legitimation ihrer Herrschaft den Merowinger Childerich III. als König einzusetzen. Bevor Pippin diesen 751 absetzte und sich selbst von den Franken zum König erheben ließ, schickte er laut Reichsannalen (zum Jahr 749) eine Gesandtschaft zum Papst, die anfragen sollte, ob es richtig sei, dass es im Frankenreich Könige ohne Königsmacht gäbe. Papst Zacharias gab Pippin laut fränkischen Reichsannalen den Bescheid, es sei besser, den als König zu bezeichnen, der die Macht habe, als den, der ohne königliche Macht sei. Um die Ordnung nicht zu stören, ließ er kraft seiner apostolischen Autorität Pippin zum König erheben.

Die päpstliche Autorität wurde gewiss mit diesen Worten überbetont, unterstreicht doch dieselbe Quelle zum folgenden Jahr die fränkische Tradition der Königserhebung:

Pippin wurde nach der Sitte der Franken zum König gewählt, von der Hand des Erzbischofs Bonifatius heiligen Andenkens gesalbt und von den Franken in Soissons zum König erhoben. Childerich aber, der Scheinkönig, wurde geschoren und ins Kloster gesteckt.1

Damit war das Tabu gebrochen, das den Königsthron ausschließlich für Mitglieder des merowingischen Königshauses reservierte. Nicht mehr das Geblüt, sondern die Macht und die Fähigkeit effektiv zu regieren, waren ausschlaggebend für die Übernahme des Königtums geworden. Auffallend ist aber, dass der mächtige Pippin sich scheute, ohne Rückversicherung zu handeln und die Autorität des Papstes suchte, um sein Königtum rechtlich abzusichern. Pippin war sich bewusst, dass ihm die Franken nur dann folgen würden, wenn er ausreichend legitimiert wäre. Das Gewicht des Urteils der höchsten kirchlichen Autorität beruhigte die Gemüter der Franken, denn der Papst hatte das entscheidende neue Auswahlkriterium gleich mitgeliefert: Der Thronwechsel war wegen der göttlichen Ordnung nötig geworden. Pippin war aufgrund seiner Machtfülle der geeignete und damit rechtmäßige Herrscher, die göttliche Ordnung stand über dem alten, heidnischen Geblütsrecht, dem Glauben an das Königsheil im königlichen Haarschopf. So verwundert es nicht, dass auch Einhard, der Biograf Karls des Großen, hervorhob, dass Pippin durch den Spruch des römischen Papstes vom Hausmeier zum König erhoben worden war. Aufgrund welchen Rechtes der Papst „erheben“ konnte, ließ Einhard allerdings offen, eine derartige Tradition fehlte nämlich. Man kann nur vermuten, dass der enge Vertraute des Kaisers davon ausging, dass dem Oberhaupt der römischen und fränkischen Kirche ein solches Recht zustehe.

So ganz ausreichend erschien dem neuen Königshaus die vom Papst gebotene Legitimation anscheinend doch nicht, vielleicht konnte man sich einen König ohne die Aura von magischer Kraft nicht vorstellen, weshalb sich Pippin nach alttestamentarischem Vorbild salben ließ und gleich den Merowingern der rein menschlichen Sphäre entrückt wurde.

Es hat den Anschein, dass selbst die Salbung noch nicht das Bedürfnis gestillt hat, diesen „revolutionären Akt“ zu legitimieren, denn es fällt auf, dass in einer um die Zeit von Karls Kaiserkrönung entstandenen Genealogie der Karolinger versucht wurde, merowingische Vorfahren in die karolingische Familie „einzuschmuggeln“, deren Zugehörigkeit der Überprüfung von Geschichtswissenschaftlern nicht standhält. Auch in diesem Fall dürfte es sich um eine Fälschung handeln, welche die Überzeugung von der eigenen Herkunft widerspiegelt.

Heilkraft durch Salbung

Die Königssalbung bewahrte die Vorstellung vom

Königsheil bis in die Neuzeit. Dem frisch gesalbten französischen König schrieb man bis 1825 (Krönung Karls X.) die Fähigkeit zu, durch Handauflegung Skrofeln (Hautveränderung bei Tuberkulose) zu heilen. Aufbewahrt wurde das heilige Salböl, das der Heilige Geist in Gestalt einer Taube zur Taufe des Merowingerkönigs Chlodwigs I. (496) vom Himmel gebracht haben soll, in der Kathedrale von Reims. Der englische König verlor analoge Heilkraft schon im 18. Jahrhundert.

Man darf sich nicht vorstellen, die Franken hätten durch die Übernahme des christlichen Glaubens jeglichen heidnischen Glauben und jegliche Furcht vor dem Zorn der alten Götter abgelegt. Beides lebte vielmehr fort und „bereicherte“ den christlichen Glauben in vielfacher Weise, man denke nur an die zahllosen Heiligen mit ihren speziellen Ressorts für Hilfeleistung in jedweden Notlagen. Weshalb hätten sich die Franken also mit einem Königshaus ohne magische Kraft zufrieden geben sollen? Erhalten blieb im karolingischen Haus die Tradition, das Reich unter die Söhne zu teilen, was wie schon bei den Merowingern zu Streit, Krieg und Niedergang führen sollte. Diese Art des Teilens von Königreichen, die ihre Wurzeln in der Geblütsheiligkeit hat, verschwand in ganz Europa erst Ende des 9. Jahrhunderts.

Karl der Große

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