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Einleitung
Der Karl, den wir heute kennen, ist zum Teil eine Fantasiegestalt, entwickelt von Geschichtsschreibern und Schriftstellern, von Historikern, ja sogar von Politikern, die sich in die Tradition des allseits bewunderten Herrschers stellen wollten. Karl wurde zum Mythos, er gilt als Vater Europas und hat das mit Benedikt von Nursia gemein, ebenfalls ein Mythos, schon zu Karls Zeiten. Der von ihm gegründete Mönchsorden der Benediktiner hat Europa kulturell verbunden, doch nicht nach Benedikt, sondern nach Karl ist ein Preis benannt, mit dem Persönlichkeiten oder Institutionen ausgezeichnet werden, die sich um die europäische Einigung verdient gemacht haben; gestiftet ist er von der Stadt Aachen, der Lieblingsresidenz des Kaisers.
Wie hat sich Karl um die Einheit Europas verdient gemacht? Ihm ist es gelungen, sein riesiges ererbtes Reich, das Frankenreich, mit seinen Eroberungen zu einem Herrschaftsgebilde zu verschmelzen, das in gewisser Weise zum Vorbild für ein geeintes Europa werden konnte. In einem Reich lebten die zahlreichen Volksstämme zusammen, die das heutige Deutschland, Üsterreich, Frankreich, die Beneluxstaaten, die Schweiz, große Teile Italiens sowie Grenzgebiete Nordspaniens und einiger osteuropäischer Staaten bevölkerten: Franken, Alemannen, Bayern, Burgunder, Aquitanier, Goten Nordspaniens, Thüringer, Sachsen, Friesen, einige Slavenstämme, Langobarden und Romanen, alle unter einer Krone, aber alle nach eigenem Recht und eigenen Gewohnheiten lebend – die Eingliederung gar mancher Staaten außerhalb seines Herrschaftsgebietes in die Europäische Gemeinschaft ist bis heute mit Schwierigkeiten verbunden.
Karls staatsmännische Leistung wurde in den Nachfolgereichen Deutschland und Frankreich derart geschätzt, dass ihn bis ins 20. Jahrhundert beide für sich vereinnahmten. Das ist nicht falsch, da beide aus seinem Reich hervorgegangen sind, doch hat man versucht, aus ihm einen Deutschen bzw. Franzosen zu machen und das geht nicht, denn zu Karls Zeit gab es weder die einen noch die anderen. Die beiden Reiche begannen sich unter seinen Enkeln zu verselbstständigen, und erst im 10. Jahrhundert hatte sich in ihnen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, das erlaubt, von eigenständigen Reichen zu sprechen. Ein Nachhall nationaler Begeisterung für Karl prägt noch heute unbewusst das Urteil über dessen Handeln und vor allem die Spekulationen darüber, was er wohl über seine Kaiserkrönung gedacht haben mag.
Diese Frage ist insofern höchst interessant, als Karl zwar die Tradition des Kaisertums kannte, sie ihm, dem in fränkischer Tradition erzogenen König, aber dennoch fremd war. Er hat das westliche Kaisertum unter bewusstem Rückgriff auf antike Traditionen in höchst eigentümlicher Weise erneuert und damit eine Tradition geschaffen, in die sich noch die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (bis 1806), die österreichisch-ungarischen Kaiser aus dem Hause Habsburg (bis 1918) und Napoleon Bonaparte stellten, der 1804 ein erbliches Kaisertum der Franzosen ausrief. 1871 proklamierte sich der preußische König zum deutschen Kaiser, und 1771 ersetzte Zar Peter I. den etymologisch verwandten Titel Zar durch Kaiser. Nie hat das Geschehen bei einem Weihnachtsgottesdienst nachhaltigere historische Wirkung erzielt.