Читать книгу Karl der Große - Roland Pauler - Страница 9

Das Papsttum: „Erbe“ des Kaisertums

Оглавление

In Rom hatte der Abzug des Kaisers ein Machtvakuum hinterlassen. Zunächst hatte der römische Senatorenadel die Kontrolle über die wichtigsten Ämter übernommen, doch je mehr sich das Christentum als staatstragende Religion etablierte, desto mehr Gewicht erlangte der römische Bischof als Stellvertreter des Kaisers und Stadtherr. Seine Autorität sollte den engen Rahmen der Stadt Rom im Laufe weniger Jahrhunderte bei Weitem übersteigen und schließlich die entscheidende Voraussetzung dafür werden, dass Karl der Große auf den Kaiserthron gelangen konnte.

Der Weg zur Vorherrschaft in Kirche und Westreich

Dass Bischöfe seit dem 4. Jahrhundert zu Stadtherren wurden, ist Teil einer Entwicklung, die sich im ganzen Westreich vollzog. Die besondere Stellung des römischen Bischofs jedoch rührte daher, dass er als Nachfolger Petri den Vorrang innerhalb der Gesamtkirche anstrebte, kaum hatte sich das Christentum als Staatsreligion durchgesetzt. Diesen reklamierte allerdings der Patriarch von Konstantinopel wegen seiner Nähe zum Kaiser für sich, während die theologisch und philosophisch hoch gebildeten afrikanischen Patriarchen einen solchen Vorrang überhaupt nicht anerkannten. Je weniger Macht der Kaiser im Westreich entfaltete, je weniger Schutz er der römischen Kirche, deren Oberhaupt und dem römischen Volk bieten konnte, desto selbstbewusster schob sich der römische Bischof als Vertreter der Staatsmacht in den Vordergrund. So trat laut offizieller päpstlicher Geschichtsschreibung Papst Leo der Große (440–461) dem Hunnenkönig Attila (452) entgegen und rettete Rom, ja ganz Italien vor dem Wüten der Barbaren. Den Vandalenkönig Geiserich konnte er dazu bewegen, bei seiner Eroberung Roms auf das Morden und Brandschatzen zu verzichten. Kein Wunder, dass dieser Papst den Führungsanspruch des römischen Bischofs als erster unverblümt einforderte und behauptete, der Papst sei mit Petrus identisch und dürfe die diesem zukommende Verehrung einfordern. Einzig Petrus habe die Binde- und Lösegewalt erhalten und sie an die anderen Apostel in derselben Weise weitergegeben, in welcher der Petrusnachfolger den Bischöfen ihre Amtsgewalt übertrage.

Titel und Amt des Papstes

Der Begriff Papst (Papa) stammt aus dem griechischen Kulturbereich, bezeichnete zunächst Äbte und Bischöfe und verengte sich im 5. Jahrhundert auf die Patriarchen. Seit dem 2. Jahrhundert erlangte der Bischof von Rom als Nachfolger der Apostel Petrus und Paulus Vorrang, aber keine Autorität bei der Feststellung von Glaubenstraditionen. Seit dem 4. Jahrhundert beanspruchte er die Leitung der Gesamtkirche.

Von der Zweigewaltenlehre zur Konstantinischen Schenkung

Der päpstliche Primatsanspruch erstreckte sich nicht allein auf Glaubensfragen und organisatorische Belange der Universalkirche, sondern erfasste alle Lebensbereiche aller Christen einschließlich des Kaisers. In aller Deutlichkeit formulierte diesen Anspruch Papst Gelasius I. (492–496) in einem Schreiben vom Jahr 494 an Kaiser Anastasios I.:

Zwei Dinge sind es, durch die grundsätzlich die Welt gelenkt wird: die geheiligte Autorität der Priester und die königliche Gewalt. Von ihnen ist das Ansehen der Priester umso gewichtiger, als sie auch für die Könige der Menschen im göttlichen Gericht Rechenschaft abzulegen haben.1

Diese gelasianische Zweigewaltenlehre sollte das ganze Mittelalter hindurch prägend für das Gewaltenverständnis werden, wurde von königlicher/kaiserlicher Seite als Beweis für die Gleichrangigkeit und Gottesunmittelbarkeit der weltlichen Macht und von päpstlicher Seite als Beweis für die Überordnung der geistlichen Macht angesehen. Zudem belegt das Schreiben das gesteigerte Selbstbewusstsein gegenüber der fernen kaiserlichen Macht, das entscheidend für die Fortentwicklung des päpstlichen Primats werden sollte.

Im 5. Jahrhundert bildete sich allmählich die Silvesterlegende heraus, die zur Basis der Konstantinischen Schenkung werden sollte, einer wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts in der päpstlichen Kanzlei gefertigten Urkunde Konstantins des Großen für Bischof Silvester I. Deren Echtheit war zwar schon im Mittelalter hin und wieder bezweifelt worden, wurde aber erst 1433 von Nikolaus von Kues und 1440 von Lorenzo Valla aufgrund philologischer Beweisführung als Fälschung entlarvt. In dieser Urkunde schenkte Kaiser Konstantin der Große aus Dank für seine wunderbare Heilung durch Papst Silvester I. diesem und seinen Nachfolgern einerseits kaiserliche Ehrenrechte, vor allem die kaiserlichen Hoheitsrechte und das kaiserliche Diadem, andererseits den kaiserlichen Lateranpalast, die Stadt Rom und alle Provinzen, Orte und Städte Italiens und des Abendlandes und stellte die Römische Kirche über alle anderen, namentlich auch die von Konstantinopel.

Die Silvesterlegende

Nach der Legende soll Papst Silvester I. Kaiser Konstantin vom Aussatz geheilt haben, worauf der sich von ihm habe taufen lassen. Aus Hochachtung vor dem Papsttum habe er seine Residenz nach Byzanz verlegt, weil es nicht schicklich sei, dort Macht auszuüben, wo der himmlische Kaiser das Haupt der christlichen Religion eingesetzt habe. Tatsächlich hat Konstantin sich wohl erst auf dem Totenbett taufen lassen, obwohl er aktiv an theologischen Auseinandersetzungen beteiligt war.

Wann und wo diese Fälschung abgefasst worden ist, steht nicht fest, doch haben Päpste bis in die Neuzeit auf sie verwiesen, wenn sie ihre weltlichen Machtansprüche begründeten, darunter sogar den Vorrang gegenüber dem Kaiser in weltlichen Angelegenheiten.

Es hat den Anschein, als ob Karl der Große und schon sein Vater, König Pippin, mit den darin enthaltenen Ansprüchen konfrontiert worden seien, damit sie den heiligen Petrus und seine Nachfolger in der Tradition Konstantins mit den Gebieten beschenkten, aus denen sich der Kirchenstaat entwickeln sollte, der bis ins 18. Jahrhundert aktiv in der europäischen Politik mitmischte und dessen Relikte noch heute einen eigenen Staat innerhalb Italiens bilden.

Die kaiserliche Interpretation der Zweigewaltenlehre

Bei aller Selbstständigkeit und allem Selbstbewusstsein waren die römischen Bischöfe doch abhängig vom Kaiser in Byzanz, den sie als ihren Schützer betrachteten, der häufig in innerkirchliche Angelegenheiten eingriff, Konzile einberief und sogar Konzilsbeschlüsse über Glaubensfragen entscheidend beeinflusste. Wie schwerwiegend dieser Einfluss sein konnte, zeigt das Beispiel Kaiser Justinians: Dieser erkannte zwar die Würde des Priesteramtes durchaus an, doch keineswegs im Sinne der Zweigewaltenlehre. Bei ihm konnte keine Rede mehr von der höheren Autorität des Priesteramtes sein, er beschränkte die Aufgabe des Priester- und Bischofsamtes allein auf das Beten und versuchte, das Römische Reich unter seine Alleinherrschaft zu zwingen: nicht nur militärisch, sondern auch religiös. Das Auftreten des römischen Bischofs, der im Streit um die Auslegung des Wortes Gottes die Meinungsführerschaft beanspruchte, war ihm ein Dorn im Auge, er setzte Papst Silverius wegen Hochverrats ab und verbannte ihn. Zwar wählte Justinian dessen Nachfolger, Vigilius, selbst aus, ließ ihn aber später, als er sich angesichts theologischer Unstimmigkeiten nicht als „linientreu“ erwies, nach Konstantinopel bringen und schwor ihn rigoros auf die von ihm vertretene Theologie ein – die Rückreise nach Rom hat Vigilius nicht überlebt. Zu dessen Nachfolger bestimmte Justinian seinen Berater Pelagius. Seit dessen Einsetzung musste jeder Papst vor der Weihe die kaiserliche Bestätigung einholen.

Justinians zupackende Politik blieb eine Ausnahme, seine Nachfolger strebten nicht mehr die Wiedervereinigung des Reiches unter ihrer Herrschaft an, sondern begnügten sich mit dem Einfluss, den sie über den Exarchat von Ravenna, die süditalienischen Gebiete und Rom selbst nehmen konnten. Der ihnen zugedachten Rolle als Schützer der römischen Kirche wurden die Kaiser zwar genau genommen zu keinem Zeitpunkt gerecht, dennoch blieb die Vorstellung von schutzbedürftiger Kirche und Schutz gewährendem Kaiser erhalten.

Das Papsttum, Bewahrer der kaiserlichen Rechtspflege und Verwaltung

Weitgehend frei von kaiserlichem Druck etablierten sich die Päpste auf der Basis ihrer Vorrangstellung in der Kirche als politische „Großmacht“ zumindest im Westen. In kaiserlicher Tradition richteten sie eine höchst effektive Kanzlei ein, die bis weit in die Neuzeit hinein die am besten organisierte und funktionierende Behörde Europas sein sollte. Sie traten als Gesetzgeber und Bewahrer des am Kaiserrecht orientierten Kirchenrechts auf. Alles in allem gab es im weströmischen Reich seit der Eroberung Galliens durch den Frankenkönig Chlodwig kein auch nur annähernd so gut organisiertes Herrschaftsgebilde wie das der römischen Kirche, die, ohne über ein nennenswertes irdisches Reich zu verfügen, durch Bischöfe, Priester und Klöster Einfluss auf ganz Europa genommen hat.

Kirchenrecht

Bereits im 5. Jahrhundert wurde eine Sammlung der kirchlichen Vorschriften angelegt, die teils aus der Heiligen Schrift und den Lehren der Kirchenväter, teils aus Vorschriften bestand, die auf Konzilien und/oder vom Papst erlassen worden waren. Daraus entwickelte sich das für den kirchlichen Bereich gültige Kanonische Recht, das mit zeitbedingten Veränderungen noch heute gültig ist.

Karl der Große

Подняться наверх