Читать книгу Wien 2078: Manche träumen vom Weltende Dorner und Vance - Vienna Cops - Roland Heller - Страница 10

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Jennifer Kröber streckte sich in dem Liegestuhl aus und schielte blinzelnd nach einer Wolke, die sich langsam der Sonne näherte und sie zu verdecken drohte.

Im Wohnzimmer ertönten Schritte.

Mama, dachte das Mädchen träge. Warum ist sie bloß immerzu in Bewegung? Sie kann keine Minute stillsitzen.

„Du machst mich nervös“, rief sie laut. „Was ist denn heute los mit dir?“

„Weißt du denn nicht, dass ich den General erwarte?“, fragte die Frau und trat auf die Terrasse.

Wenn Doreen Kröber von ihrem ersten Mann sprach, nannte sie ihn stets nur „General“. Das hatte sie schon getan, als sie noch mit ihm verheiratet und er noch keine General gewesen war.

„Er wird nicht kommen“, sagte Jennifer und schloss, wie von der Sonne geblendet, die Augen, obwohl sich gerade in diesem Moment die Wolke vor die Sonne schob. Jennifer Kröber wünschte gerade jetzt nicht, der Mutter in die Augen sehen zu müssen.

„Warum sollte er nicht kommen?“, fragte die Frau und steckte sich eine Narko-Zigarette an. „Er hält stets sein Wort. Und er ist pünktlich. Ich schwöre dir, dass er genau um elf Uhr an der Tür stehen und klingeln wird. Heute bewundere ich seine Gabe der Zeiteinteilung. Als ich mit ihm verheiratet war, machte mich diese Pedanterie fast wahnsinnig. Wenn er sich für zehn Uhr angekündigt hatte, dann kam er auch um zehn Uhr. Man konnte die Uhr danach stellen. Ihm war nichts mehr verhasst, als zu einem Treffen zu spät zu erscheinen.“

„Dann hat er mir dir und deinem Zeitverständnis ja viel Freude gehabt“, meinte ihre Tochter zynisch.

„Das war einer der Gründe, weshalb wir uns ständig gezankt haben.“

Doreen Kröber trat an die steinerne Balustrade der kleinen Terrasse. Jennifer hob die Lider und betrachtete die Figur ihrer Mutter. Sie musste zugeben, dass ihre Mutter noch immer blendend aussah, schlank und gepflegt, durchaus nicht wie siebenundfünfzig.

„Was will er denn?“, fragte Jennifer Kröber mürrisch.

Doreen Kröber drehte sich um und stützte sich mit einer Hand auf die Balustrade. „Warum hasst du ihn eigentlich?“, fragte sie und schaute der Tochter ins Gesicht.

„Das ist doch Unsinn! Ich hasse ihn gar nicht. Er ist mir gleichgültig. Das ist alles“, meinte das Mädchen.

„Nein, du hasst ihn. Und du versäumst keine Gelegenheit, ihm das zu zeigen. Kein Wunder, dass er sich so selten bei uns blicken lässt.“

„Du vergisst, dass du wieder geheiratet hast und einem anderen verpflichtet bist“, meinte Jennifer Kröber ärgerlich. „Manchmal könnte man glauben, du hättest dich erst nach deiner Scheidung in den General verknallt.“

„Du solltest dich einer etwas gediegeneren Ausdrucksweise bedienen“, sagte Doreen stirnrunzelnd. „Diese Art zu sprechen ist einer jungen Dame der Gesellschaft unwürdig. Dein Stiefvater meinte erst gestern, dass du dir eine recht burschikose Ausdrucksweise zugelegt hättest. Hast du die Freunde gewechselt? Ist es in deinem Kreis üblich, derartig zu reden?“

In diesem Moment klingelte es.

„Na, bitte!“, sagte Doreen Kröber triumphierend. „Auf die Minute genau! Ich wusste es doch.“

Jennifer Kröber rührte sich nicht. Sie wusste, dass es nicht der General sein konnte.

Eine Tür klappte. Stimmen ertönten. Jennifer Kröber hörte zunächst nur die Stimme ihrer Mutter, diese lebhafte, fast noch jungmädchenhafte Stimme, die so leicht überspannt wurde.

„Komm mit auf die Terrasse“, sagte die Frau. „Jennifer sonnt sich ein wenig. Du weißt ja, wie sie ist. Alle jungen Leute wollen partout wie die Bronzegötter aussehen.“

„Ich wünschte, ich könnte es ihr gleichtun“, meinte eine sonore Männerstimme. „Ich weiß gar nicht mehr, wie das ist, sonnen!“

Jennifer Kröber hatte plötzlich das Gefühl einer inneren Vereisung. Die tödliche Kälte griff zuerst nach ihrem Herzen. Es war ein Wunder, dass es nicht stehenblieb.

Jennifer versuchte sich aufzurichten, aber ihr fehlte plötzlich die Kraft.

Der General!

Kein Zweifel: Das war die Stimme ihres Vaters, das war die Stimme von Laurenz Hager.

„Hallo, Jennifer“, sagte er.

Mit übermenschlicher Anstrengung drehte Jennifer Kröber den Kopf zur Seite.

Da stand er nun, in Zivil, wie immer, wenn er Privatbesuche machte. Er trug einen leichten dunkelblauen Sommeranzug, dessen Jacke vorn offenstand.

Jennifer sah deutlich den Gürtel, den er trug, einen eleganten Krokodilledergürtel. An den Füßen hatte er schwarze Schuhe. Die Socken waren purpurrot.

Laurenz Hager lächelte sein knappes, kühles Lächeln und blickte Jennifer an.

„Was ist los mit dir?“, fragte er. „Du siehst aus, als wärest du gerade aus einem Alptraum erwacht.“

Ich bin noch mitten drin, dachte das Mädchen. Er ist doch tot! Ich habe seinen Puls gefühlt! Ich war dabei, als sie ihn in der Waschmaschine fortbrachten.

Er ist tot, tot, tot!

„Der General hat recht“, meinte Doreen Kröber, plötzlich besorgt. „Fühlst du dich nicht wohl, mein Kind?“

Jennifer Kröber nickte. Sie sprang auf und rannte in das Haus. Eine Minute später stand sie unter der Dusche. Sie drehte das Wasser von kalt auf heiß und dann wieder zurück. Nichts half. Die innere Erregung blieb, die Schwäche in den Knien, das Würgen im Hals, das Gefühl des Terrors, die innere Ratlosigkeit.

Jennifer Kröber zog sich an. Jede Bewegung lief extrem langsam ab, fast so, als schlafe sie. Sie wusste nicht, was sie von dem Geschehen halten sollte. Wenn ihr Vater lebte — wer war dann der Mann, den Masters ermordet hatte?

Jennifer Kröber verließ das Bad. Als sie die Halle durchquerte, klingelte das Festnetz Telefon. Jennifer Kröber nahm den Hörer ab und meldete sich.

„Jennifer?“, fragte eine Männerstimme. „Ich bin’s, Paul.“

„Paul“, murmelte das Mädchen. Sie musste es ihm sagen, aber er würde es nicht glauben.

„Wir haben den Gürtel auseinandergenommen“, erklärte der Anrufer. Seine Stimme klang nervös, irgendwie gespannt. „Es ist nichts drin. Nur eine Lage Füllmaterial aus Schaumgummi. Verstehst du das? Unseren Informationen zufolge muss der Gürtel...“

„Wir haben den Falschen erwischt“, unterbrach ihn Jennifer Kröber halblaut. „Ich kann jetzt nicht sprechen.“

Ängstlich blickte sie auf die nur angelehnte Wohnzimmertür. Sie hörte das Lachen ihrer Mutter, die mit dem General auf der Terrasse Platz genommen hatte.

„Den Falschen?“, fragte der Anrufer verblüfft. „Bist du noch zu retten? Du warst doch selbst dabei, als wir ihn abtransportierten. Du hast erklärt, es sei dein Vater.“

„Der General ist gerade hergekommen. Ich habe ihn gesehen, so deutlich., wie ich das verdammte Telefon sehe! Ich hörte seine Stimme. Sieh bitte nach, was aus der Leiche geworden ist. Ich muss es wissen, Ich werde sonst noch verrückt!“, stieß das Mädchen hervor.

Am anderen Leitungsende entstand eine kurze Pause. Jennifer Kröber spürte genau, was in Paul vorging. Er überlegte in diesem Moment, ob sie, Jennifer Kröber, nicht ein Opfer ihrer Nerven geworden und plötzlich durchgedreht war.

„Sieh nach, ob der Tote noch an seinem Platz liegt“, drängte das Mädchen.

„Moment“, sagte der Mann. Eine Minute später meldete er sich wieder. „Natürlich ist er noch da“, meinte er unwirsch. „Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“

„Es ist nicht der richtige Mann“, murmelte Jennifer Kröber. „Es ist nicht mein Vater. Der sitzt draußen auf der Terrasse und spricht mit Mama. Ich fürchte, wir haben ein Double erwischt. Wir sind reingefallen, Paul.“

„Ein Double?“, fragte Paul. „Was soll das heißen? Ich denke, so etwas gibt’s nur in Hollywood?“

„Politiker beschäftigen zuweilen ein Double... Und Generäle offenbar auch“, sagte das Mädchen, dessen Stimme wie gehetzt klang. „Ich wusste das nicht, Paul, aber jetzt gibt es für mich daran keinen Zweifel mehr.“

„Moment mal“, meinte der Mann langsam. „Willst du damit sagen, dass wir eine wertlose Marionette getötet haben, einen Mann, der wie der General aussieht, und der sich wie der General kleidet?“

„So ist es, Paul.“

„Ich muss das erst verdauen“, sagte der Anrufer. „Du hörst von mir, Kleine.“

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