Читать книгу Wien 2078: Gang der Cop Killer Dorner und Vance - Vienna Cops - Roland Heller - Страница 5
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Martin Korn hob bedeutungsvoll das Kinn. In seine Augen trat ein kaltes, entschlossenes Leuchten, aber seine Stimme blieb völlig gelassen. „Was sollen wir machen?“, fragte er. „Uns bleibt keine Wahl. Einer von uns muss sie töten.“
Die Reaktionen von Jasmin Mehter, Peter Graustein und Stefan Doerr waren unterschiedlich. Jasmin feilte weiter an ihrem Fingernagel herum, dessen Spitze ihr vor wenigen Minuten beim Verlassen des Cable Car abgebrochen war. Peter starrte kauend aus dem Fenster in die hell erleuchtete Nacht, die von den vielen grellen Reklametafeln ausging, und nickte scheinbar gelangweilt, während Stefan Doerr sich als einziger engagiert nach vorn beugte und sagte: „Verdammt, dafür plädiere ich schon seit langem. Ich...“
„Halt dein Maul!“, fiel Jasmin ihm ins Wort.
Stefan Doerr schluckte und schwieg. Er war sauer, dass Jasmin ihn wie einen dummen Jungen behandelte. Was bildete sie sich eigentlich ein? Sie war nicht der Boss. Streng genommen hatte die Gruppe gar keinen Boss. Jeder von ihnen hatte die gleiche Stimme. Entscheidungen wurden gemeinsam gefasst.
Aber traf das tatsächlich zu? In der Praxis war Martin Korn, mit siebenundzwanzig der Älteste des Quartetts, allgemein respektierter Sprecher, während Jasmin als Motor und Ideenbrüter galt. Jasmins Autorität innerhalb der Gruppe war ebenso unbestritten wie ihre strahlende goldblonde Schönheit. Martin Korn blickte Peter Graustein an.
„Sie ist deine Freundin“, sagte er. „Du hast keine Einwände?“
„Keine Einwände“, meinte Peter Graustein kauend. „Sie ist selbst verantwortlich für den Scheiß, den sie baut.“
„Wir müssen dein Alibi absichern“, sagte Martin Korn. „Es könnte sein, dass du in Verdacht gerätst.“
Peter Graustein richtete seine hellen, seltsam leer wirkenden Augen auf Martin Korn. „Warum sollte man mich verdächtigen?“, fragte er. „Ich hatte nie Streit mit ihr. Ich bin nicht mit ihr verheiratet oder verlobt, es existiert auch kein Eheversprechen, und sie erwartet von mir kein Kind...“
„Wer wird es tun?“, schaltete Jasmin sich ein und streckte ihre Hand aus, um ihre Feilarbeit kritisch würdigen zu können. Sie betrachtete ihren frisch gefeilten Nagel von allen Seiten.
„Wir losen es aus“, schlug Martin Korn vor. „Wie immer. Einverstanden?“
„Klar“, meinte Stefan Doerr. „Das ist die fairste Lösung.“
Martin Korn grinste spöttisch. „Du schießt ungewollt immer wieder die besten Bolzen ab“, meinte er. „Die fairste Lösung! Schließlich gehörte sie fast zu uns...“
„Sie hat sich selbst disqualifiziert“, erklärte Stefan Doerr und bekam einen roten Kopf. Warum war immer nur er die Zielscheibe allgemeiner Kritik? Jasmin und Peter nahm niemand auf den Arm, von Martin ganz zu schweigen!
Jasmin warf die Nagelfeile in ihre Handtasche zurück und steckte sich ein Narkostäbchen an. „Also, los“, meinte sie. „Bringen wir’s hinter uns. Hast du die Lose vorbereitet?“
„Nein“, meinte Martin Korn und stand auf. „Aber das lässt sich sofort nachholen.“
Er ging zu einem Einbauschrank — ein hochgewachsener, athletisch wirkender Bursche in weichen braunen Lederstiefeln, dazu passender Leinensyntho-Hose und großkariertem, am Hals offenstehendem Hemd. Er hatte langes blondes Haar und dunkelbraune Augen. Sein markantes Gesicht und sein Wuchs sicherten ihm den Respekt auf der Straße – vor allem, wenn er mit bloßen Armen unterwegs war und seine Muskeln spielen ließ. Als Spross aus reichem Haus konnte er es sich leisten, seine Haut ölig glänzen zu lassen.
Jasmin inhalierte tief. Sie überlegte, woran es wohl lag, dass der fabelhaft aussehende Martin ein so miserabler Liebhaber war. Im Grunde war er ein verhinderter Homosexueller — davon war sie fest überzeugt.
„Woran denkst du?“, wollte Peter Graustein von ihr wissen.
Er war körperlich nur mittelgroß und hatte vor drei Wochen seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Er hatte ein schmales, intelligent wirkendes Gesicht, das nur durch den zynisch grausam wirkenden Mund ein wenig belastet und verfremdet wurde. Seltsamerweise war es gerade dieser ungewöhnliche Mund, der ihn zum Liebling der Damen machte. Offenbar hatten die meisten den Wunsch, die Qualitäten seiner Lippen beim Küssen zu testen oder zu erforschen. Sicher war, dass Stefan Doerr ein großer Ladykiller war, der Mann mit der größten Ausstrahlung auf Mädchen und Frauen. Vielleicht lag das auch an dem Umstand, dass er als einziger Erbe der Stahlfamilie Graustein galt.
Stefan Doerr, mit dreiundzwanzig der jüngste der Gruppe, entstammte einem Clan, der kaum ärmer war, aber er hatte es bis jetzt noch nicht geschafft, in der Gruppe über einen Benjamin-Status hinauszuwachsen. Trotzdem gehörte er als festes und anerkanntes Mitglied dazu.
Was die vier vor allem verband, war der Reichtum ihrer Familien. Von den Sorgen des Lebens wurden sie nicht berührt. Sie lebten und liebten den Luxus.
Die Wohnung, in der sie sich regelmäßig trafen, gehörte dazu. Zwei Räume für Jasmin, die sie allein bewohnte. Andere Familien mit regelmäßigem Einkommen schätzten sich glücklich, wenn sie zu siebt einen zweiten Raum von den Behörden zugesprochen bekamen.
„Woran denkst du?“, wiederholte Peter Graustein, der noch immer keine Antwort von Jasmin erhalten hatte.
„An Jelena natürlich“, sagte Jasmin. „Wie alt ist sie jetzt?“
„Ein Jahr jünger als ich“, erwiderte Peter Graustein und schaute wieder aus dem Fenster. „Vierundzwanzig.“
„Sie hat bald Geburtstag, nicht wahr?“, fragte Jasmin.
„Sie wird ihn nicht erleben“, stellte Peter Graustein fest. Er nahm seinen Kaugummi aus dem Mund und betrachtete ihn, als sähe er so etwas zum ersten Mal, dann legte er die Kugel in einen Ascher. Er zog sich einen neuen verpackten Streifen aus dem Jackett, entfernte das Stanniolpapier und schob sich den frischen Kaugummi zwischen die Lippen.
Martin Korn kam zurück. Er hielt einen Eiskübel in der Hand und schüttelte ihn. „Vier Lose sind darin“, sagte er. „Auf jedem Zettel steht ein „J“ — für Jelena. Auf einem der Zettel befindet sich hinter diesem Buchstaben ein rotes Kreuz. Wer diesen Zettel erwischt, muss es tun. Okay?“
„Moment“, sagte Stefan Doerr. „Erst müssen wir uns über die Methode unterhalten.“
„Das hat Zeit bis nachher“, winkte Jasmin ab.
„Fange ich an?“, fragte Jasmin und sah die drei Männer mit so viel Selbstsicherheit an, als wäre es ein Ding der Unmöglichkeit, dass ihr jemand widersprechen könnte.
„Sicher“, meinte Martin Korn und hielt ihr den Kübel hin. „Ladys first.“
Jasmin fischte sich einen der zusammengefalteten Zettel heraus und wartete, bis auch die anderen ihre Lose gezogen hatten.
„Jetzt!“, sagte Martin Korn, und alle entfalteten die Zettel gleichzeitig.
„Ich bin’s“, murmelte Stefan Doerr. Er war sich der Tatsache bewusst, von allen angeschaut zu werden, und hob mit einem Ruck das Kinn. „Na und? Einer muss es tun!“
„Genau“, sagte Martin Korn und sammelte die Zettel wieder ein. „Es muss dich befriedigen. Die Wahl, meine ich. Schließlich hast du vorhin ausdrücklich festgestellt, wie sehr du für Jelenas Tod plädierst...“
„Das tue ich immer noch“, sagte Stefan Doerr. Er hatte Mühe, seine Haltung zu bewahren und den anderen gegenüber Kaltblütigkeit zu demonstrieren. Es war eine Sache, einen Mord zu fordern, aber es war etwas völlig anderes, ihn ausführen zu müssen. Allein auszuführen, nicht als Teil einer Gruppe, die gemeinsam ein Ziel beschoss. Da konnte im Nachhinein niemand sagen, wer die tödliche Kugel abgefeuert hatte.
„Wann soll es passieren?“, fragte er.
„Schnellstmöglich, am besten noch heute“, erwiderte Jasmin. „Jeder Tag bringt uns neue Risiken. Jelena hat einen Punkt erreicht, an dem man ihr nicht mehr trauen kann.“
„Hm“, machte Stefan Doerr. „Und was ist mit meinem Alibi?“
„Dafür stehen wir gerade“, sagte Peter Graustein. „Jeder von uns ist bereit, die Schwurhand für dich zu heben. Wir erklären, dass wir zusammen waren und Karten spielten.“
Stefan Doerr nickte. Das war beruhigend. Drei Leute aus gutem Hause, Söhne und Tochter prominenter Familien — eine solche Aussage war durch nichts zu erschüttern.
„Natürlich“, schränkte Martin Korn ein, „musst du dafür sorgen, dass man dich weder sieht noch erkennt.“
„Sonst landen wir auf dem Bauch“, knurrte Peter Graustein.
„Ich kann mich nicht unsichtbar machen“, sagte Stefan Doerr.
„Doch, das kannst du, in gewisser Weise“, meinte Peter Graustein. „Du musst sie zu dir bestellen. Oder du musst dich mit ihr außerhalb der Stadt treffen. Zum Zeitpunkt der Tat darf dich niemand sehen. Weder eine Stunde vorher noch eine Stunde nachher.“
„Und was passiert mit der Leiche?“, erkundigte sich Stefan Doerr.
„Wirf sie in irgendeine Baugrube“, empfahl Martin Korn. „Wir haben nicht die Mittel, sie ganz verschwinden zu lassen. Irgendwie würde sie schon wieder auftauchen...“ Er schmunzelte plötzlich leicht, „oder du lasst sie einfach liegen, dort, wo du sie erschossen hast. Oder hattest du etwa vor, sie in ihrer Wohnung aufzusuchen?“
„Nein. Ich dachte nur ...“ Er glaubte, dass ihm eine super Idee gekommen war. „Wenn wir dafür sorgen, dass sie in einen Brückenpfeiler oder in einen anderen Neubau einbetoniert wird“, erklärte er seine Überlegung.
„Du liest zu viele Comics“, spottete Jasmin. „Wie willst du das denn in der Praxis bewerkstelligen? Willst du die Bauarbeiter darum bitten, den Job für dich zu übernehmen? Oder kannst du selbst mit so einem Betonmischer umgehen?“
„Nein, natürlich nicht, aber...“
Martin Korn schnitt ihm das Wort ab. „Es ist nicht schlimm, wenn man sie findet“, sagte er. „Nimm ihr die Handtasche und den Schmuck ab. Jeder wird glauben, dass sie das Opfer eines Raubmörders geworden sei. So was passiert in dieser Gegend täglich ein Dutzendmal oder noch häufiger.“
„Okay“, sagte Stefan Doerr. „Ich brauche eine Waffe.“
„Nimm ein Messer“, meinte Peter Graustein.
„Du hast Nerven! Das ist nicht nach meinem Geschmack. Das kann ich nicht“, lehnte Stefan Doerr ab. „Du hast doch eine Pistole, nicht wahr?“
„Sicher“, nickte Peter Graustein, „aber die möchte ich behalten. Ich will nicht, dass irgendein cleverer Ballistiker sie eines Tages als die Mordwaffe identifiziert.“
„Du bist mir ja eine schöne Hilfe“, klagte Stefan Doerr bitter.
„Du musst ihn verstehen“, meinte Martin Korn. „Es könnte sein, dass auch andere etwas vom Vorhandensein der Waffe wissen. Jelenas Tod wird einigen Staub aufwirbeln. Peter ist mit der Puppe befreundet. Es könnte sein, dass sich die Bullen schon deshalb für seine Kanone interessieren werden. Er muss dann imstande sein, ihnen eine Waffe vorzuzeigen, die nicht belastend wirken kann.“
„Ist doch völlig klar!“, meinte Jasmin ungeduldig und schenkte Stefan Doerr einen ärgerlichen Blick. „Geht das nicht in deinen Kopf hinein?“
„Mit einem Messer kann ich nicht umgehen“, sagte Stefan Doerr.
„Dann nimm einen Strumpf“, riet ihm Jasmin.
„Ihr habt gut reden“, maulte Stefan Doerr. „Ich möchte die Garantie haben, dass nichts schiefgeht. Das kann ich nur mit einer Schusswaffe.“
„Okay“, sagte Martin Korn plötzlich. „Ich besorge dir eine.“
Jasmin schaute ihn an. „Ist das nicht gefährlich?“
„Nein, nein. Ich habe eine gute Quelle.“ Er wandte sich an Stefan Doerr. „Drei Hunderter wirst du schon dafür ausspucken müssen, alter Junge.“
„Kriegst du davon Prozente?“ spottete Stefan Doerr.
„Witzbold!“
„Also, gut“, seufzte Stefan Doerr. „Drei Hunderter ist mir die Sache wert.«
Es klingelte. Martin Korn blickte stirnrunzelnd auf seine Uhr, dann schaute er die anderen an.
„Ich habe keine Ahnung, wer das sein könnte“, meinte er. „Ich erwarte keinen Besuch. Schon gar nicht um diese Zeit. Es ist gleich zweiundzwanzig Uhr dreißig.“
„Sieh nach, wer es ist“, sagte Jasmin. Martin Korn ging hinaus. Die Zurückgebliebenen hörten, wie er die Tür öffnete und mit jemand sprach. Dann kehrte er ins Zimmer zurück.
„Jelena ist gekommen“, sagte er.