Читать книгу Gestatten, mein Name ist Cox - Rolf A. Becker - Страница 6

Оглавление

II.

MEINE FREUNDIN MARGIT

Ich schlingerte mit dem Bus durch Londons Straßen, rauchte eine Zigarette und fing so ganz allmählich an, wieder gute Laune zu bekommen.

Noch wusste die Polizei nicht, dass es mein Messer war, mit dem man Wallings zu Tode gekitzelt hatte, und das war bei allem Pech, das ich gehabt hatte, ein kleines Ende Glück. Auch war der Inspektor noch nicht dazu gekommen, meine Personalien zu überprüfen, ja, er hatte nicht einmal nach meinem Namen gefragt. Es würde also mindestens eine ziemliche Weile dauern, bis er mich in einer Millionenstadt wie London wieder aufgestöbert hatte. Diese Überlegungen gaben mir einen Teil meines angekratzten Selbstbewusstseins wieder.

Zehn Minuten später war ich zu Hause angelangt. Von draußen hörte ich das Klavierspiel von Mr. Fitzgerald, meinem Nachbarn. Wir bewohnen einen kleinen Zwei-Familien-Bungalow, er die linke, ich die rechte Hälfte. Aber da wir getrennte Eingänge hatten, merkte ich nicht viel von ihm - bis auf das Klavierspiel! Er war nämlich Pianist und in der Hoffnung alt geworden, einmal ein richtiges Konzert geben zu dürfen. Seine Bemühungen darum waren ohrenzerreißend.

Margit öffnete mir die Tür. Ich habe Ihnen schon erzählt, dass Margit eine bildhübsche Person war. Sie hatte all das in Hülle und Fülle, was eine Frau gefährlich machen kann; ein Mädchen, auf das die Männer flogen wie die Wespen auf den Frühstückssirup, verführerisch schön, mit augenbetörend runden Linien und einem Lächeln wie eine Zahnpastareklame. Die alte Mona Lisa hätte neben ihr wie eine griesgrämige Frauenrechtlerin gewirkt. Nun sagen Sie selbst: Konnte ich mich glücklich preisen, von einem solchen Traum in Technicolor die eigene Wohnungstür geöffnet zu bekommen? Sollte man meinen, nicht?

„Hallo, Paul, da bist du ja“, sagte sie, und ich hatte das komische Gefühl, dass sie sich darüber wunderte. Aber wenn man mit Damen wie Margit spricht, hat man - solange man jedenfalls noch in meinem Alter ist- immer komische Gefühle. Vermutlich aber schreckte sie nur vor meinem neuen Kostüm zurück. Sie hatte mich schon in manch munterer Aufmachung gesehen, aber als Schornsteinfeger hatte sie mich noch nicht genossen.

„Mein armer Paul!“ sagte sie, als sie sich vom Schreck erholt hatte. „Bist du in der Zwischenzeit nervenkrank geworden? “

Ich wollte ihr gerade erklären, was los war, als ich Henry sah. Er saß in meinem Schaukelstuhl und rauchte mit seinen langen, gepflegten Gentleman-Fingern eine meiner Geburtstagszigarren. Henry Montague war früher mein Freund gewesen. Und wenn ich „früher“ sage, dann meine ich das auch. Jetzt konnte ich ihn nicht mehr ausstehen. Und dass er sich in meiner Abwesenheit in dem Schaukelstuhl herumlümmelte, passte mir gar nicht.

Als er mich kommen sah, stand er auf und säuselte mit gekünsteltem Witz: „Puh! Der schwarze Mann!“

Naja, er war genauso unsympathisch wie immer. „Wie kommst du denn hierher?“ fragte ich.

„Och, ich hatte hier in der Gegend zu tun, weißt du, und da dachte ich mir, guckst du mal eben rein. Wollte nur mal fragen, wie’s euch geht.“

„Es geht uns gut, danke. Nun wisch dir den Lippenstift ab und verdufte!“

Das war deutlich. Henry machte Glubschaugen und wusste nicht, was er sagen sollte. Er schwankte ein bisschen, und als ich die beiden Whiskygläser auf dem Tisch stehen sah, wusste ich auch, warum.

Margit versuchte, die Situation zu retten. „Stell dich nicht so an, Paul“, sagte sie, „Henry hat nur guten Tag gesagt.“

„Schon gut, schon gut“, sagte Henry und machte ein beleidigtes Gesicht. „Dein Teurer hat eben heute schlechte Laune. Hat sicherlich Ärger gehabt, der Gute. Kann ja vorkommen.“

„Halt keine Volksreden! Verschwinde!“

Und das war’s dann. Henry nahm seinen Hut, grinste Margit noch einmal zu und tanzte ab.

Margit brachte ihn nicht zur Tür. Sie sah ihm nach, dann sah sie mich an - mit einem Gesicht, als hätte sie zwei Kilo Zitronen gegessen - und setzte sich schweigend auf die Couch.

Ich ging zum Kamin, nahm die Whiskyflasche vom Sims, goss mir ein Glas ein, trank, goss mir ein zweites Glas ein. Keiner sagte ein Wort. Nebenan klimperte Fitzgerald. Eine herrliche Stimmung!

„Sag mal, Paul, was ist eigentlich mit dir los?“ fragte Margit schließlich.

„Kannst du bitte Wasser in die Badewanne lassen?“

Margit ging ins Badezimmer. Während ich mir das dritte Glas einschenkte, hörte ich, wie das Wasser in die Wanne lief. Margit kam zurück und setzte sich. Sie tat es mit einer Bewegung, die ihr in Hollywood eine ansehnliche Extragage eingebracht hätte. Ich dachte darüber nach, ob Henry diese Bewegung wohl auch bemerkt hatte. Henry gehörte zu der Sorte Männer, die an hübschen Frauen nicht vorbeigehen können, ohne in tiefes Nachsinnen zu verfallen, wie sie die betreffende Dame ans Gängelband kriegen können. Nein, nein, ich konnte Henry nicht leiden!

Margit saß auf der Couch - äußerlich ganz ruhig, aber ich kannte sie genau. Ihre Augen flackerten: Sie war nervös. Vielleicht war sie es nur, weil sie spürte, dass dicke Luft war; vielleicht aber auch, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte?

„Hör mal, Baby“, sagte ich, „wir sind so ‘ne Art von verlobt. Das ist kein Skatspiel, da brauche ich keinen dritten Mann.“

„Liebling, du glaubst doch nicht ...“

„Doch, Margit! Ich habe Instinkt, verstehst du? Ich glaube so was nicht, ich weiß es.“

„Aber Paul! Henry ist doch kein Mann, den man ernst nehmen kann.“

Und damit hatte sie recht. Verdammt recht! Sie war eigentlich nicht die Frau, die auf einen Henry reinfallen würde.

„Also schön“, sagte ich. „Ich kann den Burschen nicht ausstehen. Außerdem ist er ein Säufer.“

„Und du trinkst nie?“

„Der Unterschied ist nur, ich kann was vertragen. Und ich weiß das. Henry kann nichts vertragen, und er weiß es nicht. Das ist stillos.“

Margit lachte mich an. Das Eis war gebrochen. „Du hast ja heute eine lustige Stimmung“, sagte sie.

„Hab’ auch allen Grund dazu.“

Ich erzählte ihr kurz, was passiert war, dass Mr. Wallings nicht abgereist war, sondern in ziemlich totem Zustand auf seinem Schreibtisch herumlag, dass die Polizei mich erwischt hatte und mich fortan mit einem sauberen Mordverdacht beehren würde. Margit riss die Augen auf. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie begriff, was gespielt worden war. Mechanisch nahm sie sich eine Zigarette aus der Packung, die vor ihr auf dem Tisch lag.

„Um Himmels willen, Paul, wie konnte das passieren?“

„Wenn ich das wüsste, wär’ mir bedeutend wohler.“

Margit schien das alles noch unverständlicher als mir. Sie habe am frühen Morgen noch einmal mit Wallings telefoniert, sagte sie. Er hatte ihr bestätigt, dass er mit dem 9-Uhr-Zug abfahren wollte.

„Um zehn hat er aber noch Besuch empfangen. Damenbesuch.“

„Das verstehe ich nicht“, meinte Margit.

„Tröste dich, ich auch nicht.“

„Und was ist mit deinen Briefen?“

„Hab’ ich nicht gefunden. Schreibtisch und Aktenschrank waren ratzekahl ausgeräumt.“

„Aber Paul! Wenn die Briefe jetzt jemand anderes hat! Was geschieht dann?“

„Das wird lustig. Aber ich glaube nicht, dass derjenige mit den Briefen rausrückt. Wer nämlich die Briefe hat, ist auch der Mörder von Wallings. Und der wird wohl sein kleines Geheimnis ganz gern für sich behalten wollen. Denn vorläufig hält die Polizei mich für den Mörder.“

„Das ist ja furchtbar! Und was machst du jetzt?“

„Jetzt nehme ich ein Bad.“

Ich trank mein Glas aus und schlenderte ins Badezimmer. Als ich dann in der Badewanne lag, beschäftigte ich mich ein bisschen mit Denken. Das tue ich immer in der Badewanne. Wenn das Thermometer, der Schwamm und die Seifenschale um mich herumgondeln, kommen mir die besten Ideen.

Ich dachte zurück an das andere Badezimmer, in dem ich heute schon mal Denksport getrieben hatte. Und um ehrlich zu sein, meine Gedanken waren nicht gerade sehr fröhlich. Ich bin kein Freund von Zufällen, wissen Sie, noch dazu, wenn sie so faustdick kommen.

Wallings wollte an diesem Tag an die See fahren. Zufällig hatte er es nicht getan.

Zufällig war jemand vor mir in seiner Höhle gewesen.

Zufällig hatte dieser Jemand Mr. Wallings zum Teufel geschickt.

Zufällig mit meinem Messer.

Zufällig hätte auch ich ein sehr gangbares Mordmotiv gehabt: Meine Briefe.

Zufällig waren die Briefe fort.

Zufällig kam auch diese Mrs. Chataway ein paar Minuten nach mir ins Zimmer und entdeckte die Leiche.

Nein, meine Herren! Das ging nicht mit rechten Dingen zu! Da hatte jemand einen Groschen reingesteckt. Und plötzlich wurde mir eines klar: Noch einen solchen Zufall konnte ich nicht riskieren!

Und ich kann Ihnen versichern, dass ich mich beim Abtrocknen beeilt habe!

Es dauerte auch nicht lange, da hörte ich das Geklingel eines Polizeiwagens, der mit Schwung und Eleganz um die Ecke brauste und vor meinem Bungalow halt machte. Eine saubere Landung!

Nun sagen Sie selbst: War das ein Zufall? Auf einmal kannte die liebe Polizei meinen Namen und meine Adresse. Dass sie bloß gekommen war, um mir nachträglich zur Konfirmation zu gratulieren, war nicht anzunehmen. Nein, ich wettete einen alten, ausgefransten Filzpantoffel gegen eine ganze Schuhwarenfabrik, dass jemand dem Inspektor einen kleinen, freundlichen Tipp gegeben hatte.

Da kamen sie also: Eine Autoladung Polizisten, vornweg der Inspektor mit der sonoren Stimme. Sie stürmten den Gartenweg herauf und eroberten - ohne Verluste! - die Plattform vor meiner Haustür. Dort fasste sich der Inspektor ein Herz und klingelte lang und anhaltend, wie nur Polizisten und Gerichtsvollzieher klingeln.

Der liebe Fitzgerald machte erstaunte Kinderaugen, als ich durch das Fenster bei ihm einstieg.

„Keine Angst“, beruhigte ich ihn, „ich bin nicht der schwarze Mann.“

Er hörte auf zu klimpern und schüttelte verständnislos den Kopf.

„Warum kommen Sie denn durchs Fenster?“

„Kleine artistische Übung.“

Nun, aus seiner musischen Umnachtung geweckt, schien sein Geist zu registrieren, dass er vor einigen Augenblicken Polizeiklingeln gehört hatte. Er stand auf, ging zum Fenster, schaute hinaus, bemerkte den Polizeiwagen, drehte sich um und sah mich an, forschend und unschlüssig. Ich stand zwei Schritte von ihm entfernt, die Hände in den Hosentaschen, und wartete ab. Nachdem wir uns so einige Minuten angeschwiegen hatten, ging er zurück zu seinem Flügel, setzte sich und spielte ein paar Läufe.

Fitzgerald war der Typ des liebenswerten Trottels. Das Schicksal hatte es nicht besonders gut mit ihm gemeint. Seine Frau war bei der Geburt ihres Kindes gestorben, und so hatte er nicht mehr viel, was ihm wirklich Freude machte. Er lebte zurückgezogen mit seinem elfjährigen Jungen und drangsalierte sein Klavier. Beruflich hatte er es auch nicht weit gebracht. Er war kein Karrieremacher, war zu still für diese laute Welt. Er verstand es nicht, sich in den Vordergrund zu drängeln, und so war er immer hübsch hinten geblieben. Aber da er von Haus aus etwas Geld hatte, kam er so einigermaßen über die Runden.

„Auf dem Tisch steht eine Schachtel mit Zigaretten“, sagte er und blinzelte durch zwei scharf geschaffene Brillengläser zu mir herüber.

Ich nahm mir eine, zündete sie an, setzte mich auf einen Stuhl, dicht neben Fitzgerald, sah ihm beim Klavierspiel zu.

„Wie geht’s, Fidgy?“ fragte ich.

„Och - ganz gut.“

„Und beruflich? Machen Sie bald das Klavier-Rennen?“

„Ich gebe übermorgen mein erstes Konzert“, sagte er stolz.

„Nein, wirklich? Da gratuliere ich aber auch sehr herzlich! “

„Erst hinterher, bitte, erst hinterher!“

Und dann schwiegen wir wieder. Es ist erstaunlich, wie beharrlich Klavierspieler ein und dasselbe Thema, ein und denselben Lauf wieder und wieder spielen können, ohne dass ihnen die Nerven reißen. In Gedanken schwor ich drei wilde Flüche gegen denjenigen, der mir das eingebrockt hatte. Wer immer es war, das sollte er mir büßen!

Und Fidgy hatte von meinen düsteren Gedanken keine Ahnung. Verklärt vor sich hinlächelnd, entlockte er weiterhin seinem Flügel die abscheulichsten Töne. Als ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, setzte er plötzlich ab, drehte sich auf seinem Klavierstuhl herum und sah mich an. Wir saßen nun Breitseite gegen Breitseite.

„Kann ich etwas für Sie tun, Mr. Cox?“ fragte er unvermittelt.“

„Ja, machen Sie mal ‘ne Zigarettenpause.“

Um ihm das Aufstehen zu ersparen, bot ich ihm eine von meinen Zigaretten an.

Nachdem er Feuer genommen hatte, sah er mich fragend an. „Was wollen Sie mir erzählen?“

„Nichts. Ich möchte nur einen Augenblick diese himmlische Ruhe genießen.“

„Es stimmt doch irgend etwas nicht mit Ihnen!“

„So?“

„Kann ich Ihnen vielleicht ...“ Er druckste etwas herum. „Ich meine - ich weiß ja nicht, was geschehen ist, aber vielleicht kann ich Ihnen helfen?“

„Schließen Sie mich in Ihr Nachtgebet ein. Ich fürchte, das ist alles, was Sie für mich tun können.“

Aber er gab sich noch nicht zufrieden. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie etwas Unrechtes getan haben, Mr. Cox. Ich kenne Sie viel zu lange. Aber ich sehe doch, dass Sie in Schwierigkeiten geraten sind.“ Er machte eine kleine Pause und begann, seine Brillengläser zu putzen. „Es erleichtert manchmal sehr, wenn man jemandem sein Herz ausschütten kann“, meinte er und fixierte mich mit seinen blinzelnden, kurzsichtigen Augen. „Vielleicht kann ich Ihnen einen Rat geben.“

Ich beugte mich etwas vor, nahm ihn bei der Hand und lachte. Dann wurde ich wieder ernst. „Ich will Ihnen einen Rat geben. Spielen Sie Klavier, aber spielen Sie nicht mit Feuer. Das ist nämlich zu heiß für Ihre Künstlerhände. Halten Sie sich heraus! Und wenn Sie jemand fragt - Sie haben keine Ahnung, verstanden? Damit helfen Sie mir, und für Sie ist es auch das beste.“

„Ich habe a wirklich keine Ahnung“, beteuerte er.

„Na, sehen Sie!“

Er setzte seine Brille wieder auf und gab mir die Hand. „Aber wenn ich Ihnen einen Gefallen tun kann, Mr. Cox-Sie wissen ja, wo ich wohne. Ich bin immer für Sie da.“

„Danke.“

„Und Telefon hab’ ich auch!“

Von draußen hörten wir die Klingel des Polizeiwagens. Fitzgerald stand auf und trat ans Fenster.

„Sie fahren weg“, sagte er.

„Haben sie jemand zurückgelassen?“

„Ich kann niemand sehen. Aber da kommt ja Pit. Gott, wie sieht der Junge wieder aus!“

Pit war ein netter kleiner Kerl. Ich konnte ihn gut leiden. Aber im Augenblick hatte ich keine Lust, mich mit ihm zu unterhalten. „Kann ich hinten heraus, Fidgy? Der Junge braucht mich nicht zu sehen.“

„Aber gern. Kommen Sie!“

Fitzgerald brachte mich zur Hintertür und ließ mich hinaus. Eine halbe Minute später fing er wieder mit seiner Klimperei an. Als ich in meine Wohnung zurückkam, kochte sich Margit gerade eine Tasse Kaffee. Ich ging zu ihr in die Küche.

„Nun?“ fragte ich.

„Das war der erste Sturm. Ich habe sie abgewimmelt. Aber sie suchen dich, Paul! Und ich glaube, die sind gemein hartnäckig. Du musst dich vorsehen!“

Sie legte mir beide Hände auf die Schultern - eine Gewohnheit, die ich immer besonders gern gehabt hatte. Aber ich spürte, dass es heute nur eine Gewohnheit war. Da war irgend etwas an ihr, das mich stutzig machte. Sie sah mich ernst, beinahe traurig an und wiederholte: „Du musst dich sehr vorsehen!“

Ich nickte ihr zu und fragte, ob sie erfahren hätte, woher die Polizei meinen Namen und meine Adresse wusste. Aber sie konnte es mir nicht sagen. Es hatte niemand davon gesprochen. „Auch n Kaffee?“ fragte sie.

„Hm, hm“, brummelte ich. Dann stippte ich sie aufmunternd in die Rippen. „Du machst ja ’n Gesicht, als hättest du gerade erfahren, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. Lach, Baby, lach! Wir kommen schon wieder raus aus der Klemme.“

Margit lächelte müde. „Das sagst Du so.“

Dann nahm sie das Tablett mit den Kaffeetassen, und wir gingen hinüber ins Wohnzimmer. Dort schob sie mir eine Visitenkarte zu, die auf dem Tisch lag. „Kriminalinspektor Carter, New Scotland Yard, Telefon: Whitehall 1212“ stand darauf.

„Was soll denn jetzt werden, Paul?“

„Nun mal ruhig Blut“, sagte ich. „War der Inspektor denn sehr neugierig?“

Und ob er neugierig war! Er hatte Margit nach allen Regeln der Kunst die Seele aus dem Leib gefragt. Freilich hatte sie ihm nicht viel sagen können, denn sie wusste ja kaum etwas. Und das, was sie wusste, wollte sie ihm nicht sagen. So war der Inspektor unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Aber eines war zu merken: Er war ein Mann, der sein Handwerk verstand, und es war sicher kein großer Spaß, von ihm zum Kirschenessen eingeladen zu sein.

Nein, nein, Margit hatte etwas auszustehen gehabt, und es war schon allerhand, wie brav sie sich gehalten hatte.

„Aber er wird wiederkommen, Paul! Der lässt keine Ruhe. Er wird mir wieder Fragen stellen, und ich habe Angst, dass ich mal die falsche Antwort gebe.“

Wir tranken unseren Kaffee. Die Stimmung war betreten. Soviel ich mich erinnere, war das einer der wenigen Augenblicke während der Affäre Wallings, da ich vollkommen ratlos war. Ich hatte nicht den geringsten Schimmer, was ich tun sollte. Ich hatte keine Ahnung, wer mir diese Suppe eingebrockt hatte, und ich wusste auch nicht, wie ich diesem sauberen Herrn auf die Schliche kommen sollte.

Margit setzte die Tasse ab und sah mir fest in die Augen. „Paul!“ sagte sie leise und sehr ernst.

„Ja?“

„Warum hast du es getan?“

Wie bitte, was? Zum Kuckuck, glaubte das Mädchen etwa auch, dass ich Wallings außer Betrieb gesetzt hatte?

„Paul“, bat sie, „mir kannst du doch die Wahrheit sagen! “

„Ich hab’ sie dir gesagt.“

„Inspektor Carter hat mir die Mordwaffe gezeigt. Es ist dein Taschenmesser!“

„Freilich. Glaubst du, ich hätte mein Messer nicht erkannt?“

Ich sagte das mechanisch. Während ich es sagte, überlegte ich. Donnerwetter noch mal! Margit musste doch wissen, dass ich es verloren hatte! Ich erinnerte mich genau, es ihr gesagt zu haben. Sie hatte mir sogar beim Suchen geholfen. Eigenartig! Wenn es darum ging, sich zu erinnern, dass ich ihr einen neuen Hut versprochen hatte, konnte man sich felsenfest auf ihr Gedächtnis verlassen. Und nun hatte sie innerhalb von drei Tagen vergessen, dass mein Taschenmesser verloren war. Aus den Frauen soll mal einer klug werden!

„Margit“, sagte ich scharf, „weißt du nicht mehr, was mit dem Messer los war?“

„Ja, o Gott, natürlich!“

Langsam schien sich die Erinnerung in ihr durchzuarbeiten. Gleichzeitig wurde ihr wohl klar, was für einen fatalen Fehler sie begangen hatte.

„Du hast das Messer verloren! Vorgestern war das, nicht wahr? Oh, ich bin ein Dussel! Wenn ich doch bloß daran gedacht hätte, als mich der Inspektor gefragt hat. Entschuldige, Paul, aber das war mal wieder ziemlich dumm von mir.“

Immerhin schien nun die unsichtbare Wand abzubröckeln, die ich vorher zwischen Margit und mir verspürt hatte. Trotz der Misere, in die sie mich hineingeritten hatte, war sie froh und gelöst. Sie hatte tatsächlich geglaubt, dass ich Wallings aufgetrennt hatte - und das war für sie ein sehr ekliges Gefühl gewesen. Aber nun schien die Sonne wieder. Sie lachte, fiel mir um den Hals, beteuerte, dass sie es ernsthaft nie geglaubt hätte, schenkte uns zwei Gläser ein und begann, einen Kriegsplan zu schmieden.

Allerdings konnte ich mich ihrem Standpunkt nicht ganz anschließen, dass nun, da sie wisse, dass ich kein Mörder sei, auch alles gut gehen würde. Aber Frauen sind nun mal so!

Sie war hoffnungsfroh. Wir brauchten dem Inspektor nur klarzumachen, dass ich mein Messer verloren hatte, meinte sie. Naja, damit hatte sie natürlich nicht ganz unrecht; leider aber war der Karren ziemlich verfahren, weil sie bei ihrer ersten Aussage nichts davon erwähnt hatte. Und nun gehörte schon eine große Handvoll Geschick und Überredungsgabe dazu, dem Inspektor die Tatsachen beizubringen. Mit einem Telefongespräch war das nicht getan. Wir mussten zu ihm hingehen und ihm ausführlich das ganze Drumherum erklären.

Margit war nicht ganz einverstanden.

„Du musst zu Hause bleiben“, sagte sie. „Wenn wir zusammen hinkommen, sieht das wie ein Komplott aus. Wenn ich aber allein gehe, habe ich alle Chancen. Ich sage ihm ganz einfach, dass ich noch mal über die ganze Geschichte nachgedacht habe. Und plötzlich ist mir eingefallen, dass du dein Messer verloren hast. Dazu lächle ich ein bisschen, mach ihm ein paar schöne Augen, dann klingt es noch glaubwürdiger.“

Ja, Margit wusste Bescheid. Man merkte, dass sie einen Haufen Kriminalromane gelesen hatte.

„Und nun überleg mal!“ fuhr sie fort, und ihre Augen glühten vor Eifer. „Wenn er uns trotzdem nicht glaubt, was dann? Dann behält er dich dort, und du hast überhaupt keine Möglichkeit, deine Unschuld zu beweisen! Nein, glaub mir, es ist weit besser, ich gehe allein zum Inspektor.“

„Wahrscheinlich hast du recht, Baby“, sagte ich. „Deine Intelligenz bricht alle Schranken.“

Ich gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze und einen Klaps auf das Hinterteil. Sie lachte mich an. Kinder, was für ein Lachen! Der nächste Kuss ging nicht auf die Nasenspitze!

Sie beeilte sich mit ihrem Renommier-Make-up, warf sich in ihren Pelz, sauste los.

„Alles Gute, Margit“, rief ich ihr nach. „Mach keine Dummheiten!“

Damals ahnte ich freilich noch nicht, wie recht ich mit meinem Wunsch hatte: Mach keine Dummheiten, Margit!

Ich zündete mir eine Zigarette an, legte mich auf die Couch, betrachtete die Zimmerdecke, versuchte mich auszuruhen, an nichts zu denken. Völlige Entspannung tut den Nerven gut, sagen die Medizinmänner. Medizinmänner hin, Medizinmänner her - der alte Cicero war auch kein Dummkopf. „Gedanken sind frei“, hat er mal gesagt. Und recht hat er gehabt. Gedanken kommen und gehen, ganz wie es ihnen passt. Sie lassen sich nicht kommandieren, sie denken selbständig. Was mich betrifft, so wühlten sie in meinem Kopf herum wie Maulwürfe in der Hochsaison.

Ganz allmählich begannen sich die Zufälle zu lichten; der Fall bekam eine Linie. Ich fragte mich, wie das Messer aus meinem Garten, in dem ich es verloren hatte, in Wallings’ Rücken geraten war. Nun schön, jemand hatte es aus dem Garten herausgenommen. Und dieser „Jemand“ war ein Herzchen! Heiliges Kanonenrohr! Der war mit allen Wassern gewaschen. Er konnte Wallings nicht sonderlich leiden und wusste, dass ich Wallings auch nicht leiden konnte. Er musste irgendwie herausbekommen haben, dass ich in Wallings’ Wohnung gehen wollte, um mir meine Briefe zu holen. Jetzt war für ihn das Feld frei, und das Spielchen konnte beginnen.

Er hatte Wallings besucht mit einem Haufen schlechter Vorsätze und mit meinem Messer. Das hatte er dann fein säuberlich zwischen Wallings’ Schulterblätter deponiert und war verduftet, vermutlich kurz bevor ich dort antanzte. Nun brauchte er nur noch dafür zu sorgen, dass Mrs. Chataway rechtzeitig ins Zimmer schwirrte und die Tat entdeckte, noch ehe ich wieder abhauen konnte. Schließlich hatte er die Polizei angerufen und ihr meine Adresse mitgeteilt. Eine saubere Arbeit!

Die Hausklingel riss mich aus meinen Gedanken. Sie klingelte zaghaft; die Polizei konnte es also nicht sein. Ich öffnete die Tür. Draußen stand Pit Fitzgerald, der nette, elfjährige Sohn meines Nachbarn.

„Na, Pit“, begrüßte ich ihn, „was willst du denn?“

„Tag, Mr. Cox! Ich wollte schon vorhin kommen. Aber ich musste erst noch baden.“

„Ei weh! Baden ist was Schreckliches, nicht?“

Pit freute sich, eine mitfühlende Seele gefunden zu haben. „Klar!“ strahlte er. „Besonders, wenn man dazu gar keine Zeit hat! Wo doch so ‘ne Menge passiert ist! Haben Sie’s gesehen? Das Polizeiauto meine ich.“

„Hm, hm“, nickte ich und war gespannt, worauf der Junge hinauswollte.

„Ein schicker Wagen! Ganz neues Modell! Ich muss rauskriegen, was die hier gewollt haben.“

„Ja, das weiß ich leider auch nicht.“

„Och“, meinte er mit einer wegwerfenden Handbewegung, „das erfahre ich schon noch! Kleinigkeit! Deswegen bin ich auch gar nicht hier. Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie Ihr Messer wiederhaben.“

„Mein Messer?“

„Das große Taschenmesser, das Sie mir mal gezeigt haben.“

Jetzt klingelte es bei mir. Ich hatte das Gefühl, als ob mir jemand die Kehle abschnürte. Ich packte den Jungen an den Schultern und fragte ihn, was er über das Messer wisse.

„Ich hab’s doch gefunden, Mr. Cox! In Ihrem Garten.“

„Was hast du damit gemacht?“

„Ich dachte mir, wenn’s da draußen liegt, da kann’s doch rosten, und...“

„Wem hast du’s gegeben?“

„Ihrer Braut natürlich, Miss Margit. Ist doch klar.“

Die unsichtbare Hand um meine Kehle drückte heftig zu. Ich hatte Angst, jeden Augenblick den Verstand zu verlieren. Nimm dich zusammen, hämmerte ich mir ein; einatmen, ausatmen, ruhig bleiben! Nicht aufregen! Scharf nachdenken!

Der Kleine erzählte mir noch einen Haufen Zeug, dass er mich nicht hatte finden können, dass er das Messer nicht behalten wollte, weil dann vielleicht jemand geglaubt hätte, er wollte es klauen und so weiter.

Aber ich hörte nicht mehr zu. Ich dachte an Margit.

Meine Freundin Margit!

Gestatten, mein Name ist Cox

Подняться наверх