Читать книгу Gestatten, mein Name ist Cox - Rolf A. Becker - Страница 7
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GORILLAS SIND AUCH NUR MENSCHEN
Es gibt zwei Dinge für einen Burschen wie mich, vor denen er sich in acht nehmen muss: eine gewisse Sorte von Frauen und Heringssalat. Mit Heringssalat ist das so: Er sieht ganz harmlos und appetitlich aus, aber ehe man „piep“ sagen kann, hat man eine Gräte im Hals und ist zwei Stunden mit Husten beschäftigt. - Mit der gewissen Sorte von Frauen ist das noch schlimmer. Die können lächeln! Und so ein Lächeln ist eine verteufelte Angelegenheit! Ja, die Weisheit ist nicht neu; sie stammt aus der Zeit vor der Sintflut. Und ich kannte sie auch. Klar! Die alte Mama Cox hat ihren Jungen aufgeklärt, als er konfirmiert wurde. Aber wie das so ist: Man weiß Bescheid, und man richtet sich nicht danach. Vor allem, wenn man Heringssalat für sein Leben gern isst.
Nun war mir also eine Gräte in den Hals gerutscht. Margit! So ein Kätzchen! Die ganze liebevolle Konversation, die sie mit mir geführt hatte, war Hunkipunki. Das Entsetzen, dass die Geschichte passiert war, ihre verständnislosen Fragen, warum ich es getan hätte, die seelische Erlösung, als sie einsah, dass ich es nicht gewesen sein konnte - alles Komödie!
Bravo, Cox! Da hast du dich hübsch an der Nase herumführen lassen! Natürlich hatte sie von Anfang an gewusst, wo das Messer steckte; natürlich hatte sie dem Inspektor mit voller Absicht gesagt, dass es mein Messer war; natürlich hatte sie mich der Polizei gegenüber nur so weit gedeckt, wie es nötig war, um selbst gedeckt zu sein. In Wirklichkeit hatte sie mich in eine Falle gelockt, die nicht von schlechten Eltern war.
Sie selbst konnte Wallings nicht umgebracht haben. Nein, Frauen stechen nicht, wenn sie auf jemand böse sind; sie vergiften. Im schlimmsten Falle schießen sie. Außerdem war sie zu Hause gewesen, als ich mich auf den Weg zu Wallings machte. Nein, nein, da war jemand anderes, der den Faden eingefädelt hatte, ein Hintermann. Ihm hatte Margit mein Messer gegeben - und das war der Startschuss. Eine günstige Gelegenheit, Wallings aus dem Weg zu räumen und mir den Mordverdacht aufzuhalsen.
Ich bin von Natur nicht zimperlich, wissen Sie, aber nachdem Pit wieder abgezogen war, wurde ich doch ein bisschen melancholisch. Bei mir, meine Damen, geht die Liebe nämlich nicht nur durch den Magen. Ich denke mir was dabei. Und bei Margit hatte ich mir eine ganze Menge gedacht. Schade drum - sehr schade! Es war schon ein ziemlicher Schock für mich, als ich merkte, dass ich mir mit meinem kleinen Liebling nichts anderes als einen Haufen Falschgeld eingehandelt hatte. Ja, jede Frau hat ihr süßes Geheimnis!
Aber dann sagte ich mir, viel Sinn hat die Grübelei jetzt auch nicht. Ich wollte lieber aufpassen, dass mir mein Goldkerlchen nicht noch eine andere herzige Überraschung bescherte. Sie hatte mir erzählt, dass sie zu Inspektor Carter gehen wollte. Na schön, dachte ich, rufen wir mal dort an.
Ich sagte der Vermittlung, dass es sich um die Affäre Wallings handele, und wurde sofort durchgestellt. Als sich Inspektor Carter meldete, legte ich ihm eine große Komödie vor. Mit verstellter Stimme erklärte ich ihm, mein Name sei Simmons, ich sei für einen Tag in London und wolle gerne meine Tochter Margit sprechen. Ich hätte erfahren, dass sie zu ihm gehen wollte, und ob sie wohl da wäre?
Carter war sehr freundlich, schloss den alten Simmons unverzüglich in sein Herz und bedauerte sehr, ihm nicht behilflich sein zu können. Er hätte zwar heute mit Margit gesprochen, aber sie sei nicht bei ihm. - Aus.
Sie war also nicht zur Polizei gegangen, wiederum mich zu entlasten, wie sie gesagt hatte, noch um mich zu verpfeifen, wie ich angenommen hatte. Naja, viel klüger war ich dadurch auch nicht geworden. Immerhin aber konnte ich mir vorstellen, wohin sie gegangen war. Nämlich zu dem finsteren Onkel, der sie an der Strippe hielt, zu ihrem Auftraggeber. Bericht erstatten oder so was.
Ich überlegte, was ich tun konnte. Eine große Auswahl hatte ich gar nicht. Das gescheiteste war offenbar, zu warten. Irgendwas mussten die Burschen jetzt unternehmen; irgendwas musste passieren.
Ich lud meine 7,65 und steckte sie in die Tasche. Ich war den Leuten um einen Schachzug voraus. Sie wussten nicht, dass ich mit Pit gesprochen hatte. Sie wussten nicht, dass ich Margits Spielchen durchschaut hatte. Sie wussten nicht, dass ich am Fenster stand und auf sie wartete.
Die Zeit verstrich, es geschah nichts. Ich stand hinter der Gardine, starrte mir die Augen aus dem Kopf und horchte in mich hinein; versuchte, festzustellen, was stärker brummte: mein Kopf oder mein Magen. Ich hatte seit neun Uhr morgens nichts mehr gegessen und hatte einen Bärenhunger. Ich führte mit mir selbst einen Heldenkampf, ob ich zum Kühlschrank gehen sollte und schnell einen Happen essen - aber dann siegte doch mein besseres Ich. Ich dachte an die alte Hausfrauenweisheit, dass die Milch immer dann überkocht, wenn man einen Moment nicht hinsieht. Und ich musste damit rechnen, dass genau dann etwas passierte, wenn ich meinen Posten am Fenster für ein paar Minuten verließ.
Also blieb ich stehen und wartete. Die Uhr über meinem Kamin bimmelte achtmal- und noch immer hatte sich nichts gerührt. Ich fing schon an, die Straßenpassanten zu zählen, als ein großer schwarzer Wagen vorfuhr. Ein Mann stieg aus, groß, breitschultrig, langarmig, ein Gorilla. Er kam näher, den Gartenpfad herauf, klingelte.
Ich entsicherte meine Taschen-Artillerie und schlich mich auf leisen Socken zur Haustür. Ich machte kein Licht im Flur, sondern empfing ihn, selbst im Dunkel stehend, so dass er nur meine Umrisse und die Pistole sehen konnte, die ich ihm vor die Nase hielt.
„Kommen Sie rein, machen Sie die Tür zu, nehmen Sie die Hände hoch!“
Dann erst knipste ich das Licht an. Wie ich erwartet hatte, war er zu Tode erschrocken und tat folgsam, was ich gesagt hatte. Er sah blinzelnd auf meine Kanone. Offenbar war ihm das ein bisschen unbequem.
„Das ist ja ein eigenartiger Empfang“, meinte er, und ich hielt es nicht für nötig, ihm zu widersprechen.
„Komm, komm, komm, Freundchen“, sagte ich und stocherte mit dem Pistolenlauf in seinen Rippen herum, „spiel nicht den verdutzten Operettenbuffo! Ich möchte wissen, wer du bist, was du willst und wer dich herschickt. Also los, erzähle, und wenn ich dir einen freundschaftlichen Rat geben darf: schnell, deutlich und die Wahrheit. Ich habe nämlich im Hintergarten einen kleinen Privatfriedhof für Leute, deren Visagen ich nicht leiden kann. Und dein Gesicht ist mir ausgesprochen unsympathisch.”
Er blinzelte, druckste, räusperte sich. Dann wurde er ein bisschen böse: „Möchte doch gern wissen, warum ich mich von Ihnen beleidigen lassen muss!“
„Vielleicht fragst du mal deinen Hausarzt. Und jetzt will ich Hartgeld klimpern hören! Wer schickt dich her?“
Jetzt sah er mir zum erstenmal in die Augen, ein abschätzender Blick, kalt und unverschämt. „Wer mich herschickt?“ brummte er. „Die Konzertdirektion Hylton.“
Ein Witz. Ich lachte ihn aus. „Was Dümmeres ist dir auch nicht eingefallen? Konzertdirektion ... Lass dir deine Papiere wiedergeben, stell dich in die Ecke und schäme dich!“ Dann gab ich meiner Kanone einen kleinen, sanften Druck. „Wo ist Margit Simmons?”
„Margit Simmons?“ Er tat so, als ob er den Namen das erste Mal hörte.
„Ganz recht“, nickte ich. „Ich habe nämlich mit dem Täubchen noch ein Hühnchen zu rupfen. Also raus mit der Sprache! Wo ist sie?“
Er drückte sich an die Wand, sah mir wieder mit seinem frechen Blick in die Augen und feixte. „Tut mir leid. Ich kenne die Dame nicht, Mr. Fitzgerald.“
“Fitzgerald?—Cox ist mein Name!”
Und jetzt tat er so erstaunt, als hätte ich ihm gerade erzählt, dass der Osterhase die kleinen Kinder bringt. Er wollte zu Fitzgerald, behauptete er. Er komme von der Konzertdirektion Hylton und wolle den Meister zur Orchesterprobe abholen. Das Orchester warte schon seit halb acht. „Aber wenn Sie nicht Mr. Fitzgerald sind, dann muss ich mich wohl in der Adresse geirrt haben, nicht wahr? Ein Missverständnis...“
Dabei feixte er noch unverschämter als vorher. Ich musste mich wirklich zusammennehmen, nicht dort hineinzuschlagen, was bei ihm von der Natur als Gesicht gemeint war. Er log. Er log wie gedruckt. Aber sein Grinsen war so siegessicher, dass ich mir sagte, hier ist Hopfen und Malz verloren, aus dem kriegst du nie die Wahrheit heraus. Der steht fest mit beiden Beinen auf dem Boden der Lüge.
„Haben Sie einen Ausweis?“ fragte ich. „Eine Karte oder so was von der Konzertdirektion?”
Er fummelte ein Stück Papier aus der Tasche und gab es mir. Ich machte mir nicht die Mühe, nachzusehen, was darauf stand, sondern steckte ihm das Papier wieder in die Tasche.
„Sie haben recht, es ist ein Missverständnis“, sagte ich. „Mr. Fitzgerald wohnt nebenan. Entschuldigen Sie.”
„O bitte“, meinte er sehr freundlich. „Es ist ja meine Schuld. Ich hätte mir die Hausnummer richtig ansehen sollen. So long!” Er feixte noch einmal. „Darf ich jetzt meine Hände wieder herunternehmen?“
„Bitte!“
Er schob sich an mir vorbei zur Tür. Haha, glauben Sie mir, ich war auf der Hut. Aber er versuchte nichts. Sehr artig machte er seine Verbeugung und trat ab.
Gedankenverloren stand ich im Flur und starrte auf die Tür, hinter der der Gorilla verschwunden war. Donnerwetter, wer war dieser Bursche wirklich? Was hatte er gewollt? War es nur meine Pistole, die ihn so aus der Fassung gebracht hatte, oder hatte er tatsächlich nicht vermutet, mich anzutreffen? Wieso war er plötzlich, mitten im Gespräch, fröhlich geworden und hatte mit dieser unverschämten Grinserei angefangen? Darüber dachte ich nach, und plötzlich wurde mir klar, dass die Nachdenkerei zu nichts führte. Zum Teufel damit! Ich hätte nicht herumstehen und Denksport betreiben, sondern ihm nachsteigen sollen, ein bisschen Schatten spielen, herausfinden, wo der Bursche hintrabte. Vielleicht hätte ich so die Antworten auf meine Fragen sehr schnell gefunden.
Ich rannte zur Tür hinaus, schaute mich um, nach links, nach rechts - von dem Gorilla war nichts zu sehen. Naja, kein Wunder, es war zu spät. Ich ärgerte mich.
Ich überlegte, ob ich noch mal bei Inspektor Carter anrufen sollte. Vielleicht war Margit inzwischen bei ihm aufgekreuzt. Und dann ärgerte ich mich noch einmal.
Den Gorilla laufen zu lassen, war nämlich nicht der erste Fehler, den ich an diesem Abend begangen hatte. Als ich vorher mit Carter telefonierte, hatte ich meine Stimme verstellt und behauptet, ich sei der Vater von Margit. Jetzt fiel mir ein, dass der alte Simmons nicht mehr existierte. Er war schon einige Jahre tot. Und ich erinnerte mich, dass er damals auf ziemlich eigenartige Weise unter die Erde gekommen war. Er war in den Fall Baldwin verstrickt gewesen, und die Ursache seines Todes war nie ganz aufgeklärt worden. Es war jetzt nur die Frage, ob der Inspektor ein Gedächtnis für absonderliche Fälle hatte und gescheit genug war, zwei und zwei zusammenzuzählen.
Der Inspektor hatte offenbar beim Mathematikunterricht gut aufgepasst; er konnte zwei und zwei zusammenzählen.
Zwei Wagen fuhren vor, diesmal ohne Polizeiklingel, leise und bescheiden. Acht Leute stiegen aus. Sechs von ihnen machten sich auf, mein Haus zu umstellen. Die zwei anderen kamen auf den Baum zu, hinter dem ich mich versteckt hatte. Ich drückte mich dicht an den Stamm und verwünschte meinen Leichtsinn. Die beiden machten aber kurz vor dem Baum halt und beobachteten das Haus. Es waren Inspektor Carter und sein Assistent. Ich konnte deutlich ihre Unterhaltung verstehen.
„Sehen Sie, Herr Inspektor“, sagte der Assistent, „er ist zu Hause. Es brennt Licht in der Wohnung.”
„Ja“, lachte der Inspektor, „heute ist unser Glückstag. Cox ist verdammt leichtsinnig, was? Zu Hause bleiben, wenn er genau weiß, dass ihn die Polizei sucht!”
Armer Inspektor! Wenn du wüsstest!
Sein Assistent lachte auch. „Die alte Leier! An das Naheliegende denken die Leute immer zuletzt.“
Da hatte er recht. Ich stand ja kaum drei Meter von den beiden entfernt.
Ein Sergeant kam heran und meldete, dass die Leute aufgestellt seien. Und während nun der Inspektor und seine Mannen an meine Tür trommelten, machte ich mich leise aus dem Staube. Die Herren von der Obrigkeit würden die Überraschung des Jahres erleben - und darüber freute ich mich. Ja, es ist eine dumme Angewohnheit von mir, das Licht brennen zu lassen, wenn ich aus dem Hause gehe.
Mich interessierte noch immer der Gorilla von der Konzertdirektion. Je mehr ich über ihn nachdachte, kam ich zu der Überzeugung, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Er war einfach nicht der Typ Mensch, den eine Konzertdirektion einstellt. Na schön, das beste ist in einem solchen Fall: hingehen und rausfinden.
Bis auf eine Seitentürwaren sämtliche Eingänge zu der Musikhalle geschlossen. Und dort saß ein Portier. Ich hatte aber vor, unbemerkt zu bleiben, und wählte deshalb den etwas unbequemeren Weg durch ein Garderobenfenster. Und dann hörte ich sie schon proben, ein Tschaikowskij-Klavierkonzert. Den Weg zur Bühne fand ich leicht und stand sehr bald nur wenige Meter von Fitzgerald entfernt in der Kulisse. Als ob der Dirigent darauf gewartet hätte, mir einen Gefallen zu tun, klopfte er ab, zankte ein bisschen mit den Holzbläsern und probierte die Stelle noch einmal mit den Bläsern allein.
Zuerst war der liebe Fitzgerald nicht einmal erstaunt, als er mich sah. Wegen seiner Probe war er wohl so erregt, dass ihn alles andere nur am Rande interessierte. Dann aber schien sein Geist mit Präzisions-Spätzündung zu erfassen, dass irgend etwas im Busch sein musste. Er starrte mich mit immer größer werdenden Augen an, stand von seinem Flügel auf und kam zu mir.
Ich zog ihn beiseite, denn mir lag nicht daran, von allen Orchestermitgliedern begafft zu werden. Wir stolperten über Holzlatten und Versatzstücke einen schmalen Gang entlang in eine kleine Kammer, in der altersgeschwächte Scheinwerfer, verstaubte Kabelrollen und anderes elektrisches Gerümpel abgestellt waren. Wir fanden sogar einen Lichtschalter. Unter der Decke baumelte zwischen einem dichten Gewirr von Spinnweben eine einsame funzelige Glühbirne. Nicht gerade ein übermäßig gemütlicher Raum für eine vertrauliche Konversation, aber hier waren wir wenigstens ungestört.
Ich fragte Fitzgerald, wer sein Konzert veranstaltete, und erfuhr zu meinem Erstaunen, dass es tatsächlich die Konzertdirektion Hylton war. Was ich weiter erfuhr, verwunderte mich weniger. Er war auf den Glockenschlag pünktlich erschienen.
Das war alles, was ich wissen wollte. Aber Fitzgerald war ein bisschen misstrauisch geworden. Er wollte durchaus erfahren, warum ich mich so für seine Proben interessierte.
„Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Cox“, sagte er und versuchte ein Lächeln, „es hat nichts mit Ihrer Person zu tun - aber ich habe es nicht gern, wenn man mir nachspioniert.”
„Haben Sie keine Angst, Fidgy, es spioniert Ihnen niemand nach.“
Er gab sich damit nicht zufrieden. Er machte einen nicht ganz überzeugend wirkenden Anlauf zur Männlichkeit, baute sich zwischen mir und der Tür auf und fragte: „Warum fragen Sie mich dann, ob ich pünktlich zur Probe hier war? Sie haben doch sicher Wichtigeres zu tun!“
„Im Augenblick war es das Wichtigste, glauben Sie mir! Ihre Probe begann um acht Uhr?“
„Um halb acht.“
„Aha. Und um halb neun kam jemand zu mir und behauptete, Sie wären nicht zur Probe erschienen.“
„Ausgeschlossen! Das stimmt nicht!“
„Ich habe es auch nie geglaubt.“
Ich wandte mich wieder zum Gehen. Aber erhielt mich am Ärmel zurück. „Nun rennen Sie nicht gleich fort, Cox! Erzählen Sie mir, was Sie bedrückt!“
Er meinte es gut mit mir. Er musste gemerkt haben, dass ich nervös war. Er lächelte mir zu, diesmal sehr freundlich, so wie ein wohlwollender Lehrer einen Schüler anlächelt, der ihm ein selbstverfasstes Geburtstagsgedicht vorträgt.
„Man sieht Ihnen an, dass Sie Sorgen haben. Schütten Sie Ihr Herz aus; das erleichtert.“
Und es war vermutlich ganz klug, dem alten Fitzgerald eine Kleinigkeit aufzusagen. Kleinen Kindern, die hungrig sind, soll man was zu kauen geben, sonst machen sie Krach. Großen Kindern, die neugierig sind, muss man was zu denken geben, sonst-ja eben! - sonst machen sie auch Krach. Und mir lag schon daran, dass Fidgy schön artig blieb und nicht herumlief und allen Leuten erzählte, dass er was ungeheuer Interessantes erlebt habe. Ich steckte mir eine Zigarette ins Gesicht, machte ein bisschen auf nachdenklich und erzählte ihm, was mir passiert war.
Fitzgerald war entsetzt. Mit einer Mischung von Angst und Mitgefühl beobachtete er mich. Meine Erzählung schien ihm nicht ganz zu schmecken.
Ei weh, dachte ich, wenn ich ihn nicht überzeugen kann, erreiche ich genau das Gegenteil von dem, was ich erreichen will. Dann macht er einen Heidenspektakel und rennt zur Polizei. Nicht aus Böswilligkeit - nein, Fidgy war eine gute Seele, das wusste ich -, sondern aus Angst, aus Angst vor mir, vor dem bösen Mann, aus Angst davor, dass ich ihn auch aus dem Umlauf nehmen könnte. Und so blieb mir nichts anderes übrig als weiterzureden.
„Sehen Sie, Fitzgerald“, sagte ich, „wenn irgendjemand im Orchester falsch spielt, dann haben Sie es nicht gerne, wenn man Ihnen dafür die Schuld gibt, nicht wahr? Genauso wenig lasse ich mir gefallen, dass man mir die Schuld für einen Mord in die Schuhe schiebt, den ich gar nicht begangen habe. Das ist doch klar! Deshalb verstecke ich mich vor der Polizei und suche den großen Unbekannten - den Ali Baba, der mir die Suppe eingebrockt hat.”
„Haben Sie schon einen Erfolg gehabt?“ fragte er.
„Leider nein.“
Die Geschichte mit Margit wollte ich ihm nicht erzählen. Mir war es sowieso schon unangenehm, dass ich so gesprächig geworden war.
„Aber dem Ali Baba passt das nicht“, fuhr ich fort. „Dem wäre es lieber gewesen, ich hätte die Geschichte so hingenommen, wie er sie arrangiert hatte. Jetzt ist er böse. Er schickt seine Mannen hinter mir her. Diesen Gorilla hat er ausgeschickt, um mich sicherzustellen. Als der aber merkte, dass ich ihm einen standesgemäßen Empfang bereitete, kriegte er Respekt. Er redete sich heraus, er habe sich geirrt, er sei ein Bote der Konzertdirektion und wolle den lieben Onkel Fitzgerald zur Orchesterprobe abholen. Verstehen Sie nun, dass ich wissen wollte, wann Sie zur Probe erschienen sind?”
Er nickte mit dem Kopf, mehrere Male. Dann warf er den Zigarettenstummel fort und beschäftigte sich eine Weile damit, ihn sorgfältig auszutreten. „Hm“, brummelte er dabei, „hm - tja - sehr unangenehm für Sie, wie? Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Mr. Cox: Gehen Sie zur Polizei.”
In diesem Augenblick wurde er von der Bühne her gerufen.
„Ich muss zurück zur Probe“, sagte er. Dann gab er mir die Hand. „Alles Gute! Und tun Sie, was ich ihnen sage! Es ist bestimmt das beste! Der Himmel weiß, wozu diese Leute fähig sind. Machen Sie keine Dummheiten! Gehen Sie zur Polizei, ehe es zu spät ist.”
Sagte es und verschwand.
Tj a - warum auch nicht? Eigentlich hatte er recht. Was konnte mir schon passieren? Ich hatte zwar das Wichtigste nicht erzählt, aber recht hatte er doch. Was wieder einmal zeigt, dass man nicht dumm zu sein braucht, um ein blindes Huhn zu finden. Zur Polizei zu gehen, war wirklich das klügste. Ich hatte ja einen Entlastungszeugen, der klipp und klar nachweisen konnte, dass ich mein Messer verloren hatte: Pit, den Sohn meines weisen Ratgebers. Pit hatte das Messer gefunden und Margit gegeben. Schön, das besagte an sich noch gar nichts. Inspektor Carter würde sofort argumentieren, dass Margit mir wohl logischerweise das Messer weitergegeben hätte. Aber Margit war verschwunden - und das würde wohl den Herrn Inspektor auch ein wenig stutzig machen. Ich kalkulierte, dass zumindest sechzig Prozent Chancen in dem Spiel waren, und nahm mir vor, dieses Risiko einzugehen. Das Risiko, auf eigene Faust Licht in diese Angelegenheit zu bringen, war ein bisschen größer. Dann musste ich einen Zweifrontenkrieg gegen die Polizei und gegen den Ali Baba führen. Nein, es war schon besser, ich verbündete mich mit der einen Partei.
Ich beschloss, mir am nächsten Morgen Pit zu fassen und einen Spaziergang nach Scotland Yard zu machen. Ich stieg wieder zu dem Garderobenfenster hinaus, machte einen kleinen Abendbummel, ging auf einen Sprung in meine Stammkneipe, trank einen Whisky-Soda, schlenderte nach Hause, trank einen Whisky ohne Soda, zog mich aus, legte mich ins Bett und schlief ein.
Und wenn Sie nun glauben, das war unvorsichtig, dann irren Sie sich. Wenn es einen Platz auf der weiten Welt gab, wo man mich in dieser Nacht nicht vermuten würde, dann war das meine Wohnung.
Es klingelte. Ich fuhr hoch und sah auf die Nachtischuhr. Es war halb zwei. Teufel noch mal! Wer konnte um diese Zeit bei mir vorsprechen? Ich stand auf, ging hinüber zum Wohnzimmer und sah zum Fenster hinaus. Es stand kein Wagen vor der Tür. Es klingelte noch einmal. Ich ging zurück ins Schlafzimmer, zog mir meinen Morgenrock über, fluchte ein bisschen vor mich hin, steckte zur Vorsicht meine Kanone ein, ging zur Tür und öffnete. Es war Fitzgerald.
„Guten Abend, Mr. Cox“, sagte er.
„Kommen Sie ’rein, Fidgy! - Himmel, wie sehen Sie denn aus!?“ Ich wusste, wie er aussah. Wie eine Portion Vanilleeis, die zwei Stunden unter der Heizsonne gestanden hat.
„Ich muss Sie um Entschuldigung bitten, dass ich noch so spät zu Ihnen komme“, stammelte er.
„Reden Sie keinen Quatsch“, sagte ich. „Kommen Sie, setzen Sie sich erst mal, schnappen Sie nach Luft. Ich hole Ihnen was zu trinken.”
„Ohja, danke schön.“
Ich mixte ihm einen Starken. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er das Glas, trank einen großen Schluck und blieb regungslos sitzen. Ein Bild trostloser Verlassenheit. Ich konnte mich nicht erinnern, den akkuraten und peinlich auf sein Äußeres bedachten Fitzgerald je in einem solchen Aufzug gesehen zu haben. Seine Haare waren zerzaust, die Krawatte saß schief, der linke Ärmel seines Jacketts war aufgerissen und an seinen Schuhen klebte pfundweise der Schmutz. Ich wollte ihm ein bisschen Zeit geben und beschäftigte mich eine gute Weile damit, mir einen Whisky einzuschenken.
Er war völlig aus der Fasson geraten, saß zusammengesunken auf seinem Sessel und starrte lautlos vor sich hin.
„Na, Fidgy“, sagte ich, nachdem wir auf diese unterhaltsame Weise einige Minuten verbracht hatten, „nun erzählen Sie mir mal, wo der Schuh drückt.
Er fuhr aus seinen Gedanken auf. „Jaja“, sagte er, „jaja! Deswegen bin ich ja hergekommen - ja - ja!” Er sprach sein Glas an, leise, wie im Selbstgespräch, „Ja - ich muss jemanden um Rat fragen. Zwei Stunden habe ich nachgedacht. Zwei Stunden bin ich draußen herumgelaufen, kreuz und quer. Dann habe ich mich verirrt, wieder meinen Weg gefunden und wieder verirrt. Ich bin so durcheinander, Mr. Cox, Sie müssen das entschuldigen.“ Er sprach nun nicht mehr mit seinem Glas, sondern mit mir. „Das war heute seit langer Zeit das erste mal, dass ich abends aus dem Haus gegangen bin. Aber ich dachte mir, Pit ist schon elf Jahre alt, da kann man ihn ruhig mal allein lassen, für die paar Stunden. Früher, als er noch kleiner war, ist immer eine Frau gekommen, wenn ich fort musste. Aber jetzt mit elf Jahren...! Da kann mir doch niemand einen Vorwurf machen, nicht?”
„Ja, um Gottes willen, was ist denn mit dem Jungen geschehen?“
„Als ich von der Probe nach Hause kam, fand ich diesen Zettel. Er lag auf meinem Kopfkissen.“ Er gab mir einen kleinen Wisch, der offenbar aus einem Notizbuch herausgerissen war.
„Gehen Sie nicht zur Polizei, Fitzgerald! Sonst geht’s Pit dreckig!“ stand darauf, mit unbeholfenen, krakeligen Buchstaben hingekliert.
Ich gab ihm den Zettel zurück. „Was heißt das, Fidgy?“ „Ich soll nicht zur Polizei gehen, heißt das, ich soll ...„ Seine Stimme erstarb in tonlosem Stammeln.
Ich packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn, um endlich ein klares Wort aus ihm herauszubekommen. „Wo ist Pit?“ schrie ich ihm in die Ohren.
Er sah mich mit staunenden Kinderaugen an. „Ja, wissen Sie denn nicht...?“
„Nein! “-brüllte ich.
„Pit ist weg. Ja! Ich habe überall nachgesehen. Er ist nicht da. Überall habe ich ihn gesucht. Überall! Er ist verschwunden!“