Читать книгу Gestatten, mein Name ist Cox - Rolf A. Becker - Страница 5

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I.

MÖRDER BEVORZUGEN BLOND

„Ach, Mr. Cox, wie gut, dass Sie zu Hause sind!“

Es war eine ausgesprochen unangenehme Stimme. Hoch und quietschend wie die Angel einer Hühnerstalltür, die man zu ölen vergessen hat. Dazu plapperte sie in einem Tempo, das einem mittelschweren Maschinengewehr Ehre gemacht hätte. Den Namen der Dame konnte ich trotz mehrfacher Versuche, den Redestrom einzudämmen, nicht erfahren.

„Wir haben uns mal im Primrose-Club kennen gelernt, Mr. Cox. Ich trug ein dunkelblaues Samtkleid mit einer Brillantbrosche, die die Form eines aufgehenden Halbmondes hatte. Sie erinnern sich bestimmt!“

Ich hatte keine Gelegenheit, einen Kommentar darüber zu geben, ob ich mich erinnerte. Die Stimme gackerte sofort weiter:

„Sie werden uns doch sicher einen Gefallen tun, lieber Mr. Cox? Wir sind ein bisschen ratlos, meine Freundin und ich. Wir haben uns nämlich über Sie unterhalten, und da kam uns in den Sinn, dass Sie uns vielleicht helfen könnten.“

Gerade wollte ich meine eilzüngige Telefonpartnerin darüber aufklären, dass ich ihr unschwer einige hundert Dinge aufzählen könne, die ich lieber täte, als ihr zu helfen - auch wenn sie im Besitz einer halbmondförmigen Brillantbrosche war, als sie ein Zauberwort sagte. Das Zauberwort hieß ,Elena Morrison’.

„Ach ja, ich vergaß, glaube ich, Ihnen zu sagen, dass ich mit meiner Freundin bei Elena bin. Es wäre doch zu schön, wenn Sie auf einen Sprung herkommen könnten. Sie kennen die Adresse?“

Und ob ich die Adresse kannte!

Eine Einladung zu Elena Morrison! Nun, ich kenne in meinem Bekanntenkreis wenig Herren, die eine solche Einladung abgeschlagen hätten. Also gelobte ich meiner unbekannten Telefonstimme, mich zu beeilen, und hängte den Hörer auf. Auf einmal erschien mir die Welt in einem neuen Licht. Ich bemerkte Dinge, die mir vorher völlig entgangen waren, dass die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, dass meine Krawatte einen Fleck hatte und dass ich in meinem Sportsakko keinen Damenbesuch machen konnte. Ja, und dass mein Feuerzeug verschwunden war!

Himmel, wo war das verflixte Ding? Elena hatte es mir vor einem halben Jahr geschenkt, und es würde einen erbärmlichen Eindruck machen, wenn ich ohne das Feuerzeug bei ihr aufkreuzen würde. Ich suchte in meinen Taschen, im Schreibtisch, im Bücherschrank, in den Sofaritzen, in der Hausbar.

Nervös! Ich war tatsächlich nervös! Und das wegen einer Dame, die mir derartig nachlief, dass sie seit einem halben Jahr nichts mehr von sich hören ließ. Dabei lag mir mehr daran, sie täglich zweimal zu sehen als nur einmal. Aber keinmal täglich, und das ein halbes Jahr lang, nein, das war zuwenig.

Elena war das Abbild dessen, was einen eingefleischten Junggesellen in unruhigen Nächten vom Glück des Ehestandes träumen lässt. Sie sah aus wie die Primadonna aller Schönheitskonkurrenzen der letzten zehn Jahre und hatte eine Seele wie ein Gemälde von Böcklin: Weit und groß, kontrastreich und phantasievoll, farbenfroh und mit einer Spur von Kitsch ... ja - und dort war auch das Feuerzeug. Im Maul von Olivar. Ich gab Olivar einen Klaps, nahm ihm das Feuerzeug weg und steckte es in die Tasche. Er war ein stattlicher Bursche von mehr als zwei Metern, hatte ein schneeweißes, seidiges Fell und kluge braune Augen, mit denen er ständig auf meine Wanduhr sah. Dabei brauchte ihn die Zeit wirklich nicht zu interessieren. Wieso Olivar nun plötzlich Appetit auf Feuerzeuge bekommen hatte, war mir um so unerklärlicher, als er schon seit sechs Jahren tot war. Ich fand, dass Olivar ein wunderbarer Name war. Deswegen hatte ich auch den Eisbären so getauft, dessen Fell vor meinem Kamin lag.

Es dauerte zwanzig Minuten, bis ich meine äußere Erscheinung in Luxusausstattung versetzt hatte: Rasiertes Kinn, frischer Kragen, gebügelter Anzug, Nelke im Knopfloch, Lächeln auf den Lippen. Ein letzter Blick in den Spiegel gab mir die Überzeugung, dass ich aus dem vorhandenen Material das Beste herausgeholt hatte. Nur die Nelke nahm ich wieder aus dem Knopfloch. Elena war zu weltgewandt, als dass ich auf sie damit hätte Eindruck machen können.

Die meisten Frauen ahnen nicht, wie unangenehm es einem Mann ist, einen Blumenstrauß spazieren zu tragen. Es kommt gleich hinter dem Milchkannen-Tragen und Kinderwagen-Schieben. Aber ich hatte mir geschworen, Elena vor Augen zu führen, was für ein Herzstück es war, auf das sie ein halbes Jahr verzichtet hatte. Dazu war mir kein Mittel zu dumm. Nicht einmal ein Blumenstrauß.

Ich stiefelte also erwartungsfroh und bester Laune den Kiesweg zu Elenas Villa hinauf. Aber je mehr ich mich dem Hause näherte, desto mulmiger wurde mir. Und das lag nicht nur an dem Blumenstrauß.

Nein - da war ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend, das sich manchmal bei mir meldet, wenn irgend etwas faul ist. Üblicherweise unterdrückt man ein solches Gefühl und mahnt sich selbst, objektiv zu bleiben. Besonders, wenn offensichtlich kein Grund vorliegt. Was konnte schon geschehen sein? Doch nur das Naheliegende: Elena hatte ihre Freundinnen zu einem Teeklatsch eingeladen. Dabei war das Gespräch auf mich gekommen, und Elena hatte plötzlich eingesehen, wie wenig schön das Leben ohne Paul Cox ist. Da sie sich aber selbst nicht traute, bei mir anzurufen, hatte sie ihre Freundin mit der Brillantbrosche gebeten. Ganz einfach. Nicht der geringste Anlass für unangenehme Gefühle in der Magengegend.

Die Haustüre war nicht verschlossen, nur angelehnt, Aha, dachte ich in meinem mühsam aufrechterhaltenen Optimismus, man erwartet mich also.

Ich machte mir nicht die Mühe zu klingeln. Fasste meinen Blumenstrauß fester, trat ein und horchte.

Nichts zu hören.

Kein Gespräch, kein Lachen, kein Klappern von Teetassen. Nun ist es freilich eine alte Weisheit, dass man bei Damen auf alles gefasst sein muss. Dass sie aber beim Fünfuhrtee zusammensitzen und schweigen wie die Fische, dies ist eine Erfahrung, die bisher noch keinem Mann zu machen vergönnt war.

Der Druck in der Magengegend festigte sich erheblich, als ich die Tür zum Wohnzimmer öffnete. Es war alles so, wie ich es von früher her kannte. Die Bilder hingen noch am selben Platz, der Wintergarten strahlte in farbiger Blütenpracht, der Whiskyfleck auf dem Teppich hatte tapfer die Reinigung überstanden - aber von Elena war nichts zu sehen. Auch ihre Freundinnen schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Keine Teetassen auf dem Tisch, kein Gebäck, nicht einmal ein Likörglas.

Vielleicht waren die Damen im Schlafzimmer und bewunderten Elenas neuestes Sommerkostüm?

„Hallo!“ rief ich. „Ist da jemand?“

Es war jemand da. Aber er antwortete nicht.

Das erste, was ich von ihm spürte, war seine Hand. Ich berührte sie mit dem Knie, als ich am Sofa vorbeiging. Sie rutschte leise von der Liegefläche, pendelte ein paar Mal hin und her, bis sie schließlich schlaff herunterhing. Es war eine schöne Hand. Gepflegte, lange Finger mit einem geschmackvollen Onyxring. Überhaupt, der ganze Mensch war sehr hübsch. Er mochte ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt sein. Ein ebenmäßiges, beinahe zartes Gesicht, wallendes blondes Haar, zart geschwungene Lippen, ein kleines schwarzes Bärtchen, breite Schultern, schmale Hüften.

Ein Jammer nur, dass er mit seiner Schönheit nicht mehr viel anfangen konnte. Er war nämlich tot. Ein roter blutdurchtränkter Fleck auf dem Hemd sagte mir, dass er nicht einfach gestorben war, wie man so stirbt. Der Mann war ermordet worden. Das erste, was ich dachte, war: Na, so was!

Ich setzte mich in einen Sessel, legte den Blumenstrauß auf den Tisch und zündete mir eine Zigarette an.

Nachdem ich mich eine Weile gewundert hatte, fing ich allmählich an, mich zu entsetzen. Wie kam diese Leiche - so hübsch sie auch war - in Elenas gute Stube, auf das wertvolle Stilsofa, das sie erst vor zwei Jahren von ihrem Onkel Herbert geerbt hatte? Wer hatte den blonden jungen Herrn dorthin gelegt? Warum hatte man ausgerechnet mich in diese Wohnung gelockt? Wo war Elena? Wer, zum Teufel, war die Dame mit der Brillantbrosche? Warum hatte sie mich angerufen?

Ich konnte zwar keine Antwort auf all diese Fragen finden, aber eines schien mir sicher: Wenn hier nicht ein bizarres Missverständnis vorlag, hatte jemand versucht, mich in eine Falle zu locken. Hier war ein Verbrechen geschehen. Und dieser jemand hatte die wenig hübsche Absicht, mich mit diesem Verbrechen in Verbindung zu bringen.

Und nun wusste ich natürlich, was ich zu tun hatte.

Nein, ich rief nicht die Polizei an. Ich hütete mich vielmehr, irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Ich griff nach meinem Blumenstrauß und trat den Rückzug an. Mit meinem Taschentuch wischte ich vorsichtig die Klinke der Wohnzimmertür ab und wiederholte diese Prozedur bei der Haustür.

Doch sollten mir diese Vorsichtsmaßnahmen nicht viel nützen. Ich war gerade mit der Außenklinke der Haustür beschäftigt, als ich hinter mir mehrere Autos halten hörte. Die Motoren brummten auf und starben ab. Wagentüren knallten, und ehe ich mich’s versah, kamen sie schon heran: Inspektor Carter von Scotland Yard, sein Assistent Sergeant Collins und all die lieben Spielgefährten von der Mordkommission.

Ei, wie die sich freuten, mich am Tatort vorzufinden!

Sergeant Collins, der ein besonderes Faible für mich hatte, machte auf dem Absatz kehrt, ging zurück zu seinem Dienstwagen und holte Handschellen.

Inspektor Carter blieb vor mir stehen, stemmte die Hände in die Hüften, lächelte und sah mich an. Eine Ewigkeit, so schien es mir. Dann nickte er mir freundlich zu und bat mich mit einer höflichen Geste wieder zurück ins Haus.

Dort wurde ich zunächst in den Wintergarten verfrachtet, während die Mordkommission mit Zentimetermaß und Blitzlicht, mit Lupen und Fingerabdruckpulver zu agieren begann. Im Kino oder im Fernsehen macht es immer Spaß, so etwas zu beobachten - aber wenn man selber dabeisitzt und jeden Augenblick gewärtig sein muss, einen Haufen unangenehmer Fragen gestellt zu bekommen, dann ist der Spaß nicht ganz so lustig.

Es dauerte auch nicht lange, und Inspektor Carter setzte sich zu mir. Er war ein elegant gekleideter Mann mit einer Vorliebe für interessante Krawattendesigns und frische Pfirsiche. Ich kannte ihn von früher - und das leider recht gut.

Er war ein außergewöhnlich tüchtiger Beamter. Kurz angebunden, mit einem Hauch jener Unfreundlichkeit, die einem gelegentlichen Lächeln doppelten Charme verleiht, und hinter der Damen im allgemeinen schweres Schicksal vermuten, auch wenn es sich lediglich um normalen Frühstückshunger handelt.

„Mr. Cox, wenn ich nicht irre?“, begann er das Gespräch.

Ich bedeutete ihm, dass er nicht irrte, und bot ihm eine Zigarette an. Er lehnte ab und griff nach seiner Pfeife. „Ich hoffe“, sagte er bedeutungsvoll und fixierte mich über den Pfeifenkopf hinweg, „Sie haben eine hinlängliche Erklärung, weshalb Sie hier im Hause sind.“

„Aber ja doch“, sagte ich fröhlich, „ich wollte meiner alten Freundin Elena Morrison einen Besuch machen. Sie war leider nicht da. Statt dessen fand ich diesen hübschen, blonden Mann. Er war schon tot, als ich kam.“

„Kennen Sie ihn?“

„Bedaure. Meine Kartei für zufällig in den Wohnungen meiner Freunde herumliegende Tote wurde schon bei der Schlacht von Waterloo zerstört.“

Carter verzog keine Miene. „Ihr Sinn für Humor ist nicht ganz angebracht“, brummte er. „Sie sind hier nicht bei Ihrer Klubrunde, sondern bei einem Polizeiverhör.“

„Das macht mich ja auch so glücklich“, strahlte ich und versuchte mir den Kloß im Hals nicht anmerken zu lassen. In Wirklichkeit war mir weit weniger lustig zumute, als Carter glaubte. Und mein Sinn für Humor war nichts anderes als Hinhaltetaktik. Ich überlegte krampfhaft, wie ich ihm meine Geschichte schmackhaft machen konnte. Zum Glück kam mir einer der Beamten zu Hilfe, der mit würdevollem Gesichtsausdruck einen kleinen, in ein Tuch eingewickelten Gegenstand brachte und mir somit eine Verschnaufpause verschaffte. Dieses, so sagte er geheimnisvoll, habe er im Schlafzimmer unter der Damenwäsche gefunden, und entfaltete mit spitzen Fingern das Tuch. Eine kleine, zierliche Damenpistole kam zum Vorschein.

„Na fein“, brummelte Carter, setzte seine Brille auf und betrachtete die Pistole wie ein Virusforscher seine Sporentierchen. Er stieß einen kurzen Pfiff aus, der soviel bedeuten sollte wie „Aha“, nahm das Tuch und entfernte damit vorsichtig das Magazin.

„Zwei Schuss fehlen!“ stellte er fest.

Was für Sergeant Collins offenbar Anlass zu freudiger Verzückung war. Denn haargenau zwei Geschosse hatte er im Polster der Couch gefunden. Das gleiche Kaliber!

„Wenn wir jetzt noch Fingerabdrücke finden, sind wir König“, sagte Carter und wendete sich wieder mir zu, die Pistole Collins und dem Fingerabdruckspezialisten überlassend.

Aber noch einmal sollte mir eine Gnadenfrist geschenkt werden, denn jetzt trat der Polizeiarzt an Carter heran und meldete, dass der Tote tot sei.

„Der Exitus muss vor ungefähr vier bis fünf Stunden eingetreten sein.“

„Also gegen Mittag?“ fragte Carter. „Ich würde sagen, in der Zeit zwischen zwölf und vierzehn Uhr. Herzschuss. Ungefähr aus acht Metern Entfernung.“

Guter Onkel Doktor! Ich hätte ihn am liebsten umarmt. Ein Weihnachtsmann, der mir verkündet hätte, es sei in höchster Instanz beschlossen worden, dass ich sämtliche Millionäre Großbritanniens beerben sollte, hätte mich nicht fröhlicher machen können. Aber ich ließ mir meine Freude nicht anmerken, fragte vielmehr zaghaft zurück, ob ein Irrtum ausgeschlossen sei?

„Wie bitte?“, fragte der Arzt und zog indigniert die Augenbrauen hoch.

„Nach Ihrer Meinung steht einwandfrei fest, dass dieser Mann gegen Mittag erschossen worden ist?“

Seine Augenbrauen wanderten noch etwas höher.

„Zweifeln Sie daran?“, fragte er, in seiner Ehre gekränkt.

„Durchaus nicht“, lachte ich. „Es ist nur wegen meines Alibis, wissen Sie? So, wie ich den Herrn Inspektor einschätze, wird er nicht ruhen, bis er mir den Mord zuschieben kann.“

Und wer könnte es ihm auch verdenken? Schließlich passiert es nicht alle Tage, dass der Leiter der Mordkommission einen mutmaßlichen Täter direkt bei der Leiche erwischt. Ich aber war in der Zeit zwischen 12 und 14 Uhr in meinem Klub gewesen, wofür sich mindestens ein Dutzend Zeugen finden würde. Und das, so rechnete ich mir aus, würde selbst einen Mann wie Inspektor Carter zufrieden stellen.

„Wir werden Ihr Alibi überprüfen, Mr. Cox“, sagte er kühl, „dann werden wir weitersehen. Im übrigen möchte ich nicht annehmen, dass Sie eine Damenpistole benutzen, wenn Sie sich mit Mordabsichten tragen.“

In diesem Moment trat wieder der würdige Beamte an unseren Tisch und legte dem Inspektor ein zerknülltes Telegramm vor, das er in der Küche im Abfalleimer gefunden hatte.

Es war am selben Vormittag in London aufgegeben worden und lautete:

„EINTREFFE GEGEN 14 UHR STOP GRUSS LINGO. “

Der Inspektor wendete das Telegramm hin und her, als erwarte er, damit einem großen Geheimnis auf die Spur zu kommen.

„Hm. Heute Vormittag aufgegeben. Also wollte er heute kommen, dieser Mr. Lingo. Komischer Name! Warum schickt er ein Telegramm? Ein Stadttelegramm! Wo es doch viel einfacher wäre zu telefonieren!“

Obwohl der Inspektor mehr für den eigenen Gedankenbedarf gesprochen hatte, beantwortete ich ihm seine Frage: „Wahrscheinlich wollte er kein Risiko eingehen, von Miss Morrison nicht empfangen zu werden. Bei einem Telefongespräch hätte sie ihm immer sagen können, dass sie keine Zeit habe oder keine Lust.“

Carter nickte. „Möglich. In diesem Fall musste er annehmen, dass sein Besuch Miss Morrison nicht sehr willkommen sein würde.“ Er sah mich an. „Haben Sie den Namen Lingo schon einmal gehört? Hat ihn vielleicht Miss Morrison erwähnt?“

„Nein. Nie.“

Wieder nickte Carter und gab das Telegramm seinem Assistenten mit dem Auftrag, es gut aufzuheben.

Nachdem nun der Arzt den Körper des Toten freigegeben hatte, begannen die Beamten die Leiche zu untersuchen. Das Projektil hatte nur eine winzige Wunde hinterlassen. Genau über dem Herz. Der Mörder musste ein verdammt guter Schütze gewesen sein. Denn man muss haarscharf treffen, wenn man mit einer so kleinkalibrigen Damenpistole ernsthaft Schaden anrichten will. Es ergab sich nicht der geringste Anhaltspunkt für die Identität des Toten. Er war restlos ausgeplündert worden. Seine Taschen waren leer wie die Sparbüchse eines gut erzogenen Schuljungen kurz nach der Silberhochzeit seiner Eltern. Kein Ausweis, kein Brief, nicht einmal ein Schneideretikett im Anzug.

Andere Beamte hatten inzwischen das Haus durchsucht. Hatten festgestellt, dass einige der wichtigsten Kosmetikartikel, vor allem aber Zahnpasta und Zahnbürste fehlten. Es war also anzunehmen, dass Elena verreist war.

Inspektor Carter nahm die Meldung mit stoischer Ruhe entgegen. „Können Sie mir sagen, wohin Miss Morrison gereist ist?“, fragte er mich.

„Ich wäre weit glücklicher, wenn ich’s selber wüsste. “ Tatsächlich hatte ich keine Ahnung. Denn ich hatte von Elena ja über ein halbes Jahr nichts mehr gehört.

„Warum sind Sie dann ausgerechnet heute hierher gekommen?“

„Ja, Herr Inspektor“, entgegnete ich und zupfte mir die Bügelfalten glatt, „was wollen Sie denn nun gerne hören?“

„Die Wahrheit.“

„Eben“, nickte ich. „Die Wahrheit, fürchte ich, werden Sie mir nicht glauben. Aber bitte, wir können’s ja mal versuchen: Vor ungefähr zwei Stunden hat mich jemand angerufen. Eine Dame ...“

„Miss Morrison?“

„Nein. Eine Freundin von ihr. Ich muss sie irgendwann einmal im Primrose-Club kennen gelernt haben. Das einzige, was ich von ihr weiß, ist, dass sie eine nervtötende Stimme hat und dass sie damals ein Samtkleid mit einer halbmondförmigen Brillantbrosche trug. Sie behauptete, mit einer weiteren Freundin hier zu Besuch zu sein, bestellte einen schönen Gruß von Elena und ob ich nicht Lust hätte, auf einen Sprung vorbeizukommen. “

„Und das taten Sie?“, fragte Carter mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Obwohl über ein halbes Jahr vergangen war, seitdem Sie Miss Morrison das letzte Mal gesehen hatten?“

„Oh, Inspektor, wenn Sie ein Bild von ihr sehen, werden Sie sofort wissen, warum.“

Aber das überzeugte ihn herzlich wenig. „Was kann das für ein Grund gewesen sein, der Miss Morrison veranlasste, Sie zu sich zu bitten?“

Ich zuckte die Achseln. „Vielleicht hakte ihr Reißverschluss. “

„Und wo sind die beiden Damen, die angeblich hier zu Besuch waren?“

„Falls sie sich nicht in der Kohlenkiste versteckt haben, sind sie fort.“

Wenn ich gedacht hatte, Carter damit ein Lächeln abringen zu können, so hatte ich mich getäuscht. „In der Kohlenkiste haben meine Beamten bereits nachgesehen“, sagte er mit sachlichem Ernst. „Sie haben zwar nicht nach den beiden Damen gesucht, aber es wäre ihnen bestimmt aufgefallen, wenn sie drinnen gesessen hätten.“

Ich lehnte mich zurück, sah Carter an, versuchte, ernst zu wirken. „Ich habe Sie gewarnt, Inspektor. Aber Sie wollten ja durchaus die Wahrheit hören. Jetzt glauben Sie mir natürlich kein Wort.“

Der Inspektor klopfte die leergebrannte Pfeife aus. „Das täte ich, wenn ich nicht auch so einen mysteriösen Anruf bekommen hätte. Zwar hat mir die Dame nichts von einer halbmondförmigen Brillantbrosche erzählt, aber jedenfalls hatte sie eine nervtötende Stimme. “ Er wendete sich an seinen Assistenten. „Collins, wir müssen herausfinden, wer diese beiden Damen waren, ja? - Um Himmels willen, wen bringen Sie mir denn da?!“

Es war ein schmutziggrüner, an Ellbogen und Knien mit braunen Flicken übersteppter Overall, der da ins Zimmer hereinstrampelte. In ihm steckte ein kleines, verhutzeltes Männchen, das sich verlegen die Hände rieb und durch dicke Brillengläser in die Welt hineinblinzelte, als würden ihn überall imaginäre Sonnen blenden. Der Overall war ihm viel zu groß, an Beinen und Ärmeln umgeschlagen und um die Hüften mit einem alten, rissigen Ledergurt zusammengerafft. Dieser Gurt, so schien es, war das einzige, was die schlaksige, bei jedem Schritt mit allen Gliedern schlenkernde Gestalt zusammenhielt. Hätte man den Gurt gelöst, so wäre das Männlein sicherlich in seine Bestandteile auseinandergebröckelt.

Der würdevolle Beamte stellte ihn als Scherenschleifer vor, der gegen Mittag hier in der Gegend seiner Beschäftigung nachgegangen sei, und auch im Hause von Miss Morrison Scheren hatte schleifen wollen. Aber daraus sei nichts geworden, denn Miss Morrison habe gerade das Haus verlassen.

„Oho“, pfiff der Inspektor, forderte den Scherenschleifer auf, Platz zu nehmen und zu erzählen.

Das Männchen rieb sich die Hände, setzte sich auf die äußerste Stuhlkante und berichtete: „Ja, Sir, das war so. Ich kam also gegen Mittag. Halb eins mag es gewesen sein, vielleicht auch ’n paar Minuten später ...“

„Die Zeit ist sehr wichtig!“

„Also, woll’n mal sagen zwischen halb eins und zwanzig vor eins. Komme ja selten hier heraus, wissen Sie. Das Haus ist so abgelegen, da macht man kein Geschäft. Aber Miss Morrison hat mich gebeten, alle Vierteljahre zu kommen. Deswegen hab’ ich mich auch so geärgert, dass sie mich wieder fortgeschickt hat. Dabei hab’ ich sie gestern noch angerufen, ob es heute passt. Und dann faucht sie mich an - in einem Ton, kann ich Ihnen sagen - also nein!“

Er ahmte Elenas Tonfall nach - das heißt, er bemühte sich redlich darum. Es klang aber eher, als ob ein Papagei eine Bach-Motette in eine Gießkanne singt. „Ich habe jetzt keine Zeit, bester Mann“, kreischte er. „Das sehen Sie doch, ich muss fort.“ In seinem normalen Tonfall, der allerdings nicht viel harmonischer klang, setzte er hinzu: „Sie war nämlich gerade auf dem Sprung, wissen Sie, und sie hat sich wohl auch geärgert, dass ich ihr die Koffer nicht getragen habe. Sonst bin ich ja nicht so, erweise jedermann eine Gefälligkeit, da können Sie alle Leute fragen, die werden Ihnen das bestätigen. Aber wenn man unsereins so abfertigt - also nein! Und das hat mit Klassenunterschieden nichts zu tun.“

Carter winkte ab. „Sie würden also sagen, dass Miss Morrison sehr erregt war?“

„,Milde gesprochen, Herr Inspektor, milde gesprochen. “

„Und was geschah weiter?“

„Also ja. In diesem Moment kam eine Taxe. Miss Morrison hat die Tür abgeschlossen, ist an mir vorbeigegangen - nicht mal mit dem Kopf genickt hat sie zum Gruß, ja, und der Taxifahrer hat die Koffer geholt, und dann sind sie abgefahren.“

„Haben Sie sich zufällig die Nummer der Taxe gemerkt? “

Das Männchen wackelte mit dem Kopf, als sei er ein Perpendikel, und blinzelte den Inspektor verdutzt an. „Na, hören Sie, Herr Inspektor! Also, Sie verlangen ja Sachen! Wenn ich mir alle Autonummern merken wollte, hätte ich viel zu tun.“

Carter nickte, veranlasste Collins, Namen und Adresse zu notieren, und schickte den kleinen Mann fort. Der war sichtlich enttäuscht darüber, dass seine große Stunde nur aus wenigen Minuten bestanden hatte. Missmutig schlenderte er auf die Tür zu, wo ihm ein Herr, den ich bis jetzt noch nicht bemerkt hatte, höflich den Weg frei machte.

Wie lange er schon auf der Türschwelle gestanden hatte, wusste ich nicht. Jedenfalls machte er nicht den Eindruck, allzu sehr über die Vorgänge verwundert zu sein. Er schaute sich ruhig und gelassen im Raum um, sein Blick streifte die Polizisten, die Zivilbeamten und das Sofa mit dem Toten, ohne dass die kühle Reserviertheit nur für Sekundenbruchteile aus seiner Miene wich. Dann fragte er mit einer dunklen, wohlklingenden Stimme, was um alles in der Welt denn hier geschehen sei.

Der Inspektor stand auf, ging dem Besucher entgegen und fragte: „Bitte? Sie wünschen?“

„Mein Name ist Morrison“, sagte der Fremde. „Ich möchte gern meine Schwester sprechen.“

„Ach, Sie sind der Bruder der Wohnungsinhaberin?“

„Ganz recht“, antwortete Morrison steif. „Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir erklären wollten, wer Sie sind, und was hier vorgefallen ist.“

Carter erklärte es ihm, und jetzt verlor der Herr Bruder doch einen Teil seiner Gelassenheit. Das sei ja geradezu un-an-ge-nehm, meinte er, wobei er jede Silbe einzeln betonte. Und wer denn, bitte, der tote Herr auf dem Sofa sei?

„Das wissen wir leider noch nicht“, antwortete Carter. „Er hat keine Papiere bei sich. Aber möglicherweise können Sie uns helfen, den Mann zu identifizieren.“

Morrison trat zögernd an das Sofa heran, beugte sich mit steifem Oberkörper zu dem Toten und musterte ihn. Mit einer lässigen Handbewegung setzte er eine Brille auf, betrachtete aufmerksam das Gesicht und ließ seinen Blick den Körper entlang bis zu den Füßen schweifen. Dann richtete er sich wieder auf, steckte die Brille in die Brusttasche und wendete sich mit einer langsamen Bewegung, als habe er Angst, dass seine Knochen knarren könnten, wieder dem Inspektor zu.

„Nein, tut mir leid“, sagte er. „Den Mann habe ich noch nie gesehen. Aber ich kenne kaum jemanden aus der Bekanntschaft meiner Schwester. Ich habe einen ganz anderen Kreis, Sie verstehen?“

Das allerdings glaubte ich ihm aufs Wort. Elena war ein sprühendes, temperamentvolles Wesen, lachte oft und gern und versuchte, dem Leben so viel amüsante Seiten wie möglich abzugewinnen. Dieser Herr aber erschien mir so entsetzlich vornehm, dass er sich selbst noch im Pyjama mit Sir anredete, jeder Zoll ein Gentleman, jede kleinste Bewegung eine weihevolle Handlung. Ich erinnerte mich, dass Elena mir einmal von ihm erzählt hatte. Und dies ohne jede Begeisterung. Wenn sie von ihm sprach, benutzte sie nie seinen Rufnamen, sondern immer seinen vollen Vornamen Abraham Francis. Ich hatte mich damals sehr darüber gewundert. Aber jetzt wusste ich, warum. Einen solchen Stock konnte man nicht einfach Frank nennen, das würde einem glatt die Zunge verschlagen. Ihm gebührte der volle Glanz seines Namens, wenn möglich noch mit einem respektvollen Räuspern davor und danach. Elena hatte ihn, soweit ich mich entsann, nie besonders leiden können. Vor allem deshalb, weil er aus der Tatsache, dass er zehn Jahre älter war als sie, das Recht herleitete, sie dauernd zu bevormunden.

Carter führte ihn nun zu dem Tisch, an dem der Fingerabdruckspezialist mit der Damenpistole herumhantierte. „Kennen Sie diese Waffe?“ fragte er.

Und wieder begann die gleiche Prozedur. Morrison setzte sich die Brille auf, neigte sich herab, betrachtete die Pistole, richtete sich auf, klappte die Brille zusammen, steckte sie ein, drehte sich dem Inspektor zu.

„Jawohl, diese Pistole kenne ich“, sagte er. „Die Waffe hat früher mir selbst gehört. Ich fand es dann aber töricht, dass ein Mann eine Damenpistole in Besitz hat, und schenkte sie meiner Schwester. Nachdem sie einen Waffenschein erworben hatte, versteht sich.“

Den Inspektor schien diese Antwort sehr zu befriedigen. Er machte eine Notiz in sein Taschenbuch, schürzte dabei fröhlich die Lippen, als wolle er ein Liedchen pfeifen. Noch während er mit der Eintragung beschäftigt war, fragte er: „Kennen Sie einen Mann namens Lingo? Oder hat Ihre Schwester einmal den Namen erwähnt?“

„Lingo?“ Morrison dachte nach. „Nein, nicht dass ich wüsste. Aber das will nichts besagen. Ich komme nur höchst selten mit meiner Schwester zusammen. Es kann durchaus möglich sein, dass sich ein Herr dieses Namens unter ihren Bekannten befindet.“

„Und was, Mr. Morrison, wollten Sie heute von ihr?“

Morrison zeigte sich unangenehm berührt, dass man ihm so viele Fragen stellte. „Eine Privatangelegenheit“, sagte er kurz. Dann aber besann er sich und antwortete etwas freimütiger: „Mir sind einige Papiere abhanden gekommen. Ich beabsichtige, in Kürze zu heiraten. Dazu brauche ich die Geburtsurkunde unseres Vaters. Ich dachte, Elena könnte mir aushelfen. Wo ist sie denn?“

Carter beachtete die Frage nicht. Er kritzelte, weiter die Lippen gespitzt, seine Notizen. Dann klappte er das Buch mit einem vernehmlichen Schlag zu, bat Morrison, Platz zu nehmen und einen Augenblick zu warten, da er sicher noch einige weitere Fragen zu stellen habe.

Mit eleganten, wohlgesetzten Schritten kam Morrison auf mich zu. Er war schlank, etwa 1 Meter 80 groß und genau das, was junge Stenotypistinnen unter einem gut aussehenden Herrn in den besten Jahren verstehen. An meinem Tisch angekommen, versuchte er es mit der Andeutung einer Verbeugung und stellte sich vor. Als er meinen Namen hörte, flackerte es in seinen Augen.

„Oh, Sie sind also Mr. Cox? Meine Schwester hat mir öfter von Ihnen erzählt. Ich freue mich sehr.“

Und tatsächlich, in seiner Stimme schwang so etwas wie Sympathie, was einigermaßen verwunderlich war, denn Leute wie er schätzen normalerweise Leute wie mich genauso, wie ich Leute wie ihn schätze. Nämlich gar nicht.

Er knöpfte seinen Raglan auf, förderte ein goldenes Etui zutage und bot mir eine Zigarette an. Obwohl er orientalische Zigaretten rauchte, griff ich zu. Er hätte es sicher als taktlos empfunden, wenn ich meine eigenen geraucht hätte.

„Eine peinliche Sache“, murmelte er, während ich ihm Feuer reichte. „Hoffentlich wächst sie sich nicht zu einem Skandal aus!“

Der Mann hatte zweifellos Nerven!

„Peinlich?“ fragte ich und betrachtete ihn durch den Rauch meiner Zigarette. „Ich fürchte, ein Skandal wäre jetzt das geringste Übel!“

Er blickte betroffen auf. „Wie meinen Sie das?“, staunte er. „Glauben Sie etwa, dass meine Schwester ernstlich mit dieser Sache zu tun hat?“

Die Antwort auf diese Frage sollte ich hinter meinem Rücken hören. Dort meldete gerade Sergeant Collins seinem Vorgesetzten, dass die Fingerabdrücke auf der Pistole sichergestellt worden seien. Es handele sich um die gleichen Abdrücke, die man in großer Vielzahl im ganzen Haus gefunden habe, also offensichtlich um die Abdrücke von Miss Morrison. Das schien selbst einem so skeptischen Mann wie Carter zu genügen.

„Das schließt die Kette.“, hörte ich ihn sagen. „Dieser Mann hier wurde nach Meinung des Arztes in der Zeit zwischen zwölf und vierzehn Uhr ermordet. Dies geschah mit einer Pistole, die Miss Morrison gehört, und auf der wir jetzt auch ihre Fingerabdrücke gefunden haben. Gegen halb eins, also innerhalb der vom Arzt benannten Frist, verlässt sie ihr Haus, sehr nervös, wie der Scherenschleifer aussagt, und kommt nicht mehr zurück, obwohl sich für zwei Uhr ein Mr. Lingo angekündigt hat. Was folgern Sie daraus, Collins?“

„Dass wir nach dieser Dame fahnden werden.“ Jetzt war es also soweit! Sie hatten Elena unter Verdacht. Morrison, der die Unterhaltung mit angehört hatte, schien es die Sprache zu verschlagen. „Weiß der Himmel, ich würde meiner Schwester viel zutrauen“, murmelte er, „aber das - das ist doch völlig ausgeschlossen! “

„Natürlich ist es ausgeschlossen.“, sagte ich und stand auf.

Carter war voll und ganz mit Polizeispielen beschäftigt, so dass er froh schien, mich für den Augenblick loszuwerden. „Wir haben ja Ihre Adresse, Cox. Ich bin sicher, dass wir uns noch einmal über die Sache unterhalten müssen.“

„Worauf ich mich maßlos freue“, lachte ich ihn an. „Adios!“

In dem Moment musste ich an das alte Spiel denken, das ich als kleiner Junge immer mit meiner Großmutter gespielt hatte. „Ich seh’ etwas, was du nicht siehst, und das ist rot.“ Gute, alte Oma! Sie hatte immer so getan, als ob sie nicht erraten könnte, was ich meinte.

Und jetzt sah ich etwas, was der Inspektor nicht sah, und das war gelb.

Aus dem Schuh des Toten ragte ein winziges Eckchen gelben Papieres heraus.

Was ich nun tat, war natürlich falsch und unvernünftig. Und - beim Teufel! - mir wäre ein Haufen Ärger erspart geblieben, wenn ich es nicht getan hätte. Aber vernünftig zu sein, macht bekanntlich nicht viel Spaß, also tat ich’s doch! Wie aus Tollpatschigkeit ließ ich meine Zigarette fallen, bückte mich und griff mit einer schnellen Handbewegung nicht nur nach der Zigarette, sondern auch nach dem Zettel im Schuh des Toten. Langsam richtete ich mich auf und warf die Zigarette in einen Aschenbecher. Das kleine Stück Papier aber hielt ich in der Hand verborgen. Dann lächelte ich noch einmal in die Runde, mich von Carter, Collins und Morrison verabschiedend, und ging so ungehemmt wie möglich zur Tür.

„Mr. Cox!“, hörte ich Carters Stimme hinter mir.

Es klang wie eine Trompetenfanfare. Verdammt! Er hatte mich ertappt. Mein Herz pochte wie ein Schmiedehammer. Langsam, auf alles gefasst, wendete ich mich um.

Da stand der gute Inspektor und hielt mit todernstem Gesicht meinen Blumenstrauß in der Hand.

„Sie haben Ihre Blümchen vergessen!“

Mein Herz schlug wieder seinen normalen Rhythmus, mein Hemdkragen, der mir eben noch die Luft abzuschnüren schien, passte auf einmal wieder. Mit einer höflichen Verbeugung reichte ich Carter den Strauß zurück.

„Für die verehrte Frau Gemahlin, mit einer freundlichen Empfehlung.“

Und ‘raus war ich!

Ich weiß bis heute noch nicht, ob es der Inspektor nicht doch gemerkt hat.

Carter ist eine komische Nummer. Durchaus kein finsterer Scotland-Yard-Beamter mit markigem Adlernasen-Profil und undurchdringlichem Blick - nein, immer höflich, immer nett. Aber ich glaube, auf dieser Welt gibt es niemand, der sich rühmen könnte, je seine Gedanken erraten zu haben. Meist hält man ihn für zehnmal dümmer, als er ist, und er freut sich sogar darüber. Er ist direkt stolz darauf. Heute behauptet er zum Beispiel, Collins sei es gewesen, der meinen Trick mit der Zigarette durchschaut hatte. Aber ich wette um ein ganzes Marmeladenbrötchen, dass er es selber war.

Damals war ich allerdings noch fest davon überzeugt, dass keiner von beiden meinen Trick bemerkt hatte, und ich war heilfroh, ohne weiteren Aufenthalt aus Elenas Villa herauszukommen.

Ich setzte mich hinters Steuer und sah mir erst mal an, was ich da aus dem Schuh der blonden Leiche geangelt hatte. Es war ein kleiner gelber Zettel mit einer großen Nummer ,3311’. Links unten in der Ecke stand ,Waterloo-Bahnhof’. Ein Gepäckaufbewahrungsschein.

Nun, es war nichts Aufregendes, aber es passte genau in das Bild, das ich mir von der Geschichte gemacht hatte.

Teufel, Teufel! Wenn meine Vermutung stimmte, sah es schlecht aus um Klein-Elena. So schlecht, dass ich mich entschloss, einen alten Freund um Rat zu fragen.

Gestatten, mein Name ist Cox

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