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II.

MIT DEM KOFFER IN DER HAND

Thomas Richardson ...

Breit, lässig, mit seiner eigenen, sehr persönlichen Note elegant, offen und verschmitzt zugleich, Freund eines guten Tropfens, eines guten Witzes und Freund von Paul Cox.

Und wenn ich Freund sage, meine ich Freund, F-R-E-U-N-D geschrieben.

Er ist Privatdetektiv und hatte mir vor zwei Jahren aus einer üblen Patsche herausgeholfen.

Nun saß er also auf meinem Kirgisenstuhl, wiegte bedächtig das Whiskyglas hin und her, kitzelte gedankenverloren Olivar mit der Fußspitze am Nacken und hörte sich meine Geschichte an.

„Hm“, brummte er, als ich zu Ende war, trank sein Glas aus, reichte es mir stumm zum Nachfüllen und fuhr fort, Olivar zu kitzeln, wobei er genauestens seine Schuhspitzen beobachtete, als ob sie ihm die Lösung des Falles zuwinken könnten.

„Und der Bruder von Elena?“, fragte er nach einer Weile.

„Hat sich benommen wie ‘ne Portion Grießpudding. Windelweich und ohne jeden Halt. Ihm kam die ganze Sache nur peinlich vor. Und zu allem Überfluss bestätigte er noch offenherzig, dass die Mordwaffe Elenas Pistole war.“

Richardson sah mich müde an. „Was sollte er denn sonst sagen?“

„Er soll ihr helfen, zum Donnerwetter“, entgegnete ich. „Das ist doch für eine Frau wie Elena eine scheußliche Situation. Liegt da auf ihrer hübschen Couch ein blonder Lümmel herum und schämt sich nicht, eine Kugel im Bauch zu haben, die eigentlich Elena gehört!“

Richy nickte mit väterlicher Güte, wie ein Psychiater, der seinem Patienten nicht widersprechen will, weil er einen Tobsuchtsanfall befürchtet. Dann zog er wieder seine Schuhspitzen zu Rate.

„Und was soll ich bei der Sache?“

Ich bedeutete ihm, dass ich ihn eigentlich nicht für begriffsstutzig gehalten hätte.

Er stand auf, zündete sich eine Zigarette an und trat ans Fenster. „Sie meinen, Cox, ich soll Ihren ergreifenden Aufruf ernst nehmen und Miss Morrison aus der Polizeiklemme helfen?“

„Sie begreifen spielend.“

Er wandte sich zu mir und pustete genießerisch kleine Rauchwölkchen in die Luft. „Und das mache ich so: Ich gehe zum Herrn Polizeipräsidenten und bestelle ihm einen schönen Gruß von Paul Cox. Uns sei zu Ohren gekommen, sage ich, dass die schöne Elena jemanden erschossen habe. Der Herr Polizeipräsident möchte nun bitte so lieb sein, die betreffenden Beweise verschwinden zu lassen. Falls er unbedingt eine Täterin brauche, möge er sich freundlicherweise an die Frau Gemahlin halten. Aber Elenachen solle er bitte laufen lassen.“

Ich hatte nicht genügend Zeit, mich gebührend aufzuregen, (was ich gern getan hätte), denn schon fuhr er fort, jetzt das ernste Register ziehend: „Machen Sie sich doch nichts vor, Cox! Sie glauben selbst nicht, dass Miss Morrison unschuldig ist. Sie wissen genauso gut wie die Polizei und ich, dass nur einer diesen Mord begangen haben kann: Ihre süße, kleine Elena. Aber weil Sie immer noch in das Persönchen vernarrt sind, wollen Sie ihr um jeden Preis helfen. Mit anderen Worten: Sie wollen ein Verbrechen vertuschen. Damit machen Sie sich strafbar. Es kostet Sie schätzungsweise bei mildernden Umständen hundert bis zweihundert Pfund. Mich aber kostet es meine Existenz! Und da können Sie mich bezahlen, so hoch Sie wollen, dieses Eisen fasse ich nicht an. Im übrigen besten Dank für den Whisky!“

Er knallte sein Glas auf den Tisch, drückte seine Zigarette aus und angelte nach seinem Hut.

Eines war klar: Richardson hatte sich eine Meinung über den Fall gebildet, und es gab nichts auf der Welt, was imstande war, diese Meinung zu ändern.

In der Tür machte er halt und schaute mich noch einmal mit seinem Psychiaterblick an.

„Und wenn ich Ihnen einen privaten Rat geben darf, Cox: Lassen auch Sie Ihren Löffel aus anderer Leute Suppen!“

Womit er sich verabschiedete.

Richy war alles andere als dumm, und als Privatdetektiv sollte er wirklich etwas von solchen Sachen verstehen. Ich nahm mir also vor, seinen Rat bei einer passenden Gelegenheit zu befolgen.

Diese Gelegenheit aber passte mir nicht.

Der bloße Gedanke, dass jemand Elena zutraute, einen hübschen jungen Mann, auch wenn sie ihn nicht leiden konnte, mit ihrer kleinen, elfenbeinverzierten Pistole ins Jenseits befördert zu haben, schien mir so gigantisch, dass sich mein ganzes vegetatives Nervensystem zusammen krampfte. Und dies ist, wie alle Ärzte bestätigen werden, durchaus ungesund.

Vor mir auf dem Tisch lag - wie ein Tombolalos - der gelbe Gepäckschein vom Waterloo-Bahnhof.

3311.

Eine hübsche Zahl, zugegeben. Aber was steckte dahinter?

Was hatte den blonden jungen Mann veranlasst, den Gepäckschein in seinem Schuh aufzubewahren? Hatte er Angst gehabt, dass ihn jemand bei ihm finden könnte? Dann hätte er auch wissen müssen, dass ihn jemand bei ihm suchen würde. Und zwar mit so viel Nachdruck, dass er an keiner der Stellen, an denen man üblicherweise solche Scheine aufbewahrt, sicher war. Der Mann musste allen Grund gehabt haben, seinen Schuh als Brieftasche zu benützen. Und mich interessierte es höllisch, diesen Grund zu erfahren.

Langsam trank ich mein Glas aus, betrachtete nachdenklich den kleinen, gelben Zettel.

Ob mein Los ziehen würde?

Bis zum Waterloo-Bahnhof fuhr ich höchstens zwanzig Minuten. Dann schon - vielleicht! - sollte ich es erfahren.

Ein verbissener, hagerer Beamter hielt mir eine gelbe, schwielige Hand entgegen. Dabei schaute er mich anklagend und wehmütig an, als sei ich allein für sein großes Missgeschick verantwortlich, für das Missgeschick, ein Leben lang Gepäckstücke aller Art von der Barriere zum Regal und vom Regal zu der Barriere tragen zu müssen.

„Ich möchte gern meinen Koffer abholen“, sagte ich höchst überflüssigerweise, während ich ihm den kleinen Zettel mit der Wundernummer übergab. Wie oft in seinem Leben mochte er wohl schon diesen Satz gehört haben?

Er trottete davon, mit seinem vorwurfsvollen Blick die Regale absuchend.

In wenigen Sekunden würde es sich entscheiden!

Zwar hatte ich keinen Grund gehabt zu befürchten, dass er irgendeinen Verdacht schöpfen könnte, aber dennoch war ich ein wenig nervös. Wie, wenn er mich etwa gefragt hätte, wie der Koffer aussieht... Oder wenn er sich an den Mann erinnert hätte, der den Koffer auf die seltsame Schnapsnummer aufgegeben hatte. Aber es schien alles glatt zu gehen. Da hörte ich eine Stimme hinter mir, flüsternd, eindringlich:

„Drehen Sie sich nicht um!“

Einen Moment lang stockte mir der Atem. Im Zeitraffertempo rollten all die Bilder vor meinem geistigen Auge ab, die ich auf der Fahrt zum Bahnhof gesehen hatte: Pistolen mit gespannten Hähnen, klickende Handschellen, rasselnde Gefängnistüren und weihevoll dreinblickende Köpfe mit der Allongeperücke der Richter von Old Bailey.

„Drehen Sie sich nicht um!“, wiederholte die Stimme dicht an meinem Ohr. Und die Bilder verschwanden wie fortgeblasen, denn es war Richardsons Stimme.

„Hallo, Richy.“, murmelte ich. „Was ist denn los? Ich dachte, Sie wollen mit mir nichts mehr zu tun haben?“

„Diesen kleinen Freundschaftsdienst bin ich Ihnen schuldig.“, flüsterte er. „Sie werden beobachtet.“

„Nanu!“

Richy, der kluge Knabe, hatte vermutet, dass ich seinen Rat nicht befolgen und trotz seiner Gardinenpredigt zum Waterloo-Bahnhof fahren würde. Er hatte daher abgewartet und war mir nachgefahren. Dabei war ihm aufgefallen, dass sich ein anderer Wagen ebenfalls an meine Hinterräder geheftet hatte. Ein roter Sunbeam mit der Kennummer ,RAB 2310’ Alle guten Geister! Das war Elenas Wagen!

„Ihre Elena saß aber nicht am Steuer“, tuschelte Richy.

„Woher wollen Sie das denn wissen?“, tuschelte ich zurück, ohne mich umzudrehen. „Sie haben Elena doch noch nie gesehen.“

„Nach allem, was Sie mir von ihr erzählt haben, scheint mir jedoch ein Punkt festzustehen: dass sie eine Frau ist. In dem Sunbeam aber sitzt ein Mann. Noch dazu ein sehr hässlicher. Mit einem Buckel.“

Wir kamen mit unserer Flüsterkonversation nicht weiter, denn der Schalterbeamte trat jetzt an die Barriere zurück. Er schien eine Spur weniger verbiestert zu sein als vorher, was vermutlich daran lag, dass der Koffer, den er mir überreichte, nicht sehr schwer war.

Es war ein kleiner schweinslederner Handkoffer, dem nichts Außergewöhnliches anzusehen war. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick.

Ich zahlte meine drei Pence und ging, ohne Richy zu beachten, davon.

„Sehen Sie sich vor!“, raunte er mir zum Abschied zu. „Der Mann steht am Zeitungskiosk.“

Während ich mir nun meinen Weg durch die hastig hin und her flutenden Reisenden bahnte, widerstand ich der Versuchung, zu dem Zeitungskiosk hinzustarren. Aber im äußersten Blickwinkel erhaschte ich ihn doch: Einen kleinen verwachsenen Kerl in einem zerknitterten Konfektionsanzug, der eine der am Kiosk ausgehängten Zeitungen zu lesen vorgab und dabei aus einer Tüte Erdnüsse knabberte. Obwohl ich ihn nur undeutlich sehen konnte, war ich sicher, dass sein Hals ungewaschen und seine Zähne gelb wie Steckrüben waren.

Dieser Bursche also war mir von zu Hause aus gefolgt und hatte mich beobachtet, während ich den Koffer abholte. Warum? Und wie, zum Kuckuck, kam er zu Elenas Wagen? Oder hatte sich Richy getäuscht?

Langsam, ohne mir irgendwelche Hast anmerken zu lassen, ging ich zum Bahnhofsportal. In der spiegelnden Fensterscheibe eines Fahrkartenschalters sah ich, wie der kleine bucklige Kerl mir folgte.

Na, das konnte ja heiter werden!

Richy hatte sich nicht getäuscht! Auf dem Parkplatz vor dem Bahnhofsgebäude entdeckte ich Elenas Sunbeam. Und im Rückspiegel meines Wagens sah ich auch, wie das bucklige Rumpelstilzchen aus dem Bahnhofsportal trat.

Ich legte den Koffer auf den Rücksitz, ließ den Motor an und machte mich auf eine hübsche, kleine Verfolgungsjagd gefasst.

Aber nichts dergleichen geschah.

So sehr ich auch in den Rückspiegel starrte, ich konnte keinen Sunbeam entdecken, der versuchte, meinem Jaguar durch das Verkehrsgewühl zu folgen.

In einer kleinen Seitenstraße hielt ich an, kletterte aus dem Wagen, kaufte mir eine Packung Zigaretten und beobachtete dabei jedes Auto, das die Straße entlang fuhr. Es bestand kein Zweifel: Der Sunbeam war nicht dabei. Und ich kam zu der Überzeugung, dass Richardson sich doch geirrt oder der kleine Bucklige inzwischen das Interesse an mir verloren haben musste. Wobei mir allerdings ein übler Denkfehler unterlief.

Der kleine schweinslederne Handkoffer hatte doch etwas, das ihn von allen anderen kleinen schweinsledernen Handkoffern unterschied. Nämlich sein Schloss.

Daheim angekommen, versuchte ich, es zu öffnen. Ich bin bestimmt nicht ungeschickt, und was Haarklammern, Dietriche, Sicherheitsnadeln und Universalschlüssel betrifft, so habe ich immer das Nötigste im Haus. Aber was ich auch tat, dem Schloss war nicht beizukommen.

Zu allem Überfluss war es heiß und stickig wie in einem überfüllten Dampferkesselraum. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und sang nach meiner Lieblingsmelodie ,Tea for two’ einprägsame kleine Flüche vor mich hin.

Ich stand nun vor dem seelischen Konflikt, ob ich mir erst Kühlung verschaffen, ein Glas Whisky trinken oder schwereres Werkzeug holen sollte. Ich entschied mich für eine kombinierte Verfahrensweise. Ich goss mir ein Glas halb voll Whisky, stieg in den Keller und bewaffnete mich mit Hammer, Meißel und Kneifzange, ging auf dem Rückweg durch die Küche, füllte das Glas mit eisgekühltem Soda auf, ging ins Wohnzimmer, öffnete ein Fenster und trank.

Es schmeckte.

Dann wiederholte ich die Aktion und ließ dabei nur den Keller aus.

Es schmeckte immer noch.

Solchermaßen gestärkt, schleppte ich das Werkzeug in mein Arbeitszimmer, wo ich nun mit doppeltem Eifer dem kleinen schweinsledernen Ding zu Leibe rückte.

,Plum’, machte es.

Ein leiser, kaum wahrnehmbarer Ton. Er kam aus dem Wohnzimmer. Ich kannte das Geräusch. Es entstand, wenn man ganz leise meine Buschtrommel berührte, die drüben neben Olivars Fell stand.

Schnell riss ich die Schreibtischschublade auf, griff nach meiner Pistole.

Doch da stand es schon in der Tür: Das kleine mickrige Männchen mit dem Buckel und dem speckigen Anzug. Er hatte ein derart dämliches Lächeln auf den Lippen, dass man von purem Ansehen schwindlig werden konnte. Ein Musterbeispiel aus des Teufels Hexenküche.

Und jetzt bemerkte ich auch meinen Denkfehler. Leider zu spät!

Richardson hatte berichtet, dass mir der kleine Dreckspatz von meiner Wohnung zum Bahnhof nachgefahren war. Er hatte es also gar nicht nötig, mir von dort nach Hause zu folgen. Denn er wusste bereits, wo er mich finden konnte. Während ich auf dem Heimweg wie ein Schießhund nach einem roten Sunbeam Ausschau gehalten hatte, war er kreuzgemütlich einen anderen Weg gefahren, hatte sich so lange in der Nähe meines Hauses herumgetrieben, bis ich ihm gefälligerweise ein Fenster öffnete, durch das er nun eingestiegen war.

Oh, dass ich immer vergessen muss, dass auch andere Leute ein Gehirn zum Denken mitbekommen haben!

„He, Sie, Rumpelstilzchen!“, rief ich ihm zu. „Was wollen Sie hier?“

Aber statt eine gesittete Antwort zu geben, machte er pengpeng.

Zum Glück hatte ich seinen Revolver blitzen sehen und konnte mich rechtzeitig fallen lassen.

Dabei verspürte ich einen machtvollen Schlag an der Schläfe, einen dumpfen, knalligen Aufprall. Ich hörte einen Doppelchor von Englein und Teuflein singen, hatte gerade noch Zeit, meinem ehrsamen Besucher zwei Schuss nachzufeuern - dann ging es zu Ende: Der Doppelchor brummte in den tiefsten Tönen und winselte im höchsten Diskant, ein Feuerball wirbelte vor meinen Augen, einen kurzen Moment lang hatte ich ein Gefühl, als würde mein Körper von einem Riesenkran in die Luft geschleudert, und schließlich hörte mein Denkapparat auf zu funktionieren.

Es war still und dunkel.

Alles um mich herum schien aus schwarzem Samt zu bestehen.

Gestatten, mein Name ist Cox

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