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A- Die Ausbildung beginnt
ОглавлениеAPRIL 1978 - KÖLN - EINE TOP MASSAGESCHULE!
DER ERSTE TAG
Wir waren über zweihundert neugierige und vor allem aufgeregte, meist junge Menschen, die erwartungsvoll in der Aula der Massageschule des Coennaculums in Köln auf die Eröffnungsansprache des Direktors warteten.
Wir alle kamen aus den verschiedensten Berufsgruppen und wollten die Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister machen.
Viele waren, so wie auch ich, über den Umweg Bundeswehr hier „gelandet!“
Aber es gab auch Umschüler und Ähnliches.
Gemeinsam hatten wir jedoch eines:
Kaum Ahnung von dem was uns erwarten sollte.
Dies sollte sich gleich ändern, denn der Direktor erschien endlich auf dem Podium, neben ihm die Ausbilder, die uns in den folgenden zwölf Monaten das Handwerk beibringen sollten.
Die ersten Sätze des Direktors hatten es gleich in sich ... hören Sie doch mal rein!
„Guten Morgen, meine Damen und Herren!
Sie alle haben sich also dazu entschlossen, hier an unserer Schule die Ausbildung zum Masseur zu machen?
Eines Vorweg; wir werden ihnen das Erreichen ihres Berufszieles sehr schwer machen!
Denn wir wollen nur Schüler, die mit mindestens der Note drei bestehen werden! Schlechtere Noten werden von uns nicht akzeptiert, denn unsere Erwartungen an sie sind hoch!
Sehr hoch!
Wer meint, er könne sich hier einen ruhigen Lenz machen:
Der fliegt!
Wer meint, er bräuchte hier nicht mitzumachen:
Der fliegt!
Wer meint, er müsse sich der Gemeinschaft nicht anpassen:
Der fliegt!
Wer durch Sauferei oder Drogen auffällt:
Der fliegt!
So viel zu dem Thema, ich hoffe, ich habe mich klar und verständlich ausgedrückt?“
Ein erstauntes Murmeln und Raunen ging durch die Aula, so einen Empfang hatten sich die wenigsten vorgestellt!
Na das ging ja gut los!
Aber das war noch nicht alles!
Der Direktor versetzte uns gleich den nächsten Schlag!
„Was, ihr jungen Damen und Herren, stellen sie sich eigentlich unter dem Berufsbild Masseur vor?“
Diese Frage sollte nun von uns beantwortet werden und siehe da es dauerte auch gar nicht lange, da kamen die ersten Antworten, die da waren:
Schöne Frauen / Männer massieren!
Irgendwann mal Porsche fahren!
In einem Hotel in der Karibik arbeiten!
In einem Bundesliga Fußball Verein arbeiten!
Eine eigene Praxis haben!
Ein gutes Einkommen haben!
Anerkennung in der Gesellschaft!
Den Mann (oder die Frau) fürs Leben kennen lernen usw., usw.!
Auf diese Antworten schien der Direktor natürlich nur gewartet zu haben, denn jetzt ging es rund!
Nun endlich sollten wir wissen, warum auf dem Podium eine Massagebank stand!
Frage des Direktors an die weiblichen Schüler:
„Wollen sie Männer, Frauen, Kinder, Greise, Behinderte und verletzte Menschen mit IHREN eigenen Händen anfassen und massieren?
Wer von den anwesenden Damen traut sich dieses zu?“
Circa dreißig von hundert Damen, besser gesagt, jungen Mädels hoben zaghaft ihre Hand.
Der „liebenswerte“ Direx zeigte auf ein circa achtzehnjähriges besonders attraktives, weibliches Pracht-Exemplar und bat diese nach oben auf das Podium zu kommen.
Etwas verunsichert folgte dieses Mädel der Aufforderung und stellte sich neben dem Direktor und den Ausbildern hin und schaute doch ziemlich schüchtern zu uns runter.
Wir alle wussten ja nicht, was jetzt passieren sollte!
Der Direx wandte sich jetzt dem Geschöpf zu und fragte sie:
„Sind Sie schon mal massiert worden, oder haben sie schon mal jemanden medizinisch massiert?
Damit meine ich keine erotische Massage an ihrem Freund oder er an ihnen!“
Das war so ganz nach dem Geschmack der männlichen Schüler, die laut feixend unten vor dem Podium ihren Spaß hatten!
Das Mädel oben bekam eine zunehmend rotere Gesichtsfarbe was sich in den nächsten Minuten noch verstärken sollte.
Völlig verunsichert sagte das arme Häuflein Elend: „Nein“.
„Aber sie wollen doch ernsthaft Menschen anfassen und sie massieren? Sie haben keine Berührungsängste?“
Das Mädel schüttelte nur stumm ihren süßen Kopf!
Was kam jetzt?
Der Direx fragte nun:„Aber, wissen sie eigentlich, wie es sich anfühlt, von einer fremden Person vor der sie nackt auf einer Massagebank liegen, angefasst zu werden?“
Wieder ein Zaghaftes: „Nein“
„Gut dann sollen sie es jetzt einmal erleben!
Bitte ziehen sie sich aus und legen sich hier, mit dem Rücken, auf die Massagebank!“
Die männlichen Zuschauer waren so ziemlich aus dem Häuschen! Das fing ja richtig gut an!
Erwartungsvoll schauten jetzt restlos alle auf die mittlerweile total konsternierte junge Mitschülerin.
„Das ist nicht ihr Ernst! Das tu ich nicht! Ich ziehe mich doch nicht vor all den Gaffern hier aus! Nein bestimmt nicht, ich denke gar nicht daran!“
Der Direktor ganz trocken und absolut Ernst: „Dann möchte ich sie bitten das Podium zu verlassen und die Schule ebenfalls! Sie sind für diesen Beruf nicht geeignet!“
Augenblicklich war es sehr ruhig in dem riesigen Raum, uns allen fiel nicht mehr viel ein!
Was war denn das für eine Nummer!
Der Direx wandte sich dem, mittlerweile puterrotem, Mädel und uns anderen Möchtegern Masseuren zu und sagte: „Sie können andere Menschen die meist nackt oder zumindest teilweise bekleidet sein werden nur mit dem nötigen Respekt eine Anwendung geben, wenn sie selber wissen, wie es ist, sich vor jemandem so zu präsentieren.
Viele ihrer zukünftigen Patienten haben nämlich ein großes Schamgefühl und fühlen sich bei der ersten Massage nicht unbedingt wohl.
Denn sie sind zunächst erst mal ein Fremder! Sie haben dann die schwere Aufgabe das Vertrauen des Patienten zu gewinnen! Schaffen sie das nicht, wird der Patient nicht wieder zu ihnen kommen!
Also bedeutet das auch: Einkommensverlust!
Aber schlimmer noch: Sie werden ihr Selbstvertrauen verlieren, wenn sie öfter so etwas erleben!“
Was ich ihnen damit sagen will? Respektieren sie ihren Patienten unbedingt und verletzen sie niemals, ich wiederhole, niemals dessen Persönlichkeitsgefühl! Sie zerstören sonst ihre Zukunft! Das wollen sie sicher nicht und wir auch nicht! Daher möchten wir ihnen mit dieser Demonstration zeigen, was Intimsphäre und Schamgefühl bedeutet!“
Zu dem Mädel gewandt sagte der Direx jetzt sehr eindringlich:„ Also bitte, wenn sie Masseurin werden wollen, dann ziehen sie sich jetzt aus und legen sie sich hin! Nicht mehr und nicht weniger! Sie entscheiden über ihre Zukunft! Also ...?“
In der riesigen Aula hörte man keinen Ton mehr, alle schauten jetzt auf das Podium, wo das arme gestresste Mädel anfing, sich auszuziehen.
Nach wenigen Augenblicken stand sie nun da oben, nur noch mit BH und Slip bekleidet, und wollte sich so auf die Massagebank legen.
Da kannte sie aber den Direx nicht! „Ganz ausziehen! Das bedeutet alles! Sie sollen doch lernen, was Schamgefühl bedeutet, oder wollen sie doch lieber gehen?“
Nein sie wollte nicht gehen, sie wollte auch Masseurin werden!
Jetzt fielen auch die letzten Hüllen!
Frenetisches Geheul der männlichen Schüler erfüllte die Aula.
Betretenes Schweigen bei den weiblichen Schülern, auf der anderen Seite!
Mittlerweile lag unsere zukünftige Mitschülerin auf der Massagebank, fast dem Weinen nahe!
Der mittlerweile doch „sehr beliebte“ Direx schaute nun jovial grinsend zu uns männlichen Wesen hinab und deutete mit seinem Finger auf einen jungen Mann im Alter von circa zwanzig- Jahren.
Diesen fragte er nun:„Fanden sie das toll? Wie heißen sie denn überhaupt?“
„Ich bin Wolfgang, Wolfgang Mertes.“
„Ach, und sie wollen sicher auch Masseur werden?“
„Aber klar doch! Jetzt nach der Vorstellung erst recht!“
Feixend blickte sich Wolfgang um, er war ja auch ein toller Hecht der Schwarm aller Frauen!
Nun ja, es kam, was kommen musste!
Der liebe Direx sagte nur: „Na dann kommen sie doch mal nach oben! Sie werden sich jetzt bitte auch nackt ausziehen und auf die Bank legen!
Oder möchten sie auch von dem Recht Gebrauch machen die Schule hier und jetzt zu verlassen?“
Jetzt tobte der weibliche Block und uns Kerlen verschlug es den Atem!
Resümee: Wolfgang wollte auch Masseur werden und zeigte, wenn auch sehr widerwillig, der anwesenden Damenwelt wie er in Natura aussah! Grauslich!
Nachdem es etwas ruhiger in der Aula geworden war, hörten wir völlig verdattert und perplex den weiteren Worten des Direx zu, der da sagte: „So meine Damen und Herren! Das war die erste wichtige Unterrichtsstunde!
Ich hoffe doch sehr, dass ihnen die Augen geöffnet worden sind und sie den Beruf jetzt mit anderen Augen sehen!
In den nächsten Monaten werden sie hier eine Harte, aber immer Faire, konsequente Ausbildung erhalten!
Im Unterricht werden die zu massierenden Probanden stets komplett nackt auf der Bank liegen! Mal liegen die Frauen und werden von den Männern massiert, beim nächsten Mal wird dann gewechselt! Bei uns massieren die Schüler nie die gleichgeschlechtlichen Mitschüler!
Durch diese Maßnahmen werden sie den Respekt vor dem menschlichen Körper sehr schnell erfahren. Es wird eine wichtige Erfahrung für sie werden, die sie in ihrem, zukünftigem Beruf, immer wieder brauchen werden!
„Merken sie sich also eines ganz besonders: Der Patient ist unser Wichtigstes „Gut“ und er erhält stets den nötigen Respekt und unsere uneingeschränkte Aufmerksamkeit.“
Wenn sie dazu bereit sind dies eines Tages in die Praxis umzusetzen, dann werden wir alle hier alles Erdenkliche tun, damit sie mal ein guter Masseur oder eine gute Masseurin sein werden, um unseren Beruf mit Freude und Hingabe auszuüben.
Sollten sie jedoch der Meinung sein den Beruf nur zum Geldverdienen zu erlernen, werden wir ihnen das Leben hier zur Hölle machen, bis sie aufgeben werden!
Wir wollen Masseure, die voll und ganz zu ihrer Aufgabe stehen, die den Beruf also wirklich aus „Berufung“ ausüben werden!
„Ob sie dafür geeignet sein werden?
Wir alle wissen es jetzt noch nicht!
Aber wir werden es in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam herausfinden!
Dies geht aber auch nur, wenn sie zu Hundert Prozent bereit sind, zu lernen, und sich in unsere Gemeinschaft einfügen! Wenn sie diesen Weg mit uns gehen möchten, freuen wir uns auf sie!
Die anderen mögen bitte die Aula verlassen, das Schulbüro wird ihnen ihre Unterlagen zurückgeben! Vielleicht finden sie ja einen anderen Beruf, der sie anspricht, aber sie werden sicher nicht in der Massage arbeiten! Nicht in meiner Schule!“
NIEMAND GING INS SCHULBÜRO!
Seit diesem Tag waren wir eine verschworene Gemeinschaft, die durch dick und dünn gingen!
Wusste der eine mal nicht weiter, so half ihm die Gemeinschaft, das Ziel zu erreichen!
Während der gesamten Ausbildungszeit verließen sechzehn Schüler die Ausbildung, der Rest absolvierte die Prüfung mit vollem Erfolg!
Von zweihundertsechzehn Schülern bestanden vier mit der Note „Befriedigend“.
Der Rest hatte Noten von Eins bis zwei!
Ich finde, das spricht für sich.
Ich selber schloss mit einer Zwei ab und war mehr als zufrieden!
Aber der Weg zum Ziel sollte kein leichter werden!
Darüber mehr im nächsten Kapitel.
DIE AUSBILDUNG WIRD HÄRTER
In den nächsten sechs Monaten wurden wir von unseren Ausbildern regelrecht durch „die Mangel gedreht“ bis jeder Massagegriff dessen Anforderungen entsprach.
Dies war für uns alle ein extrem schwerer und harter Weg, insgesamt achtzehn Lehrfächer standen auf dem Programm.
Wer hier nicht hart und diszipliniert am Unterricht teilnahm, schaffte es auch nicht!
Unsere Ausbilder setzten die Ankündigung des Direktors gnadenlos um: Wer nicht mitzog, durfte seine weitere Zeit an dieser Schule beenden!
Nur der harte Kern kam weiter.
Ich muss aber ehrlich gestehen, dass mir diese Art der Ausbildung sehr gefiel. Acht Stunden intensiver Unterricht davon fünf- sechs Stunden Praxis, der Rest Theorie!
Wenn man fleißig und ehrgeizig war, konnte das Ziel erreicht werden, man musste sich jedoch wirklich anstrengen!
Ohne Fleiß kein Preis!
Aber wir konnten uns jederzeit an unsere Ausbilder wenden, wenn uns irgendwas unklar war oder wir irgend ein anderes Problem hatten!
Mittlerweile hatten wir auch kein Problem mehr uns nackt vom jeweiligen Mitschüler massieren zu lassen! Es wurde für uns eine Selbstverständlichkeit den Körper so zu sehen, wie er von der Natur geschaffen war ... Einzigartig!
Bis hierher war die Ausbildung hart aber fair!
Nach sechs Monaten war es soweit, wir mussten die gefürchtete Zwischenprüfung ablegen!
Normalerweise hat man in jungen Jahren ja einen gehörigen „Respekt“ vor Prüfungen, ich jedoch nicht!
Ich hatte noch nie Schwierigkeiten mit Prüfungen!
So ging ich die Angelegenheit, im Gegensatz zu vielen meiner Mitschüler, relativ gelassen an.
Mein Lerngeheimnis?
Ich versuche, mir vieles bildlich vorzustellen!
Nicht lange überlegen!
Auf das Bauchgefühl hören!
Ruhe bewahren!
Sich nicht unter Druck setzen lassen!
Den Abend davor „pichel“ ich mir einen!
Bis heute verfahre ich so und bisher immer erfolgreich!
Die Zwischenprüfung war natürlich ein gefundenes Fressen für unseren Herrn Direktor!
So was lässt der sich doch nicht entgehen!
So standen wir also am Prüfungsmorgen vor unserem Klassenraum, in Erwartung der Dinge, die da auf uns zurollten!
Viele hatten an diesem Morgen noch nicht ihre „Betriebstemperatur“ erreicht! Einige verspürten einen starken Toilettendrang, anderen wurde zunehmend Übel usw..
Dann ... war es so weit!
Einer der Ausbilder öffnete die Tür und fragte, ob nun einer von uns freiwillig als Erster dran kommen möchte?
Darauf hatte ich nur gewartet!
Freudig strahlend meldete ich mich, sehr zur Verwunderung meiner Mitschüler!
Aber egal: Desto eher ist man durch ... oder?
Also ran an den Speck!
Unser lieber Direx und einige der Ausbilder traktierten mich jetzt mit theoretischen Fragen, mit dessen Beantwortung ich jedoch kaum Probleme hatte, gute Vorbereitung eben!
Doch dann: Was wäre eine Prüfung ohne „Fangfragen“?
Eben: Langweilig!
Unser Direx zeigte auf ein mitten im Raum stehendes Skelett und fragte mich, mit forschendem Blick: „Was für ein Skelett sehen sie hier? Männlich oder weiblich?“
Wie aus der Pistole geschossen antwortete ich, ohne zu zögern:„Weiblich, Herr Direktor!“
„Wie kommen sie denn so fix zu diesem Resultat? Woran erkennen sie das denn so schnell?“
„Weil es nicht Mäxchen ist, sondern ein anderes Skelett!“
Dazu sollte man folgendes Wissen: Mäxchen war ein männliches Skelett, welches bei uns im Unterricht immer verwendet worden ist. Dieses hatten wir mal, wohl in kluger Voraussicht, präpariert, es fehlte ihm das Endstück des kleinen, linken Zehs!
Jenes war unseren Ausbildern, bis dato, so aber noch gar nicht aufgefallen!
Und dieses Skelett hier war eindeutig nicht Mäxchen!
Also hatten die Herrschaften das Skelett zur Prüfung eindeutig und vor allem, hinterhältig, ausgetauscht!
Aber nicht mit mir! Auf so etwas falle ich nicht rein!
Daher lautete meine extrem selbstsicher vorgetragene Antwort gegenüber dem Prüfungskomitee wie folgt: „Herr Direktor, ich habe jetzt ein halbes Jahr lang immer nur Frauen massiert, keine Männer! Außerdem wurde uns stets beigebracht, dass wir mit den Händen fühlen sollen was wir massieren, anstatt auf äußere Reize zu stieren! Also: Eindeutig weiblich!“
Diese Art der Erklärung musste das Gremium erst mal verarbeiten! Einige der Prüfer grinsten sich süffisant einen!
Ich übrigens auch!
Jetzt kam noch mein Joker hinterher: „Außerdem, dieses Skelett hier, es trinkt Rotwein, Mäxchen aber nur Bier! Das erkenne ich auch an dem roten Fleck am Unterkiefer!“ Das saß!
Da konnte unser Direktor auch nicht gegen an, ich hatte ja auch alle seine fiesen und gemeinen Fragen richtig beantwortet:
Ten Points for Germany!
Doch so leicht sollte ich nicht davon kommen!
„Sie finden sich wohl sehr klug, was?“
Der Direktor zeigte erneut auf das Skelett und fragte mich:
„Wo finden sie bei der, wie sie ja schon richtig sagten, Dame, denn den ... GANGLION POSTERIOR?“
Meine Antwort: „Gar nicht Herr Direktor, denn ein Überbein gehört nicht zu den Skelettknochen!“
Okay, machen wir es kurz: Zwischenprüfung bestanden.
ERSTE ERFAHRUNGEN AM „LEBENDEN OBJEKT“
Nun begann der interessanteste und schwierigste Teil unserer Ausbildung.
Morgens vier Stunden trockene Theorie, dann vier Stunden praktische Ausbildung am „lebenden Objekt!“
Dazu sollte man folgendes Wissen:
Der Massageschule angegliedert, war ein Behindertenheim und eine Senioren-Residenz.
Auf diese Bewohner wurden wir nun losgelassen!
Ich gehörte einer Gruppe von fünf weiteren Massageschülern an, die nun für den Rest der Ausbildung ein Team bildeten.
Zu jedem Team gehörte ein Ausbilder, wir hatten da ein ganz spezielles Exemplar!
Herr Kemper war ein Urgestein von Masseur, der mit allen Wassern gewaschen war, den konnte absolut nichts mehr erschüttern, nicht mal mehr wir!
Das Beste aber: Er war immerhin schon zweiundsiebzig Jahre alt! Er hatte bis zu seinem Renteneintritt in Kliniken, Hotels und Reha - Einrichtungen gearbeitet.
Doch das Rentnerdasein war ihm zu langweilig, deshalb hatte er den Nebenjob an unserer Massageschule angenommen, um uns junge „Küken“ zu richtigen Masseuren zu machen, wie er sich ausdrückte!
Im Nachhinein es war der beste Ausbilder, den ich je hatte, ich werde ihn nie vergessen!
Bei dem lernte man wirklich das, worauf es ankam und das war: Praxis, Praxis und nochmals Praxis!
Trotz seines Alters war er in allen Belangen fit und hat uns so manches mal gezeigt, was eine Harke ist!
Besonders beeindruckend fand ich seine erste Vorstellung bei uns sechs angehenden Masseuren!
Er hielt unser Hauptlehrbuch der Anatomie, den „Benninghof“ vor seinen Körper in die Höhe und verkündete seelenruhig und ohne mit der Wimper zu zucken: „Das Ding hier werden sie bei mir nicht brauchen, das verwirrt sie nur zusätzlich! Werfen sie den mal gleich in ihre hinterste Schublade!“
Nun waren wir schon etwas perplex und schauten ihn verwundert an!
Er sagte nur:„Die Praxis schreibt die besten Bücher!
Sie werden bei der Arbeit mehr Wissen und praktische Erfahrungen bekommen, als sie aus Büchern kriegen! Dafür werde ich sorgen!
Das Wichtigste was ein Masseur beherrschen muss, sind diese drei Buchstaben: A..., A und nochmals A!“
Nun ja, damit konnten wir so nichts anfangen, aber die Erklärung folgte sofort.
Das erste A bedeutet: ANGUCKEN!
Schauen sie sich den Patienten immer genau an: Wie läuft er, wie bewegt er sich sonst, welche äußeren auffälligen Merkmale hat er usw.!
Das zweite A bedeutet: AUSFRAGEN!
Fragen sie den Patienten nach seinen Beschwerden wie Schmerzen, Stress etc.
Wie ist die berufliche Situation, hat jemand anderes in der Familie auch solche Probleme, wie fühlt er sich momentan usw., usw.!
Im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit werden sie lernen, worauf es ankommt!
Das dritte A bedeutet: ANFASSEN!
Das ist das wichtigste Kriterium ihrer Arbeit überhaupt!
Sie müssen ihren Patienten berühren um festzustellen, wie sie ihm helfen können! Sie müssen in der Lage sein Veränderungen, Verspannungen, Anomalien usw., im und am Körper zu ertasten und zu erkennen! Nur dann kann man therapieren!
„Hierbei werden sie auch das Wichtigste überhaupt feststellen; ein Mensch ist ein Unikat!
Jeder Mensch ist nur ein mal vorhanden, also einzigartig!
Nicht jede Therapie ist für jeden geeignet! Sie werden feststellen, dass das, was dem einen geholfen hat, dem anderen noch lange nicht hilft! Ja es kann sogar sein, dass sie ihm mit der Therapie, die anderen geholfen hat, schaden!
Das ist die wichtigste Botschaft überhaupt, die ich ihnen mit auf den Weg geben werde!
Wenn sie die drei A`s befolgen, haben sie mehr Erfolg als andere Kollegen, der Patient wird es ihnen danken!
Und noch etwas: Glauben sie ja nicht immer alles, was in den Lehrbüchern steht, oder was ihnen Ärzte erzählen!
Vertrauen sie im Zweifel ihrem, hoffentlich gesundem, Menschenverstand oder ihrem Bauchgefühl!“
Nun ja ... das saß!
Ich bin jedenfalls bis heute mit der Formel sehr gut gefahren!
Am nächsten Morgen war es soweit:
Wir durften unser Unwesen in der Seniorenresidenz beginnen!
Was würde mich wohl hier erwarten?
Fragen über Fragen durchströmten mein unerfahrenes Hirn!
Meine erste Aufgabe bestand darin, mit Herrn Wickert Bewegungsübungen in seinem Zimmer zu machen.
Herr Wickert war jedoch etwas schwierig, um genau zu sein, zickig!
Los geht`s. Ich klopfte an seine Zimmertür und, nachdem ich aber nichts hörte, trat ich zögernd ein.
Als Erstes flog mir ein Sofakissen entgegen gefolgt von der netten Aufforderung: „Hau ab, ich will meine Ruhe, verschwinde!“
Oh, hier war ich wohl richtig!
Ich erwiderte: „Moin, Herr Wickert! Freut mich auch, sie kennen zu lernen! Ich finde es toll, dass sie schon ohne Aufforderung angefangen haben ihre Bewegungsübungen zu machen, Respekt!“
Seine Reaktion: „Hä?“
„Na ja sie haben doch mit dem Kissen nach mir geworfen!
Das ist schon mal nicht schlecht für das Schultergelenk!
Aber leider haben sie ja nicht getroffen, das sollten wir umgehend üben! Ich zeig ihnen mal, wie ich mir das vorstelle!“ Ich nahm das Kissen vom Boden auf und warf es ihm voll an den Kopf! Treffer!
„So sieht ein vollendeter Wurf aus! Wollen wir das ein mal üben? Jetzt sind sie wieder dran!“
Völlig verdattert schaute er mich an und wenig später lachte er und sagte: „Na da haben die mir aber einen frechen Bubi geschickt! Nicht auf den Mund gefallen, der Knabe! Und wehren kann er sich auch ... Bravo!
Kommen sie rein in die gute Stube, ich glaube wir werden noch viel Spaß miteinander haben!“
Hmmm, sicher, aber nur, wenn sie auch ihre Übungen machen!“, entgegnete ich.
Nach diesem anfänglichem „Beschnuppern“ zeigte ich ihm das vorgesehene Übungsprogramm!
Danach war er „Platt“! Ziel erreicht!
Als ich gerade gehen wollte, fragte er: „War das heute deine erste Vorstellung hier in der Residenz?“
„Ja“ entgegnete ich nur.
„Respekt, Bürschchen! Ich glaube, aus dir wird mal ein anständiger Masseur!
Deine Übungen scheinen mir tatsächlich was gebracht, zu haben! Gut fand ich auch, dass du die Übungen vorgemacht hast! Das haben die anderen Schnösel, die hier aufgetaucht sind immer nicht gemacht!
Du gefällst mir, Bursche!“
„Sie gefallen mir auch! Denn sie erinnern mich an meinen Opa! Immer wieder gerne, der Herr!“, erwiderte ich!
In den nächsten Wochen lernten wir uns beide besser kennen, und jeder profitierte davon.
Ich erwarb erste wichtige praktische Erfahrungen und er wurde immer beweglicher!
Eines Tages fragte er mich, ob ich auch Schach spielen würde?
„Ja, ich bin aber nur Anfänger und habe noch nicht so viel Erfahrung auf dem Sektor!“
„Wollen wir dann vielleicht mal spielen?“, fragte er.
„Ja, gern! Warum nicht? Aber immer nur nach Feierabend, wenn es ihnen passt!“
Ich habe mit Herrn Wickert ungefähr vier Monate des Öfteren Schach gespielt.
Zuerst habe ich, ich werde es nie vergessen, über einhundert mal gegen ihn verloren! Aber nur so lernt man das Spiel!
Doch im Lauf der Zeit wurde auch ich besser! Zuletzt waren wir doch beide ebenbürtig!
Eines Abends, als ich mich wieder an den Tisch setzte und die Schachfiguren aufstellte, schaute mich Herr Wickert seltsam und etwas melancholisch an und sagte:„Herr Sievers, ich möchte mich heute von ihnen verabschieden! Ich danke ihnen für ihre fachliche Leistung und für ihren Respekt mir gegenüber, was sicher nicht immer einfach für sie war! Durch die Schachspiele haben sie mir den Lebensabend auch mit versüßt. Doch heute ist unser letztes Spiel!“
Völlig verdattert schaute ich ihn an, und fragte: „Warum, letztes Spiel? Werden sie in ein anderes Heim verlegt oder haben sie keine Lust mehr mit mir zu spielen? Wird es ihnen langweilig?“
Seine Antwort:
„Sie wissen, was ich für Beschwerden habe? Sie wissen, das ich siebenundachtzig Jahre auf meinen Buckel habe? Ich bin wie ein alter Karpfen, der Moos auf den Rücken hat und schwimme nur noch müde und kraftlos durch das Leben!
Daher habe ich beschlossen, heute Nacht zu sterben!“
Ich dachte, ich hätte mich verhört und schaute ihn total perplex an! „Aber ...“
„Nichts aber“, unterbrach er mich: „In meinem Alter merkt man, wann es so weit ist!
Außerdem: Ich hab keine Angst vor dem Tod, ich glaube an ein Leben danach und ich hab auch keine Lust mehr! Es reicht einfach! Basta!
Nun guck mal nicht so pikiert, setze dich hin und Spiel! Du darfst auch zur Feier des Tages beginnen!“
Mir fiel nichts mehr ein! Ich war total perplex!
„So was können sie doch nicht einfach sagen! Sie wissen doch gar nicht, wann sie sterben, also nee ehrlich! Ich bin total von den Socken!“, entgegnete ich ihm.
Doch dann sah ich in seine Augen und irgendwie wurde mir dabei komisch, sehr komisch!
„Herr Wickert, sagte ich zu ihm: „Nun werden sie mal nicht sentimental hier! Lassen sie uns spielen und morgen sieht die Welt wieder anders aus! Mann, was jagen sie mir hier für einen Schrecken ein!“
Wir spielten eine Partie Schach, die es in sich hatte!
Es ging hin und her, lange Zeit sah es so aus, als ob es keinen Sieger gab, letzten Endes aber war er es, der nach knapp zwei Stunden die Partie gewonnen hatte!
Völlig erschöpft vom Spiel verabschiedete ich mich von ihm mit den Worten: „Bis morgen, Herr Wickert! Und, bitte kein dummes Zeug machen! Verstanden?“
Völlig verwirrt von den Worten des alten Herrn, der mir mittlerweile doch sehr ans Herz gewachsen war, fuhr ich nach Hause.
Ich hatte keine schöne Nacht. Immer wieder musste ich an die Worte denken, die mir Herr Wickert gesagt hatte.
Was mich wohl sehr beunruhigte, war die Tatsache, dass die Worte ruhig und überlegt ausgesprochen wurden.
So wie von jemandem der seinen Frieden mit sich und der Welt gemacht hatte. Angst? War bei ihm nicht zu entdecken gewesen!
Am nächsten Morgen war Herr Wickert nicht mehr da, er ist nachts gegen drei Uhr mit einem, wie man mir sagte, sehr friedlichen Gesichtsausdruck, von dieser Welt gegangen!
Ich war erschüttert und total durch den Wind und brauchte eine lange Zeit um dieses zu verarbeiten!
Aber ... wieder mal was da zu gelernt: Vor dem normalen Tod im Alter braucht man keine Angst zu haben! Die Natur sorgt dafür, dass du zu gegebener Zeit vorbereitet sein wirst!
Im Laufe meines weiteren Lebens haben ähnliche Ereignisse und Erfahrungen meine Ansicht über diese These weiter verstärkt.
Dieses Ereignis hat mich damals sehr geprägt, zu meinem Vorteil!
Am 31. März 1979 habe ich die Ausbildung an dieser Schule erfolgreich beendet!