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Kapitel 2

»Alter!« Er presste die Handflächen gegen die Stirn und versuchte das Pochen einzudämmen, das ihn in den Wahnsinn treiben wollte.

»Geht's dir gut, Junge?« Eine der versoffenen Gestalten legte den Arm um ihn.

»Fass mich nicht an!«, fauchte er ihm entgegen.

Mael machte sich los und drängte aus dem Imbiss. Ihm war schwindlig. Er hielt sich an einer Hauswand fest und kniff die Augen zusammen, damit das Drehen um ihn herum aufhörte. Doch ohne Sicht wurde es nur schlimmer. Er taste sich langsam um die Hausecke, hinein in eine Seitenstraße. Keine grell beleuchteten Schaufenster, keine Lichtkegel von vorbei rauschenden Fahrzeugen.

Einige Minuten und es wurde besser.

Was war der Auslöser dafür, dass sein Gehirn plötzlich etwas vom Vortag freigab? Der Alkohol?

Nur zweihundert Meter stadteinwärts lagen die Bäckerei Schiller und das Theater. In der anderen Richtung sah er am Ende der Seitenstraße das Eckhaus der Theresienstraße, zwei Hausnummern weiter wohnt Marie.

Er musste dorthin zurück.

*

Mael stellte sich in die Theresienstraße und wartete darauf, dass etwas passierte: ein bekannter Gedanke, eine Erinnerung, irgendetwas.

Die Polizisten waren abgezogen. Vor ihm lag Kopfsteinpflaster aus den dreißiger Jahren. Rechts und links davon ehrwürdige Pappelreihen. Daneben uralte Gehwegplatten aus Granit, die durch die Baumwurzeln an vielen Stellen nach oben gedrückt worden waren.

Er erinnerte sich nicht.

Einige Gebäude kannte er zwar von der Fassade her, selbst das umgefahrene Parkverbotsschild kam ihm nicht neu vor. Aber das war es auch schon. Mael hätte in jeder beliebigen Straße stehen können. Auf diese Art kam er keinen Schritt weiter.

Doch woher wusste er dann, dass Marie in dem grauen WG-Haus wohnte? Beinahe unbemerkt hatte sein Hirn ein Detail hinzugefügt.

Kein Mensch hatte mir etwas von einer WG gesagt!

Mael marschierte über den Gehweg und versuchte, sich zum Erinnern zu zwingen.

»Ich war eben bei einer Pommesbude. Gut.«

»Davor hatte ich mit einem Polizisten gesprochen, der hat mir ein Bild von Marie gezeigt. Soviel weiß ich also noch.«

»Davor kam ich vom Fluss und hab da wohl oder übel die Nacht verbracht.«

»Und davor …«

»Davor? …«

»Da bin ich …« Mael fuchtelte mit den Händen wütend in der Gegend herum.

»Ach Scheiße, ich weiß es nicht!«

Zielstrebig änderte er die Richtung und lief auf einen Passanten zu, der ihm entgegen kam.

»Kennen Sie mich?«

Der Mann ging irritiert weiter und Mael wurde ungehalten.

»He, ich hab dich was gefragt!«

Keine Reaktion.

»Bist du zu blöd, mir eine einfache Frage zu beantworten?!«, brüllte er dem hinterher, der nun an Tempo deutlich zugelegt hatte.

Eine Frau, die durch die Straße wollte, hörte sein Schimpfen und nahm einen anderen Weg.

Mael drehte nach links ab, stampfte zu Marias Haus und drückte sämtliche Klingeln.

Niemand betätigte den Türöffner. Er trommelte noch einmal auf die Knöpfe und schrie anschließend auf dem Hof die Hinterseite des Gebäudes zusammen. Doch es half nichts. Anscheinend gingen alle Bewohner um diese Uhrzeit geregelten Beschäftigungen nach.

Verärgert setzte er sich auf einen verwitterten Stein neben der Einfahrt und überlegte, wie es weiterginge. Während er dies tat, ließ er sich immer mehr auf das ein, was um ihn geschah. Aus der Hausnummer neun trippelte eine alte aufgetakelte Dame mit einem winzigen Yorkshire. Der Terrier kläffte alles an, was sich bewegte, selbst Blätter, die der Wind mitnahm.

Hässlich Vieh! Mael war heilfroh, dass er keine Tiere hatte. Doch je länger er darüber nachdachte, umso unsicherer wurde er.

In der Acht musste im Erdgeschoss ein Zahnarzt seine Praxis haben. Er entzifferte das Schild aus der Entfernung nur unvollständig aber die Lamellenvorhänge, das grelle Licht im Behandlungsraum und die Mienen der Menschen, die beim Hineingehen deutlich versteinerter waren, als beim Verlassen, ließen keinen anderen Schluss zu.

Craig hat Zahnärzte auch gehasst.

In Mael wurden die ferner zurückliegenden Erinnerungen etwas klarer.

Craig war älter als er gewesen – nicht mehr als zwei, drei Jahre, vom Bauchgefühl her. Während er an ihn dachte, spürte er eine solche Nähe, dass er nur sein Bruder sein konnte. Doch die Fetzen, an die er sich erinnerte, lagen alle derart lange zurück, dass ihm nichts außer Kindheitserinnerungen blieben. Mael hatte keine Ahnung, ob der Kontakt die darauffolgenden Jahre überstand. Er wusste nicht einmal, ob Craig noch lebte.

Blackout

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