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2. Kapitel: Numibia und Kelly-Ann

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Vom Quartiermeister wurde Levi ein kleines Zimmer, das ihn mehr an eine Knastzelle als an eine Arbeitsunterkunft erinnerte, zugewiesen. Nachdem er seine Sachen verstaut hatte, setzte er sich hin und betrachtete seine neuen vier Wände, während er darauf wartete, abgeholt zu werden. Drei mal vier Meter schätzte er die Grundfläche, wirklich wie eine Gefängniszelle, nur dass die im Knast ein Fenster mit Tageslicht hatten. Mit einem Bett, einem Schreibtisch mit Sessel und einem kleinen Schrank, alles aus Metall und in Militärgrün, war das Zimmer möbliert. Anstelle eines Fensters hing ein billig gerahmter Druck eines Bergdorfes mit bewölktem Himmel, vom Künstler Adler, an der Wand. Er hasste die Bilder von Adler und ihm war unerklärlich, wie dieser Schmierfink es geschafft hatte, der größte und bedeutendste Künstler der Postmoderne zu werden. Jedenfalls bereute er jetzt, dass er seine zwei kleinen Bilder von Picasso, einem unbekannten aber, wie er fand, tollen Maler, die bei ihm zu Hause herumlagen, nicht mitgenommen hatte. Die hätten gut an die Wand gepasst. Bei seiner ersten Europareise vor zwei Jahren hatte er auf einem Flohmarkt in Paris zwei kleine Ölgemälde von diesem Picasso entdeckt und billig erstanden. 150 Afrikanische Pfund hatte er nach langem Verhandeln dafür bezahlen müssen. Picasso war eben nicht Adler, in der Kunstszene nicht anerkannt und deshalb billig zu haben. Ja, diese Bilder hätten wirklich besser in sein Zimmer gepasst als diese pseudo-epochale Schmiererei von Adler.

Es klopfte an der Tür. Er öffnete und Sergeant Kenyata, der Quartiermeister, stand vor ihm.

»Herr Rosenfeld, sind Sie bereit? Ich bin hier, um Sie in die Mensa zu Herrn Professor und Frau Doktor zu bri…«

Levi war so angespannt und neugierig auf die zwei, dass er bereits durch die Tür getreten war, bevor Sergeant Kenyata ausgesprochen hatte.

»Folgen Sie mir bitte.«

»Wieso in die Mensa? Ich habe keinen Hunger … ich würde lieber gleich ins Labor.«

»Der Professor und die Frau Doktor wollen Sie lieber bei einem Abendessen kennenlernen und erst morgen mit der Arbeit beginnen.«

Etwas enttäuscht folgte Levi dem Sergeant in die Mensa.

Fünf Minuten später, nachdem sie durch ein Gewirre enger, kühler und schlecht beleuchteter Gänge marschiert waren, traten sie durch eine Tür in die Mensa ein. Es war eine große Halle, in der gut zwei- oder dreihundert Leute Platz fanden. Die Wände waren in freundlichen hellen Farben gestrichen und angenehm ausgeleuchtet. Aus Lautsprechern rieselte in dezenter Lautstärke afrikanische Popmusik. Die Tische und Stühle waren aus Holz und der Fußboden aus Parkett. Wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass man sich hier Hunderte von Metern unter der Erdoberfläche befand, hätte sogar ein Gefühl von Behaglichkeit aufkommen können.

Er folgte dem Sergeant durch die Halle, bis dieser am hintersten Tisch stehen blieb.

»Herr Professor, Mister Rosenfeld.« Der Sergeant salutierte und verabschiedete sich von den Anwesenden.

Der Professor stand auf und drückte Levi mit einem breiten Lächeln die Hand. »Sie müssen völlig erledigt sein, nach dieser Odyssee.«

»Ja, Herr Professor, ich bin wirklich etwas ausgelaugt und erschöpft. Andererseits kann ich es kaum erwarten, mit Ihnen zu arbeiten.«

Er war überrascht darüber, wie groß Prof. Djioufur war. Breitschultrig und topfit sah der Mann aus. Anfang 50 hätte er den Professor geschätzt, höchstens, aber tatsächlich war der Mann 64 Jahre alt, das sah man ihm wirklich nicht an. Levi hatte eher den Eindruck einen Sportler als einen Akademiker vor sich zu haben.

»Und ich? Mit mir zusammenzuarbeiten, darauf freuen Sie sich nicht?«

Der Professor trat zur Seite und jetzt sah Levi die Frau hinter ihm. Es musste sich um Doktor Kelly-Ann Mulligan handeln.

Etwas verunsichert hielt er ihr die Hand hin. »Natürlich freue ich mich auch darauf, mit Ihnen, Frau äh … Doktor, zu arbeiten. Sehr sogar.«

Sie musste schmunzeln, machte einen Schritt nach vorne und umarmte ihn kurz aber herzlich. »Kelly, nicht Frau Doktor. Nur Kelly.«

»Ja, äh, Levi, freut mich, Kelly …«

Levi spürte, wie er errötete. Jetzt stand er endlich vor der Frau, die ihn sein ganzes Studium hindurch inspiriert und beeinflusst hatte. Irgendwie hatte sich über die Jahre ein Bild von dieser Frau Doktor, diesem Physikgenie, in seinem Kopf festgesetzt, das nichts mit der Person, die jetzt vor ihm stand, zu tun hatte. Auch wenn er wusste, dass sie erst 32 war, so hatte bisher das Bild einer älteren, weißhaarigen, etwas langweilig wirkenden Intellektuellen in seinem Kopf herumgegeistert. Sie sah jedoch alles andere als langweilig aus. Eine junge, hübsche Frau stand da vor ihm und lächelte ihn herzlich an. Mit dem zu einem Pferdeschwanz gebundenen dunkelblonden Haar, dem farbigen T-Shirt und den engen Jeans, welche in Stiefelletten steckten, wirkte sie eher wie eine Studentin als wie eine der führenden Wissenschaftlerinnen der Gegenwart. Ihr Gesicht wirkte hübsch und harmonisch. Die vollen Lippen hatte sie mit einem dezenten, aprikosenfarbenen Lippenstift betont. Die Augen, die hinter einer dunkelrandigen Brille hervorblinzelten, waren leicht mit Mascara hervorgehoben worden. Ansonsten verzichtete sie, so schien es, auf weiteres Make-up, was ihr sehr gut stand, wie er fand.

»Setzen wir uns … es wäre etwas angenehmer, beim Essen zu sitzen«, meldete sich der Professor und setzte sich.

Kelly nahm Platz neben dem Professor und Levi setzte sich gegenüber den zwei hin.

»Ich bin übrigens Numibia.«

»Freut mich, Numibia, ich bin Levi … aber das weißt du ja.«

Der Professor überreichte ihm die Speisekarte. »Wir wissen bereits, was wir essen wollen.«

»Was esst ihr?«

»Taboulé mit Hühnchen à la Maroccaine.«

»Eine meiner Lieblingsspeisen. Darf ich mich anschließen?«

Nachdem der Professor die Bedienung herbeigewinkt und dreimal das marokkanische Taboulé bestellt hatte, fragte er die anderen, was sie trinken wollten. Der Professor bestellte als gläubiger Muslime, denen der Konsum von Alkohol streng untersagt war, Tee und Wasser.

»Ich bin Jude, ich darf Alkohol trinken. Ich hätte gerne ein Glas Wein«, bemerkte Levi.

Kelly blickte zu ihm hinüber und fügte hinzu: »Und ich bin Christin und darf ebenfalls Alkohol trinken. Ich schließe mich dir an und nehme ebenfalls ein Glas Wein.«

»Wieso habt ihr mich ins Quantum eingeladen?« Diese Frage hatte ihn nun schon so lange beschäftigt. Er musste sie jetzt stellen.

»Ach, lieber Levi, lass uns den Abend gemütlich verbringen. Morgen im Labor ist es früh genug, um mit der Arbeit zu beginnen«, erwiderte der Professor freundlich aber bestimmt.

Nach dem Essen blieben sie noch einige Zeit sitzen und redeten über alles Mögliche – Familie, Reisen und Politik. Vergeblich versuchte Levi einige Male, das Thema auf die Quantenphysik zu lenken; Numibia und Kelly ließen ihn immer wieder ins Leere laufen.

Nach diesen erfolglosen Versuchen und einigen Gläsern Wein stand er schließlich auf und verabschiedete sich: »Ich muss dringend schlafen. Ich bin seit über dreißig Stunden auf den Beinen.«

»Na, dann schlaf gut. Morgen neun Uhr im Labor?«

»Okay.«

Anhand der Nummerierungen, die an den Gängen angebracht waren, versuchte er seine Unterkunft wiederzufinden. Er hatte sich die Nummern gemerkt und nach einigen Umwegen fand er tatsächlich sein Zimmer. Leicht betrunken legte er sich angezogen ins Bett und schlief sofort ein.

Aus weiter Ferne hörte Levi seinen Wecker klingeln. Zuerst versuchte er das Klingeln zu ignorieren, aber wie schon zu seiner Studienzeit gewann der Wecker. Er öffnete die Augen und setzte sich auf den Bettrand. Erholt fühlte er sich nicht wirklich, aber trotzdem: Der Schlaf hatte ihm gut getan. Die Kopfschmerzen kamen wohl eher vom reichlichen Weingenuss des Vorabends als von der langen und anstrengenden Reise. Er war enttäuscht über das erste Treffen mit dem Professor und Dr. Kelly. Er hatte am Abend zuvor nicht das Gefühl gehabt, mit zwei Superhirnen zu essen. Der Professor machte den ganzen Abend auf entspannte, kollegiale Atmosphäre. Kelly hingegen wirkte auf ihn wie eine kleine, süße Maus, mit der man zwar Pferde stehlen konnte, aber nicht unbedingt das Rad neu erfinden. Den ganzen Abend hindurch hatte er erfolglos darauf gewartet, dass ihn einer der beiden mit irgendeiner intelligenten oder gar genialen Bemerkung überraschen würde. Hab ich die überschätzt? Hab ich in die beiden etwas hineininterpretiert, das nicht da ist? Während er sich duschte, dachte er mit gemischten Gefühlen an das bevorstehende Treffen im Labor.

Es war Viertel vor neun, als er ins Labor trat. Der Professor und Kelly waren bereits da. In den weißen Kitteln wirkten die beiden jetzt wenigstens wie richtige Wissenschaftler.

Das Labor war überraschend groß. An zwei Seiten hingen mehrere riesige Schiefertafeln. An der dritten Wand stand ein großer Tisch mit mehreren Stühlen. Darüber hing wieder einer dieser grässlichen Drucke von Adler. Am Tisch bastelte Ulli gerade an irgendeinem Rohr herum. An der vierten Wand waren mehrere Schränke mit Stahltüren und Sicherheitsschlössern eingebaut und in der Mitte des Labors standen einige voll ausgerüstete Werkbänke. Hier fehlte es wirklich an nichts.

»Gut geschlafen? Kaffee oder Tee?«

»Ich könnte einen starken Kaffee wirklich gut vertragen. Danke, Kelly.«

»Und fit genug für die Arbeit?«

»Ja, Herr Professor … ich meine Numibia.«

»Nun gut. Wir haben dich, wie du sicherlich vermutest, aufgrund deiner Diplomarbeit eingeladen. Kelly, würdest du ihn bitte über den Stand unserer Forschung informieren?«

Sie nahm eine Kreide in die Hand und begann – während Levi sich an den Tisch neben Numibia setzte – auf die Schiefertafeln zu schreiben. Er schlürfte anfänglich noch etwas lustlos an seinem Kaffee herum. Sie schrieb seine Formel schnell und zackig aus dem Gedächtnis auf die Tafeln. Er war überrascht; selbst er hätte seine eigene Formel nicht rein nur aus dem Gedächtnis aufschreiben können. Langsam wich seine Lustlosigkeit einem neugierigen Interesse. Kelly schrieb seine Formel immerwährend fort, ohne ein einziges Mal innezuhalten. Dann begann sie einige Formelverläufe zu verändern.

»Deine Formel ist einfach, aber genial. Wir steckten jahrelang fest. Wir suchten viel zu weit – bis wir auf deinen Aufsatz im Sciences Magazin aufmerksam wurden. Allerdings hat sie einige Schwachstellen, die wir mittlerweile korrigieren konnten.«

»Was für Schwachstellen?«

»Deine Formel ist zu unelastisch.«

»Aber für eine Zeitreise müssen die Parameter eine feste Konstante, die praktisch unelastisch ist, haben.«

»Davon gingen wir zuerst auch aus. Die Versuche haben uns dann aber eines Besseren belehrt.«

»Welche Versuche …? Wollt Ihr allen Ernstes behaupten, die Zeitreise ist heute schon möglich?«

»Wir stehen kurz davor und ein Ire hat es vor über fünfunddreißig Jahren bereits geschafft.«

»Arthur Wellesley?«, bemerkte Levi erstaunt. »Aber das ist doch ein Witz! Der konnte seine Behauptung, in die Vergangenheit gereist zu sein, nie beweisen!«

»Du hast recht. Er konnte es nie beweisen, weil er plötzlich verschwunden war«, warf Numibia ein.

Kelly fuhr unbeirrt fort: »Wellesley hat mit seinem Assistenten Napi die Zeitreise mindestens dreimal gemacht, bevor beide verschollen sind.«

»Was habt ihr für Beweise?«, fragte er misstrauisch.

»Wir haben unwiderlegbare Beweise dafür. Wir werden sie dir später zeigen.«

»Aber wenn Wellesley die Zeitreise bereits gemacht hat, wieso nehmt ihr dann nicht seine Formel?«

»Würden wir gerne, aber er hat sie so gut versteckt, dass wir sie bis heute nicht finden konnten.«

»Und bei seinem Assistenten, diesem Napi?«

»Napi ist damals mit Wellesley verschwunden und bei dem, was er zurückließ, konnten wir auch nichts finden.«

»Da Wellesley ein Gründungsmitglied des Quantum war hofften wir – hoffen wir immer noch –, dass die Formel, oder zumindest ein Hinweis darauf, wo sie versteckt ist, irgendwo in diesem Bunker zu finden ist. Bisher haben wir sein Labor mehrfach akribisch durchsucht, leider immer ohne Erfolg. Vor einem Monat haben wir durch Zufall eine Geheimtür, die in ein zweites Geheimlabor führt, entdeckt … aber leider auch dort nicht die erhofften Antworten gefunden. In seinem geheimen Labor steht kein Stein mehr auf dem anderen. Jeder Millimeter wurde mindestens zehnmal überprüft. Dafür haben wir in der geheimen Kammer eindeutige Beweise und Belege für seine Behauptungen, Zeitreisen gemacht zu haben, gefunden.«

»Was sind das für Beweise?« Jetzt war Levi voll da.

»Die Beweise werde ich dir heute Abend zeigen«, fuhr Kelly fort. «In der Kammer haben wir auch einen Hinweis darauf gefunden, dass er irgendwo in Europa noch ein weiteres geheimes Labor besessen haben muss. Die viel wichtigeren Aufzeichnungen, nämlich die über die Zeitmaschine, müssen dort versteckt sein.«

»Weiß denn niemand, wo sich dieses Labor befindet?«

»Leider nicht. Wir haben in seinem Ferienhaus in Schottland danach gesucht. Sogar bei seiner Schwester, die in der Nähe von Dublin in Irland lebt. Ohne Erfolg.«

Kelly räusperte sich, dann fuhr sie fort: »Aber lass uns die Formelkorrekturen beenden, denn dank deiner Entdeckung brauchen wir seine Unterlagen wahrscheinlich nicht mehr, um ans Ziel zu kommen.«

Sie drehte sich zur Tafel und begann, Teile von seiner Formel wegzuwischen und mit eigenen Zahlen zu ergänzen. Levi war jetzt hoch konzentriert und angespannt. Numibia und Kelly diskutierten währenddessen über die prozentuale Abweichungstendenz der Elastizität. Er war vom Wissen der beiden schwer beeindruckt. Numibia war nun nicht mehr der coole Mittsechziger vom Vorabend, der über Gott und die Welt sprach. Jetzt saß ein Superhirn neben ihm. Blitzschnell und messerscharf analysierte Numibia Kellys’ Formelkorrekturen. Und sie war plötzlich nicht mehr die hübsche, kleine, süße Maus, mit der er Wein getrunken hatte. Jetzt stand ein Mathematikgenie vor ihm, das anscheinend locker und ohne große Mühe die kompliziertesten Formeln beherrschte. Er verstand auf einmal nur noch Bahnhof. Er, konnte den beiden nicht mehr folgen. Es kam ihm vor, als würden sie Chinesisch sprechen. Nichts, aber auch gar nichts, war ihm mehr verständlich. Mathematik hatte er studiert und Quantenphysik war seine Spezialität …, aber nun war er in seiner eigenen Spezialdisziplin hoffnungslos überfordert. Gestern nach dem ersten Treffen war er von den zwei Wissenschaftlern enttäuscht gewesen. Sie waren ihm nicht sonderlich genial vorgekommen. Seine Professoren an der Uni hatten sich ständig mit einer Aura des unnahbaren Genies umgeben und mit einer gewissen überheblichen Arroganz auf die unwissenden Studenten herabgeschaut. Dies hatte er gestern von Numibia und Kelly auch irgendwie erwartet. Aber beim Abendessen sassen sie ausgelassen und kumpelhaft zusammen. Da war von keinem der beiden ein genialer Satz gefallen, der ihn vor Ehrfurcht auf die Knie hätte sinken lassen. Jetzt schämte er sich für seine eigene Arroganz. Man sollte Leute doch nie nach dem ersten Eindruck einstufen. Denn nun sass er zwischen diesen zwei Superhirnen und fühlte sich wie ein Schuljunge am ersten Schultag, der zwischen zwei Abiturienten sitzt und mit ihnen über das Abitur sprechen sollte. Keiner seiner früheren Professoren hätte hier mithalten können. Das hier, das war Nomura Preis-würdige Wissenschaft auf höchster Ebene.

Kelly beendete die Korrekturen und setzte sich zu ihnen an den Tisch. »Wir haben es hundertmal durchgerechnet, es wird so klappen. Oder hast du Einwände?« Beide schauten Levi forschend an.

Er fühlte sich wie auf einer Folterbank. Sollte er einfach bluffen und versuchen, irgendetwas Schlaues zu sagen, oder offen zugeben, dass er keine Ahnung davon hatte, was hier gerade abging? »Ich kann mich nicht so schnell äußern. Zuerst muss ich meine Notizen überprüfen.«

»Okay. Sei aber vorsichtig mit deinem Computer. Die Daten darin können gehackt werden. Das ist der Grund, wieso wir alle wichtigen Formeln auf die Tafel schreiben und alles in unserem Hirn speichern.«

»Alle Formeln? Du und …«

»Numibia. Ja genau.«

Nachdem Numibia und Kelly über die Enttäuschung darüber, dass Levi nicht auf ihre Formelkorrekturen eingehen konnte, hinweggekommen waren, wechselten sie das Thema: »Wollen wir heute Abend nach dem Essen ins geheime Archiv von Wellesley gehen?«

»Und ob!«, entfuhr es ihm so laut, dass die beiden lachen mussten.

Es war 19.30 Uhr, als Sergeant Kenyata an die Tür klopfte, um Levi in den Speisesaal zu führen. Numibia und Kelly saßen wieder am selben Tisch wie am Abend zuvor. Nachdem sie einen senegalesischen Eintopf und nach dem Nachtisch noch ein Glas Wein zu sich genommen hatten, verabschiedete sich Numibia von den beiden.

»Ich habe eine Videokonferenz mit Afrika, dem Hauptsitz«, sagte er an Levi gewandt. »Ich muss einige Gemüter besänftigen, wegen der letzten Ausgaben, die in deren Augen wieder viel zu hoch waren. Kelly zeigt dir das Archiv von Wellesley. Meine Anwesenheit wird dabei nicht benötigt. Dann bis morgen, ihr zwei Hübschen.« Der Professor drückte beiden höflich die Hand und war weg.

Levi fühlte sich etwas verunsichert, jetzt alleine mit Kelly bei einem Glas Wein am Tisch sitzend. Er merkte, dass er gerade dabei war, sich in sie zu verlieben. Wie am Abend zuvor saß sie ihm leicht geschminkt gegenüber und hatte wieder dieses Unschuldige, Studentenhafte an sich. Mit nichts ließ sie ihn spüren, dass sie ihm intellektuell überlegen war. Sie hatte auch nicht versucht ihn herauszufordern oder in eine Fachdiskussion zu verwickeln, der er nicht gewachsen wäre. Er war froh, dass sie so fair und liebenswürdig mit ihm umging. Je länger er in ihrer Nähe war, desto weniger konnte er sich ihr entziehen. Sie war die Art Frau, mit der man nicht nur gerne am Abend ins Bett steigen wollte, sondern neben der man am Morgen auch gerne aufwachen würde. Sie war genau die Frau, mit der man gerne sein Leben verbringen würde, eine Frau zum Heiraten.

Er schreckte auf. Sie sah ihn an, als könnte sie seine Gedanken lesen. Er merkte, wie er errötete.

Sie lächelte verschmitzt. »Unsittliche Gedanken?«

»Sieht man es mir an?«

»Ja, sieht man. Komme ich darin auch vor?«

»Nun … ja … du spielst darin die Hauptrolle.«

»Bin ich oben oder unten?«

»Nein … nein … ganz sittsam … also ich … äh …«

»Schade.« Schmunzelnd nahm sie einen Schluck aus ihrem Weinglas.

Jetzt sah sie unwiderstehlich aus. Mit ihrem weit geschnittenen langärmeligen Pullover, den hochgesteckten Haaren und diesem fast enttäuschten Gesichtsausdruck sah sie wirklich verführerisch aus. Er merkte, dass sie mit ihm spielte. Sie senkte den Kopf ein wenig und schaute ihn mit weit geöffneten Augen und einem Schmollmund an, der ihre vollen Lippen zur Geltung brachte. Er musste sich beherrschen, sich nicht über den Tisch zu beugen um sie zu küssen. Sie schien sein Begehren zu amüsieren; sie lehnte sich langsam zurück.

»Lass uns gehen, es wird Zeit.«

»Ja, lass uns gehen. Zu dir oder zu mir?«

»Weder noch. Ich zeige dir Wellesleys Geheimkammer.«

»Ja, natürlich … entschuldige. Ich, äh … hab nur …«

»… gedacht, die Kleine ist jetzt reif, die vernasche ich heute Abend?«

»Nein, Kelly, natürlich nicht!«

Sie stand lächelnd auf und kniff ihn sanft in die Nase, danach drehte sie sich um und schritt zum Ausgang.

Verdammt, ist die ein raffiniertes kleines Luder.! Wenn die so weitermacht, dann ende ich noch als ihr Schoßhündchen, nichts mit kleiner. Studentin, die nicht weiß, wo vorne und wo hinten ist. Die ist mit allen Wassern gewaschen. Diese Erkenntnis ließ ihn nur noch schärfer auf sie werden, denn eine kluge Frau, die sich ihrer Weiblichkeit bewusst ist und damit spielt, das kann einen Mann um den Verstand bringen.

Sie bestieg vor dem Restaurant einen kleinen Elektro-Buggy und winkte ihn zu sich.

Nach ein paar Minuten hielten sie in einem Seitengang, bei einer kleinen Treppe.

»Wir müssen da ’runter, dort befindet sich Wellesleys Labor und gleich dahinter ist die Geheimkammer.«

Unten an der Treppe standen zwei Soldaten und bewachten den Eingang. Sie durften nach der Ausweiskontrolle eintreten.

Die Zeitreisenden des Quantum

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