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Ideologie der Ungleichwertigkeit

Einleitung

Die Optik ist verzerrt, der Ton undeutlich, die Kamera wackelt. Junge Männer laufen durchs Bild, breitschultrig, aggressiv, ihre Gesichter vermummt, ihre Hände umklammern Eisenstangen und Holzlatten. Dazwischen ein dumpfer Schrei, Drohungen, Geräusche von schnellen Schritten. Das Video, das im Internet kursiert, zeigt einen gewalttätigen Angriff auf die Mannschaft von Roter Stern Leipzig in der sächsischen Kleinstadt Brandis. Rund fünfzig Hooligans und Neonazis überfallen am 24. Oktober 2009 den antirassistischen Verein während eines Auswärtsspiels in der Bezirksklasse. Freizeitspieler, die Tore schießen wollen, müssen sich in Kampfstellung verteidigen, ein Fan verliert fast sein Augenlicht. Selten wird Rechtsextremismus im Fußball so eindringlich dokumentiert. Sichtbar, hörbar, fast spürbar.

Wer sich in der Republik umhört, unter Funktionären, Schiedsrichtern, Trainern, der hört die immer gleichen Antworten: „So etwas gibt es bei uns nicht.“ „Bei uns ist es zuletzt ruhig geblieben.“ „Wir haben zwar Glatzen im Stadion, aber die lassen die Politik draußen.“ „Die Anfeindungen gegen schwarze Spieler sind stark zurückgegangen.“ Noch immer dominiert die Wahrnehmung: Rechtsextremismus könne nur gefährlich sein, wenn es zu lautstarkem Rassismus auf den Rängen kommt, wenn Spieler antisemitisch geschmäht werden, wenn die NPD vor dem Stadion ihre Wahlprogramme verteilt. Nach einem ähnlichen Muster verfahren viele Medien. Sie berichten lange und laut, wenn der Stürmer Gerald Asamoah in Rostock beschimpft wird, wenn sein Kollege Adebowale Ogungbure in Halle getreten wird, wenn der jüdische Verein TuS Makkabi Berlin aus Protest und Angst vor Attacken ein Spiel abbricht. Viele Fußballvertreter und Journalisten erzeugen den Eindruck, dass Rechtsextremismus eine Mode-Erscheinung sei, eine lose Kette von öffentlichen Ereignissen. Doch Rechtsextremismus ist in der Regel kein öffentliches Ereignis.

Rechtsextremismus ist laut dem Berliner Politikwissenschaftler Richard Stöss eine Kombination von Einstellungen, die einen gemeinsamen Kern haben: die Ablehnung der Gleichheit aller Menschen. Zu diesen Einstellungen zählen Rassismus, Antisemitismus, die Befürwortung eines Führers, die Verharmlosung des Nationalsozialismus oder die Herabsetzung von Minderheiten: von Homosexuellen, Menschen mit Behinderungen, Obdachlosen. Diese rechtsextremen Einstellungen müssen nicht zwangsläufig in rechtsextremes Verhalten übergehen, in Gewalt, Diskriminierung, Parteimitgliedschaft. Weder die Wählerstimmen für die NPD noch der Überfall auf den Roten Stern Leipzig geben ausreichend Auskunft über den Rechtsextremismus in Deutschland.

Wie tief Einstellungen in der Gesellschaft verankert sind, dokumentiert die Langzeituntersuchung zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ des Bielefelder Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer. Seit 2002 erforscht sie die Abwertung von gesellschaftlichen Gruppen. In der neunten Ausgabe dieser repräsentativen Studie, die im Dezember 2010 veröffentlicht wurde, stimmen 49 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben würden. 26 Prozent befürworten die Forderung, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden solle. 16 Prozent geben an, dass Juden zu viel Einfluss hätten. Und elf Prozent stützen die Meinung, dass „die Weißen“ zu Recht führend in der Welt seien. Angesichts dieser Zahlen ist die oft bemühte Trennung zwischen einem intoleranten „Rand“ und einer toleranten „Mitte“ der Gesellschaft nicht mehr als eine politische Floskel. Rechte Positionen und die Ablehnung von Gruppen sind tief in der Gesellschaft verankert. Nur sind sie nicht immer – wie beim Überfall auf den Roten Stern Leipzig – sichtbar, hörbar oder spürbar.

Der Berliner Sozialwissenschaftler Gerd Dembowski ist der Meinung, dass das Fußballstadion wie ein Brennglas wirke, unter dem gesellschaftliche Zustände verstärkt sichtbar werden: „Nicht unbeachtet bleiben darf, dass der Fußball durch sein starres Regelwerk mit Befehl, Gehorsam und Bestrafung auch ein Präsentationsfeld für patriarchale Wertvorstellungen und autoritäre Charaktere schaffen kann. Das ihm zugrunde liegende männliche Weltbild kann autoritäre Charakterstrukturen, Identitätsdenken, Nationalismus, Rassismus, Homophobie, Sexismus verstärken.“ Selten dringen Ausbrüche aus dem Amateurfußball an die Öffentlichkeit: Im Dezember 2007 hatte ein Funktionär des TSV Lingenfeld in Rheinland-Pfalz über ausländische Gegner getönt: „Wenn ich solche Mannschaften sehe, bin ich nicht mehr stolz darauf, ein Deutscher zu sein. Wenn ich beim Verband etwas zu sagen hätte, würde ich solche Mannschaften zwangsabmelden. Die gehören in den Rhein gejagt.“ Er sprach eine Meinung aus, die Millionen Deutsche für sich behalten.

In den Bundesligastadien sind die Auswirkungen von rechtsextremen Einstellungen zurückgegangen, dank moderner Sicherheitsarchitektur und professioneller Fanarbeit, Urwaldgesänge gegen schwarze Spieler sind nicht mehr zu hören, Reichskriegsflaggen nicht mehr zu sehen. Das bedeutet nicht, dass sich Einstellungen verändert haben, wie die umfangreiche Studie „Rechtsextremismus im Sport“ von 2009 belegt, geschrieben von einem wissenschaftlichen Team unter der Leitung des Hannoveraner Sportsoziologen Gunter A. Pilz. Während Rassismus und Antisemitismus auch wegen der deutschen Geschichte tabuisiert sind, flüchten sich Anhänger oft in Homophobie oder Sexismus, in Diskriminierungen, die weniger geächtet sind. Funktionäre, Medien und Spieler tragen dazu bei, dass eine gefährliche Rangliste der Schmähungen entstanden ist. Erinnert sei an einen Konflikt zwischen Gerald Asamoah und Roman Weidenfeller. Der ehemalige Schalker Stürmer hatte dem Dortmunder Torwart im August 2007 vorgeworfen, ihn als „schwarzes Schwein“ beschimpft zu haben. In der Verhandlung des Sportgerichts soll man sich auf „schwules Schwein“ geeinigt haben. Statt für sechs Spiele gesperrt zu werden, soll Weidenfeller deshalb nur drei Partien zugeschaut haben. Die Lesben- und Schwulenszene protestierte gegen dieses Urteil, fühlte sich stigmatisiert.

Dieses Buch untersucht die Auswirkungen von rechtsextremen Einstellungen auf den Fußball, vor allem auf Amateurebene. Entfremdung, sozialer Frust, verschwommene Vorurteile gegenüber Muslimen, Juden oder Sinti und Roma finden im Fußball ein Ventil. Auf dem Rasen öffnet sich dieses Ventil unter Emotionen, auf den Tribünen öffnet es sich in der Anonymität der Masse. Eine bundesweite Integrationsdebatte oder die schwelende Kritik an der Verteidigungspolitik Israels können Einfluss auf das Verhalten haben. Nicht jeder, der schlägt, brüllt, den Mittelfinger zeigt, muss ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Trotzdem ist der Fußball ein wichtiger Schlüssel für rechtsextreme Parteien, Autonome Nationalisten oder für Freie Kameradschaften, von denen es in Deutschland rund 150 geben soll. Dieses Buch beschreibt an ausgewählten Orten, wie sich die NPD den Fußball zunutze macht. Wie sie an Einstellungen, Meinungen, Aussagen von Fans und Spielern anknüpft, diese weiterentwickelt und für ihre parteipolitische Arbeit umdeutet.

Nicht überall muss wie im Umfeld von Lokomotive Leipzig der Fußball Teil einer Unterwanderungsstrategie sein, um Mitglieder und Wähler zu rekrutieren. Oft ist der Fußball für die NPD eine Bühne, auf der sich Botschaften verbreiten lassen. Gegen Polizeihundertschaften am Stadion – und damit gegen den Staat. Für eine neue Arena – und damit für die Jugend. Gegen den Kommerz in Vereinen – also gegen Globalisierung. Für heimische Talentförderung – gegen Ausländer. Immer wieder nutzen Rechtsextreme Schlagworte, die auch der Fußball nutzt: Kampfkraft, Ehre, Fairplay, Heimat, Männlichkeit. Diese Argumentation findet fernab der Stadien statt. Und außerhalb der Massenmedien, weil keine martialischen Szenen zu bestaunen sind.

Dennoch darf diese Argumentation nicht unterschätzt werden. Die NPD beteuert, in die „Mitte der Gesellschaft“ zu wollen. Also klammert sie sich an beliebte, ideologisch weniger aufgeladene Aktionsfelder – und welches Feld könnte akzeptierter sein als der Fußball? Ihre Kader beteuern, sie könnten als Ehrenämter Fußball und Politik auf dem Rasen kommunikativ trennen. Das mag sein, doch schon ihre Anwesenheit wirkt in die Gesellschaft hinein. Sie erwerben Akzeptanz, vor allem in der eigenen Szene. Sie betonen, dass auch Mitglieder der SPD oder der CDU im Fußball aktiv sind. Sie wollen nach den gleichen Maßstäben beurteilt werden, doch das würde das Demokratieverständnis schädigen. Die 6,7 Millionen Mitglieder des DFB stehen für Meinungspluralismus und Multikulturalismus – die NPD vertritt das Gegenteil. Sie hat sich für militante Neonazis geöffnet, dadurch hat sie ihre Mitgliederzahl verdreifacht, auf rund 6.600.

Dieses Buch lässt NPD-Funktionäre wie den Geschäftsführer Klaus Beier oder den Lüdenscheider Ratsherrn und Schiedsrichter Stephan Haase ausführlich zu Wort kommen; auch die Neonazis Enrico Böhm in Leipzig und Tommy Frenck in Hildburghausen schildern ihre ertragreiche Beziehung zum Fußball. Ihre Argumentationsmuster entlarven Demokratie- und Ausländerfeindlichkeit – ein Wertesystem, das Wilhelm Heitmeyer als „Ideologie der Ungleichwertigkeit“ bezeichnet. Wer ihre abstrusen Opfer- und Verschwörungstheorien wortwörtlich dokumentiert – ohne eine journalistische Einordnung und Kommentierung zu vernachlässigen –, der nimmt ihnen die demagogische und aufrührerische Kraft.

Dieses Buch begreift den Fußball als eine von vielen Landschaften einer rechten Erlebniswelt. Der Fußball darf nicht isoliert betrachtet werden von anderen Landschaften. Rechtsextreme nutzen Musik, Kleidermarken, Internet, Kunst, Symbole und Codierungen als Erkennungszeichen – und um ihre Gruppenidentität zu stärken. Alle Elemente sind verwoben. Die Bremer Rockband Kategorie C verdeutlicht dieses Netzwerk besonders. Sie besingt Fußball und Freundschaften, auf ihren Konzerten treffen unpolitische Jugendliche auf Neonazis, ihr Geschäftsfeld mit Tonträgern und Devotionalien ist lukrativ. Fahrlässig ist daher die Aussage von Funktionären, dass Rechtsextremismus ein Problem der Gesellschaft sei, der Politik und aller anderen – bloß nicht des Fußballs. Der Sport ist ein Sittengemälde, das rechtsextreme Strukturen und Strategien auch für andere Bereiche verdeutlicht.

Dieses Buch plädiert für eine politische Diskussionskultur. In einer Branche, die sich selten ihrer sozialen Verantwortung bewusst ist. In langen Interviews beschreiben Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, DFB-Präsident Theo Zwanziger oder die Spieler Yves Eigenrauch und Halil Altintop den Fußball als Privileg, um gesellschaftliche Debatten voranzutreiben, den Kampf gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Homophobie. Dieses Buch bezieht Position für Prävention: im Profifußball für die Stärkung der pädagogischen Fanprojekte, im Amateurfußball für aufklärende Initiativen wie jene der Sportwissenschaftlerin Angelika Ribler. Nur mit einem breiten Wissen lassen sich kreative Bildungsangebote entwerfen, um rechtsextreme Einstellungen nicht entstehen zu lassen. Doch in der kurzsichtigen Auseinandersetzung lässt sich ein nicht gezeigter Hitlergruß noch immer schwer als Erfolg verbuchen.

Der Verfassungsschutz geht in Deutschland von 26.000 Rechtsextremen aus, sie organisieren sich immer weniger in festen Strukturen, 9.000 von ihnen gelten als gewaltbereit. Daran gemessen war es eine kleine Gruppe, die den Roten Stern Leipzig im Oktober 2009 in einen Schockzustand versetzt hat. Doch rechtes Gedankengut reicht weiter: Wenige Wochen zuvor war in Sachsen der neue Landtag gewählt worden. Die NPD hatte den Wiedereinzug ins Parlament geschafft: mit 5,6 Prozent, das sind mehr als 100.000 Wähler. Zwar hat die NPD im März 2011 den Einzug in den Landtag Sachsen-Anhalts verpasst, doch für Entwarnung ist es zu früh: Von den Männern zwischen 18 und 24 Jahren gaben der Partei laut dem Umfrageinstitut Infratest dimap 18 Prozent ihre Stimme. Nicht sichtbar, nicht hörbar, aber deutlich spürbar.


Wohnzimmer Plache-Stadion: Im Dezember 2003 beleben 13 Gründungsmitglieder den Traditionsverein 1. FC Lok Leipzig neu, der 1987 im Europacup-Finale der Pokalsieger stand.

Angriff von Rechtsaußen

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