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Kapitel 3

April 1994

Ein Jobwechsel stand an und ich hatte sechs Wochen Zeit um zu reisen. Anfangs wollte ich nach Mexiko, doch gab es dort Ausschreitungen, also entschied ich mich für Bali.

Ich reiste alleine und war dementsprechend aufgeregt. Damals kostete alleine der Flug das 1 ½ fache meines Monatsgehaltes und mit vier Zwischenlandungen dauerte es ewig, bis ich endlich in Ubud/Bali mein „Hauptquartier“ bezog.

Auf Anraten wollte ich mir ein Kleinmotorrad mieten, denn die abgelegenen Pisten waren oft nur geschottert und ich wollte mir alles ansehen. Doch dazu brauchte es einen Motorrad-Führerschein, den ich nicht hatte. Der Verleiher wusste jedoch Rat. Er fuhr mich auf einem Kleinmotorrad nach Denpasar in ein Amt, in dem mir Uniformierte ein Formular hinlegten und ich kapierte, dass ich wohl den Führerschein machen sollte. Es war alles in Englisch und es dämmerte mir, dass das wohl lange dauern würde, bis ich die richtigen Antworten angekreuzt hätte. Deshalb stellte sich jemand an meine Seite und flüsterte mir leise die richtigen Antworten. Anschließend wurde ein Foto gemacht und ich bekam eine „Driving license only valid in Bali“ gültig für einen Monat.

Nun war ich unabhängig und ich genoss es sehr, in dieser wunderschönen Landschaft ohne Helm zu fahren und den Geruch aufzunehmen.

Es war Regenzeit und so wurde ich oft nass, was mir nichts ausmachte, da ich stets Kleidung zum Wechseln dabeihatte. Dadurch, dass es oft bewölkt war, unterschätzte ich die Stärke der Sonne und bemerkte es erst als es zu spät war, dass ich mit einem langärmeligen Shirt hätte fahren sollen. Denn ich bekam an den Armen einen derartigen Sonnenbrand, dass die Haut weiß wurde und sich abhob. Es dauerte Tage, bis sich das halbwegs gelegt hatte.

In der Nähe wohnte Anton, ein Christ – eine Minderheit in Bali – der gerade dabei war, eine Bananenreisschnapsfirma oder so ähnlich aufzubauen und mich um Rat bat. Er erzählte auch gern von seinem Christsein und schenkte mir zum Abschied weihnachtliche selbst gemachte Keksausstecher, die ich heute noch verwende.

Der balinesische Hinduismus ist wohl der bunteste und feierlichste weltweit. So viele Feste und hingebungsvolle Gaben an den Hausaltar erfreuten mein Herz und fühlte ich mich dadurch den Menschen und der Kultur sehr verbunden. Wenn man diese Insel mit zwei Worten beschreiben soll, dann mit „Schönheit überall“. Ubud lag nicht nur im Zentrum der Insel, sondern war auch das Zentrum der Künstler. Ich konnte mich gar nicht satt sehen und kaufte eine handgeschnitzte „Sleepinglady“, die heute noch einen Ehrenplatz in der Wohnung einnimmt.

Ich war überrascht, wie viele Alleinreisende (auch Frauen) es gab und Kontakte knüpfen fiel deshalb leicht, auch mit den Balinesen selbst. So wollte mir z.B. ein Einheimischer den gewaltigen Blick von einem Berg zeigen und gemeinsam fuhren wir die unwegsame Schotterpiste hoch. Durch das Rumpeln fiel jedoch der Schlüssel aus dem Zündschloss und als wir oben ankamen, bemerkten wir den Verlust und mittels meiner mitgebrachten Feile, die ich stets im Rucksack dabei hatte, konnten wir das Kleinmotorrad wieder starten. Er war sehr wütend, als wir zum Verleiher fuhren und der auch noch Geld für den zweiten Schlüssel wollte. Er erklärte mir, dass deshalb jeder den Schlüssel an einen Anhänger hat und dieser mit dem Motorrad verbunden ist, damit er nicht verloren gehen kann. Wäre ich alleine gewesen, hätte er mich voll abgezockt.

Durch eine junge deutsche Familie, die schon länger auf Bali lebte und eine fünfjährige Tochter hatte, bekam ich eine Lehrstunde im hinduistischen Tempeltanz, in der ich lernte, dass selbst die kleinste Bewegung eines Fingers eine Bedeutung hat.

Irgendwo lernte ich eine Australierin kennen, mit der ich mir später für zwei Nächte ein Zimmer teilte, bevor sie an den Strand weiterreiste um Geld zu verdienen. Sie war auf Weltreise und wenn ihr das Geld ausging, bot sie am Strand Bodypainting an. Ich hatte noch nie etwas davon gehört und konnte mir nicht vorstellen, dass sich das irgendwer machen lassen wollte und auch noch dafür bezahlte. Dann zeigte sie mir Fotos und ich war begeistert. Zum Abschied bemalte sie mir die Arme und wenn ich heute jemanden am Strand sehe, der Bodypainting anbietet, denke ich an sie.

Nach einigen Wochen ging es auf die „islamische“ Nachbarinsel Lombok. Welch ein Unterschied, ich konnte es kaum glauben. Lombok kam mir richtig farblos vor zu Bali und auch das Essen bestand nun hauptsächlich aus Reis und scharfem noch etwas. Ich bevorzugte schon damals die kleinen Straßenküchen und selbst das angeblich nicht scharfe Essen war für mich eine Herausforderung. Doch wollte ich mich daran gewöhnen und probierte es täglich aufs Neue. Die Einheimischen aßen die Chilischoten pur und mir war selbst das kleinste Stückchen zu scharf. Deshalb war ich sehr verwundert, als ich ihnen meinen Marillenschnaps anbot und ihnen der viel zu stark war. Sie wollten kein zweites Mal probieren und konnten nicht glauben, dass ich mindestens drei Mal täglich davon trinke um mich gesund zu halten. Schärfe ist wohl nicht gleich Schärfe.

Auf Lombok war ich mit den Bemos unterwegs. Das sind kleine Busse, die der Straße entlang fahren und wenn du einsteigen möchtest, winkst du und sie bleiben stehen und du kannst hinten durch die offene Tür eintreten und entweder links oder rechts auf der Bank Platz nehmen. Beim Aussteigen klopfst du und dann wird bezahlt. So gelangte ich an einen menschenleeren wunderschönen Strand. Nachdem ich müde war, legte ich mich am anderen Ende in den Schatten eines Felsens und schlief ein. Als mich die Sonne weckte, war ich schon wieder rot und sah furchtbar aus. Nachdem nirgendwo eine Süßwasserdusche war, klebte Meerwasser, Sand und Schweiß an mir. Noch dazu hatte das Meer eine meiner Sandalen mitgenommen und so ging ich mit einem Fuß im Wasser zurück, denn der Sand war viel zu heiß. Ich wollte wieder an die Straße um auf ein Bemo zu warten und ging durch ein Stückchen Wald. Dort kam mir ein abgedunkelter Van entgegen, der auf dem Weg zum Strand war. Kurz darauf kam er zurück, blieb stehen und das Fenster ging runter. Drinnen saßen vier Japanerinnen im Kostüm, mit Seidenstrumpfhosen. Eine davon erklärte mir, sie würden mich mitnehmen, wenn ich wollte, denn ich trug ja nur einen Schuh. Ich brauchte einige Zeit bis ich das zuordnen konnte und entschied mich dafür anzunehmen. Und was soll ich sagen, dieser Nachmittag war einer der besondersten der ganzen Reise.

Die Damen erklärten mir, sie hätten eine Woche Urlaub und wollten sich in dieser Zeit Bali und Lombok anschauen. Um möglichst viel zu sehen, hatten sie das klimatisierte Auto gemietet und so sahen sie eigentlich alles nur durch eine Scheibe. Ihre Aufenthalte waren dementsprechend kurz und ich bunter Vogel war für Sie etwas, wo sie sie das Gefühl hatten, durch mich Teil der „richtig Reisenden“ zu sein. Ich musste ihnen alles erzählen, was ich erlebt hatte, sie luden mich zum Essen ein und wir hatten einen sehr lustigen Nachmittag. Beim Aussteigen vor meinem gemieteten Bungalow bedankten sie sich mit Tränen in den Augen, denn ich hatte Ihnen etwas Unglaubliches gegeben, nämlich Begegnung und Zeit. Sie erzählten mir, was sie eigentlich in den vergangenen Stunden geplant gehabt hätten, doch dieser Nachmittag war der bisher beste ihrer Reisen. Langsam verstand ich, denn sie konnten es sich gar nicht leisten in dieser kurzen Zeit, in der sie hier waren, anders zu leben, denn die Umstellung hätte sie krank gemacht. Als ich ihnen sagte, dass wir in Österreich fünf Wochen Urlaub im Jahr haben, staunten sie nicht schlecht. Sie waren noch jung und schon so gefangen. Deshalb hatte ihnen meine Freiheit so gut getan. Auch ich hatte viel gelernt und so umarmten wir uns auf meine Weise.

Mit einem kleinen Boot fuhr ich tags darauf auf die Gili Trawangan, der größten der drei Gili-Inseln, um zu schnorcheln. Mit dem Rad hast du sie in kurzer Zeit umrundet und so ist verständlich, dass es hier keine Autos gibt. Die wunderschönen Korallen, die bunten Fische und kleinen Riffhaie in dem warmen klaren Wasser waren unbeschreiblich. Ich war im Paradies gelandet. Heute ist dies eine Partyinsel, doch damals gehörte alles mir allein.

Nach ein paar Tagen ging es zurück und ich wollte gleich weiter nach Bali, um von dort aus einen früheren Flug zurück zu bekommen. Ich wollte nämlich nicht vier Stunden vor meinem neuen Job aus einem langen Urlaub zurückkommen. Ursprünglich war eine Woche vorher schon alles ausgebucht und so dachte ich mir, kurzfristig wird sicher ein Flug frei und ich werde versuchen vor Ort umzubuchen. Ich wollte noch ein paar Tage um die Reise nachwirken zu lassen und mich umzustellen.

Ich wusste, dass es in Ubud ein Reisebüro gibt und so betrat ich den Raum, in dem ein Schreibtisch mit einer Schreibmaschine und einem Telefon stand. Das war alles. Ich erklärte ihm, warum ich da war und er telefonierte kurz. Dann spannte er einen kleinen Zettel in die Schreibmaschine und schrieb einen Einzeiler mit meinen neuen Flugdaten drauf. Das war alles, was ich damals brauchte um nach Hause zu kommen. Wie einfach konnte doch alles sein.

Ich hatte vieles erlebt, was man nur erlebt, wenn mann/frau alleine reist. Doch hatte ich auch so viel Wunderschönes erlebt, das ich mit niemanden teilen konnte und aus diesem Grund nur halb so schön war. Von diesem Zeitpunkt an schätzte ich das Allein-Reisen und das gemeinsame Reisen gleichermaßen. Welch ein Geschenk, dies schon jung erfahren zu dürfen.

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