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Prag/Praha

Ostern 1963

Der Bus ist voll mit indischen Gastingenieuren von Siemens. Zwei deutsche Studentinnen haben die zwei letzten freien Plätze ergattert. München–Prag.

Der Aufenthalt an der Grenze dauert. Ein Mann wird, von einem Zollbeamten eskortiert, zum Frisör geschickt. Nach einer Stunde kommt der früher Bärtige bartlos wieder. Sein Konterfei im Pass war nicht identisch mit seinem Erscheinungsbild vor einer Stunde.

Gleich nach der Grenze steigt die tschechische Reiseleiterin zu. Sie preist die Errungenschaften der sozialistischen Wirtschaft. „Rechts die Papierfabrik, links die Schokoladenfabrik, links die Papierfabrik, rechts die Schokoladenfabrik.“

Sie kommen an. Das Hotel in der Vorstadt von Prag entpuppt sich als sozialistischer Kasten.

Im Eingang zur Etagentoilette sitzt die Klofrau, vor sich einen Stapel hauchdünner, brauner, quadratischer Papiere in der Art von Merkzetteln. „Eins oder zwei?“, das ist ihre Frage. Soll man sie mit der Zahl drei in Unannehmlichkeiten stürzen? Man wagt es nicht. Bald sind die mitgebrachten Tempos aufgebraucht.

Am letzten Tag Ausgang ohne die Reiseleitung zum Wenzels Platz. Man traut den Ausländern inzwischen. Sie eilen in ein Café im ersten Stock mit zusammengekniffenem Hintern auf die Toilette. Aber auch hier nichts, kein Papier, nicht einmal eine Klofrau.

Wird in Prag das Toilettenpapier gehortet? Der Kellner scheint Deutsch zu sprechen. Man erklärt ihm leise die missliche Lage. Er nickt mitfühlend, eilt davon und kommt mit einem Stamperl Schnaps zurück. Es wird unangenehm. Die Rettung naht! Ein Mann erscheint mit einer Zeitung unter dem Arm, vermutlich Journalist oder Schriftsteller. Sie stürzen sich auf ihn, einigen sich auf einen unangemessen hohen Preis und enteilen.

Am Abend lädt die Reiseleiterin sie zum Tanz mit tschechischen Studentinnen und Studenten ein: Großer Saal, Live-Kapelle! Sie ist spürbar lockerer geworden. Der Westen hat sein humanes Gesicht gezeigt.

Die Studenten tanzen hervorragend, Walzer, Polka. Sie muss den Knopf am Bund etwas lockern, hat sogar zugenommen in den vier Tagen mit einer Maß tschechischen Bier am Tag, Schweinebraten, Knödel, Gulasch und mehreren Deka Karpfen und Prager Schinken. Nicht zu vergessen die Powidltascherl. Das Rezept der Tante Jolesch, das sie mit ins Grab genommen hat.

Seit Jahren versuchte die Familie Torberg, es ihr zu entlocken. Dann am Sterbebett: „Tante Jolesch, verrate uns wenigstens jetzt das Rezept deiner hervorragenden Powidltascherl!“ Da erhebt sich die Sterbende mit letzter Kraft und haucht: „Immer zu wenig machen.“

Wann wird man je verstehn?

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