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Fünftes Kapitel

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Ich sah irgendwie gespensterhaft aus, so in meinem Nachthemd, das im unsichtbaren Wind flatterte. Sebastian Mc Laine streckte mir freundlich die Hand entgegen. „Möchtest du mit mir tanzen, Melisande Bruno?“

Er stand still und unbeweglich am Fußende meines Bettes. Ohne Rollstuhl. Seine Gestalt zitterte blass und war nur schemenhaft, wie in einem Traum, zu sehen. Ich überwand die Entfernung zwischen uns so schnell wie der Wind. Er lächelte mich so charmant an, erhaben über jeden Zweifel und über mein Glück, da es sich in seinem Gesicht widerspiegelte.

„Mr. Mc Laine... Sie können gehen… .“ Meine Stimme war naiv, sie hallte wie das eine kleine Mädchen nach.

Er erwiderte mein Lächeln, die Augen jedoch waren traurig und dunkel. „Wenigstens in meinen Träumen, ja. Möchtest Du mich nicht Sebastian nennen, Melisande? Zumindest im Traum?“

Ich war verlegen und gab nur widerwillig die Förmlichkeiten auf, selbst in dieser phantastischen und unwirklichen Situation.

„In Ordnung... Sebastian.“

Seine Hände schlangen sich um meine Taille in einem festen und doch spielerischen Griff. „Kannst du tanzen, Melisande?“

„Nein.“

„Dann lass mich dich führen. Meinst du, du schaffst das?“ Er starrte mich jetzt argwöhnisch an.

„Ich glaube, es gelingt mir nicht“, gab ich ehrlich zu.

Er nickte, meine Aufrichtigkeit hatte ihn keineswegs verwirrt. „Nicht einmal im Traum?“

„Ich träume nie“, antwortete ich ungläubig. Und doch war es genau das, was im Moment geschah. Es war eine unumstößliche Tatsache, oder nicht? Es konnte nicht wahr sein. Ich im Nachthemd in seinen Armen, die Zärtlichkeit in seinem Blick, kein Rollstuhl in Sicht.

„Ich hoffe, dass du nicht enttäuscht sein wirst, wenn du aufwachst“, sagte er nachdenklich.

„Warum sollte ich?“ wandte ich ein.

„Ich werde das Thema des ersten Traum deines Lebens sein. Bist du enttäuscht?“ Er starrte mich ernsthaft und voller Zweifel an.

Er zog sich etwas zurück, und ich krallte meine Finger in seine Arme wie wilde Klauen. „Nein, bleib bei mir. Bitte.“

„Möchtest du mich wirklich in deinem Traum haben?“

„Dich und niemand anderes “, sagte ich kühn. Ich träumte, wiederholte ich in mir. Ich konnte alles sagen, was mir durch den Kopf ging, ohne dass ich Angst vor irgendwelchen Folgen haben müsste.

Er lächelte mich wieder an, noch schöner als zuvor. Er führte mich schwungvoll und beschleunigte das Tempo, sobald ich die Schritte lernte. Es war in furchterregender Weise ein echter Traum. Meine Fingerspitzen nahmen den geschmeidigen Cashmere-Pullover wahr und darunter sogar seine harten Muskeln. Plötzlich hörte ich ein Geräusch, als ob eine Pendeluhr die Stunden schlug. Mir entwich ein Kichern. Selbst hier!

Ich liebte das Geräusch der Uhr nicht sonderlich, es war eher ein kreischender Ton, furchterregend und alt.

Sebastian löste sich von mir mit gerunzelter Stirn. „Ich muss gehen.“

Ich zuckte zusammen, so als ob ich von einer Kugel getroffen worden wäre. „Musst du wirklich?“

„Ich muss, Melisande. Auch Träume gehen zu Ende.“ Seine sanften Worte schmeckten nach Trauer und Abschied.

„Kommst du wieder?“ Ich konnte ihn nicht einfach kampflos gehen lassen.

Er beobachtete mich sorgfältig, wie er es auch immer im Laufe des Tages in der Realität tat. „Warum sollte ich nicht zurückkommen, jetzt wo Du das Träumen gelernt hast?“

Dieses poetische Versprechen ließ meinen Herzschlag langsam zur Ruhe kommen, der schon allein bei der Vorstellung ihn nicht mehr wieder zu sehen, unregelmäßig wurde.

Der Traum verblasste wie die Flamme einer Kerze, die langsam erlischt. Und auch die Nacht neigte sich ihrem Ende.

Das erste, was ich sah, als ich die Augen zu öffnete, war die Decke mit Holzbalken. Dann das wegen der Hitze halb geöffnete Fenster.

Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben geträumt.

Millicent Mc Millian schenkte mir ein freundliches Lächeln, als sie mich in der Küche sah. „Guten Morgen, mein Liebe. Haben Sie gut geschlafen?“

„So gut wie nie zuvor in meinem Leben“, antwortete ich lakonisch. Bei der Erinnerung an den Helden in meinem Traum lief mein Herz Gefahr zu bersten.

„Das freut mich“, sagte die Haushälterin, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, auf was ich mich bezog. Sie begann mir einen detaillierten Bericht über den Tag im Dorf zu erzählen. Vom Gottesdiensts, von Menschen, die sie getroffen hatte, ich aber nicht einmal ihre Namen kannte. Wie immer ließ ich sie reden, während in meinem Kopf viel angenehmere Bilder schwirrten, die Augen immer fest auf die Uhr gehaftet, in fieberhafter Erwartung, ihn wieder zu sehen.

Es war kindisch, zu glauben, dass es ein anderer Tag sein würde, wenn er sich anders verhalten hätte. Es war ein Traum gewesen, und nichts weiter. Aber unerfahren wie ich nun mal in dieser Hinsicht war, gab ich mich der Illusion hin, dass es in der Wirklichkeit eine Fortsetzung haben könnte.

Als ich ins Arbeitszimmer eintrat, war er damit beschäftigt Briefe mit einem silbernen Brieföffner zu öffnen. Er hob kaum merklich den Blick bei meinem Erscheinen.

„Schon wieder ein Brief von meinem Verlag. Ich habe mein Handy gerade deswegen ausgeschaltet, dass er mich in Ruhe lässt! Ich hasse Leute ohne Fantasie... Sie haben keine Ahnung von der Welt eines Künstlers, seinem Bedarf an Zeit und Raum...“ Sein rauer Ton brachte mich auf die Erde zurück. Keine Begrüßung, keine besondere Anerkennung, kein zärtlicher Blick. Herzlich willkommen zurück in der Realität, begrüßte ich mich selbst. Wie dumm, das Gegenteil anzunehmen! Deshalb war ich nie zuvor in der Lage, zu träumen. Weil ich nicht daran glaubte, weil ich nicht darauf hoffte, weil ich nicht wagte zu hoffen. Ich musste wieder zur alten Melisande werden, wie sie war bevor sie in dieses Haus kam, bevor sie ihn traf, bevor sie der Illusion erlag.

Aber vielleicht werde ich ja wieder träumen. Schon allein der Gedanke daran wärmte mich mehr als eine Tasse Tee von Mrs. Mc Millian oder die blendenden Sonnenstrahlen, die durch das Fenster drangen.

„Und? Warum stehen Sie da so rum wie ein Denkmal? Setzen Sie sich, zum Donnerwetter noch mal!“

Ich setzte mich gegenüber von ihm, ganz folgsam, der Tadel saß noch wie ein Stachel in der Haut.

Er reichte mir den Brief mit ernster Miene. „Schreiben Sie ihm. Sagen Sie ihm, er wird sein Manuskript zum geplanten Termin erhalten.“

„Sind Sie sicher, dass Sie es schaffen? Ich meine... Sie schreiben alles neu...“

Er reagierte verärgert auf das, was er als Kritik betrachtete. „Es sind meine Beine, die gelähmt sind, nicht mein Gehirn. Ich hatte für einen Moment eine Krise. Aus und vorbei. Ganz bestimmt.“

Ich entschied, dass es besser war den ganzen Morgen lang zu schweigen und sah ihn mit ungewöhnlicher Energie auf die Computer-Tasten einhacken. Sebastian Mc Laine war ein launisches und temperamentvolles Heißblut. Es war auch überhaupt nicht schwer, ihn zu hassen, stellte ich bei meinen geheimen Studien fest. Und er war schön. Zu schön, und er war sich dessen bewusst. Das machte ihn gleich umso mehr hassenswert. In meinem Traum war er mir als ein nicht existierendes Wesen erschienen, die Projektion meiner Wünsche, nicht ein richtiger Mann, aus Fleisch und Blut. Der Traum war ein Lügengebilde, ein wunderschönes Lügengebilde.

Plötzlich zeigte er auf die Rosen. „Tausch sie bitte aus. Ich hasse sie verwelken zu sehen. Ich möchte immer frische hier haben.“

Ich fand meine Stimme wieder. „Das werde ich sofort erledigen.“

„Und sei vorsichtig, dass du dich dieses Mal nicht schneidest.“ Die Härte seines Tons verblüffte mich. Ich war nie angemessen auf seine häufigen Wutausbrüche voll Zerstörung vorbereitet.

Um ja kein Risiko einzugehen, nahm ich die volle Vase und ging nach unten. Auf halbem Weg auf der Treppe traf ich die Haushälterin, die mir helfend entgegeneilte. „Was ist passiert?“

„Er will neue Rosen“, sagte ich atemlos. „Er sagt, er hasst es zu sehen wie sie verwelken.“

Die Frau sah gen Himmel. „Jeden Tag eine andere Laune“.

Wir trugen die Vase in die Küche, und dann ging sie um frische Rosen zu holen, rote natürlich. Ich sackte in einen Stuhl, als ob die unheimliche Atmosphäre des Hauses mich angesteckt hatte. Es gelang mir nicht, den Traum dieser Nacht aus meinem Kopf zu verdrängen, zum einen, weil er der erste in meinem Leben war und ich die Gänsehaut, die diese Entdeckung mit sich brachte, noch nicht überwunden hatte, und zum anderen, weil er so lebensecht gewesen war, so schmerzhaft lebensecht. Der Klang der Uhr erschreckte mich. Er war so schrecklich, dass ich ihn sogar in meinem Traum vernahm. Vielleicht war es genau dieses Detail, das alles so wirklich machte.

Unaufhaltsam und hilflos schossen mir Tränen in die Augen. Ein Schluchzen entkam meiner Kehle, das selbst meine notorische Selbstkontrolle überwand. In diesem Zustand fand mich die Haushälterin, als sie zurück in die Küche kam. „Hier sind die frischen Rosen für unseren Herrn und Meister“, sagte sie fröhlich. Dann bemerkte sie meine Tränen und griff sich an die Brust. „Miss Bruno! Was ist passiert? Fühlen Sie sich nicht gut? Es wird doch nicht wegen der Schelte von Mr. Mc Laine sein? Er ist ein Schelm, störrisch wie ein Esel, und doch, wenn er sich daran erinnert, kann er auch liebenswert sein ... Machen Sie sich keine Sorgen, egal was er Ihnen gesagt haben mag, er hat es bereits vergessen.“

„Genau das ist das Problem“, sagte ich mit Tränen in den Augen,

aber sie hörte mich schon nicht mehr, da sie selbst wieder eifrig losschwatzte.

„Ich mache Ihnen einen Tee, der wird Ihnen gut tun. Ich erinnere mich daran, dass einmal in dem Haus, wo ich vorher gearbeitet habe ... "

Schweigsam ertrug ich ihr Geschwätz und schätzte ihren, wenn auch gescheiterten, Versuch, mich abzulenken. Ich nippte an dem heißen Getränk und gab vor, mich besser zu fühlen, und lehnte ihr Angebot mir zu helfen freundlich ab. Die Rosen hätte ich nach oben gebracht. Die Frau bestand jedoch darauf, mich zumindest bis zum Treppenabsatz zu begleiten, und ihrer freundlichen Haltung gegenüber, wagte ich es nicht abzulehnen. Als ich in das Arbeitszimmer zurückkehrte, war ich wieder die übliche Melisande, die Augen getrocknet, mit ruhigem Herzen und gefasster Stimmung.

Die Stunden vergingen schwer wie Blei, in einer Stille, die so schwarz wie meine Stimmung war. Mc Laine ignoriert mich die ganze Zeit über und wendete sich nur an mich, wenn er es absolut nicht vermeiden konnte. Der krampfhafte Wunsch, dass endlich die Dämmerung kommen sollte, glich dem am Morgen, als ich mir sehnlichst wünschte, ihn wiederzusehen. Waren tatsächlich nur wenige Stunden in der Zwischenzeit vergangen?

„Sie können gehen, Miss Bruno“ verabschiedete er mich ohne mir in die Augen zu sehen.

Ich wünsche ihm einfach einen guten Abend, genauso respektvoll und kühl wie er.

Auf seinen Wunsch hin suchte ich nach Kyle als ich ein Schluchzen hörte, das aus dem Raum unter der Treppe kam. Ich riss die Augen auf und hatte keine Ahnung, was zu tun war. Nach langem Zögern, erreichte ich die Ursache des Geräusches, und was ich da sah, erstaunte mich sehr.

Mit dem Gesicht im Halbdunkeln, einem undeutlichen Profil, das vernehmlich die Nase hochzog, erkannte ich Kyle. Der Mann hatte ein Papiertaschentuch in der Hand geballt und schien nur eine blasse Kopie des Möchtegernplayboys die letzten Tage zu sein. Ich starrte ihn voller Erstaunen einfach an, denn mir fehlten die Worte.

Er nahm mich plötzlich wahr und trat einen Schritt hervor. „Und, tu‘ ich dir leid? Oder willst du dich über mich lustig machen?“

Ich fühlte mich wie in Voyeur, der auf frischer Tat ertappt wurde. Ich verdrängte die dringende Versuchung, mich zu rechtfertigen.

„Mr. Mc Laine sucht nach dir. Er möchte zum Abendessen in sein Zimmer. Aber…. Bist du in Ordnung? Kann ich etwas für dich tun?“

Seine Wangen waren mit dunklen Flecken bedeckt, und ich spürte, dass er wohl aus Verlegenheit errötete.

Ich trat einen Schritt zurück, auch im übertragenden Sinne. „Nein, sorry, vergiss, was ich gesagt habe. Alles, was ich tue, ist mich in die Angelegenheiten der Anderen einzumischen.“

Er schüttelte den Kopf, ungewöhnlich galant. „Du bist zu entzückend, um überzeugend einen Naseweis abzugeben, Melisande. Nein, ich ... Ich bin nur über die Scheidung verärgert.“ Erst dann erkannte ich, dass er nicht ein Taschentuch in der Hand hatte, sondern ein zerknülltes Blatt Papier. „Es ist vorbei. Alle meine Versuche, den Bruch zu kitten, sind gescheitert.“

Für einen Moment musste ich fast lachen. Versuche? Und wie sahen die aus? Obszöne Vorschläge an die einzige junge Frau weit und breit?

„Es tut mir leid“, sagte ich voller Unbehagen.

„Mir auch.“ Er trat einen weiteren Schritt vor und trat aus dem Schatten. Sein Gesicht war tränenüberströmt, was die schlechte Meinung, die ich mir von ihm gemacht hatte, dementierte.

Ich blieb stehen und sah ihn verlegen an. Was sagen Knigges Anstandsregeln über Personen, die gerade eine Scheidung durchleben? Wie sind sie zu trösten? Was soll man sagen, ohne dass man sie verletzt? Ach ja, zu Zeiten des Freiherrn von Knigge gab es noch keine offiziellen Scheidungen.

„Ich werde Herrn Mc Laine sagen, dass es dir nicht gut geht“, sagte ich.

Er schien in Panik zu geraten. »Nein, nein! Ich bin noch nicht reif für die zivilisierte Welt, und ich fürchte, dass Mc Laine nur eine passende Gelegenheit wartet, um mich für immer von Midnight Rose zu verjagen. Nein, ich brauch nur ein bisschen Zeit, um mich zu fassen und dann komme ich.“

„Dich zu fassen, klar doch“, wiederholte ich ohne jede Überzeugung. Kyle sah wirklich schrecklich aus, zerzauste Haare, das Gesicht von Tränen gerötet, die weiße Uniform zerknittert, als ob er in ihr geschlafen hätte.

„Wie du meinst. Also dann, gute Nacht“, verabschiedete ich ihn. Ich wollte mich nur noch so schnell wie möglich in mein Zimmer zurückziehen. Es war ein langer Tag gewesen, schrecklich lange, und ich war nicht in der Stimmung jemanden zu trösten, höchstens mich selbst.

Er nickte mir zu, als ob er seiner eigenen Stimme nicht traute.

Ich machte einen Abstecher in die Küche, bevor ich nach oben ging. Mir war nicht nach Abendessen und es war meine Pflicht, die nette Mrs. Millian darüber zu informieren. Sie empfang mich mit einem strahlenden Lächeln und deutete auf Topf auf dem Herd. „Ich koche Suppe. Ich weiß, es ist warm, aber wir können uns ja nicht bis September nur von Salat ernähren.“

Schuldgefühle überkamen mich. Feig änderte ich meine Antwort, die mir bereits auf der Zunge lag. „Ich liebe Suppe, ganz egal, ob warm oder nicht.“

Bevor sie zu plappern begann, erzählte ich ihr von Kyle, ließ allerdings die peinlichsten Details außen vor.

„Es scheint wirklich sehr verärgert über seine Scheidung zu sein“, stellte ich fest, während ich am Tisch Platz nahm.

Sie nickte und rührte weiterhin in der Suppe. „Die Beziehung war zum Scheitern verurteilt. Seine Frau zog vor Monaten nach Edinburgh und es wird gemunkelt, dass sie bereits einen Anderen hat. Sie wissen schon, was böse Zungen so sagen... Er ist sicherlich auch kein Heiliger, aber er ist mit dieser Gegend hier verbunden und wollte das Dorf nicht verlassen.“

Ich nahm den Krug und schenkte mir ein Glas Wasser ein. „Ist das der Grund, warum er nicht von hier weg will?“

Die Haushälterin schöpfte die Suppe in die Teller, und ich fing sofort an gierig zu essen. Ich war hungriger, als ich dachte.

„Kyle tut nichts anderes als ständig rumzumäkeln, dass er von diesem Ort, von dem Haus, von Mr. Mc Laine ordentlich die Nase voll hat, aber vom Weggehen sieht er wohlweislich ab. Wer sonst würde ihm eine Anstellung geben?“

Ich starrte sie über den Tellerrand hinweg neugierig an. „Ist er nicht ein qualifizierter Krankenpfleger?“

Die Mc Millian brach ein Brötchen akribisch in zwei Teile. „Das ist er schon, sicherlich, aber er ist mittelmäßig und faul. Sie können sicherlich nicht sagen, dass er sich hier zu Tode arbeitet. Und oft riecht er nach Alkohol. Damit meine ich nicht, dass er ein Trunkenbold sei, aber ...“ Ihre Stimme ließ ihre Ablehnung deutlich werden.

„Ich liebe dieses Haus“, sagte ich, ohne nachzudenken.

Die Frau war verblüfft. „Wirklich, Miss Bruno?“

Ich senkte meinen Blick auf den Teller, meine Wangen brannten. „Ich fühle mich hier zu Hause“, erklärte ich. Und ich erkannte, dass ich die Wahrheit sagte. Trotz der launischen Höhen und Tiefen meines faszinierenden Schriftstellers fühlte ich mich in diesen Wänden wohl, weit weg von dem erdrückendem Leid meiner Vergangenheit.

Die Mc Millian begann erneut los zu plappern, und erleichtert aß ich den Rest meiner Suppe. Mein Verstand lief zweigleisig und uneben, und das Ziel blieb immer, unvermeidlich, Sebastian Mc Laine. Ich war hin- und hergerissen zwischen dem unbändigen Drang wieder von ihm zu träumen, und dem Wunsch die Illusionen einfach hinter mir zu lassen.

Ein paar Minuten später, spähte Kyle herein, grimmiger als je zuvor. „Ich hasse Mc Laine von ganzem Herzen“, sagte er.

Die Haushälterin unterbrach ihren Satz, um ihn zu rügen. „Schämen Sie sich, schlecht von dem zu reden, der Ihnen zu essen gibt.“

„Es ist besser vor Hunger zu sterben, als mit ihm zu tun zu haben“, war seine wütende Antwort. Die Bitterkeit in seiner Stimme ließ mich erschaudern. Er war kein treuer Diener, das hatte ich schon erkannt, aber sein Hass war fast fühlbar.

Kyle öffnete den Kühlschrank und nahm sich zwei Dosen Bier. „Gute Nacht, meine sehr verehrten Damen. Ich gehe auf mein Zimmer und feiere meine Scheidung.“ Ein nervöses Zucken ließ seinen rechten Augenwinkel tanzen.

Die Haushälterin und ich schauten uns schweigend an, bis er den Raum verlassen hatte.

„Das war wirklich sehr taktlos gewesen so von dem armen Mr. Mc Laine zu sprechen“, waren ihre ersten Worte. Dann schaute sie mich finster an. „Glauben sie, dass er sich umbringen will?“

Ich lachte los, bevor ich mich zurückhalten konnte. „Er scheint mir nicht gerade der Typ dazu zu sein“ beruhigte ich sie.

„Das ist wahr! Er ist zu oberflächlich, um tiefere Gefühle für jemanden zu hegen“, sagte sie mit Abscheu. Die Sorge um Kyle löste sich auf wie Tau in der Sonne, und sie ging dazu aufzulisten, warum es ihrer Meinung nach besser ist auf dem Land statt in der Stadt zu leben.

Ich half ihr das Geschirr abzuwaschen, und wir zogen uns auf unsere Zimmer zurück. Ich im ersten Stock und sie in einem Raum direkt neben der Küche im Erdgeschoss.

Ich wälzte mich hin und her und es dauerte ziemlich lange bis einschlief, dann fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Am Morgen fühlten sich meine Wangen von den Tränen gehärtet an, die ich nicht erinnerte in der Nacht vergossen zu haben.

In dieser Nacht träumte ich nicht von Sebastian.

Am nächsten Tag war Dienstag und Mc Laine war schon am frühen Morgen verärgert.

„Heute, pünktlich wie die Maurer, wird McIntosh hier antanzen“, sagte er düster. „Ich kann ihn nicht davon abbringen hier zu erscheinen. Ich habe alles versucht. Ich hab ihm gedroht, ich hab ihn gebeten. Es scheint als würde keiner meiner Versuche zu ihm durchdringen. Der ist noch schlimmer als ein Geier.“

„Vielleicht will er ja nur sicherstellen, dass es Ihnen gut geht“, sagte ich, eigentlich nur um überhaupt etwas zu sagen.

Er haftete seinen Blick auf meine Augen, dann brach er in schallendes Gelächter aus. „Melisande Bruno, du bist eine ... Der liebe McIntosh kommt, weil er es für seine Pflicht hält, nicht weil er eine besondere Zuneigung für mich empfindet.“

„Pflicht? Ich verstehe nicht ... Meiner Meinung nach ist seine alleinige Absicht, Sie zu untersuchen. Er muss ein gewisses Interesse daran haben“, sagte ich hartnäckig.

Mc Laine verzog das Gesicht. „Meine liebe ... Du wirst doch nicht eine von denen sein, die so naiv sind zu glauben, dass alles ist, wie es scheint? Es ist nicht alles schwarz oder weiß, es gibt es auch grau, nur um eine von vielen zu nennen.“

Ich antwortete nicht, was sollte ich sagen? Dass er die Wahrheit über mich erfahren hat? Dass es für mich wirklich nichts anderes als weiß und schwarz gibt, und zwar so viel, dass es einem schlecht davon wird.

„McIntosh hat Schuldgefühle wegen des Unfalls und denkt mit seinen regelmäßigen Besuchen würde er somit Buβe tun, auch wenn mir das nicht gefällt“, fügte er hämisch hinzu.

„Schuldgefühle?“ wiederholte ich. „Inwiefern?“

Ein Blitz erleuchtete das Fenster hinter ihm, gefolgt von tosendem Donner. Er sah sich nicht um, als ob er seine Augen nicht von den Meinen lösen könnte.

„Da zeichnet sich sintflutartiger Regen ab. Vielleicht wird dies McIntosh davon abhalten, heute zu kommen.“

„Das bezweifle ich. Das ist nur ein Sommergewitter. Eine Stunde und alles ist vorbei“, sagte er pragmatisch.

Er sah mich mit einem so intensiven Blick an, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Er war ein seltsamer Mann, aber mit so viel Ausstrahlung, die alle anderen Fehler in den Schatten stellen.

„Möchten Sie, dass ich die restlichen Regale aufräume?“ fragte ich nervös, um seinem festen Blick zu entkommen.

„Hast du letzte Nacht gut geschlafen, Melisande?“

Die Frage überraschte mich. Er sprach mit einem lockeren Ton, in dem allerdings eine gewisse Dringlichkeit lag, die mir eine ehrliche Antwort abforderte.

„Nicht besonders“.

„Keine Träume?“ Seine Stimme war hell und klar wie das Wasser eines ruhigen Flusses und ich ließ mich von dem erfrischenden Strom mitreißen.

„Nein, heute Nacht nicht.“

„Wolltest du träumen?“

„Ja“, antwortete ich beschwingt. Unser Gespräch war surreal, aber ich war bereit, es unendlich weiterzuführen.

„Vielleicht wird es wieder geschehen. Die Stille dieses Ortes ist ideal, um sich in Träume zu schaukeln“, sagte er kühl. Er wendete sich wieder seinem Computer zu und hatte mich schon vergessen.

Phantastisch, dachte ich mir und fühlte mich gedemütigt. Er hatte mir, wie einem Hund, einen Knochen zugeworfen, und ich war so dumm gewesen, ihn sofort zu ergreifen, als wenn verhungern müsste. Und ich war wirklich hungrig. Hungrig nach unseren Blicken, nach unseren intensiven Verständnis, nach seinen unerwarteten Lächeln.

Ich beugte mich wieder über meine Arbeit. In diesem Moment dachte ich an Monique. Sie verstand es Männern den Kopf zu verdrehen, sie in einem Netz aus Lügen und Träumen zu fangen, ihre Aufmerksamkeit mit vollendetem Geschick zu gewinnen. Ich hatte sie einmal gefragt, wie sie die Kunst der Verführung gelernt hätte. Zuerst antwortete sie. „Das kann man nicht lernen, Melisande. Oder man hat’s oder man kann nur davon träumen.“ Dann drehte sie sich zu mir um und ihr Gesichtsausdruck war etwas weicher geworden. „Wenn du erst mal in mein Alter kommst, dann wirst du schon wissen, was zu tun ist, du wirst schon sehen.“

Jetzt war ich dem besagten Alter, und ich stand noch schlechter da als zuvor. Meine männlichen Bekanntschaften waren immer sporadisch und von kurzer Dauer gewesen. Jeder Mann präsentierte mir immer die gleichen Fragen: Wie heißt du? Was arbeitest du? Was für ein Auto hast du? Sobald sie erfuhren, dass ich keinen Führerschein besaß, beobachteten sie mich wie ein seltenes Tier, als ob ich an einer schrecklichen ansteckenden Krankheit leiden würde. Und ganz bestimmt legte ich gewisse Vertraulichkeiten nicht auf den Tisch.

Ich strich mit der Hand über den Einband eines Buches. Es war eine kostbare Ausgabe aus marokkanischem Leder von Jane Austens ‚Stolz und Vorurteil‘.

„Ich wette, dass ist dein Lieblingsbuch.“

Ich hob schnell den Kopf. Mc Laine beobachtete mich mit halbgeschlossenen Lidern, ein gefährliches Blitzen inmitten des schwarzen Meers.

„Nein“, sagte ich, und ordnete das Buch ins Regal. „Es gefällt mir, aber es ist nicht mein Favorit.“

„Dann ist es ‚Stürmische Höhen‘.“ Er schenkte mir ein unerwartetes atemberaubendes Lächeln.

Mein Herz machte einen Sprung, und um ein Haar wäre ich fast ins Leere gefallen. „Auch nicht“, sagte ich und stellte mit Freude fest, dass meine Stimme fest und sicher klang.

„Das geht nicht unbedingt gut aus. Wie ich schon sagte, ich liebe Geschichten mit Happy End.“

Er drehte den Rollstuhl, und stellte sich damit mit andachtsvoller Miene nur wenige Schritte von mir entfernt. „‘Überredung‘, auch von Austen. Es geht bestens aus, das kann man nicht leugnen.“ Er versuchte es nicht einmal, das Vergnügen zu verbergen, und auch ich war leidenschaftlich dabei.

„Ich gebe zu, es ist nett, aber immer noch weit entfernt. Das Buch lebt vom Warten und ich bin alles andere als gut im Warten. Zu ungeduldig. Ich würde vorher aufgeben oder meinen Wunsch ändern.“

Jetzt war meine Stimme etwas frivol. Ohne dass ich es merkte, war ich tatsächlich dabei mit ihm zu flirten.

„Jane Eyre“.

Er hatte nicht mit meinem Lachen gerechnet und schaute mich weiterhin verblüfft an.

Es dauerte einige Minuten, bevor ich ihm antworten konnte. „Endlich! Ich dachte schon, sie würden nie darauf kommen ...“

Der Schatten eines Lächelns huschte über sein finsteres Gesicht „Da hätte ich sofort darauf kommen müssen. Eine Heldin mit trauriger und einsamer Vorgeschichte, ein Mann mit leidvoller Vergangenheit, ein Happy End nach tausend Nöten. Romantisch. Leidenschaftlich. Realistisch.“ Jetzt lächelte auch sein Mund, ebenso wie die Augen. „Melisande Bruno, bist du dir bewusst, dass du dich in mich verlieben könntest, so wie Jane Eyre in Mr. Rochester, der ganz zufällig auch noch ihr Arbeitgeber ist?“

„Sie sind nicht Mr. Rochester“, sagte ich leise.

„Ich bin genauso launisch wie er“ wendete er mit einem halben Lächeln ein und ich konnte nichts anderes tun, als zurückzulächeln.

„Das ist wahr. Aber ich bin nicht Jane Eyre“.

„Auch wahr. Sie war blass, hässlich, bedeutungslos“, sagte er schleppend. „Niemand, der bei klarem Verstand ist und Augen im Kopf hat, könnte das von dir sagen. Dein rotes Haar kann man schon von weitem sehen“.

„Das scheint mit nicht gerade ein Kompliment zu sein ...“, beklagte ich mich scherzhaft.

„Wer sich von den anderen abhebt, egal auf welche Weise, ist nie hässlich, Melisande“, sagte er sanft.

„Dann bedanke ich mich freundlichst.“

Er grinste. „Von wem hast du diese Haare, Miss Bruno? Von deinen Eltern italienischer Herkunft? "

Die Erwähnung meiner Familie legte einen trüben Schleier auf das Glücksgefühl des Augenblicks. Ich löste meinen Blick von ihm und begann wieder die Bücher in die Regale einzuordnen.

„Meine Großmutter hatte rote Haare, hat man mir erzählt. Meine Eltern nicht und auch nicht meine Schwester.“

Er kam mit dem Rollstuhl neben meinen Beinen zum Stehen, die durch die Mühe die Bücher einzuordnen, gedehnt waren. Auf diese geringe Entfernung konnte ich seinen zarten Duft einatmen. Eine geheimnisvolle und verführerische Mischung aus Blumen und Gewürzen.

„Und was macht eine zierliche Sekretärin mit roten Haaren und italienischen Vorfahren in einem abgelegenen schottischen Dorf?“

„Mein Vater emigrierte, um seine Frau und Tochter zu ernähren. Ich wurde in Belgien geboren.“ Ich versuchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, das Thema zu wechseln, aber das war nicht einfach. Seine Nähe verwirrte meine Gedanken, verknotete sie in einem Knäuel, das nur schwer zu entwirren war.

„Von Belgien nach London und dann nach Schottland. Und das mit nur zweiundzwanzig Jahren. Du musst zugeben, dass das zumindest außergewöhnlich ist.“

„Lust, die Welt kennenzulernen“, sagte ich zurückhaltend.

Ich schaute zu ihm. Die Runzeln auf seiner Stirn verschwanden wie Schnee in der Sonne und machten einer gesunden Neugier Platz. Es gab keine Möglichkeit ihn abzulenken. Draußen tobte ein heftiger Sturm und ein ähnlicher Kampf fand in meinem Inneren statt. Mit ihm zu sprechen war normal, spontan, befreiend, aber ich konnte nicht, ich durfte nicht hemmungslos reden, sonst würde ich es bereuen.

„Lust, die Welt kennenzulernen und um dann in dieser abgelegenen Ecke der Welt zu landen?“ Sein Ton war deutlich mit Skepsis durchsetzt. „Du musst mir keine Lügen auftischen, Melisande Bruno. Ich richte dich nicht, auch wenn es so scheinen mag.“

Etwas in meinem Innern zerbrach in Stücke und gab Erinnerungen frei, die ich für immer begraben glaubte. Nur einmal hatte ich jemandem vertraut und das hatte ein schlechtes Ende. Nur das Schicksal hatte eine Tragödie verhindert. Meine Tragödie.

„Ich lüge nicht. Auch hier kann man etwas über die Welt lernen“, sagte ich lächelnd. „Ich bin noch nie in den Highlands gewesen. Und außerdem bin ich noch jung, und kann immer noch reisen, anschauen und neue Orte entdecken.“

„Und so schlägst du also vor, abzureisen“. Seine Stimme war hatte nun einen heiseren Ton.

Ich drehte mich zu ihm. Ein Schatten hatte sich auf sein Gesicht gelegt. Er hatte etwas Verzweifeltes, Wütendes, Gieriges an sich in diesem Moment.

Mir fehlten die Worte und starrte ihn einfach an.

Er machte eine schnelle Drehung mit dem Rollstuhl und bewegte sich in Richtung Schreibtisch. „Keine Sorge. Wenn du weiterhin so faul bist, schicke ich dich höchstpersönlich weg und dann kannst du deine Weltreise fortsetzen.“

Seine harten Worte trafen mich fast wie ein Eimer Eiswasser, der auf mich geworfen wurde. Er hielt vor dem Fenster, beide Hände krallten sich an den Rollstuhl, die Schulter war stocksteif.

„Sie hatten Recht. Der Sturm ist bereits vorbei. Es gibt also keine Möglichkeit, McIntosh heute zu meiden. Es scheint, dass ich immer alles falsch machte.“

„Oh, schau, ein Regenbogen“. Er rief mich, ohne sich umzudrehen. „Kommen Sie her und sehen Sie selbst, Miss Bruno. Ist es nicht ein faszinierendes Schauspiel? Ich bezweifle, dass Sie schon einmal einen gesehen haben.“

„Doch, ich habe schon mal einen gesehen“, konterte ich und blieb bewegungslos. Ein Regenbogen war das grausame Symbol dessen, was mir zeitlebens verweigert wurde. Die Wahrnehmung von Farben, ihr wunderbares Zusammenspiel, ihr archaisches Geheimnis.

Meine Stimme war so zerbrechlich wie eine Eisschicht, meine Schultern noch steifer als seine.

Er hatte erneut eine Mauer zwischen uns errichtet, hoch und unüberwindbar. Eine uneinnehmbare Festung.

Oder vielleicht war ich diejenige, die es dieses Mal zuerst getan hat.

Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen

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