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Laws und ich unterhielten uns noch eine Zeitlang. Ich versuchte, so viel Informationen zu erhalten wie möglich, und er gab sein Bestes, diesem Wunsch entgegenzukommen. Aber er konnte dem, was er schon gesagt hatte, nicht wirklich viel hinzufügen, und wir merkten bald, dass wir uns im Kreis bewegten.

Als ich aufstand und mich verabschieden wollte, bestand er darauf, mich persönlich durch die Bibliothek zu führen und mir einige ihrer Schätze zu zeigen. Ich bekam die Gelegenheit, mir eine der Gutenberg-Bibeln anzusehen, danach die Zweitausgabe des ersten in England gedruckten Buches aus dem Jahr 1477, The Dictes and Sayenges of the Phylosophers, und das einzige bekannte Widmungsexemplar von Poes The Murders in the Rue Morgue, das ich ziemlich beeindruckend fand.

Außerdem studierte ich aufmerksam die vorhandene Ausgabe der Historia Naturalis von Plinius. Es war ein dicker, schwerer Foliant, fast fünfzig Zentimeter hoch und mit einem Umfang von vielleicht siebenhundert Seiten. In Holz, vermutlich Eiche, gebunden und mit geprägtem Leder bezogen.

Ich wandte mich an Laws. »Sie haben gesagt, das gestohlene Exemplar war auf Pergament gedruckt?«

Er nickte. »Ja, und zwar als Einziges. Das erhöht nicht nur seinen Wert enorm, sondern auch das Gewicht. Es dürfte etwa fünfzehn Kilo wiegen.«

»Schwierig zu fälschen, oder?«

»Zu fälschen?«

»Eine Kopie anzufertigen«, sagte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Praktisch unmöglich, aber ausschließen kann man nichts. In letzter Zeit sind einige großartige Fälschungen aufgetaucht, eigentlich selbst schon Kunstwerke. Allerdings handelte es sich größtenteils um Fälschungen von Dokumenten und nicht von Büchern. Aber die Fälschung solch eines Buchs würde unfassbar große technische Probleme bereiten. Allein um das Pergament herzustellen und chemisch altern zu lassen, bräuchte es einen Meister. Mindestens ebenso große, wenn nicht sogar unüberwindliche Schwierigkeiten dürfte der Einband bereiten. Aber noch einmal, ich mag mich täuschen.«

»Und dann noch in einer einzigen Woche oder von mir aus zehn Tagen?«

»Ganz einfach unmöglich!«

Ich dankte ihm nochmals für seine höflichen Bemühungen und versprach, ihn auf dem Laufenden zu halten. Dann schüttelte ich ihm die Hand, weil er diese Höflichkeitsgeste zu erwarten schien, und verließ das Gebäude, um ein Taxi zu suchen, das mich ins Hotel zurückbringen würde.

Natürlich gab es keine Taxis. Es war nämlich kurz nach halb fünf, und die Regierungsbeamten strömten aus der Bibliothek, dem Kapitol, dem Senat und den anderen Kongressgebäuden, und außerdem hatte es begonnen zu schneien.

Washington hat sich immer noch nicht entschieden, wie es am besten auf Schnee reagiert. Schneit es richtig stark, schließen die Behörden und die Schulen, jeder geht nach Hause und wartet darauf, dass der Schnee schmilzt. Es schneite jetzt schon heftig; große, fette, dicke, nasse Flocken, die auf allem liegen blieben, was sie trafen. Mir kam es so vor, als würde es noch ewig so weitergehen und die Stadt könnte sich vor dem Muttertag nicht freischaufeln.

Dennoch gab ich die Hoffnung auf ein Taxi nicht auf. Die einzige Alternative wäre ein zweieinhalb Kilometer langer Fußmarsch zum Hotel gewesen. Meine Überlegung war, dass ich mich angesichts der Wahrscheinlichkeit einer Lungenentzündung nicht noch unnötig verausgaben sollte. Also stellte ich mich an die Kreuzung First und Independence Southeast, schrie, wedelte mit den Armen und pfiff ins Leere. Als Reaktion erhielt ich einige amüsierte Blicke sowie das süffisante Lächeln der Pendler auf dem Weg nach Hause, bekam aber kein Taxi.

Ich wollte gerade aufgeben, als ein schwarzer Plymouth die Sirene in Betrieb nahm, einige Wagen zur Seite scheuchte und sich an den Bordstein schob. Die Beifahrertür öffnete sich, und eine Stimme sagte: »Steigen Sie ein, St. Ives. Sie sind ein lächerlicher Anblick!«

Ich klopfte mir ein bisschen Schnee ab, stieg schnell ein und sagte: »Sie hatten doch versprochen, diesmal pünktlich zu sein.«

»Immer noch der alte Witzbold«, sagte der Mann hinter dem Steuer und ließ die Sirene noch einmal grollen, um ein paar weitere Wagen zu vertreiben. Die Autos fielen zurück, und er zwängte den Plymouth in den stockenden Verkehr.

Der Fahrer hieß Herbert Fastnaught, und in den sechs oder sieben Jahren seit unserer letzten Begegnung hatte er seine Jugend verloren. Das gibt’s bei Polizisten. Sie werden alt über Nacht, und genau das schien Fastnaught widerfahren zu sein. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er ein jungenhafter, kaugummikauender Detective Sergeant mit rosigem Teint im Raubdezernat der Metropolitan Police gewesen. Jetzt kaute er an einer dicken, nicht angezündeten Zigarre, und die rosigen Wangen hingen schlaff herunter, während das lockige Blondhaar an den Seiten ergraut war und oben Lücken zeigte. Er sah aus wie fünfundvierzig, aber ich wusste, dass er nicht älter als siebenunddreißig sein konnte.

»Ich dachte, Sie wären im Madison«, sagte Fastnaught, während er nicht mich ansah, sondern auf die Stoßstange des Autos vor uns starrte. »Also hab ich da angerufen, aber die sagen, Sie hätten nicht eingecheckt, und da hab ich mir gesagt, das Hay Adams ist so was wie das zweitteuerste Hotel in der Stadt, und siehe da, Sie sind dort registriert, aber gerade nicht da. Also hab ich Laws angerufen, und der sagt, Sie wären gerade gegangen. Ich dachte, könnt’ ja sein, dass Sie kein Taxi kriegen können, und da find ich Sie, wie Sie mit den Armen fuchteln und albern aussehen.«

»Wie ich höre, haben Sie es zum Lieutenant gebracht«, sagte ich. »Gratuliere.«

»Danke. Sie haben sich kaum verändert.«

»Ich mache meine Übungen, versuche auf meine Ernährung zu achten und trinke viel Scotch«, sagte ich. »Das wirkt Wunder.«

»Dieses Buch, bei dem Sie vermitteln sollen.«

»Der Plinius.«

»Ja, das Plinius-Buch. Sie können mich zu einem Scotch auf Ihr Spesenkonto einladen, und wir reden ein bisschen darüber.«

»In Ordnung. Sind Sie noch beim Raubdezernat?«

»Nee, ich bin nicht mehr beim Raub.«

»Was ist aus Ihrem Partner geworden, diesem Demeter?«

»Demeter? Ja, der war kurz vor der Pensionierung, hatte noch drei Wochen vor sich, und dann ist er irgendwo rein, wo er nichts zu suchen hatte, ’ne Absteige Ecke 9th und T, und ein Typ schießt ihm die linke Schädelhälfte mit ’ner Schrotflinte weg, einfach so, und das drei Wochen vor dem Ruhestand.«

»Tut mir leid, das zu hören«, sagte ich.

»Tja. Seiner Frau auch.« Fastnaught holte ein Einwegfeuerzeug heraus und zündete sich damit die Zigarre an. Er blies den Rauch in Richtung Windschutzscheibe, sah mich noch immer nicht an, schaute weiter auf den Wagen vor uns. »Und Sie? Immer noch in New York?«

»Immer noch.«

»Sie haben doch nicht etwa wieder geheiratet?«

»Nein«, sagte ich.

»Hab ich mir gedacht. Aber ich hab geheiratet.«

»Ernsthaft? Gratuliere.«

»Bemühen Sie sich nicht«, sagte er. »So gut läuft’s nicht.«

Wir schienen keine weiteren Erinnerungen zu haben, die aufgefrischt werden mussten, also fuhren wir schweigend weiter, bis wir zum Hotel kamen. Dort nahmen wir die Bar im Untergeschoss, ziemlich klein und beaufsichtigt von einem älteren Barkeeper und einem Kellner, der dessen Onkel hätte sein können. Es waren nur zwei weitere Leute in der Bar, ein junger Mann und ein Mädchen, die aber nur einander wahrnahmen.

Wir bestellten beide Scotch und Wasser, und als der alte Mann uns die Drinks gebracht hatte, nahm Fastnaught einen großen, gierigen Schluck und dann gleich noch einen, als ob der erste nicht ganz das Erhoffte geleistet hätte.

»Ich trinke zu viel«, sagte er.

»Tun wir doch alle.«

»Nee, ich bin kurz vor der Abbruchkante. Ich weiß, wie das ist. Ich hab zu viele Jungs zur Kante kommen und dann abstürzen sehen. Ich weiß nicht, ob ich auch abstürzen werde oder nicht. Entweder passiert es oder nicht. Ich mach mir Sorgen darüber.«

»Trinken Sie was, was Sie nicht mögen«, sagte ich. »Wenn Sie Scotch mögen, wechseln Sie zu Roggenwhiskey oder Irischem.«

»Soll das helfen?«

»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Die Leute, die mir das erzählt haben, sind alle bei den Anonymen Alkoholikern.«

»Vielleicht mach ich das. Ganz aufhören.«

»Vielleicht.«

»Aber nicht jetzt«, sagte er und gab dem alten Kellner das Zeichen für eine neue Runde.

Als sie kam, nahm Fastnaught einen Schluck, zündete sich die erloschene Zigarre wieder an und blies den Rauch in die Luft. Ich sah, dass er den Zigarrenrauch inhalierte.

»Wie erwähnt«, sagte er, »bin ich nicht mehr beim Raub. Schon seit fünf Jahren nicht mehr. Ich war dann eine Weile beim Mord. Das war ziemlich interessant, aber jetzt bin ich im Verbindungsbüro zur Regierung. Eigentlich bin ich das Büro, ich und das Mädchen, das Telefon und Schreibmaschine bedient.«

»Ich glaube, ich gratuliere Ihnen nicht nochmal«, sagte ich.

»Nein. Lassen Sie’s. Wollen Sie wissen, was die Abteilung tut? Also, sie versucht, dafür zu sorgen, dass keiner erwischt wird, der nicht erwischt werden sollte, damit die Öffentlichkeit keinen Grund zur Aufregung hat. Toller Job für ’nen Erwachsenen, oder?«

»Haben Sie damit genug zu tun?«, sagte ich, weil ich das Gefühl hatte, ich sollte etwas sagen.

»In dieser Stadt gibt es so drei- bis viertausend Leute, mit denen man sich als normaler Bulle besser nicht anlegt. Da sind einmal die Kongressabgeordneten. Dann das Kabinett, die anderen hohen Tiere in der Regierung und das Diplomatische Korps. Und dann noch die Leute mit massig Knete, aber das ist wie in jeder anderen Stadt. Also, manchmal bauen solche Leute ’nen Unfall. Vielleicht saufen sie sich voll und fahren ihr Auto ins Reflexionsbecken, oder sie verprügeln ihre Frau oder Freundin ein bisschen, oder vielleicht lesen sie drüben an der 13th oder 14th Street ’ne Niggerhure auf und kriegen Krach mit ihrem Zuhälter. Mein Job ist es, so was glattzubügeln und es, wenn’s nicht zu schlimm ist, aus den Zeitungen und dem Fernsehen rauszuhalten.« Er nahm wieder einen großen Schluck von seinem Drink, und ein finsterer Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. »Ich hatte einige bemerkenswerte Misserfolge, könnte man sagen.«

»Ein paar fallen sogar mir ein«, sagte ich.

»Aber wissen Sie, womit ich die meiste Zeit verbringe?«

»Womit denn?«

»Ich lasse Parkzettel verschwinden.«

»Na ja, irgendwer muss das wohl tun.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich muss da raus. Ich muss da raus oder ich muss ganz aussteigen. Und das ist der Punkt, an dem Sie ins Spiel kommen, St. Ives.«

Ich schüttelte den Kopf. »Sie wissen doch, wie ich arbeite«, sagte ich.

»Ja, weiß ich. Sie bleiben im Vermittlungsgeschäft, weil Sie sich bei den Dieben einen Ruf aufgebaut haben. Die wissen, dass Sie halten, was Sie versprechen. Und die Bullen stört das nicht, weil Sie denen, wenn Sie fertig vermittelt haben, alles erzählen, was sie wissen wollen, und die Diebe stört das auch nicht, weil sie dann schon das Geld kassiert haben und in Mexiko oder sonstwo auf den Kopf hauen. Stimmt doch, oder?«

»So ungefähr.«

»Also, als dieses Buch geklaut wurde, hat das Präsidium mich kontaktiert, weil die Kongressbibliothek, wie ihr Name schon sagt, zum Kongress gehört und der Kongress so was möglichst nicht in der Zeitung lesen will, weil sonst andere auf ähnliche Gedanken kommen könnten.«

»Es ist nicht aus der Bibliothek gestohlen worden«, sagte ich. »Es ist gestohlen worden, als es die schon verlassen hatte.«

»Ja, weiß ich. Aber ich hab das beiseitegelassen, als ich im Hauptquartier gepokert hab.«

»Wie gepokert?«

»Ich hab denen erzählt, ich hätte schon mal mit Ihnen gearbeitet und wüsste, wie Sie vorgehen. Ich hab denen gesagt, dass sie mich Vollzeit darauf ansetzen sollen und ich mich an Sie hänge, und wenn Sie dann die Viertelmillion gezahlt und das Buch sicher und unbeschädigt zurückgekriegt haben, dann könnte ich eingreifen und den, der das Buch geklaut hat, einsacken, ehe er die Möglichkeit hat, das Geld auszugeben. Tja, sie haben nicht angebissen.«

»Schade.«

»Wissen Sie, vielleicht haben Sie’s sich schon gedacht, dass ich bei den Typen von der Indiana Avenue nicht viel zähle. Für die bin ich kein Dreck, für die bin ich Scheißdreck. Vielleicht bin ich selbst schuld, vielleicht auch nicht, aber ich weiß, dass ich einen großen Fisch an Land ziehen muss, etwas, bei dem die aufhorchen, wenn ich nicht den Rest meines Lebens damit verbringen will, Strafzettel verschwinden zu lassen. Entweder das, oder ich kündige, und kündigen will ich nicht, weil ich nicht weiß, was ich sonst machen soll.«

»Haben Sie jemals daran gedacht, in den Vertrieb zu gehen?«, sagte ich. »Sie könnten ein prima Verkäufer werden.«

»Sehr witzig. Jesses, Sie sind echt witzig, St. Ives, ich lach mich kaputt.«

»Irgendwas müssen Sie erreicht haben«, sagte ich. »Sonst säßen Sie nicht hier und würden mir das nicht alles erzählen.«

»Ja, hab ich. Vor ungefähr einem Jahr hab ich einem Senator aus der Patsche geholfen. Einer richtig schlimmen Patsche. Ohne meine Hilfe hätte Jack Anderson in acht- oder neunhundert Zeitungen über die Einzelheiten berichtet. Niemand weiß davon, außer mir, dem Senator und ein paar Typen, die ihm aber keine Schwierigkeiten mehr machen werden. Ich hab nie Meldung gemacht, wie es meine Pflicht gewesen wär’, und der Senator ist ziemlich dankbar, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Und deshalb hat er für Sie ein wenig Druck ausgeübt.«

»Genau. Er hat es so elegant angestellt, dass niemand gemerkt hat, dass er dahintersteckte. Heute Morgen haben sie mich angerufen und mir gesagt, sie hätten ihre Meinung geändert und ich sollte mich vielleicht doch mit Ihnen liaisonieren. ›Liaisonieren‹ ist aber eigentlich kein Wort, oder?«

»Ich glaub nicht.«

»Die benutzen das da dauernd, aber ich hab immer geglaubt, es ist das falsche Wort.«

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und sah ihn an. Der Scotch hatte seine Spuren im Gesicht hinterlassen und ihm eine glänzende, feuchte Röte verliehen. Er war über sein Glas gebeugt und hielt es mit beiden Händen fest. Die Zigarre war ihm zwischen den Fingern ausgegangen. Auf seiner Krawatte war ein nasser Fleck. Er sah müde aus, ziemlich alt und ein wenig verzweifelt.

»Was wollen Sie?«, sagte ich.

»Ich will den Dieb.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nicht von mir. Ich liefere niemanden aus, das wissen Sie.«

»Ihre Regeln. Wir spielen nach Ihren Regeln.«

»Meine Regeln verschaffen dem Dieb manchmal einen Vorsprung.«

»Lassen Sie das meine Sorge sein.«

»In Ordnung«, sagte ich. »Das werd ich tun.«

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