Читать книгу Kursänderung der C. C. - Roswitha Koert - Страница 7
ОглавлениеMartin Krawczyk massierte sich mit den Spitzen seiner Zeigefinger die Schläfen. Er hasste Elternsprechtage. Aber diesen würde er in einer halben Stunde überstanden habe. Eigentlich war alles ganz gut gelaufen. Er war ein beliebter Lehrer, besonders bei den Schülern. Bei den Eltern war das nicht so eindeutig, aber heute hatte er Glück gehabt. Keine Rechtfertigung seiner Unterrichtsmethoden, keine Mütter und Väter, die ihre Kinder ungerecht benotet sahen. Bisher. Draußen saß noch ein Vater und wartete auf die Audienz. Martin Krawczyk erhob sich, um den Mann hereinzuholen. Wer war das nur? Hatte er den schon mal gesehen?
»Richard Pahle«, stellte sich der große Mann, in tadellos sitzenden Anzug, unaufgefordert vor.
»Ich bin Martin Krawczyk, der Deutschlehrer ihres Sohnes Niklas«, antwortete Martin, dem jetzt klar war, wen er vor sich hatte.
Er kehrte zu seinem Schreibtisch zurück und deutete auf den Stuhl, den er davor aufgestellt hatte.
»Bitte setzen Sie sich, Herr Pahle.«
Richard Pahle nahm Platz, zog die Hosenbeine seiner Anzughose leicht hoch und schlug dann ein Bein über das andere.
»Gibt es einen Grund für Ihr Erscheinen? Also von meiner Seite aus nicht. Niklas ist ein sehr guter Schüler. Im Deutschunterricht ist es eine wahre Freude mit ihm, seine Zensuren sind weit über dem Durchschnitt.«
Herr Pahle setzte ein Lächeln auf, aber nicht dieses strahlend breite Lächeln, das Martin von Eltern kannte, die stolz auf ihre Kinder waren. Nein, dies war er ein hämisches Grinsen.
»Ja, Sie sind sehr zufrieden mit meinem Sohn, das habe ich auch so eingeschätzt. Niklas berichtete mir, dass Sie sogar eine poetische Begabung bei ihm festgestellt haben.«
»Ja, so ist es, Herr Pahle. Wir haben uns in der achten Klasse sowohl mit Texten des Barocks als auch mit zeitgenössischer Literatur beschäftigt. In beiden Fällen zeigte Niklas ein auffälliges Verständnis für das Zusammenwirken von Inhalt und Gestaltungsmitteln ...»
»Ja, ja, ja, aber deshalb brauchen Sie ihm doch nicht gleich derartige Flausen in den Kopf zu setzen.«
»Flausen, ich verstehe nicht …?«
»Jetzt will er plötzlich Schriftsteller oder Dichter werden, möchte Germanistik und Literatur studieren. Ich habe ganz andere Pläne mit ihm. Von denen will er plötzlich nichts mehr hören.«
»Ich hatte keine Ahnung, dass es eine Diskrepanz zwischen den Vorstellungen Ihres Sohnes und Ihren Plänen gibt«, erwiderte Martin steif.
»Schauen Sie, Herr Krawczyk, ich bin Inhaber der PM Metallfabrik GmbH in Berlin. Wir stellen Stromschienen, Drähte und Seile aus Kupfer und Aluminium für den gesamten Weltmarkt her. Unsere Produkte sind nicht nur in Europa stark gefragt, wir exportieren auch nach China, Japan und Indien.«
Richard Pahle machte eine Pause, wohl um die Wirkung seiner Worte auf Martin zu genießen.
»Diese Weltfirma wird mein Sohn Niklas einmal erben. Er ist mein einziges Kind. Ich habe ihn nicht umsonst das Canisius-Kolleg besuchen lassen. Ich habe mir vorgestellt, dass er in einer Schule im Diplomatenviertel, die umgeben ist von ausländischen Botschaften und Banken, optimal auf seine Rolle als Firmeninhaber vorbereitet wird.«
»Davon hatte ich keine Ahnung.« Martins Stimme klang leise. »Niklas hat darüber in der Schule nie gesprochen.«
»Er möchte natürlich nicht als Angeber dastehen, das ist doch klar. Ich hätte mir gewünscht, dass er eine Ingenieurslaufbahn einschlägt, an der TU in Berlin studiert und mich als technischer Leiter der PM GmbH unterstützt. Leider zeigte Niklas schon früh, dass ihm der technische Bereich nicht liegt. Also stellte ich mir als Alternative vor, dass er kaufmännischer Leiter meiner Firma wird, Chief Financial Officer oder Geschäftsführer. Zu diesem Zweck wäre ein BWL-Studium das Richtige. Aber nun will er Literatur studieren, weil sie eine musiche Begabung bei ihm sehen.« Richard Pahle hatte seine Krawatte gelockert und öffnete nun den oberen Hemdknopf. Sein Gesicht war rot angelaufen.
»Herr Pahle, ich verstehe sehr gut, dass Sie sich Sorgen um die Zukunft Ihres Sohnes machen.«
Martin wollte kooperativ klingen, fürchtete aber, dass er leicht zu durchschauen war. Sein Gedanke ›Der macht sich doch nur Sorgen um seine Firma‹ stand wahrscheinlich auf seiner Stirn geschrieben.
»Wichtig ist aber doch, dass Niklas in seinem Leben glücklich wird. Und schauen Sie, Ihr Sohn ist doch noch so jung. Lassen Sie ihm doch die Freude an der Literatur. Er kommt jetzt in die 9. Klasse. Er kann seine Meinung noch hundertmal ändern. Bis zum Studium sind es doch noch ein paar Jahre.«
»Da haben Sie Recht, Herr Krawczyk. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass man heutzutage die Weichen früh stellen muss. Und ich will nicht, dass Niklas in eine Richtung gelenkt wird, die seiner beruflichen Karriere im Wege steht oder sie gar zunichte macht.«
»Das verstehe ich sehr gut und ich versichere Ihnen, ich werde in Zukunft darauf achten, dass ich Ihren Sohn nicht unbewusst beeinflusse.«
»Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar. Wissen Sie, unter den Künstlern, Dichtern und Poeten gibt es doch auch so viele Schwule. Und ich möchte nicht, dass mein Sohn da irgendwie infiziert wird.«
Martin Krawczyk musste schlucken. »Ihre Sorge ist da völlig unbegründet...«
»Na, als vor zwei Jahren die Mißbrauchsfälle bekannt wurden, habe ich schon überlegt, meinen Sohn von dieser Schule zu nehmen.«
»Aber das ist alles vor vielen, vielen Jahren geschehen. Die betreffenden Lehrer sind längst nicht mehr hier, leben gar nicht mehr.«
»Ja, ich weiß, zwei Patres, diese Schweine. Wurde alles viel zu lange unter den Teppich gekehrt.«
»Aber unser Direktor hat 2010 für reinen Tisch gesorgt.«
»Ja, aber nur, weil die Berliner Morgenpost alles aufgedeckt hatte.«
»Herr Pahle, sie brauchen sich in dieser Richtung keine Sorgen um Ihren Sohn zu machen, das versichere ich Ihnen.«
»Ich weiß nicht, Herr Krawczyk. Ich habe ein Liebesgedicht von Niklas gelesen, bei dem ich mich ernsthaft gefragt habe, ob es nicht an einen Mann gerichtet war. Einen Mann mit blonden Locken.«
Martin spürte, wie sein Herz stolperte. Er war froh, dass er sein schulterlanges Haar heute morgen straff zu einem Zopf gebunden hatte. Er lachte etwas zu laut auf und antwortete dann: »Nein, nein Herr Pahle! Ich bin sicher, dass Niklas in eine Mitschülerin verliebt ist. Ich glaube, ich weiß auch, in wen.«
»Ja, dann hoffe ich mal, Sie haben recht.« Richard Pahle erhob sich und reichte Martin die Hand.
»Vielen Dank für die Unterredung und bitte handeln Sie in meinem Interesse.«
»Aber ganz bestimmt, Herr Pahle. Alles Gute für Sie, Ihren Sohn und ... Ihre Firma.«
»Danke, ach, eine Frage noch, Herr Krwaczyk, sind sie eigentlich verheiratet, haben Sie Familie, Kinder?«
»Nein, noch nicht Herr Pahle. Ich hoffe immer noch, dass irgendwann mal die Richtige kommt.«
Martin lachte gequält, als er Herrn Pahle hinausbegleitete.