Читать книгу Blickwinkel - die etwas andere Biografie - Roswitha Schreiner - Страница 10

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Für Lorenzo

E

erste Liebe

Ich sehe einen alten Mann über die Strasse laufen.

Sein Gang ist gebeugt, schwer und langsam.

Sein Kopf trägt kaum mehr Haare und ist leicht geneigt.

Wie alt mag er sein?

80 Jahre?

Oder sogar 90?

Er hat immer noch etwas verschmitztes im Gesicht.

So, als würde die Seele nicht altern,

nur der Körper.

Unweigerlich stelle ich mir die Frage:

wie Du, mein kleiner Sohn, mal sein wirst,

wenn Du,

hoffentlich gesund und noch klar im Geist,

solch ein Alter erreicht hast?

Meine Augen werden das nie sehen dürfen.

Und plötzlich gefriert mein Blut in den Adern.

Wie viele Jahrzehnte werde ich schon tot sein,

wenn Du eines Tages so alt bist?

Was wirst Du noch für Erinnerungen an mich haben?

Ich habe gelesen, dass Männer im Antlitz ihres Todes,

als letztes Bild, sich an ihre Mutter erinnern.

Weil wir Eure erste große Liebe sind!

Voller Ehrfurcht schließe ich die Augen

und bitte Gott, Dir eine bessere Mutter zu sein.

Eine, die Dich bei all dem Schabernack, den Du anstellst, weniger aufbrausend ausschimpft.

Eine, die Dich besser versteht. Ich bitte um die Kraft,

Dich gut ins Leben und in die Welt des Erwachsenseins zu begleiten.

Und aus Dir einen glücksfähigen Menschen zu machen.

Das ist doch das, was zählt.

Ich nehme Deinen Ranzen und schultere ihn,

um Dich zum Schulbus zu begleiten,

während Du mit dem Roller zur Haltestelle vorfährst.

Wir tauschen.

Du steigst ein und ich laufe mit Deinem Roller in der Hand, wieder heim.

Ein paar Sekunden später holt Dein Bus mich ein.

Ich sehe Dein kleines Gesicht hinter der Fensterscheibe des Busses.

Dein Blick sucht mich und Du winkst mir freudig zu, ungeachtet dessen, ob die großen Kinder über Dich lachen.

Ich winke zurück und drehe mich weg.

Tränen steigen in mir hoch.

Ich hoffe dieser, Deiner ersten Liebe, würdig zu sein.

Damals war ich jung und es betraf mich in

einer noch unschuldigen Schwärmerei.

Nun blicke ich auf meine Kinder

und denke daran, was damals passiert ist.

Heute, mit den Augen einer Mutter,

treibt es mich fast in den Wahnsinn.

Blickwinkel - die etwas andere Biografie

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