Читать книгу Blickwinkel - die etwas andere Biografie - Roswitha Schreiner - Страница 11

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Frankreich

Sie ist 14 Jahre alt und besucht das Französische Gymnasium. Wie jedes Jahr, werden die Sommerferien der Französischen Schule lang.

10 Wochen!

Einen Teil davon wird sie, wie immer, in der Normandie verbringen.

Bei ihrer Brieffreundin.

Sie haben sich als Austauschschüler drei Jahre zuvor kennengelernt.

Sie liebt die Normandie,

kurz vor der bretonischen Grenze.

Der Atlantik ist mächtig mit seinen Gezeiten,

zwischen Ärmelkanal und dem Mont-Saint-Michel.

Mittags gibt es Ferienküche,

meistens Beefsteak mit Salzchips

und zum „Goûter“, dem Snack gegen 16 Uhr,

Rice Krispies mit Zucker in Milch.

Abends aber wird französisch aufgetafelt.

3 Gänge.

Und zum Abschluss immer leckerer Käse.

Saint-Germain-sur-Ay Plage.

Je nach Gezeiten, kann man schwimmen oder Wattwanderungen machen.

Sie nimmt ihr braunes, aus Zweigen geflochtenes Deckel-Körbchen um den Hals und den Köcher.

Ihre Freundin ist im Haus geblieben.

Catherine übt lieber Klavierspielen für ihre Aufnahme am

Konservatorium in Rennes.

Sie stapft los mit dem Bruder und dem Vater ihrer Brieffreundin, die Nase gegen den Wind gestemmt.

Sie wandern an den Strand, um Crevetten zu fangen, die, vom Meer vergessen,

in den kleinen Suhlen hängen geblieben sind.

Die ersten grauen, glasigen, heuschreckenähnlichen Getiere, hat sie bereits in ihr Körbchen gestopft.

Sie riechen herrlich nach Meer.

In der Ferne winkt Bertram, der Nachbarsjunge.

Er möchte mit und bald hat er die Truppe eingeholt.

Er ist fasziniert von ihr, der kleinen „Bosch“,

wie die Franzosen die Deutschen nennen.

Das spürt sie ganz deutlich.

Auch wenn seine Eltern und Großeltern,

die im selben Haus zusammenleben,

sich ihr gegenüber eher reserviert verhalten.

Der Einmarsch der Nazis in die Normandie,

hat hier anhaltende Aversionen hinterlassen.

Sie findet den ein Jahr älteren, sommersprossigen,

wortkargen Jungen,

der einfach und geradlinig ist, eigentlich auch ganz süß.

Er ist so anders, als die Jungs aus ihrer Klasse in Berlin.

Zwei Tage später wollen alle schwimmen gehen.

Sie, Catherine und ihr Bruder.

Sogar Catherines Mutter geht mit an den Strand.

Die Gezeiten stehen günstig.

Als sie bei Bertram klopft, um ihn mit an den Strand zum Schwimmen einzuladen, bleibt er daheim.

Schade.

Wie gern hätte sie noch seine Nähe genossen.

Am nächsten Tag kommt er mit, aber will nicht ins Meer.

Bald versteht sie seine Schüchternheit.

Wie kann man am Meer leben und nicht schwimmen können?

Sie findet das unmöglich und gefährlich!

Es berührt sie, dass er nun jeden Tag mitkommt und am Strand auf ihrem Handtuch sitzend,

auf sie wartet.

Sie fühlt sich wie eine Königin,

sie weiß, dass er ihr die ganze Zeit zuschaut.

Bald hat sie ihn soweit.

Er verspricht ihr, schwimmen zu lernen.

Zu dumm, dass die 6 Wochen in der Normandie ausgerechnet jetzt zu Ende gehen müssen.

Morgen ist ihr letztes Mal, an den Strand zu gehen.

Als sie aus dem Wasser kommt und sich abtrocknet, fällt ein kleines Lederarmband mit einer bretonischen Aufschrift in Silberbuchstaben aus dem Handtuch.

Er schaut sie an und hält es ihr hin.

Sie greift danach und er zieht sie an sich und wagt einen Kuss.

Er schmeckt ganz salzig und sie versucht zu blinzeln.

Schweigend gehen sie zurück zum Haus ihrer Gasteltern.

Wieder in Berlin, trudelt von dem wortkargen Jungen der erste Brief ein

und er ist überhaupt nicht mehr so wortkarg,

wie sie ihn erlebt hat.

Er beschreibt seinen Alltag,

wie er sie vermisst,

seine Schule durchzieht

und am Nachmittag im Meer schwimmen übt.

Sie schreiben sich nun regelmäßig

und planen ihren nächsten Sommer voller Träume.

Und dann?

Funkstille.

Sie wundert sich.

Ihre Briefe bleiben unbeantwortet.

Bis zu dem Umschlag mit dem schwarzen Rand.

Sie kennt die Briefmarke, starrt auf den vertrauten Absender und versteht nicht, weshalb ihn jemand anderes geschrieben hat.

Verstört öffnet sie den Brief und überfliegt den Inhalt.

Es braucht Zeit, bis sie den Inhalt versteht.

Eine verzweifelte Mutter entschuldigt sich bei ihr,

dass sie so voller Vorurteile war,

dass sie alles darum geben würde, könne sie die Zeit noch einmal zurück drehen.

Sie habe ihre Briefe gefunden.

Und dass sie sich Vorwürfe macht, dass sie ihrem Sohn ein frisches Bett zurecht gemacht habe, als man ihn aus dem Meer zog.

Weil es doch im Volksglauben der Fischer heißt,

man bereite dann das Totenbett.

Warum hat sie es bloß getan?

Und nun sei er tot, ihr kleiner Sohn Bertram.

Die Ebbe hat ihn, als er beim Schwimmenüben war,

nicht mehr freigegeben.

Es ist die unbändige Lust am Schreiben,

gefolgt von der Versuchung,

sein Werk mit anderen zu teilen

und die Angst, zu viel preisgegeben zu haben.

Blickwinkel - die etwas andere Biografie

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