Читать книгу Seewölfe Paket 21 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 45
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ОглавлениеDennoch hatte er keinen Grund, jetzt noch niedergeschlagen oder gar verzweifelt zu sein. Immerhin hatte er sich bis hierher retten können. Die See hatte ihn nicht geholt, und er konnte recht zufrieden sein, wieder Boden unter den Füßen zu haben. Alles weitere würde sich ergeben. Er mußte versuchen, das Beste aus seiner Lage zu machen.
Erst jetzt untersuchte er seine Brust richtig, auf der sich ein gehöriger Bluterguß abzeichnete. Wenn er die Arme und den Oberkörper bewegte, schmerzte der Brustkasten immer noch. Wieder tastete er seine Brustrippen ab – und stöhnte auf. Es war immer noch da und hatte nicht nachgelassen, und auch das Atemholen bereitete ihm nach wie vor Qualen.
Was hätte der Kutscher in diesem Fall getan? Ja, er hatte einmal gesagt, man müsse den Brustkorb fest bandagieren, wenn die Rippen gebrochen oder angebrochen wären. Das war wichtig, weil die Rippen sich dann nicht mehr bewegen konnten und in relativ kurzer Zeit wieder heilten oder zusammenwuchsen.
Hasard untersuchte seine „Vorräte“ und entdeckte ein dünneres, knochentrockenes Stück Segeltuch. Es kostete ihn einige fast akrobatische Verrenkungen, aber er schaffte es, sich das Tuch fest um den Brustkorb zu wickeln. Auch den Knoten zu schlagen, war keine leichte Arbeit. Als er endlich damit fertig war, ließ er sich aufatmend zurücksinken und blieb für einige Zeit liegen.
Er zählte die Möwen, die über ihm kreisten, schloß die Augen und drohte einzuschlafen.
Nein, dachte er energisch, jetzt noch nicht. Er gab sich einen inneren Ruck und erhob sich wieder. Er verließ seinen Lagerplatz, kehrte zu dem Floß zurück, überprüfte noch einmal, ob es sicher lag, und unternahm dann eine erste Besichtigung der Insel.
Es stellte sich heraus, wie er es inzwischen nicht mehr anders erwartete, daß er auf diesem Stückchen Erde der einzige Mensch war. Es gab keine Eingeborenen und keine Piraten, die sich hier versteckt hielten. Aber auf der nördlichen Ostseite entdeckte er schließlich doch etwas, das ihn stutzen und verharren ließ.
Er stolperte fast über einen flachen, von Gras bedeckten Graben, in dem sich Wasser zu bewegen schien, schenkte ihm aber weiter keine Aufmerksamkeit. Sein Blick war auf das gerichtet, was sich draußen, im Wasser vor der Insel, befand.
Zwischen den Korallenriffs lag ein Schiffwrack, der Rumpf einer dreimastigen Galeone. Die Decks waren der See zugekehrt, die Masten richteten sich wie spitze Finger auf das Wasser. Zerbrechlich wirkte der Rumpf, als würde er jeden Moment zerfallen und ganz versinken.
Hasard setzte sich wieder in Bewegung und untersuchte den Strand. Auch auf dieser Seite der Insel war er unberührt und zeigte keine menschlichen Spuren, weder Fußabdrücke noch Feuerreste noch sonstige Relikte.
Vielleicht, dachte der Seewolf, ist es den Schiffbrüchigen gelungen, mit einem Boot die Insel zu verlassen. Sie sind nach Kuba gesegelt, wie die Überlebenden der beiden Kriegsgaleonen.
Morgen, so nahm er sich vor, schwimme ich zum Wrack und sehe nach, ob ich etwas finde, das ich gebrauchen kann.
Jetzt war er zu müde dazu. Er forschte noch den Rest des Eilandes ab, entdeckte aber außer ein paar Möweneiern nichts mehr, das sein Interesse erregte.
Er kehrte zu seinem improvisierten Lagerplatz zurück. Mit Hilfe des Segeltuches bereitete er sich eine Liegestatt, so gut es irgend ging, und deckte sich auch mit dem Tuch zu. Er sank in einen Tiefschlaf, aber als er hinüberglitt in die Sphäre der Ruhe, galt sein letzter Gedanke wieder den Freunden und seinen beiden Söhnen.
Sie kämpften, und er lag hier. Niemals hätte er für möglich gehalten, daß ihm so etwas widerfahren würde – und doch war es eingetreten.
Am Morgen des 26. Juli stand die Sonne längst über der Kimm, als Hasard aufwachte. Vorsichtig öffnete er die Augen, auf Überraschungen gefaßt. Gab es Besuch? Nein – weder Menschen noch wilde Tiere. Er richtete sich auf, gähnte und bewegte die Arme. Endlich fühlte er sich erfrischt, und er meinte auch, daß die Schmerzen im Brustkasten geringer geworden seien.
Sein Frühstück bestand aus der Milch und dem Fleisch der Kokosnuß, außerdem nahm er den rohen Inhalt eines Möweneies und einen winzigen Schluck Branntwein zu sich. Dann erinnerte er sich daran, daß er bei seinem Rundgang an der Ostseite der Insel eine Art Rinnsal überquert hatte. Er hatte es nicht weiter beachtet, weil ihm das Wrack der Galeone aufgefallen war. Jetzt aber kehrte er zu dem Rinnsal zurück und folgte seinem Verlauf ins Innere der Insel.
Tatsächlich fand er wenig später im Mangrovendschungel eine kleine Süßwasserquelle. Er beugte sich darüber, schöpfte das kühle, frische Naß mit beiden Händen und trank. Somit hatte er auch das Wasserproblem gelöst.
Seine nächste Untersuchung galt dem Wrack. Er verließ den Urwald, trat auf den Strand und spähte zu den Riffs hinüber, wo es in unveränderter Lage festgeklemmt war, etwa zweihundert Yards vom Ufer entfernt.
Die Steuerbordseite war nach Osten gekantet, der Bug wies nach Norden. Wäre das Wrack hundert Yards höher gewesen, hätte Hasard noch wagen können, hinüberzuschwimmen. So aber war das Unternehmen zu riskant – wegen der Haie. Bislang hatten sie ihn in Ruhe gelassen, und er befand jetzt, nach gründlicher Überlegung, daß es nicht ratsam war, das Schicksal herauszufordern.
Deshalb kehrte er zu seinem Landeplatz zurück, schob das Floß ins Wasser und wriggte mit dem einen Riemen aus der Lagune. Eine flache Dünung kräuselte die See, der Wind wehte handig aus Nordosten. Keine Wolke kündigte einen bevorstehenden Wetterumschwung an, alles war ruhig. Günstige Voraussetzungen für sein Vorhaben: Wieder konnte er von Glück reden, und das Schicksal schien es doch nicht so schlecht mit ihm zu meinen.
In relativ kurzer Zeit erreichte er das Wrack und brauchte wegen der Beschaffenheit seines Untersatzes nicht zu befürchten, irgendwo aufzulaufen. Ungehindert wriggte er auf die Bordwand zu und umsteuerte das Heck. Dann hielt er überrascht die Luft an.
Von Land her war es wegen der Lage des Wracks nicht zu sehen gewesen: Steuerbord mittschiffs auf der Kuhl stand noch ein auf Klampen verzurrtes Beiboot, eine dreiriemige Jolle für sechs Rudergasten. Hasard stieß unwillkürlich einen leisen Pfiff aus. Damit hatte er nicht gerechnet.
Durch die Schräglage des Wracks wurde die Steuerbordseite des Bootes zum Teil von Seewasser umspült, aber dieser Umstand hatte keine Bedeutung. Hasard legte an und unterzog es einer genauen Untersuchung. Es war völlig intakt und in keiner Weise beschädigt.
Die beiden Klampen mittschiffs auf der Backbordseite der Kuhl waren leer. Dort mußte sich eine größere Jolle befunden haben, wie Hasard feststellte.
Ihr Fehlen deutete darauf hin, daß die Schiffbrüchigen tatsächlich mit ihr das Wrack verlassen hatten. Wer waren sie, woher stammten sie und was war ihr Ziel gewesen? Was hatte dazu geführt, daß sie mit ihrem Schiff auf das Riff gelaufen waren? Ein Sturm?
Er konnte sich nur auf Vermutungen verlassen und würde wahrscheinlich nie erfahren, was sich zugetragen hatte. Sicher war seiner Ansicht nach, daß die Schiffbrüchigen Kurs auf Kuba genommen hatten. Die Galeone war spanischer Bauart, auch daran bestand kein Zweifel. Ein Handelsfahrer. Er hatte noch Zeit, alles zu durchforschen und zu untersuchen, und vielleicht entdeckte er auch ein Logbuch.
Die Jolle war ein Geschenk des Himmels. Besser hätte er es nicht treffen können. Er lachte, vertäute das Floß und kletterte an Bord des Wracks. Die Zurrings hatte er schnell gelöst. Er brauchte dem Boot nur einen geringen Schub zu geben. Fast von allein glitt es ins Wasser und schaukelte in den flachen Wellen.
Hasard stieg hinein, bevor es abtreiben konnte. Er stand zwischen den Duchten und blickte prüfend zu Boden – und plötzlich registrierte er, daß es doch Wasser zog.
„Na also“, sagte er. „Es wäre ja auch zu schön gewesen.“
Die Jolle hatte auf der Backbordseite, wo sie trocken gelegen hatte, ein paar undichte Stellen. Natürlich: Das Seewasser hatte der Steuerbordseite nichts anhaben können, im Gegenteil, es hatte das Holz aufquellen lassen und dicht gehalten. Erst nach Wochen oder Monaten hätte das Holz an dieser Stelle zu faulen begonnen. Die Trockenheit hingegen hatte bewirkt, daß die Planken an der Backbordseite Wasser durchließen.
Hasard überlegte, ob er das Boot wieder an Bord des Wracks ziehen sollte. Wo waren die Riemen? War es nicht besser, trotz der Lecks doch gleich zur Insel zu pullen? Er konnte es schaffen, aber der eine Riemen, mit dem er das Floß vorwärtsgewriggt hatte, reichte dafür nicht aus. Zu schnell füllte sich die Jolle mit Seewasser. Es stand bereits fußknöchelhoch und plätscherte munter gegen die inneren Bordwände.
Unter den Duchten waren Riemen verzurrt. Er holte zwei heraus, legte sie in die Rundsein, nahm auf der mittleren Ducht Platz und begann zu pullen. Er überlegte nur kurz, ob er das Floß ins Schlepp nehmen sollte, dann verwarf er die Idee wieder. Es blieb keine Zeit dafür. Er mußte sich höllisch beeilen, wenn er das Ufer noch erreichen wollte – mit der Jolle.
Ohne komme ich bestimmt an, dachte er grimmig, und zwar schwimmend. Aber wenn der Kahn erst auf dem Grund der Lagune liegt, nutzt er mir nichts mehr.
Er konzentrierte sich voll auf seine Arbeit. Das Boot glitt vorwärts, das Wrack blieb hinter ihm zurück. Das Pullen verursachte wieder Schmerzen in Hasards Brustkorb, aber sie waren nicht mehr so intensiv wie zuvor, als er die Bandage noch nicht gehabt hatte. Er konnte sie ertragen.
Der Schlaf hatte ihn gestärkt, er pullte kräftig und ohne auszusetzen. Zunächst bewegte er sich zügig voran, dann aber begann das Boot schwerer zu werden. Eine unsichtbare Macht schien an seinem Heck zu zerren, das Wasser stieg über Hasards Knöchel und gab der Jolle eine leichte Schräglage.
Die Fahrt wurde immer langsamer, aber der Seewolf hatte die Landzunge erreicht, die er umrunden mußte, um in die Lagune zu gelangen.
Er biß die Zähne zusammen, preßte die Lippen fest aufeinander und ruckste wie ein Besessener an den Riemen. Die Jolle schien jetzt eine Tonne zu wiegen, gierig nahm sie das Seewasser in sich auf. Ihr Heck senkte sich immer tiefer, und bald würde die Bordwand unterschneiden.
Doch die Landzunge glitt vorbei, und Hasard war nun in der Lagune. Etwas rascher, als er angenommen hatte, schrumpfte die Distanz, die ihn noch vom Ufer trennte, zusammen. Die Brandung ergriff das Boot und hob es hoch, und die Geschwindigkeit nahm wieder etwas zu – ohne Hasards Zutun. Es rauschte und gischtete, und mit einem Ruck senkte sich die halb gekenterte, lecke Jolle auf den Strand.
Knapp aufgelaufen, dachte er und richtete sich auf. Er holte die Riemen binnenbords und verstaute sie, durchsuchte noch einmal alles und fand in der achteren Plicht eine Pütz. Sie war heil.
Er stieg aus und schöpfte Seewasser, dann entleerte er es ins Innere der Jolle. Das Wasser stieg bis zum Dollbord an und lief fast darüber hinweg. Hasard ließ die Pütz wieder sinken und betrachtete sein Werk. Er war zufrieden. Er brauchte jetzt nur noch einige Zeit abzuwarten, und die Leckstellen schlossen sich von selbst. Dies war die übliche Methode, um das Holz aufquellen zu lassen und alle Fugen abzudichten.
Noch einmal unterzog er das Boot einer eingehenden Kontrolle und stellte fest, daß es aus guter spanischer Edelkastanie gebaut war. Ein hartes, widerstandsfähiges Holz, das viel Harz erzeugte und sich somit praktisch selbst gegen Fäulnis und Verfall schützte. Edelkastanie war so gut wie englische Eiche, besser als Zypresse, Pinie und Pappel. Ein Boot wie dieses konnte sehr alt werden, ohne nennenswerten Schaden zu nehmen.
In der Tat war es bis auf die Lecks, die Hasard gefunden hatte, völlig unbeschädigt. Er rechnete damit, den ganzen Tag über warten zu müssen, danach aber würde die Jolle seetüchtig sein. Der Vorgang des Aufquellens mußte kontrolliert werden, und er würde auch ständig mit der Pütz Wasser nachschöpfen müssen, bis keins mehr durch die Lecks austrat und auf den Strand lief.
Dies würde in den nächsten Stunden eine seiner Tätigkeiten sein. Er war stolz auf seinen Fund, und er war von Zuversicht erfüllt. Aber er konnte noch mehr tun: Das Wrack mußte gründlich durchsucht werden, vielleicht gab es noch mehr zu holen.
Er sah jetzt ein, daß er doch einen Fehler begangen hatte: er hätte das Floß mitnehmen sollen. Aber es hatte an der Zeit gefehlt. Er war jetzt darauf angewiesen, zu schwimmen, und er konnte nur hoffen, daß er keinen Haien begegnete. Mist, dachte er, das ist mangelnde Übersicht. Gut, daß dich keiner der Kameraden beobachten kann.
Carberry hätte, wenn er ihn jetzt gesehen hätte, wahrscheinlich wieder mal kein Blatt vor den Mund genommen und einen seiner groben Kommentare von sich gegeben. Auch Shane hätte wohl einen Witz gerissen. Ben nicht, der hüllte sich in vielsagendes Schweigen. Aber Ferris konnte seinen vorlauten Mund ebenfalls nicht halten.
Ihr Halunken, dachte Hasard, hoffentlich seid ihr noch mal mit heiler Haut davongekommen. Er ertappte sich dabei, daß er wieder an sie dachte. Ständig sann er darüber nach, was aus ihnen und der „Lady“, der „Isabella“, geworden war. Er sehnte sich nichts mehr herbei, als wieder unter ihnen zu sein.
Aber das würde noch eine Weile dauern. Heute indes, am 26. Juli, hatten die Spanier mit einiger Sicherheit die Schlangen-Insel erreicht und begannen mit der Belagerung.
Wenn doch wenigstens eine Brieftaube käme und mir eine Nachricht brächte, dachte er. Aber das war reine Utopie. Jussufs gefiederte Lieblinge waren auf Santo Domingo nicht „programmiert“, und außerdem ahnte ja keiner, daß er hier festsaß und sich mit den primitivsten Mitteln am Leben erhielt.