Читать книгу Seewölfe Paket 21 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 46

5.

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In der Vorderbucht der Jolle war ein Loch, und darunter, auf dem Kiel, ein Mastschuh. Dies war ein untrügliches Zeichen dafür, daß das Boot über Besegelung verfügen mußte. Es gab keine andere Möglichkeit: Der Seewolf mußte zum Wrack zurückkehren und dort nach einem Mast und dem erforderlichen Segeltuch suchen.

Er entkleidete sich bis auf eine kurze Hose. Der Verband würde nun naß werden, aber auch das ließ sich nicht ändern. Am bedenklichsten stimmte ihn die Haifischgefahr. Bevor er ins Wasser stieg, suchte er mit seinem Blick wieder alles ab. In der Lagune waren keine Dreiecksflossen und auch keine verdächtigen Bewegungen zu vermerken, aber er wußte noch nicht, wie es draußen, auf der offenen See, aussah.

Bei seinem ersten Abstecher zum Wrack hatte er allerdings keinen einzigen grauen Gesellen bemerkt. Vielleicht hatte er auch weiterhin Glück – fast verließ er sich darauf.

Das Wasser war angenehm warm und lud zu einem Bad ein. Na eben, dachte er grinsend, ich habe ja sonst auch nichts vor. Er watete durch die Brandung und begann zu schwimmen, als die Fluten ihm bis zur Brust reichten.

Während er sich durch gleichmäßige, weit ausholende Bewegungen voranbrachte, hielt er immer wieder Ausschau nach Haien. Leicht konnte es jetzt passieren, daß er überraschend angefallen wurde. Er hatte das Messer bei sich, aber das nutzte ihm herzlich wenig, wenn er es mit mehreren Biestern zu tun hatte. Nur gegen einen einzelnen Hai vermochte er zu bestehen, und auch ein solches Duell würde ihm das äußerste an Zähigkeit und Schnelligkeit abverlangen.

Er war auf alles vorbereitet. Im Kraulstil verließ er die Lagune und stieß zu dem Wrack auf dem Riff vor. Aus der jetzigen Perspektive wirkte es größer als vorher, und seinen Decks schien etwas Unheimliches, Rätselhaftes anzuhaften. Die Aura des Schreckens stieg aus den Schotts und Luken auf, und etwas schien davor zu warnen, daß sich ein Unbefugter die Innenräume ansah.

Aber Hasard war weder ängstlich noch abergläubisch. Es war nicht das erste Wrack, das er durchsuchte, und er war natürlich darauf gefaßt, auf ein paar grausige Entdeckungen zu stoßen. Doch Skelette und Wasserleichen konnten ihn nicht schockieren. Er hatte schon genug davon gesehen, seit er die Meere befuhr. Mit der Zeit härtete man ab und wurde unempfänglich für eine bestimmte Art von Eindrücken. Im übrigen gehörte er nicht wie Old O’Flynn zu den Männern, die Toten Übersinnliches oder magische Fähigkeiten andichteten.

Er langte an seinem Ziel an und kletterte an Bord. Noch einmal blickte er aufs Wasser zurück – keine Haie. Sie sind alle zur Schlangen-Insel geschwommen, dachte er grimmig, vielleicht findet dort das große Festessen statt.

Er kroch über die abschüssige Kuhl der Galeone und mußte sich überall festhalten, um nicht abzurutschen – an der Nagelbank, am Großmast, an der Lukengräting und am Schanzkleid. Eine längliche Kiste am Backbordschanzkleid fiel ihm auf. Er arbeitete sich darauf zu und öffnete sie.

Hier fand er, was er suchte: einen Mast, Schoten mit Blöcken, ein Segel mit einer Spreizgaffel, ein Ruderblatt, eine Pinne und weitere Riemen. Er grinste und dachte: Fein. Alles, was das Herz begehrt, ist vorhanden. Du brauchst nur zuzugreifen.

Am Mast noch angeschlagen waren Vorstag sowie Backbord- und Steuerbordwant. Er konnte mit seinem neuen Fund wirklich zufrieden sein. Mit Sorgfalt wählte er aus, was er brauchte, dann begann er, es auf das Floß zu bugsieren. Er zurrte alles fest, vom Mast bis zur Pinne, und begab sich anschließend wieder an Bord der Galeone. Vielleicht hielt sie noch mehr angenehme Überraschungen für ihn bereit. Er bedankte sich bei dem Capitán, wer immer es gewesen sein mochte. Auch er – wie der Tote, dem er den Degen abgenommen hatte – ahnte sicherlich nicht, daß er ungewollt einem verdammten Engländer geholfen hatte.

Hasard durchforschte das Achterdeck und sah sich in allen Kammern um. Er entdeckte keinen einzigen Toten, dafür aber wieder Utensilien, die er gebrauchen konnte. Alles erweckte erstaunlicherweise einen recht freundlichen Eindruck, in der Kapitänskammer war es direkt gemütlich. Sie war mit dunkel gebeiztem Nußbaumholz getäfelt, die Einrichtung selbst war von erlesenem Geschmack.

Der Eigner – vielleicht war er der Capitán in Person – schien ein Mann von Format und Klasse zu sein. Das Schiff war solide gebaut und bestens ausgerüstet. Es verfügte über wenige Verzierungen, war aber dennoch von gediegener, unaufdringlicher Schönheit. Alles befand sich am rechten Platz. Nach Hasards Schätzungen war das Schiff nicht älter als fünf, sechs Jahre.

Ein Jammer, dachte er. Aber der Capitán hatte seine Berechnungen aufgestellt, bevor er es im Stich gelassen hatte. Die Schäden im Inneren mußten groß sein. Es kostete mehr, diese Galeone zu bergen, aufzuslippen und zu reparieren, als ein neues Schiff zu bauen und auszurüsten – so absurd das für jemanden klingen mochte, der mit der Seefahrt nicht vertraut war.

Störend wirkte in dieser Kapitänskammer eigentlich nur, daß alles schief stand und man sich nicht richtig hinsetzen konnte. Hasard arbeitete sich hangelnd quer durch den Raum und untersuchte die Schapps und das Pult. Er stieß auf zwei doppelläufige Pistolen, die er sich sofort zusteckte. Es waren teure Modelle mit achteckigen Läufen, die eine mit einem Radschloß und die andere mit einem Miqueletschloß versehen. Auch die dazugehörigen Kugeln und das Pulver fand er.

Ein Spektiv aus matt glänzendem Messing gehörte ebenfalls zu den brauchbaren Gegenständen, die er für die bevorstehende Bootsfahrt an sich nahm. Er hantierte prüfend damit herum, zog es auseinander und blickte von der Heckgalerie aus zur Insel. Die Optik war klar und scharf, nichts hatte die Qualität des Glases beeinträchtigt.

Er kehrte in die Kammer zurück, schob das Spektiv zusammen und steckte es hinter den Gurt. Dann öffnete er die Laden des Pults und zog ein paar Karten daraus hervor. Die beste und detailreichste nahm er mit, sie zeigte den gesamten Bereich der Karibik und schien recht zuverlässig zu sein, was die Angabe der geographischen Breiten und Längen betraf.

Wenig später entdeckte er in einem der Nachbarräume einen kleinen Bootskompaß und eine Muskete mit Munition und trockenem Pulver. Hammer, Axt und Säge stöberte er in der Werkstatt des Schiffszimmermanns auf, die weiter vorn lag. Hier fand er auch einige dicke, geschmiedete Nägel, für die er unter Umständen gleichfalls eine Verwendung fand.

Aber das war noch lange nicht alles. Er fand eine geteerte Jacke, die ihm paßte, Wolldecken und eine Persenning, ein leeres kleines Faß, eine Flinte, Angelhaken und Angelschnur, weiteres Tauwerk nebst Blöcken und eine Öskelle.

Nur ein Logbuch entdeckte er nicht, weder in der Kammer des Kapitäns noch in den anderen Räumen, die er gründlich untersuchte. Nichts gab ihm Auskunft über die Identität des Schiffes, und nirgends konnte er auch nur den Namen lesen. Ein Handelsfahrer war es, das stand fest, aber er bekam nicht heraus, woher er stammte, wohin er unterwegs gewesen war und was er geladen hatte.

Die Frachträume konnte er nicht weiter durchsuchen. Dort stand alles unter Wasser, und es war zu gefährlich, Tauchversuche zu unternehmen. Er ließ es bei dem jetzigen Ergebnis bewenden. Die Galeone wahrte ihre Anonymität, es schien, als wolle sie keine weitere Auskunft über sich geben. Hasard akzeptierte es – und er respektierte die Würde, die von diesem Schiff ausging.

Er war ein nur geduldeter Gast, und fast fühlte er sich wie ein Dieb. Er trug seine Fundsachen auf das Floß, verstaute wieder alles, löste die Leinen und legte ab. Mit einem Handzeichen grüßte er zum letztenmal die Galeone, dann wriggte er zur Lagune und zum Strand zurück, wo die Jolle lag und auf ihn wartete.

Aus einem Schapp einer Achterdeckskammer hatte er Verbandsstoff mitgenommen, so daß er seinen nassen Segeltuchverband jetzt austauschen und die Brust fest bandagieren konnte. Er verwendete einige Zeit und Mühe darauf, war mit dem Ergebnis aber zufrieden.

Er trat vor die Jolle hin und betrachtete sie. Der Wasserstand war wieder etwas abgesunken. Er griff zur Pütz, füllte sie mit Seewasser und kippte es in das Boot, bis es wieder bis zum Rand voll war.

Gegen Mittag suchte er mit dem Angelzeug eine Klippe auf und ließ sich nieder. Es war heiß geworden, aber er empfand die Sonne, die auf ihn niederbrannte, als angenehm.

Er blickte sich um und entdeckte einen winzigen Krebs, der auf ihn zukroch. Mit einigem Geschick gelang es ihm, ihn einzufangen und als Köder auf den Haken zu spießen. Er warf seine simple Angel aus, verfolgte, wie der Haken mit dem Köder untertauchte, streckte die Beine weit von sich und wappnete sich mit Geduld.

Wieder eilten seine Gedanken zu den Kameraden an Bord der „Isabella“, zu Ribault, dem Wikinger, Siri-Tong und den Freunden von der Schlangen-Insel. Fand jetzt die große Schlacht statt? Unwillkürlich lauschte er, aber es war kein ferner Kanonendonner zu vernehmen.

Es fiel ihm nicht leicht, dazuhocken und darauf zu warten, daß ein Fisch anbiß, während es auf der Schlangen-Insel jetzt um Leben und Tod ging. Allein die Vorstellung, daß der Bund der Korsaren bis aufs Blut kämpfte und er völlig machtlos war, setzte ihm wieder schwer zu.

Aber er wurde durch die Angel abgelenkt. Noch einmal hatte er Glück. Nur knapp eine Viertelstunde war verstrichen, wie er schätzte, und jetzt straffte sich die Schnur plötzlich.

Hasard richtete sich halb auf, gab etwas Schnur nach, zog ein wenig daran und sah unter der Wasseroberfläche einen Schatten, der sich ruckend bewegte. Das war kein kleiner Fisch – er schien einen ordentlichen Brocken am Haken zu haben.

Er ließ ihm noch etwas Spielraum, dann war er sicher, ihn fest am Haken zu haben. Entschlossen zog er an der Schnur und hievte die Beute aus dem Wasser. Sie entpuppte sich als ein prächtiger Zackenbarsch. Er fing ihn mit der Hand auf, warf ihn auf den Felsen und tötete ihn.

Nur kurze Zeit darauf gelang es ihm, noch einen zweiten Zackenbarsch zu fangen. Mit dem Messer weidete er beide Tiere aus. Dann kehrte er zu seinem Lagerplatz zurück.

In den Achterdecksräumen des Wracks hatte er auch ein paar Feuersteine und Feuerstahl gefunden, die er jetzt zum Einsatz brachte. Ein bißchen Laubwerk und dürre Zweige waren schnell zusammengesucht, die er als Zunder aufhäufte. Dann schlug er Feuerstahl und Flint aneinander, und der entstehende Funke entfachte den Zunder.

Bald knisterte und züngelte ein munteres Feuer. Hasard baute aus kleinen Astgabeln und Zweigen einen Drehspieß, auf dem er die beiden Fische zubereiten konnte. Während er sie briet, stand er noch einmal auf, ging zu der Jolle, kippte Wasser nach und suchte sein Lager wieder auf.

Die Fische waren gar. Er nahm seine einfache, aber wohlschmeckende Mahlzeit zu sich: heißer Zackenbarsch, frisch vom Spieß, reines Quellwasser, das er in einer Pütz aus dem Inseldschungel geholt hatte, ein wenig Kokosnuß und Branntwein. Der größte Hunger und Durst waren nun endgültig gelöscht.

Die letzten Glutreste des Feuers schüttete er mit Sand zu. Danach ging er zum Boot und kontrollierte es noch einmal. Er schüttete noch zwei Pützen Wasser nach, konnte sich nun aber davon überzeugen, daß immer weniger durch die Leckstellen nach außen drang.

Bald war es soweit – bald konnte er aufbrechen und in See gehen. Er fieberte diesem Moment jetzt entgegen und konnte es kaum noch erwarten, die Insel wieder zu verlassen.

Am späten Nachmittag dieses Tages hatte der Seewolf den Eindruck, daß über der Wasserlinie der Jolle nichts mehr nach außen sickerte. Trotzdem wartete er noch bis zum Einbruch der Dunkelheit, um ganz sicher zu sein, daß es keine unliebsamen Überraschungen gab, wenn er sich auf See befand.

Am Abend öste er die Jolle mit der gefundenen Kelle wieder leer, verstaute seine „gesammelten Güter“ in der Plicht, riggte das Boot auf, schob es in die Brandung und enterte an Bord.

Noch einmal wandte er sich um und blickte zum Strand und zu den Palmen zurück. Ade, Cay Santo Domingo, dachte er, wir sehen uns vielleicht noch einmal wieder, dann aber unter anderen Voraussetzungen. Er setzte das Segel, und die Jolle glitt aus der Lagune auf die offene See hinaus.

Genügend Proviant hatte er bei sich: gebratenen Zackenbarsch, Kokosnüsse, ein paar gebackene Möweneier, Trinkwasser aus der Quelle und Brandy. Damit konnte er eine Woche oder sogar noch länger durchhalten. Er hoffte inständig, daß die Fahrt zur Schlangen-Insel nur höchstens zwei oder drei Tage in Anspruch nehmen würde, mußte aber damit rechnen, daß der Wind einschlief oder das Wetter sich verschlechterte.

Der Wind fiel vorerst immer noch aus Nordosten ein. Hasard luvte an und nahm Kurs auf Great Inagua, deren Position er genau im Kopf hatte. Er plante, sich von einer Insel zur anderen voranzuarbeiten, von den Bahamas zu den Caicos. So hielt er das Risiko gering, von einem jäh heraufziehenden Sturm überrascht zu werden. Er mußte stets die Gelegenheit haben, relativ schnell unter Land zu verholen, um sich schützen zu können.

Die Jolle lag gut am Wind, und er trimmte sie so aus, daß er sogar das Ruder festlaschen konnte. Immer wieder kontrollierte er die Leckstellen, aber es bestand keine Gefahr mehr. Das Holz war aufgequollen und hielt dicht wie ein perfekt verschalktes Schiffsschott, kein Tropfen Wasser drang ein.

Der Wind dauerte die ganze Nacht über an. Hasard orientierte sich an den Sternen und hielt den Kurs. Blieb das Wetter, wie es war, konnte er Great Inagua im Verlauf des nächsten Tages erreichen.

Aber der 27. Juli bescherte ihm doch eine unangenehme Überraschung. Der Wind schlief ein, er blieb in einer Flaute hängen. Er mußte pullen und gelangte nur noch sehr langsam voran. Der Tag verstrich, ohne daß sich ein Lüftchen regte, und auch die nächste Nacht über blieb alles ruhig.

Hölle, dachte Hasard, wenn das so weitergeht, brauche ich einen Monat für den Törn zur Schlangen-Insel.

Er pullte und legte immer wieder Pausen ein. Die Brust machte ihm kaum noch zu schaffen, aber er konnte nicht unausgesetzt mit den Riemen arbeiten. Das hielt auch der stärkste Mann nicht durch.

Die Zeit verging, ein neuer Tag, der 28. Juli, kündigte sich im Osten durch heraufziehende Grauschleier an. Hasard hielt nach allen Seiten Ausschau und bediente sich dabei des Spektivs, aber er sichtete weder Land noch Mastspitzen. Wieder war er völlig allein, und das Gefühl der Einsamkeit beschlich ihn von neuem.

Er hatte nur wenig geschlafen, und auch die Müdigkeit zehrte an ihm. Er trank etwas Branntwein, verdünnt mit Wasser, aß ein Stück Kokosnuß und begann wieder zu pullen.

Wenig später hob er den Kopf und registrierte, daß das Segel sich bewegt hatte. Eine Brise begann zu wehen und umfächelte ihn, zunächst nur schwach, dann aber zunehmend stärker. Er konnte wieder segeln, brauchte nur noch die Pinne zu bedienen und konnte sich wieder ausruhen.

Der Wind dauerte an, aber erst am Abend hatte Hasard Great Inagua endlich in Sicht. Im Einsetzen der Dunkelheit entdeckte er einen Schimmer an der Westküste und richtete das Spektiv darauf. Ein Feuer – vielleicht war dort jemand, der ihm helfen konnte? Ebensogut konnte es sich natürlich um ein Lager von Küstenhaien oder Galgenstricken handeln. Aber er beschloß, trotzdem darauf zuzuhalten und zumindest zu untersuchen, wer das Feuer entfacht hatte. Er würde es so einrichten, daß er nicht gesehen wurde.

Vorsichtshalber überprüfte er die beiden doppelläufigen Pistolen und die Muskete, die er natürlich schon vor dem Verlassen von Cay Santo Domingo geladen hatte. Man kann ja nie wissen, dachte er. Ein Schußwechsel mit Piraten war allerdings das allerletzte, auf das er erpicht war. Er wollte nur erfahren, was es mit dem Feuer auf sich hatte, und hoffte, nicht in eine Falle zu geraten.

Seewölfe Paket 21

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