Читать книгу Seewölfe Paket 9 - Roy Palmer, Burt Frederick - Страница 50

5.

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So unwahrscheinlich es klang, aber auf diesem treibenden, langsam verrottenden Wrack befand sich noch jemand.

Mittlerweile stand für die Seewölfe auch fest, daß der Dreimaster aus Spanien stammte. Das ließ sich an vielen Einzelheiten einwandfrei erkennen.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, auf diesem Segler noch jemanden zu wissen, der sich nicht blicken ließ, der sich aber durch ein paar Geräusche verraten hatte.

„Sehen wir in der Kuhl nach“, sagte Hasard. „Ihr laßt das Deck keine Sekunde lang aus den Augen!“

Die beiden nickten stumm, und diesmal war es Ferris Tucker, der mit einem Ächzlaut herumfuhr, als hinter seinem Rücken eine Stimme aufklang.

„Was gefunden?“ fragte Dan, der sich an dem Tau halb hochgezogen hatte und nun über das Schanzkleid blickte.

Tucker hatte seine Riesenaxt bereits zum Schlag erhoben und war herumgewirbelt. Dann aber hielt er inne.

„Mann“, stöhnte er, „du willst wohl mit aller Gewalt noch deine eigene Beerdigung feiern, was? Meine Nerven sind stramm wie Ankertaue, aber auch die können schnell durchscheuern. Wir vermuten, daß sich jemand an Bord befindet, der Kapitän sieht gerade nach.“

„Das kann doch nicht wahr sein“, meinte Dan.

Er sah dem Seewolf nach, der gerade wieder hinter einem Schott verschwand, das in die Segellast führte.

Hasard fand alte übelriechende Segel, über und über mit Schimmel und dunklen Stockflecken bedeckt. Am Liek waren die Segel teilweise ausgefranst, an einigen Stellen befanden sich Löcher, die vielleicht auch von den Ratten stammten.

Taue lagen herum, dazwischen Holzplanken, eine Rah und vermoderte Flaggen, deren Farbe kaum noch zu erkennen war.

Auch hier hielt sich niemand auf. Hasard nahm eine Lampe, entzündete sie mit Flintstein und Stahl nach einiger Mühe und leuchtete mit dem blakenden Ding die Segellast ab.

Der Wust von Tauen und Segeln war so groß und so unordentlich, daß er nicht bis ans hintere Schott gehen konnte.

Oben, an Deck, gesellte sich Ferris Tucker zu ihm, während der Profos mit der Waffe in der Hand weiterhin das Deck sicherte.

„Jetzt bleiben nur noch die achteren Kammern“, sagte Hasard.

„Und die Laderäume“, setzte Tukker hinzu, „aber dort wird sich wohl kaum jemand aufhalten.“

In die Kapitänskammer sprang Hasard mit einem riesigen Satz, glitt zu Boden und richtete sich sofort wieder auf, in der Hand den Radschloßdrehling haltend. Nach menschlichem Ermessen konnte sich der Unbekannte nur noch hier oder in den anderen Nebenräumen aufhalten.

Nichts rührte sich, als auch Ferris Tucker eintrat und sich umsah.

Anscheinend hatten hier die Vandalen gehaust, denn der Kartentisch war nur noch ein Trümmerhaufen, und die Bettwäsche aus der Koje lag verstreut am Boden. Alles war in Unordnung, zerschlagen, zerstört, sogar die Lampen. Fetzen von zerrissenen Seekarten lagen herum, die Schapps waren aufgebrochen und ihr Inhalt über den ganzen Raum verstreut.

Das, was sie vorfanden, wurde immer mysteriöser und eigenartiger.

„Hier muß ein Verrückter gehaust haben“, meinte der Seewolf. „Oder der Kapitän hat das alles zertrümmert, ehe er von Bord ging, damit nichts in falsche Hände gelangte. Trotzdem ist es widersinnig.“

„Was, zum Teufel, mag die Kerle bewogen haben, das Schiff zu verlassen?“ fragte Ferris Tucker. „Entweder hatten die hier die Pest an Bord oder …“

„Oder?“ fragte Hasard sanft.

„Oh, nichts“, murmelte der Schiffszimmermann. Von Geistern, die hier umgingen, wollte er nicht erst anfangen.

„Jedenfalls ist das Schiff, wenn man so will, in einem leidlich einwandfreien Zustand“, sagte er anschließend. „Es ist nicht beschädigt, es zieht kein Wasser und kann segeln, wenn, man sich darum kümmert. Und Kämpfe hat es auch nicht gegeben, sonst müßten deutliche Spuren zu finden sein.“

„Da hast du recht, Ferris. Aber jetzt hat es mich gepackt, das Rätsel müssen wir lösen, unbedingt.“

„Du sagst es. Etwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu.“

Wieder war ein Knacken irgendwo im Schiff zu hören, aber es ließ sich nicht feststellen, woher das Geräusch kam. Es hörte sich so an, als wäre jemand gesprungen.

Beide sahen sich an, aber sie sagten nichts. Statt dessen gingen sie unter der nötigen Vorsicht zur nächsten Kammer, die offenbar dem ersten Offizier gehört hatte.

Hier war es feucht, modrig und die Luft abgestanden. Die spartanische Einrichtung war nicht zertrümmert. Der Raum wirkte, als hätte hier seit Menschengedenken niemand mehr gehaust.

Auch die folgende Kammer war leer und die übernächste. Dann gab es noch eine Vorratskammer, einen großen hohen Raum. Von hier bezogen die ehemals zur Schiffsführung gehörenden Besatzungsmitglieder anscheinend ihre Extra-Portionen, oder sie wurden von hier aus verteilt, weil die Mannschaft klaute.

Alles war von Schimmel überzogen, aber die Spuren in den Mehlsäkken, Bohnen und Schrot bewiesen, daß entweder auch die Ratten am Werk gewesen waren oder sich irgend jemand hier Nahrung beschafft hatte.

Jetzt blieben nur noch die Laderäume und die Pulverkammer übrig. Mehr Räume hatte der Segler nicht aufzuweisen.

Ihre Stiefel hallten über die Planken, als sie zu Carberry zurückkehrten und ihm berichteten.

Der Profos verzog das Gesicht.

„Donegal hatte gar nicht mal so unrecht mit seinem Geisterschiff. Er hat schon …“

„Uuuu-aahhhh!“ erklang ein Schrei aus dem Schiffsinnern und unterbrach Carberrys Worte.

Die drei Männer standen wie erstarrt an Deck. Tuckers Lippen hatten sich zu einem freudlosen Grinsen verzogen, und das wirkte jetzt wie festgefroren. Er war nicht in der Lage, seine Gesichtsmuskeln zu bewegen.

Carberry stand in der lauernden Haltung eines Verfolgten an Deck und schien in dieser Pose wie erstarrt. Die Pistole hing kraftlos in seiner mächtigen rechten Pranke.

Hasard selbst war bei diesem tierischen Schrei ebenfalls unwillkürlich zusammengezuckt, doch er fing sich gleich wieder.

Beim Satan, es gab keine Geister, höchstens zweibeinige, die sich dafür ausgaben, um die Leute zu erschrekken. Diesem Geist würde er das Fell windelweich klopfen, und dann wollte er doch mal sehen, was aus dem Geist dann wurde.

„Das kam aus der Nähe der Segellast“, sagte er.

„Oder aus dem Laderaum unter der Kuhl.“

Auch der Profos war jetzt überzeugt, daß da kein Geist geschrien hatte, sondern ein Mensch, der sich vielleicht in seiner Angst vor den Unbekannten versteckt hielt.

Carberry und Tucker hebelten mit der Axt die Luken des Frachtraumes auf und legten sie beiseite.

Licht fiel nach unten und auf einen verwahrlosten bärtigen Mann, der wie ein verängstigtes Tier in einem Winkel kauerte und angstvoll mit weitaufgerissenen Augen nach oben starrte.

Sein Lager bestand aus alten Lumpen, zerfetzten Segeln und aufgefaserten Tauen. Er rührte sich nicht, sondern starrte nur weiter zu den Seewölfen herauf.

„Ob sie den zurückgelassen haben?“ fragte Tucker leise.

Niemand wußte eine Antwort darauf. Jedenfalls mußte sich der verwildert aussehende Mann schon seit einer kleinen Ewigkeit hier völlig allein an Bord befinden.

Hasard fragte ihn auf Spanisch mit leiser Stimme, ob er nicht heraufkommen wolle.

Er kriegte keine Antwort. Statt dessen erhob sich der mit einer schmutzigen Hose bekleidete Mann mit einem Schrei und rannte durch den Laderaum. Gleich darauf war er verschwunden.

Alle drei blickten verblüfft in alle Ecken, aber der Fremde schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Das Rätsel war jedoch schnell gelöst, als Hasard in den Raum hinunterstieg und sich die Lampe nachreichen ließ. Der Mann hatte ein paar Schottbretter entfernt, die vom Laderaum in die Segellast führten und versteckte sich dort. Er lag mit verzerrtem Gesicht auf den Planken, als Hasard in die muffige Kammer leuchtete.

„Keine Angst“, sagte er auf Spanisch in beruhigendem Tonfall. „Wir wollen dir nur helfen, niemand tut dir etwas.“

Er redete weiter beruhigend auf ihn ein und wies dabei nach oben.

Der verwilderte Mann schüttelte angstvoll den Kopf, dann kroch er noch weiter in die Segellast und steckte seinen Kopf unter die angefaulten Segel.

Von oben warf Tucker eine Jakobsleiter hinunter. Er und Carberry zogen sich etwas zurück, um den Mann nicht zu erschrecken, falls er wieder aufkreuzte.

Hasard versuchte es weiter, doch der Bärtige wagte sich nicht aus seiner Ecke heraus, bis dem Seewolf nichts anderes übrigblieb, wieder nach oben zu steigen.

„Er wird sich schon noch beruhigen, wenn er merkt, daß wir nichts von ihm wollen“, sagte er. „Er scheint vor Angst halb verrückt zu sein, deshalb hat er sich auch da unten versteckt, da fühlt er sich offenbar sicher.“

„Und wenn er nicht an Deck klettert?“ fragte Tucker. „Wir können doch nicht Ewigkeiten auf ihn warten.“

„Er wird bald Hunger und Durst haben, und dazu muß er die anderen Räume aufsuchen.“

Dan O’Flynn kletterte an Bord, der den Schrei zwar gehört, ihn aber nicht hatte deuten können. Jetzt erzählten sie ihm von dem Fremden.

„Das muß grauenhaft sein“, sagte Dan. „Wochen- oder monatelang allein auf einem Schiff, nur Ratten zur Gesellschaft. Und das Schiff treibt irgendwo herum, ohne daß er etwas dagegen unternehmen kann. Ich begreife nur nicht, daß man ihn zurückgelassen hat, denn freiwillig ist er doch sicher nicht geblieben.“

Der Fremde gab ihnen Rätsel auf, wie ihnen auch das ganze Schiff einschließlich der verschwundenen Mannschaft Rätsel aufgab.

Aus dem Raum erklang wieder dieser Schrei einer verängstigten Kreatur, der durch Mark und Bein ging.

Hasard versuchte es wieder und wieder, redete ihm zu, versprach ihm sauberes Trinkwasser und Proviant, und dann trat endlich ein Erfolg ein.

Das verwilderte und abgezehrte Individuum näherte sich mit unendlich vorsichtigen Bewegungen dem offenen Luk, blieb stehen und blinzelte nach oben.

„Sind die beiden Ungeheuer endlich weg?“ fragte er mit hysterisch klingender Stimme. „Habt ihr sie vertrieben?“

Die vier Seewölfe sahen sich ratlos an. Niemand wußte, von welchen Ungeheuern der Spanier sprach.

Um ihn nicht noch mehr zu verängstigen, nickte Hasard.

„Ja, jetzt sind sie fort, sie sind nicht mehr auf dem Schiff.“

Wieder erschien unruhiges Flakkern in den Augen des Mannes. Sein Blick war äußerst mißtrauisch, er zog sich wieder ein paar Yards zurück.

„Sie waren ja auch nicht auf dem Schiff“, schrie er. „Sie befinden sich außenbords. Sie schwimmen immer an der Backbordseite. Tagelang, wochenlang, immer schwimmen sie nebenher.“

„Niemand schwimmt mehr neben dem Schiff“, sagte Hasard, der an Haie dachte. Aber davor konnte der Mann schließlich keine Angst haben, wenn er sich an Bord befand.

„Ihr habt sie vertrieben?“ fragte der Spanier mißtrauisch.

Tucker grinste ihn an und zeigte auf seine Axt.

„Hiermit haben wir sie erschlagen“, sagte er.

Der Spanier lachte höhnisch und schüttelte den Kopf mit den langen verfilzten Haaren.

„Man kann sie nicht erschlagen“, behauptete er, „denn sie sind ja schon lange tot.“

„Ein Verrückter“, sagte Dan leise. „Der weiß überhaupt nicht mehr, was er da redet.“

„Ich weiß selbst nicht, wen oder was er meint. Anscheinend hat er ab und zu lichte Momente. Wenn er hier schon ewig allein ist, muß er zwangsläufig verrückt werden.“

Hasard erklärte ihm geduldig, daß sie das Schiff hier zufällig gefunden hätten und jetzt selbst in der Kalme lägen und nicht weitersegeln konnten. Erst nachdem er ihm noch einmal frisches Wasser und gutes Essen versprochen hatte, enterte der Mann langsam die Jakobsleiter auf.

An Deck jedoch benahm er sich recht merkwürdig. Er vermied es ängstlich, über Bord zu blicken und kauerte sich auf die Planken. Dabei gingen seine Blicke von einem zum anderen, mißtrauisch, überängstlich und zweifelnd.

„Seht auf Backbord nach, ob sie noch da sind“, sagte er im Flüsterton. Er starrte in den nebligen Himmel, blickte dann den Seewolf an und wieder die anderen.

Jetzt, in dem diffusen nebligen Zwielicht konnten sie ihn deutlich erkennen. Ein mehrere Wochen alter Bart, struppig und verdreckt, bedeckte sein Gesicht. Die verklebten Haare wuchsen ihm bis weit über die Schultern, seine Hände waren schwarz vor Dreck wie sein übriger Körper.

Aus Angst vor den merkwürdigen Ungeheuern, die seine Phantasie ständig beschäftigten, hatte er sich wochenlang nicht mehr gewaschen.

Dennoch staunten die Seewölfe, daß er sich in relativ guter Verfassung befand. Sogar das von Fäden durchzogene und halbverfaulte Trinkwasser in den Fässern hatte er überstanden.

Hasard blickte angestrengt auf die Wasserfläche an Backbord, aber da befand sich nichts, schon gar keine Ungeheuer, die nach den Worten des Bärtigen ohnehin längst tot waren.

„Da schwimmt niemand mehr“, sagte er fest. „Sie müssen sich geirrt haben. Überzeugen Sie sich selbst!“

„Nein, nein“, wehrte der Mann entsetzt ab. „Benito und Juarez schwimmen immer noch neben dem Schiff. Man sieht sie jetzt nur nicht, weil der Nebel so dicht ist.“

„Und wer waren die beiden?“ fragte Hasard.

„Benito war der Rudergänger und Juarez der Bootsmann. Sie starben beide an einem Tag.“

„Und seitdem schwimmen sie neben dem Schiff?“ fragte Dan den Bärtigen ungläubig.

Der nickte eifrig, drehte sich aber wieder so, daß er die Backbordseite nicht sehen konnte.

„Beenden wir die Unterhaltung“, meinte Hasard. „Wir nehmen Sie mit an Bord, dort stärken Sie sich erst einmal kräftig und säubern sich. Ich glaube, Sie haben uns eine lange Geschichte zu erzählen.“

„Ihr seid Engländer?“ fragte der Mann. „Und trotzdem wollt ihr mir helfen?“

„Ja, warum nicht? Sie sind so gut wie schiffbrüchig.“

Hasard nannte seinen Namen und den der anderen Männer. Aber der Spanier schien es gar nicht zu hören. Sein Blick kehrte sich nach innen, und er starrte vor sich hin, ohne sich zu rühren.

„Er blickt fast wie der Jonas, den wir damals an Bord hatten“, sagte Dan, „der hat auch immer so geistesabwesend hinter den Horizont gesehen.“

„Helft ihm ins Boot, dann pullen wir zurück. Der Bursche muß erst anständig versorgt werden. Den kann der Kutscher gleich bemuttern.“

Auch das schien der Spanier nicht wahrzunehmen, als sie ihm ins Boot halfen und auf die Ducht setzten. Er hatte die Augen geschlossen. Wie tot sah er aus.

Hasard und auch Tucker blickten noch öfter ins Wasser, aber von den Halluzinationen, die der Spanier hatte, war nichts zu sehen. Die existierten offenbar nur in seiner Phantasie.

Seewölfe Paket 9

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