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3 Die bemalten Jäger
ОглавлениеBomba fuhr herum und hob instinktiv den Speer. Wafi folgte seinem Beispiel, und Gibo riss sein langes Buschmesser aus dem Gürtel.
Wer waren diese seltsam aussehenden Krieger?
Für kurze Zeit standen sich die beiden Gruppen wie erstarrt gegenüber, und Bomba versuchte, die Absichten dieser fremdartigen Männer zu erkennen. Plötzlich senkte er den Speer und wandte sich an seine beiden Gefährten.
„Ich glaube nicht, dass diese Männer gegen uns kämpfen wollen“, raunte er ihnen zu. „Aber wir müssen vorsichtig sein. Noch einmal sollen uns keine Kannibalen mit gespielter Freundlichkeit überlisten, um uns in ihre Gewalt zu bekommen. Behaltet die Männer scharf im Auge, aber droht nicht mit den Waffen. Wenn wir in Frieden mit ihnen auskommen können, dann wäre es umso besser für uns, denn sie sind weit in der Überzahl.“
Inzwischen begannen die fremden Krieger näherzurücken, ohne dabei aber drohende oder feindselige Gesten zu machen. Die Gesichter der Männer waren mit dicken weißen und gelben Streifen bemalt, aber unter dieser schauerlichen Bemalung grinsten sie breit. Schließlich trat ein Mann vor, der nach seiner ganzen Haltung und dem besonderen Schmuck, den er trug, ein Häuptling sein musste. Er hob die rechte Hand mit der Handfläche nach außen, und bei diesem Anblick atmete Wafi erleichtert auf. Der Fremde hatte sie mit der Geste der Freundschaft und des Friedens begrüßt.
Bomba erwiderte langsam die Geste, und sein Blick glitt dabei aufmerksam über die Gesichter der Männer. Es mochten etwa vierzig Krieger sein. Nicht nur das Gesicht, sondern auch die Brust war bei jedem mit breiten Streifen weißer und ockergelber Farbe beschmiert. Die dunklen Körper mit der merkwürdigen Zebrabemalung bildeten einen unheimlichen Kontrast zu dem ruhigen, schimmernden Grün des Dschungels, und das war wohl auch die Wirkung, die diese Kriegsbemalung erzielen sollte. Alle Feinde sollten schon von dem Anblick der fremden Krieger eingeschüchtert werden.
Die Bewaffnung der Krieger bestand nur aus Speeren und aus Messern, die in den Gürteln am Lendentuch steckten.
„Es müssen die ‚Bemalten Jäger’ sein, von denen Azande, der Häuptling der Pygmäen, schon gesprochen hat“, sagte Bomba zu seinen Begleitern. „Wir werden also nicht kämpfen müssen, denn Azandes Freunde werden auch unsere Freunde werden.“
Der Häuptling trat noch einen weiteren Schritt vor. Alles das schien zu einem Zeremoniell zu gehören, wie es bei der Begrüßung von Fremden üblich war. Er wiederholte noch einmal die Geste der Freundschaft und begann dann in einem Dialekt zu sprechen, der dem der Pygmäen verwandt war und den Bomba schon verstehen konnte.
„Lowando und seine Krieger kommen in Frieden“, sagte er. „Sie planen nichts Böses gegen den weißen Fremden und seine Begleiter. Aus dem Busch haben wir alle den Kampf des Weißen mit dem Löwen mit angesehen, und unsere Herzen sind voll Bewunderung. Wir wären froh, wenn der Weiße ein Angehöriger unseres Stammes wäre, denn kein Tier hassen wir so sehr wie den Löwen.“
Bomba lächelte.
„Es ist wahr: der Löwe ist kein Freund des Menschen. Seine Pranken sind ohne Erbarmen, und sein Biss bedeutet Tod und Verderben. Aber Simba, der Löwe, ist tapfer. Er ergreift nicht die Flucht wie der feige Schakal. Und es ist gut, gegen einen tapferen Feind zu kämpfen.“
Der fremde Häuptling blickte Bomba neugierig an.
„Ich habe von meinem Freund Azande, dem Häuptling der Pygmäen, von dem tapferen, weißen Jungen gehört, der viele Tage mit ihrem Stamm gezogen ist. Bist du Bomba — der Dschungelboy?“
Der Junge nickte.
„Dann haben also die kleinen Krieger nicht übertrieben“, fuhr der Häuptling fort. „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie tapfer Bomba ist.“
„Ich habe von Azande auch schon viel von den Ruhmestaten der ‚Bemalten Jäger’ gehört“, erwiderte Bomba, der genau wusste, wie sehr jede Schmeichelei diesen primitiven Menschen ins Herz drang. „Azande hat mir erzählt, dass die ‚Bemalten Jäger’ den gefürchteten Löwen allein mit dem Speer angreifen und dabei keine Furcht zeigen.“
Lowando grinste geschmeichelt.
„Es ist so, wie du sagst, Bomba. Auch wir fürchten den Löwen nicht, und wir freuen uns umso mehr, einen tapferen Jäger getroffen zu haben, der nicht wie die anderen Weißen aus der Ferne mit den Donner und Feuer speienden Gewehren auf Simba Jagd macht.“
Durch diesen Austausch von Komplimenten, die auf beiden Seiten ehrlich gemeint waren, war der Rest von gefährlicher Spannung gewichen, der noch zwischen den beiden Gruppen geschwebt hatte. Lowando befahl seinen Unterhäuptlingen, ein Mahl vorzubereiten. In kurzer Zeit war alles fertig, und alle aßen einträchtig miteinander.
Allerdings schienen Wafi und Gibo einen Rest von Misstrauen nicht ablegen zu können. Sie waren im Dschungel aufgewachsen, wo man jeden Fremden zuerst für einen Feind hielt und wo Feindschaft auch viel häufiger zu erwarten war als Freundschaft. Sie blieben also weiterhin wachsam, wenn sie sich auch nach außen hin freundlich benahmen.
„Wir wären eine leichte Beute für sie, wenn sie sich gegen uns wenden sollten“, murmelte Wafi seinem Gefährten zu. „Und was wäre dann?“
„Es ist wahr“, raunte Gibo. „Aber Bomba wird auch daran gedacht haben.“
Dieser Gedanke schien ihn so zu trösten, dass er mit verdoppeltem Appetit ein großes Stück saftige Antilopenlende vertilgte. Bomba aß am Lagerfeuer des Häuptlings mit und hörte höflich zu, wenn Lowando mit seinen Unterhäuptlingen sprach, und er gab angemessene Antworten, wenn der Häuptling sich an ihn wandte. Während er aber dasaß und sich das Mahl schmecken ließ, dachte er daran, welche Bedeutung dieses Zusammentreffen für sein weiteres Schicksal und vor allen Dingen für die Suche nach seinem Vater haben mochte.
Es schien, als hätte ihm das Glück einen Helfer zugeführt. Dieses Zusammentreffen hätte kaum unter günstigeren Umständen erfolgen können. Sein Mut und seine Geschicklichkeit hatten zweifellos großen Eindruck auf die primitiven Jäger gemacht. Keine menschliche Eigenschaft wurde nämlich von diesen Eingeborenen so hoch eingeschätzt wie Mut und List. Der Eindruck musste umso tiefer sein, als sie diese Jagdszene ganz zufällig beobachtet hatten und wussten, dass Bomba von ihrer Anwesenheit keine Ahnung gehabt hatte. Er hatte also bestimmt nicht aus Ruhmsucht oder Geltungsbedürfnis so gehandelt.
Bomba musste jetzt mit einem Anflug von Bitterkeit daran denken, dass er nicht immer so viel Glück gehabt hatte. Bei der Suche nach seinem Vater war er in einem Kampf mit feindlichen Kriegern durch einen heimtückischen Keulenschlag auf den Hinterkopf niedergestreckt worden, und als er nach vielen Stunden aus der Ohnmacht erwachte, waren die Kannibalen, die seinen Vater gefangen hielten, schon weitergezogen. Damals hatte ihn Azande, der Häuptling der Pygmäen, mit der Zusicherung getröstet, er werde versuchen, die Hilfe der ‚Bemalten Jäger’ für ihn zu gewinnen. Aber zu jener Zeit hatte Bomba nicht so recht an dieses Versprechen geglaubt.
Und jetzt hatte er ohne jede Mühe selbst diese möglichen Verbündeten gefunden und zugleich einen ausgezeichneten Eindruck auf sie gemacht. Als Lowando nun vorschlug, dass der weiße Junge ein Blutsbruder des Stammes werden sollte, war Bomba natürlich sehr erfreut.
„Unser Stamm wird Bomba in seine Reihen aufnehmen“, versprach Lowando. „Unsere Jäger werden stolz auf den neuen Stammesbruder sein, wenn sie erfahren, wie Bomba den Löwen besiegt hat.“
„Deine Worte sind gut, Lowando“, erwiderte Bomba nach einer angemessenen Frist des Nachdenkens. „Aber ich will ehrlich sein und dir sagen, dass ich nicht lange die Gastfreundschaft deines Stammes genießen kann. Meine Heimat ist jenseits des großen Wassers, und dort wartet auch meine Mutter auf meine Heimkehr.“
„Es soll so sein, wie Bomba es will“, sagte Lowando sofort. „Wenn Bombas Götter ihn über das große Wasser zurückrufen, dann kann er gehen, wann es ihm beliebt. Aber bis zu diesem Zeitpunkt wird er bei uns bleiben und uns auf vielen Löwenjagden begleiten.“
Bomba forschte eindringlich im Gesicht des Häuptlings. Die letzten Worte hatten besonders grimmig geklungen.
„Du bist ein großer Feind der Löwen, Lowando“, sagte er nachdenklich. „Hast du einen besonderen Grund dafür?“
Der Häuptling runzelte die Stirn und nickte.
„Dort, wo unser Stamm lebt, sind die Löwen sehr zahlreich. Sie überfallen unsere Herden und schleppen die fettesten Tiere fort. Aber nicht genug damit: sie überfallen auch Frauen und Mädchen, wenn sie am Fluss Wasser holen, und sie schleichen sogar nachts in unsere Dörfer und fallen in den Hütten auch schlafende Männer an. Sie mögen verflucht sein!“ Er machte eine heftige Gebärde und zog etwas aus seinem Beutel. „Schau! Das sind die Ohren von zwei Löwen, die wir gestern mit den Speeren erlegt haben. Wir sind auf der Fährte der Löwen in dieses Dschungelgebiet gekommen. Es ist Sitte unseres Stammes, für jeden getöteten Krieger zwei vom Geschlecht seines Mörders zu erlegen. Wir bringen also jetzt die Ohren der beiden Löwen zurück, damit der ganze Stamm weiß, dass wir unseren Bruder wirklich gerächt haben.“
„Dein Volk kann stolz auf dich sein, Lowando“, sagte Bomba. „Es ist gut, im Dschungel tapfer zu sein, denn nicht nur der Löwe ist dort der Feind des Menschen. Es gibt noch andere Feinde.“
„Richtig.“ Lowando nickte grimmig. „Es gibt die Schlangen, die mit ihrem Giftbiss einen Mann töten können. Es gibt die Leoparden und Panther, die wilden Hunde, die Krokodile und das gewaltige Nashorn. Es gibt die wilden Büffel und die bösartigen Gorillas. Und es gibt noch einen gefährlicheren Feind — “
Der Häuptling zögerte.
„Wer ist das?“ fragte Bomba.
„Die blutdürstigen Kannibalen, die Menschenfleisch verzehren.“
Jetzt endlich hatte Bomba das Gespräch zu einem wichtigen Punkt gelenkt.
„Sind die Kannibalen auch schon über deinen Stamm hergefallen, Lowando?“ fragte er.
„Ja. Und Sie sind schlimmer auf ihren zwei Beinen wie die Löwen auf ihren vier. Sie schleichen nachts an unsere Dörfer heran und brennen und morden. Dann schleppen sie auch noch Gefangene mit sich fort, um sie — wie die wilden Tiere — zu fressen. Die Kannibalen sind den Göttern verhasst, und deshalb wird auch zwischen unserem Stamme und ihnen ewiger Krieg herrschen.“
Bomba schwieg eine Weile, ehe er die nächsten bedeutsamen Sätze sprach.
„Ich habe Lowandos Worte gehört“, sagte er schließlich gemessen. „Und ich bin froh, dass die ‚Bemalten Jäger“ ebenso denken wie ich. Auch ich bin ein Feind der Krieger, die Menschenfleisch essen.“
„Haben sie deinen Stamm angegriffen?“, fragte Lowando.
Bomba lächelte unmerklich über die naive Frage.
„Ja, Lowando, sie haben einen Mann meines Stammes mit sich geschleppt, wenn du es so nennen willst. Sie haben meinen Vater in ihrer Gewalt, und ich bin über das Meer gekommen, um ihn aus der Gefangenschaft zu befreien.“
„Das ist schlimm“, sagte Lowando düster. „Aber woher weißt du, dass dein Vater noch am Leben ist?“
„Ich weiß es nicht genau. Aber als die Tage des großen Regens vorbei waren, habe ich meinen Vater noch gesehen. Ich wurde verwundet, als ich an der Seite von Azandes Kriegern gegen die Kannibalen kämpfte. Das war vor dem letzten Vollmond. Ich weiß nun nicht, ob mein Vater immer noch lebt.“
Die letzten Worte hatte er mit leiser, bewegter Stimme gesprochen, und der Häuptling legte ihm tröstend die Hand auf den Arm.
„Dann brauchst du noch nichts zu befürchten, Bomba. Wenn die Kannibalen deinen Vater bisher nicht getötet haben, muss es einen bestimmten Grund dafür geben, und sie werden ihn deshalb auch noch länger leben lassen. Vielleicht halten sie ihn für einen Zauberer, dessen Tod Unheil über ihr Volk bringen würde. Wenn du unser Blutsbruder wirst, können wir dir vielleicht helfen, deinen Vater zu befreien.“
„Du glaubst, dass das möglich ist?“, fragte Bomba hoffnungsvoll.
„Ich glaube es“, erwiderte Lowando vorsichtig. „Aber darüber muss der große Häuptling Mogolu zusammen mit den Ältesten des Stammes entscheiden. Noch in dieser Nacht wirst du Blutsbruder der ‚Bemalten Jäger’ werden, Bomba. Das kann ich selbst bestimmen. Aber ob meine Krieger mit dir nach deinem Vater suchen können, das muss Mogolu entscheiden.“
„Und wie werde ich in den Stamm der ‚Bemalten Jäger’ aufgenommen?“ fragte Bomba.
„Heute Nacht wird der Löwentanz abgehalten“, erklärte Lowando feierlich. „Und dann wird Bomba die Probe der ‚Drei Nächte’ bestehen müssen, ehe er ein volles Mitglied unseres Stammes werden kann.“
„Die Probe der ‚Drei Nächte‘?“, fragte Bomba verwundert. „Was soll das bedeuten?“
„Das wirst du heute Nacht erfahren“, erwiderte Lowando geheimnisvoll. „Es ist eine Probe, der sich alle unterziehen müssen, wenn sie zu uns gehören wollen. Ich warne dich Bomba: es wird schwer für dich sein.“
„Mag es sein, wie es will!“, rief Bomba. „Es gibt nichts, was ich nicht auf mich nehmen würde, um meinen Vater zu finden.“