Читать книгу Bomba im Tal der Schädel - Roy Rockwood - Страница 4
1 Schwirrende Pfeile
ОглавлениеEin peitschender Laut zerriss die Stille der Dschungeldämmerung. Ein kapitaler Tapir, der ruhig am Rande einer Lichtung geäst hatte, zuckte zusammen und sank langsam zu Boden. Auf seinem Fell erschien in der Herzgegend ein roter Fleck, der allmählich größer wurde. Einmal noch hob sich der Rüssel — einmal noch machten die Beine vergebliche Laufbewegungen, dann streckte sich der tote Leib.
Kaum war der rollende Klang des Schusses verhallt, als es im wuchernden Unterholz raschelte und knackte und ein schlanker, geschmeidiger Junge auf die Lichtung trat und an die Seite des toten Tapirs eilte. Er trug ein modernes Gewehr in der Hand, die Waffe, aus der er den tödlichen Schuss abgesandt hatte. Nur flüchtig beugte er sich über das erlegte Tier und richtete sich dann — nach allen Seiten sichernd — wieder auf.
Im Dschungel war es immer gefährlich, Lärm zu machen. Bomba kannte dieses wichtige Gesetz des Urwaldlebens und er war immer bestrebt, sich danach zu richten. Vorsichtig hielt er Umschau, ob sein Schuss etwa irgendwelche Feinde in die Nähe gelockt hätte. Selbst in dieser angespannten, lauernden Haltung jedoch bot die Gestalt des Jungen den Eindruck von Anmut, Kraft und Behendigkeit. Sein klarer, brauner Blick streifte über das Gewirr von großblütigen Schlingpflanzen und lianenumschnürten Urwaldbäumen.
Noch konnte er nichts Verdächtiges erblicken. Behutsam ließ er sich deshalb neben dem Tapir in die Knie sinken. Er zog seine Machete aus dem Gürtel und begann den Kadaver abzuhäuten. Ein Lächeln glitt dabei über sein Gesicht. Er wusste, wie sehr sich die Eingeborenen im Dorfe des Häuptlings Hondura über das Fleisch freuen würden. Insbesondere dachte er an seinen alten Freund und Beschützer, Cody Casson, für den die alte Pflegerin des kranken Forschers, Pipina, nun eine nahrhafte Fleischbrühe kochen konnte.
Bei den Hantierungen des Jungen erkannte man sofort, wie gewohnt ihm diese nicht ganz leichte Arbeit des Abhäutens war. Einige geschickte Schnitte an den Läufen und auf jeder Seite des Körpers — und schon zog er das Fell behutsam vom Leibe des toten Wildes.
Als sich Bomba gerade tief über seine Jagdbeute neigte, um die besten Stücke des Fleisches herauszutrennen, vernahm er plötzlich das seinen Ohren vertraute aber umso gefährlichere Schwirren von Pfeilen.
Blitzschnell ließ sich Bomba zur Seite fallen und rollte sich seitlich ins Dickicht. Schlangengleich wand er sich tiefer hinein in das Gewirr von üppigen Farnen und Büschen.
Monatelang war es in der Nähe des Araodorfes ruhig gewesen. Auch bei diesem Jagdausflug hatte Bomba keine verdächtigen Zeichen entdeckt. Zwar wusste er, dass feindliche Kannibalenstämme immer wieder in diesen Teil des Dschungels vordrangen, um die friedlichen Araos anzugreifen und ihre Squaws und Kinder zu entführen, aber dieser plötzliche Angriff verwirrte ihn doch stark.
Schattenhaft und geräuschlos huschte die kraftvolle Gestalt des Jungen durch das Unterholz. Erst als Bomba weit von der Lichtung entfernt war, blieb er stehen und klomm dann affengleich an einem herabhängenden Lianenstrang zu den Zweigen hinauf. Eine Weile lang setzte er seinen Weg durch die Luft fort, indem er sich geschickt von Ast zu Ast schwang, oder sich von einem pendelnden Lianenseil weitertragen ließ. Auf diese Weise hinterließ er keine Spuren am Boden und vor allen Dingen erschwerte er seinen Feinden die Verfolgung.
Als er davon überzeugt war, zwischen sich und seinen Gegnern genügend Abstand geschaffen zu haben, glitt er wieder zu Boden und legte sich seinen Abwehrplan zurecht.
Auf keinen Fall wollte er in kopfloser Flucht panikartig davonlaufen. Er musste ermitteln, wie groß die Zahl der Feinde war und ob er vielleicht allein gegen sie zum Angriff vorgehen konnte.
Für ihn selbst wäre es leicht gewesen, sich außer Gefahr zu begeben, aber sein Verantwortungsbewusstsein ließ diese feige Flucht nicht zu. Der mit ihm befreundete Stamm der Araos und sein alter Beschützer Cody Casson waren ebenso bedroht wie er selbst. Es galt in jedem Falle, die Freunde zu warnen und zuvor zu erkunden, ob wirklich eine ernste Gefahr drohte, oder ob es sich nur um einen kleinen, plündernden Trupp von Feinden handelte.
In einem weiten Halbkreis näherte sich Bomba von neuem der Lichtung. Sein untrüglicher Ortssinn führte ihn, ohne dass er einmal in seinem panthergleichen Anschleichen innehalten musste. Etwa eine Meile mochte er zurückgelegt haben, als er mit einem Ruch stehenblieb.
Noch hatte er nichts gesehen oder gehört, was seinen Verdacht erregen konnte. Doch sein Geruchssinn war so geschärft, dass er wie ein Tier die Witterung von Menschen aufnahm. Er sog prüfend die Luft durch die Nase und wandte den Hals nach allen Seiten, bis er die Richtung erkannt hatte, aus der die Witterung zu ihm drang. Dann schlich er vorsichtig, aber ohne sein Tempo zu vermindern, weiter, bis er nach kurzer Zeit vor sich zwei braune Gestalten entdeckte, die in einer Entfernung von etwa fünfzig Yards am Fuße eines Baumes hockten.
Im gleichen Augenblick ließ sich Bomba auf die Knie sinken und kroch vorsichtig näher heran. Als er bis auf Hörweite herangeschlichen war, legte er sich flach auf den Bauch und spähte durch eine kleine Lücke im Unterholz.
Er hatte zwei große, muskulöse Männer vor sich, mit breiten, groben Gesichtern und niederen Stirnen. Sie trugen einen Kopfschmuck aus Federn, und auf der Brust Zeichen in roter Farbe.
Als Bomba diese rohgemalten Symbole erkannte, zuckte ein Schreck durch sein Inneres. Er hatte das Stammeszeichen der gefürchteten Kopfjäger gesehen, jenes wilden, raub- und blutlüsternen Stammes, der jenseits des Großen Wasserfalles hauste.
Bomba hielt sich nicht lange mit der Betrachtung der dunklen Gesichter auf. Sein Blick glitt zu den Gürteln der Wilden, an denen die entsetzlichsten Jagdtrophäen hingen, die Bomba je gesehen hatte: kleine, verschrumpelte, sorgsam ausgedörrte Menschenköpfe!
Es waren scheußliche Trophäen, aber die Kopfjäger waren sehr stolz darauf. Je mehr solche Menschenköpfe das Dach eines Wigwams zierten, um so angesehener war der betreffende Krieger.
Beinahe wäre Bomba dem Impuls erlegen, die unglücklichen Opfer der Kopfjäger augenblicklich zu rächen. Wahrscheinlich hätten die beiden kaum gespürt, dass sie der schwirrende Tod ereilte, und sie hätten nie erfahren, wer der Rächer der beiden Ermordeten gewesen war, deren Köpfe an ihren Gürteln hingen. Aber was nützte es, die Welt von zwei dieser heidnischen Mörder zu befreien, wenn sofort andere an ihre Stelle traten? Hier galt es, sich auf seine List und nicht auf die Waffen zu verlassen.
Für Bomba gab es keine Täuschung darüber, dass er rücksichtslose und brutale Feinde vor sich hatte. Zweimal schon war er mit den Kopfjägern in Berührung gekommen und jedes Mal hatte er um Cody Cassons Leben und sein eigenes kämpfen müssen. Glück und Tapferkeit hatten ihn beide Male begünstigt — aber würde das auch diesmal der Fall sein?
Mit großer Vorsicht schob Bomba einen Zweig beiseite, um noch besser sehen zu können. Sein Körper bewegte sich leicht, aber kein Geräusch war zu hören. Er wandte den Kopf so herum, dass er jedes gesprochene Wort erlauschen konnte. Da er die meisten Eingeborenendialekte dieses Gebietes beherrschte, verstand er auch das Gespräch, das die beiden jetzt zu führen anfingen.
„Lange ist es her, dass wir unser Dorf verlassen haben“, sagte einer der Krieger und fuhr mit einer Bewegung durch das Haar seiner scheußlichen Jagdbeute, die fast liebkosend wirkte. „Lange sind wir schon fort, und Motulu möchte gern wieder das Brüllen des Großen Wasserfalles hören und die Sonne auf das Dach seiner Hütte scheinen sehen.“
„Gute Worte spricht Motulu“, erwiderte der andere. „Auch Mambu ist müde und möchte heimkehren. Die Jagd hat lange gedauert und reich war die Beute. Warum bleibt Nascanora noch hier? Kann er nicht zufrieden sein mit seinen Kriegern und mit der Zahl der Köpfe, die sie erbeutet haben? Viel Blut ist geflossen!“ Ein böses, dämonisches Lächeln glitt über sein Gesicht. „Viel Blut, Motulu.“
„Sehr viel Blut“, sagte der andere gewichtig und finster.
„Warum ist also Nascanora nicht zufrieden?“, wiederholte Mambu seine Frage.
Motulu schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um, als fürchtete er, belauscht zu werden.
„Nascanora ist immer unzufrieden“, murmelte er düster. „Er wird auch nicht zur Ruhe kommen, ehe nicht der Kopf des weißen Jungen seinen Wigwam ziert. Er hat den Göttern geschworen, dass er mit diesem Kopf heimkehren wird. Eher wird Nascanora nicht ruhig schlafen können, bis nicht der Kopf des weißen Teufelsjungen an seinem Gürtel hängt.“
Nur zu gut wusste Bomba, von wem die Rede war. Er lächelte grimmig vor sich hin und sah im Geiste das hässliche, von Narben verunstaltete Gesicht seines Widersachers vor sich. Nascanora, der Häuptling der Kopfjäger vom Großen Katarakt, war sein Todfeind seit je. Nie würde es ihm der mächtige Krieger verzeihen, dass er von ihm, einem Jungen, zum Zweikampf herausgefordert worden war.
„Der weiße Junge ist schwer zu fangen“, sagte Mambu zweiflerisch. „Er kämpft listig und gewandt wie der Puma und stößt so schnell zu wie die Schlange. Ein großer Zauber ist an seiner Machete. Es wäre besser, wenn Nascanora nicht länger nach diesem weißen Teufel suchen würde.“
„Hüte deine Zunge“, warnte ihn Motulu. „Nascanora darf nicht erfahren, dass ...“ Er hielt inne und hob den Kopf. „Horch! Die Krieger kommen!“
Die Männer sprangen auf, und im gleichen Augenblick erklang auch im Busch der Laut von Stimmen, die in der gutturalen Eingeborenensprache miteinander redeten.
Bomba presste sich unwillkürlich noch dichter an den Boden, als er jetzt einen riesigen, hässlich bemalten Wilden auf die Lichtung treten sah.