Читать книгу Nathaniel - R.S. Volant - Страница 3
Maxim
ОглавлениеAnmerkungen zum Buch
Liebe Leser und Leserinnen, bei „Nathaniel“ handelt es sich um eine rein fiktive Geschichte, alle darin vorkommenden Personen, Namen und Lokale sind frei erfunden und lediglich meiner Fantasie entsprungen.
Ich bitte euch, solltet ihr einmal seelische oder andere Probleme haben, scheut euch nicht euch Hilfe zu suchen und auch anzunehmen. Wendet euch an eine Person eures Vertrauens, die Polizei oder auch an euren Hausarzt, die euch dann sicher weiterhelfen werden. Es gibt immer einen Ausweg!
Herzlichst, eure R. S. Volant
Und nun, wünsche ich euch noch viel Spaß beim Lesen, von:
Nathaniel
By Day and Night
Call me, under…
Ich muss gestehen, dass ich kein großer Fan von moderner Kunst bin. Ich kann einfach nichts damit anfangen und auch nicht mit Ausstellungen, dieser Art. Doch dieses Mal konnte ich mich nicht davor drücken, denn die Einladung für diese Vernissage bekam ich eigenhändig von meiner Mitbewohnerin und inzwischen besten Freundin Lena überreicht. Sie arbeitet seit ein paar Wochen in dieser Galerie und war völlig aus dem Häuschen vor Freude, als sie mir mitteilte, dass sie zur Eröffnung der neuen Ausstellung einen Begleiter mitbringen durfte. Tja, ihre Wahl viel natürlich auf mich und nun stehe ich hier in einem geliehenen, schlechtsitzenden Anzug, mit einem Glas Prosecco in der Hand und komme mir völlig fehl am Platze vor. Echt blöd gelaufen, Maxim! Warum habe ich nicht einfach nein gesagt? Klar, weil ich ihr einfach nichts abschlagen kann. Lena und ich kennen uns schon eine gefühlte Ewigkeit und sie ist nicht nur eine gute Freundin, sondern noch viel mehr, für mich. Ja, sie ist wie eine kleine Schwester und ich kann ihr alles anvertrauen. Sie ist zwar ein wenig durchgeknallt und manchmal kann sie eine echte Nervensäge sein, aber ich liebe sie über alles und das ist auch der Grund, warum ich mich mal wieder breitschlagen ließ. Seufzend schlendere ich ein wenig herum und bleibe vor einem Bild stehen, dass den Titel `Das Innenleben meines Kühlschrankes, der Sinn des Lebens?´, trägt. Es zeigt einen offenstehenden, fast leeren Kühlschrank in dem eine leergequetschte Tube Sardellenpaste zu sehen ist, mehr nicht. Oh Mann, denke ich kopfschüttelnd und gehe zum nächsten. Eine weiße Leinwand, auf der zwei schwarze, senkrechte Linien verlaufen. `Der Weg´, aha. Ich sehe mich gelangweilt um, als Lena freudestrahlend auf mich zukommt. „Maxim! Hier steckst du“, ruft sie mir zu und drückt mir ein Küsschen auf die Wange. „Und? Habe ich zu viel versprochen? Einfach der Wahnsinn, nicht wahr?“, sagt sie voller Begeisterung und stößt ihr Glas gegen meines. „Wie findest du es?“ „Ja, ähm, doch, echt der Wahnsinn“, antworte ich und trinke schnell einen Schluck. Sie grinst bis über beide Ohren und zieht mich zum nächsten Ausstellungsstück, vor dem ein junger Mann steht. Er betrachtet nachdenklich das Bild, legt dabei seinen Kopf schief, erst nach links, dann nach rechts und nippt an seinem Glas, wie ich an seiner Armbewegung erkennen kann, da ich schräg hinter ihm stehe. Sein volles dunkelblondes Haar ist im Nacken und an den Seiten kurz geschnitten, doch das längere Deckhaar ist weich und sanft gelockt und zwangsläufig verspüre ich den Drang hineinzugreifen und ihm einfach hindurch zu wuscheln. Nun mustere ich ihn eingehend, er ist etwa so groß wie ich, vielleicht ein wenig kleiner, aber mindestens eins achtzig und sehr schlank. Sein schwarzer Anzug sitzt perfekt, ist sicher maßgeschneidert und war wahrscheinlich sauteuer, was mir wieder mein eigenes jämmerliches Outfit ins Gedächtnis ruft. Unwillkürlich entkommt mir ein kleiner Seufzer und Lena nickt bestätigend. „Ja, das ist es“, sagt sie und ich kann ihr nicht folgen, „einfach genial!“ Ach so, sie meint das Bild, in dessen Betrachtung auch der junge Mann noch immer vertieft zu sein scheint. Nun werde auch ich neugierig, trete einfach einen Schritt vor und blicke auf eine quadratische weiße Leinwand mit einem einzigen schwarzen Punkt, in der Mitte. `Der springende Punkt´, lese ich unbewusst laut vor und werde prompt rot, als mich der andere erstaunt ansieht. Himmel, sieht der heiß aus! Schießt es mir durch den Kopf und ich starre ihn für einen Moment nur an. „Genau!“, meint Lena wieder ernsthaft nickend, „was für eine Aussagekraft, mit nur einem Punkt, ist alles gesagt!“ „Oder es ist nur ein Fliegenschiss“, sagt der Typ neben mir, ohne mit der Wimper zu zucken und völlig trocken und ich pruste los. Ein wahrer Lachanfall erfasst mich und als ich dann auch noch Lenas entsetztes Gesicht sehe, krümme ich mich regelrecht, vor Lachen. „Oh Gott!“, keuche ich auf, als ich mich einigermaßen wieder gefangen habe und wische mir mit meiner freien Hand, über die feuchten Augen, „der war gut!“ Der Typ grinst mich schelmisch an, legt dabei erneut seinen überaus hübschen Kopf etwas schräg und zwinkert mir spitzbübisch zu. „Ich kann auch nichts damit anfangen“, sagt er und prostet uns zu. „Das ist doch nicht dein Ernst!“, empört sich Lena sofort, „das Bild ist grandios!“ „Grandios doof“, kontert er und deutet mit seinem Glas zur Leinwand hin. „Jeder Idiot, kann doch sowas! Ich kann den ganzen Hype, der um den Künstler gemacht wird, echt nicht nachvollziehen!“ „Ach ja? Wieso malst du dann nicht, hm? Oder bist du einfach einer von diesen neidischen Möchtegernkünstlern, die einem anderen wahren Künstler, den Erfolg nicht gönnen?“, blafft Lena ihn an. „Nee, ich kann nicht malen“, antwortet er unbeeindruckt, „aber, wenn ich es könnte, würde ich eben andere Kunstwerke schaffen! Wunderschöne Landschaften, zum Beispiel oder halt einfach nur, schöne Bilder!“ Jetzt sehe ich ihn erstaunt an und mir fällt auf, dass er das wirklich ernst meint. Sein vorher eher ernster Gesichtsausdruck ist mit einem Male viel weicher und wirkt fast ein wenig verträumt. „Meine Eltern hatten früher einige Kunstdrucke von Monet in ihrem Schlafzimmer hängen! Die fand ich einfach nur wunderschön“, fährt er fort, „all diese schönen Parklandschaften und Seen, voller Seerosen! Ich habe sie mir einfach nur angesehen und abwechselnd ein Auge zugehalten, dabei oder geblinzelt, dann erschienen sie mir noch schöner und fast real! Wusstest du, dass Monet nur deshalb alles so verschwommen gemalt hat, weil er wahrscheinlich sehr schlecht sah?“, höre ich ihn sagen und Lena nickt zustimmend. „Ja, ich habe Kunst studiert“, antwortet sie und wirkt plötzlich sehr viel besänftigter und beinahe beeindruckt. „Wenn du das so siehst, hast du natürlich recht!“, gibt sie zu, „Monet hat wirklich wunderschöne Werke geschaffen, aber das ist eben eine völlig andere Art, von Kunst! Die Bilder von unserem Künstler, kannst du damit nicht vergleichen! Er will gar keine schönen Bilder malen, er will uns vielmehr auf das wesentliche im Leben aufmerksam machen! Es ist auch ein Ausdruck von dem, was er momentan empfindet, verstehst du?“, sagt Lena und er nickt langsam. Wieder nippt er an seinem Prosecco und dann lächelt er leicht, so als ob er verstehen würde. Oh Gott, dieses Lächeln! Sein ganzes Gesicht, scheint plötzlich zu strahlen und er wirkt ein bisschen so, wie ein Kind, dass vor einem glitzernden Weihnachtsbaum steht. Ich kann ihn nur anstarren und spüre, dass mir fast schwindelig wird, bei diesem Anblick. Seine Augen leuchten geradezu in einem undefinierbaren Graublau-Grünton und sein sinnlicher Mund lädt einen förmlich ein, ihn darauf zu küssen. Lena hakt sich plötzlich bei ihm unter, zieht ihn einfach zum nächsten Bild weiter und ich tapse alleingelassen hinterher. Wir stehen nun vor einem völlig schwarzen Bild und Lena sieht uns an. „Was empfindet ihr dabei?“, fragt sie. Ich kann nur mit den Achseln zucken, doch er, der Verräter, nickt. „Leere irgendwie, aber auch Furcht“, antwortet er und beißt sich auf die volle Unterlippe. „Es heißt: `Innere Leere!´“, sagt Lena und zieht ihn weiter. Wir stehen vor einer völlig grellgelben Leinwand. „`Schrei´, heißt dieses Gemälde“, sagt sie und weiter geht es zum nächsten. Es zeigt eine grüne Fläche, doch dieses Mal in verschiedenen Tönen, aus hellen und dunklen Grüntönen, die harmonisch in einander übergehen. „`Hoffnung´, sagt Lena und sieht uns an. Wieder lächelt er und dieses Mal erreicht es auch seine Augen. „Ich glaube, jetzt habe ich es begriffen“, meint er und strahlt sie an. „Lena“, erwidert sie nur und streckt ihm ihre rechte Hand entgegen. „Nathaniel“, antwortet er darauf, aber wie! Er spricht seinen Namen englisch aus und bei dem TH, blitzt seine Zungenspitze zwischen seinen ebenmäßigen weißen Zähnen hervor und ich bin einfach nur hin und weg. „Und, ich bin schwul“, höre ich ihn wie aus der Ferne sagen und registriere es gar nicht richtig. „Ich habe mir angewöhnt, lieber gleich mit offenen Karten zu spielen, wenn ich eine hübsche Frau kennenlerne“, sagt er weiter. „Echt? Na super!“, meint Lena begeistert und schüttelt seine Hand. „Mäxchen hier, nämlich auch!“ Hat sie das wirklich gesagt? Hatte ich schon erwähnt, dass sie manchmal einfach nur unmöglich ist? Fassungslos starre ich sie an und spüre, wie ich erneut rot anlaufe. „Na dann, will ich mal nicht länger stören“, sagt sie grinsend, „lasst die Bilder noch auf euch wirken!“, meint sie nur und haut einfach ab. Ich wage es kaum aufzusehen und trinke erstmal mein Glas leer. „Ähm, ja“, ist alles, was ich wie ein Idiot von mir gebe. „Mäxchen?“, fragt er und grinst amüsiert. „Eigentlich Maximilian, aber meine Freunde nennen mich Maxim“, antworte ich und muss mich räuspern. „Außer Lena, wie mir scheint! Ist sie deine Schwester?“, fragt er, nimmt mir mein leeres Glas ab und tauscht es gegen ein volles, dass er von einem Tablett angelt, als eine Kellnerin vorbeischwebt. Ich schüttle meinen Kopf. „Nein, wir teilen uns eine kleine Wohnung und sind gut befreundet, sehr gut, sogar, naja, irgendwie, sind wir schon ein wenig, wie Geschwister“, antworte ich ein wenig stammelnd und komme mir erneut, wie ein Trottel vor. Wieso macht er mich eigentlich so nervös? Ist doch sonst nicht meine Art, eigentlich bin ich ein sehr offener und gesprächiger Typ, aber bei ihm habe ich irgendwie eine Bremse im Kopf. Mein Hirn scheint nicht mehr richtig zu funktionieren und einige Augenblicke lang, starre ich ihn nur wieder an. Er blinzelt plötzlich und weicht meinem Blick aus, indem er leicht verlegen nach unten sieht und ich spüre, wie meine Hände auf einmal schweißnass werden. Das ist mir zum letzten Mal als pubertierender Teenie passiert und ich komme mir in diesem Moment auch genauso vor. „Ja, ähm, kommst du öfter hier her?“, frage ich. Was rede ich denn da? Was für eine blöde Frage, wir sind schließlich in einer Galerie und nicht in einer Kneipe! Prompt schüttelt er seinen hübschen Kopf. „Nein, ich bin mit jemandem da“, antwortet er und trinkt einen größeren Schluck. Wie auf Kommando ruft just in diesem Augenblick jemand seinen Namen und er dreht sich danach um. „Oh“, mache ich nur und sehe in die gleiche Richtung. Ein Mann um die fünfzig steht im Eingangsbereich und winkt ihm auffordernd zu. Sag was Vernünftiges, schießt es mir durch mein ratterndes Hirn, gleich ist er weg! „Dein Vater?“, brabble ich hervor. Nathaniel sieht mich kurz überrascht an, dann grinst er und nickt. „Ja, ist mein alter Herr sozusagen!“ Ich schnaufe unwillkürlich erleichtert auf. „Aha! Ja, ähm, hast du Lust, noch was trinken zu gehen? Mit mir? Und Lena, nach der Vernissage, vielleicht?“ Trottel, wieso Lena? Er lächelt mich richtig nett an. „Sehr gerne, aber ich kann leider nicht! Mein Vater“, er macht eine kleine Pause, „er ist nicht oft, in der Stadt und wir haben später noch sowas wie ein Familientreffen“, antwortet er und wirkt nun irgendwie verlegen. „Aber Morgen, vielleicht?“, sagt er fast schüchtern und ich kann es kaum glauben. Habe ich wirklich richtig verstanden? Dieser süße Wahnsinnstyp möchte sich echt mit mir verabreden? Ich nicke nur, schnell, viel zu schnell und strahle ihn an, wie ein Honigkuchen Pferd. „Nathaniel!“, schallt es von seinem Vater ziemlich ungeduldig herüber, „nun komm endlich!“ Nathaniel hebt kurz seine Hand, nickt ihm zu und sieht mich erneut an. „Gibst du mir deine Nummer? Dann ruf ich dich an“, sagt er schnell und zückt sein Handy. „Ja, klar“, antworte ich, ziehe meines ebenfalls aus meiner ausgebeulten Jackentasche und lese ihm die Zahlen vor. Normalerweise habe ich meine Nummer im Kopf, aber irgendwie ist mein Hirn heute wie leergefegt. Er tippt sie ein und schenkt mir nochmal sein wundervolles Lächeln. „Ich muss“, sagt er leise, „also, bis dann, ja?“ Wieder kann ich nur nicken und starre ihm doof grinsend hinterher, als er auf seinen Vater zu schlendert, der ihm seltsam besitzergreifend anmutend einen Arm um die Taille legt und an sich zieht. Nathaniel versteift sich augenblicklich und rückt sogar ein kleines Stück von ihm weg, fällt mir noch auf, da hakt sich Lena plötzlich bei mir ein. „Und? Was geht?“, fragt sie aufgeregt und sieht erwartungsvoll zu mir hoch, da sie trotz ihrer hohen Absätze noch immer etwas kleiner ist, als ich. „He, Erde an Maxim! Hallo? Nun hör schon auf, ihn so anzuglotzen! Und mach den Mund zu, du sabberst gleich!“, raunt sie amüsiert und stößt mich mit ihrem Ellenbogen in die Rippen. „Hm?“ „Hör auf zu sabbern! Mann! Echt süß, der Kleine, aber noch lange kein Grund, ihn so anzuschmachten!“, meint sie und zwickt mich in den Arm. „Aua! Mensch Lena, das hat wehgetan“, sage ich leicht schnippisch und sehe sie endlich an. „Musste sein, du warst ja richtig weggetreten! So kenne ich dich gar nicht, was ist denn los, mit dir?“, will sie wissen und ich grinse sie dämlich an. „Nichts! Er wollte meine Nummer und will mich anrufen“, sage ich verzückt zu ihr, dann muss ich einfach erneut zu ihm hinsehen. „Echt? Ist ja supi gelaufen! Und wer ist der Typ da, bei ihm?“ „Sein Vater“, antworte ich beinahe zärtlich, „ist das nicht süß?“ „Der sieht ihm aber gar nicht ähnlich“, meint Lena skeptisch den Kopf zurücknehmend. Und wirklich, sie hat recht. Erst jetzt fällt auch mir auf, wie unterschiedlich die beiden aussehen. Der Mann, der Nathaniel noch immer im Arm hält, ist etwas kleiner als er und wirkt leicht untersetzt. Sein dunkles Haar ist schon leicht ergraut und wird am Oberkopf schon etwas schütter und auch vom Gesicht her, kann ich keinerlei Ähnlichkeiten zwischen ihnen feststellen. „Na und? Soll vorkommen, vielleicht geht er ja mehr, nach seiner Mutter“, erwidere ich und wundere mich selbst, über den schnippischen Unterton in meiner Stimme. Nathaniel sieht noch einmal zu uns her, lächelt irgendwie schüchtern, zwinkert dann aber nochmal schelmisch und folgt seinem Vater brav nach, der bereits die Türe für ihn aufhält. „Er hat mich angelächelt“, flöte ich, „und mir zugezwinkert!“ „Ja, du Esel und jetzt komm wieder runter! Der hat dich verarscht, merkst du das nicht? Das war nie und nimmer, sein Vater! Jede Wette!“, höre ich sie ziemlich hart sagen, doch ich fühle mich, wie auf Wolke sieben und starre immer noch zum Ausgang hin, obwohl er längst aus meinem Blickfeld verschwunden ist.
Am nächsten Tag, es ist Sonntag, stehe ich schon sehr früh auf, naja, immerhin schon zehn Uhr, aber für meine Verhältnisse, ich bin Langschläfer, ist es das zumindest. Ich dusche schnell, putze mir die Zähne, ziehe mich an und ertappe mich dabei, wie ich zwischendurch immer wieder mein Handy kontrolliere. Nichts, keine Nachrichten, keine entgangenen Anrufe, gar nichts! Nachdem ich die Kaffeemaschine angeworfen habe, kommt Lena in ihrem Schlabberhemd hereingeschlurft und sieht mich missgelaunt an. „Musst du so einen Lärm machen?“, nörgelt sie mich an und setzt sich an unseren kleinen Esstisch. „Hab ich das? Entschuldige, war mir nicht bewusst“, antworte ich überrascht und sehe wieder auf mein stummes Handy. „Warum bist du schon auf? Dich sieht man sonntags doch sonst nie, vor zwölf“, labert sie weiter und gähnt herzhaft. „Konnte nicht mehr schlafen, hab die halbe Nacht, kein Auge zugemacht“, antworte ich schlechtgelaunt und sie nickt verstehend. Ich hasse es, wenn sie das macht, so altklug dabei aussehend, weil sie mich mal wieder durchschaut hat. „Dich hat`s ja ganz schön erwischt, was?“, meint sie prompt. „Blödsinn!“, raune ich ärgerlich und drehe ihr demonstrativ den Rücken zu. „Ach Mäxchen!“, seufzt sie nur. Ich nehme zwei große Tassen von den Haken und gieße den duftenden Kaffee ein. Ohne sie anzusehen, stelle ich beide auf den Tisch und setze mich ebenfalls. Lena schaufelt sich zwei Löffel Zucker in ihren Becher, gießt Milch bis zum Rand dazu und rührt ungerührt dessen, dass der Kaffee nun natürlich überläuft, um. „Hast wieder zu viel reingetan“, meint sie nur und schlürft etwas von der hellen Brühe ab. „Hättest ja vorher umrühren können, vor der Milch“, schnappe ich zurück und sie verdreht genervt ihre braunen Augen. „Hör mal, Maxim, niemand wünscht dir mehr als ich, dass du endlich mal wieder einen abkriegst! Wird echt mal wieder Zeit! Wie lange ist das jetzt her?“, sagt sie überlegend, „fast ein Jahr?“ Ich nicke stumm, während ich in meinem Kaffee rühre. Ich erinnere mich nicht gern, an die Zeit mit Mario zurück, wir waren immerhin zwei Jahre zusammen und ich war wirklich in ihn verliebt. Bis ich herausfand, dass er mich die ganze Zeit über, betrogen hatte. Auch noch mit einer Frau! Er hat ein regelrechtes Doppelleben damals geführt, pendelte zwischen uns beiden hin und her und ich Idiot habe ihm in meiner Verliebtheit natürlich jede seiner Ausreden geglaubt. Wenn er mal wieder eine längere `Dienstreise´ machen musste oder ein wichtiges `Seminar´, an den Wochenenden hatte. Ja, bis sie schwanger von ihm wurde und er mir endlich alles beichtete. Ich war völlig geschockt damals und meine kleine, heile Welt zersprang in tausend Stücke, genau wie mein armes, junges Herz. Danach hatte ich erst einmal die Schnauze voll, von Beziehungen und die ersten Monate zog ich mich völlig zurück, doch zum Glück, hatte ich Lena. Sie war in dieser schweren Zeit immer für mich da, Tag und Nacht, hat sie sich mein Gejammer angehört und mir Mut zugesprochen, mich irgendwann einfach mitgeschleppt, auf irgendwelche Events oder Konzerte, in Clubs und Bars. Und schließlich gelang es ihr, mich aus meinem Schneckenhaus hervorzulocken und mich wieder für das Leben zu begeistern. Ich weiß wirklich nicht, was aus mir geworden wäre, ohne sie und ihre Hartnäckigkeit und dafür liebe ich sie bedingungslos. „Elf Monate und vierundzwanzig Tage“, antworte ich dann doch, „nächste Woche, ist es genau ein Jahr her, dass wir getrennt sind.“ Sie ergreift meine Hand und drückt sie aufmunternd. „Dieser Arsch ist es nicht wert, dass du auch nur noch einen Gedanken an ihn verschwendest! Entschuldige bitte, ich hätte nicht davon anfangen dürfen, war blöd von mir! Aber der Typ gestern, kam mir irgendwie nicht koscher vor, ehrlich! Der sah echt schnucklig aus, echt hammermäßig und ich kann dich ja verstehen, dass du auf ihn abfährst, aber bitte, stürze dich nicht gleich wieder in was rein!“ „Tue ich doch gar nicht“, sage ich leicht aufgebracht, „und wahrscheinlich, meldet der sich gar nicht! Du hast vollkommen recht, er ist echt hammermäßig und was will so einer schon von einem Durchschnittstypen, wie mir!“, meine ich schmollend und sie rollt wieder mal mit ihren Augen. „Mäxchen! Du bist `ne echte Sahneschnitte! Du siehst echt heiß aus und wenn du hetero wärst, dann würden die Mädels wahrscheinlich Schlange stehen, bei dir! Hm?“, raunt sie lächelnd und ich quittiere es mit einem schweren Seufzer. „Mädels! Ich steh aber auf Kerle! Und? Siehst du hier irgendeinen, der Schlange steht? Mich ruft ja nicht mal einer an“, schmolle ich erneut und sie lacht herzlich. „Dann geh doch mal wieder in `nen Schwulenclub! Du wirst sehen, da schlägst du ein, wie `ne Granate und kannst dich vor lauter Dates und Anrufen, gar nicht mehr retten!“, schlägt sie mir vor, doch ich schnaube nur zynisch. Ich war schon ewig nicht mehr in einer Schwulenbar, eben, seit meiner Trennung von Mario. „Keinen Bock! Und außerdem läuft es da meistens eh nur, auf das Eine raus!“, erwidere ich genervt. „Na und? So ein kleiner Quickie, zwischendurch, wäre doch gar nicht schlecht! Würde dir sicher mal guttun! Hast du nicht langsam die Schnauze voll, vom ewigen Handbetrieb? Und, wer weiß? Vielleicht triffst du ja da doch einen, der was Festes sucht, kann man nie wissen“, kontert sie und ich sehe sie für einen Moment schockiert an. Klar, mache ich es mir hin und wieder selbst, aber darauf angesprochen zu werden, auch noch von seiner Mitbewohnerin, berührt mich dann doch ziemlich peinlich. „Maxim“, fährt sie fort, „du musst einfach mehr rausgehen! Ohne mich! Versteh mich nicht falsch, ich bin gerne mit dir unterwegs, aber so kriegen wir nie einen ab! Die denken doch alle, dass wir ein Paar sind! Wir gehen zusammen ins Kino, zum Essen und wenn wir in einem Club sind, tanzen wir miteinander! Wir hängen andauernd, zusammen!“ Ich sehe sie fast beleidigt an und kann es kaum glauben, was sie da eben gesagt hat. Doch dann muss ich mir eingestehen, dass sie irgendwie schon recht damit hat. Selbst hier im Haus, denken die meisten von unseren Nachbarn, dass wir ein Paar sind. So gut wie nie, verlässt einer von uns beiden die Wohnung, ohne den anderen. Schon gar nicht, an den Wochenenden. Wir gehen sogar gemeinsam einkaufen! Oh Mann, sie hat recht, irgendwas, muss sich ändern! Ich bin jetzt schon fünfundzwanzig, schließe in ein paar Wochen mein Studium als Grafikdesigner ab und habe sogar schon einen megatollen Job in Aussicht. „Und, wie stellst du dir das vor?“, frage ich trotzdem, „gehen wir in Zukunft, getrennte Wege?“ „Max! Jetzt spinn nicht rum! Natürlich nicht! Das hat doch nichts mit unserer Zukunft als Freunde zu tun! Ich meinte doch nur, wenn du ständig mit mir rumhängst und dass auch noch in normalen Kneipen, wie sollen dann die Typen, auf die du stehst, an dich rankommen? Steht schließlich nicht auf deiner Stirn geschrieben, dass du schwul bist!“ „Dafür habe ich ja dich“, knurre ich sie über den Rand meiner Tasse an, „hast es dem Typ von gestern ja auch gleich unter die Nase gerieben! Musste das sein?“ „Naja, er hat doch damit angefangen!“, verteidigt sich Lena, „und da dachte ich, es wäre ok! Da wusste ich ja noch nichts, von seinem angeblichen `Vater´!“ „Fängst du schon wieder davon an? Und überhaupt, hab ich jetzt echt keinen Bock mehr, darüber zu reden! Der ruft sowieso nicht an, also vergiss es, ja“, werfe ich ihr noch an den Kopf, bevor ich aufstehe und schleunigst unsere kleine Küche verlasse. Ich habe echt keinen Bock mehr, mir diesen Mist weiter anzuhören und verziehe mich in mein Zimmer. Wieso denkt sie eigentlich, dass ich unbedingt einen Freund brauche? Sehe ich etwa notgeil aus, denke ich schmollend und werfe mich aufs Bett. Wahrscheinlich, wegen gestern! Ach, er war aber auch süß, Nathaniel! Der Name zergeht mir förmlich auf der Zunge und ich kann einfach nicht aufhören, an ihn zu denken. Seufzend träume ich noch eine Weile vor mich hin, raffe mich aber doch noch einmal auf und schlurfe zurück in die Küche, weil mein Magen mittlerweile heftig knurrt. Von Lena ist weit und breit nichts zu sehen und sie antwortet auch nicht, als ich nach ihr rufe. Gut, dann eben nicht! Mache ich mir halt alleine etwas zu essen! Ich hole die Bratpfanne aus dem Schrank, mache mir ein paar Rühreier mit Speck und setze mich damit vor den Fernseher. Ich esse alles auf, bringe meinen Teller zurück in die Küche und spüle ab, auch unsere Kaffeetassen, die Lena mal wieder nur neben das Spülbecken gestellt hat. Wer braucht denn hier wohl einen festen `Freund´? Ha! Wohl eher Lena, damit sie mal lernt, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen! Denke ich trotzig, während ich das abgetrocknete Geschirr einräume. Eigentlich kann sie doch froh sein, dass sie mich hat! Und wirklich, ich mache den Großteil des Haushaltes, mache die Wäsche, auch ihre, bügle sogar, spüle grundsätzlich ab und das Kochen übernehme meistens auch ich! Nur zu, Lenchen, such dir doch irgendeinen Kerl, mal sehen, ob der dann auch deine Schlüpfer wäscht, fauche ich in Gedanken und hänge das Geschirrtuch ordentlich zum Trocknen auf. Inzwischen ist es zwei Uhr nachmittags und ich renne wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Wohnung und habe tatsächlich angefangen, Staub zu wischen. Plötzlich geht mein Handy und ich springe ihm regelrecht entgegen. Oh! Ist nur Mama, was will die denn? Klar, geht’s mir gut, alles palletti! Ja, ich bereite mich natürlich, auf die Prüfungen vor und natürlich werde ich mich melden, sobald ich die Ergebnisse habe, ja Lena geht es prächtig und ja, wir werden bald mal wieder zu Besuch kommen, leiere ich herunter und fühle mich total scheiße, als ich das Gespräch beende. Obwohl meine Eltern wissen, dass ich schwul bin, hoffen sie tatsächlich noch darauf, dass Lena und ich ein Paar sind! Wobei wir wieder beim Thema wären und ich mich noch schlechter fühle! Scheiße! Lena hat definitiv recht, so kann es nicht weitergehen! Sogar meine Eltern nehmen mir nicht ab, dass ich auf Kerle stehe und zwar ausschließlich! Sehe ich vielleicht zu hetero aus? Nachdenklich betrachte ich mein Spiegelbild, dass mir entgegenstarrt, als ich vor unserem großen Garderobenspiegel stehe. Ich bin ein Meter sechsundachtzig groß, sehr schlank, sportlich gebaut und eigentlich sehe ich ganz passabel aus. Mein dunkelbraunes Haar trage ich kurz und ordentlich frisiert, was Lena ein wenig langweilig findet und seit der Trennung von Mario habe ich mir einen kurzen, gepflegten Vollbart wachsen lassen, der mich tatsächlich männlicher und reifer aussehen lässt. Die meisten Leute schätzen mich seither grundsätzlich ein paar Jahre älter, aber das macht mir nichts aus. Im Gegenteil sogar, denn seither fühle ich mich irgendwie ernster genommen und meinem angeschlagenen Selbstbewusstsein kam das nur zugute. Früher habe ich mein Gesicht immer als zu weich empfunden, mit meinen vollen Lippen und hohen Wangenknochen und meinen langen, schwarzen Wimpern, die mir einen leicht melancholischen Blick verleihen, wenn ich mein Gegenüber mit meinen fast schwarzen Augen ansehe. Mario sagte mir immer wieder, dass es genau dieser Blick gewesen wäre, warum er sich in mich verliebt hätte und er meine Zartbitterschokoaugen so sehr lieben würde. Arschloch! Denke ich mal wieder und seufze laut. Er war einen halben Kopf kleiner als ich, hat es geliebt sich an meine starke Schulter anzulehnen und ich habe es meinerseits genossen, ihm Halt zu geben und zu umsorgen. Bei mir konnte er diese andere Seite, die in ihm steckte, voll ausleben, sich einfach nur treiben lassen, sich um nichts kümmern, auch nicht im Bett, denn da war er stets der passive Part von uns und mir war das alles nur recht. Wie habe ich es geliebt, ihn zu verwöhnen und es ihn mit allen Sinnen genießen zu lassen, bei mir durfte er einfach nur mein kleiner Schnuffel sein, geht es weiter in meinem bescheuerten Hirn herum und ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Was ist nur los, mit mir? Jetzt ist aber Schluss, du Idiot, schalt ich mich selbst, wische nochmal kurz über den Spiegel und bringe das Staubtuch zurück ins Bad. Wütend auf mich selbst, beschließe ich einen Spaziergang zu machen und zwar ohne Handy! Ha! Bin ich denn blöd, darauf zu warten, ob der Typ von gestern anruft? Ist mir doch egal! Naja, einen Blick könnte ich vielleicht noch darauf werfen, bevor ich gehe. Kann ja sein, dass er eine SMS geschickt hat und ich es nicht mitbekommen habe, als ich auf dem Klo war… Nichts! Nicht mal Lena, hat mir geschrieben! Frustriert schalte ich das Mistding aus, lege es zurück auf den Tisch und schnappe mir meine Jacke. Als ich die Tür hinter mir zuziehe, denke ich: Geschieht euch recht!
Eine Stunde später, jetzt geht es mir noch schlechter als vorher, schließe ich die Wohnungstüre auf und stelle fest, dass Lena immer noch unterwegs ist. Ohne mich! Wo kann sie nur sein, an einem sonnigen Frühlingstag, denke ich beleidigt und beschließe mich nicht bei ihr zu melden. Tja, Lenchen, Pech gehabt! Denkst, ich komme nicht ohne dich zurecht, hm? Ich, brauche dich nicht! Um mich zu amüsieren! Schau ich halt Fernsehen, ph! Ich schalte den Fernseher ein und als ich die Fernbedienung zurücklege, fällt mein Blick auf mein stummes Handy. Ach ja, ich hatte es ja vorhin ausgeschaltet, vielleicht hat sie sich ja doch bei mir gemeldet. Ich tippe den Pin ein, wische auf meine WhatsAppliste und klicke Lena an. `Hey, Mäxchen´, steht da, `sitze in der Fußgängerzone und genieße mein erstes Eis, in der Sonne! Ein netter junger Typ hat mich spontan dazu eingeladen, siehst du, funktioniert!´ Hat die `nen Vogel?! Am liebsten würde ich mein Handy gegen die Wand werfen, verkneife es mir aber und schreibe stattdessen zurück: `Schön für dich! Lass es dir schmecken!´ Sie schickt mir ein Küsschen-Smiley und ich schnaube vor Wut. Na toll, jetzt bin ich auch noch auf meine beste Freundin eifersüchtig! Ich sehe auf die Uhr, es ist kurz vor halb sechs und umso später es wird, umso frustrierter werde ich. Im Fernsehen läuft irgendeine Rosamunde Pilcher Schnulze und ich seufze sehnsüchtig auf, als sich die beiden Hauptdarsteller am Schluss bekommen und sich küssend in den Armen liegen. Danach liege ich mal wieder träumend auf der Couch und male mir aus, wie es wohl weitergegangen wäre, zwischen Mario und mir, wenn… Geht das schon wieder los! Hör endlich auf, an ihn zu denken! Lena hat recht! Ich muss etwas unternehmen, sonst drehe ich womöglich noch durch! Was, wenn sie heute plötzlich ihrem Traummann begegnet ist? Horrorszenarien schießen mir durch den Kopf, ich sehe, wie Lena überglücklich vor dem Altar steht und heiratet, sie wird dann natürlich hier ausziehen, vielleicht sogar weg aus München zieht, wer weiß wo hin, aufs Land womöglich, wo sie dann in einem kleinen Häuschen wohnen und ihre Kinder großzieht, ohne mich! Und ich? Ich werde hier versauern, in dieser Bude hausen, allein, höchstens von ein paar streunenden Katzen umgeben, die mich dann auffressen werden, weil niemand meinen plötzlichen Tod bemerkt. In diesem Moment erklingt mein Handyton und ich erschrecke mich wirklich fast zu Tode. Du liebe Zeit, wer ist das denn? Unbekannter Anrufer, lese ich und gehe nicht ran, wer weiß, wer das ist, denke ich noch, dann trifft es mich wie ein Blitz! Das kann nur er sein, Nathaniel! Den hatte ich in meinem Selbstmitleid fast vergessen, oje, jetzt aber schnell rangehen! Ich greife nach meinem Handy, es flutscht mir aus den plötzlich feuchtgewordenen Händen und ich jongliere es einige Male von einer Hand in die andere werfend, hin und her. „Ja!“, brülle ich geradezu, als ich den Anruf endlich entgegennehme. Stille. „Ähm, hier ist Nathaniel, ich weiß nicht, ob ich richtig bin“, stottert er ganz verschüchtert und ich kann es kaum fassen, „ist da vielleicht Maxim?“ Ja, ja, ja! Ich könnte in die Luft springen, vor Freude und um den Tisch tanzen, schaffe es aber gerade noch, mich zu beherrschen. „Jaaah“, antworte ich nur langgedehnt, so als wüsste ich im Moment gerade nicht, wer der Anrufer ist, „ah ja, jetzt erinnere ich mich, gestern, in der Galerie“, sage ich supercool, dabei schlägt mein Herz wie die Glocken des Kölner Doms. „Ja, ich, naja, dachte, ich ruf mal an, störe ich?“, stammelt er wieder und ich beiße mir auf die Unterlippe. „Nein, wie kommst du denn darauf?“, frage ich lässig zurück. „Naja, du hast nicht gerade freundlich geklungen, gerade eben, als du rangegangen bist“, antwortet er und klingt wieder so herrlich unsicher dabei. „Quatsch! War nur ein bisschen gestresst, hab für meine Prüfungen gelernt“, lüge ich eiskalt und wundere mich über mich selbst. „Oh!“, macht er am anderen Ende und es klingt sehr enttäuscht, „dann will ich nicht weiter stören.“ „Unsinn!“, sage ich schnell, jetzt heißt es die Reißleine ziehen, „du störst echt nicht! Ich freue mich, dass du anrufst, wollte eh gerade aufhören, mal `ne Pause machen und vielleicht was essen.“ „Ähm, naja, essen, klingt gut, hast du vielleicht Lust auf `ne Pizza? Oder irgendwas Anderes“, erwidert Nathaniel etwas hoffnungsvoller klingend. „Was denn?“, frage ich dooferweise. „Weiß nicht, chinesisch, vielleicht? Ich bin gerade in der City, kennst du das Mandarin?“ „Klar! Sagen wir, so in `ner Stunde?“, frage ich ihn und werde mir klar darüber, dass ich gerade dabei bin, ein Date klarzumachen. „Ok! Ich warte dort auf dich“, antwortet Nathaniel und klingt nun echt erfreut. „Na dann, bis gleich“, meine ich noch und als ich mich für mein Date fertigmache, schlägt mir das Herz, bis zum Hals. Eine knappe Stunde später stehe ich vor dem Mandarin und kann es noch immer kaum fassen, als ich ihn erspähe. Er kommt mir tatsächlich entgegen und sieht noch besser aus, als ich ihn in Erinnerung habe. Heute trägt er Jeans und ein schwarzes Sweatshirt und darüber eine lässige Lederjacke, was ihm unglaublich gutsteht. Sein Haar erscheint mir heute etwas lockiger und wieder bemerke ich, dass ich ihm am liebsten mit beiden Händen hindurchfahren würde. Und dann dieses Lächeln! Sanft, fast unsicher wirkend, lächelt er mich mit gesenktem Blick an und ich bin einfach nur, hin und weg. „Hi“, höre ich ihn leise sagen und schnaufe erst einmal durch. „Hi!“ Erwidere ich und grinse übers ganze Gesicht. Erst jetzt bemerke ich, dass er wirklich unsicher ist. Er vergräbt seine Hände in seinen Hosentaschen, dreht und wendet sich, als ob er nicht wüsste, was er tun soll und so strecke ich ihm spontan meine Rechte entgegen. „Schön, dich zu sehen“, sage ich locker und er ergreift meine Hand zögerlich. Naja, sein Händedruck ist ja nicht gerade kräftig und wieder irrt sein Blick beinahe nervös an mir vorbei. Warte mal, upps, bin ich etwa sein erstes Date? Scheiße! Genau so, habe ich mich damals gefühlt und benommen, als ich mich zum ersten Mal mit einem anderen Jungen getroffen hatte. Zeit zu fragen, wie alt er ist, kommt es mir in den Sinn, doch da ist es wieder, dieses wundervolle, schüchterne Lächeln und ich spüre erneut, wie mein Herz auf Hochtouren läuft. „Wollen wir reingehen?“, fragt er und wendet sich schon halb um, „ich hab einen riesen Hunger!“ „Klar“, nicke ich und betrete mit ihm das Restaurant. Nachdem man uns einen kleineren Tisch zugeteilt hat und wir schon mal unsere Getränke bestellt haben, scheint er sich langsam etwas zu entspannen, doch immer wieder streift sein Blick unruhig über die noch wenigen Gäste. „Suchst du jemanden?“, frage ich daher, „oder bist du auf der Flucht?“ „Was?“ Er sieht mich kurz erstaunt an und senkt verlegen den Blick. „Nein, entschuldige, war einfach ein langer Tag heute und ich hab nicht viel geschlafen und naja, ich bin halt auch nervös“, sagt er und wischt sich die Hände an seiner Jeans ab. „Ach ja, die Familienfeier“, erwidere ich verständnisvoll, „Hochzeit, oder so?“ Jetzt sieht er mich noch verwirrter an, nimmt sogar den Kopf zurück, so als hätte er keine Ahnung. „Gestern! Du sagtest, du müsstest auf eine Familienfeier, mit deinem Dad“, helfe ich ihm auf die Sprünge und er nickt langsam. „Ach so, ja, ähm nein, es war keine Hochzeit, nur so, ein Treffen halt“, stottert er mal wieder und ich hebe beide Augenbrauen. Dann nicke ich aber und bin plötzlich froh, dass die Getränke kommen. Wir stoßen sofort miteinander an und trinken beide einen großen Schluck. „Und wieso, bist du nervös?“, frage ich ihn und er senkt schon wieder den Blick. „Na, wegen dir“, antwortet er leise, „also ich, ja ähm, ich verabrede mich nicht so oft“, jetzt räuspert er sich auch noch und mir schwant fürchterliches. Bingo! „Darf ich fragen, wie alt du bist?“, frage ich jetzt doch. „Hm?“, macht er zuerst verdutzt, schüttelt dann aber den Kopf. „Mach dir keinen Kopf“, sagt er abwinkend, „ich bin schon volljährig! Ich weiß, ich sehe jünger aus, ist echt bescheuert! Ohne Ausweis, komme ich gar nicht aus!“, meint er seufzend, „kein Türsteher nimmt mir ab, dass ich schon dreiundzwanzig bin und wenn ich mir mal einen Drink bestelle mit ein bisschen mehr Alk, heißt es jedes Mal, zeig erst mal deinen Ausweis, Burschi!“ Wir lachen beide herzlich und er scheint nun endlich etwas aufzutauen. „Einmal, habe ich nicht mal ein Bier bekommen, kannst du dir das vorstellen? Die Tante an der Kasse sagte mir glatt ins Gesicht, dass Bier erst ab sechzehn erlaubt ist! Da war ich zwanzig!“, empört er sich und sieht dabei zum Anbeißen aus. Der Kellner kommt und wir geben unsere Bestellung auf. Dabei sehen wir uns beide zum ersten Mal, direkt in die Augen, weil wir beide das gleiche ausgesucht haben und lächeln uns an. „Scheint so, als hätten wir beide den gleichen Geschmack“, meine ich und er nickt schüchtern, bevor er meinem Blick erneut ausweicht. „Ich liebe gebratene Ente“, sagt er und beißt sich dabei auf die sinnliche Unterlippe, so als ob es etwas Verwerfliches wäre. „Ich auch“, meine ich achselzuckend, „besonders die, die meine Mutter macht! Mmmh, richtig schön knusprig, mit viel Soße und Knödel!“, schwärme ich und er gönnt mir einen kurzen Blick, in seine schönen Augen. „Siehst du deine Mutter oft?“, fragt er und schon sieht er wieder auf die Tischplatte vor sich. „Naja, schon! Zu den Feiertagen halt“, antworte ich achselzuckend, „oder einfach mal so, zwischendurch. Meine Eltern wohnen nicht weit weg, von München, halbe Stunde, mit dem Auto. Und du?“ Nathaniel sieht einfach an mir vorbei, dabei schweift sein Blick ziellos in der Ferne umher, dann nimmt er sein Weißbierglas und macht einen großen Zug. Wow! Jetzt ist es gleich leer, ob er es noch schafft? Nein, er lässt einen Schluck übrig und stellt das Glas wieder ab. Das Essen kommt und er freut sich plötzlich wie ein Kind, reibt sich sogar die Hände und grinst dabei, als hätte er schon seit Ewigkeiten nichts mehr richtig Gutes zu essen bekommen. Erneut kann ich nur verdutzt meine Augenbrauen heben, weil mir mein Gegenüber nun keinerlei Aufmerksamkeit mehr schenkt und sich sofort über sein Essen hermacht. Ich sehe zu, wie er sich eine riesige Portion Reis auf seinen Teller schaufelt und dazu fast das ganze Entenfleisch. Er fängt einfach an zu essen und ich schüttle kurz meinen Kopf. „Einen guten“, raune ich und bediene mich selbst. „Oh, entschuldige, ja, dir auch, guten Appetit“, sagt er schnell und sieht richtig erschrocken aus. „Ich habe heute noch nichts gegessen“, versucht er sich zu erklären und mir wird immer bewusster, dass da irgendwas nicht stimmt. „Sag mal, alles klar bei dir?“, frage ich deshalb und er blickt verblüfft von seinem Teller auf. „Ja, sicher, ich bin nur hungrig“, antwortet er auf eine kindlich-unschuldige Art und ich muss kurz auflachen. „Schon gut!“, winke ich ab und widme mich meiner köstlichen Ente. Nach dem Essen, er hat auch noch meine Reste verputzt, lehnt er sich gutgelaunt grinsend zurück und seufzt beinahe verklärt. „Jetzt geht es mir besser“, sagt er und schnurrt fast vor Wohlbehagen. „Und?“, sagt er, „was machst du so?“ Ich fange an zu erzählen, von meinem Studium und der Aussicht auf einen gutbezahlten Job als Werbegraphiker, von meinen Eltern und von Lena, sogar von meinen bisher vier gescheiterten Beziehungen berichte ich ihm kurz, ohne weiter darauf einzugehen und er hört artig zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Ab und zu fragt er zwar mal nach, doch im Großen und Ganzen, bin ich es der redet und er hört interessiert dabei zu. Wir bestellen uns noch zwei Weißbier, unterhalten uns über dies und das, sogar ein wenig über Politik, dabei jammere ich ihm vor, wie schlecht es mir als Student geht und anschließend beschließen wir, noch ein wenig spazieren zu gehen. Ich winke also den Kellner heran, um zu bezahlen und der fragt grinsend, ob die Rechnung getrennt oder zusammengeht. Nathaniel reagiert nicht, ich blinzle kurz verunsichert und sage etwas betreten, dass wir getrennt zahlen, wobei ich mir im Moment sehr sicher bin, dass er mit einer Einladung gerechnet hat. Er sieht auf, als er es hört und schüttelt plötzlich seinen Kopf. „Zusammen!“, sagt er entschieden und zückt seine Brieftasche. „Blödsinn“, sage ich, man ist mir das jetzt peinlich, doch Nathaniel lächelt nur süß und zwinkert mir tatsächlich zu. „Lass nur“, meint er fast ein wenig gönnerhaft, „ich lade dich gerne ein, du armer Student.“ Dabei fasst er herüber, legt seine Hand auf meine und streicht ganz kurz mit seinen Fingerspitzen über meinen Handrücken. Wow! Ich bin wie elektrisiert von dieser sanften, zaghaften Berührung und weiß im Moment gar nicht, wie mir geschieht. Er bezahlt inzwischen die Rechnung, gibt auch noch ein dickes Trinkgeld und ich sehe ihn abschätzend an. „Bist du von Beruf Sohn?“, frage ich ihn und er fängt an zu lachen. „Nein“, meint er kopfschüttelnd, doch dann legt er den Kopf schief. „Obwohl, manchmal irgendwie schon“, sagt er etwas nachdenklich und ich verstehe gar nichts. Was meint er nun wieder? „Hm?“, mache ich deshalb, doch er steht schon auf, nimmt seine Jacke und ergreift meine Hand. Er zieht mich lachend hinter sich her und als wir draußen vor dem Lokal stehen, sieht er mir plötzlich tief in die Augen und küsst mich ganz schnell. Es war nur eine flüchtige Berührung, viel zu kurz und so schnell, dass es niemandem um uns herum weiter auffiel und selbst ich bin mir nicht mal sicher, ob das tatsächlich ein Kuss war. Bevor ich mir richtig im Klaren darüber werde, zieht er mich einfach weiter, weg von den belebten Plätzen, in eine schmale Seitengasse hinein und lehnt sich mit dem Rücken gegen eine Hauswand. Er hält noch immer meine Hand, spielt nun mit meinen Fingern, allerdings ohne mich anzusehen und ich trete näher an ihn heran. „Was war das denn eben?“, frage ich ihn und er zuckt verlegen die Schultern. Dabei hält er den Kopf nun ganz gesenkt, ich lege meine freie Hand unter sein Kinn und hebe es sachte an. „Ich habe dich beobachtet, gestern“, sagt er schüchtern und als ob es ihm sehr peinlich wäre, „in der Galerie. Die ganze Zeit über, aber du hast mich nicht mal bemerkt.“ „Mich?“, ich kann nicht glauben, was ich da höre, „das kann nicht sein“, meine ich irritiert und bin nun ziemlich verblüfft. „Doch! Gleich, nachdem wir die Galerie betreten hatten, bist du mir aufgefallen.“ Er beißt sich wieder leicht auf die Lippe, saugt sie kurz ein und lutscht daran und ich fühle mich berufen, ihm dabei zu helfen. O Gott, wie gerne würde ich ihn jetzt küssen, selbst an diesen wunderbaren Lippen saugen… „Du siehst so unglaublich gut aus, so männlich und irgendwie stark, also emotional meine ich und ich habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn du und ich, also ich…“, stammelt er weiter, bricht plötzlich ab und blickt an mir vorbei, „dann kam Lena und ich dachte, war ja klar, dass so ein toller Typ vergeben ist und“, er zuckt kurz die Achseln, „hetero.“ „Bin ich nicht, dass kann ich dir versichern“, unterbreche ich ihn, „ich bin stockschwul! Genau wie Lena sagte!“ Ich grinse ihn an und da, ein leichtes Lächeln umspielt nun diesen entzückenden Mund. „Das ist gut, ich nämlich auch“, erwidert er leise, „und ich steh auf, naja, Männer die reifer sind und älter“, höre ich ihn brabbeln und trete sofort schockiert einen Schritt zurück. Wie, älter? Was denkt der, wie alt ich eigentlich bin? Er bemerkt natürlich meine Reaktion und sieht mich kurz, wirklich nur einen Augenblick, höchst betreten an. „Sag mal, für wie alt, hältst du mich denn?“, frage ich mit einem leicht beleidigten Unterton und er zuckt mal wieder verlegen die Schultern. „Weiß nicht, entschuldige bitte, naja, so Ende Zwanzig? Oder so?“ Oder so? Hat der `nen Knall? Sehe ich echt so alt aus? Heilige Scheiße, der Bart muss ab! Sofort, wenn ich zu Hause bin, kommt er weg! „Wow“, kommt es mir schockiert und entrüstet über die Lippen, „du meinst wohl eher, um die Dreißig, damit, hm? Tja, da muss ich dich enttäuschen, ich bin fünfundzwanzig! Und mir gerade bewusstgeworden, dass ich mich wohl schleunigst rasieren muss!“ Jetzt sieht er mich, erschrocken an. „Tut, mir echt leid, ehrlich“, stottert er höchst verlegen, „entschuldige bitte, ich wollte dich nicht verletzen, liegt echt an mir, ich bin ein verdammt schlechter Schätzer“, versucht er sich rauszureden und sinkt förmlich in sich zusammen. Überhaupt, kommt er mir heute um einiges kleiner vor, als gestern und auch sehr viel unsicherer. Ok, er trägt heute einfache Sneakers, stelle ich fest, als ich ihn gerade von Kopf bis Fuß mustere. „Ich bin echt ein Idiot“, fährt er fort, „hätte ich mir eigentlich denken können, wärst ja sonst schon eigentlich zu alt, für einen Studenten. Bist du mir sehr böse?“ Er sieht mich sowas von süß an, dass ich nicht anders kann, als den Kopf zu schütteln. Sofort hellt sich seine Miene auf und er schnauft tatsächlich erleichtert durch. „Nein“, raune ich lächelnd, „ich bin dir nicht böse, passiert mir eigentlich ständig, dass ich älter geschätzt werde. Und? Bist du jetzt enttäuscht?“ Er schüttelt schnell seinen Kopf. „Nein“, haucht er nur und ich trete wieder dichter an ihn heran. Es knistert förmlich zwischen uns und mein ganzer Körper fängt plötzlich an, zu prickeln. Ich stütze mich mit beiden Händen neben ihm an der Wand ab, sperre ihn sozusagen ein und er holt hörbar Luft. Er ist definitiv kleiner als ich und dass macht mich auf einmal unglaublich an. Was geschieht hier gerade? Gut, ich stand schon immer auf Männer, die kleiner sind als ich, aber bei ihm kommt noch etwas Anderes hinzu, etwas, was ich nicht recht einordnen kann, mich aber beinahe in den Wahnsinn treibt und unglaublich anmacht. Er rutscht noch ein wenig tiefer, presst sich nun regelrecht gegen die Mauer in seinem Rücken, legt den Kopf dabei zurück, so dass er damit ebenfalls die Wand berührt und ich sehe, wie sein Brustkorb sich bei jedem Atemzug hebt und senkt. Seine Augen sind geschlossen, dafür ist sein wunderschöner Mund leicht geöffnet und lädt mich förmlich dazu ein, ihn endlich zu küssen. Ganz langsam, beuge ich mich zu ihm herab, zuerst berühren sich nur unsere Nasenspitzen und allein das, jagt einen Schauer durch seinen schlanken Körper. Ich lege meinen Kopf etwas schräg, berühre nun mit meinem Mund ganz zart seine Lippen, stupse ihn eigentlich nur sachte an, doch er stöhnt allein dadurch schon heftig auf und küsst mich seinerseits plötzlich stürmisch. Er umfasst dabei mit beiden Händen meinen Kopf, zieht mich ganz fest an sich heran und scheint mich förmlich verschlingen zu wollen. Ich küsse ihn zurück, meine Zunge schiebt sich in seinen Mund und wieder stöhnt er heftig auf, als ich damit seine eigene Zunge sanft umspiele und zärtlich mit meiner Zungenspitze hinter seiner Oberlippe entlangstreiche. Ich sehe ihn an, er hat noch immer die Augen geschlossen, seine Wangen scheinen zu glühen und als ich den Kuss beende und dabei meinen Kopf zurücknehme, folgt er mir mit seinem nach, so als ob er nicht damit einverstanden wäre. Er lässt mich auch nicht los und zwangsläufig muss ich darüber grinsen, als ich seinen sehnsüchtigen Gesichtsausdruck sehe. Ich tue ihm den Gefallen und küsse ihn erneut und diesmal bin ich es, der ihn umarmt und fest an sich drückt. Meine Güte, hab ich einen Ständer! Als ich mich gegen ihn presse, stöhnt er erneut in meinen Mund hinein und ich kann nun kaum mehr an mich halten, vor Verlangen. Ich schiebe meine Hände unter seine Kleidung, spüre nun seine warme, unglaublich zarte Haut und lasse meine Finger sanft über seinen nackten Rücken wandern. Erst hinauf, dann langsam wieder abwärts, bis zum Hosenbund seiner Jeans, die ihm locker auf den Hüften sitzt. Meine Fingerspitzen gleiten wie von selbst hinein, spielen nun mit dem Rand seiner Pants, doch dann spüre ich, wie er sich plötzlich versteift und von mir zurückweicht. „Nicht“, sagt er ganz leise, mit tief gesenktem Blick. Ich sehe ihn an und habe auf einmal nur noch den Drang ihn an mich zu ziehen, ihn ganz fest in die Arme zu nehmen und zu beschützen. „Ist gut“, sage ich beruhigend und gebe ihm etwas mehr Freiraum. „Ich werde gewiss nichts tun, was du nicht möchtest, ok?“, füge ich noch hinzu und sehe, wie er erleichtert nickt. „Ich muss dir total blöd vorkommen“, flüstert er beinahe, „bitte, entschuldige.“ „Entschuldige? Wofür denn?“, frage ich ungläubig und berühre ihn leicht am Arm. „Ist vollkommen in Ordnung, hörst du? Ich, müsste mich bei dir entschuldigen, dass ich gleich so rangegangen bin! Ist eigentlich sonst nicht meine Art“, meine ich leicht betreten und sehe, wie er kurz verstohlen zu mir hochblinzelt. „Hey, siehst du mich mal an?“, fordere ich ihn sanft auf und er hebt ein wenig seinen Blick. „Was ist denn?“, frage ich ihn und er schüttelt seinen Kopf. „Nichts, ich bin nur nicht, also ich, treffe mich nicht so oft, mit jemanden“, antwortet Nathaniel wieder stotternd und dieses Mal, nicke ich nur. Also doch, der Kleine hat nicht die geringste Erfahrung! Wahnsinn, und dass mit dreiundzwanzig, denke ich mir stattdessen und lächle ihm aufmunternd zu. „Komm“, sage ich und halte ihm meine Hand hin. Er ergreift sie zaghaft und ich führe ihn zurück auf die belebte Hauptstraße. Wir schlendern noch eine Weile an der Geschäftszeile entlang, witzeln und spötteln über einige überdreht-modern gestaltete Schaufensterpuppen, kaufen uns noch ein Eis, dass ich diesmal spendiere und spazieren langsam wieder zurück, zu unserem Ausgangspunkt. „Ich“, sagt er schüchtern, ohne mich anzusehen, „also, ähm, danke, es war echt schön“, stammelt er mal wieder, holt tief Luft und sieht mich direkt an, „ich würde dich gerne wiedersehen“, purzelt es geradezu aus ihm heraus, bevor er seinen Blick erneut senkt. Wir müssen wohl ein bisschen an seinem Selbstvertrauen arbeiten, denke ich, man, hat der keinen Spiegel zu Hause? „Ja“, antworte ich, „fand ich auch!“ Irgendwie entsteht plötzlich eine seltsam-verlegene Pause zwischen uns, doch dann springt er mich regelrecht an. „Ich ruf dich an, ja?“, schreit er mir fast entgegen, beißt sich mal wieder auf die Unterlippe und strahlt dabei über das ganze Gesicht. Er küsst mich spontan auf den Mund, dreht sich einfach um und rennt davon, als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Ich blicke ihm noch verdattert hinterher und mache mich auch auf, zur nächsten U-Bahnstation.
Lena liegt auf der Couch und sieht fern, als ich beschwingt ins Wohnzimmer trete. Ich sehe sie an, lasse mich einfach auf sie fallen und überdecke ihr Gesicht mit Küssen. Sie zetert los, lacht, schreit, lacht wieder, kreischt und schafft es schließlich, mich einigermaßen festzuhalten. „Was?“, schreit sie mir zu und ich versuche erneut sie abzuknutschen. Wir rangeln kichernd miteinander, dann halte ich sie fest und sehe ihr direkt in die Augen. „Danke“, sage ich ernstgemeint, „du hattest vollkommen recht!“ „Womit?“ „Na, mit deiner, wir müssen mehr getrennt machen, Aussage!“, antworte ich und setze mich auf. Sie nimmt den Kopf fragend zurück und ich nicke verschmitzt. „Ja“, sage ich, „ich hatte ein Date! Mit Nathaniel.“ Sie setzt sich auf und schlägt sich kreischend auf ihre Schenkel. „Los, erzähl! Ich will alles wissen!“, ruft sie begeistert und ich erzähle ihr natürlich nur zu gern alles, was ich heute mit ihm erlebt habe. Mittlerweile haben wir uns eine Flasche billigen Rotwein vom Supermarkt aufgemacht und ich schwärme ihr vor, wie süß ich Nathaniel finde und dass ich es gar nicht erwarten kann, ihn wiederzusehen. „Dir ist schon klar, dass er noch Jungfrau ist?“, meint sie daraufhin und ich nicke seufzend. „Ja“, antworte ich gedehnt, „na und? Ich werde es erst mal langsam angehen und ihm Zeit lassen! So viel, wie er möchte und braucht“, raune ich, trinke einen Schluck und spiele eine Weile gedankenverloren mit meinem Glas, bevor ich ihr fest in die Augen schaue. „Lena, ich glaube, ich habe mich in ihn verliebt.“ „Oh Mann, ich wusste es“, erwidert sie seufzend, beugt sich zu mir herüber und küsst mich sanft auf die Stirn. „Bitte, Mäxchen, überstürze nichts, ja? Du weißt doch so gut wie gar nichts, über ihn! Du weißt nicht mal seinen Nachnamen! Oder was er macht?!“ Ich zucke nur die Achseln. „Das werde ich schon noch herausfinden!“, antworte ich verklärt und nippe erneut an meinem Glas. Natürlich kann ich es nicht abwarten, dass er mich anruft und so schreibe ich ihm noch in der gleichen Nacht eine Nachricht: `Wünsche dir eine gute Nacht, schlaf schön!´ Es dauert nicht lange, bis er antwortet: `Du auch! Danke, noch mal für den schönen Abend, ich rufe dich an´, lese ich und spüre wie mein Herz einen kleinen Hüpfer macht. Ich überlege, ob ich noch mal darauf antworten soll, belasse es allerdings nur bei einem `Ok!´ und einem sich freuenden Smiley. Ich warte noch kurz, doch dann lege ich mein Handy weg, mache die Nachttischlampe aus und kuschle mich in meine Kissen. Natürlich, träume ich nur von ihm. Der nächste Tag, vergeht schleppend langsam. Ich bin irgendwie unkonzentriert, bekomme überhaupt nichts mit von dem, was der Dozent da vorne quatscht und schon gar nichts davon, erreicht meine Birne. Die meiste Zeit über träume ich vor mich hin und male irgendwelche Herzchen und Blümchen, in mein Heft und mindestens hundert Mal, den Namen Nathaniel. Ich bekomme nicht mal das Ende der Vorlesung mit und blicke erst auf, als mich mein Nachbar versehentlich anrempelt, als der seine Sachen zusammenpackt. Gott sei Dank, denke ich und räume ebenfalls meine Tasche ein. Wenig später fahre ich mit der nächsten S-Bahn nach Hause, lasse mich einfach auf unsere Couch fallen und hole mein Handy hervor. Es ist jetzt kurz vor vier Uhr Nachmittag und ich habe noch immer nichts von ihm gehört. Soll ich? Nein! Ich seufze laut und klicke doch seine Nummer an. Mein Zeigefinger verweilt einen Moment schwebend über der Anruftaste und wischt dann plötzlich wie von selbst, darüber. Mit klopfendem Herzen höre ich, wie es bei ihm anklingelt, mehrere Male und als ich schon wieder auflegen möchte, geht er doch noch ran. „Hi!“, meldet er sich mit seiner samtweichen Stimme und allein das reicht schon, um meinen Blutdruck hochzujagen. „Hey, du“, antworte ich, „na, wie geht’s?“ „Danke, gut! Und dir?“ Wie banal das klingt und doch freue ich mich einfach nur. „Auch gut, aber mit dir, ginge es mir noch besser“, sage ich und er lacht kurz auf. „Ich dachte, ich melde mich einfach mal“, füge ich noch hinzu. „Schön!“, kommt es zurück, dann entsteht eine kleine Pause. Seltsam, da muss ich den ganzen Tag lang an ihn denken und jetzt fällt mir nichts ein. „Wollen wir uns treffen?“, frage ich deshalb spontan und spüre, wie mein Herz rast. „Ähm, ist schlecht, heute, muss arbeiten“, höre ich und fühle mich plötzlich, als hätte ich eine Ohrfeige kassiert. Liegt es am Tonfall seiner Stimme, die irgendwie abweisend klingt? „Oh, ja, klar“, raune ich, „na dann…“ „Aber morgen“, sagt er schnell, „warte mal, nein, scheiße, da muss ich auch ran! Mittwoch?“ Jetzt klingt er wieder wie immer, leicht unsicher und doch mit einer Spur Hoffnung in der Stimme. „Ok“, antworte ich, obwohl ich natürlich schon ein wenig enttäuscht bin. Bis Mittwoch? Oje, dabei komme ich jetzt schon fast um, vor Sehnsucht nach ihm. „Und wann?“ „Wann geht es bei dir? Ich hätte den ganzen Tag Zeit, hab frei“, meint er nun im Plauderton und ich überlege kurz. Was steht am Mittwoch gleich wieder an? Nur eine Vorlesung, am Vormittag. „Also ab Mittag, würde es bei mir gehen“, antworte ich demnach, „wenn es dir recht ist?“ „Ob es mir recht ist? Und wie!“, kommt es wirklich erfreut zurück und mein Herz klopft wieder schneller, „tut mir echt leid, dass es nicht eher geht“, sagt Nathaniel noch und klingt plötzlich richtig niedergeschlagen. „Macht dir keinen Kopf, deswegen“, erwidere ich lässig, immerhin muss er ja nicht wissen, wie ich mich tatsächlich deswegen fühle, „Arbeit geht nun mal vor! Was machst du eigentlich?“, frage ich belanglos nach. „Ähm, nichts Besonderes, hab Nachtschicht“, antwortet er und räuspert sich prompt verlegen. „Und wo?“, hake ich nach, denn irgendwie kommt es mir doch spanisch vor, dass er deswegen nicht wenigstens für ein paar Stunden weg könnte. Als er nicht gleich antwortet, frage ich weiter: „Arbeitest du bei BMW?“ „Ähm, nein“, antwortet er mehr als zögerlich. So, jetzt bloß nicht nachgeben! „Im Krankenhaus?“ „Nein, du, ich muss jetzt aufhören“, will er sich rauswinden, doch nicht mit mir! Die blöde Fragerei wird mir langsam zu bunt und ich will jetzt endlich wissen, was er so treibt. „Nathaniel! Ich möchte doch nur wissen, was oder wo, du arbeitest! Was ist los, mit dir?“, fahre ich ihn nun beinahe energisch an. Lena ist inzwischen nach Hause gekommen und sieht mich überrascht an, doch das ist mir jetzt scheißegal. „Was ist? Hat es dir die Sprache verschlagen?!“, setze ich noch obendrauf und kann ihn förmlich vor mir sehen, wie er sich dreht und windet. „Ich kann jetzt nicht“, kommt es leise zurück und weg ist er. Er hat tatsächlich, einfach aufgelegt! Das darf ja wohl nicht wahr sein! Ich bin so wütend, dass ich aufstehe und erst einmal aufgeregt hin und herlaufe. „Der hat einfach aufgelegt!“, sage ich beinahe fassungslos zu Lena und strecke ihr mein Handy entgegen. Klar will sie jetzt wissen, was los war und ich berichte es ihr voller Zorn. „Aber so nicht!“, sage ich, „nicht mit mir, Süßer! Wenn der denkt, dass ich ihm nachlaufe, hat er sich gewaltig geschnitten!“, schimpfe ich zu Lena hin und sie grinst sich eins, was mich noch wütender macht. „Das ist mein Ernst! Ich laufe keinem mehr nach! Ha! Wirst schon sehen“, zetere ich und sie zieht mich an sich. „Ach Mäxchen! Du bist so süß, wenn du wütend bist“, sagt sie lachend und drückt mich herzlich, was mir im Moment ziemlich guttut. „Ist ja schon gut, beruhige dich, hm? Wirst es schon noch rausfinden“, meint sie besänftigend. „Hm!“, brumme ich und verschränke die Arme vor meiner aufgeplusterten Brust. „Was könnte denn so schlimm sein, dass er es mir nicht einfach sagen kann?“, fange ich erneut an. „Weiß nicht?!“, antwortet Lena achselzuckend, „vielleicht ist er Drogendealer?“ „Spinnst du? Nie im Leben!“, erwidere ich schockiert, schlucke aber unwillkürlich. Sie hebt nur die Schultern und, na Bravo! Jetzt bin ich total verunsichert, doch dann schüttle ich den Kopf. „Blödsinn! Oder hast du schon mal gehört, dass die Nachtschicht arbeiten und mittwochs frei haben?“ Lena fängt an zu lachen und schließlich pruste ich auch los. Wir lachen uns beinahe schief darüber, spekulieren noch eine Weile über Nathaniels Beruf, vom Polizisten bis hin zum Geheimagenten, ist alles dabei, bestellen uns zwei Pizzen und machen es uns vor dem Fernseher gemütlich. Nach dem Essen kuschelt Lena sich an mich und ich denke, dass es so schön sein könnte und vor Allem so viel einfacher, wenn sie doch nur ein Kerl wäre, oder ich, hetero.
Ich vergrabe mich bis Dienstagabend in meinen Büchern und nutze die Zeit, zum Büffeln. Wozu brauche ich eigentlich den ganzen Mist, wenn ich später eh nur an einem Zeichentisch sitze? Verstehe wer will, denke ich und klappe das Notizheft zu, als die Vorlesung am Mittwoch endlich beendet ist. Es ist jetzt kurz vor zwölf und ich habe seit Montag nichts mehr von Nathaniel gehört. Mittlerweile ist meine Wut über ihn verflogen und ich muss mich wirklich zusammenreißen, um nicht einzuknicken. Nein! Ich melde mich nicht! Er hat es doch verbockt und nicht ich, denke ich mal wieder schmollend und beschließe spontan, mir noch ein Eis zu gönnen. Es ist Mitte März und die Frühlingssonne scheint fröhlich auf die Stadt nieder. Überall blühen die Schneeglöckchen und bunte Krokusse setzen farbige Tupfer, in die schon grünen Rasenflächen. Die ersten Bienen summen um die Blüten herum und alles duftet nach Frühling. Ich bleibe stehen, schlecke an meinem Eis und kann mich gar nicht sattsehen, an all der Farbenpracht um mich herum. Dann sehe ich ihn. Zuerst bin ich mir nicht sicher, ob er es auch wirklich ist, doch dann gibt es keinen Zweifel mehr, es ist Nathaniel, der gerade aus der alten Villa tritt und in ein Taxi steigt. Im ersten Moment bin ich total perplex und als ich mich wieder gefangen habe, beschließe ich der Sache nachzugehen. Wohnt er hier vielleicht? Oder seine Eltern? Naja, sein Alter sah schon nach Kohle aus und Nathaniels Kleidung ist auch nicht gerade von der Stange! Ich überquere die Straßen, steuere geradewegs auf die Haustüre zu und lese das Namensschild. `Borchert´, steht auf einem protzigen Messingschild. Aha! Ist doch schon was, denke ich mir, als sich die große Haustüre öffnet und ein mir völlig unbekannter Mann herauskommt. Sein Vater ist das definitiv nicht! Ich mustere den Typ und stelle fest, dass es mir gar nicht gefällt, was ich sehe. Der Kerl ist vielleicht Anfang vierzig, mindestens so groß wie ich, gut gebaut und ziemlich attraktiv! Auch er sieht mich an, zuerst fragend, dann lächelt er auch noch charmant. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragt er mich freundlich. „Äh, ja, eventuell“, antworte ich ein wenig überrumpelt. „Ich wollte zu Nathaniel“, sage ich geradeheraus. Der Kerl sieht mich definitiv überrascht an und das Lächeln verschwindet ebenfalls. „Tut mir leid, kenne ich nicht“, kommt es sehr abweisend rüber und er ist schon im Begriff zu gehen. „Entschuldigung“, sage ich schnell, „aber ich bin mir sicher, dass er gerade aus diesem Haus kam! Der junge Mann, der kurz vor Ihnen herauskam!“ Er bleibt noch kurz stehen. „Hier wohnt niemand, der so heißt und ich weiß ehrlich nicht, wen Sie meinen, Sie müssen sich getäuscht haben“, raunt er mir noch über seine Schulter hinweg zu und lässt mich einfach stehen. Das darf ja wohl nicht wahr sein! Was denkt der arrogante Arsch von mir? Das ich blöd bin? Ich habe mich nicht getäuscht, hundert Pro! Jetzt bin ich stocksauer und ziehe mein Handy hervor. Na warte, Bürschchen, jetzt reicht`s! Ich klicke Nathaniels Nummer an und denke mir schon mal aus, was ich ihm gleich sagen werde. So leicht, gebe ich nicht auf, mein Lieber! Es klingelt einige Male, dann geht er tatsächlich ran. „Hi.., Maxim“, sagt er ziemlich verblüfft klingend. „Hi, Nathaniel!“, gebe ich mit einem zynischen Unterton zurück. „Wolltest du dich nicht heute bei mir melden? Wir wollten uns doch treffen?“, zwitschere ich geradezu vor Sarkasmus triefend, ins Telefon. „Es ist jetzt Mittwochmittag, also?“ „Ja, ähm…“ „Nathaniel, was ist los? Ich hab langsam die Nase voll! Sag mir einfach, ob du dich überhaupt noch mal, mit mir treffen möchtest, ok?“, blaffe ich ihn an. „Doch, schon, klar“, stammelt er am anderen Ende. „Und? Was ist dein Problem?“ „Ich habe mich nicht getraut“, antwortet er kleinlaut. „Was? Warum das denn?“ Jetzt bin ich doch überrascht, als ich das höre. „Ich dachte, naja, du wärst bestimmt sauer auf mich, wegen unserem letzten Gespräch“, flüstert er beinahe. Ich schnaufe erstmal durch. „Ok, war ich auch“, gebe ich zu, schon etwas sanfter klingend, „hör zu, lass uns doch noch einmal darüber reden, in Ruhe. Wo bist du gerade?“ „Zu Hause“, antwortet er ruhig und mir geht prompt der Hut hoch. Ich lache erst einmal höhnisch auf und muss über seine Dreistigkeit echt den Kopf schütteln. „Bist du nicht!“, donnere ich ihn an, „wieso lügst du?!“ „Tue ich doch gar nicht, wieso sagst du sowas?“ Er klingt dermaßen verunsichert, dass ich erneut kurz auflache. „Weil ich es weiß! Ich habe dich geradeeben gesehen! Als du aus diesem Haus kamst! Wer ist dieser Borchert? Sag jetzt ja nicht, dein Vater!“, fauche ich wütend und kann förmlich spüren, wie er zurückzuckt. Er sagt gar nichts? „Nathaniel, bist du überhaupt noch dran?“, frage ich deshalb nach. „Woher? Wie..?“, stottert er und ich höre, wie er schluckt. „Woher ich das weiß? Tja, stell dir vor, ich komme ganz zufällig hier vorbei und sehe, wie du herauskommst! Also hör auf, mich für dumm zu verkaufen, von wegen du seist zu Hause!“, triumphiere ich geradezu. Wieder ein Moment der Stille, dann höre ich ihn atmen. „Mein Onkel“, sagt er leise und ich fange wieder an zu lachen. Er wartet, bis ich mich wieder gefangen habe. „Wirklich“, legt er nach und es klingt tatsächlich glaubwürdig. Ok, der Kerl vorhin würde auf alle Fälle besser in seine Familie passen, als sein ominöser Daddy! Trotzdem… Irgendwas stimmt da nicht! Warum hat der Typ ihn dann verleugnet? „Dann heißt du also Borchert?“, frage ich misstrauisch. „Nein“, er klingt jetzt so zerknirscht, dass ich beinahe schon mitleidig werde. „Mein Name ist Taylor“, sagt er bebend, „nach meinem Vater.“ War das eben ein leises Schluchzen? „Nathaniel“, sage ich beruhigend und schnaufe tief durch. „Der Typ hat gesagt, dass er dich nicht kennen würde“, fahre ich fort und versuche nicht allzu genervt zu klingen. „Das ist kompliziert“, meint er und schluckt jetzt hörbar. „Ach! Ist mir auch schon aufgefallen, stell dir vor!“, verfalle ich wieder in meinen Sarkasmus und schnaube entnervt auf. „Maxim, ich kann nicht darüber reden“, sagt er plötzlich erstickt, „es tut mir so leid!“ Und weg ist er. Ich starre einen Moment fassungslos mein Handy an, dann rufe ich ihn erneut, von Gewissensbissen geplagt, an. Es dauert eine Weile, bis er endlich rangeht. „Was?“, sagt er nur mit dünner Stimme und nun zerfließe ich fast, vor Mitleid. „Es tut mir leid“, raune ich zerknirscht, „geht mich ja eigentlich auch gar nichts an! Ähm, das wollte ich dir nur noch sagen!“ „Danke“, erwidert er leise und es entsteht wieder eine dieser blöden, verlegenen Pausen. „Möchtest du vielleicht, also?“, stammelt er plötzlich und ich nicke heftig in mich hinein. Oh Mann, sicher, möchte ich! „Du meinst, ein Treffen?“, antworte ich souverän. „Ja?“ „Sag mir deine Adresse und ich komm vorbei“, meine ich lässig. Wieder Pause. „Geht nicht, ich bin bei meinem Dad, also zu Hause und er, also er weiß es nicht“, stottert er herum und mir wird auf einmal vieles klar! Das ist es also, er hat sich noch nicht geoutet! Herrje, was bin ich nur für ein Arsch! „Nathaniel, das ist doch kein Problem“, beruhige ich ihn schnellstens, „es ist heute so schönes Wetter! Was hältst du davon, wenn wir uns, sagen wir um zwei, im Englischen Garten treffen? Am Chinesischen Turm? Ok?“, sage ich jetzt überfreundlich und warte mal wieder auf eine Antwort. „Nathaniel?“, frage ich vorsichtig. „Ja?“ „Und?“ „Ja, das wäre gut“, antwortet er endlich. Mann o Mann, bei dem braucht man echt Nerven! „Schön, also dann, bis später“, flöte ich dennoch. „Ja“, ist alles, was ich noch zu hören bekomme und seufzend mache ich mich auf den Weg nach Hause.
Ich habe gerade noch Zeit, um mich etwas frisch zu machen und meine Klamotten zu wechseln. Diesmal trage ich meine besten Jeans und ein nagelneues, figurbetontes Long-T, natürlich mit der Absicht, etwas jugendlicher rüberzukommen. Schnell noch etwas Deo und dann nichts wie los, denn wenn ich ehrlich bin, kann ich es kaum erwarten ihn wiederzusehen. Pünktlich um zwei Uhr, stehe ich also am Chinesischen Turm und blicke mich suchend in alle Richtungen um. Von Nathaniel ist weit und breit nichts zu sehen und ich schnaufe wieder einmal leicht gefrustet durch. Pünktlichkeit scheint wohl nicht gerade seine Stärke zu sein, denn ich warte eine geschlagene halbe Stunde, bis er endlich in Sichtweite erscheint. Ich war schon drauf und dran, zu gehen, ehrlich! Doch dann sehe ich ihn, wie er auf seine schüchterne, fast hilflose Art auf mich zu kommt. Er sieht mich ebenfalls, bleibt kurz stehen, senkt den Blick, sieht mich wieder an und lächelt. Nein, er strahlt regelrecht übers ganze Gesicht, vor Freude mich zu sehen, das ist ihm ehrlich anzumerken. Schnell geht er nun auf mich zu und bleibt erst kurz vor mir wieder stehen, zwar noch immer zart lächelnd, doch seinen Blick hält er wieder vor mir gesenkt, so als ob er es nicht wagen würde, mich direkt anzusehen. Er ziert sich ein wenig, dreht und wendet sich verlegen, stopft seine Hände in die Hosentaschen und ich bin versucht, ihn einfach in die Arme zu nehmen. „Hi“, haucht er leise, ohne mich anzusehen, „tut mir leid, ging nicht eher. Hatte noch stress, zu Hause.“ Häh? Mit dreiundzwanzig? Sollte ich mir doch mal seinen Ausweis zeigen lassen? Der Typ ist und bleibt, mir ein Rätsel! „Macht doch nichts, bin auch gerade erst gekommen“, wiegle ich ab und würde ihm ja gerne zulächeln, wenn er mich doch nur mal ansehen würde. Doch Nathaniel denkt gar nicht daran und guckt lieber an mir vorbei, weiß der Himmel, wohin! „Hallo?“, sage ich etwas unwirsch und winke vor seiner Nase, „hier bin ich! Kuckuck!“ Vielleicht hätte ich das nicht tun sollen, denn nun weicht er regelrecht erschrocken vor mir zurück, sieht mich jetzt zwar an, aber nur kurz und echt schockiert. Doch dann umspielt ein schüchternes Lächeln seine schönen Lippen und, klar, wieder sieht er zur Seite. „Entschuldige bitte“, nuschelt er leise und ich knuffe ihn leicht auf den Oberarm. „Quatsch! Aber du kannst mich ruhig ansehen, hm?“, raune ich sanft und er gluckst leise, wie ein Baby, das sich über etwas freut. Ich glaube, ich muss wohl die Regie übernehmen, sonst wird das nie was, mit uns und wir stehen morgenfrüh noch immer hier herum! Unwillkürlich entkommt mir ein Seufzer, ich lege einfach einen Arm um ihn und führe ihn mit mir, hinüber zu den Bierbänken. Er lugt etwas mulmig zu mir hoch, doch als ich ihm zuzwinkere, grinst er endlich und wirkt beinahe so selbstbewusst, wie bei unserem ersten Treffen in der Galerie. Wir setzen uns gegenüber und ich sehe ihn mit leicht schräggeneigtem Kopf an. „Weißt du, manchmal habe ich das Gefühl, dass es dich zweimal geben würde! Hast du vielleicht einen Zwilling?“, frage ich ihn schmunzelnd und er nimmt erstaunt den hübschen Kopf zurück. Er sieht mal wieder zum Anbeißen aus, trägt ein schwarzes langärmeliges Shirt, dass ihm mindestens eine Nummer zu groß ist und verwaschene, an den Knien zerrissene Jeans und jeder, der ihn darin sieht, würde ihn damit auf höchstens sechzehn schätzen. Um den Hals hat er einen dieser modischen Schlauchschals geschlungen und in diesem Outfit gibt er einen echt süßen Twink ab. Ich mustere ihn nochmals eingehend und komme mir regelrecht alt vor neben ihm, obwohl uns nur zwei Jahre voneinander trennen. Man, jetzt wenn irgendeiner kommt und uns für Vater und Sohn hält, schmeiß ich mich echt in die Isar! „Ich, ähm, was meinst du? Wieso?“, fragt er völlig verblüfft zurück. „Naja, als ich dich kennengelernt habe, hatte ich einen völlig anderen Eindruck von dir“, antworte ich und sehe ihn stirnrunzelnd an. „Du hast ganz anders auf mich gewirkt, irgendwie selbstbewusster, naja, eben ganz anders!“ Natürlich senkt er sofort wieder den Blick. „Ich“, er schnauft tief durch, beißt sich auf die Unterlippe und scheint mit sich selbst zu ringen. Mann, sag`s doch einfach! Doch was macht er? Sieht in die ganz andere Richtung und schweigt. Langsam macht er mich wahnsinnig, echt! „Nathaniel, was ist denn los, hm?“, versuche ich es ganz sanft und verständnisvoll, „du kannst mir wirklich alles sagen!“ Um es noch zu unterstreichen, fasse ich hinüber und ergreife seine Hand. Oje, jetzt sieht er mich an, als würde er gleich weglaufen, schreckt sogar leicht zurück und ich lasse ihn sofort wieder los. Die Bedienung kommt und wir bestellen uns zwei Radler. „Du würdest es nicht verstehen“, sagt er plötzlich, ganz leise. Er sieht dabei auf seine Hände, die er jetzt unentwegt in seinem Schoß knetet und kaut kurz an seiner Unterlippe. „Dann versuche es doch einfach, hm? Hat es was mit deinem Onkel zu tun?“, frage ich sanft. Er sieht mich an, endlich, und schüttelt den Kopf. „Doch“, sagt er dann und zuckt hilflos die Schultern. „Niemand darf wissen, dass ich dort war“, flüstert er beinahe geheimnisvoll, „meine Familie ist zerstritten!“ Er sieht mich richtig ernst an, „wenn mein Vater herausfindet, dass ich bei meinem Onkel war, dann bringt er mich um, oder ihn!“, sagt er und nickt auch noch. Jetzt lehne ich mich erstmal schockiert zurück. „So schlimm?“ Wieder nickt er und senkt traurig seinen Blick. „Meine Eltern sind geschieden. Papa hat das alleinige Sorgerecht für mich bekommen, weil naja, meine Mutter hat mal ziemlichen Scheiß gebaut. Seitdem, darf ich sie und ihre Familie nicht mehr sehen. Aber, manchmal, da besuche ich sie und meine Großeltern heimlich“, flüstert er und ich spüre, wie es ihn fast zerreißt. „Wow“, sage ich erstmal und bin froh, dass unsere Getränke kommen. Jetzt brauche ich einen Schluck, eigentlich was Stärkeres, aber ok, Radler ist am Nachmittag auch gut. Ich proste ihm mit meiner Halben zu und trinke einen großen Zug. „Aber, du bist doch schon volljährig, also, du kannst doch machen, was du möchtest“, sage ich, doch er schüttelt erneut seinen Kopf. „Eben nicht! Das ist es ja, was ich vorhin gemeint habe, dass du es nicht verstehen würdest! Mein Vater hat uns alle in der Hand! Entweder ich tue, was er sagt, oder ich fliege raus! Er enterbt mich und macht die Familie meiner Mutter fertig!“, antwortet er trübsinnig und nippt an seinem Glas. Ich bin echt schockiert und kann nicht anders, als erneut seine Hand zu ergreifen. „Nathaniel, ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll, es tut mir echt leid, also, nicht nur das mit deiner Familie, sondern auch, dass ich mich wie ein Idiot benommen habe“, sage ich ehrlich betroffen. „Er, dein Vater, weiß nicht, dass du schwul bist, oder?“, frage ich ganz vorsichtig. Nathaniel schüttelt traurig seinen wunderschönen Kopf. „Nein! Und das darf er auch nie erfahren“, antwortet er schluckend. Herrje! Das darf ja wohl nicht wahr sein! So ein Arschloch, von Tyrann! Und dass heutzutage! Ich fasse es nicht! Selbst meine Eltern, und wir kommen vom Land, sind verständnisvoller! Ich möchte ihn plötzlich nur noch in meine Arme nehmen, ganz fest. „Nathaniel, ich, es tut mir echt leid und ich möchte mich nochmals bei dir entschuldigen“, sage ich betroffen und auf einmal fängt er an zu weinen. Er versucht noch, es irgendwie zurückzuhalten, schluckt, kämpft, doch dann schluchzt er nur noch, beißt sich verzweifelt auf seine Unterlippe und holt so tief Luft, dass ich förmlich mit ihm nach Luft ringe. Ich kann nicht anders, gehe sofort um den Tisch herum, setze mich neben ihn und ziehe ihn in meine Arme. „Hey“, sage ich ganz zärtlich und er verbirgt sein Gesicht in meiner Halsbeuge. „Bitte, bring mich weg“, schluchzt er und ich nicke nur. Ich werfe einen Zehner auf den Tisch, ziehe ihn mit mir hoch und führe ihn mit mir.
Wir sitzen bei mir zu Hause auf der Couch, Gott sei Dank, ist Lena nicht da. Ich habe uns einen Tee gemacht und Nathaniel sitzt zusammengesunken da, den dampfenden Becher mit beiden Händen umklammert haltend. Er hat kaum ein Wort gesprochen, seither und starrt nur vor sich hin. Ich sitze neben ihm und muss zugeben, dass ich mich völlig überfordert fühle. Er nimmt immer mal wieder einen Schluck, dann, als seine Tasse leer ist, lehnt er sich plötzlich gegen mich. „Nimmst du mich bitte, in deine Arme?“, flüstert er und ich ziehe ihn wie selbstverständlich an mich. Er wirkt plötzlich so klein, so unschuldig, so verletzlich und hilflos, dass ich gar nicht anders kann, als ihn einfach nur zu streicheln. Ich spüre seinen Mund an meiner Halsbeuge, seinen aufgeregten Atem, dann knabbert er auf einmal an meiner Haut, küsst mich, zieht die empfindliche Haut ein, leckt sogar daran. Scheiße! Was macht er nur? Ich stöhne unwillkürlich, beuge mich zu ihm und unsere Lippen finden sich. Er küsst mich, wie ein Verdurstender, verschlingt mich beinahe, beißt mich sogar leicht und presst sich derart an mich, dass ich kaum noch Luft bekomme. Ganz plötzlich hält er inne, zuckt zurück und schlägt beide Hände vor sein schönes Gesicht.
„Nathaniel“, raune ich dieses Mal hilflos und er schluchzt auf. „Ich sollte gehen“, sagt er schniefend, doch er steht nicht auf. Ich ergreife seine Hände und küsse ihn sanft auf die Wange. „Möchtest du denn gehen?“, frage ich ihn leise und er schüttelt seinen Kopf. „Ich, ich habe mir so etwas, immer gewünscht“, stottert er, „jemanden, der mich einfach nur festhält, der mich beschützt und führt, bei dem ich mich fallen lassen kann und keine Verantwortung mehr übernehmen muss.“ Häh? Ach Scheiße, was meint er denn nun wieder? Egal! Ich bin bereit dazu! Ich werde ihn festhalten und beschützen, von nun an! Das nehme ich mir in diesem Moment ganz fest vor!