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Nathaniel

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Ich höre, wie er leise meinen Namen sagt, doch ich möchte einfach nicht wachwerden. „Nathaniel!“, sagt er energischer und ich blinzle zu ihm hoch. Wie immer, hat er mir eine Pause gegönnt, ein, zwei Stunden Schlaf, damit ich mich erholen kann, nach seiner `Behandlung´. Er rüttelt an meiner Schulter und sieht mich streng an. „Na los, komm schon, setz dich auf! Hier“, sagt er und reicht mir die große Suppentasse. Er macht mir immer eine frische Hühnerbrühe, während ich schlafe, ich rapple mich hoch und nehme die Tasse dankend entgegen. Die Brühe schmeckt wieder einmal himmlisch gut, ist gerade noch heiß genug, damit ich sie in kleinen Schlucken trinken kann. Ich nehme mir Zeit, wohl zu viel, denn er wirkt ziemlich ungeduldig. „Nun mach schon! Du kannst noch duschen und dann verschwinde!“, raunt er. „Kann ich nicht noch bleiben?“, frage ich leise, ohne ihn anzusehen. „Bitte?“ Eduard schnauft tief durch. „Nathaniel, was soll das? Du kennst die Regeln! Also mach!“ Ja, ich kenne die Regeln. Er hat sie bestimmt und ich war damit einverstanden. Es ist immer so, schließlich hat er mich gekauft, für diese Nacht. Ich schließe die Augen und spüre, wie mein ganzer Körper schmerzt. Besonders meine Arme und vor allem, meine Achseln. Meine Handgelenke brennen und zeigen deutliche Spuren von den Fesseln. Ich streiche über meine nackte Haut, beinahe fröstelnd, obwohl es angenehm warm ist, im Raum. Er sorgt immer dafür, dass es mir gut geht, danach. „Brauchst du noch etwas?“, fragt er und ich schüttle den Kopf. Meine Brustwarzen fühlen sich geschwollen an und brennen wie Feuer. Er war heute extrem hart zu mir und ich hatte es verdient, schließlich habe ich ihn warten lassen, in der Galerie… Aber da war dieser unglaublich süße, nette Typ… „Mein Geld?“, frage ich. „Dort!“, antwortet Eduard und deutet fahrig zur Kommode hin. Klar, es liegt immer dort, in einem Kuvert. Ich stehe auf, stelle die Tasse auf das Schränkchen, nehme den Briefumschlag und werfe einen Blick hinein. Er hat einen Hunderter extra rein, das wären dann sechshundert nur für mich, plus meinen Anteil, den ich von der Agentur bekomme. Eduard ist einer meiner besten Kunden, immer sehr großzügig, wenn es um das Bezahlen geht und er bucht mich oft. Mindestens einmal im Monat bestellt er mich hierher, zu einer Session, wie er es bezeichnet. „Danke“, sage ich, während ich mich wieder zu ihm umdrehe. Eduard nickt nur kurz und streckt mir seine Hand entgegen. „Hast du dir redlich verdient, heute“, sagt er und ich weiß, was er nun von mir erwartet. Mit gesenktem Haupt knie ich nieder und küsse ihn flüchtig auf den Handrücken. „Du bist entlassen“, erwidert er zufrieden und ich nicke leicht. „Danke, Master“, hauche ich demütig und er zieht seine Hand zurück. Damit darf ich aufstehen und mich wieder ankleiden. Duschen werde ich zu Hause, ich bin einfach zu erledigt im Moment. „Ich rufe dir ein Taxi“, sagt er beinahe sanft. Natürlich tut er das, macht er ja immer. Es ist vier Uhr morgens, als ich endlich zu Hause bin. Ich werfe einen Blick in Alex` Zimmer, er schläft und ich lehne die Türe leise wieder an. Er mag es nicht, wenn ich sie ganz schließe, er fühlt sich sonst eingesperrt und so lasse ich sie einen kleinen Spalt offenstehen. Ich schlurfe ins Bad, schließe die Tür und drehe den Wasserhahn auf. Während die Wanne vollläuft, putze ich mir gründlich die Zähne, dann ziehe ich mich aus und gleite in das heiße Wasser. Autsch! Aaah, meine Nippel brennen wie Feuer, als sie mit der Hitze in Berührung kommen. Ich mag diese verdammten Klemmen nicht und Eduard setzt sie nur ein, wenn er mich bestrafen will. Ja, und das wollte er heute auch und wie! Selbst schuld! Hättest ihn nicht warten lassen sollen, du weißt, wie sehr er das hasst und dann habe ich auch noch mit diesem anderen Mann gesprochen, in seinem Beisein! Ein absolutes No-Go! Der Typ war aber auch der Hammer! Groß und breitschuldrig und super gutaussehend! So müsste er aussehen, mein Traummann! Träume ich vor mich hin und spüre, wie sich mein Körper langsam entspannt. Die Wärme des Wassers tut mir gut und ich umarme mich selbst, wohlig seufzend. Morgen habe ich Geburtstag, eigentlich ja schon heute, denn es ist ja schon weit nach Mitternacht und damit schon Sonntag. Mein dreiundzwanzigster, Wahnsinn! Ich kann es kaum glauben, wie alt ich schon bin! Und wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich im Moment echt alt, mindestens wie Hundert. Wieder entkommt mir ein Seufzer. Manchmal bin ich es so leid, habe die Schnauze so voll, von diesem beschissenen Leben und sehne mich einfach nur nach jemandem, der mich festhält. Ein starker Mann, der sich um alles kümmert, mir alles abnimmt und die Verantwortung für mich übernimmt, so wie ich die letzten Jahre die Verantwortung über meinen kleinen Bruder Alex übernommen habe, seit… Ja, seit ich unsere Eltern umgebracht habe. Es war ein Unfall, haben alle immer wieder gesagt, ja sicher, aber ich habe ihn verschuldet. Es ist seltsam, aber ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, an jede verdammte, kleine Einzelheit, als wäre es gestern gewesen und nicht vor vierzehn Jahren. Ich war gerademal neun Jahre alt und Alex vier. Wir saßen auf der Rückbank und ich habe ihn mal wieder geärgert, weil mir langweilig war. Irgendwann habe ich ihm seinen Plüschhasen weggenommen und Alex hat angefangen zu weinen. Mama hat sich umgedreht und mit mir geschimpft, wie immer halt, immer bin ich der Böse. Dann habe ich das Fenster heruntergedreht und den blöden Hasen hinausgehalten, ich wollte ihn nicht fallen lassen, aber der Fahrtwind war so stark und hat ihn mir einfach aus meiner kleinen Hand gerissen. Alex hat geschrien, wie verrückt und Mama hat nach mir geschlagen, dann hat Papa sich umgedreht und mich angeschrien, warum ich immer Ärger machen würde und dann, hat es fürchterlich gekracht. Ein LKW vor uns hat plötzlich gebremst und unser Auto ist einfach dagegen gefahren und hat sich darunter geschoben. Dabei wurde das Dach unseres Wagens komplett abgerissen, wie bei einer Konservenbüchse. Mama und Papa waren sofort tot, ich hatte nur ein paar Kratzer abbekommen, nichts Schlimmes und Alex blieb wie durch ein Wunder, komplett unverletzt. Äußerlich jedenfalls, denn seit dem Unfall ist er anders. In sich gekehrt und irgendwie emotionslos. Er findet keinen Draht zu anderen, nur an mir, hängt er wie eine Klette. Wir kamen danach ins Heim, denn für eine Pflegefamilie schienen wir ungeeignet, zu problematisch, außerdem sprach ich kaum ein Wort Deutsch und Alex sprach überhaupt nicht mehr. Über ein Jahr lang, kein einziges Wort. Später wurde das Asperger-Syndrom bei ihm diagnostiziert und sie sagten mir, dass das nichts mit dem Unfall zu tun haben würde, sondern angeboren sei und sich die ersten Symptome meistens erst um das vierte Lebensjahr herum, zeigen würden. Ich glaubte ihnen nicht, wieso auch? Alex war vor dem Unfall völlig normal, ein lieber, netter kleiner Junge. Vielleicht war er ein wenig ruhiger und stiller, als ich und Mama sagte immer, dass er so lieb und unkompliziert sei. Er konnte sich stundenlang mit sich selbst beschäftigen und spielen, im Gegensatz zu mir. Ich wollte immer Action und dass er mit mir spielt, doch dann konnte ich nichts mit ihm anfangen und fand ihn einfach nur langweilig und doof. Ja, und manchmal, hasste ich ihn regelrecht, weil er Mamis Liebling war und jeder immer total begeistert von ihm, dem braven, lieben kleinen Alex, war. Und heute, hasse ich mich, dafür, dass ich unsere Leben zerstört habe. Mit achtzehn habe ich das Heim verlassen und ihm versprochen, dass ich ihn so schnell wie möglich zu mir holen würde. Ich suchte mir sofort einen Job, fand aber auf die Schnelle nur eine Anstellung als Barkeeper in einem Schwulenclub. Da hat mich dann dieser Mann angesprochen und mir Geld angeboten, wenn ich mit ihm… Natürlich habe ich abgelehnt, zunächst. Aber dann legte er zwei Hunderter vor mich hin und ich folgte ihm in den Darkroom. Das war mein erstes Mal. Er war es auch, der mir den Job bei dieser Escort Service Firma vermittelte. Ich wäre wie dafür geschaffen, sagte er mir und ja, er hatte recht, denn seitdem arbeite ich hauptberuflich als Callboy. Ich war sofort sehr begehrt bei den Kunden und gefragt, weil es sich bald herumsprach, dass ich für Geld fast alles tun würde. Mir war das alles gleichgültig, ich ließ alles über mich ergehen, Hauptsache die Kohle stimmte und bald konnte ich mir eine wirklich noble Wohnung leisten. Bereits ein Jahr später, holte ich Alex zu mir und seit dem, kümmere ich mich um ihn. Dieser Typ, geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Soll ich ihn wirklich anrufen? Und dann? Sobald er erfährt, was ich bin, ist er eh wieder weg, so wie alle anderen auch. Denn immer, wenn sie rausfinden, dass ich nichts weiter als eine Hure bin, ein besserer Stricher eben, sind sie fort und ich wieder allein. Und das tut weh, sehr weh, mehr als das, was mir manche meiner Kunden körperlich an Schmerzen zufügen. Körperlicher Schmerz macht mir nichts aus, manchmal genieße ich es sogar. Ich weiß, das klingt krank, aber in diesen Momenten fühle ich mich am Leben, gebe für diese Zeit die Kontrolle ab und gebe mich ganz in deren Hände. Und manchmal wünsche ich mir, dass einer von ihnen sagen würde, bleib Nathaniel. Doch das tun sie nie, sie bezahlen mich und dann schicken sie mich fort, bis zum nächsten Mal. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, was mit mir nicht stimmt, warum ich mich so zu älteren, mir überlegenen Männern hingezogen fühle und ich es genieße von ihnen dominiert zu werden. Ich sehne mich regelrecht danach, nach einem Mann, zu dem ich aufsehen kann, der mir jeden Tag seine Stärke beweist und mich auf Händen durchs Leben trägt. Für so jemanden, würde ich alles tun und aufgeben… Nein, natürlich nicht, es würde gar nicht gehen, denn da ist ja noch Alex und der braucht mich mehr, als ich irgendjemanden anderen. Also hör auf zu träumen! Nachdem ich mich abgetrocknet habe, stehe ich noch kurz vor dem Spiegel und sehe mich an. Kein einziges Härchen ist auf meinem perfekten Körper zu sehen, genauso, wie es die meisten meiner Kunden von mir erwarten. Viele sagen, dass ich wunderschön aussehe und ein richtiger Adonis wäre, doch ich kann nur Abscheu empfinden, bei meinem Anblick. Ich wende mich ab, mache das Licht aus und gehe schlafen, wenigstens ein paar Stunden noch, bis mich mein kleiner Bruder weckt, damit ich ihm Frühstück mache… Herzlichen Glückwunsch, zum Geburtstag, Nathaniel!

Ich habe es tatsächlich getan und habe ihn angerufen! Wir verabreden uns zum Essen und als ich ihn sehe, stockt mir fast der Atem. Er sieht so unglaublich gut aus, viel besser noch, als gestern und allein wie er da vor mir steht, so selbstbewusst und überlegen wirkend, lässt mein Herz rasend schneller schlagen. Maxim sieht mich in diesem Moment ebenfalls, lächelt mir zu und ich gehe schnell auf ihn zu, würde ihm am liebsten um den Hals fallen, vor Freude ihn wiederzusehen. Dieser Blick, mit dem er mich ansieht und mustert, geht mir sofort tief unter die Haut und ich kann ihm nicht länger Widerstand leisten. Wie von selbst senken sich meine Augen vor ihm, um ihm damit zu signalisieren, dass ich ihn als den dominanteren von uns, anerkenne. Er reicht mir seine Hand und ich würde am liebsten vor ihm niederknien, als ich sie schüchtern ergreife. Was für ein Händedruck! Ich habe mich also nicht getäuscht, er ist ein echtes Alpha und ich weiß im Moment gar nicht, wie mir geschieht. Mein Kopf ist wie leergefegt, genau wie mein Magen, der sich plötzlich laut knurrend meldet und mir klarmacht, dass ich unbedingt etwas zu essen brauche. Wir betreten das Lokal, bestellen rasch unsere Essen, ich muss gar nicht lange überlegen, weil ich hier meistens immer das Gleiche bestelle, nämlich gebratene Ente und wir stellen amüsiert fest, dass er genau dasselbe ausgesucht hat. Wenn das kein Zufall ist! Damit ist der erste Damm gebrochen und wir unterhalten uns prächtig, dabei lasse ich ihn die meiste Zeit reden, so wie es sich gehört und ich es inzwischen gewöhnt bin. Auch wenn ich mit einem Kunden ausgehe, ist es so und ich habe gelernt, ein guter Zuhörer zu sein, doch dann fragt er mich plötzlich etwas über meinen Vater. Häh? Ach so, gestern, er meint Eduard! Scheiße! Und jetzt? Was sage ich jetzt? Wer er in Wirklichkeit ist? Nein, bloß nicht! Maxim würde sofort aufstehen und gehen, dass weiß ich! Ich möchte aber nicht, dass er geht, nicht heute, nicht jetzt! Möchte einfach einmal, ein paar schöne Stunden erleben, nur für mich und für meinen Geburtstag und so beschließe ich, es ihm nicht zu sagen. Jedenfalls nicht heute! Wir unterhalten uns weiter und wieder fragt er mich etwas über meine Eltern. Ich bin einen Momentlang völlig verwirrt, weiß einfach nicht, was ich antworten soll und trinke erst einmal von meinem Weizen. Mmmh, das tut gut. Oh, das Essen kommt, so ein Glück! Genau zum richtigen Augenblick! Mann, habe ich Kohldampf! Sofort stürze ich mich auf meine Ente und danach fühle ich mich wie neugeboren! Morgen muss ich unbedingt einkaufen gehen, sonst verhungere ich noch, denn ich habe heute unser letztes Essbares Alex überlassen. Habe ihm Rühreier gemacht, dazu die letzten drei Toastscheiben und am Abend hat er noch die zwei Becher Milchreis verdrückt, die noch im Kühlschrank waren. Ich wollte ja Pizza bestellen, aber heute ist wieder einer dieser schlechteren Tage, an denen er alles ablehnt, was außerhalb seines inneren Planes verläuft. Er war den ganzen Tag schlecht gelaunt, zickig und bockig, so als würde er spüren, dass ich etwas vorhatte. Doch dieses Mal blieb ich stur, wollte einmal, nur einmal, etwas für mich und auch wenn es mich innerlich zerriss und ich nun natürlich ein schlechtes Gewissen deshalb habe, ließ ich ihn einfach allein. Ich habe ihn angelogen und gesagt, dass ich arbeiten müsse. Natürlich weiß er nicht, was ich arbeite, aber er ist daran gewöhnt, dass ich spontan das Haus verlassen muss, wenn ich von meiner Agentur eine Buchung bekomme. Dann setze ich ihn vor unseren riesigen Flatline Fernseher und lasse ihn mit unserer PS 4 spielen. Alex liebt diese Spielekonsole und ich weiß, dass er nicht eher damit aufhört, irgendwelche Alienballerspiele zu zocken, bis ich wieder zu Hause bin. Eine Tüte Chips und PS 4, der beste Babysitter, den ich mir denken kann! Maxim redet derweil weiter, erzählt mir von sich und Lena und sogar von seinen bisherigen Partnern und ich höre ihm wie gebannt zu. Immer wieder schweifen meine Gedanken dabei ab und ich stelle mir vor, wie es wäre, eine richtige Beziehung zu haben. Vielleicht sogar mit ihm, male mir aus, wie es wäre, wenn ich ihm das mit Alex erzählen würde und er Verständnis dafür hätte. Ich sehe uns drei zusammensitzen, Alex spielt glücklich vor sich hin und Maxim sieht mich verliebt an. Er hält mich im Arm, ich lehne mich an ihn und weiß, dass jetzt endlich alles gut werden wird. Dass es nur noch ihn in meinem Leben gibt und er für uns sorgt. Dann, ganz plötzlich, zerplatzt die Seifenblase und ich sehe wieder nur die Wirklichkeit. Ich werde niemals dieses Leben haben! Denn Alex steht an erster Stelle und ich muss mich um ihn kümmern, so wie ich es Mama an ihrem Grab geschworen habe. Wir beschließen, nach dem Essen noch ein wenig spazieren zu gehen und es ist einfach nur wunderschön, zwischen uns. Als wir draußen sind, bleibe ich kurz stehen und küsse ihn einfach. Ganz schnell und bevor er überhaupt begreift, was geschehen ist, ziehe ich ihn weiter, weg von den Leuten um uns herum und hinein in eine der stilleren Seitengassen. Da stehen wir nun, er kommt näher und dann, küsst er mich. Ich könnte heulen, vor Glück, schmelze förmlich dahin unter seinen wunderbar sanften Küssen, er schmeckt so gut, hm, immer noch nach chinesischem Essen und erst sein Duft! Ich bin wie benebelt davon und weiß in diesem Augenblick genau, dass er es ist! Ja, genau so, muss er riechen und schmecken, mein Traummann! So unglaublich männlich intensiv, nicht nach teurem Parfüm, wie viele meiner Kunden. Maxim riecht anders, irgendwie pur, wie frisches Quellwasser mit einer Spur von herber Waldluft, nach Natur, würzig wie frisches Heu oder Kräuter der Provence! Mmmh! Ich inhaliere förmlich seinen Duft, kann gar nicht genug von ihm bekommen, er schiebt plötzlich seine Hand unter mein Shirt, streichelt mich, fährt dann tiefer und seine Finger gleiten in meinen Hosenbund. Ich weiß selbst nicht, was auf einmal mit mir los ist, aber ich schrecke zurück. Er wirkt verwirrt, lässt mich sofort los und macht einen Schritt rückwärts. Ich versuche mich irgendwie herauszureden, fasle etwas von tut mir leid, bitte entschuldige und er? Er ist einfach nur verständnisvoll, nimmt mich sogar nochmals in den Arm und ich halte es kaum noch aus. Was bin ich nur für ein verdammtes Miststück, ein elender Heuchler! Wenn er wüsste, was ich wirklich bin, dann würde er sicher nicht so reagieren! Wenn er wüsste, wie viele Schwänze ich schon gelutscht habe, dann würde er mich nur von sich stoßen, angewidert von mir! Jetzt sagt er auch noch, dass es seine Schuld wäre, er entschuldigt sich bei mir! Ganz sanft, zieht er mich wieder zurück, auf die Hauptstraße. Wir spazieren noch ein wenig herum und mir wird klar, dass ich es nicht kann. Ich kann diesen wundervollen Menschen nicht länger anlügen und ihm etwas vormachen, doch dann sieht er mich wieder auf diese wundervolle Weise an. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht loszuheulen und frage ihn tatsächlich, ob er mich wiedersehen möchte. Er sagt ja! Ich küsse ihn, springe ihm geradezu an den Hals und renne dann einfach davon. Dabei weiß ich genau, dass ich ihn nicht wiedersehen werde, denn ich werde ihn nicht wieder anrufen, er ist mir zu wichtig.

Es ist Mittwoch und ich habe kurzfristig einen Auftrag angenommen. Hartmut Borchert, ein Ex-Fußballprofi und nun auf dem besten Wege Trainer einer Jungendmannschaft zu werden, hat mich gebucht. Ich kenne ihn, er nimmt meine Dienste öfter in Anspruch und natürlich, darf niemand von seiner homosexuellen Neigung erfahren. Deshalb treffe ich ihn grundsätzlich bei ihm zu Hause, vormittags, so als wäre ich einfach einer seiner jungen Spieler, der ganz unverfänglich zu Besuch kommt. Ich mag ihn, er ist nett und freundlich, einfach ein netter Typ und manchmal tut er mir echt leid. Wieso kann er nicht einfach zu seiner Homosexualität stehen? Mann, wir leben im 21. Jahrhundert! Und doch gilt es in manchen Berufen noch immer als absolutes No-Go, sich zu outen. Er sieht wirklich gut aus, ist vom Aussehen her eigentlich voll mein Typ, aber irgendwie stimmt die Chemie zwischen uns nicht, denn er hat eben nicht das, wonach ich mich insgeheim sehne. Nach einer schnellen Nummer ist alles vorbei, ich kassiere mein Geld und bin weg. Das Taxi wartet schon, ich steige ein und fahre wieder nach Hause. Alex ist noch nicht von der Schule zurück und so kann ich mich noch ein wenig meinen unerfüllten Träumereien hingeben, als plötzlich mein Handy klingelt. Es ist Maxim, wie ich im Display erkenne und ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll. Soll ich rangehen? Lieber nicht, besonders nach unserem letzten Telefonat. Er hat mich am Montag angerufen und wir haben uns gestritten. Eigentlich sollte ich ihn fairerweise einfach ignorieren und seine Nummer löschen, doch dann, ich kann nicht anders, gehe ich doch ran. Mann, ist der sauer! Und das macht mich total an! Die Art, wie er mit mir spricht, mich zusammenstaucht und beherrscht, ich kann einfach nicht anders, als schließlich irgendwelche Geschichten zu erfinden. Ich lüge ihn an, dass sich die Balken biegen und fühle mich so schlecht dabei, dass ich über mich selbst kotzen könnte und doch willige ich ein, mich erneut mit ihm zu treffen. Natürlich schaffe ich es nicht, pünktlich zu sein. Alex kam von der Schule und wollte die Tiefkühlpizza nicht essen, die ich für ihn zubereitet hatte. Anscheinend hat ihn mal wieder die Anzahl oder Anordnung der Champignons nicht gefallen. Das kommt öfter vor, wenn ihm irgendetwas nicht passt, fängt er an zu zicken und weigert sich zu essen. Ich bin beinahe durchgedreht, habe ihn angeschrien, habe wütend die Pizza weggeworfen und ihn einfach in der Küche sitzen lassen. Eine halbe Stunde später, habe ich eine neue, die er vorher eingehend untersucht und schließlich für gut genug befunden hatte, für ihn in den Ofen geschoben und er war wieder glücklich. Solche Tage machen mich fix und fertig und manchmal überlege ich mir dann ernsthaft, ob oder wie lange, ich das noch aushalte. Maxim steht wartend da, sieht ziemlich genervt aus und ich denke für einen Augenblick, ob es nicht einfach besser wäre, wieder umzudrehen. Doch als er mich lächelnd ansieht, bin ich wieder mal hin und weg, von seiner Präsenz. Er sieht umwerfend cool heute aus und macht lässig ein paar Schritte auf mich zu. Jetzt gibt es kein Halten mehr, für mich und ich renne beinahe zu ihm hin. Ich stammle irgendeinen Mist, entschuldige mich für mein Zuspätkommen und was macht er? Winkt einfach nur ab, legt wie selbstverständlich einen Arm um meine Schultern und führt mich ganz souverän zu den Tischen hinüber. Wir setzen uns und er fragt mich, was ich denn für ein Problem hätte. Ich sitze da und kann ihm einfach nicht antworten, was denn auch? Dieser Mann ist ein absolutes Phänomen für mich, hat scheinbar für alles Verständnis und was tue ich? Ich tische ihm weitere Lügen auf! Wieder einmal belüge ich ihn aufs Unverschämteste und er hört mir geduldig und voller Mitgefühl dabei zu. Als er dann noch meine Hand ergreift, kann ich schlichtweg nicht mehr und bin wirklich kurz davor, einfach wegzurennen. Plötzlich breche ich regelrecht zusammen, die letzten Tage, beziehungsweise Nächte, kommen wieder in mir hoch und ich fange tatsächlich an zu heulen. So eine Scheiße! Ich kann einfach nicht mehr, weine wie ein kleines Kind los, er kommt sofort um den Tisch herum, setzt sich zu mir und nimmt mich in seine wundervollen, starken Arme. Ich lehne mich an ihn, lasse mich regelrecht gehen, für einen Moment und will nur noch weg. Er bringt mich zu sich nach Hause, mit einem Taxi fahren wir bis nach Unterhaching und dann sitzen wir in seinem Wohnzimmer. Maxim bringt mir eine große Tasse Pfefferminztee und wir sagen lange kein einziges Wort. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, ihm alles zu erzählen, denke ich, doch meine Kehle ist wie zugeschnürt. Ich trinke meinen Tee und mir wird klar, dass ich das hier, dass ich ihn, nicht aufgeben möchte. Ich will ihn einfach nicht verlieren, möchte es einfach nur genießen, wenigstens eine kleine Weile lang, selbst wenn danach die ganze Welt zerbricht!

*

Er liegt immer noch in meinen Armen und langsam glaube ich, dass er einfach eingeschlafen ist. Vorsichtig bewege ich mich, um eine etwas bequemere Position einzunehmen und Nathaniel rappelt sich auf. „Entschuldige“, nuschelt er verlegen und ich lächle ihn an. „Warum? Ich war gern dein Kissen“, sage ich und, er grinst ein klein wenig. „Super bequem, echt“, murmelt er verschämt und ich kann nicht anders, als ihn zu packen und rasch an mich zu ziehen. Nathaniel quietscht kurz auf, vor Schreck und ich küsse ihn ungestüm. Dabei lege ich mich zurück, ziehe ihn auf mich und halte ihn ganz fest. Ich liege nun unter ihm, er stützt sich mit beiden Händen rechts und links von mir ab und für einen Moment sehen wir uns richtig tief in die Augen, bevor er seinen Blick wieder senkt. Mit beiden Händen umfasse ich nun sein zartes Gesicht und bin selbst über meine tiefe, energische Stimme überrascht, als ich ihn auffordere, mich erneut anzusehen. „Nathaniel! Sieh mich an!“, raune ich nochmals, als er nicht sofort gehorcht und er hebt unsicher wieder seinen Blick. „Du hast so wunderschöne Augen! Nur leider sehe ich sie kaum“, sage ich jetzt sanfter und er lächelt zart. Langsam ziehe ich ihn tiefer und sehe erfreut, dass er bereits seinen Mund für mich öffnet. Wir küssen uns lange und ausgiebig und dabei teste ich aus, was ihn besonders dabei anmacht. Rasch finde ich heraus, dass er es sehr mag und offenkundig genießt, wenn ich die Aktive dabei ergreife und jedes Mal, wenn ich ihn mit meiner Zungenspitze am Gaumen kitzle oder kurz über seine Oberlippe lecke, stöhnt er leise auf. Er scheint gar nicht genug davon zu bekommen und ich, ehrlich gesagt, auch nicht. Hmmm, er schmeckt so gut und es gefällt mir immer mehr, ihn mit meiner Zunge zu erkunden. „Nathaniel“, flüstere ich leise, zwischen zwei Küssen und er antwortet wieder nur mit einem leisen Stöhnen. Wie von selbst finden meine Hände den Weg unter sein Shirt, zum Glück sitzt es schön locker, und ich streichle seinen Rücken. Seine Haut fühlt sich wunderbar weich an, ist glatt und zart wie ein Babypopo und ich möchte auf einmal noch viel mehr von ihm spüren. Mit einer Hand gleite ich nun in seinen Hosenbund, spiele kurz mit den Fingerspitzen mit dem Rand seiner Pants, dann schiebe ich sie einfach darunter und streiche sanft über seine feste, unglaublich zarte Pobacke. Nathaniel legt kurz seinen Kopf in den Nacken und stöhnt mit geschlossenen Augen, ich lege meine andere Hand auf seinen Hinterkopf und drücke ihn wieder herunter, um ihn erneut leidenschaftlich zu küssen. Meine Finger wandern mehr zur Mitte hin, streicheln über seine Pospalte und langsam schiebe ich sie tiefer. Er hebt sogar leicht sein Becken an, so als wolle er mir damit signalisieren, dass er damit einverstanden wäre und meine Hand gleitet zwischen seine Backen. Wahnsinn, wie glatt seine Haut ist! Auch hier, spüre ich nicht ein Härchen und meine Erregung ist nun kaum mehr zu bremsen. Ich will ihn, hier und jetzt! Mein Schwanz ist mittlerweile so hart, dass es schmerzt und wenn ich ihn nicht bald aus meiner engen Hose befreie, könnte es passieren, dass mein Hosenstall einfach aufplatzt. Dann geschieht das, was man wohl als das, am Schlimmsten zu bezeichnende Desaster bezeichnen kann, denn nicht meine Hose, sondern Lena platzt herein. Ich höre sie bereits an der Türe meinen Namen rufen und schon steht sie plötzlich vor uns. „Ach du scheiße“, schreit sie, ich schiele zu ihr hoch und sie schlägt sich mit einem entsetzten „Huch!“, die Hände vors Gesicht. Nathaniel ruckt erschrocken hoch, ich will in dem Moment meine Hand aus seiner Hose ziehen, doch meine Finger klemmen noch zwischen seinen Pobacken und dadurch, dass er nun durch seine Position auch noch seine Backen zusammenzwickt, stecke ich regelrecht fest. „Nathaniel!“, raune ich energisch und drücke ihn mit der anderen Hand in seinem Kreuz wieder runter und bin endlich frei. Rasch ziehe ich meine Hand aus seiner Hose und er schnellt hoch. Ich starre Lena an, die nun durch ihre Finger blinzelt und anfängt zu lachen. „Scheiße!“, ruft sie prustend und verschwindet aus unserem Blickfeld. Nathaniel und ich sehen uns an, dann müssen wir zwangsläufig mitlachen. „Kannst wieder reinkommen!“, rufe ich hinüber zur Küche und Lena guckt vorsichtig um die Ecke. „Sorry, Jungs! Ich wollte echt nicht stören, aber vielleicht verzieht ihr euch das nächste Mal lieber gleich, ins Schlafzimmer“, meint sie und kommt grinsend wieder ins Wohnzimmer. Sie bleibt kurz vor uns stehen und setzt sich auf die Tischkante. „Also, ähm, ihr beiden kennt euch ja schon“, sage ich schmunzelnd, „trotzdem, nochmal ganz offiziell, Lena, das ist Nathaniel, Nathaniel, Lena“, stelle ich sie vor und sie gluckst leise. „Hi“, sagt Nathaniel nur, er sitzt jetzt in der Ecke des Sofas und seine Wangen glühen purpurrot. Ob vor Erregung oder Verlegenheit, lässt sich schwer sagen, wahrscheinlich beides und ich stelle mit Erstaunen fest, dass er Lena dabei offen ansieht. Sie grinst jetzt bis über beide Ohren und streckt ihm ihre Rechte hin. „Hi“, erwidert sie dabei und beide schütteln sich die Hände. „Tja, ok, wollte eh gerade gehen“, meint Nathaniel auf einmal, „war nett, dich kennenzulernen!“ Wie bitte? Auf gar keinen Fall! Ich ziehe meine langen Beine an, setze mich auf und lege demonstrativ meinen Arm um seine Taille. „Kann nicht dein Ernst sein!“, widerspreche ich ungläubig. „Also wegen mir, musst du nicht gehen“, kommt mir Lena noch zu Hilfe und steht auf. „Kannst ruhig noch mit uns essen, hab was Feines mitgebracht!“ Sie schlendert zurück in den Flur, holt zwei Tüten herein und schwenkt sie hin und her, während Nathaniel mich etwas verunsichert ansieht. „Natürlich bleibt er!“, antworte ich für ihn, „wird Zeit, dass ihr zwei euch näher kennenlernt, jetzt, da wir zusammen sind!“ Nathaniel wirft mir einen Blick zu, der nicht mit Gold zu bezahlen ist und ich grinse ihn an. „Nicht wahr, mein Schatz?!“, setze ich noch oben drauf und ihm fällt glatt die Kinnlade herunter. „Echt jetzt?“, ruft Lena ganz aus dem Häuschen und kichert vergnügt. „Was gibt’s denn?“, frage ich sie, Nathaniel hat sich immer noch nicht gefangen und ich rücke näher an ihn heran. „Ist von heute Mittag übriggeblieben, wir hatten einen voll geilen Catering-Service in der Galerie! Hat uns Markus spendiert, als Dankeschön, weil es am Samstag so gut lief!“, antwortet Lena und lässt die Tüten, aus denen es schon verführerisch duftet, auf den Wohnzimmertisch sinken. „Hilfst du mir, den Tisch decken?“, fragt sie mich und ich nicke. „Bin gleich wieder da“, murmle ich zu Nathaniel hin, drücke ihm noch ein Küsschen auf die Wange und folge meiner Freundin, nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, in die Küche nach. „Wow! Das ging aber schnell!“, sagt sie ohne viel Aufhebens, „bist du dir sicher? Ich meine, du und er, ihr seid jetzt richtig zusammen?“ „Jaaa“, antworte ich und kann nicht anders als dümmlich zu grinsen. „Wieso?“ Sie zuckt die Achseln. „Meine ja nur, kommt ein bisschen plötzlich, halt! Ist er nicht ein wenig zu jung?“ „Er ist dreiundzwanzig!“, antworte ich und Lena starrt mich beinahe erschrocken an. „Gibt’s nicht! Der sieht aus, wie siebzehn!“, meint sie ungläubig, „bist du dir sicher?“ „Also hör mal!“, empöre ich mich, „hat er mir selbst gesagt! Ich dachte auch erst, dass er viel jünger wäre, also hab ich ihn danach gefragt!“ „Hm“, macht sie immer noch skeptisch, „kann ich trotzdem nicht glauben!“ „Jetzt hör aber auf! Wieso sollte er lügen?“, raune ich jetzt echt empört. „Lena, ob es dir passt oder nicht, du wirst dich an ihn gewöhnen müssen! Und jetzt hör endlich auf, mit deinem Geunke! Schließlich warst du es doch, der die ganze Sache erst angeleiert hat!“ „Ja, schon und im Grunde genommen, freue ich mich ja auch für dich, echt! Also, ähm, ich hab da nämlich auch jemanden kennengelernt“, mauschelt sie leicht verlegen und ich werde hellhörig. Aha, daher weht der Wind! Ist das etwa der Grund, weshalb sie überhaupt mit diesem ganzen Zirkus, von wegen wir müssen mehr getrennt machen, angefangen hat? Sie sieht mich an und zuckt irgendwie misstrauisch ihre Schultern. „Ich kann auch nichts dagegen machen, aber irgendetwas kommt mir komisch an ihm vor! Weißt du wenigstens inzwischen, was er macht?“ „Lena!“, fahre ich sie genervt an, nehme die Teller aus dem Schrank und knalle sie fast auf den Küchentisch, „es reicht! Wenn es dich beruhigt, dann erzähle ich dir später mehr, über ihn! Ok?“ Sie nimmt ein wenig verdutzt den Kopf zurück, nickt aber. „Ist ja gut, Mann!“, sagt sie und schüttelt leicht ihren Kopf, während sie das Besteck austeilt. „Holst du ihn? Und bringt die Tüten mit“, meint sie nun versöhnlicher. Ich nicke nur, schlurfe zurück ins Wohnzimmer und Nathaniel sieht mich wirklich unwohl an. Ich weiß nicht ob oder wie viel er von unserem Gespräch mitbekommen hat, aber sein verlegener Blick spricht Bände. Er steht auf, zupft verlegen an seinen Ärmelbündchen und ich kann nicht anders, als ihn zu umarmen. Nathaniel lehnt sich an mich und wieder fällt mir auf, dass er deutlich kleiner ist, als ich. „Sag mal, bist du geschrumpft?“, frage ich deshalb und er sieht kurz erstaunt zu mir hoch. „Hm?“, macht er nur und blinzelt mich an. „In der Galerie, also als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, da kamst du mir irgendwie größer vor“, antworte ich und, er senkt seinen Blick wieder. „Schummelschuhe“, nuschelt er und zuckt verlegen die Schultern. „Schummel, was?“, frage ich und trete einen kleinen Schritt zurück. „Na Schuhe, die einen größer machen, weißt schon, so mit extra Sohle und Absätzen“, antwortet er und ziert sich wieder einmal. O Gott, ich könnte ihn fressen, wenn er das macht, lache aber erst einmal. „Im Ernst? Wieso?“, frage ich belustigt. „Naja, warum wohl? Damit ich halt größer bin! Ich fühle mich dann einfach besser und komme nicht ganz so jungenhaft rüber“, meint er und dreht und wendet sich dabei. „Du bist so süß“, ist alles, was ich darauf sagen kann, ziehe ihn an mich und küsse ihn ungestüm. Mmmh, möchte ihn doch lieber gleich verschlingen, anstatt Lenas Essen! Er steht da, erwidert meinen Kuss seufzend und ich würde ihn am liebsten über meine Schulter werfen und mit ihm in mein Schlafzimmer abhauen. Da weitermachen, wo wir vorhin aufgehört haben und dann, scheißegal ob er noch Jungfrau ist oder nicht, vernaschen! Lena räuspert sich vernehmlich in meinem Rücken und ich unterbreche schweren Herzens unsere Knutscherei. „Ist ja schon gut, Jungs! Könnt ihr nicht wenigstens noch bis nach dem Essen damit warten?“, raunt sie etwas pikiert und ich grinse sie über meine Schulter hinweg an. „Ok, ok“, winke ich ab, schnappe mir die Tüten und mit der anderen Hand ergreife ich Nathaniels Handgelenk. Er lässt sich willig von mir in die Küche führen, natürlich mit gesenktem Blick, aber einem kleinen Lächeln auf den Lippen. „Setz dich“, fordere ich ihn auf und er setzt sich artig. Dabei legt er seine Hände in seinen Schoß, zwickt die Beine zusammen und sieht damit aus, wie jemand, der geradeerst seine zukünftige Schwiegermutter kennengelernt hat. Unwillkürlich muss ich grinsen und kann mir nur schwerlich das Lachen verkneifen. „Keine Angst, sie beißt nicht“, raune ich ihm ins Ohr und setze mich neben ihn. Er gluckst leise, knufft mich zart auf den Oberarm und ich fühle, wie mein Herz aufgeht. Scheiße! Ich bin bis über beide Ohren in den Kleinen verknallt, wird mir klar und plötzlich bekomme ich ganz schwitzige Hände. Lena packt inzwischen die mitgebrachten Speisen aus und ich staune nicht schlecht. Ein ganzer Ring King Prawns Riesengarnelen, mehrere Hühnerkeulen und, ein ganzer Hummer! Fehlt nur noch der Schampus, denke ich und sie holt prompt mit einem lauten „Ta, ta!“, eine Flasche Champagner heraus! Sie hat auch noch ein frisches Baguette dabei und ich kann nur anerkennend nicken. Wow! Ich habe noch nie Hummer gegessen und berühre das seltsame rote Tier, beinahe ängstlich. „Achtung!“, ruft Lena laut, „der lebt noch!“ Meine Hand zuckt zurück und ich erschrecke mich fast zu Tode. „Blöde Kuh!“, sage ich gedehnt, während sie sich halb totlacht. Nathaniel, der zunächst ebenfalls erschrocken zu mir aufsieht, fällt mit ein und schließlich lache ich auch mit. Dann lassen wir uns das tolle Essen schmecken und Lena und ich stellen mit Erstaunen fest, dass Nathaniel wie ein Profi mit dem Hummer umgeht. Erst zerteilt er das komische Vieh, knackt gekonnt die großen Scheren und zeigt mir anschließend wie ich an das köstliche Fleisch herankomme. Ich sehe ihm interessiert dabei zu, er schiebt mir den ersten Bissen davon in den Mund und ich schließe für einen Moment genießerisch meine Augen. „Mmmh“, mache ich, sehe ihn an und er lächelt mich zart an. „Muss Liebe schön sein“, seufzt Lena übertrieben und wirft uns einen beinahe vorwurfsvollen Blick herüber. „Mann! Soll ich gehen?“, fragt sie leicht genervt und ich zucke nur unschuldig grinsend mit den Schultern. „Entschuldige bitte“, sagt Nathaniel, sieht sie direkt dabei an und ich nehme den Kopf zurück. Wieso sieht er mich nie so direkt an? Bei Lena scheint er keinerlei Probleme damit zu haben und ich schüttle kurz verdutzt den Kopf. Die zwei unterhalten sich jetzt ganz offen miteinander und ich blicke zwischen beiden hin und her. „Und, was machst du so?“, höre ich Lena nach ein wenig Smalltalk fragen und höre prompt auf zu kauen. „Ach, nichts Besonderes“, antwortet mein Schatz und tupft sich vornehm den Mund an der Papierserviette ab, bevor er einen Schluck Champagner trinkt. Also Manieren hat er, wahrscheinlich bessere als ich, stelle ich fest und mache es ihm nach. „Aha! Und was?“, bohrt Lena unverfroren nach und ich lehne mich gespannt zurück. Na Süßer, was nun, denke ich beinahe gehässig dabei und Nathaniel leckt sich etwas verlegen über die Lippen. Mal sehen, was nun kommt! Er zuckt seine linke Schulter. „Jedenfalls nichts so Aufregendes, wie du machst. Muss toll sein, in einer Galerie zu arbeiten und mit all den Künstlern in Kontakt zu kommen! Ist Markus einer von ihnen? Vielleicht der, auf dessen Vernissage wir waren?“, deckt er Lena mit Gegenfragen ein und lenkt so wieder mal gekonnt von sich ab, denn nichts liebt sie so, wie von ihrer Arbeit zu erzählen. Lena legt sofort los, erklärt ihm, dass Markus ihr Chef sei und, und, und… Nathaniel hört ihr gespannt zu, stützt dabei elegant sein Kinn auf seine Hand und beinahe wirkt es auf mich so, als würde er sie gerade ein wenig anflirten. Er nickt hin und wieder interessiert, lächelt, lacht charmant, nickt erneut bestätigend und ich nehme entrüstet meinen Kopf zurück. Hallo? Was geht denn hier ab? Nicht einmal senkt er dabei seinen Blick, sucht sogar den Augenkontakt mit ihr und ich kann es kaum fassen! Keine Spur von Verlegenheit oder seiner sonstigen Unsicherheit, die er mir gegenüber zeigt ist bei ihm zu erkennen. Ich fühle mich mehr und mehr außen vor und komme mir langsam wieder so fehl am Platze vor, wie bei unserer ersten Begegnung. Leicht säuerlich trinke ich mein Glas leer, schenke nach und werfe Nathaniel dabei einen schiefen Blick zu. Er reagiert sofort darauf, sieht mich kurz entschuldigend an und senkt augenblicklich seinen Blick vor mir und plötzlich wird mir klar, dass das vorhin, sein ganzes Interesse an Lena, ihr angeregtes Gespräch, seine Höflichkeiten und alles andere, nichts weiter als gespielt war. Er hat vor ihr eine Show abgezogen, erstklassig inszeniert und hervorragend einstudiert! Wow, echt Oskar verdächtig, denke ich noch, als er sich plötzlich erhebt. „Ähm, ich muss mich kurz entschuldigen“, sagt er verlegen lächelnd, „wo kann ich mir denn mal die Hände waschen?“ Lena sieht ihn genauso verdutzt an, wie ich. „Ach so“, meint sie dann, „das Klo ist gleich hier um die Ecke, nächste Tür linke Seite“, antwortet sie und wirft mir einen erstaunten Blick zu, als er sich bedankend verschwindet. „Man“, raunt sie leise über den Tisch, „wo kommt der denn her? Ziemlich geschwollen, hm?“ „Ich habe dir doch erzählt, dass sein Vater offensichtlich ziemlich viel Kohle hat! Und wenn du erst die Villa seines Onkels siehst, mein lieber Schollie!“, antworte ich gedämpft. Lena nickt ernst. „Hab ich gleich gemerkt, also so, wie der den Hummer zerlegt hat! Gibt’s wahrscheinlich einmal die Woche, bei denen!“ „Ja, aber anscheinend macht Geld allein, echt nicht glücklich, da bewahrheitet es sich wieder einmal“, erwidere ich leise und lege einen Finger auf meine Lippen, als ich die Klospülung höre. „Erzähl ich dir später, ok? Ist echt krass, was bei denen in der Familie abgeht, sag ich dir“, flüstere ich noch und lächle Nathaniel zu, der an der Küchentüre stehengeblieben ist. „Danke, für das Essen“, sagt er jetzt wieder auf seine leicht unterwürfige Art, natürlich ohne mich anzusehen, „ich muss jetzt los, echt.“ Er sieht Lena an, „danke dir, war schön!“, kommt es wesentlich freier über seine Lippen und ich kann mich wieder einmal nur wundern. Beide stehen wir beinahe gleichzeitig auf, doch Lena, die näher zu ihm saß, ist zuerst bei ihm. Während die beiden sich tatsächlich umarmen, denke ich nur, dass ich nicht möchte, dass er jetzt geht. Ich schnaufe tief durch, trete vor ihn hin und stemme die Fäuste in die Hüften. „Ach so ist das, mein Freund! Der Herr steht nach dem Dinner einfach auf und geht“, sage ich im Scherz, doch er sinkt regelrecht in sich zusammen. „Entschuldige“, stammelt er nervös und äußerst betreten, „ich räume selbstverständlich noch ab.“ Lena und ich starren ihn und dann uns an, während er sich an mir vorbeistiehlt und anfängt, wie selbstverständlich den Tisch abzuräumen. „Das war ein Witz“, sage ich nun meinerseits echt betreten und völlig irritiert. „Nathaniel, das musst du nicht! Hey“, raune ich und fasse ihn beim Arm. Ohne mich anzusehen, hält er inne und plötzlich ist er wieder wie vorhin, bevor Lena kam. Ich merke ihm an, wie durcheinander er ist und ziehe ihn spontan in meine Arme. „Hey“, wiederhole ich sanft, „ist schon gut.“ Er steht einfach nur da, ohne sich zu rühren, mit gesenktem Blick und ich sehe hilflos zu Lena hin. „Nathaniel, möchtest du mir nicht endlich sagen, was wirklich bei euch los ist? Du kannst mir wirklich, alles sagen“, raune ich ihm leise zu und er erzittert am ganzen Körper. „Scheiße“, höre ich Lena sagen, „ich glaube, du kümmerst dich mal um ihn, hm? Ich mache das schon“, meint sie, nimmt Nathaniel die Teller ab und er drückt sich förmlich an mich. Sie gibt mir mit einer Kopfbewegung ein deutliches Zeichen und ich führe ihn nickend mit mir hinaus. „Komm“, sage ich sanft und bringe ihn in mein Zimmer. Ich drücke ihn auf mein Bett und setze mich neben ihn, den Arm noch immer um seine Schultern gelegt. „Was ist denn, hm?“, versuche ich es erneut. Nathaniel umarmt mich plötzlich, presst sich an mich und schluchzt leise auf. „Halt mich fest, bitte, bitte“, bettelt er geradezu und ich drücke ihn mit beiden Armen umschlingend, an mich. „Schlägt dich dein Vater?“, frage ich leise und er zuckt erbarmungswürdig zusammen. Kein Wort, kommt über seine Lippen, er drängt sich nur noch fester an mich und ich wünsche mir nur, dass ich diesem Mistkerl noch mal begegne, damit ich ihm die Fresse polieren kann. Was hat er diesem armen Jungen nur angetan? „Nathaniel, was es auch ist, ich bin für dich da“, sage ich ihm noch einmal mit Nachdruck. Er atmet tief durch, dann rückt er etwas zurück und schüttelt den Kopf. „Nein, das ist es nicht“, beantwortet er leise meine vorher gestellte Frage. Seine Hände liegen wieder in seinem Schoß und er sitzt wie ein Häufchen Elend, zusammengesunken da. „Hast du das vorhin ernstgemeint?“, fragt er noch leiser. „Hm?“ „Als du sagtest, dass wir zusammen sind“, flüstert er leicht krächzend. Ich nehme seine Hände und nicke. „Ja, wenn du es auch möchtest?“ Er sieht mich kurz an, ein kleines Lächeln auf den Lippen und nickt. „Mehr, als alles andere“, antwortet er und ziert sich wieder einmal verlegen. „Ich, ich habe mir immer so jemanden wie dich gewünscht“, stammelt er, „so stark und, also ich, wenn du“, er bricht ab, knetet meine Hände und ich sehe ihn amüsiert an. „Was?“, frage ich und drücke meinerseits seine zarten Hände. Wieder holt er tief Luft. „Du bist ein Top, ja? Also ich, naja, ich bin ein Bottom, möchtest du mein Top sein?“, flüstert er jetzt wieder und ich nehme irritiert den Kopf zurück. Top? Bottom? Wovon spricht er? Top, bedeutet das nicht oben? Klar, aber Bottom? Unten? Ich bin zwar schwul, aber mit diesen Ausdrücken kann ich ehrlich gesagt nicht viel anfangen. Sicher, habe ich diese Begriffe schon mal gehört, habe mich aber nie mit diesem Jargon ernsthaft auseinandergesetzt. Ich hatte halt einfach nur ganz normale Beziehungen mit Männern und die habe ich grundsätzlich an ganz gewöhnlichen Orten kennengelernt, wie zum Beispiel bei einem Musical Besuch, in der Bibliothek oder wie Mario, sogar, beim Bäcker um die Ecke. Meint er echt oben und unten, also einfach nur, dass ich der Aktive und er der Passive bei uns ist? Ich glaub, ich muss später mal googeln, brauch wohl einen Nachhilfekurs in Sachen Fachjargon! Aber sonst, also wenn es weiter nichts ist, das kriege ich hin. Ich war eigentlich immer der aktive Part, in meinen vorherigen Beziehungen. „Ähm, okay“, sage ich etwas gedehnt. Scheiße, jetzt bin ich irgendwie verlegen. Nathaniel sieht mich plötzlich an und lächelt breit, nein, er strahlt mich geradezu an. „Wirklich?“, kommt es laut und ungläubig aus seinem schönen Mund und als ich nicke, fällt er mir um den Hals. „Ich wusste es, gleich als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass du ein dominanter Top bist, mein Top! Die Art und Weise, wie du mich angesehen und gemustert hast, deine ganze Ausstrahlung! Du hast so viel Dominanz dabei ausgestrahlt! Ich suche schon so lange, nach jemanden wie dir und werde mir echt Mühe geben“, nuschelt er an meinem Hals und ich umarme ihn fest. Ich und Dominanz? Was soll ich jetzt antworten? Ach, ich küsse ihn einfach, lang und ausgiebig und er genießt es wieder sichtlich. Er öffnet bereitwillig seinen Mund, lässt mich ein und stöhnt leise, als ich ihn mit meiner Zunge verwöhne. Erst, als ich kaum noch Luft bekomme, er kann einfach nicht genug von meinen Küssen bekommen, schiebe ich ihn sanft zurück um durchzuatmen. „Sag mal, ähm, darf ich dich etwas fragen?“, fange ich an und er sieht mich kurz verwirrt an, bevor er mit gesenktem Blick nickt. „Also, ähm, hast du schon mal? Ich meine, mit einem Mann?“, frage ich behutsam und komme mir so was von bescheuert vor. Er wirkt total überrascht, ruckt etwas von mir fort, sieht mich fragend von unten herauf an und nickt zart, mit zusammengepressten Lippen. „Ja, du bist nicht mein erster, wenn du das meinst“, antwortet er und saugt verlegen an seiner Unterlippe. „Ist das schlimm?“, fragt er leise. Schlimm? Mann, mir fällt ehrlich gesagt ein Stein vom Herzen! Ich hätte zwar kein Problem damit gehabt, aber so ist es mir doch irgendwie lieber. Seinen Ersten vergisst man schließlich nie und wer weiß, vielleicht hätte er ja doch ganz andere Vorstellungen von seinem ersten Mal gehabt und ich hätte ihn womöglich enttäuscht und wäre dann nur als Lachnummer in seinem Gedächtnis geblieben! Immerhin ist es fast ein Jahr her, seit ich zum letzten Mal mit einem anderen Mann zusammen war. „Nein, gar nicht“, antworte ich und streiche ihm sanft über die Wange. „Warum fragst du?“, möchte er wissen. „Naja, wenn es dein erstes Mal wäre, na das, soll doch dann etwas ganz Besonderes sein, einfach ein unvergessliches Erlebnis“, erwidere ich und er zuckt nur die Schultern. „Ist doch nie schön, das erste Mal, meine ich“, sagt er und ich sehe ihn beinahe fassungslos an. „Also bei mir, war es das!“, widerspreche ich ihm. „Ich war siebzehn und ein Junge aus unserer Gemeinde, war mein erster. Er war bei der freiwilligen Feuerwehr und sah sowas von scharf aus, in seiner Uniform, dass ich ihn den ganzen Abend lang nur angestarrt habe!“, erzähle ich lachend. „Es war Fahnenweihe und naja, ich hatte schon ein paar Bier intus, dann habe ich ihn vor dem Bierzelt getroffen. Er hat einfach meine Hand genommen, hat mich in den Stadel gezogen und geküsst. Und dann, naja, hat er mich auf dem Heuboden entjungfert. Er war Zwanzig, hatte schon Erfahrung und war unglaublich liebevoll und zärtlich und sehr vorsichtig. Es war einfach nur wunderschön, mit ihm und ich kann heute noch das frische Heu riechen, in dem wir lagen!“, sage ich beinahe verträumt, doch Nathaniel hebt wieder nur die Schultern. „Wie war es bei dir?“, frage ich ihn sanft. „Ich war achtzehn, zum ersten Mal in einem Schwulenclub und bin mit einem im Darkroom gelandet, das wars“, antwortet er völlig gleichgültig. „Wow!“, ist alles, was ich im Moment darauf sagen kann. „Ich hab dort gearbeitet, hinter der Bar“, fährt er fort, ohne aufzusehen, „und bin jeden Abend von irgendjemandem angemacht worden, oder mehreren. Naja, dann bin ich halt irgendwann mit einem mitgegangen, dachte mir, irgendwann muss es ja mal passieren“, meint er achselzuckend und ich sehe ihn mit einer Mischung aus schockiertem Entsetzen und verlegenem Mitleid an. „Seit dem, suche ich eigentlich nach jemandem, also, wie dich, nach meinem Traummann halt“, fügt er noch hinzu und wagt es kaum, mich anzusehen. „Ich bin dein Traummann?“, frage ich beinahe ungläubig und hoffe in dem Moment inständig, dass ich das auch wirklich bin. „Schon! Ich hoffe es zumindest“, sagt er leise, „ich suche schon so lange…“ Er stockt, „ich bin es so leid, manchmal und dann denke ich mir immer wieder, wieso kann ich nicht einfach nur“, er zuckt die Schultern, „naja, normal sein. Es ist immer das Gleiche, ich lerne jemanden kennen, wir sind zusammen, doch sobald sie erfahren was ich bin und was ich mir von ihnen erhoffe, machen sie einen Rückzieher.“ Momentmal, what? „Weil du in einer Bar arbeitest? Oder was?“, frage ich verstört und er beißt sich auf die Unterlippe. „Nein!“, antwortet er kopfschüttelnd und verkneift sich anscheinend das Lachen. „Ich arbeite gar nicht mehr dort, ich meine, dass ich halt ein submissiver Bottom bin“, antwortet er, sich verlegen windend und presst kurz die Lippen zusammen, so als ob es etwas echt Schlimmes wäre. „Durch und durch! Und naja, sobald sie dahinterkommen, wird es ihnen zu viel und weg sind sie“, sagt er leise und blickt kurz zu mir hoch. „Ach! Echt? Kann ich gar nicht verstehen“, meine ich nur und streichle ihm sanft über den Rücken. Er versteift sich ein bisschen und sieht kurz auf. „Du verstehst mich, nicht wahr?“, sagt er hoffnungsvoll und schmiegt sich an mich. Ich nicke noch, „ich muss jetzt wirklich los“, höre ich ihn leise sagen und ziehe ihn an mich. „Geh nicht“, raune ich in sein Ohr. „Es tut mir leid, ich muss gehen, wirklich! Bitte entschuldige! Wir werden alles klären, wenn wir uns das nächste Mal sehen, ja?“, haucht er in mein Ohr. Ich lasse ihn nicht los und er wehrt sich nicht. „Noch ein klein wenig“, raune ich und lasse mich einfach mit ihm zurücksinken. Er liegt nun neben mir, ich an seinen Rücken geschmiegt und beide genießen wir für eine Weile unsere Zweisamkeit. Dabei streichle ich ihn unentwegt und langsam spüre ich, wie er sich immer mehr entspannt. Seine Atemzüge werden ruhiger und gleichmäßiger und er scheint eingeschlafen zu sein. Vorsichtig nehme ich meinen Arm zurück, rutsche langsam zur anderen Bettkante und stehe auf, um mich hinauszuschleichen. Nachdem ich auf dem Klo war, betrete ich auf Zehenspitzen wieder mein Zimmer, schalte die Nachtischlampe ein und das Deckenlicht aus und gehe wieder zum Bett. Nathaniel schläft nun tief und so fest, dass er gar nicht mitbekommt, wie ich ihm die Schuhe ausziehe. Als ich seine Jeans öffne, gibt er nur ein kleines Brummen von sich und hebt sogar kurz seinen Hintern an, damit ich sie ihm leichter herunterziehen kann. Ich muss schmunzeln, warte kurz, dann lege ich die Hose auf den Bürostuhl und dabei fällt sein Geldbeutel heraus. Ich hebe ihn auf, will ihn zurückstecken, doch, ach Scheiße! Obwohl mich das schlechte Gewissen plagt, öffne ich die Geldbörse und, wow! Einhundert, zweihundert, drei, vier, Hundert Euro Scheine und ein Fünfziger! Stecken hinten im Geldscheinfach, im vorderen noch zwei Zehner und ein Zwanziger. Das sind fast fünfhundert Euro, die er mal eben so, dabeihat! Ich schnüffle noch weiter, finde noch etliche Kreditkarten und hole seinen Ausweis heraus. Nathaniel James Taylor, lese ich, geboren in London, wow. Ich lese das Datum, rechne nach, stimmt, er ist dreiundzwanzig, aber momentmal, der zwölfte März? War das nicht am Sonntag? Oh Mann, warum hat er denn nichts gesagt? War das also der Anlass für die angebliche Familienfeier? Ich stecke den Ausweis zurück und, was ist denn das? Eine Visitenkarte? Ja, und es sind gleich mehrere! Ich sehe sie mir genauer an, trete näher an die spärliche Beleuchtung heran und lese: Nathaniel, by Day and Night, call me under... Dann folgt eine Handynummer. Völlig irritiert zwinkere ich einige Male, stecke die Karten bis auf eine, zurück und schiebe den Geldbeutel wieder in die Gesäßtasche. Die Visitenkarte lasse ich in meiner eigenen Jeans verschwinden, die ich nun ebenfalls ausziehe und neben Nathaniels lege. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll und tausend Dinge gehen mir durch den Kopf, als ich mich zurück ins Bett lege, uns beide zudecke und ihn wieder in meine Arme nehme.

Kurz vor sieben klingelt mein Wecker, ich fasse gähnend hinüber und, huch! Im ersten Moment bin ich doch glatt erschrocken, als ich Nathaniel neben mir liegen sehe. Ich mache den Wecker aus, Nathaniel grummelt leise vor sich hin und ich küsse ihn schmunzelnd. Ein wundervolles Gefühl breitet sich nun in mir aus und ich kann es gar nicht fassen, dass er wirklich die Nacht bei mir verbracht hat. Er wischt mich weg, wie eine lästige Fliege und ich ärgere ihn noch ein bisschen, indem ich ihn am Ohr kitzle. „Alex, nerv nicht“, nuschelt er und ich setze mich verdutzt auf. Wer, zum Teufel, ist Alex? „Ähm, Nathaniel, ich bin´s Maxim“, raune ich, „und wer, ist Alex?“, frage ich ein wenig gereizt noch nach, doch just in diesem Moment rumpelt er erschrocken hoch. Er sieht mich entsetzt an, schlägt sich kurz die Hände vor sein Gesicht und wischt sich darüber, als ob er es nicht wahrhaben wolle. „Oh Gott, nein“, murmelt er und springt aus dem Bett. „Mein Handy! Wo?!“, brüllt er mich fast an, sieht sich suchend um und stürzt zu seiner Hose. Er zieht sofort sein Mobiltelefon heraus und klickt mit zittrigen Fingern eine Nummer an. „Wie spät, ist es?“, schluchzt er beinahe und setzt sich halb auf den Stuhl. „Sieben!“, antworte ich und sehe ihm zu, wie er nervös an seiner Lippe kaut. „Alex? Alex, hör mir zu! Ja, ich weiß, bitte, Alex! Hör mir zu!“, schreit er ins Handy, „ich bin gleich da, ja? Du musst aufstehen und mach dir Frühstück! Die Cornflakes stehen im Regal! Bitte, Alex, nur einmal! Du musst dich beeilen, sonst verpasst du den Schulbus! Ich versuche so schnell wie möglich, zu kommen, ja? Bitte Alex, beruhige dich“, schluchzt er jetzt fast, „bis gleich“, sagt er, macht das Handy aus und schlüpft sofort in seine Jeans. „Wer ist Alex?“, frage ich nochmals. „Mein kleiner Bruder“, antwortet er völlig geknickt, „wie konnte das nur passieren? Oh Gott, ich hätte niemals hierherkommen dürfen“, stammelt er verzweifelt und zieht die Nase hoch. „Wie bitte? Ist das dein Ernst?“, frage ich echt betroffen und auch ein wenig aufgebracht. „Du verstehst das nicht!“, faucht er mich an, „ich habe ihn allein gelassen! So lange! Gestern, den halben Tag und dann auch noch die ganze Nacht! Er ist ganz allein!“ „Wie alt ist er denn?“, versuche ich es ruhiger, gehe zu ihm und fasse ihn an die Schultern. „Sieb…“, er stockt, greift sich an die Stirn und wischt sich mit der Hand über die Augen. „Sieben?“, frage ich vorsichtig, „Scheiße! Aber, er ist doch ans Handy gegangen, also scheint doch alles in Ordnung zu sein“, versuche ich ihn zu beruhigen. „Nichts, ist in Ordnung! Gar nichts!“, sagt er nur, in einem abfälligen Tonfall und zuckt vor mir zurück. „Es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen“, raunt er abweisend. „Das, das kann nicht dein Ernst sein“, stottere ich nun, „das kannst du doch nicht wirklich ernst meinen! Nathaniel, gestern…“ Er sieht mich an, direkt und ich erkenne, dass er es wirklich so meint. „Vergiss mich einfach! Es ist besser so! Für dich und für mich! Es war alles nur, ein schöner Traum!“ Dann stößt er mich eiskalt von sich und rennt hinaus.

*

Wie konnte das nur passieren? Ich könnte mich selbst ohrfeigen! Wie ein eingesperrter Tiger wandere ich im Aufzug hin und her, bis die Tür sich endlich öffnet. Ich springe fast heraus, wende mich im Gang auf unsere Wohnungstür zu und sehe Alex zusammengekauert davorsitzen. Was macht er da? Oh Gott, mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter, bei dem Gedanken, dass er da womöglich schon die ganze Nacht sitzt. War er deshalb vorhin so durcheinander und wollte mir nicht zuhören? „Alex?“, frage ich leise und gehe vor ihm in die Hocke. Er rührt sich nicht, wendet nun sogar noch sein Gesicht von mir ab. „Was machst du denn hier? Warum bist du nicht auf dem Weg zur Schule?“ Mein Bruder vergräbt sein Gesicht in seiner Armbeuge und als ich ihn berühre, stößt er mich weg. „Du, du, hast mich allein gelassen“, murmelt er, ohne aufzusehen. „Alex, es tut mir so leid, was machst du hier, sag doch“, erwidere ich bittend. „Ich habe den Müll runtergebracht, mag nicht, wie es gestunken hat, dann war die Türe zu und ich hatte keinen Schlüssel. Ich konnte mir keine Cornflakes machen, die sind doch in der Küche“, stammelt er leise. Oh Gott, nein! Ich setze mich erst einmal und fahre mir mit einer Hand über Gesicht und Haare. „Wie lange, sitzt du hier?“, frage ich entsetzt nach. „Ganze Nacht, war so kalt“, nuschelt er und ich könnte heulen. Was bin ich nur für ein egoistischer Mistkerl! Ich nehme ihn vorsichtig in meine Arme und er umschlingt mich, wie ein kleines Kind. „Warum hast du denn nicht angerufen?“, frage ich erschüttert. „Niemals anrufen, wenn du arbeiten bist!“, sagt er eindringlich und sieht mich ernst an. „Erste Regel! Du hast gesagt, dass ich dich niemals anrufen soll, wenn du in der Arbeit bist!“ Ich komme mir so elend vor! Meine Augen brennen plötzlich und ich kann die aufsteigenden Tränen kaum noch zurückhalten. Ja, das habe ich ihm eingebläut, nachdem er mich mehrere Male wegen irgendwelchen Nichtigkeiten angerufen hatte, während ich mit meinen Freiern unterwegs war. „Warum bist du nicht zu Frau Mayer gegangen?“, frage ich matt. „Mag ich nicht, riecht nicht gut“, antwortet er abweisend. Frau Mayer ist unsere Nachbarin, von gegenüber, eine ältere Frau und die einzige, mit der wir näheren Kontakt haben, hier im Haus. Sie ist eigentlich sehr nett, aber aus ihrer Wohnung riecht es wirklich etwas muffig und nach abgestandener Luft. Alex kann es nicht ertragen, wenn es seiner Meinung nach irgendwo schlecht riecht, deshalb hat er wohl auch den Müll noch rausgeschafft. „Komm“, sage ich leise, stehe auf, ziehe ihn mit hoch und schließe die Wohnungstüre auf. „Ich hab mir in die Hose gemacht“, nuschelt er und ich blicke auf den dunklen Fleck, vorne auf seiner Hose. Jetzt läuft mir die erste Träne über die Wange und ich wische sie durchschnaufend fort. „Ist nicht so schlimm“, erwidere ich erstickt, „ich lasse dir erstmal ein heißes Bad ein, ja?“ Ich führe ihn in unser geräumiges Badezimmer, drehe den Wasserhahn auf und versuche verzweifelt mich zu fassen. Alex kann nichts damit anfangen, wenn jemand weint, schon gar nicht als Erwachsener. Er versteht es nicht, kann es nicht nachvollziehen, wenn ich meine Traurigkeit so offenlege, genauso wenig, wie übermäßige Freude. Wenn ich lache, denkt er jedes Mal, dass ich über ihn lache, dann wird er wütend und zieht sich beleidigt von mir zurück. Ich habe es schon so oft versucht, ihm sicher schon hundert Mal erklärt, dass ich nicht ihn auslache, sondern eben über die bestimmte, lustige Situation, doch er begreift es einfach nicht. Er kann auch nicht nachvollziehen, dass Menschen über andere lachen, wie zum Beispiel bei `Pleiten, Pech und Pannen´ und wundert sich jedes Mal aufs Neue, wenn ich mich darüber kaputtlache. „Ich rufe schnell in der Schule an, ja, und sage, dass du heute nicht mehr kommst“, raune ich etwas krächzend und ziehe mich kurz ins Wohnzimmer zurück, auch um einige Male tief durch zu schnaufen. So etwas darf nie wieder passieren! Nie wieder, werde ich ihn im Stich lassen, schwöre ich mir noch und rufe im Sekretariat seines Gymnasiums an, um ihn für heute zu entschuldigen. Ja, Alex geht aufs Gymnasium, er ist hochbegabt und hat in allen Hauptfächern eine eins. Nur vom Sportunterricht ist er befreit, weil er nicht einsieht, irgendwelchen Bällen nachzulaufen oder sich sonst irgendwie sportlich zu betätigen. Er räumt stattdessen immer die Geräteräume auf, ordnet die Bälle der Größe nach ein oder macht dort sauber. Ordnung steht bei ihm an erster Stelle, er kann es einfach nicht ertragen, wenn etwas herumliegt oder nicht perfekt aufgeräumt ist. Deshalb sieht unsere Wohnung auch immer aus, wie aus einem Möbelprospekt. Alles ist sauber und steht immer am gleichen Platz. Anfangs hatte er Schwierigkeiten, mit seinen Mitschülern und wurde sogar gemobbt, doch dann bin ich einfach vor seine Klasse hingetreten und habe in einem ausführlichen Vortrag erklärt, warum Alex so anders ist. Seitdem ist ruhe und seine Klassenkameraden scheinen ihn so zu akzeptieren, wie er ist. Ich glaube, dass ihn einige sogar wirklich mögen, denn Alex ist eigentlich immer sehr höflich und immer hilfsbereit, auch wenn er sich mittlerweile den Spitznamen `Sheldon´, eingehandelt hat. Er gibt regelmäßig seinen schwächeren Mitschülern Nachhilfe und das umsonst und das hat sich schnell in der Schule herumgesprochen. Ich gehe zurück ins Bad, überprüfe die Wassertemperatur und drehe den Hahn zu. Danach gebe ich noch etwas von seinem Lieblingsbadezusatz hinzu und vermische es mit dem Badewasser. „So, alles bereit, für den Herrn“, sage ich lächelnd, doch er sieht mich kaum an. Ich weiß, dass er mir beleidigt ist und das kann dauern. „Soll ich dir helfen?“, frage ich sanft und er nickt leicht. Wenigstens etwas, seufze ich in Gedanken, trete zu ihm und ziehe ihn vorsichtig aus. Trotz seiner hohen Intelligenz, wirkt er manchmal noch sehr kindlich und unselbstständig und kann sich manchmal nicht bei den einfachsten Dingen selbst helfen. Einkaufen, zum Beispiel, geht gar nicht und wenn, dann nur mit mir zusammen. Ich kaufe ihm seine Kleidung, seine Schuhe, sein Essen und kümmere mich auch um alles andere. „Hast du die Temperatur gemessen?“, fragt er nach. Natürlich, habe ich das und so nicke ich ihm zu. „Genau 38,5 Grad“, antworte ich und er steigt zufrieden in die Wanne, während ich seine Sachen in die Waschmaschine stopfe. Dann setze ich mich zu ihm auf den Wannenrand und nehme den weichen Naturschwamm. „Soll ich dir den Rücken waschen?“, frage ich freundlich und er nickt begeistert. Er liebt es, wenn ich ihn so verwöhne und in diesen Momenten ist er einfach nur mein kleiner Bruder, obwohl er schon mindestens fünf Zentimeter größer ist, als ich. Alex ist auch breiter gebaut, als ich, zwar schlank und noch etwas schlaksig, aber durchaus kräftig, was wohl an seiner Begeisterung für den Schwimmsport liegt. Schwimmen ist das einzige, was er wirklich mag, wenn es um sportliche Betätigung geht und so nutzt er mehrmals wöchentlich unser hauseigenes Schwimmbad, das im Keller unseres Wohnhauses untergebracht ist. Überhaupt, ist er ein gutaussehender Bursche, mein Alex, denke ich zärtlich. Sein Gesicht ist recht hübsch und auf seiner Oberlippe lässt sich schon der erste Flaum erahnen, während sich bei mir noch immer kein nennenswerter Bartwuchs eingestellt hat. Was hat sich die Natur nur dabei gedacht, uns so unterschiedlich aussehen zu lassen? Ich seufze unwillkürlich, als ich seinen jetzt schon männlicheren Körper mustere. Wie wird er erst in ein paar Jahren aussehen? Wahrscheinlich hammermäßig und alle Mädchen werden hinter ihm her sein. Oh ja, das sind sie jetzt schon, wie mir immer wieder auffällt, wenn wir etwas gemeinsam unternehmen, denn dann sind die Blicke der Mädels grundsätzlich auf ihn gerichtet. Das macht mir ja eigentlich nichts aus, denn ich stehe grundsätzlich auf Kerle und doch wurmt es mich manchmal, wenn sie ihn anhimmeln und mir nur ein mitleidiges Lächeln schenken. Deshalb habe ich mir auch diese Spezialschuhe bestellt, damit ich wenigstens so groß bin wie er und nicht ganz so mickrig wirke, neben ihm. In letzter Zeit kommt es sogar immer öfter vor, dass man ihn für den älteren hält und das wurmt mich dann noch mehr. Wieso hat Mutter Natur, bei mir so danebengehauen? Wenn ich keinen Schwanz hätte, könnte ich glatt als Mädchen durchgehen! Und dann noch diese verdammten Locken! Alex` Haar ist doch auch glatt und dabei auch noch dunkler, als meines, genau wie seine jetzt schon recht ausgeprägte Körperbehaarung. Wieder seufze ich leise, während ich ihm sanft den Rücken wasche. Ok, ich rasiere mich beinahe täglich am ganzen Körper und gehe auch regelmäßig zum Waxing, um dort meine Schambehaarung entfernen zu lassen, weil das eben die Kunden bevorzugen. Nachdem ich Alex in ein großes Badetuch gewickelt habe, hole ich ihm noch frische Wäsche und helfe ihm beim Anziehen, danach gehen wir gemeinsam in unsere offene Küche und ich mache uns Toasts mit Butter und Marmelade. Alex bekommt seinen Kakao, ich eine Tasse Kaffee und so frühstücken wir erst einmal. „Weißt du was? Was hältst du davon, wenn wir heute in den Zoo gehen?“, schlage ich ihm vor. Alex liebt den zoologischen Garten und wann immer es mir nötig erscheint, spiele ich diesen Trumpf aus. „Heute gehöre ich nur dir! Und noch etwas, vergiss diese blöde Sache, mit dem nicht anrufen dürfen“, sage ich weiter und er sieht mich erstaunt an. „Aber es ist Regel Nummer eins!“, erwidert er ungläubig, „die wichtigste Regel!“ Alles hat bei uns klare Regeln, wir haben für alles eine Regel aufgestellt, als er zu mir zog, damals, vor über vier Jahren. Sonst hätte es nicht funktioniert, denn Alex braucht diese klaren Richtlinien, an denen er sich orientieren kann. Es gibt eine wie lange jeder von uns im Bad sein darf, Regel, eine morgens Aufstehregel, damit er mich an meinen freien Tagen nicht zu früh weckt, eine Geschirrspülregel, eine, wie die Schuhe im Schrank stehen müssen Regel und, und, und. Tja, und dann habe ich die nicht Anrufregel aufgestellt, weil er mich zum wiederholten Male genervt hat, weil er die Fernbedienung nicht gefunden hat, oder weil kein Vanillepudding mehr im Kühlschrank war. Das kommt nicht gut an, bei meinen Kunden, wenn ich alle fünf Minuten an mein Handy gehe, nur, weil mein kleiner Bruder zu Hause vor Langeweile nicht weiß, was er anstellen soll. „Ist eine dumme Regel! Vergiss sie! Also, in Zukunft, wenn du wirklich einmal meine Hilfe brauchst, dann ruf bitte an, ja?“, sage ich noch einmal nachdrücklich und er nickt nachdenklich. Oje, jetzt geht er sicher alle Situationen geistig durch, die einen Anruf rechtfertigen könnten. Ich sehe es ihm förmlich an, wie es in seinem Kopf rattert und arbeitet, doch dann nickt er ernst. „Alex, wirklich nur, wenn es auch wirklich nötig ist, ok?“, hake ich sicherheitshalber noch mal nach. „Ja!“, antwortet er ein wenig schnippisch, „ich bin ja nicht blöd! Ich weiß schon, dass ich dich nicht stören darf, nur weil kein Pudding mehr da ist, oder so“, sagt er genervt und scheiße, ich muss lachen. Jetzt sieht er mich noch beleidigter an. „Lach mich nicht aus!“, schreit er mich fast an und ich verbeiße es mir. „Und, was ist jetzt mit unserem Zoobesuch? Hast du Lust?“, frage ich schnell, um ihn abzulenken. „Weiß nicht! Ich glaube, ich hab keinen Bock“, erwidert er doch glatt und mir bleibt die Spucke weg. In letzter Zeit kommt es immer häufiger vor, dass er meine Spielchen durchschaut und manchmal kommt es mir so vor, als würde er immer argwöhnischer werden, wenn ich ihm irgendeine Geschichte auftische, wegen meiner ungewöhnlichen Arbeitszeiten. In letzter Zeit ist er irgendwie geistig reifer geworden, stelle ich wieder einmal verblüfft fest, aber auch nachdenklicher und misstrauischer, mir gegenüber. Er stellt mir immer öfter fragen, über dass, was ich in seiner Abwesenheit tue und arbeite. Das hat er früher nie gemacht, früher hat er mir einfach alles abgenommen, ohne jemals nachzufragen, selbst wenn ich ihm erzählt hätte, dass ich für den Weihnachtsmann arbeiten würde. „Ich wollte dir nur eine Freude machen, du magst doch den Zoo“, versuche ich es erneut, ihn einzuwickeln, „wäre doch schön, wenn wir mal wieder was zusammen machen würden, oder?“ Ich nippe an meinem Kaffeebecher und beobachte, wie er mich stirnrunzelnd ansieht. „Wo warst du gestern?“, fragt er mich geradeheraus. „Arbeiten, weißt du doch“, murmle ich über meine Tasse hinweg. „Du lügst!“, zischt er mich wütend an und ich bin platt. „Du warst noch nie, solange fort, wenn du gearbeitet hast und außerdem, warst du anders angezogen! Du trägst sonst immer einen Anzug, wenn du zur Arbeit gehst!“ Was soll ich ihm nun antworten? Dass ich jemanden kennengelernt habe und lieber mit dem zusammen war, als mich um ihn zu kümmern? Ich weiß es nicht, zum ersten Mal, weiß ich nicht, wie ich mich herausreden soll und so schweige ich verlegen. Gedankenverloren blicke ich zum Fenster hinaus und muss an Maxim denken, wie wundervoll es mit ihm war und wie sehr ich ihn will. Ja, ich will ihn, ich sehne mich mit jeder Faser meines Körpers nach ihm, so sehr, dass es schon wehtut. Aber es geht nicht, wird mir wieder klar, nicht nur wegen Alex, sondern auch wegen Maxim selbst. Er hat jemanden besseren verdient, nicht so einen Lügner wie mich. „Natty?“, höre ich Alex fragen und sehe ihn mit Tränen in den Augen an. „Warum weinst du? Bist du traurig?“ Schnell schüttle ich meinen Kopf und zwinge mich, ihn anzulächeln. „Der Kaffee war zu heiß“, lüge ich nuschelnd, stelle die Tasse ab und wische mir über die Augen.

Letztendlich konnte ich ihn doch noch überreden, mit mir in den Zoo zu gehen. Wir haben den ganzen Tag dort verbracht, auch eine Kleinigkeit dort gegessen und nun sitzen wir in der Innenstadt bei Macdonalds und schlagen uns um halb fünf Uhr nachmittags die Bäuche voll mit Pommes und Co. Alex liebt dieses Zeug, Hauptsache es ist ohne Käse, denn den mag er nicht mehr, seit er irgendwo darüber gelesen hat, wie man Käse herstellt und es eigentlich nichts weiter als saure Milch wäre. Seitdem isst er auch keinen Joghurt mehr und ich musste unseren Vorrat an Erdbeerjoghurt, den ich für ihn angelegt hatte, auslöffeln. Ich beiße gerade herzhaft in meinen Big Mac, als mein Handy läutet. Es ist dieser bestimmte Klingelton meines Diensthandys, der mir sagt, dass es die Agentur ist. Natürlich gehe ich ran, schlucke schnell noch hinunter und melde mich. Man teilt mir mit, wann ich mich wo und mit wem, treffen soll und ich sage zu. Ein Manager, der mich schon öfter gebucht hat, will mich für diese Nacht. Er ist alle paar Monate in München und ein echt netter, schon etwas älterer Mann, ohne irgendwelchen Sonderwünschen, was mir heute nur mehr als recht ist. Meistens führt er mich ins Theater aus, anschließend gehen wir noch etwas Essen und danach begleite ich ihn wie gewöhnlich, in sein Hotel. Natürlich nicht mit ihm zusammen, er geht vor und ich schleiche mich auf sein Zimmer, damit uns dort niemand zusammen sieht, denn er ist verheiratet und hat sogar schon zwei erwachsene Kinder. Alex sieht mich ein wenig enttäuscht an, denn auch er kennt diesen Klingelton. „Ein Auftrag?“, fragt er und ich nicke. Ich habe ihm kürzlich erzählt, dass ich bei einer Securityfirma als Personenschützer arbeite und wir haben zusammen Body Guard angeschaut. Seitdem ist er total begeistert von meinem tollen Job, stellt mir aber auch immer wieder fragen dazu, die ich ihm dann mit irgendwelchen erfundenen Geschichten beantworte. Mein ganzes Leben, ist ein einziges Gespinst aus Lügen und Betrügen, wird mir wieder einmal klar und ich verabscheue mich dafür. Doch ich mache es für ihn, für meinen kleinen Bruder, damit er ein besseres Leben führen kann, so, wie er es mit unseren Eltern gehabt hätte. Es ist jetzt kurz vor fünf, das heißt, wir müssen uns sputen. Ich muss noch duschen und mich fertigmachen, also treibe ich Alex an, aufzuessen. Später, als wir zu Hause sind, sage ich ihm noch einmal, dass er mich in einem Notfall jederzeit anrufen kann und erkläre ihm ausführlich, was ich damit meine. Ich bin frisch geduscht und rasiert, trage einen schicken Abendanzug und dazu meine Schummelschuhe, die mich deutlich größer erscheinen lassen. So, jetzt aber nichts wie los, denke ich, lächle meinem kleinen Bruder noch einmal zu und weg bin ich.










Nathaniel

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