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Alex

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Ich sitze in der Küche und kann immer noch nicht fassen, was da eben passiert ist. Lena kommt herein und sieht mich erstaunt an. „Guten Morgen“, sagt sie und setzt sich auf ihren Platz. „Und, wie war`s? Wo ist denn dein kleiner Sonnenschein?“, fragt sie mit einem etwas anzüglichen Grinsen. „Weg“, antworte ich nur und sehe zur Seite. Lena nickt, schlürft an ihrem Kaffee und räuspert sich. „Also, du siehst ja nicht gerade glücklich aus, lief wohl nichts mehr, hm?“, raunt sie immer noch grinsend. Ich sehe sie an. „Nein! Es lief nichts!“, schnauze ich, „und mit Weg, meine ich, dass er fort ist! Es ist aus! Hast du`s jetzt geschnallt?!“ Lena nimmt den Kopf zurück und verzieht übertrieben betreten ihren Mund. „Auweia! Dafür kann ich doch nichts! Mann, lass deine Laune bei jemandem anderen aus“, meint sie und ich muss zugeben, dass sie recht hat. Sie kann wirklich nichts dafür, sondern nur ich! Was war ich nur für ein Idiot! Er hat immer wieder gesagt, dass er losmuss und was mache ich? Denke nur daran, ihn zu vögeln! Ja, genau das, hatte ich gestern vor! Ich war drauf und dran, ihn zu verführen, obwohl er so schlecht drauf war, aber ich habe nur an mich gedacht, wird mir jetzt klar. Das ganze Gesülze, von wegen, erstes Mal und so, habe ich wirklich so gemeint, ich wollte ihn in meinem Bett haben, allerdings nicht nur, um zu kuscheln und wenn er nicht eingeschlafen wäre, dann hätte ich es getan! Ich hätte ihn durchgevögelt, dass ihm hören und sehen vergeht, oder mir! Bin ich wirklich so ausgehungert? „Entschuldige“, murmle ich zu ihr hin, „ist halt alles irgendwie scheiße gelaufen!“ „Ja, aber warum? Ich meine, also gestern, hat er nicht gerade den Eindruck gemacht, als ob er nichts von dir möchte! Wieso ist er jetzt weg? Ist er gestern noch gegangen?“, fragt Lena nach und ich schüttle den Kopf. Dann berichte ich ihr, was vorgefallen ist. „Scheiße!“, sagt sie daraufhin und ich nicke. „Kannst du laut sagen! Ich Idiot! Warum bin ich nicht mehr, auf ihn eingegangen? Ich hätte ihn fragen sollen, wieso er gehen muss! Und ihn nicht aufhalten dürfen!“, raune ich fassungslos über mich selbst. „Der Kleine ist sieben! Stell dir vor, es wäre ihm was passiert!“ Lena verzieht wieder ihren Mund. „Also ich“, sie zuckt die Schultern, „finde nicht, dass es deine Schuld ist! Echt jetzt, Nathaniel ist erwachsen und wenn er auf seinen kleinen Bruder aufpassen muss, dann soll er das auch, egal was kommt! Man kann doch nicht einfach, mit jemandem ein Date ausmachen, wenn man so eine Verpflichtung übernimmt! Na dem, würde ich was erzählen, wenn ich seine Mutter wäre!“, erwidert sie überzeugt. „Es, ist, meine, Schuld!“, betone ich jedes einzelne Wort. „Er wollte gehen, aber ich habe ihn aufgehalten! Dann ist er eingeschlafen und ich hätte ihn wecken müssen!“ Lena verdreht ihre Augen. „Hätte, hätte, hätte! Mensch, Maximilian! Es ist nicht deine schuld! Du konntest doch nicht ahnen, dass er eigentlich Babysitten sollte! Und ich denke, dass er gar nicht wirklich gehen wollte! Immerhin hast du ihn ja nicht an dein Bett gefesselt, oder?! Und überhaupt, wenn er endlich mal sein Maul aufgemacht hätte, wäre es nie so weit gekommen! Was soll diese ganze Geheimniskrämerei eigentlich? Also ich, hätte längst die Schnauze voll, von ihm und würde ihn längst abhaken!“, sagt sie ernsthaft. Wenn das Mal so leicht wäre! „Ich muss zur Uni“, murmle ich noch gereizt, stehe auf und lasse sie einfach sitzen. Der Tag vergeht zäh wie Gummi und es ist schon weit nach fünf Uhr nachmittags, als ich endlich das Hochschulgelände verlasse. Schon auf dem Weg zur U-Bahn versuche ich Nathaniel zu erreichen, doch er geht nicht ran. Immer wieder rufe ich ihn an, sende ihm Nachrichten, bombardiere ihn regelrecht damit, doch er meldet sich nicht. Schließlich habe ich die Schnauze voll und gebe seinen Namen bei der Suchmaschine des örtlichen Telefonbuches ein. Prompt erscheint eine Adresse, Nathaniel und Alexander Taylor, Schwabing! Bingo! Soll ich einfach hinfahren? Ich steige bei der nächsten Station aus und wandere einige Male nervös auf und ab! Ach verdammt! Soll er es mir doch ruhig noch einmal ins Gesicht sagen, dass er wirklich Schluss machen will! Ich jedenfalls, gebe nicht so schnell auf! Wie war das noch, mit dem Traummann? Hallo? Er selbst war es doch, der mich geradezu angebettelt hat, ihn festzuhalten und genau das, werde ich auch tun! So leicht, wirst du mich nicht los, Schätzchen! Ich suche auf dem Fahrplan nach der nächsten U-Bahn Linie nach Schwabing und mache mich auf den Weg… Dreißig Minuten später steige ich aus und mache mich zu Fuß auf den Weg. Schwabing ist nicht gerade klein, vielleicht sollte ich ein Taxi nehmen? Ok, ist vielleicht besser! Ich rufe mir eines, teile dem Fahrer die Adresse mit und steige wenig später vor einem exklusiven Wohnkomplex aus. Als ich die Namen der dort Wohnenden studiere, denke ich plötzlich: Nathaniel und Alexander? Momentmal, wieso steht da nicht der Name seines Vaters? Nathaniel, klar! Und Alexander? Ist damit Alex gemeint, sein vermeintlicher, kleiner Bruder? Ich verstehe mal wieder gar nichts mehr und das ermutigt mich noch dazu, nach seinem Namensschild zu suchen. Langsam baut sich eine ungeheure Wut in mir auf, Alex, ha! Vielleicht hat Lena ja recht und Nathaniel hat mich tatsächlich von Anfang an verarscht! Vielleicht gibt es den kleinen Bruder ja gar nicht und Alex ist in Wirklichkeit sein Lover! Vielleicht sogar dieser fiese Typ, von der Galerie! Von wegen, Vater! Wie konnte ich nur so blöd sein! Aber nicht mit mir, Schnucki! Dir werde ich jetzt den Marsch blasen, darauf kannst du dich verlassen! Stocksauer gehe ich Wohnblock für Wohnblock ab und dann, habe ich ihn tatsächlich gefunden. Als ich seinen Namen lese, verlässt mich beinahe mein Mut, ich zögere noch kurz und drücke beherzt auf den Klingelknopf. Es dauert einen Moment, dann knackt es in der Leitung und ich höre ein „Ja“ aus der Sprechanlage kommen. „Nathaniel? Ich bin`s, Maxim!“, antworte ich erstaunlich fest. „Hier ist nicht Nathaniel, hier ist Alex“, erwidert der andere und seine Stimme klingt definitiv nicht nach einem Siebenjährigen! „Nathaniel ist nicht da!“, höre ich weiter und balle meine Fäuste, vor Wut. „Ok! Und wo ist er?“, frage ich ziemlich barsch. „In der Arbeit, wer sind Sie? Soll ich ihm etwas ausrichten?“ Ja, dass ich ihn auseinandernehme, wenn ich ihn noch einmal sehe, schießt es mir durch den Kopf, doch dann schnaufe ich tief durch. „Ich bin sein Freund“, sage ich stattdessen, „und wer bist du?“ „Ich bin Alex, Nathaniels Bruder“, bekomme ich wie selbstverständlich zur Antwort. „Ah ja, er hat mir von dir erzählt“, erwidere ich etwas ruhiger. „Kann ich vielleicht auf ihn warten?“ „Wenn Sie möchten? Ich kann Ihnen aber nicht sagen, wann er zurückkommt. Kann lange dauern“, höre ich und dann: „Auf Wiedersehen!“ Soll das ein Witz sein? Meint der das Ernst? Ich höre wie die Sprechanlage knistert, dann ist es still und ich starre wie ein Idiot darauf. Das darf ja wohl nicht wahr sein! Ich kann es nicht fassen, dass der mich so abserviert hat und klingle erneut, sturm! „Ja?“ Ich muss mich jetzt wirklich zusammenreißen. „Ich bin es nochmal! Eigentlich habe ich in eurer Wohnung, damit gemeint!“, schnauze ich dennoch. „Oh! Das geht nicht, ich soll niemanden Fremdes herauflassen“, antwortet der Kerl und ich spüre, wie ich langsam aus der Haut fahre. Momentmal, denke ich dann, warum? Klingt irgendwie seltsam, dass von einem Erwachsenen zu hören! Da stimmt etwas nicht! „Hör mal, Alex, du bist doch sein kleiner Bruder, ja?“, versuche ich es jetzt, „Nathaniel und ich, wir sind gute Freunde, er war gestern bei mir, weißt du, und er hat mich gebeten, bei dir vorbeizuschauen, weil er sich Sorgen macht“, sage ich einschmeichelnd, „damit du nicht wieder so lange alleine bist, ok?“ Eine kleine Pause entsteht und ich beiße mir aufgeregt auf die Unterlippe. „Ich weiß nicht, Natty hat mir nichts davon erzählt, sind Sie ein Arbeitskollege von ihm?“, höre ich und der Kleine klingt ziemlich verunsichert. Jetzt bloß nichts Falsches sagen! „Nein, Alex, Natty und ich, sind nur gute Freunde und ich möchte dir nur ein wenig Gesellschaft leisten, weil er mich darum gebeten hat! Er hat sich große Sorgen um dich gemacht, heute Morgen und hat sich echt große Vorwürfe deswegen gemacht, weil er dich die ganze Nacht allein gelassen hat“, antworte ich und scheiße, wieder einmal meldet sich mein schlechtes Gewissen. Nein! Ich will endlich wissen, was da los ist! „Lässt du mich hoch, bitte?“, frage ich in meinem nettesten Tonfall und fühle förmlich, wie der arme Kerl mit sich ringt. „Pass mal auf, Alex“, sage ich väterlich, „Nathaniel war letzte Nacht bei mir, wir sind wirklich gut befreundet, du kannst mir vertrauen! Ich weiß auch, dass er James, mit zweitem Vornamen heißt und in London geboren wurde und zwar am zwölften März, er hat sogar letzten Sonntag mit mir gefeiert, wir waren beim Chinesen, vielleicht hat er dir davon erzählt?“ „Nein“, kommt die prompte Antwort und ich könnte die Wände hochgehen, doch dann summt die Tür. „Ok, kommen Sie hoch!“ „Ok!“, rufe ich noch und öffne die schwere Glastüre. Moment, verdammt! Ich weiß ja gar nicht… Also wieder zurück und nochmal klingeln. „Ähm, Alex, welcher Stock?“ „Der Fünfte, linke Seite“, antwortet er und ich starte erneut. Alex erwartet mich bereits, als ich den Fahrstuhl verlasse und ich bleibe erst einmal verblüfft stehen. Zwangsläufig mustere ich ihn von Kopf bis Fuß und bin mir absolut sicher, keinen Siebenjährigen vor mir zu haben. Stattdessen sehe ich einen recht hübschen jungen Mann vor mir stehen, der mich ebenfalls misstrauisch beäugt. Also dann, vorwärts! Angriff ist die beste Verteidigung! „Hi, Alex! Ich freue mich, dich endlich persönlich kennenzulernen!“, sage ich schnell, gehe auf ihn zu und strecke ihm meine Hand entgegen. Unwillkürlich suche ich in seinem Gesicht nach Ähnlichkeiten zu Nathaniel und mustere ihn erneut. Nathaniels Haar ist heller und lockiger, aber sie haben beide die gleichen hellen, grünlich-graublauen Augen und auch der feingezeichnete Mund, ist beinahe der gleiche! Auch die Ohren, haben eine ähnliche Form, wenngleich sie bei Nathaniel etwas kleiner und zierlicher ausfallen, genau wie sein ganzer Körperbau. Und doch bin ich mir dieses Mal definitiv sicher, dass die beiden miteinander verwandt sind. „Ja, also“, raune ich etwas verwirrt, weil er meine Hand nicht nimmt. „Wie gesagt, mein Name ist Maxim, eigentlich Maximilian, aber meine Freunde nennen mich Maxim“, stammle ich irritiert, während meine Hand langsam heruntersinkt. „Naja, eigentlich nennen mich zu Hause alle Max und erst seit ich in München bin, nenne ich mich Maxim, weiß auch nicht wieso, klingt irgendwie besser, finde ich!“ Was labere ich da nur? Und jetzt? Alex sieht mich entgeistert an und macht einen Schritt rückwärts, zurück in die Wohnung. „Aha“, ist alles, was er darauf zu sagen hat. Komischer Kerl, denke ich jetzt noch verwirrter und schiele an ihm vorbei. „Kann ich reinkommen?“ Man, was geht denn hier ab? „Ok“, sagt er nur und geht einfach voran. Ich zögere noch kurz, dann latsche ich ihm einfach nach und schließe die Wohnungstür hinter mir. Wow, echt tolle Bude! Ich sehe mich um, während ich ihm in das geräumige Wohnzimmer folge und glotze dabei wie ein Idiot auf die teure Einrichtung. „Hübsch, habt ihr`s hier“, sage ich anerkennend. Hübsch? Was fasle ich da nur! „Oh! Geiler Fernseher!“, entkommt es mir echt überrascht, als ich den riesigen Flatscreen Bildschirm an der Wand hängen sehe. „Ist neu!“, antwortet Alex und ein Hauch von Begeisterung klingt dabei mit. „Natty hat ihn uns zu Weihnachten gekauft!“ „Ah ja!“ Immer mehr, kommt in mir der Verdacht auf, dass hier irgendetwas nicht stimmt. „Wohnt nur ihr beiden hier?“ „Ja“, antwortet Alex und setzt sich. Okay, denke ich gedehnt. „Darf ich?“ Ich deute neben ihn, auf die graue Velourledercouch und er nickt. „Warum?“ „Naja, ich dachte nur, ist `ne ziemlich große Wohnung, für zwei“, antworte ich und setze mich neben ihn. „Wohnt ihr schon länger, hier?“ „Nathaniel hat die Wohnung gemietet, damit ich zu ihm ziehen konnte, vor vier Jahren!“ Aha! „Ähm, und vorher? Hast du da bei deinen Eltern gewohnt?“ Vielleicht hat es ja was mit der Scheidung seiner Eltern zu tun, denke ich gerade, doch Alex schüttelt den Kopf. „Nein, ich war doch im Heim“, antwortet er wie selbstverständlich und greift nach der Fernbedienung, „unsere Eltern sind doch schon lange tot!“ Ach du Scheiße! Ich starre ihn für einen Moment einfach nur fassungslos an. „Oh, das tut mir leid“, raune ich betroffen, doch er reagiert überhaupt nicht. „Wie lange denn?“ „Lange! Ich kann mich kaum noch an sie erinnern, ich war erst vier und Natty war neun. Manchmal erzählt er mir von ihnen“, höre ich ihn völlig emotionslos sagen und lehne mich erstmal schockiert zurück. „Könnte ich vielleicht etwas zu trinken haben?“, frage ich verstört, „ein Glas Wasser?“ Eigentlich ist mir jetzt nach was Härterem zumute. „Ja, sicher“, antwortet er und deutet glatt zur offenen Küche hin. Wieder starre ich ihn ungläubig an, doch dann stehe ich auf und marschiere hinüber zum Kühlschrank, als er keine Anstalten macht, mich zu Bedienen. Seltsamer Typ! Ich öffne den zweitürigen Kasten, sehe hinein und stelle fest, dass nicht gerade viel in dem Riesending drin ist. Milch, zwei Vanillepudding mit Sahnehäubchen, ein wenig Vakuumverpackte Wurst, Butter, zehn Eier und, klasse! Zwei Dosen Bier! Ich nehme mir eins, schließe die Tür und gehe zurück zur Couch. Alex spielt jetzt ohne auf mich zu achten, sein Videospiel weiter und ich setze mich wieder, während ich die Dose öffne. „Die gehören Natty“, sagt er, ohne mich anzusehen. „Ich glaube, dass ich bestimmt eine davon nehmen darf“, raune ich beruhigend und trinke erstmal einen großen Schluck. „Sag mal, wie alt bist du?“, frage ich ihn belanglos. „Siebzehn“, antwortet Alex und schießt wie wild Zombies ab. Siebzehn, ha! Von wegen sieben! Wäre ja dann wohl das reinste Riesenbaby, dein kleiner Bruder, geht es mir durch den Kopf, na warte, Natty, wenn ich dich erwische! Tischt mir so eine Lüge auf! Halt, warte, hat er eigentlich gar nicht, denke ich nach. Er sagte lediglich, `sieb…´ und ich habe daraus sieben gemacht! Betroffen lehne ich mich zurück und schließe kurz die Augen, als mir klar wird, warum er sich solche Sorgen um Alex gemacht hat. Der Junge hat definitiv einen an der Waffel! Der tickt nicht richtig, geht es mir jetzt sonnenklar auf. „Und, was arbeitet Natty denn?“, frage ich und kann es nicht fassen. Was mache ich hier eigentlich? Sitze da und horche den kleinen, geistig zurückgebliebenen Bruder meines Freundes aus! „Er ist Bodyguard“, kommt es zurück, ich fasse mir an den Kopf und lache los. Oh bitte! Mit allem hätte ich gerechnet, aber das? Scheiße! Ich kann mir Nathaniel als Friseur vorstellen, oder als Verkäufer in einer Boutique, vielleicht auch noch als Barkeeper in einer Schwulenbar, aber als Bodyguard? Nie im Leben! „Nicht lachen!“, zischt mich Alex plötzlich an, „ich mag das nicht! Und dich, mag ich auch nicht! Warum weißt du das nicht? Ich dachte, ihr wärt befreundet?“, faucht er mich an, schießt den letzten Zombie ab und drückt die Pausetaste der Playstation. Voller Misstrauen funkelt er mich an. Ich räuspere mich verlegen und beiße mir glatt auf die Unterlippe. „Naja, also, entschuldige bitte, war nicht so gemeint“, stammle ich nervös, „weißt du, Natty und ich, wir kennen uns noch nicht so lange, wir sind erst seit kurzem, zusammen.“ „Wie, zusammen?“, kommt es zurück und er sieht mich irgendwie verdattert an. Hoppla! Jetzt heißt es, aufpassen! Alex scheint keine Ahnung davon zu haben, dass sein älterer Bruder schwul ist und ich weiß im ersten Moment nicht, was ich ihm nun antworten soll. Aber dann denke ich, dass er eigentlich ein Recht darauf hat, zu erfahren, dass Nathaniel und ich ein Paar sind. Ein Paar? Sind wir das? Scheiß an! Ja, das sind wir! Mir wird plötzlich klar, dass ich noch niemals zuvor jemanden so sehr wollte, wie ihn und das eigentlich schon vom ersten Augenblick an. Ich räuspere mich vorsichtig und sehe Alex direkt an. „Nathaniel und ich, wir lieben uns“, sage ich mit fester Stimme. Alex sieht mich an, wie ein Kalb, wenn`s donnert, dann schüttelt er langsam seinen Kopf. „Neeein“, erwidert er gedehnt, „geht ja gar nicht!“ „Doch Alex, das geht“, sage ich sanft, „manchmal verlieben sich auch zwei Männer, ineinander.“ Er sieht mich an und schüttelt wieder ungläubig den Kopf. „Nicht Natty!“ „Alex, weißt du, was Homosexualität bedeutet?“, frage ich behutsam nach. „Ja!“, antwortet er mit einem irgendwie angewiderten Unterton. „Und ich mag das nicht! Und Natty auch nicht!“, kommt es beinahe trotzig von ihm und ich schnaufe tief durch. „Ich glaube dir nicht! Und, überhaupt, wie soll das gehen?“, haut er mir giftig vor den Latz. „Das geht, glaube mir!“, antworte ich leicht spöttisch. „Pass mal auf, Alex“, fahre ich wieder sanfter fort, „weißt du, was Sex ist?“ „Geschlechtsverkehr zwischen einem männlichen und einem weiblichen Individuum, mit dem Ziel, Nachwuchs zu zeugen“, antwortet er wie mechanisch und wieder muss ich lachen. So hat mir das auch noch niemand erklärt! Alex sieht mich bitterböse an und hebt plötzlich drohend seinen Zeigefinger. „Aufhören!“, schnauzt er mich an, „warum lachst du? Ich mag das nicht!“ Sofort bin ich still. Oh Mann, der Junge ist echt durchgeknallt! „Ok, ist ja schon gut“, raune ich und reiße mich zusammen. „Entschuldige, aber die Art, wie du das eben gesagt hast, fand ich eben lustig! Verstehst du?“ „Nein! Was ist daran lustig? Meine Antwort war lediglich eine klare Definition dessen, was du vorher gefragt hast!“, antwortet er verständnislos. Für einen Moment komme ich mir vor, wie im falschen Film und kann mich echt nur mühsam beherrschen, um nicht erneut loszulachen. Wo bin ich hier nur gelandet? Scheiße! Armer Nathaniel! Mit so einem Bruder geschlagen zu sein, muss wirklich nicht leicht sein! Langsam wird mir auch bewusst, was er damit gemeint hat, als er zu mir sagte, dass er sich einfach nur jemanden wünschen würde, der ihn festhält und ihm das hier abnehmen könnte. Jetzt weiß ich, was er damit meinte und das bestärkt mich nur umso mehr in meinem Vorhaben, mit Nathaniel zusammen zu sein. Wieder räuspere ich mich. „Ok! Entschuldige bitte!“ Warum entschuldige ich mich eigentlich dauernd bei der hohlen Nuss? „Also, ja, da hast du wohl recht, aber Sex ist auch noch etwas Anderes, als nur Geschlechtsverkehr“, versuche ich ihm zu erklären, „man kann auch Sex haben, ohne Nachwuchs zeugen zu wollen, eben nur, weil zwei Menschen sich gernhaben und“, verdammt, wie drücke ich es aus, dass er das kapiert? „Manchmal verlieben sich zwei Menschen einfach ineinander, ganz egal ob Mann und Frau, oder zwei Männer oder auch zwei Frauen! Und die wollen dann zärtlich zueinander sein, sich berühren und küssen und überall streicheln, sich körperlich lieben und vereinigen!“ „Ach!“, kommt es erstaunt von Alex und er grübelt wohl kurz darüber nach. „Ich habe das schon mal im Fernsehen gesehen, dass sich zwei gleichgeschlechtliche Menschen küssen und auch zusammen im Bett waren, aber irgendwie leuchtet es mir nicht ein, wie das dann gehen soll! Rein anatomisch gesehen, meine ich“, sagt er mir erklärend und sieht mich dabei an, als wäre ich nicht ganz in der Lage, ihm zu folgen. Hält der mich für blöd? „Und außerdem, ist es nicht richtig!“, fügt er noch hinzu und klingt beinahe herausfordernd dabei. „Nicht richtig? Also jetzt hör mir mal zu! Jeder Mensch, wird eben mit seiner sexuellen Neigung geboren und sucht sie sich nicht aus!“, kontere ich. „Nathaniel und ich, auch nicht! Wir sind eben nun mal schwul! Das heißt aber nicht, dass er dich deshalb nun nicht mehr mag, oder sich jetzt irgendwas zwischen euch beiden ändert! Nathaniel ist und bleibt, der, der er vorher für dich war, dein Bruder und er liebt dich! Verstehst du? Nathaniel ist ein ganz wunderbarer Mensch und wird es auch immer sein, ganz egal, ob er jetzt mit einem Mann zusammen ist, oder mit einer Frau! Verstehst du?“ Er nickt langsam und wendet sich einfach wieder seinem Videospiel zu. Ich glaub, ich werde wahnsinnig! „Alex! Dein Bruder macht sich sorgen, um dich! Tag und Nacht, denkt er nur an dich! Deshalb bin ich ja auch hier, weil er mir heute Morgen erklärt hat, dass er dich nicht alleine lassen kann und deshalb möchte er nicht mehr mit mir zusammen sein! Aber wir lieben uns und ich möchte, dass du das begreifst! Nathaniel und ich, wir gehören zusammen und ich werde mich nicht zwischen euch beide drängen! Ganz im Gegenteil sogar! Ich möchte einfach nur für ihn da sein und auch für dich! Alex! Hörst du mir überhaupt zu?“, herrsche ich ihn an. „Ich höre zu“, sagt er betont eindringlich, ohne sein Spiel zu unterbrechen. „Du machst mich langsam wahnsinnig! Weißt du, was du bist?“, kommt es aus mir heraus und beinahe hätte ich ihm gesagt, dass ich ihn für ein egoistisches Arschloch halte, doch ich verkneife es mir gerade noch. Es bringt nichts, wenn ich jetzt die Beherrschung verliere und mit ihm hier herumstreite, obwohl ich mir mittlerweile sicher bin, dass er gar nicht mit mir streiten würde oder überhaupt begreift, worum es mir wirklich geht. Mann, der benimmt sich echt wie ein Siebenjähriger, nein, schlimmer! Also noch mal, ganz ruhig! „Alex! Dein Bruder ist unglücklich, sehr sogar!“, sage ich ernst und, war das ein Zucken, in seinem Gesicht? Scheint angekommen zu sein! „Nathaniel möchte einfach jemanden haben, der ihn liebt und der für ihn da ist, genauso, wie er dich liebt und für dich da ist, verstehst du? Ich möchte dieser jemand sein und bin bereit dazu! Ich werde ihn festhalten und ihm die Liebe geben, die er braucht! Ich möchte, dass er glücklich ist, hörst du? Möchtest du das nicht auch?“, frage ich sehr einfühlsam. Alex nickt langsam. „Doch, das möchte ich auch“, sagt er leise, „ich möchte, dass Nathaniel glücklich ist. Ich weiß, dass er es nicht einfach hat, mit mir. Gut, wenn du ihn glücklich machen kannst, dann mache es. Er kann ruhig mit dir zusammen sein, ich habe nichts dagegen“, meint der kleine Mistkerl beinahe gönnerhaft. „Na vielen Dank, auch!“, raune ich fassungslos. Wie hält Nathaniel das nur aus? Ich weiß nicht, ob ich ihn dafür bewundern oder bedauern soll und schüttle nur meinen Kopf darüber. „Dein Magen knurrt“, sagt er plötzlich, „ich habe auch Hunger!“ „Ja! Mein Magen knurrt!“, belle ich ihn an. „Ich habe nichts zu Abend gegessen, da kommt das schon mal vor!“ „Du könntest uns etwas zu Essen holen“, sagt er doch glatt und mir bleibt wieder mal die Spucke weg. „Im Kühlschrank sind zwei Becher Pudding!“ „Ich will keinen Pudding!“, schnauze ich ihn an, „da sind auch Eier! Magst du Rühreier?“ „Ja, gerne! Aber nicht zu flüssig und mit Butter anbraten, dann einen Schuss Milch dazu, Salz, Pfeffer und Paprika! Drei reichen für mich und dazu zwei Scheiben nicht zu stark gerösteten Toast, mit dünn Butter bestrichen!“, antwortet er wie aus der Pistole geschossen und ich überlege kurz, ihn einfach umzubringen. Kann ich das wirklich? Was halse ich mir da gerade auf? Halten meine Nerven das aus? Wenn ich mit Nathaniel zusammen sein möchte, heißt das auch, dass ich mit Alex zusammen sein muss und das vielleicht für den Rest meines Lebens! Doch dann bin ich mir sicher, so sicher, wie noch nie zuvor, ja, ich möchte es! Ich will mit ihm zusammen sein, auch wenn ich Alex ertragen muss! „Sehr wohl, der Herr“, knurre ich und schnappe mir mein Bier. „Danke“, sagt er und ich bin mir sicher, dass er eben den Anflug eines Grinsens im Gesicht hatte! Wieder muss ich mich zusammennehmen, stehe jedoch einfach nur auf und mache uns Rühreier a la Alex! Nachdem wir schweigend gegessen haben, ich habe mir echt Mühe mit den Eiern gegeben und der Toast war sanft goldbraun, mit einem Hauch Butter, sehe ich ihn erwartungsvoll an. „Und?“ „Was, und?“, fragt Alex zurück. „Hat es dir geschmeckt?!“ „Ja, sicher, sonst hätte ich es wohl kaum gegessen“, antwortet er achselzuckend. „Das nächste Mal etwas weniger Pfeffer und mehr Butter, auf die Toasts!“ Ich kann nur lachen, es geht nicht anders! Ich sitze neben ihm, lache wie ein Geistesgestörter und fasse mir mit beiden Händen an den Kopf. „Ruhe!“, sage ich dann energisch, als ich sehe, wie er gerade zu einem Kommentar ansetzt. „Ich weiß, du magst das nicht“, knalle ich ihm hin und er nimmt den Kopf zurück. „Was spielst du da eigentlich?“, frage ich und deute auf das Standbild des Videospiels. „Zombie Apokalypse“, antwortet er leicht geplättet. „Ok! Was dagegen, wenn ich mitspiele?“ „Nein! Wenn du möchtest? Hier ist der zweite Controler“, erwidert Alex und wirkt nun echt verblüfft. „Warte!“, sage ich, hole mir das zweite Bier und nachdem er mir die Grundzüge des Spieles erklärt hat, legen wir los. Ich habe das schon ewig nicht mehr gemacht, seit ich von zu Hause ausgezogen bin eigentlich und das ist wirklich schon verdammt lange her, doch wider Erwarten macht es mir Spaß! Alex mault zwar ab und zu, wenn ich mal den einen oder anderen Zombie übersehe, doch im Großen und Ganzen, scheint er mit mir zufrieden zu sein. Dann, ganz plötzlich, piept sein Handy und er unterbricht das Spiel. „Ich muss jetzt ins Bett! Ich darf nur eine bestimmte Zeit am Stück spielen und die ist jetzt abgelaufen“, sagt er völlig ruhig und wie selbstverständlich. „Gute Nacht, es war wirklich nett, mit dir.“ Er fährt das Gerät herunter und sieht mich an. „Das Geschirr muss noch in die Maschine geräumt werden. Vorher die Teller und das Besteck mit klarem Wasser abspülen und danach das Waschbecken saubermachen, nicht vergessen!“ Ich starre ihn an, er steht auf und geht! „He, momentmal!“, rufe ich ihm mehr als verdutzt nach, „und du?“ „Nathaniel möchte, dass ich spätestens um elf Uhr im Bett bin, damit ich morgen ausgeschlafen bin, in der Schule, ich muss noch Zähne putzen und es ist schon viertel vor, also gute Nacht!“, antwortet er ungerührt, marschiert einfach weiter und ist im Bad verschwunden. „Na Klasse!“, raune ich zu mir selbst, stehe auf, räume ab und mache alles genauso, wie es mir Alex gesagt hat. Dann ziehe ich die Tür hinter mir zu und kann wieder einmal nur über mich selbst staunend, den Kopf schütteln.

*

Es ist kurz vor zwei, als ich nach Hause komme. Riecht es hier nach Rühreiern? Muss wohl mal wieder von der Mayer herüberwehen! Oje, Alex wird wieder ausrasten, denke ich seufzend und mache das Küchenfenster auf. Dabei fällt mir auf, dass das Waschbecken voller Wasserflecken ist. Nanu? Ich nehme das Geschirrtuch, poliere das Edelstahlbecken nach und hänge das Tuch wieder über den Griff des Backofens. Jetzt nichts, wie ins Bett! Mann, bin ich müde! Ich mache das Fenster wieder zu, torkle total übermüdet ins Bad, pinkle noch mal und putze mir wie ferngesteuert die Zähne. Dann werfe ich noch einen Blick in Alex` Zimmer, alles ok, er schläft wie ein Baby und gehe selbst schlafen. Um halb sieben geht mein Wecker und ich rapple mich wie in Trance auf. Oh Gott! Hilft nichts, ich muss meinen kleinen Bruder wecken! Also schlurfe ich zu ihm hinüber. „Alex! Aufstehen!“, rufe ich ihm zu und mache die Türe ganz weit auf, damit das Licht vom Flur her, sein Zimmer erleuchtet. Momentmal, fällt mir plötzlich ein, wieso war eigentlich das Licht aus, im Wohnzimmer? Normalerweise lassen wir immer eine der kleinen Lampen an, weil Alex es nicht mag, wenn es ganz dunkel ist, falls er nachts mal raus muss. Deshalb brennt auch in unserem Gang immer eine von diesen Nachtlichtern, die man einfach in eine Steckdose steckt. Seltsam! Ich schlurfe in die Küche und mache den Kühlschrank auf. Häh? Ich bin mir sicher, dass hier irgendetwas schiefläuft! Waren das gestern nicht noch zehn Eier? Doch, ganz sicher! Die Butter steht auch wo anders! Und was ist das? Wo ist mein Bier? Da waren noch zwei Dosen, totsicher! Bin ich jetzt total blöd geworden? Alex mag kein Bier und ich kann mich nicht daran erinnern, sie getrunken zu haben! Irgendwas stimmt hier nicht! Verdammt eigentlich wollte ich heute Mittag die Eier mit dem Schinken für uns zum Essen machen, jetzt darf ich auch noch einkaufen gehen! Ich hole die Milch heraus, stoße schlecht gelaunt die Tür zu, grabsche nach den Cornflakes, schütte sie in eine Schüssel und decke den Tisch für Alex. Wo bleibt er nur? Ist mir egal jetzt, will nur zurück ins Bett! Auf dem Weg zum Badezimmer, halte ich noch mal bei ihm an. „Alex! Aufstehen! Los, mach jetzt!“, plärre ich und wanke ins Bad, um schnell noch Pipi zu machen. Alex kommt herein. „Morgen“, nuschelt er gähnend, dann sieht er mich aufgebracht an. „Was machst du hier? Du hast nichts hier verloren, ist meine Zeit!“, wirft er mir vor. „Entschuldigung, dass ich mal musste“, blaffe ich zurück, „bin schon weg!“ „Hättest ja auch das andere Klo nehmen können!“, kläfft Alex mir nach und ich denke mir nur, hab mich doch gern! Keinen Bock jetzt, auf den Zirkus, will nur wieder ins Bett! „Dir auch noch einen schönen Tag“, murmle ich und ziehe die Tür hinter mir zu. Gerade liege ich wieder in meinem herrlich warmen Bettchen, da kommt er zu mir ins Zimmer gerauscht. „Du hast nicht runtergespült! Igitt! Los, mach!“, kreischt er mich an. Echt jetzt? Der kann mich mal! „Meine Güte, ist doch nur Pipi! Hab`s vergessen, Mann“, raune ich genervt, doch dann raffe ich mich wieder auf. Er wird nicht nachgeben und hier bei mir rumheulen und zetern, bis ich es mache. Das weiß ich! Also, ab ins Bad und runterspülen! Alex ist mir gefolgt und steht mit verschränkten Armen hinter mir. Ich klappe noch den Deckel zu, obwohl er ihn gleich wieder hochklappen wird, aber scheiß drauf, ich will nur schlafen! Wenigstens ein paar Stunden noch, bevor ich einkaufen gehen muss. „Zufrieden?“, raune ich seufzend. „Denk bloß nicht, dass das jetzt hier einreist!“, faucht er mich an und ich glotze ihn an, wie einen Geist. Häh? Spinnt der? „Brauchst gar nicht so dumm zu gucken!“, keift er weiter, „oder denkst du, ich weiß nicht, was hier läuft?!“ Keine Ahnung? Was läuft denn hier? Ich schüttle völlig ahnungslos den Kopf und hebe beide Schultern dazu. „Sag mal, hast du sie noch alle?“, fahre ich ihn jetzt an. Mir reicht`s gehörig! „Ich rackere mich Tag und Nacht, für dich ab! Reiße mir den Arsch auf, für dich! Mache dir dein Essen und räume hinter dir her! Ich hab die Schnauze voll, hörst du?!“, schreie ich, „mach dir dein Essen in Zukunft selber!“ Ich drehe mich um und will schon gehen, doch dann höre ich wie er mir schnippisch hinterherruft: „Ph! Dann rufe ich halt Maximilian an! Der macht mir dann mein Essen, seine Rühreier waren eh besser, als deine!“ Ich glaube, ich höre nicht richtig und bleibe wie angewurzelt stehen. „Was? Wer? Woher?“, stammle ich nur und sehe ihn entgeistert an. Er nickt nur. „Ach, übrigens, dein Freund war gestern da! Er hat Rühreier für uns gemacht und dann haben wir zusammen ein Zombiespiel gezockt“, sagt er und lässt die Worte förmlich auf seiner Zunge zergehen, denn er kann manchmal echt gehässig werden. Mir wird schlecht, wirklich! Alles dreht sich plötzlich und ich muss mich am Waschbecken festhalten, um nicht umzufallen. „Nathaniel?“, höre ich wie durch Watte und Alex fasst mich am Oberarm. Ich muss wirklich schlecht aussehen, denn er sieht mich echt erschrocken an. „Natty?!“ Ich sinke einfach zu Boden, muss mich setzen und er hockt sich neben mich. „W, wer?“, stammle ich, mehr bekomme ich nicht heraus. „Maximilian war gestern da, mach dir keine Sorgen, ich weiß jetzt Bescheid. Er hat mir alles erzählt, auch das du schwul bist, aber das macht mir nichts aus. Naja, am Anfang schon, aber dann hat er es mir erklärt, dass du auch jemanden brauchst, der dich liebhat und dass er das ist“, sagt Alex sanft und sieht mich liebevoll, ja, wirklich liebevoll, an. Ich schlage beide Hände vor mein Gesicht und heule los. Ich weiß, dass er damit überfordert ist, aber ich kann nicht anders. Ich weine wie ein kleines Kind. „Natty?“ Alex rüttelt mich an den Schultern und ich reiße mich zusammen, wie immer, dann rapple ich mich auf. Eine unglaubliche Wut kocht plötzlich in mir hoch. „Ist schon gut”, raune ich ihm zu, „mach dich bitte fertig, ja?” Völlig außer mir stürme ich in mein Zimmer, nehme mein Handy und rufe Maxim an. „Was fällt dir ein“, brülle ich los, als er sich meldet, „wie kannst du es wagen, hier bei uns aufzukreuzen?! Du verdammter Mistkerl! Lass dich nie wieder, hier blicken!“ „Nathaniel!“, raunt er energisch, doch ich bin noch nicht fertig, werfe ihm vor, meinen kleinen Bruder aufgehetzt zu haben und mache ihm schwere Vorwürfe deswegen. Ich lasse ihn nicht ein einziges Mal zu Wort kommen und beende das Gespräch mit der Aussage, dass ich ihn nie wiedersehen möchte. Ich werfe mich auf mein Bett, heule wie ein Schlosshund und schluchze erbärmlich dabei. Alex kommt zu mir, setzt sich neben mich und streichelt mir sanft über den Rücken. „Natty, bitte, hör doch auf zu weinen“, sagt er leise und völlig hilflos. Jetzt fühle ich mich noch beschissener, danke auch, Maxim! „Ist schon gut“, raune ich schniefend und setze mich auf. „Du musst zur Schule, Alex! Ok? Alles wird gut“, sage ich schluckend, „das verspreche ich dir! Wir beide, wir brauchen niemanden!“ „Doch, Natty, du brauchst jemanden“, erwidert er und nickt mir zu. Am liebsten würde ich wieder losheulen, doch ich reiße mich zusammen. „Ich hab doch dich“, hauche ich und nehme ihn in meine Arme. Wie immer versteift er sich dabei, denn solche Nähe ist ihm unangenehm. Ich lasse ihn los und lehne meine Stirn an seine. Das ist die einzige Nähe, die er zwischen uns zulässt. „Hau schon ab“, sage ich noch, „du verpasst sonst noch die S-Bahn.“ Eine Stunde später, ich habe gerade geduscht und mich angezogen, klingelt es an unserer Tür. Ich drücke auf die Sprechanlage und melde mich, doch niemand antwortet. Stattdessen klopft es plötzlich energisch, ich öffne unsere Wohnungstüre und er steht vor mir. Maxim! Allein sein Anblick reicht und ich trete einen Schritt zurück, auch kann ich seinem strengen Blick nicht standhalten und wie von selbst, senke ich den meinen. Warum bin ich nur so? „Kann ich reinkommen?“, höre ich seine tiefe Stimme. Er ist wütend, ich spüre es förmlich und bekomme am ganzen Körper eine Gänsehaut. Oh Gott, warum nur? Allein seine Gegenwart lässt mich dahinschmelzen und ich würde am liebsten vor ihm auf die Knie sinken. Ich nicke nur und mache ihm demütig platz, damit er in unsere Wohnung eintreten kann. „Was sollte das?“, fragt er, „du fragst mich, was mir einfällt? Was fällt dir ein, so mit mir zu reden?!“, herrscht er mich an und ich erzittere vor Erregung. „Du, hast mich darum gebeten, dein Top zu sein!“, raunt er, „und genau das, bin ich von nun an auch! Ich werde für dich da sein, hörst du?!“ Ich nicke nur. „Antworte!“ „Ja“, flüstere ich.

*

Ich bin stocksauer! Das darf ja wohl nicht wahr sein, was bildet der sich ein? Ruft mich morgens um sieben an und macht mich zur Sau! Und wie! Schreit wie eine Furie und lässt mich kaum zu Wort kommen! Aber so nicht, mein Freund! Nicht mit mir! Denn mittlerweile bin ich schlauer! Als ich gestern nach Hause kam, habe ich noch im Internet recherchiert und nun weiß ich, was ein Bottom ist und auch, was einen Top ausmacht. Bin ich wirklich einer? Naja, wenn ich so darüber nachdenke, habe ich mir nie von irgendjemanden was sagen oder gefallen lassen und wenn mir einer blöd kam, dann habe ich ihm gezeigt, wo der Hammer hängt! Das war schon in der Schule so und meine Mitschüler haben mich dafür respektiert. Ich war jahrelang Klassensprecher und später sogar Vertrauensschüler in der Schülervertretung. Auch in meinen Beziehungen hatte immer ich die Hosen an. Es ging eigentlich immer alles nach mir, ich habe stets die Richtung vorgegeben und meinen Partnern gesagt, wo es langgeht. Das hat mir einer meiner Verflossenen auch mal vorgeworfen, er hat behauptet, dass immer alles nach meinem Kopf gehen müsse und das war letztendlich auch der Grund warum unsere Beziehung auseinanderging. Das war vor Mario, denke ich seufzend. Mario war anders, er wollte von mir mental dominiert werden, hat sich immer gefügt und mir so gut wie nie widersprochen. Ich habe ihn wirklich geliebt und wenn ich ehrlich bin, kann ich bis heute nicht begreifen, wie er mir das antun konnte! Nie im Leben, hätte ich damit gerechnet und seitdem mache ich grundsätzlich einen großen Bogen, um Bi`s. Sicher, eine Beziehung kann immer scheitern und auch bei einem rein schwulen Pärchen kann einer fremdgehen. Trotzdem, dann muss man wenigstens nicht an zwei Fronten kämpfen und als dann seine Freundin schwanger wurde… Tja, was hätte ich da schon dagegenhalten können? Nichts! Männer können nun mal keine Kinder bekommen! Ich verscheuche die Gedanken an Mario und schweife zurück zu Nathaniel. Was nun? Welche Art von Bottom ist er? Steht er nur darauf zu tun, was ich ihm sage, also ähnlich wie Mario, oder ist er einer von denen, die mehr wollen… Seufz! Das werden wir wohl klären müssen, wobei wir wieder beim Thema sind! Oh ja, das werden wir und noch viel mehr! Ich werde jetzt zu ihm fahren und ihm gehörig den Marsch blasen, darauf kann er sich gefasst machen!

Eine Stunde später stehe ich erneut vor seinem Haus. Und jetzt? Wenn ich klingle, macht er womöglich nicht auf und ich kann mir die Füße in den Bauch stehen! Da! Da kommt jemand! Eine junge Frau mit Kinderwagen öffnet von innen mühselig die Tür und ich ergreife die Gelegenheit! „Warten Sie!“, rufe ich, „ich helfe Ihnen!“ Ich drücke gegen die schwere Tür, sie nickt, zieht den Kinderwagen zurück und ich halte für sie die Tür auf. „Danke!“, sagt sie lächelnd, schiebt ihr Baby an mir vorbei und ich trete selbstbewusst grinsend in das Treppenhaus. Mit dem Aufzug fahre ich nach oben und läute an Nathaniels Wohnungstür, dann klopfe ich einfach. Er öffnet und bleibt wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Tja, mein Lieber, damit hast du nicht gerechnet! Ich sehe ihn einen Momentlang einfach nur streng an, frage ihn ob ich eintreten darf und er macht mir tatsächlich Platz. Sofort fahre ich ihn an und frage ihn, was er sich dabei gedacht hat, so mit mir umzugehen! Er sinkt förmlich in sich zusammen und ich spiele den Trumpf mit dem von wegen, ich wäre sein Top, aus. Das hat gesessen! Er nickt nur mit gesenktem Blick, aber ich will, dass er antwortet und das tut er dann auch, mit einem zaghaften Ja. Ich stoße die Tür zu, gehe an ihm vorbei ins Wohnzimmer und er folgt mir brav. Geht doch! So, und jetzt werde ich dir gehörig den Kopf waschen! „Du wirst mir jetzt zuhören!“, fahre ich ihn an und baue mich mit verschränkten Armen vor ihm auf. „Ich wollte gestern lediglich noch einmal mit dir reden! Ich habe mir Sorgen um dich gemacht und wollte das, was vorher zwischen uns abgelaufen ist, nicht einfach so stehen lassen! Ich wollte zu dir! Kapiert?! Das dann dein Bruder mir die Tür geöffnet hat, dafür kann ich nichts und ich konnte es auch nicht ahnen! Aber egal, es ist, wie es ist und ich hatte niemals vor, mich in irgendetwas einzumischen oder gar, Alex gegen dich aufbringen, wie du es mir vorgeworfen hast! Was denkst du denn? Ich habe auch erst einmal Bauklötze gestaunt, als ich plötzlich einen jungen Mann vor mir sah! Ich dachte, dein Bruder wäre noch ein kleiner Junge und nicht ein fast Erwachsener! Warum hast du es mir nicht einfach gesagt? Stattdessen lügst du mich an, dass die Balken sich biegen!“, sage ich energisch, aber auch ruhig und sachlich. Nathaniel steht mit hängenden Schultern vor mir und wagt es noch immer nicht, mich anzusehen. „Ich, er ist“, sagt er leise. „Du bist still!“, donnere ich ihn an und er zuckt zusammen. „Ich bin noch nicht fertig! Du wirst mir jetzt zuhören und wage es nicht, mich nochmals zu unterbrechen! Danach, bist du dran! Verstanden?“ Er nickt kurz und ich schnaufe tief durch. „Gut! Also, ich kann verstehen, dass du mir die Sache mit Alex Zustand verschwiegen hast und im Grunde genommen, ist er wohl auch noch wie ein kleines Kind und ich verstehe jetzt auch, warum du dir solche Sorgen um ihn machst, aber ich verstehe nicht, warum du mich deshalb abserviert hast! Es würde sich doch nichts ändern, zwischen euch beiden, nur eben, dass ich auch noch da wäre, um dich zu unterstützen! Denkst du wirklich, ich hätte kein Verständnis dafür gehabt? Auch, was deine Eltern betrifft, warum hast du mir nicht gesagt, dass sie tot sind?“, frage ich betont sanfter und sehe, wie er förmlich zusammenschrumpft. Er hat jetzt wohl auch seine Augen geschlossen und sein hübsches Gesicht hat einen bitteren Ausdruck angenommen. „Ich erwarte jetzt eigentlich eine Antwort“, sage ich auffordernd, doch er zuckt nur die Schultern. Ok, war wohl doch ein wenig zu heavy, für ihn. Vielleicht sollten wir uns setzen! „Nathaniel“, sage ich ruhig, „komm zu mir!“ Ich strecke ihm meine Hand hin, er macht einige kleine Schrittchen auf mich zu und nimmt sie zögerlich. „Komm“, wiederhole ich, ziehe ihn sanft heran und bugsiere ihn zur Couch. „Setz dich“, fordere ich ihn auf und beide setzen wir uns beinahe gleichzeitig. Dabei lasse ich seine Hand nicht los, die sich ziemlich feucht und kalt anfühlt. „Und?“, frage ich, aber er schweigt. „Ich wollte dich nicht vor Alex outen, aber es hat sich einfach so ergeben“, versuche ich es erklärend, „er wollte wissen, wer ich bin und ich habe es ihm gesagt, nämlich, dass wir beide zusammen sind. Genauso, wie wir es am Abend zuvor, ausgemacht hatten“, sage ich nun ein wenig hilflos. Warum sagt er nichts? „Nathaniel, sag doch was“, raune ich ihm erneut zu. „Es geht nicht“, antwortet er leise. Was geht nicht? „Nathaniel, was geht nicht, was meinst du?“, frage ich vorsichtig. „Ich möchte, dass du gehst“, sagt er monoton und sein Blick ist dabei auf irgendeinem Punkt in der Wohnung gerichtet. Ich kann nicht fassen, was ich eben gehört habe und schon gar nicht begreifen. „Warum?“, frage ich ungläubig. Er zieht seine Hand zurück, steht auf und sieht mich endlich an. „Wir können nicht zusammen sein, es gibt keinen Platz für dich, in unserem Leben!“, sagt er sachlich. „Wie bitte? Nathaniel! Warum nicht?“, fahre ich auf. „Du würdest es nicht verstehen. Ich muss für ihn da sein, er braucht mich“, antwortet er ohne Regung. „Das darf doch nicht wahr sein“, raune ich wie zu mir selbst und fasse mir an den Kopf. „Stimmt! Du hast recht, ich verstehe es nicht! Willst du dich hier mit ihm einsperren und dich für den Rest deines Lebens um deinen schwachsinnigen Bruder kümmern?“, sage ich verständnislos und sehe wie sich seine Augen verengen. „Raus hier!“, zischt er mich böse an, „Alex ist nicht schwachsinnig! Er ist hochintelligent, also nenne ihn nie wieder so!“ „Hochintelligent?“, wiederhole ich höhnisch schnaubend und lache kurz. „Entschuldige, aber den Eindruck hat er nicht gerade auf mich gemacht! Er hat sich im Gegenteil sogar, wie ein geistig zurückgebliebener benommen! Wirklich, wie ein höchstens Siebenjähriger!“ „Du kennst ihn nicht!“, schreit Nathaniel mich plötzlich an. „Er ist nicht geistig zurückgeblieben! Er ist einfach nur anders! Er leidet am Asperger-Syndrom und das hat nichts mit Schwachsinn zu tun! Und jetzt, hau ab!“, brüllt er, dass sich seine Stimme überschlägt. „Das werde ich nicht!“, erwidere ich bestimmt und sehe, wie er sich aufbläst. Wow, entweder knallt er mir jetzt eine oder er platzt gleich! „Warum erklärst du es mir nicht einfach?“, sage ich eiskalt und lehne mich gelassen zurück. „Bei einer schönen Tasse Kaffee, zum Beispiel?“, lege ich noch nach und Nathaniel holt noch tiefer Luft. Er platzt jetzt echt bald, wenn er nicht langsam ausatmet! Endlich, er lässt die Luft ab! „Zum letzten Mal, raus hier“, faucht er zornig. „Nein! Ich gehe nicht eher, bevor du es mir erklärt hast!“, erwidere ich stur. Er schließt kurz seine Augen, dann erklärt er mir die Symptome von Alex `Krankheit´. Ich höre ihm aufmerksam zu und hebe fragend beide Hände. „Und was hat das mit uns zu tun?“, möchte ich wissen. „Denkst du, ich würde nicht damit klar kommen?“ Das würde ich, ganz sicher! Immerhin lief es doch ganz gut gestern, zwischen uns. „Das ist es nicht“, meint er ruhiger. „Was ist es dann?“, frage ich genervt. „Ich will dich einfach nicht mehr sehen!“, knallt er mir an den Kopf. „Ich, ich habe mich eben getäuscht! Du, bist nicht das, oder der, nach dem ich gesucht habe! Du kannst mir nichts bieten!“ Bieten? Was meint er denn jetzt wieder? Keine Ahnung und genauso sehe ich ihn auch an. „Das glaube ich dir nicht“, antworte ich, doch ich spüre langsam, wie ich immer unsicherer werde. „Dann werde ich es dir erklären!“, erwidert er hochnäsig. „Schau dich doch einmal um“, sagt er und deutet mit einer ausladenden Geste seiner Hände durch den Raum. Was meint er, die teure Einrichtung? Ist das sein Ernst? „Und nun vergleiche es mit der Bude, in der du mit deiner kleinen Lena wohnst, nein haust! Mit euren billigen SB-Möbeln oder sind die vom Sperrmüll?“ Wow! Ich bin echt schockiert und anscheinend sieht er mir das an. „Ich bin diesen Luxus gewöhnt und Alex auch“, fährt er fort, „außerdem möchte er nach dem Abitur studieren und das kostet Geld, viel Geld! Was denkst du wohl, woher das kommt?“ Ich sehe ihn einfach nur fassungslos an. Was will er damit andeuten? „Wahrscheinlich nicht von deinem Job bei dieser Sicherheitsfirma“, antworte ich ziemlich matt. „Alex hat mir erzählt, dass du als Bodyguard arbeitest, stimmt das?“ Er blinzelt kurz, dann nickt er. „Ja, ich arbeite sozusagen als Personenschützer“, bestätigt er, ohne mich anzusehen. Lügt er wieder einmal? „Ganz ehrlich? Ich habe erst einmal einen Lachflash bekommen“, sage ich spöttisch. „Wen könntest du schon beschützen?! Du bist doch nur eine halbe Portion und man könnte dich glatt wegpusten!“ „Genau das, denken alle, wenn sie mich sehen!“, kontert er gelassen, „schon mal was von Karate gehört, oder einer professionellen Kampfausbildung? Was denkst du, warum so viele Frauen beim Personenschutz eingesetzt werden, hm? Die fallen weniger auf, genau wie solche halben Portionen, wie ich!“ Das gibt mir zu denken und ich stimme ihm insgeheim zu. „Ok“, raune ich, „aber anscheinend ist die Bezahlung nicht gerade der Hit, oder was meintest du vorhin?“ Er nickt und verschränkt seine Arme vor seiner aufgeblähten Brust. „Genauso ist es! Kannst du dich noch an den Mann erinnern, mit dem ich in der Galerie war? Meinen vermeintlichen Vater?“, fragt er mich herausfordernd, „er ist mein Lover und stinkreich! Er bezahlt meine Rechnungen und ist auch bereit, Alex zu unterstützen!“, sagt er sowas von überheblich grinsend, dass ich drauf und dran bin, ihm jetzt eine zu ballern. „Kannst du das? Kannst du uns dieses Leben bieten?“, fügt er noch hämisch hinzu und mir reicht es nun endgültig. „Ich kann das nicht glauben“, raune ich dennoch kopfschüttelnd, „ich nehme dir das nicht ab! Ist dir das alles“, jetzt deute ich um mich herum, „wichtiger, als unsere Liebe?“ „Liebe“, wiederholt er zynisch schnaubend, „von Liebe, kann ich mir nichts kaufen und Alex erst recht nicht! Er wird an der besten Universität studieren, vielleicht sogar im Ausland und dieser Mann, wird es uns ermöglichen!“ Ich habe genug gehört, nicke und stehe auf. „Na dann, leb wohl und viel Spaß, beim Geldausgeben“, sage ich noch und gehe langsam an ihm vorbei. Irgendwie habe ich doch noch die Hoffnung, dass er irgendetwas erwidert, mich vielleicht doch nicht einfach so gehen lässt, doch er schweigt nur. Als ich das Haus verlassen habe, setze ich mich erst einmal auf eine nahegelegene Parkbank und lasse mir alles noch einmal durch den Kopf gehen. Ich kann es immer noch nicht begreifen, ist er wirklich nur auf Geld aus? Dann fällt mir wieder ein, was er zu mir gesagt hat. Dass er es manchmal so satthätte und sich einfach nur jemanden wünschen würde, der für ihn da ist, ihn liebt und festhält! Also doch, er lässt sich von diesem alten Kerl aushalten, wird mir endgültig klar und ich lehne mich verbittert zurück. Während ich noch meinen Gedanken nachhänge, sehe ich, wie Nathaniel plötzlich den Wohnblock verlässt. Wo er wohl hingeht? Vielleicht zu diesem Kerl? Ich stehe auf und hänge mich tatsächlich an seine Fersen. Ist das schon Stalking? Egal! Ich will einfach wissen, wohin er geht! Er biegt um die nächste Ecke, ich warte kurz und haste ihm hinterher. Zwei Straßen weiter, sehe ich wie er einen kleineren Supermarkt ansteuert und betritt. Er geht also nur einkaufen! Oh Mann, was ist bloß in mich gefahren? Dennoch warte ich, bis er wieder herauskommt und verfolge ihn wieder zurück zu seiner Wohnung, sehe ihm nach, wie er in dem exklusiven Wohnblock verschwindet und mache mich dann selbst auf den Weg nach Hause.

Zu meiner Überraschung ist Lena noch da. Sie fängt zwar immer erst um zehn Uhr an zu arbeiten, aber jetzt ist es schon fast zwölf. „Hi“, sage ich träge und es wäre mir echt lieber, wenn ich jetzt alleine wäre. „Hi!“, grüßt sie gutgelaunt zurück. „Was machst du denn hier?“, frage ich mürrisch und sie sieht von ihrem Kochtopf auf. Mmh, es riecht nach Gemüseeintopf. „Is was?“, fragt sie verdattert zurück. „Hab heut meinen freien Tag, muss dafür am Samstag ran!“ „Nee!“, antworte ich geknickt und setze mich auf einen von unseren Sperrmüllstühlen. Unsere Einrichtung ist tatsächlich eine kunterbunte Mischung aus alten, entsorgten Möbeln, die wir teils vom Flohmarkt, aus Haushaltsauflösungen oder auch auf der Straße aufgelesen haben. Eben, Sperrmüll! Eine alte Kommode, ein altes, rustikales Küchenbüffet, dass von einer längst verstorbenen Nachbarin stammt, alles liebevoll von Lena und mir aufgearbeitet und frisch gestrichen, im Shabbylook. Dazu haben wir uns noch einige moderne weiße Hängeschränke gekauft, klar, von einem SB-Möbelmarkt. Die alte Couch haben wir von unserem Vormieter übernommen, genau wie den klobigen Tisch, den Lena mit bunten Mosaiksteinchen beklebt hat. Selbst der kleine Küchentisch und die vier dazugehörigen Stühle, jeder in einer anderen Form und Farbe, haben wir vom Sperrmüll gerettet. Mich hat das nie gestört, im Gegenteil, unsere Wohnung hat einen ganz besonderen Charme dadurch, ist gemütlich und richtig liebevoll gestaltet und dekoriert. Ich schließe meine Augen. „Mäxchen?“ Lena kommt zu mir und setzt sich neben mich. „Was ist los? Ist jemand gestorben?“, fragt sie besorgt nach, ich schüttle meinen Kopf und berichte ihr zermürbt, was gestern Abend und heute Morgen alles geschehen ist. „Uff!“, macht sie und atmet schwer aus, während sie wieder die Suppe umrührt. „Tut mir echt leid, dass ich das jetzt sage, aber ich habe es dir gleich gesagt, dass mit dem was nicht stimmt!“ Muss das jetzt sein? Muss sie eigentlich immer recht haben? „Ja, du hattest recht! Bist du nun zufrieden?“, knalle ich ihr genervt hin. „So war das doch nicht gemeint, T`schuldige“, murmelt sie betreten. „Vergiss ihn, ist echt besser so! Ist doch auch noch nichts Weiteres passiert, zwischen euch und immerhin kanntet ihr euch doch erst seit kurzem“, faselt sie weiter und ich sehe sie warnend an. „Was hat das denn damit zu tun? Gar nichts! Zwischen mir und Nathaniel hat es sofort gefunkt! Vielleicht verstehst du das nicht, aber es ist so! Ich weiß, dass wir zusammengehören!“, schnauze ich zurück. „Ich, ich“, ja was, ich? Es durchfährt mich plötzlich wie ein Blitz, als mir klar wird, dass ich ihn wirklich liebe. Ja, ich liebe ihn und ich weiß, dass er ebenso für mich empfindet! Vielleicht gibt es Liebe auf den ersten Blick wirklich? Ich schnaufe tief durch. „Ich liebe ihn“, sage ich voller Überzeugung und sie starrt mich geradezu entsetzt an. „Ooooh Mäxchen, nein!“, kommt es gequält von ihr und sie lässt sich erneut auf den Stuhl fallen. „Nee, oder?“ „Doch! Ich weiß es, Lena, ich spüre es am ganzen Leib! Nathaniel und ich, wir sind wie füreinander bestimmt und ich kann ihn nicht einfach so vergessen“, erwidere ich nickend und tief betrübt. „Ja, aber anscheinend ist er da anderer Meinung“, sagt sie seufzend. Und wieder hat sie recht. „Was willst du jetzt tun?“, fragt sie mich vorsichtig. Keine Ahnung! „Weiß ich nicht“, antworte ich genervt, „aber ich werde, ich kann, ihn nicht einfach so aufgeben!“, raune ich entschieden und stehe auf. „Wo gehst du hin?“ „In mein Zimmer?! Wenn`s genehm ist?“, zische ich sie an. Ich will jetzt einfach nur meine Ruhe und vergrabe mich für den Rest des Tages.

Ich sitze schon seit Stunden auf meinem Bett und grüble vor mich hin. Male mir eine Zukunft, zusammen mit Nathaniel aus und dann wieder eine, ohne ihn. Vielleicht sollte ich ihn doch lieber abschreiben, vergessen, werde ich ihn jedenfalls nicht können. Seufzend lasse ich mich nach hinten fallen, umarme schwermütig mein Kopfkissen und sehe mich mal wieder einsam und allein in meiner Wohnung sitzen, umgeben von imaginären Katzen, die nur darauf warten, dass sie mich endlich fressen können. Da ist es wieder, liegt riesengroß und unüberwindbar vor mir, das Jammertal! Es klopft leise und Lena kommt mit einer Tasse dampfendem Tee und ein paar belegten Broten herein. „Hey“, sagt sie leise, „darf ich?“ Natürlich darf sie! Ich nicke und bin ehrlich froh, dass ich sie habe. Wieder einmal! Lena setzt sich neben mich und hält mir vorsichtig den Teller hin. „Guck mal, Bierschinken, mit Gürkchen drauf“, sagt sie liebevoll und ich lache kurz. „Danke“, raune ich, rapple mich hoch und nehme mir ein Wurstbrot. Eigentlich habe ich keinen Appetit, aber nach dem ersten Bissen spüre ich doch, wie sich mein hungriger Magen freut. Ich trinke den Pfefferminztee dazu und langsam geht es mir besser. Was so ein Bierschinkenbrot doch ausmacht, wenn es so liebevoll zubereitet wurde. „Weißt du was?“, fragt sie mich, während sie mir beim Essen Gesellschaft leistet, „wie wäre es, wenn wir beide morgen einen draufmachen?“ Oh nee! Denke ich gefrustet, doch sie setzt sich schon in Position. „Wenn du möchtest, könnten wir in diesen gemischten Club gehen, weißt schon, wo Frauen auch reindürfen?“, meint sie und sieht mich freudig an. Sie hat mich da schon mal hingeschleppt, ist eigentlich ein ganz netter Treff für Schwule und Lesben, aber ich stehe da nicht so drauf. Die Typen, die sich dort tummeln, sind mir ein wenig zu schwul und man sieht es ihnen schon auf hundert Metern Entfernung an. Entweder sind sie grell geschminkt, mehr als die Frauen, die dort verkehren oder sie sind gekleidet wie diese Typen von Village People! Nicht jeder schwule Mann steht auf sowas, ich jedenfalls nicht. Bin ich zu konservativ? Wahrscheinlich! Schließlich komme ich vom Land und mein bäuerliches Elternhaus ist stockkatholisch dazu! Hat wohl doch auf mich abgefärbt, irgendwie kommt man wohl doch nicht aus seiner Haut heraus. Ich weiß, dass sie es nur gut meint, aber darauf habe ich nun echt keinen Bock! „Sei mir nicht böse, Lenchen, aber eher nicht“, antworte ich deshalb. „Mann, Max! Willst du dich jetzt wieder hier eingraben und wochenlang Trübsal blasen?“, erwidert sie verständnislos. „Du musst dich ablenken, Herrgott nochmal! Reiß dir einen auf, morgen und lass die Sau raus!“, rät sie mir und stößt mich anspornend an. Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht, aber wenn schon, dann in einem anderen Club! Ich könnte mal wieder in unsere alte Stammdisco gehen, in der ich mit Mario früher fast jedes Wochenende abgetanzt habe. Unsere? Ich seufze leise und Lena sieht mich schief an. „Du denkst jetzt nicht wirklich, an Mario?“, kommt es tatsächlich über ihre Lippen. Woher weiß sie sowas nur immer? Kann sie Gedanken lesen? „Nee“, grummle ich und schiebe mir den letzten Bissen in den Mund. Lena verdreht ihre Augen. „Mäxchen, du bist echt eine harte Nuss! Mann o Mann, was soll ich nur mit dir machen?!“, sagt sie seufzend. „Und?“, fragt sie dann auffordernd. „Nee, Lena, echt nicht. Ist echt lieb gemeint, von dir, aber das ist irgendwie nicht meine Location, verstehst du?“, versuche ich ihr zu vermitteln. „Warum? Ein ganzer Stall voll heißer, süßer und scharfer Jungs! Was ist daran auszusetzen?“, kontert sie und ich weiß jetzt schon, dass ich verliere! Oh Mann, dann werde ich wohl den morgigen Abend zusammen mit meiner Heterofreundin in diesem Schuppen abhängen und sie wird die ganze Zeit über versuchen, mich zu verkuppeln!

*

Ich fühle mich hundeelend, seit Maxim fort ist. In meinem Kopf dröhnt und hämmert es pausenlos und ich schlucke zwei Paracetamol Tabletten. Hoffentlich habe ich mir nichts eingefangen! Eine Erkältung kann ich jetzt echt nicht brauchen, denn mein Terminkalender fürs Wochenende ist rappelvoll! Wie mir die Agentur mitteilte, bin ich mal wieder voll ausgebucht. Ich bin wohl das, was man als bestes Pferd im Stall bezeichnet und zurzeit so begehrt bei den Kunden, dass sie Schlange stehen, um sich mit mir zu verabreden. Das sagt mir Fred, er leitet die Agentur, auch immer wieder und meine Provision ist dadurch auch entschieden gestiegen. Kann sein, dass das daran liegt, weil ich so gut wie nie, nein sage. Auch nicht zu meinen Kunden. Ganz gleich, wie abgefahren ihre Vorlieben und Wünsche auch sein mögen, ich habe schon fast alles mitgemacht. Sex auf einem Friedhof, wollte mal einer, weil es ihn anmachte, dass ich mich dabei totstellte, oder verschiedene Rollenspiele, angefangen von harmlosen Schüler/Direktor-Sexspielchen, bis hin zur echten Hardcore SM Session und ich habe sogar mal bei einer schwarzen Messe, mit anschließender Orgie als Sexsklave, hergehalten. Wahrscheinlich verdient er sich eine goldene Nase an mir und in letzter Zeit macht er mir sogar hin und wieder kleine, aber exklusive, Geschenke. Mal zwei Karten für ein Konzert von meiner englischen Lieblingsband, er weiß, dass ich auf die stehe und vielleicht hat er auch damit gerechnet, dass ich mit ihm hingehe, aber Pech gehabt, ich fange nichts mit meinem Chef an und war stattdessen mit Alex dort und vor kurzem, eine hübsche und ziemlich teure Armbanduhr. Er sagte, dass ich es als kleine Sonderzahlung sehen soll und genauso halte ich es auch. Außerdem wäre Fred der letzte, mit dem ich etwas anfangen würde, er ist absolut nicht mein Typ und manchmal graust es mir sogar leicht vor ihm. Er sieht irgendwie aus, wie einer von diesen Siebziger Jahre Zuhältertypen, mit mehreren Goldkettchen um den Hals und pomadeverklebten, strähnigen, schwarzen Haaren. Mann, irgendwer sollte ihn vielleicht mal daraufhin weisen, dass wir mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert leben und Saturday Night Fever längst passé ist! Ok, hilft nichts, ich werde jetzt erstmal einkaufen gehen, danach nehme ich ein heißes Bad und verziehe mich für den restlichen Tag mit einer Kanne Tee auf die Couch. Alex wird sich mit einer Brotzeit zufriedengeben müssen oder ich bestelle uns einfach irgendwas. Nachdem ich wieder zu Hause bin, räume ich schnell noch auf, dann lege ich mich für eine halbe Stunde in die Wanne und entspanne in einem Erkältungsbad. Zwangsläufig muss ich dabei an Maxim denken, unentwegt! Ich war so furchtbar gemein zu ihm, dass es mir selbst körperlich wehtut. Wie konnte ich ihm das nur antun? Wie er mich angesehen hat! So voller Schmerz und so tief enttäuscht! Und doch weiß ich, dass es besser so ist, für ihn. Das Eduard dafür herhalten musste, ist mir einfach so eingefallen, gerade noch! Ich war wirklich schon drauf und dran, nachzugeben, doch dann hat sich Gott sei Dank, mein Gehirn wieder eingeschaltet. Was hätte ich sonst sagen sollen? Die Wahrheit? Nämlich, dass ich nichts weiter als eine Nutte bin? Nein, er darf das nie erfahren, ich würde mich in Grund und Boden schämen vor ihm! Ich schäme mich zutiefst dafür, was ich mache und doch bleibt mir keine andere Wahl! Ich bin, was ich bin und das wollte ich mir und ihm, ersparen! Besser er hasst mich, denn verachten, wird er mich nun so oder so. Später liege ich in einer warmen Decke gehüllt vor dem Fernseher, als Alex nach Hause kommt. Wie immer räumt er zuerst seine Schultasche auf, bevor er ins Wohnzimmer kommt und mich fragend ansieht. „Bist du krank?“, fragt er und sieht mich ablehnend an. „Weiß nicht, mir geht es nicht so gut“, antworte ich und hoffe wieder mal vergebens, dass er so was wie Mitgefühl oder Verständnis, zeigt. „Dann geh in dein Zimmer!“, schnauzt er mich an und wedelt mit seiner Hand, als wolle er böse Geister vertreiben. Ich nicke nur und wieder bin ich kurz davor, zu heulen. „Alex, ich kann dir heute nichts zu essen machen, ich kann einfach nicht. Können wir was bestellen?“, erwidere ich völlig erledigt. „Ok, chinesisch“, ist alles, was er antwortet und verzieht sich einfach. Ich wünsche mir doch nur, dass er einmal, nur ein einziges Mal, fragt, wie es mir geht, was ich empfinde oder ob ich irgendetwas brauche. Seufzend raffe ich mich auf und bestelle etwas beim Chinesen.

*

Das Telefon geht und Lena teilt mir mit, dass das mit unserem gemeinsamen Abend wohl doch nichts wird. Eine wichtige Lieferung wäre plötzlich eingetroffen, lauter wertvolle Gemälde eines neuen Künstlers aus Schweden und sie müsse ihrem Chef beim Auspacken und katalogisieren helfen. Häh? Am Freitagabend? Anschließend wolle er sie noch zum Abendessen einladen. Aha, daher weht der Wind! Hat der etwa ein Auge auf meine Lena geworfen? Was hat sie neulich angedeutet? Sie hätte da jemanden kennengelernt? Oha! Wird doch nicht etwa Markus damit gemeint sein? Nachtigall, ick hör dir trapsen! Und jetzt? Ich habe mich rausgeputzt wie ein Pfau! Soll ich mich jetzt einfach, aufgestylt wie ich bin vor den Fernseher hauen, während sich Lena mit ihrem Chef amüsiert, genau wie der Rest der Welt wahrscheinlich auch? Was, wenn das was Ernstes zwischen den beiden wird? Oje, die Katzen tauchen schon wieder in meinem Hinterkopf auf und ich beschließe, allein auszugehen. Warum auch nicht? Besser, als hier zu versauern! Aber ich werde auf keinen Fall ins `Rainbow´ gehen! Dann doch lieber ins `Black Swan´! Wow, allein bei dem Gedanken daran, zum ersten Mal seit langem den Club zu betreten und dass ohne Mario, wird mir ganz kribbelig. Ob sich da was verändert hat? Bin jetzt echt gespannt und irgendwie freue ich mich plötzlich sogar ein klein wenig! Lena hat recht, andere Mütter haben auch schöne Söhne und vielleicht ist heute sogar einer für mich parat! Also, nichts wie los! München, ich komme! Als ich auf den Club zusteuere, ist noch nicht viel los, davor. Nur drei Jungs sind vor mir und als ich vor dem Türsteher hintrete, muss ich tatsächlich grinsen. Es ist immer noch der gleiche, wie damals. Joe sieht mich kurz nachdenklich an und nickt grinsend zurück. Hat der mich wirklich noch erkannt? Egal, aber es beflügelt mich doch und so schlendere ich selbstbewusst nickend an ihm vorbei, bezahle drinnen meinen Eintritt und bekomme dafür meinen Stempel auf den Handrücken. Es ist ein kleiner, schwarzer Schwan und bei seinem Anblick werde ich fast ein wenig rührselig. Wie oft, hatten Mario und ich damals versucht, dieses Ding am nächsten Tag wieder abzukriegen und uns die Hände förmlich wundgeschrubbt! Diese Erinnerung zaubert ein kleines Lächeln auf meine Lippen und beschwingt betrete ich den Club. Die vertraute Musik dröhnt mir entgegen, eine Mischung aus Techno-Beat und den momentan angesagten Hits und ich stelle fest, dass sich hier tatsächlich nichts verändert hat. Jeden Moment erwarte ich, dass Mario auf mich zustürmt und mich lachend auf die Tanzfläche zieht und wieder erfasst mich eine Welle von Wehmut, als ich meinen Blick über die ausgelassene Menge schweifen lasse. Es ist gerademal zweiundzwanzig Uhr und der Club füllt sich gerade langsam aber stetig. Spätestens in einer Stunde wird es rappelvoll hier drinnen sein und ich beschließe erst einmal meinen Frust weg zu tanzen, bevor man sich auf der Tanzfläche nicht mehr rühren kann, vor zuckenden Leibern. Also rein ins Getümmel und es dauert auch nicht lange, da werde ich schon angetanzt. Sorry Junge, bist nicht mein Typ, ich stehe nicht auf Bodybuilder, die auch noch einen Kopf größer sind, als ich, doch ich tanze trotzdem eine Weile mit ihm, bis er auf Tuchfühlung geht. Hoppla, nicht so schnell! Ich mache ihm unmissverständlich klar, dass er nichts für mich ist und der Kerl zieht schmollend Leine. Der da drüben, wäre schon eher mein Ding! Klein und süß! Wow, was für ein geiler Knackarsch! Denke ich, doch dann hängt er sich an einen Typen ran. Leider schon vergeben! Beinahe neidisch sehe ich den beiden noch eine Zeitlang beim Tanzen zu, ich sehe den Kleinen nur von hinten, aber allein wie er sich bewegt, sich im Takt zur Musik schwingend an den anderen Mann schmiegt, lässt mein Herz schneller schlagen. So hat Mario auch mit mir getanzt, immer eng und sich an mich klammernd, als hätte er Angst gehabt, mich an einen anderen zu verlieren. Er konnte so herrlich eifersüchtig werden und manchmal habe ich ihn nur so zum Spaß damit gereizt, nur um ihn dann an mich zu ziehen und ihm zu sagen, dass er der Einzige in meinem Leben wäre. Sein beleidigter Blick danach, war einfach zu herrlich und ich werde es wohl nie wirklich vergessen können, genau wie ihn selbst. Doch dann habe ich ihn geküsst und alles war wieder gut. Puh! Es reicht jetzt echt, hör endlich auf damit! Mario ist weg! Es ist aus und vorbei und jetzt sieh endlich nach vorn! Mittlerweile ist das Pärchen in der nun rasch anschwellenden Menge verschwunden und ich schlängle mich tanzend zum Rand der Tanzfläche. Jetzt brauche ich erstmal was zum Trinken und so steuere ich die Bar an. Ein Hocker ist noch frei und ich setze mich lässig darauf. Der Barkeeper kommt, ha, es ist noch der gleiche wie früher und ich fühle mich dadurch immer wohler hier. Er sieht mich erstaunt an und grüßt mich freundlich nickend. Gibt’s doch nicht, kennt der mich wirklich noch? Immerhin war ich seit über einem Jahr nicht hier! „Hallo, schöner Mann“, sagt er lächelnd, „lange nicht gesehen! Hätte dich beinahe nicht erkannt, wegen dem Bart, aber sieht echt heiß aus!“ Wow, der hat mich tatsächlich erkannt! „Hi!“, raune ich ihm grinsend zu, „gibst du mir ein Bier?“ „Klar doch, alles, was dein Herz begehrt“, erwidert er schelmisch und ich spitze die Lippen. Wie war doch gleich sein Name? Scheiße, vergessen, aber ich weiß noch, dass er mich früher schon immer angebaggert hat und Mario hat ihn dafür gehasst. Als er sich umdreht, mustere ich ihn unverhohlen. Nicht schlecht, Herr Specht! Er hat sich kaum verändert, sieht immer noch knackig und heiß aus, in seiner schwarzen Lederhose und dem lässigen Tank Top. Genau wie damals, stelle ich fest und wer weiß, vielleicht geht ja noch was? Schließlich bin ich heute solo! Er reicht mir meine geöffnete Bierflasche und als ich sie nehmen will, hält er sie doch glatt noch für einen Moment fest. Ich sehe ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, er grinst unverschämt und streicht mit seinem Zeigefinger über meine Fingerrücken, bevor er mir die Flasche überlässt. Der hat sich echt nicht verändert! Denke ich schmunzelnd und nicke ihm kurz mit einem warnenden Blick zu. Noch immer, versucht er mich anzumachen! „Wo hast`n gesteckt?“, fragt er mich herausfordernd. „Hab schon gedacht, dich gibt’s nicht mehr! Oder durftest du etwa nicht mehr?!“ Ganz schön dreist, der Junge, na warte! „Wieso? Wie kommst du denn darauf?“, frage ich desinteressiert zurück und nippe gelangweilt an meinem Bier. „Naja, du warst doch früher immer mit so einem kleinen südländischen Kerl hier! Standst ganz schön unter seiner Fuchtel, hm?“, erwidert er spöttisch. „Und, wo ist er denn? Oder hast du heute Ausgang?“, legt er nach und ich lache kurz empört auf. „Ganz schön frech, für dein Alter!“, antworte ich amüsiert, „wenn du Mario meinst, den gibt’s nicht mehr“, sage ich lässig und tue es mit einem Achselzucken ab. „Echt jetzt?“, fragt er nach und seine Miene scheint sich irgendwie aufzuhellen. „Hat mich beschissen und ich hab ihn zum Teufel gejagt“, meine ich locker. Von wegen! „Kann nicht wahr sein“, raunt er verblüfft, „der? Der hat doch an dir geklebt, wie `ne Klette und wehe, wenn dich mal einer angesehen hat, dann ist der doch fast durchgedreht, vor Eifersucht!“, sagt er kopfschüttelnd. „Naja, kannst froh sein, dass du den los bist“, meint er weiter. Ehrlich? Kann ich das wirklich? Nein, leider, gestehe ich mir ein, doch das muss der ja nicht mitkriegen! Bevor ich ihm antworten kann, entschuldigt er sich kurz, denn schließlich bin ich ja nicht der einzige hier, der Durst hat. Er hilft nun seinem Kollegen und ich sehe mich derweil ein wenig um. Alles ist mir so vertraut, als wäre ich gestern erst hier gewesen und nicht vor über einem Jahr. Da hinten, sind die Toiletten und den Gang weiter, ja, da geht es zum Darkroom. Auch ich war schon mal da drin, mit Mario natürlich! Wir wollten einfach mal wissen, wie es da aussieht und auch, was da abgeht. Ich weiß noch, wie wir uns hinter geschlichen haben, Hand in Hand und kichernd, wie zwei dumme Jungen. Dann habe ich ihn in eine freie Kabine gezogen und wir haben gevögelt, bis wir fix und fertig waren! Ja, fix und alle und überglücklich. Vielleicht hätte ich doch nicht herkommen sollen, denn mit einem Mal kommt alles wieder in mir hoch und ich fühle mich plötzlich hundeelend. Ich schnaufe tief durch und beschließe abzuhauen, sobald ich mein Bier geleert habe. Mein Blick schweift nun ziemlich desinteressiert über die Leute um mich herum und ich kann nicht glauben, was oder wen, ich am anderen Ende der Theke entdecke. Nathaniel steht dort, ohne Zweifel, er ist es! Er ist der Kleine, der mir vorhin auf der Tanzfläche aufgefallen ist und der so eng mit diesem anderen Typen getanzt hat! Ich sehe ihn zwar nur von der Seite, doch das alleine reicht schon für mich, um ihn nun zu erkennen. Lachend schmiegt er sich an den anderen, dann stoßen sie mit ihren Longdrinks an und er trinkt einen kleinen Schluck, während der andere seinen fast auf einen Zug leert. Mein Barkeeper Freund kommt zurück und stellt mir prompt unaufgefordert eine neue Flasche hin. Wieder einer, der Gedanken lesen kann, denn die habe ich jetzt bitter nötig! Ich ergreife das Bier, ihm dankend zunickend und trinke wie ein Verdurstender, wobei mich mein Verehrer verdutzt beobachtet, doch meine ganze Aufmerksamkeit ist jetzt nur noch auf Nathaniel gerichtet. Wie er sich bewegt, sich leicht verlegen windet, den anderen von unten herauf anhimmelt, sich sexy über die Lippen leckt, um sie zu befeuchten und sich dann wieder, den Blick demütig gesenkt, dem anderen lachend an den Hals wirft! Genau, wie bei mir, schießt es mir durch den Kopf und mir wird beinahe schwarz vor Augen. Sein ganzes Benehmen, einfach alles, stimmt mit dem überein, wie er sich mir gegenüber benommen hat! Als er mir freudestrahlend sagte, dass er sich so jemanden wie mich, schon immer gewünscht hätte! Du kleine Ratte, schießt es durch meinen Kopf, du kleines Miststück, hast den nächsten Idioten an Land gezogen, den du mit der Nummer rumkriegen willst, bis du merkst, dass er keine Kohle hat! Nun ist mir wirklich schwarz vor Augen, aber vor Wut! Ich knalle meine leere Flasche auf die Theke und nicke dem Barmann auffordernd zu, mir die nächste zu geben. Noch immer ist mein Blick auf Nathaniel gerichtet, er flüstert dem anderen gerade etwas ins Ohr, die beiden lachen und der Typ haut ihm mit der flachen Hand auf den Hintern. Nathaniel haucht ihm dafür ein Kusshändchen zu und spaziert seelenruhig an mir vorbei, Richtung Klo. Er hat mich nicht mal wahrgenommen! Nichts! Und das trifft mich härter, als ich es je für möglich gehalten hätte. Er hat also doch die Wahrheit gesagt, als er mir an den Kopf warf, dass er sich wohl nur bei mir getäuscht hätte! Tja, wenn ich genügend Kohle haben würde, dann wäre jetzt wohl ich der glückliche Depp, da drüben. Ich warte noch einen Moment und marschiere ihm einfach hinterher. Nathaniel wäscht sich gerade die Hände, als ich eintrete. Ich sehe sein Gesicht im Spiegel, wie er nachdenklich auf seine Hände sieht und denke, naja, glücklich schaut er nicht gerade aus. „Hi, Natty“, sage ich vor Hohn triefend, er zuckt leicht zusammen und dreht sich zu mir um. „Maxim!“, kommt es über seine Lippen und er sieht mich an, als wäre ich ein Gespenst. „Da schaust, hm?“, raune ich zynisch grinsend und er weicht tatsächlich vor mir zurück. „Keine Angst, ich tu dir nichts“, sage ich daher schnell und hebe eine Hand beschwichtigend. „An so einem wie dir, mache ich mir die Hände nicht schmutzig! Ich wollte dir nur sagen…“ Ja, was eigentlich? Das ich ihn für das Allerletzte halte? Ich kann es nicht, meine Kehle ist plötzlich wie zugeschnürt, als ich sehe wie er sich nun krampfhaft mit beiden Händen hinter sich am Waschbeckenrand festkrallt und mehrmals schluckt. Sein Blick ist auf den Boden gerichtet, dann schließt er seine Augen, voller Betroffenheit. „Und? Hat der Kerl da draußen genügend Kohle, um dich glücklich zu machen?“, kommt es aus meinem Mund und er erzittert kurz. „Weiß dein Rechnungsbezahler eigentlich darüber Bescheid, dass du nebenher noch mit anderen Idioten wie mir, rummachst?“ Ich bekomme mal wieder keine Antwort, schüttle nur noch meinen Kopf über ihn, drehe mich um und lasse ihn einfach stehen. Als ich zurück zur Bar komme, sitzt irgend so ein Fuzzi auf meinem Hocker und versperrt mir den Zugang zu meinem Bier. Er sieht mich provokant-aufreizend an und ich lege den Kopf schief. Der hat mir gerade noch gefehlt! „Schieb ab, du Tusse!“, schnauze ich ihn an und er nimmt brüskiert den Kopf zurück. „Ich zähl jetzt genau bis drei und wenn du bis dahin nicht die Fliege gemacht hast, knallts!“ Der arme Kerl lässt einen schockierten Piepser raus und sucht schnellstens das Weite, allerdings nicht ohne mir noch einen schmachtenden Blick zuzuwerfen. Wahrscheinlich wieder so einer, der auf Tops steht, denke ich und muss plötzlich lachen. Es ist einfach zu grotesk! Vielleicht hätte ich Nathaniel einfach nur übers Knie legen sollen und ihm ordentlich den Arsch versohlen müssen, damit er bei mir geblieben wäre! Ich schüttle den Kopf und trinke von meinem frischen Bier, als ich sehe, wie Nathaniel einen großen Bogen um mich machend, zurück zu seinem neuen Lover schleicht. Er wirft mir einen schüchtern-ängstlichen Blick zu, ich hebe lächelnd mein Bier und proste ihm eiskalt zu, woraufhin er sich rasch umdreht. Der andere spricht mit ihm, dann hakt sich Natty bei ihm ein und beide gehen auf den Ausgang zu. Ja, hau nur ab, verschwinde! Bevor ich es mir noch anders überlege und dich tatsächlich grün und blau prügle, geht es mir durch den Kopf, als sich mein neuer Kumpel wieder meldet. „Echt süß, der kleine Twink, hm? Aber auch nicht gerade billig!“, raunt er mir zu und wischt über die Theke. „Hm?“, mache ich verdutzt. Was meint er? „Na der Kleine eben, den du die ganze Zeit über so angestarrt hast! Der ist `ne Nutte, ein Stricher halt“, sagt er abfällig. Wie bitte? Also das, geht zu weit! „Wie kommst du darauf?“, schnauze ich ihn beinahe an, „du kennst ihn doch gar nicht, also mach mal halblang!“ Mein Gegenüber lacht spöttisch auf, dann schüttelt er den Kopf voller Unglauben. „Und ob ich den kenne! Der hat sogar mal hier gearbeitet! Ein blutjunges Ding war er da noch und ist da schon auf den Strich gegangen! Bis ihn unser Chef rausgeschmissen hat, weil er spitzgekriegt hat, dass sich der Kleine nebenher noch was dazu verdient, im Darkroom!“, sagt er wieder abfällig und lehnt sich zu mir rüber. „Glaub mir, für `nen Hunderter, bläst er dir einen, dass dir hören und sehen vergeht und für zwei, kannst du ihn knallen! Ich würde so einen ja gar nicht mehr hier reinlassen, aber der Chef steht wohl auf ihn und ist noch dazu befreundet mit dem neuen Boss, von dem kleinen Flittchen! Er arbeitet jetzt als `Callboy´“, sagt er vor Spott triefend, „aber für mich ist er nichts weiter, als ein Stricher! Nur die Bezahlung macht den Unterschied! Wie gesagt, der Kleine ist nicht billig und wer ihn haben will, muss ganz schön was hinblättern, dafür! Ab und zu kreuzt der Boss von ihm hier auf und führt dabei alle seine Pferdchen, die für ihn anschaffen gehen, aus. Die machen hier dann Party, dass die ganze Bude wackelt und lassen es richtig krachen! Ist dann wohl sowas wie ein Betriebsausflug!“, meint er höhnisch grinsend. Ich kann nicht glauben, was ich höre und dementsprechend starre ich ihn an. „Das, das glaube ich dir nicht“, stottere ich fassungslos. „Ich kenne ihn, er würde nie…“ Ich fasse mir an den Kopf. Eigentlich macht es Sinn, warum sollte er mich anlügen? „Das kannst du ruhig glauben!“, erwidert er auch schon, „was denkst du wohl, mit wem der gerade hier war? Das war einer von seinen Kunden! Er kommt eigentlich nicht mehr oft hierher, aber manchmal möchte sich halt einer von denen vorher noch ein wenig amüsieren und ausgehen, bevor es zur Sache geht! Siehst du den da drüben?“, fragt er und deutet mit dem Kopf auf einen jungen Mann, der gelangweilt an seinem Drink schlürft, „der ist auch so einer! Sucht hier nach einem Freier, der ihn für die Nacht aushält! Ist aber längst nicht so exklusiv, wie unser kleiner Nat, gerade! Der da, ist wesentlich billiger, aber dafür auch nicht so freizügig und gefragt, wie Natty. Ich habe gehört, dass Nat so gut wie alles macht, wenn die Kohle stimmt! Der soll so richtig versaut sein, wenn du weißt, was ich meine!“, sagt er mit einem Augenzwinkern. „Also ich, bin nicht so einer und würde es völlig umsonst mit dir machen“, raunt er mir in mein Ohr, „ich stand schon immer, auf dich und wenn du möchtest?“ Ich registriere gar nicht mehr richtig, was er da sagt. Macht der mir gerade ein Angebot? Ich schüttle matt meinen Kopf, alles um mich herum dreht sich plötzlich. Hat mir einer was in mein Bier getan? Jetzt halte ich mich mit beiden Händen an der Theke fest, um nicht vom Hocker zu kippen und mir wird schlecht, richtig schlecht! Allein bei dem Gedanken daran, was Nathaniel wohl alles so treibt, mit seinen `Kunden´. Oh Gott, ich habe ihn geküsst! Und wie! Ich hatte meine Zunge in seinem Mund, in dem Mund, in dem er wahrscheinlich schon hundert Schwänze hatte! Für einen Hunderter bläst er dir einen! Ich hätte nicht mal einen Hunderter dafür dabeigehabt, rauscht es durch mein Hirn, nicht mal dafür, hätte ich genügend Geld! Gerademal einen Fünfziger habe ich dabei… „Hey? Alles klar?“, höre ich meinen Verehrer besorgt fragen und spüre seine Hand auf meinem Arm. „Entschuldige, ich bin einfach nur gerade etwas neben der Spur“, antworte ich fassungslos. „Ich kenne ihn und hätte nie gedacht, dass, also, dass er“, ich kann es nicht aussprechen. „Kennst ihn wohl nicht gut genug, hm?“, meint er und streicht mir zärtlich mit seinen Fingerspitzen über meinen nackten Unterarm. Meine Härchen richten sich auf, ich schüttle mich kurz und ziehe ruckartig meinen Arm zurück. Ja, eigentlich kenne ich ihn gar nicht, denke ich und sehe den anderen an. „Tut mir leid, ich denke, ich gehe jetzt besser. Nimm es mir nicht übel, aber mir ist jetzt nicht danach“, sage ich und er nickt verständnisvoll. „Aber du kommst wieder, ja? Vielleicht möchtest du mich, ein wenig besser kennenlernen?“, fragt er mich hoffnungsvoll und schiebt mir einen Zettel zu. „Hier, meine Nummer, wenn du magst? Ruf mich ruhig an!“ Er lächelt und ich nicke nur, da fällt mir ein, dass ich noch zahlen muss und ich zücke meine Geldbörse. „Wieviel?“, frage ich, doch er winkt ab. „Lass nur, geht aufs Haus“, sagt er und lächelt mich honigsüß dabei an. Ich nicke dankend, grabsche mir den Zettel und schaffe es irgendwie nach draußen. Die frische Luft tut gut und ich lehne mich an eine Straßenlaterne. Erstmal tief durchatmen! Meine Gedanken kreisen noch immer um das, was ich gerade erfahren habe und ich kann, ich will, es einfach nicht glauben. Momentmal! Mir fällt plötzlich ein, dass ich meine Edeljeans trage, habe ich nicht… Ich fasse in meine andere Gesäßtasche und ja, da ist sie noch immer, Nathaniels Visitenkarte! Die hatte ich völlig vergessen! Ich ziehe sie heraus und starre sekundenlang nur darauf. By Day and Night! Immer verfügbar, für jeden, der genug Kohle hat, um sich ihn leisten zu können. Nur ich nicht! Langsam, weicht die Übelkeit und ich spüre nur noch eine dumpfe Wut in mir. Wut, auf ihn, auf mich, auf Mario, einfach auf alle, eben, auf den Rest der Welt! Warum muss immer mir das passieren? Warum kann ich nicht einfach einen netten Mann kennenlernen und mit ihm glücklich werden? Ich halte noch immer den Zettel in der anderen Hand. Ist er es vielleicht? Ich kenne nicht mal seinen Namen.

*

War das ein Schock, als Maxim mir plötzlich gegenüberstand! Ich habe es noch immer nicht verdaut und bin ehrlich froh, zu Hause zu sein. Zum ersten Mal, habe ich Nein gesagt, zu einem Kunden. Ich konnte danach einfach nicht mehr mit ihm zusammen sein! Es ging einfach nicht! Natürlich war er stocksauer und hat mir eine richtige Szene gemacht, als ich ihm eine Abfuhr erteilt habe. Sogar gedroht, hat er mir, dass er es Fred sagen und sich über mich beschweren würde! Soll er doch, immerhin bleibt es ja wohl immer noch mir überlassen, ob und mit wem, ich in die Kiste springe! Ich habe mich sowas von beschissen gefühlt, als Maxim mir ins Gesicht sagte, was er von mir hält und dass er sich an so einem wie mir, nicht die Hände schmutzig machen würde. Au, hat das wehgetan, aber er hat ja recht. Ich bin schmutzig! Und wieder wird mir klar, dass es gut so war und ich die richtige Entscheidung getroffen habe, als ich mit ihm Schluss machte. Es ist besser so und ich kann nur hoffen, dass er es mittlerweile auch so sieht und mich schnell vergisst. Ich kann es nicht, ich kann und werde ihn nie vergessen können, er ist und bleibt, mein Traummann! Meine große Liebe, die nie eine Chance hatte. Jedenfalls war ich danach einfach nicht mehr in der Lage, Sex mit einem anderen Mann zu haben! Es ging einfach nicht, ich habe mich plötzlich davor geekelt, vor diesem Kerl, seinem Schwanz, seinem Geruch und vor allem, vor mir. Er hat mich angeschrien, was ich mir dabei denke und was mir einfällt und dann hat er mir eine geknallt. Ich bin einfach abgehauen, wollte nur noch weg, von ihm und all dem Schmutz! Jetzt sitze ich auf meinem Bett, meine Wange brennt immer noch, und fühle mich noch schlechter. Mir ist abwechselnd kalt und heiß und mein ganzer Körper schmerzt. Wie soll ich da morgen arbeiten können? Ein tiefer Seufzer entkommt mir, ich stehe auf, nehme zwei Schmerztabletten und mache mir eine Wärmflasche. Alex spielt noch auf der Konsole, ich sage ihm Gute Nacht und verziehe mich ins Bett. Einfach nur schlafen! Vielleicht geht es mir ja morgen wieder besser und ich muss dem Kunden nicht absagen, der mich morgen schon vom frühen Abend an, gebucht hat. Was für eine Scheiße, denke ich, dann würde mir eine hübsche Stange Geld flöten gehen! Genau wie heute! Geld, dass wir gut gebrauchen könnten, denn Alex will tatsächlich den Führerschein machen! Er könne es plötzlich nicht mehr ertragen, im Bus oder mit der U-Bahn zu fahren, seit ihn einer mal dort angerempelt hat und ihm blöd kam. Alex hat sich fürchterlich darüber aufgeregt und mir doch glatt vorgeworfen, dass das alles nicht vorkäme, wenn ich ein Auto hätte und ihn fahren würde! Was soll ich denn noch alles tun? Ihn auch noch frühmorgens durch die Gegend chauffieren? Durch halb München, im dicksten Berufsverkehr und womöglich noch todmüde, weil ich die ganze Nacht durchgeschuftet habe, im Bett eines meiner Kunden? Ich habe eiskalt nein gesagt und plötzlich kam er auf einmal auf die Idee, mit dem Führerschein. Er wird in weniger als drei Monaten achtzehn und bis dahin, hätte er es locker geschafft, meinte er lässig und ich dachte nur, na dann mach mal, viel Spaß und ich habe meine Ruhe! Natürlich bräuchte er dann ein Auto und das wünsche er sich eben von mir zum Geburtstag! Ich dachte echt, ich hör nicht richtig! Und was bitte schön, ist mit dem Führerschein? Wer, denkt er, bezahlt den wohl? Aber egal, er ist mein kleiner Bruder und irgendwie, werde ich auch das schaffen!

























Nathaniel

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