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Zukunftsaussichten

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Roger Zweifel hat soeben seinen Wagen im Parkhaus ganz in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs abgestellt. Er ist unterwegs zu einer geschäftlichen Besprechung im Hotel Zürich. Mit seinen fünfundzwanzig Jahren hat er sich bereits eine gute Stellung in einem Kleinbetrieb für Seide und Kleiderstoffe geschaffen. An diesem Abend trifft er sich mit einem Kunden - stellvertretend für seinen Chef. Er ist stolz auf seine Position, aber er hat dafür hart arbeiten müssen, oft auch nachts. Sein Einsatz hat sich gelohnt. Roger Zweifel verdient gut und er hat Freude an seiner Arbeit. Er könnte Karriere machen, doch das hat noch Zeit.

Der junge Angestellte Roger Zweifel nähert sich der schmalen Limmatbrücke, die ihn direkt zum Hotel Zürich führt. Kaum hat er den Fussgängersteg erreicht, löst sich eine Gestalt aus einer kleiner Gruppe herumstehender Leute und kommt auf ihn zu.

“Bruchsch Stoff?”, wird er angesprochen.

Der junge Geschäftsmann schüttelt den Kopf, schaut die Gestalt etwas näher an und entdeckt unter dem viel zu langen alten Militärmantel ein Frauengesicht, wie ihm scheint, ein junges Gesicht, vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt. Strähniges, fettiges Haar bedeckt die eine Gesichtshälfte, kurze Fingerspitzen lugen aus den zwar zurückgewickelten, aber immer noch viel zu langen Ärmeln des Mantels hervor. Roger Zweifels Griff um seinen Aktenkoffer verstärkt sich.

Findet so ein Überfall statt? fragt er sich. Er beschleunigt seinen Schritt. Das Mädchen geht neben ihm her. “Chasch mer öppis pumpe?” fragt sie ihn. “Ich habs eilig”, entgegnet er und bemüht sich, seinen Gang noch etwas zu beschleunigen. Am Ende der Brücke angelangt, stellt er fest, dass seine Begleiterin weg ist.

In der grossen Empfangshalle des Hotels sieht sich Roger Zweifel um und bemerkt im nächsten Augenblick seinen Kunden. Nach der kurzen Begrüssung setzen sich die beiden ins Restaurant und besprechen das bevorstehende Geschäft. Doch Roger Zweifel ist nicht so ganz bei der Sache. Ihn beschäftigt seine Begegnung auf der Limmatbrücke. Bettelnde Menschen in der reichen Schweiz. War das Wirklichkeit, oder hat er sich das Ganze nur eingebildet? Sind das alles Drogenabhängige, die ihren “Stoff” brauchen?

“Bis wann könnten Sie den Stoff liefern, Herr Zweifel?” fragt ihn sein Kunde. “Was, wie? Ich habe keinen Stoff” antwortet Roger Zweifel erschrocken.

Herr Müller schaut seinen Gesprächspartner fragend an. “Oh, entschuldigen Sie, Herr Müller, ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Auf dem Weg hierher hatte ich eine Begegnung mit einer drogensüchtigen Bettlerin. Das hat mich sehr beschäftigt. Ihre Bestellung können wir Ihnen selbstverständlich ab Lager liefern.”

Nach einer Viertelstunde sind sich die beiden handelseinig und sie verabschieden sich. Roger Zweifel schlägt wieder den Weg zu der schmalen Limmatbrücke ein. Er hat sich vorgenommen, falls es sich ergeben würde, das Mädchen, das ihn vorhin angesprochen hatte, in ein Gespräch zu verwickeln. Er möchte ihr “Schicksal” kennen lernen. Er befindet sich mitten auf der Brücke. Kein Mensch ist zu sehen. Roger Zweifel bleibt stehen und zündet sich eine Zigarette an. “Hast mir auch eine?” wird er von hinten angesprochen. Erschrocken dreht sich Herr Zweifel um. Das kleine Luder hat auf mich gewartet, denkt er und streckt ihr seine Zigaretten hin. Sie nimmt eine heraus und lässt das ganze Päcklein in ihrer Manteltasche verschwinden. “Wie heissen sie?” will Roger Zweifel wissen. “Ich bin Maria.” - “Ich bin Roger Zweifel.

Haben Sie Zeit, ich möchte mich gerne mit Ihnen unterhalten?” - “Jede Menge Zeit, aber was willst du von mir? - Ich habe nichts”, entgegnet ihm die Unbekannte.

“Sie könnten mir etwas über sich erzählen. Wo leben sie, was machen sie?”

“Du kannst mir auch du sagen. Ich bin keine “SIE”. Warum interessierst

du dich für mich?”

“Nur so. Sie haben - äh - du hast mich vorher angebettelt, das ist mir noch nie passiert. Ich will dich kennen lernen.”

“Ich lebe seit fast zwei Jahren auf der Gasse. Ein sehr hartes Leben. Härter als das eines Arbeiters.”

“Warum arbeitest du dann nicht?”

“Ich brauche meinen Freiraum, indem ich mich wohl fühle. Unsere Gesellschaft ödet mich an. Wenn du was verdienst, musst du zuerst deine Steuern zahlen, deine Miete, deine Versicherung, deine .... Immer musst du nur bezahlen. Das ganze Leben dreht sich nur um Geldbeschaffung. Du stehst immer unter Druck. Ich will einfach leben, das ist mein Leitsatz. Für mich bedeutet die Gesellschaft etwas Engstirniges, etwas Bedrohliches. Ich will mich unter keinen Umständen da hineinzwängen lassen. Ich will mir nur das herausnehmen, was für mich gut ist.”

“Ich will auch leben. Ich muss mir meine Wohnung und mein Essen erarbeiten. Hart erarbeiten.”

“Du brauchst halt ein Erstklass-Essen, so mit vier fünf Gängen. Mir aber genügt der Frass aus der Stadtküche. Es gibt da zwar keine Abwechslung,

dafür kostet der Scheiss nichts. Die könnten sich ruhig etwas mehr Mühe geben.” Maria zieht die Zigaretten aus ihrer Tasche und steckt sich wieder eine an. “Willst du auch eine?” Überrascht, dass ihm eine seiner eigenen Zigaretten offeriert wird, greift er zu.

“Du sagst, du brauchst Freiraum. - Jeder Mensch hat Freiraum, auch die, die arbeiten.”

Das Mädchen lacht: “Das bisschen Freizeit nach dem Feierabend meinst du? Das kann doch nicht das Leben sein!”

“Dann darfst du dich aber auch nicht beklagen, du lebst so, wie du gerne willst. Sagst zwar, dass es sehr hart wäre, aber was glaubst du, wer bezahlt dein Essen in der Stadtküche?”

Das Mädchen antwortet nicht sofort, fährt sich mit ihren Fingern durchs Haar, sie denkt nach. “Die Stadt hat ja genügend Kohle, die sollen für uns armen Teufel aufkommen.”

“Schon, aber was glaubst du, woher dieses Geld kommt? - Genau, von all denen, die arbeiten und Steuern zahlen. Wer zahlt dann, wenn alle aufhören zu arbeiten, wenn alle mehr Freiraum möchten?”

Das Mädchen schüttelt den Kopf.

“Ach, leck mich, du bist auch so ein kapitalistisches Schwein. Geh nach Hause, geh arbeiten, damit die Stadt mir meinen Freiraum weiterhin finanzieren kann.”

Roger Zweifel ist sprachlos. Seine Gesprächsparterin dreht sich um und geht in die entgegengesetzte Richtung weiter. Warscheinlich sucht sie sich ein Nachtlager unter der Brücke.

Auch Roger Zweifel geht kopfschüttelnd weiter. “Ist das Dummheit, ist das Faulheit, ist das Unzufriedenheit mit sich selbst?” sinniert er vor sich hin.”Oder bin ich, sind wir alle, die arbeiten die Dummen?”

De Chlapf im Bundeshuus

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