Читать книгу Kaana - Rudolf Jedele - Страница 6
Die Halbinsel
ОглавлениеDie unendliche Weite der Steppe stellt für einen Menschen und seinen Geist auch dann eine Herausforderung dar, wenn der Mensch von seinem ersten Atemzug an mit dieser Weite vertraut ist, in sie hinein geboren wurde und nie etwas Anderes kennen gelernt hat.
Während der warmen Monate ist diese Weite leichter zu ertragen, als während der wenigen Wintermonate.
Vom Frühjahr bis weit in den Herbst hinein ist das Steppengras grün und die hüfthohen Halme und Stängel wiegen sich im Wind und so entstehen tausende und aber tausende sich immerfort verändernde Muster, die das Auge beschäftigen und den Geist wach halten. Dennoch lässt die Weite jeden Menschen immer wieder über Größenverhältnisse nachdenken. Wie groß ist ein Wildstier, wenn ein Mann vor ihm steht und nicht weiß, ob er um sein Leben laufen oder in den nächstbesten Dachsbau kriechen soll? Dann ist der Stier so groß wie ein Berg. Doch wenn derselbe Stier allein, ohne seine Herde in der Weite der Steppe steht und ringsum ihn, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, vom äußersten Süden bis in den entferntesten Norden ein Ozean aus Gras wogt und den Stier verschwinden lässt, was bleibt dann von seiner Größe noch?
Während der Wintermonate, wenn die Nächte kälter wurden und allmorgendlich weißer Raureif die Steppe bedeckte, wenn die Luft trocken war und klar, dann lag das Gras flach und gelb unter der weißen Schicht und nichts bewegte sich. Der Wind schien eingeschlafen zu sein, alle Muster waren verschwunden nur manchmal, ganz vorsichtig entstand eine winzige Abwechslung, weil sich plötzlich doch ein Luftwirbel gebildet hatte und eine Schneehose zu tanzen begann. Wer dann durch die Steppe wanderte, konnte am frühen Morgen den Baum sehen, unter dem er die nächste Nacht verbringen wollte und er begriff wie winzig klein er im Vergleich zu dieser Weite tatsächlich war.
Klein und absolut unbedeutend.
Die Weite der Steppe hatte die Menschen des Volkes gelehrt, dass sie nicht als Einzelne zählten, sondern als Sippe oder als Volk. Ein einzelner Mensch in dieser scheinbar uferlosen Unendlichkeit war dem Wahnsinn preisgegeben und lief in seinen sicheren Untergang.
Drei Reiter hingegen, die gemeinsam durch diese Unendlichkeit ritten, waren in der Lage, diese Weite zu genießen.
Die Steppenpferde waren dafür geboren von morgens bis abends zu laufen, ohne jemals müde oder missmutig zu werden. Sie liefen in einem lockeren Trab, immer wieder unterbrochen von langen Passagen, die sie in einem weichen Kantergalopp zurücklegten. Den Pferden gefiel es, über den festen Boden zu laufen, die flach gedrückten Grashalme behinderten ihre Bewegungen nicht und der Blick in alle Richtungen war frei. Die drei riesigen Kangals, die mit den Pferden liefen, bildeten die willkommene Abwechslung für die Hengste, oft spielten die Hunde und die Pferde ein für Menschen kaum erkennbares Spiel mit einander. Die Reiter saßen entspannt und lässig in ihren Sätteln, ließen sich tragen, unterhielten sich, dösten vor sich hin oder machten gar ein Nickerchen, denn ein Steppenreiter war in der Lage, einen ganzen Tag im Sattel zu sitzen und dabei Strecken zurück zu legen, von denen andere Reisende nicht einmal zu träumen wagten. Hundertfünfzig Meilen an einem Tag waren Standard und wenn das Geläuf gut war, konnte die Kentauren solche Strecken zehn oder mehr Tage hintereinander reiten, ohne dass ihre Pferde ermüdeten oder unwillig zu werden drohten. Solche Strecken zu reiten bedeuteten eine grundlegende und lang anhaltende Harmonie zwischen Reiter und Pferd herzustellen und musste von beiden genauso erlernt werden, wie die explosive Geschmeidigkeit der Bewegungen im Kampf oder in der Arbeit an den Herden. Die Pferde gaben den Takt vor, die Reiter übernahmen ihn und behielten ihn bei. Oder aber sie verlangsamten und beschleunigten ihn je nach Bedarf, doch stets geschah dies in fein abgestimmter Harmonie zwischen Pferd und Reiter.
Joshara, Kazar und Joel waren zu Meilenfressern geworden, seit die die Wagen der vierten Sippe in der Senke des Winterlagers verlassen hatten. Sie ritten im zweiten Mond nach Mittwinter los und lenkten ihre Pferde mehr nach Süden als nach Osten. Die meisten Flüsse und Bäche, die Tümpel und Seen ohnehin, waren um diese Jahreszeit mit einer mehreren Fuß dicken Eisschicht überzogen und konnten mühelos und praktisch ohne Geschwindigkeitseinbuße überquert werden, nur die reißenden Bäche und die breiten Flüsse musste sie durchfurten und jedes Mal einen Zeitverlust in Kauf nehmen, um alles zu trocknen, was bei der Überquerung nass geworden war. In ihre schweren Mäntel gehüllt, die Kapuzen über die Köpfe gezogen ritten sie dem Nordwind voraus und am zwölften Tag nach dem sie die Wagen verlassen hatten, kam das bewaldete Ufer des Maron in Sicht und die Halbinsel, die an dieser Stelle durch die Einmündung des Sistral entstanden war. Sie waren zu früh, der Mond war noch in seiner abnehmenden Phase und bis zum vereinbarten Zeitpunkt waren es noch vier Tage, doch auf der Halbinsel stand bereits ein für gewöhnlich mit sechs Maultieren bespannter Wagen, vier Maultiere grasten ein Stück abseits des Wagens. Neben dem Wagen brannte ein kleines Feuer und auf einem dicken Stück eines Baumstamms saß ein kleines Mädchen und bewachte zwei Kaninchen, die über der Glut an ihren Spießen steckten und langsam gar wurden. Das Mädchen sah auf, als sie die Pferdehufe pochen hörte, stieß einen kleinen Schrei aus und rannte zu dem Wagen, kletterte auf die Deichsel und rief etwas hinein. Einen Augenblick später tauchte ein magerer Mann mit dunklem Haar und einem dichten Vollbart im Gesicht unter der Plane auf, gürtete sich mit einem langen Bronzeschwert und sprang zu Boden. Das Mädchen blieb auf der Deichsel stehen und zusammen sahen sie den drei Reitern entgegen und das Mädchen wusste, dass es nie in seinem Leben einen prächtigeren Anblick zu sehen bekommen hatte, als diese drei Männer auf ihren wundervollen Pferden. Die drei riesigen Wolfshunde neben den Pferden ängstigten sie allerdings ein wenig. Sie hatte noch nie etwas von Kangals gehört und der größte Hund den sie bis dahin gesehen hatte, war der fette, schwarze Mops gewesen, der immer mit der Frau ins Bett gegangen war, bei der sie die Tage hatte verbringen müssen, an denen ihr Vater im Auftrag Sabandins unterwegs war.
Die Reiter hielten ihre Pferde dicht vor dem Mann an und starrten mit scharfen Blicken schwarzer Augen auf ihn herunter.
„Wer bist du und was tust du auf unserem Land?“
„Mein Name ist Casim und ich bin hier mit einem Häuptling des Volkes der Kaananiten verabredet.“
„Erzähl keinen Scheiß, im Volk Kaana gibt es keine Häuptlinge und wenn, dann würden sie sich nicht mit einem abgerissenen Halunken aus Zeparana verabreden. Ich frage dich also noch einmal, wer bist du und was suchst du auf unserem Land.“
„Ich sagte es bereits, mein Name ist Casim und ich bin mit einem Mann namens Kazar am ersten Tag des dritten Mondes hier verabredet.“
„Dein Name mag Casim sein, aber du bist ein Lügner, denn ich bin Kazar und ich bin mit niemanden der so heißt wie du verabredet!“
„Oh, verzeih mir, ich habe es ganz vergessen. Natürlich bist du nicht mit mir verabredet, sondern mit meinem Bruder Saigoro, doch Saigoro ist tot. Vergiftet von Sabandins Helfern und nur ich und meine Tochter Iasa haben dank der Hilfe zweier Verwandter von euch überlebt. Ich bin an Stelle Saigoros gekommen um dir die Nachricht von seinem Tod zu überbringen und an seine Stelle in der Auseinandersetzung mit Sabandin an eurer Seite zu kämpfen.“
„Du meinst, das wäre Saigoros Plan gewesen? Du irrst, Casim oder wer immer du sein magst. Saigoro hat mich bis in den schwärzesten Abgrund gehasst. Meine Gefährtin Misteeva hat ihm seine körperliche Männlichkeit genommen und sie an einen meiner Leoparden verfüttert. Ich dagegen habe ihm seine geistige Männlichkeit genommen, als ich ihn immer wieder zusehen ließ, wie schlecht er und seine Krieger im Vergleich zu den Kentauren der vierten Sippe und des ganzen Volkes kämpfen. Saigoro hasste mich, doch er war klug genug, auf seinen Vorteil zu warten. Doch wenn es stimmt, was du sagst, hat er zu lange gewartet. Wie sagtest du, ist er gestorben?“
„Durch Gift. Er hatte Sabandin dieses Fuhrwerk mitsamt den Mulis und dazu Ausrüstung und genügend Lebensmittel abgetrotzt, damit wir die Sheenland durchqueren und hier her kommen konnten. Saigoro und ich hatten vor, uns ein neues Leben außerhalb der Mauern Zeparanas und außerhalb der Macht Sabandins zu schaffen. Doch Sabandin lässt sich eben nichts abtrotzen oder wegnehmen. Er hat uns alles gegeben, was wir forderten, doch im Wasser war Gift und Saigoro, unsere Mutter und meine jüngere Tochter sind an diesem Gift gestorben.“
„Und weshalb lebst du noch?“
„Weil zwei Männer deines Volkes uns beide fanden und uns mit ihrem Wasser vor dem verdursten bewahrten.“
„Gut. Dann gehört dein Leben bereits meinem Volk und wir können mit dir tun und lassen was uns beliebt. Wir werden dich töten und deine Tochter als Sklavin behalten.“
Kazar Gesicht glich einem Stein, als er diese Worte sprach, dann hob er seinen rechten Arm, griff über die Schulter und zog sein Schwert aus der Rückenscheide. Gleichzeitig tänzelte sein Schwarzbrauner einen Schritt vor und Casims Kopf und Nacken befanden sich der Reichweite der geraden, zweischneidigen und ungewöhnlich hell blitzenden Klinge, die Kazar in der Hand hielt.
Casim hingegen sah man an, dass er mit seinem Leben abgeschlossen hatte. Er ließ den Kopf hängen, bot dem Schwert damit erst Recht seinen ungeschützten Nacken und murmelte:
„So soll es denn sein, ob von Sabandin oder einem Kentaur umgebracht zu werden ist einerlei. Ich habe mein Bestes gegeben, doch es war nicht genug.“
Die Klinge zischte herunter und Casims Kopf wurde durch einen glatten Schnitt vom Hals getrennt, er fiel zu Boden, während der Körper noch ein paar Augenblicke aufrecht stehen blieb, ehe er ebenfalls in sich zusammenbrach.
Das Mädchen hatte die ganze Zeit auf der Deichsel gestanden und alles beobachtet. Iasa war elf Jahre alt und hatte in ihrem Leben nur wenig Zeit mit ihrem Vater zugebracht. Ihre Mutter kannte sie gar nicht, denn diese war von Casim weg gelaufen, kaum dass sie Iasa zur Welt gebracht hatte. Das Mädchen war praktisch als Waise aufgewachsen und empfand den Verlust des Vaters deshalb als nicht besonders schlimm. Sie begriff nur nicht, weshalb er getötet worden war, denn sie hatte das Gespräch zwischen dem fremden Reiter und Casim nur Bruchstückhaft verstehen können. Nun sah sie zu, wie einer der Reiter, der jüngste der drei, eine lange Peitsche von seinem Sattel löste und mit einer lässigen Handbewegung eine Schlinge um den linken Fuß des Leichnams von Casim warf. Dann ließ er seinen goldfarbenen Hengst aus dem Stand heraus vorwärts springen und schleifte die Leiche zum Flussufer. Gleich darauf wurden Casims Überreste vom Maron erfasst und fort getragen. Denn abgeschlagenen Schädel Casims spießte der junge Reiter mit der Spitze seiner Lanze auf und warf ihn ebenfalls in den Fluss. Dann stiegen die Männer von den Pferden, sattelten die Hengste ab und ließen sie einfach frei grasen. Der junge Mann winkte dem Mädchen, ihm zu folgen, gemeinsam gingen sie zum Uferwald und der Kentaur begann mit einer scharfen Axt aus einem seltsam hellen Metall kleine Bäume zu schlagen, die Iasa zum Wagen schleifen musste. Ihr Leben als Sklavin der vierten Sippe hatte begonnen.
Die Maultiere waren ausgespannt und in einer Koppel aus in den Boden gerammten dünnen Baumstämmen und Lederseilen untergebracht, die drei Männer saßen am Feuer und brieten ein Wildschweinferkel, das einer der drei mit einem blitzschnellen Pfeilschuss am Ufer erlegt hatte und während sie warteten, unterhielten sie sich.
„Du denkst also, Bachailan wird tatsächlich kommen?“
Josharas Frage klang ein wenig ungläubig, doch Kazar nickte nur und antwortete:
„Er wird kommen, denn er will mich persönlich kennen lernen und was wir zu bereden haben, ist zu wichtig, um es in die Hände von Botschaftern zu geben. Er wird pünktlich sein. Woran ich nicht glauben mag ist, dass auch die Sheehanoa hier sein werden, die wir zu ihrer seltsamen Oase zurück gehen ließen. Auf dem Weg dorthin waren sie, doch ob sie auch den Weg zurück wagen?“
Kazar war misstrauisch was die Zusammenarbeit mit den Sheehanos anbelangte, doch Joel war sich seiner Sache ganz sicher. Er hatte mit Laakon und Hasket alles besprochen und eingefädelt, er hatte die beiden jungen Männer kennen gelernt und deshalb konnte er sich sicher sein. Er war vielmehr skeptisch, ob der Herrscher einer großen Gemeinschaft wie Zeparana eine war, sich dazu herab ließ, mit dem Sippenältesten und Grenzhüter einer Bande Wilder – so sah man das Volk in Zeparana – zu verhandeln.
Zwei Tage später wussten sie, dass sie beide Recht und beide Unrecht gehabt hatten. Am frühen Vormittag des letzten Tages vor dem dritten Neumond des Jahres tauchte am Horizont im Süden eine kleine Wolke aus Schneestaub auf und bis zur Mittagszeit konnte man in der Wolke zwei Reiter auf graubraunen Maultieren erkennen. Am Nachmittag trafen Laakon und Hasket ein und waren sichtlich froh, ihr Ziel erreicht zu haben, denn seit zwei Tagen war ihnen ein Rudel Hyänen nicht mehr von den Fersen gewichen. Jetzt, da sie in der Nähe eines Feuers angelangt waren und sich drei riesige Kangals zwischen dem Feuer und den Hyänen aufbauten, waren sie mehr als froh, die Männer zu sehen, die ihnen ansonsten stets Furcht eingejagt hatten.
Sie begrüßten einander mit der Gelassenheit von Männern, die wissen, dass alles seinen Gang geht, wie es ihn gehen muss. Doch dann, nach einiger Zeit am Feuer wollte Hasket wissen, wo Casim geblieben war. Joel zuckte die Achseln und antwortete lapidar:
„Seine Zeit in dieser Welt war abgelaufen. Er befindet sich wohl noch auf dem Übergang in ein anderes Leben. Wohin dieser Übergang führt? Wer kann das schon wissen.“
Später, vor dem Einschlafen, unterhielten sich die Sheehanos leise und Hasket meinte:
„Ich bin sicher, sie haben Casim umgebracht. Ob sie uns auch umbringen werden?“
„Ich denke nicht, denn wie sollten sie dann ihr Ziel erreichen. Noch brauchen sie uns und wenn wir ihre Handelspartner sind, ist ohnehin alles anders.“
Tröstliche Worte und Hasket hoffte nur, dass sein Freund Recht behielt.
Am nächsten Morgen tauchte eine große Staubwolke am südöstlichen Horizont auf und da wussten die Kentauren, dass Bachailan auf dem Weg zu ihnen war.
Der Mogul war natürlich nicht allein durch das Sheenland, über den Strom und in die Steppe gekommen. Kein Stadtfürst würde das tun. Bachailan saß auf dem Rücken eines nahezu weißen Maultieres und an seiner Seite marschierte Yamalin, der Befehlshaber seiner Leibgarde. Yamalin hatte zwanzig speziell ausgebildete Numa als Schutz für den Mogul ausgesucht und er hoffte, dass diese Garde auch wirklich in der Lage war, den Herrscher zu beschützen. Nach allem, was er bislang über die Steppenreiter gehört hatte, war kein gutes Gefühl in ihm. Zum Geleit Bachailans gehörten zwei Wagen, die von jeweils acht Maultieren gezogen wurden, während am Heck der Wagen acht weitere Maultiere als Reserve mit liefen. In diesen Wagen befand sich alles, was zum Wohlbehagen eines Fürsten gehörte. Unter anderem eine kleine aber sehr gut ausgestattete Küche mit Koch und sogar zwei von Bachailans Hetären waren mit auf die Reise gegangen.
Sie erreichten die Halbinsel am frühen Nachmittag und während die Garde Bachailans ein pompöses Lager aufschlugen, saßen sich Bachailan, sein General und die drei Kentauren auf Resten von Baumstämmen und auf großen Steinen am Feuer gegenüber und studierten einander.
Bachailan hatte nie zuvor echte Steppenreiter gesehen, er kannte nur Laakon und Hasket und jetzt sah und erkannte er den Unterschied.
Selbst der junge Krieger, ein Knabe noch, dem gerade erst der Flaum auf der Oberlippe zu sprießen begann, strahlte eine geradezu unheimliche Selbstsicherheit und Härte aus. Die beiden älteren Krieger, die sich so ähnlich waren wie Zwillinge und sich als Kazar, Ältester der vierten Sippe und seinen Blutsbruder Joshara vorgestellt hatten, schienen eher aus Obsidian und Basalt geschaffen zu sein, als aus Fleisch und Blut.
Bachailan hatte niemals eine Aura bei einem Menschen gesehen, die mehr Härte und mehr Kompromisslosigkeit ausstrahlte, als diejenige, welche er bei seinen künftigen Gesprächspartnern feststellte.
Da Laakon und Hasket neben den Kentauren saßen, war der Unterschied noch augenfälliger und nicht nur für den Mogul erkennbar. Yamalin raunte seinem Herrn zu:
„Als säßen zwei Kätzchen neben drei Panthern…“
Bachailan konnte dieser Einschätzung nichts hinzufügen, doch im Vergleich zu diesen Männern kamen ihm selbst Yamalin, ja sogar sein mächtiger Gegner Sabandin irgendwie harmlos vor.
„Wollen wir mit unseren Verhandlungen und Gesprächen gleich heute noch beginnen oder warten wir bis morgen ab? Dann haben wir alle uns erholt und werden mit frischem Geist erreichen können, was wir uns vorstellen.“
„Kentauren kennen keine Müdigkeit. Wir sitzen seit drei Tagen hier und sind ausgeruht, doch wenn du noch der Erholung bedarfst, spielt eine weitere Nacht ohne Entscheidung keine Rolle. Wir beginnen erst morgen früh. Lass uns jetzt ein wenig über uns selbst reden, damit wir einander kennen lernen, wie es sich für Männer gehört, die möglicherweise am Anfang eines langen, gemeinsamen Weges stehen.
Magst du beginnen, Mogul?“
Bachailan war es nicht gewohnt, bei einer Verhandlung in die Vorlage zu gehen und noch weniger war er es gewohnt, über sich selbst zu reden. Er war der Spross einer Dynastie, die Zeparana seit hunderten von Jahren mehr oder weniger erfolgreich beherrscht und geführt hatte. Seit langem war mit ihm wieder einmal ein Herrscher auf den Thron gestiegen, der stark war und auch Zeparana wieder stärker gemacht hatte. Doch er hatte Sorgen, denn an allen Grenzen der Stadt im Sheenland lauerten mächtige Feinde.
Nun saß er mit einem Wilden am Feuer und ließ sich von diesem Mustern, in der Hoffnung, dass in ein paar Tagen seine Sorgen zumindest an der Westgrenze Zeparanas kleiner geworden waren.
Kazar ahnte, was sein Gegenüber dachte und was dieser von ihm hielt. Es machte ihm nichts aus, für einen Wilden gehalten zu werden. Er studierte den Mogul und speicherte seine Erkenntnisse sorgfältig in seinem Geist.
Bachailan war ein groß gewachsener Mann mit breiten Schultern, der sich trotz aller Völlereien und sonstigen Ausschweifungen an seinem Hof immer körperlich ertüchtigt hatte und deshalb nicht das Bild des verweichlichten Stadtfürsten abgab, welches man eigentlich erwartet hätte. Aber er war kein Krieger, kein Kämpfer. Sein hellbraunes Haar war zu straffen Zöpfen geflochten und zeigte an den Schläfen erste graue Strähnen, obwohl er das vierzigste Jahr seines Lebens noch nicht erreicht hatte. Seine Augen waren grau und stechend und seine Untertanen waren überzeugt, dass er mit diesen Augen in ihre Seelen blicken konnte. Er hatte ein markantes Gesicht, das von einer großen Hakennase beherrscht wurde, sein Kinn war eckig und wies in der Mitte eine tiefe Kerbe auf. Kazar entdeckte etwas an der Ausstrahlung des Moguls, das ihn an sich selbst gemahnte. Er erinnerte sich an eine Frage Saigoros, auf die er geantwortet hatte
„…ich kenne Krieger. Du bist ein Krieger und für mich deshalb leicht auszurechnen.“
Auch Bachailan kannte Krieger und Kazar beschloss auch seine Begleiter vor diesem Mann zu warnen.
Auch Bachailan hatte die Zeit genutzt und Kazar weiter studiert. Kazar und seinen Bruder Joshara. Den Knaben Joel ließ er allerdings in seinen Betrachtungen außen vor, denn er fragte sich allenfalls, weshalb ein solcher Knabe bei den beiden Männern war. Ob er vielleicht die Rolle des Lustknaben übernommen hatte?
Bachailan schob derlei Gedanken zur Seite und begann nun zu sprechen.
„Es ist ungewöhnlich, dass man den Mogul und Herrscher einer Stadt sprechen und über sich erzählen lässt, doch wir befinden uns in einer ungewöhnlichen Situation und deshalb sind auch ungewöhnliche Maßnahmen angesagt.
Ich bin also Bachailan, der Herrscher über Zeparana und die Sheenlande um die Stadt und ich bin der stärkste Spross, der seit langem aus einem uralten Baum hervor gegangen ist. Meine Vorfahren haben Zeparana gegründet und die Herrschaft nie aus der Hand gegeben und so will auch ich es halten.
Allerdings will ich auch nicht verschweigen, dass dies kein einfaches Vorhaben ist. An allen meinen Grenzen rumort es und auch in der Stadt selbst gibt es Unruheherde, die ich nicht so ohne weiteres in den Griff bekomme. Die Steuereinnahmen reichen nicht, um ein schlagkräftiges Heer aufzubauen und zu unterhalten und mehr Steuern kann ich meinem Volk kaum mehr zumuten, denn es gibt – zu meinem Leidwesen – einen anderen Steuereintreiber und der scheint meinem Volk näher zu sein und wichtiger als ich.
Auch meine Nachfolge ist noch ungeregelt. Ich habe zwar Söhne, doch allenfalls zwei dieser meiner Söhne kommen als Nachfolger in Frage. Doch nur, wenn ich es schaffe, sie so lange zu beschützen, bis sie alt genug sind, dies für sich selbst zu tun. Wie aber soll ich sie unter diesen Voraussetzungen zu Herrschern erziehen, die Zeparana so regieren könnten, wie es erforderlich ist?
Yamalin hier, der Befehlshaber meiner Palastwache tut alles, was in seiner Kraft steht um Krieger und Strategen aus meinen Söhnen zu machen, doch das süße Leben, die ständigen Orgien meiner Höflinge, all die Verweichlichungen und Intrigen auch ihrer Mütter machen es nicht leichter, Männer aus meinen Söhnen zu machen. Doch anstatt über meine Söhne zu klagen, will ich lieber weiter über die wichtigen Dinge berichten.
Zeparana ist eine alte Stadt.
Meine Ahnentafeln reichen fast zweitausend Jahre in die Vergangenheit und Zeparana konnte nur überleben, weil es unabhängig von außen und einheitlich von Innen geführt wurde. Die Gesetze von Zeparana sind einfach und leicht zu befolgen, wenn man ein Mensch mit Verstand und Respekt vor der Welt ist.
Doch in den letzten Jahrhunderten wurden all diese Gesetze von den Beamten des Hofs immer mehr verweichlicht und außer Kraft gesetzt. Die Sitten begannen zu verfallen und Moral und Anstand spielen heutzutage an meinem Hof und in ganz Zeparana nur noch eine sehr untergeordnete Rolle.
Die treibende Kraft hinter all meinen akuten Sorgen ist ein Mann aus meinem eigenen Reich.
Der Händler Sabandin strebt nach immer mehr Macht und immer größerem Reichtum, obwohl er schon den Beinahmen „der Reiche“ trägt und man hier und da auch schon von Sabandin dem Mächtigen spricht.
Sabandin hat seine Finger überall im Spiel, wo es Ärger gibt. Er konspiriert mit Shangtzu und Surbana und unterhält Verbindung zu den Iboa und den Sheehanoa, ebenso zu dem räuberischen Gesindel, das entlang des Maron sein Leben fristet. Seine Agenten sitzen in meinem Palast, er schickt Sklaven und Sheehanoa zur Belustigung meiner Höflinge in den Palast, die in Wirklichkeit Spione sind. Er besticht meine Beamten, damit sie kaum mehr jemand aus dem Volk zu mir lassen. Er treibt Keile zwischen mich und meine Familie, zwischen mich und mein Volk und ich finde keinen Weg, um ihn auf eine vernünftige Größe zurück zu stutzen. Ausschalten will ich ihn gar nicht, denn dazu ist er als Händler zu gut.
Sabandin ist mein allergrößtes Problem.
Du siehst, ich halte mit meinen Sorgen und Nöten nicht zurück und hoffe auf eine ähnliche Offenheit deinerseits.“
Kazar blieb ernst und verschlossen, obwohl er sich darüber im Klaren war, dass diese Offenheit Bachailans weit mehr wert war, als er sich zu erhoffen gewagt hatte. Die Not des Moguls schien wirklich groß zu sein. Deshalb wollte auch er ein Zeichen setzen und Bachailan einen Ansatz bieten, der zu einem Bündnis zwischen ihnen führen konnte. Sein Eindruck von dem Mogul war nämlich ein guter. Bachailan war offenbar ein gradliniger Mann, ein Fürst, der das Beste für sich und sein Volk wollte und ein Mann, dem die Traditionen und überlieferten Werte etwas bedeuten mochten.
„Ich schätze Offenheit bei Männern, die mit mir Geschäfte machen wollen oder die meine Freundschaft suchen. Ich selbst gehöre nicht zu den Männern, die in allem was sie tun taktieren und ihren eigenen Vorteil suchen. Ich habe ein Volk und ein Land und es gilt beides zu schützen, denn nur dann erhalten wir uns und unsere Art des Lebens. Ich diene meinem Volk mit all meiner Kraft und was ich tue und lasse, dient ebenfalls meinem Volk.
Obwohl mein Land groß ist, zählt mein Volk nur wenige Köpfe, denn das Land gehört uns nicht allein. Die Herden haben ebenso Anspruch auf das Land und wir teilen es mit ihnen. Das Land ernährt die Herden und die Herden ernähren uns. Wir sind Teile eines großen Organismus und wenn einer dieser Teile stirbt, sterben die anderen mit.
Doch es gibt Menschen, denen das nicht gefällt. Einer dieser Menschen heißt Sabandin und ist Kaufmann zu Zeparana.
So wie Sabandin der Quell aller Sorgen in deinem Reich ist, so ist er auch seit vielen Jahren eine Laus im Pelz meines Volkes. Doch vor nunmehr fast zwanzig Jahren wurde aus dieser einen Laus ein ganzes Nest und die Räude begann sich auszubreiten.
Seine klebrigen Finger hatte er schon immer in unseren Taschen, doch nun gelang es ihm, seine ebenso klebrige Zunge in die Ohren von Männern unseres Volkes zu stecken und mit dem, was er Honig nennt zu verkleben. Doch an seiner Zunge klebt kein Honig, sie sondert ein böses Gift ab. Sabandin will große Teile der Steppe unter seine Kontrolle bekommen und um dieses Ziel zu erreichen, begann er Abhängigkeiten zu erschaffen. Salz, Zucker und Mehl, Glasperlen und Seidenstoffe und anderes mehr brachte er in unser Land und als die Männer und Frauen sich auf seine Lieferungen einließen und mit ihm zu handeln begannen, begründeten sie seinen Reichtum und daraus erwuchs seine Macht. Er brachte uns aber nicht nur Annehmlichkeiten, er nahm uns auch Sorgen ab. Er begann unsere Halblingskinder zu kaufen und wurde durch diese Käufe noch reicher, denn er – wie ich mittlerweile weiß – erzielte mit ihnen geradezu märchenhafte Gewinne.
Vor gut zehn Jahren bemerkte er wohl, dass er auf das Volk nur dann einen größeren Einfluss bekommen konnte, wenn er diejenigen unter den Sippen ausschaltete, die den Traditionen verhaftet waren. Er begann mit meiner Sippe, der Vierten. Zusammen mit seinen Speichelleckern Vilas und Marigo von der siebten Sippe zündete er eines Tages – letzten Sommer waren genau zehn Jahre seit diesem Ereignis vergangen – die Steppe an und beinahe wäre ihm gelungen, was er plante. Bis auf einen einzigen Wagen fiel die vierte Sippe den Flammen zum Opfer.
Doch wir sind wieder erstarkt und heute vielleicht mächtiger als je zuvor. Wir besitzen einen Schatz, der uns unglaublich reich macht und uns mit Waffen versorgt, wie ihr sie noch nie gesehen habt.“
Kazar zog langsam sein Schwert aus der Rückenscheide und reichte es Yamalin, der es sich genau ansah und dann an den Mogul weiterreichte. Es gelang ihm dabei nicht, den feinen Schnitt in seinem rechten Daumen ganz zu verbergen. Er hatte die Schärfe des Schwertes zu intensiv geprüft.
Auch Bachailan ließ sich Zeit bei der Untersuchung des Schwertes und er schwang es sogar ein paar Mal durch die Luft, dann reichte er es an Kazar zurück und meinte:
„Dieses Schwert frisst Seelen, dessen bin ich mir sicher. Welches Metall ist für die Herstellung dieser Klinge verwendet worden?“
Kazar deutete auf Joshara und dieser erklärte:
„Unsere Waffen sind aus Stahl. Aus Eisen, das durch die Schmiedekunst und durch Zugabe von Mineralien und anderen Metallen zu einem nahezu unverwüstlichen Metall mit ganz neuen Eigenschaften gemacht wurde. Aber wir besitzen nicht nur Waffen aus Stahl, wir können uns nahezu vollständig in Stahl kleiden, wenn wir in die Schlacht ziehen und sind so für die Waffen unserer Feinde praktisch unangreifbar. Du kannst die beiden jungen Männer hier fragen, sie haben zu mehr als hundert gegen mich und Joshara und zehn meiner Söhne gekämpft und sie haben verloren, ohne einem von uns auch nur einen Kratzer zufügen zu können.
Mit Hilfe dieses Schatzes ist es mir gelungen, den Einfluss der siebten Sippe im Rat zu brechen und heute halte ich zusammen mit unserem obersten Kriegsherrn die Fäden für unser aller Zukunft in der Hand.
Wir, das Volk von Kaana sind Krieger. Wenn ich das so ohne jede Bescheidenheit sagen darf, für euch unbesiegbare Krieger, aber wir wollen nicht den Kampf und wir wollen keine Eroberungen außerhalb der Grenzen Kaanas. Doch wir werden auch nicht einen Quadratfuß unseres Landes hergeben. Vor allem nicht einem Mann, der unser Volk seit Jahrzehnten betrogen hat.
Wir, das Volk Kaana, wir wollen in Ruhe mit unseren Herden durch die Steppe ziehen und unser Leben wie gewohnt weiter leben. Deshalb habe ich Sabandin den weiteren Handel mit dem Volk untersagt und den Kontakt zu dir gesucht. Wir wollen den Handel auf neue Füße stellen und haben einen Plan entwickelt, wie das geschehen könnte und sinnvoll wäre. Das Volk der Sheehanoa wird sich vielleicht auf unsere Seite stellen und wir würden dir als Mogul Zeparanas die Oberhoheit zur Vergabe der Handelsrechte in deiner Stadt überlassen. Du und nur du, würdest künftig bestimmen, wer mit welchen Waren des Volks handeln darf und was sie kosten sollen.
Sabandin wäre in kurzer Zeit erledigt und wir könnten ein wenig gelassener in die Zukunft sehen.“
Bachailan saß auf einem harten und unbequemen Stein und starrte in ein offenes Feuer, als wäre er ein Nomade wie Kazar. Lange Zeit antwortete er nicht, dann aber sah er Kazar in die Augen und meinte:
„Es ist längst dunkel geworden und das Ferkel duftet verführerisch. Ich habe roten Wein in meinen Wagen und wir sollten zusammen essen und danach sollten wir uns zum Nachdenken zurückziehen. Morgen, wenn wir nachgedacht haben, werden wir weiterreden und Entscheidungen treffen.“
„Ein guter Vorschlag. Wir folgen deinem Rat gerne.“
Ein friedlicher Abend mit eigentlich belanglosen Gesprächen folgte. Dennoch gewährten all diese Gespräche den anderen immer tieferen Einblick in die Bedürfnisse der Beteiligten und als man sich – vom Wein ein wenig betrunken – Schlafen legte, erwarteten alle eine fruchtbare Fortsetzung der Gespräche am nächsten Morgen.
Dem friedlichen Abend folgte eine ruhige Nacht, die jedoch in den frühen Morgenstunden eine jähe Unterbrechung erfuhr. Zuerst war es das drohende und fast bösartig klingende Knurren eines der drei Kangals, dann kam das herausfordernde Keckern einer Hyäne hinzu und gleich darauf eine dreistimmige tiefe Antwort. Die Kangals hatten eine Front gegen die Hyäne gebildet. Mitten in diese Geräusche hinein dann ganz plötzlich jammerndes Geschrei, die hohe Stimme eines Kindes.
Joel war als erster aus seinem Mantel und aufgesprungen. Sein Schwert flog ihm fast wie von selbst in die Hand und im Dämmerlicht des frühen Morgens entdeckte er nach kurzem Suchen eine Situation, die mehr als unwahrscheinlich anmutete.
Ungefähr hundert Schritte von ihm entfernt lauerten vier Hyänen und waren wütend, weil ihnen eine sicher geglaubte Beute entgangen war. In einem Abstand von kaum zehn Schritten standen die Kangals den Hyänen gegenüber und genau in der Mitte zwischen den beiden Fronten entdeckte Joel einen … Mann? Einen Jungen?
Was immer es war, ein Kind war es nicht, dazu war es zu groß. Doch die Stimme war die eines Kindes. Joel bückte sich rasch, klaubte ein paar faustgroßer Steine zusammen und schlenderte dann recht gemächlich auf den Tatort zu. Aus einer Entfernung von etwa fünfzig Schritten warf er den ersten Stein und traf die frechste der Hyänen genau an der Schnauze, am weit aufgerissenen, geifernden Maul. Es gab einen dumpfen Schlag mit einem klirrenden Unterton und gleich darauf ein wütendes und erbostes Heulen, die Hyäne ergriff die Flucht. Sie blutete stark am Maul und Joel war sich sicher, dass sein Wurf dem Aasfresser mindestens einen Reißzahn gekostet hatte. Joel hob den rechten Arm, ein zweiter Stein sauste hinaus und wieder jaulte eine der Hyänen auf, denn der Stein hatte sie direkt neben dem linken Ohr am Kopf getroffen. Auch diese Feindin ergriff nun die Flucht und da gaben die beiden noch übrigen Hyänen ihre Absicht ebenfalls auf, wandten sich ab und trollten sich unter wütendem Gekecker.
Die Kangals aber bildeten ein Dreieck um das Beinaheopfer, das sie eben noch beschützt hatten und verhinderten so, dass es weglaufen konnte.
Joel ließ sich Zeit. Er hatte keine Ahnung, wen die Hyänen und Kangals da aufgegriffen hatten, aber er würde es herausfinden. Mittlerweile war das ganze Lager auf den Beinen, doch nur einer machte sich die Mühe, Joel zu folgen und sich ihm anzuschließen. Yamalin schloss zu Joel auf und aus dessen erbittertem Fluchen entnahm Joel, dass der Numa ganz genau wusste, wen er dort draußen bei den Kangals antreffen würde.
„Wer ist es?“
„Einer, den wir vielleicht besser den Hyänen überlassen hätten. Prinz Bagarol, der zweite Sohn Bachailans und einer der beiden Thronanwärter. Der erste und bessere der beiden.“
„Ach ja? Wusstest du von seiner Anwesenheit?“
„Nein, natürlich nicht, denn sonst hätte ich ihn vielleicht heimlich im Maron ersäuft. Dieser kleine Satan hält sich einfach an nichts, er hat vor nichts Respekt.“
„Nun, wir werden sehen. Im Moment scheint er die Hosen voll zu haben und vielleicht hat er jetzt etwas kennen gelernt, das ihm Respekt einflößt. Hyänen und Kangals haben das auch schon bei echten Männern geschafft.“
Prinz Bagarol hatte nichts mehr an sich, das an einen jungen Mann aus hohem Hause erinnerte, sah man von seinen eleganten und ganz sicher sehr teuren Kleidern ab. Vor allem seine eng anliegenden, seidenen Hosen hatten jede Eleganz verloren, denn vorne, zwischen den Beinen hatte sich ein großer, nasser Fleck gebildet und hinten, unterhalb seines Gesäßes hing ein feuchter Knödel, der einen üblen Geruch verbreitete.
Yamalin ignorierte den Geruch und die Nässe, er nahm seinen dunkelblauen Offiziersmantel ab, legte ihn dem Jungen um die Schultern und führte ihn wortlos zu einem der beiden Wagen Bachailans. Er scheuchte den Jungen mit ein paar knappen Worten in einen der Wagen. Dort war es zunächst still, dann hörte man ein mürrisches Gemurmel und plötzlich ein fauchendes Gebrüll.
„Ich sage es dir jetzt zum letzten Mal! Du gehst jetzt hinunter an diesen verdammten Fluss und wäschst deinen verdammten, verschissenen, fürstlichen Arsch oder ich schwöre dir, ich schleife dich an den Ohren hinunter und werfe dich so weit hinaus, wie ich nur kann. Dann kannst du zeigen, wie gut ein Prinz Zeparanas schwimmen kann! Und es ist mir scheißegal, ob das Wassre im Fluss kalt ist oder nicht! Verschwinde jetzt!“
Es war Yamalins Stimme gewesen, die diese fürchterlichen Drohungen ausgestoßen hatte und gleich darauf sprang Bagarol mit nackten Beinen und nacktem Hintern aus dem Wagen und rannte zum Fluss hinunter, um seine mit Kot verschmierten Beine und Hinterbacken zu säubern. Ein gut gemeintes Vorhaben, doch auch diese Aktion ging schief. Bagarol erreichte das Flussufer und wollte gerade ein kleines Stück ins Wasser steigen und sich zu waschen beginnen, als er einen neuerlichen Schrei ausstieß. Yamalin rannte hinter ihm her und kam gleich darauf grinsend zurück. Er fragte Joshara, den er am Feuer traf:
„Der Strom hat eine Leiche angespült. Einen Mann ohne Kopf. Habt ihr ihn ins Wasser geworfen? Dann solltet ihr künftig darauf achten, dass ihr das nicht in einer Bucht oder unmittelbar vor einer Einmündung eines Nebenflusses tut. Dort bilden sich immer kreisende Strömungen und nichts, was man ins Wasser wirft, wird davon getragen.“
„Wir sind Steppenreiter. Alles können auch wir nicht wissen!“
„Ich sag es ja nur. Fürs nächste Mal…. War das Casim?“
Joshara nickte und Yamalin nahm es zur Kenntnis, doch später, am Beginn der Beratungen wollte Bachailan wissen:
„Ihr habt Casim getötet? Weshalb? Er hätte uns gute Dienste leisten können!“
Kazar nahm die Frage auf und fragte zurück:
„Und welcher Art wären diese Dienste gewesen?“
„Er stand viele Jahre im Dienst Sabandins und wusste bestimmt eine Menge über seinen Herrn.“
„Sicher, aber am Ende hat er seinen Herrn verraten und wer garantiert mir, dass er dergleichen nicht wieder tut? Ein Mann, der aus Rache und Hass gegen seinen früheren Herrn arbeitet, wird niemals ein zuverlässiger Partner oder Untergebener sein. Casims Zeit war abgelaufen und deshalb haben wir ihn Maron geschenkt. Den Kopf hat der Strom genommen, den Rest wird er sich auch noch holen, denke ich.“
Damit war das Thema Casim endgültig erledigt und man wandte sich den wichtigen Dingen zu. Alsbald stellte sich heraus, dass Bachailan den von Joel entwickelten und vom Rat der Ältesten abgesegneten Plan nicht weniger überzeugend fand, als dies Laakon und Hasket getan hatten. Auch über die Art und Weise, wie der Plan umgesetzt werden sollte, hatten sich Joel und Joshara schon ganz genaue Gedanken gemacht und noch ehe der Tag zu drei Vierteln um war, bestand streng genommen Einigkeit, dass man gemeinsam in die Zukunft gehen wollte.
Laakon war es, der alles zusammenfasste:
„Wir, die wir uns das Volk Sheehanoa nennen, werden also entlang der Grenze Kaanas feste Handelsposten einrichten und unterhalten. An keinem dieser Handelsposten dürfen weniger als zehn und mehr als hundert Menschen und die dazu erforderliche Anzahl an Tieren leben, denn auch an den Grenzen soll Kaana unbeschadet erhalten bleiben. Die Anzahl der Handelsposten, die wir einrichten bleibt uns überlassen, doch kein Posten darf von einem anderen mehr als einen Tagesritt mit einem Muli entfernt sein. Zwischen den Posten wird eine Nachrichtenübermittlung mit einem Spiegelsystem nach zeparanischem Muster eingerichtet und alle Nachrichten werden auch an den Palast in Zeparana weiter geleitet.
Das Volk Kaana handelt in Zukunft nur noch mit uns, den Sheehanoa und wir handeln ausschließlich mit Händlern, die eine Legitimation des Moguls besitzen.
Mogul Bachailan wird eine neue Amtsstelle einrichten, in der Legate erteilt werden und in dieser Stelle werden immer mindestens zwei Angehörige des Volkes Sheehanoa sitzen, um illegale Handlungen wie Korruption und dergleichen zu verhindern. Die alten Ämter dürfen keine Händlerzulassungen mehr vergeben.
Sabandin und seine Marktvereinigung können sich um eine Zulassung bewerben und erhalten eine solche, wenn sie sich an die Handelsmengen und Umtauschsätze halten, die noch festgelegt werden.
Das Volk Kaana verpflichtet sich überdies, im Notfall rasch und ohne nachzufragen mit Reitertruppen einzugreifen, sollte es zu Übergriffen auf die Handelsposten kommen.
So werden wir es also tun, doch es gibt noch ein einziges Hindernis. Unsere weise Frau Axilara wird einem wie auch immer gearteten Konzept erst zustimmen, wenn sie persönlich mit dem Mann gesprochen hat, der sich all das ausgedacht hat. Sie verlangt, dass Joel mit uns zur Oase reist und mit Axilara über alles spricht und sie endgültig überzeugt.“
Kazar, Joshara, Bachailan sahen den jungen Sheehanoa verblüfft an, dann wollte Kazar wissen:
„Welcher Hexenzauber steckt denn hinter einer solchen Forderung? Und wieso entscheidet eine Frau über die Angelegenheit von Männern?“
„Dahinter steckt kein Hexenzauber und wenn du Axilara kenntest, wüsstest du weshalb wir immer und bedingungslos auf sie hören. Es gibt keinen klügeren Menschen auf dieser Welt, als Axilara. Wir aber garantieren durch unser Leben, dass Joel gesund und unversehrt zu seinem Volk zurückkehren wird.“
Kazars Miene wirkte wie in schwarzen Obsidian geschnitten, als er leise antwortete:
„Weißt du, was dein Leben und das deines Freundes mir wert sind? Nicht mehr, als ich zwischen zwei Fingerspitzen verstecken kann, also nichts.
Joel wird selbst entscheiden, ob er zu dieser Axilara reitet, doch ich garantiere euch, wenn er zum Thing nicht wieder bei seiner Sippe zurück ist, wird Kazars Schwert über euch kommen und ihr werdet euch wünschen, nie geboren worden zu sein.
Das ist ein Schwur und meine Schwüre sollte man ernst nehmen.“
Kazar atmete tief durch, dann fragte er seinen sechsten Sohn:
„Willst du diese Reise auf dich nehmen, mein Sohn? Entscheide selbst.“
„Ich wollte schon längst einmal ein Stück von der Welt außerhalb Kaanas sehen. Der Besuch im Gebirge Hiron hat mich neugierig gemacht und ja, ich werde gehen. Wir reisen morgen früh.“
Eigentlich war nun alles besprochen, doch Yamalin hatte noch ein Anliegen und bat um Sprecherlaubnis.
„Bei den Numa ist es Sitte, dass ein solcher Vertrag durch den Austausch von Geiseln bekräftigt wird. Ich schlage vor, dass Prinz Bagarol als Geisel zu den Kaananiten geht und für mindestens fünf Jahre bei ihnen bleibt.“
Bachailan starrte seinen Gardegeneral zuerst wütend an, dann aber glitt ein fröhliches Grinsen über sein Gesicht und er fügte hinzu:
„Ein junger Prinz soll Garant für einen derart wichtigen Vertrag werden? Das halte ich für zu wenig. Joel soll auf seinem Rückweg in Zeparana halt machen und meinen ältesten Sohn, Prinz Majagera ebenfalls mit zur vierten Sippe nehmen, auch er soll für fünf Jahre als Geisel bleiben.“
Kazar hielt nicht viel von dieser Idee, doch er stimmte ihr mit einem dünnen Lächeln zu und meinte dann:
„So werden die Steppenreiter nun zu Kindermädchen für den Mogul von Zeparana gemacht? Auch eine Methode, seine Söhne zu erziehen und zugleich vor Attentaten zu schützen. Ich sehe, ich habe kluge Geschäftspartner gewonnen. Doch eines werden wir nicht für euch tun. Mein Sohn wird nicht nach Zeparana reiten. Wenn du willst, dass auch dein zweiter Sohn bei uns erzogen wird, musst du ihn bringen lassen.“
Im Morgengrauen des nächsten Tages brachen drei Gruppen von der Halbinsel am Fluss in unterschiedliche Richtungen auf.
Laakon, Hasket und Joel ritten in Richtung Süden, Yamalin ließ seine Wagen um Fürst Bachailan wieder nach Südosten rollen und Kazar ritt zusammen mit Joshara und zwei Mulis als Handpferde nach Norden. Auf dem Rücken der Mulis saßen Iasa, die Tochter eines toten Agenten und Bagarol, der Kronprinz Zeparanas.