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Sheehanos Land

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Sie waren seit neun Tagen unterwegs und obwohl sich die drei Reiter äußerlich so ähnlich waren wie Brüder, litten die beiden Sheehanoa auf ihren Mulis in den ersten Tagen Höllenqualen, während sich Joel auf seinem Hengst wie auf einem Spazierritt fühlte. Für Laakon und Hasket war es deprimierend mit anzusehen, mit welcher Leichtigkeit Joel am Morgen in den Sattel des hochbeinigen Goldfalben sprang, während sie sich auf ihre fast drei Handbreit niedrigeren Mulis geradezu hinauf quälten. Allerdings nicht, weil sie grundsätzlich unfähig gewesen wären aufzuspringen oder weil die Tiere es ihnen schwer gemacht hätten, nein. Ihre Qual kam von einem höllischen Muskelkater, denn Joel nutzte die Gelegenheit, da sie nebeneinander her ritten dazu, sie im richtigen Reiten zu unterweisen. Er korrigierte praktisch von morgens bis abends an ihnen herum, ließ sie ihre Haltung und ihre Sitzposition ändern, sorgte dafür, dass sie sich nicht mehr mit den Beinen an ihren Reittieren festklammerten, sondern mehr und mehr lässig und aufrecht auf den Mulis saßen und vor allem begriffen, dass Zügel und Zaum nicht der Lenkung eines Reittieres dienten. Von Joel lernten sie die Grundbegriffe des Reitens mit Gewichtsverlagerungen und sie begannen zu verstehen, was es bedeutete, einem Reittier zu vertrauen und es sich einfach frei bewegen zu lassen, anstatt ihm ständig am Maul zu zerren und in die Weichteile zu treten. Das Ergebnis dieses den ganzen Tag andauernden Reitunterrichts war, dass ihre Mulis von Tag zu Tag leichter und schneller laufen konnten, während sie selbst von Muskelschmerzen an Stellen geplagt wurden, wo sie zuvor nicht einmal Muskeln vermutet hätten. Dann, oh Wunder, ab dem fünften Tag etwa wurden die Schmerzen weniger und der Spaß am Reiten mehr. Ab dem siebten Tag legten sie Strecken zurück, zu denen sie auf dem Hinweg drei oder mehr Tage gebraucht hatten und an diesem neunten Tag meinte Laakon zu Joel:

„So langsam fühle ich mich tatsächlich wie ein Kentaur. Ich denke, jetzt müsste ich doch in der Lage sein, sogar deinen Hengst zu reiten, oder nicht?“

„Willst du es versuchen?“

Joels sanftes Lächeln hätte jeden Mann der vierten Sippe gewarnt und er hätte dankend abgelehnt. Laakon dagegen war sogar begierig darauf, sich auf den Goldfalben zu schwingen und die scheinbare Schwerelosigkeit und tänzerische Leichtigkeit zu genießen, mit der dieser herrliche Hengst sich bewegte. Er hatte sich ohnehin schon oft genug geärgert, wenn Joel wieder scheinbar unmögliches verlangt und es ihm dann auch noch vorgemacht hatte. Mit einem solchen Pferd war das doch keine Kunst, hatte er Joel erst am Tag zuvor vorgeworfen. Und jetzt sollte er dieses Pferd selbst reiten?

Laakon konnte es kaum mehr erwarten, bis Joel abgesprungen war und ihm die Zügel des Hengstes reichte. Allerdings war die Enttäuschung gleich einmal riesig, denn der Goldfalbe sah auf Laakon hinab und begann sofort weg zu tanzen, kaum dass dieser versuchte seinen linken Fuß in den Steigbügel zu bringen.

Laakon fluchte lautlos in sich hinein. Weshalb musste ausgerechnet Joel ein derartig großes Pferd reiten? Und wieso blieb der Hengst nicht einfach stehen? Zu guter Letzt erinnerte sich Laakon, wie Joel auf den Hengst stieg. Er legte also ebenfalls die Linke an das Sattelhorn, schwang das rechte Bein in die Höhe und sprang. Er schaffte es tatsächlich, auf den Rücken des Hengstes zu kommen, doch im nächsten Augenblick wünschte er sich, es nicht geschafft zu haben. Es war ein wundersames Gefühl, so durch die Luft zu fliegen und er glaubte schier unendlich lange zu fliegen. Als er dann jedoch mit dem Steiß auf dem knüppelhart gefrorenen Steppenboden aufschlug, brach das wunderbare Gefühl abrupt ab und wurde zu neuen Schmerzen.

„Was ist los? Weshalb bleibst du nicht einfach sitzen, wenn du schon mal oben bist? Willst du es noch mal versuchen?“

Nein, Laakon wollte nicht. Nicht an diesem Tag. Lieber kletterte er wieder auf sein sanftes Muli und wollte vorerst noch kein Kentaur sein. Joels süffisantes Grinsen hielt sich fast den ganzen Tag und wann immer sich seine Blicke mit denen Laakons trafen, hielt er ihm wie einladend die Zügel des Hengstes hin und grinste hämisch dabei.

Auch Hasket konnte sich ein boshaftes Grinsen nicht verkneifen. Doch auch er bekam an diesem Tag seine Lehre.

Hasket war weniger von Joels Reitkünsten fasziniert, sondern von der eigenartig selbstverständlichen Art, wie der riesige Kangal mit dem jungen Krieger kommunizierte und versuchte, ihm praktisch jeden Wunsch und jeden Befehl von den Augen abzulesen. Ein kurzes Schnalzen und ein winziger Fingerzeig genügte und der Hund rannte voraus und überprüfte die Wege, die vor ihnen lagen. Ein anderer Fingerzeig machte ihn zum linken, ein weiterer zum rechten Flankenschutz. Ein winziges Schnippen mit den Fingerspitzen sagte dem Hund, dass er jagen gehen durfte und ein kaum hörbarer Pfiff rief ihn auch aus tausend Schritt Entfernung in höchstem Tempo an Joels Seite. Die Schutzfunktionen um Joel und das abendliche Lager herum übernahm der Hund unaufgefordert und ohne konkrete Anweisungen und wenn es nichts zu bewachen gab, lag er in unmittelbarer Nähe von Joel und wehe irgendwer hätte versucht, Joel auch nur mit der Fingerkuppe anzutasten. Selbst ihn streng anzuschauen konnte zu einem Problem werden.

Haskets Leidenschaft für das Reiten hielt sich Grenzen, doch einen solchen Hund hätte er nur zu gerne besessen. Was lag näher, als die Zuneigung des Hundes zu gewinnen zu versuchen und ihn Joel eventuell sogar abspenstig zu machen?

Hasket begann den Hund zu füttern, ihm das Fell zu kraulen und ihn mit einer Karde zu bürsten. Einmal trat sich der Kangal einen Dorn in den Fuß und Hasket entfernte ihn, nahm dem Hund seine Schmerzen, was ihm ein freundliches Schwanzwedeln eintrug.

Am Abend des zehnten Tages saßen sie am Lagerfeuer, brieten ein paar Steppenhühner, die sie unterwegs erlegt hatten und unterhielten sich über belanglose Dinge. Der Kangal lag neben Joel und hatte seine Schnauze auf dessen Stiefelspitze abgelegt. Joel ließ ihn liegen, doch er bewegte keinen Finger, um dem Hund zum Beispiel den Kopf zu streicheln oder dergleichen. Er akzeptierte nur, dass dieser den Kopf auf seiner, Joels Fußspitze ablegen durfte. Da versuchte Hasket den Rüden zu sich herüber zu locken. Er schmeichelte ihm, er bot ihm kleine Fleischstückchen aus seiner Jagdtasche an und sprach ihn mit weicher Stimme an. Der Kangal ignorierte ihn einfach. Das machte Hasket sauer. Er murrte Joel an:

„Wie hast du diesen Hund bloß so verhexen können? Ich bemühe mich Tag für Tag um ihn und er lässt sich meine Bemühungen immer gefallen, doch wenn er in deiner Nähe sein kann, vergisst er alles andere auf der Welt. Wie ist das möglich, was hast du mit ihm angestellt?“

„Nichts. Nicht das Geringste. Ich habe ihn am Anfang nicht einmal haben wollen, doch er hat sich derart beharrlich an meine Fersen gehängt, dass ich mich an ihn gewöhnt habe. Und seither ist er bei mir. Ich gebe ihm ab und zu etwas zu fressen, doch mehr verlangt er nicht von mir und mehr wäre ich auch kaum bereit, ihm zu geben. Er hat mich ausgesucht, nicht ich ihn.“

„Was glaubst du, würde er tun, wenn ich dich jetzt angreifen würde?“

„Versuche es, aber ich rate dir, strecke keine Hand nach mir aus, denn er würde dir den Arm abreißen. Nimm das Aststück da und schlage nach mir.“

Hasket bückte sich nach einem schlanken, etwa drei Fuß langen Stück von einem Ast, hob es hoch und versuchte es in Joels Richtung zu bewegen. Eine ganz flüchtige Bewegung nur und sogar im Sitzen ausgeführt, doch im selben Augenblick spürte er den heißen Atem des Hundes in seinem Gesicht und dann spürte er die scharfen Reißzähne an seiner Kehle und ließ den Stock fallen, als wäre er aus glühendem Metall. Der Hund ließ Haskets Hals los und tat sich wieder nieder, als wäre nichts geschehen. Doch nun lag sein Rachen auf Haskets Fuß und als dieser versuchte, die Fußspitze dort weg zu ziehen, hörte er ein warnendes Knurren, das ihm sagte, er möge doch seinen Fuß ruhig halten.

Jetzt war es Laakon, der spöttisch grinste.

Etwas allerdings hatte Hasket mit seinen Bemühungen um den Kangal erreicht. Mit diesem Abend beginnend, ließ der Hund sich von keinem anderen Menschen als Joel mehr anfassen. Nie mehr, so lange er lebte. Es war, als hätte sich ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber fremden Menschen in seinem Wesen eingeschlichen.

Am fünfzehnten Tag überquerten sie den Maron an einer geeigneten Stelle mit einem an der Furt liegenden Floss und zwei weitere Tage später hatten sie endgültig die Grenze Kaanas erreicht und Joel sah zum ersten Mal über ein Landschaftsbild des Sheenlands hinaus. Er sah Bilder, die in ihm sofort ein Gefühl des Unbehagens erwachen ließ.

Es war bereits Nachmittag, als sie über einen Hügelkamm ritten und an dessen Fuß er und die Sheehano Sheenland erreichten. Der Übergang vom fruchtbaren Land Kaana zur sandigen Öde des Sheenlands war nicht fließend sondern abrupt und innerhalb von wenigen Schritten zu vollziehen.

Joel parierte seinen Hengst und sah in das fahle Gelb hinaus, das sich vor ihm ausbreitete es gab keinen Instinkt, der ihn nicht davor warnte, den nächsten Schritt zu wagen und den Hengst in den Sand hinaus zu lenken. Dort draußen, so sagten ihm alle seine Gefühle, lauerten auf ein Lebewesen Kaanas nur Verderben und Tod. Wohin er auch blickte, nirgendwo war Leben zu erkennen, denn alles Leben spielte sich im Verborgenen ab. Unter dem Sand, im Schatten von Steinen und im Wurzelwerk der wenigen verdorrten Dornenbüsche, die Joel in großen Abständen zu einander stehen sah.

„Das also ist Sheehanos Land? Dies ist Sheenland? Sie ist noch schrecklicher, als ich es in meinen schlimmsten Alpträumen gesehen habe. Wie lange werden wir durch diese Einöde reiten müssen?“

„Einen Tag bis zu einer kleinen Wasserstelle, danach zehn Tage bis zur ersten großen Wasserstelle. Wenn wir diese gut hinter uns gebracht haben sind es noch weitere elf Tage bis Oasa. Es wird nicht leicht, doch wir haben es nun schon so oft geschafft, du wirst es ebenfalls schaffen.“

Joel sah zu Laakon hinüber und wunderte sich. Hier, am Rande des Sheenlands hatte der junge Mann sich schlagartig verändert. Er strahlte ein vollkommen anderes, weitaus stärkeres Selbstbewusstsein aus und alles an ihm wirkte härter. Selbst der Klang seiner Stimme hatte plötzlich etwas metallisches gehabt und als Hasket Laakons Worte zu ergänzen begann, konnte Joel auch aus dessen Stimme den neuen Unterton heraus hören.

„Du wirst gleich alles hinter dir lassen, was dein bisheriges Leben geprägt hat. Nichts von dem was vor dir liegt, wird dir vertraut sein, unwissend wie ein neugeborenes Kind wirst du durch dieses Land irren und jeder Schritt bringt dich dem Tod näher, es sei denn, du hältst dich an uns und unsere Anweisungen. Dann kannst du das Land Sheehanos überleben. Wir haben gelernt in, mit und sogar von diesem Land zu leben.“

„Wie kann man von einem solchen Land leben? Es gibt doch hier nichts außer Sand, Steinen und ein paar verdorrten Dornbüschen! Keine Pflanze, kein Tier, kein Vogel in der Luft einfach nichts. Ein totes Land.“

Wieder antwortete Hasket und in seinen Worten klang eine unüberhörbare Befriedigung über Joels Einwände mit. Er spürte die nur mühsam unterdrückte Furcht vor diesem fremden Land, die dem jungen Steppenreiter zu schaffen machte und gewann daraus eine gewisse Genugtuung. Viele Tage lang war er immer wieder von Joel gemaßregelt, korrigiert und unterwiesen worden und das, obwohl Joel doch eigentlich fast noch ein Kind war, jetzt aber, zum ersten Mal, seit sie sich kannten, zeigte die selbstsichere Arroganz des Reiters Risse und ein Mensch wollte zum Vorschein kommen.

„Du irrst dich, mein junger Freund. Dieses Land ist nicht tot. Es lebt nur nicht so üppig und intensiv wie deine Heimat.

Aber ich versichere es dir, dass es lebt.

Allerdings sind die Lebewesen in diesem Land von einer anderen Art, als du sie kennst. Es gibt keine derart großen Tiere wie in der Steppe. Die Tiere Sheehanos sind zumeist klein und ungeheuer flink und wendig. Manche bewegen sich an der Oberfläche des Sandes, doch manche können sich auch im Sand vorwärts bewegen, wie sich ein Fisch im Wasser bewegt. Viele, sehr viele der Lebewesen sind hoch effiziente Jäger, doch da sie klein sind, töten sie nicht mit Körperkraft, starken Klauen und gefährlichen Reißzähnen sondern mit Gift. Es ist egal, ob dich ein Löwe zerreißt oder ein Skorpion sticht. In beiden Fällen bist du tot und der Tod wird nicht angenehm sein.

Das Land Sheehano droht unter der gnadenlosen Sonne zu verglühen, doch sobald die Sonne hinter dem Horizont verschwindet, kommt die Kälte. Die Nächte sind so kalt, dass du am Morgen erst dein Wasser auftauen musst, ehe du trinken kannst. Dein wichtigstes Kleidungsstück wird dein schwerer Mantel sein. Er schützt dich vor der Hitze des Tages und ebenso gut bewahrt er dich vor der Eiseskälte der Nächte.

Achte also auf ihn besonders, denn ohne ihn kannst du keine zwei Tage in Sheehanos Land überleben.“

„Gibt es Menschen in diesem Land?“

„Ja, die gibt es, aber nur sehr wenige. Menschen brauchen viel Wasser, also leben sie in versteckten Oasen, wie wir. Oder in der Stadt Zeparana, die aus unerfindlichen Gründen über Brunnen verfügt, die niemals versiegen. Kleine Sippen der Iboa leben im Sheenland und wir in Oasa sind vermutlich nicht die einzigen Sheehanoa, die aus Zeparana entkommen sind und sich ein neues Leben schaffen konnten.

Es ist allerdings schwierig im Sheenland mit anderen Menschen einen Kontakt herzustellen, denn Sheenlandbewohner sind misstrauische Wesen. Deshalb bleiben die Zellen klein.“

„Diese Iboa, ich habe von ihnen nicht viel gehört, doch was ich gehört habe, war nie besonders erbaulich.“

„Die Iboa? Nun, sie sind die Reiter des Sheenlands. Ihr und sie, ihr habt vermutlich mehr gemeinsam, als du dir wünschen würdest. Sie sind genauso fremdenfeindlich wie die Kaananiten und sie sind ebenso notorische Mörder und Totschläger wie unsere Verwandten in der Steppe. Sie glauben, dass sie sich hier nur in einer Art Übergangswelt befinden, einer Strafkolonie, um für alte Sünden und Versäumnisse in einem anderen Leben zu büßen. Iboa leben in großen, schwarzen Zelten und ihre Pferde leben zusammen mit ihnen in diesen Zelten. Sie füttern die Pferde mit Datteln und dem wenigen Gras, das sie in den Oasen finden und sie sprechen mit ihnen, als wären sie Menschen. Ich habe sagen gehört, dass ihre Frauen die Nächte mit den Hengsten verbringen, wenn ihre Männer auf Kriegszug sind und dass die Männer lieber ihre Stuten besteigen, als eine Frau, die nicht Iboa ist.“

„Wie sind ihre Pferde? Sind sie so groß und stark und schön wie unsere Pferde?“

„Die Iboa sagen, sie besäßen die schönsten und besten Pferde die es gibt. Sie sind anders als eure Pferde, doch dein Hengst würde bei den Iboa Begehrlichkeiten erwecken, denke ich. Die Pferde der Iboa sind kleiner als unsere Mulis und so feingliedrig wie die Gazellen der Steppe. Ihre Mähnen und Schweife sind aus seidenweichen Haaren und sehr viel dünner als die Behänge eurer Pferde. Ihre Hufe sind klein und hart, ihre Augen schwarz und groß. Die Iboa behaupten ihre Pferde würden den Wind des Sheenlands trinken, denn sie können einen ganzen Tag durch die Hitze laufen, ohne jemals Durst erkennen zu lassen. Sie sind anders, die Pferde der Iboa, doch, wie gesagt, auf deinen Hengst wirst du achten müssen.“

„Wo finden wir diese Datteln, mit denen sie ihre Pferde füttern? Und wie bringen wir genügend Wasser durch das Sheenland, damit mein Hengst und auch der Kangal immer genug zu trinken haben? Und was essen wir?“

„Wir werden unsere Schläuche an einer Quelle ganz in der Nähe dieses Hügels füllen, ehe wir in die Sheenland reiten. Wir haben bei dieser Quelle auch zwei Säcke mit Datteln versteckt, denn unsere Mulis müssen ja ebenfalls fressen. Wir werden ausschließlich bei Nacht reiten, dann verbrauchen wir weniger Wasser und müssen auch kein Brennholz mit schleppen. Wir werden unterwegs Jagd auf Echsen und Reptilien machen, die man essen kann und was wir essen können, sollte auch deinem Hund nicht schaden.

Hab keine Angst, wir bringen dich unbeschadet nach Oasa und auch wieder zurück, mein Junge.“

Erst als er seine letzten Worte bereits ausgesprochen hatte, bemerkte Hasket, dass er einen fatalen Fehler begangen hatte. Joels Augen glitzerten wie schwarzer Obsidian und Hasket ahnte, dass er nur einen winzigen Schritt von einem tödlichen Abgrund entfernt stand.

„Ich habe keine Angst, denn ich bin Kaana und Kentaur. Ich werde Sheenland überstehen und Sheenland wird mich nie vergessen. Solltest du mich aber noch einmal so ansprechen wie eben, wirst du bald ein vergessenes Blatt unter dem Laub der vergangenen Jahre sein. Ich habe dir stets Respekt entgegen gebracht. Bring auch du mir Respekt entgegen, wenn wir in deinem Land sind. Du darfst mich gerne alles lehren, was ich wissen muss und ich werde geduldig deinen Worten lauschen und alles befolgen, doch nenne mich nie wieder einen Jungen. Ich bin ein Krieger, vergiss das nicht.“

Hasket fühlte sich, als wäre genau in diesem Augenblick die Sonne untergegangen und die eisige Nachtluft zöge über seinen ungeschützten Nacken. Er konnte nicht anders, er musste sein Gesicht abwenden, denn die glasharten schwarzen Obsidiane in Joels Augenhöhlen machten ihm Angst. Es war Laakon, der die Situation wieder entschärfte, indem er sie aufforderte, ihm zu der Quelle zu folgen.

Die Quelle lag am Fuße eines schütter mit mageren Pappeln und Birken bewachsenen Hügels und unmittelbar an der Grenze zu Sheehanos Land.

Direkt neben der Quelle gab es einen kleinen Bruch in der Hügelflanke. Dort war das Erdreich aus unerfindlichen Gründen abgetragen worden und der blanke Fels schaute heraus. Verwitterter grauer Kalkstein, der voller Löcher und Höhlungen war. Manche dieser Löcher und Höhlungen waren so groß, dass man leicht etwas darin verbergen konnte.

Laakon ging zu einer dieser Höhlungen, nahm einen dürren Ast vom Boden auf und stocherte in die Höhlung hinein und gleich darauf erkannte Joel, wie klug diese Handlung gewesen war. Ein schwarzes Huschen und dann sah er eine gut einen Schritt lange Schlange durch das Gras am Boden davon gleiten.

„Stecke im Sheenland niemals deine Hand in eine Höhle, denn Löcher und Höhlen sind beliebte Schlupfwinkel für solche Gesellen.“

„Was war das für eine Schlange? Ist sie giftig?“

„Eine Hornviper. Sie gehört nicht zu den allergiftigsten Lebewesen des Sheenlands, denn ihr Gift tötet einen Menschen erst im Verlauf eines halben Tages. Es gibt Kreaturen, deren Gift einen Menschen innerhalb von zehn Atemzügen töten kann.“

Joel nickte Laakon dankbar für diese Erklärung zu, dann beobachtete er, wie der Mann mehrere Säcke und lederne Schläuche aus der Höhlung zog. Er bewegte sich immer noch sehr vorsichtig und förderte neben seinen gesuchten Gegenständen zwei große, schwarze Skorpione zu Tage und ein halbes Dutzend unterschiedlicher Spinnen und von jedem dieser Lebewesen wusste Hasket zu sagen, wie schnell ihr Gift wirkte. Joel schüttelte sich und meinte:

„Ich verstehe nicht, wie Menschen einem Geistwesen wie Sheehano anhängen können. Wer Lebensräume für solche Kreaturen schafft, sollte von der Erde verbannt werden.“

„Glaubst du, sie wären schrecklicher als Hyänen und Sheena, als Löwen, Wölfe und eure Jagdleoparden und Kangals? Ich glaube nicht. Sie sind, ich sagte es bereits, nur kleiner und etwas tückischer.“

Hasket hatte sich wieder gefangen und war in der Lage, in einem ganz natürlichen Ton mit Joel zu sprechen, doch der Schreck auf dessen Reaktion kurz zuvor, saß ihm immer noch tief in den Gliedern. Doch nun öffnete er einen der Säcke, griff hinein und holte eine Handvoll Datteln hervor. Er reichte sie Joel und forderte ihn auf, sie zu versuchen. Er selbst steckte sich ebenfalls eine Dattel in den Mund, zerkaute sie, spuckte ein paar Kerne aus und schluckte den Rest hinunter.

Die Datteln waren weich und reif und sehr, sehr süß. Das erstaunlichste an ihnen war, dass Joel schon nach dem er die dritte Frucht gegessen hatte, einen sanften Strom Lebenskraft und Energie durch seinen Körper fließen spürte und er begriff, dass diese kleinen Früchte nahrhafter waren, als alles andere, das er je zu sich genommen hatte. Von diesen Datteln würden zwei oder drei Handvoll genügen, um seinen Goldfalben den ganzen Tag mit Kraft und Ausdauer zu versorgen. Er hielt dem Hengst ein paar der Früchte hin und freute sich, dass dieser die Datteln nach anfänglichem Zögern gerne verzehrte und sogar noch nach mehr verlangte. Joel gab ihm eine Handvoll davon, danach war der Hengst zufrieden und rupfte ein wenig an den dürren Wintergräsern am Rand der Quelle. Joel aber staunte. Unter diesen Umständen schien es gar nicht so schwierig zu sein, den Hengst gesund und munter durch das Sheenland zu bringen. Zumindest das Futterproblem war kleiner, als er befürchtet hatte.

Sie rasteten bis zum Einbruch der Dunkelheit an der Quelle und während dieser Zeit hatte auch der Kangal Gelegenheit, seine zukünftige Nahrungsgrundlage schon mal zu testen. Der riesige Hund hatte einen vorsichtigen Ausflug in den Sand hinaus unternommen und war einer etwa zwei Fuß langen, gelbgrauen Echse begegnet. Die Echse hatte nie zuvor einen Kangal gesehen und so versteckte sie sich nicht vor dem fremden Tier und der Hund betrachtete sie als willkommene Beute. Ein blitzschnelles Zuschnappen, dann hatte er die Echse am Genick gepackt und sie hing leblos in seinem Fang. Der Kangal trug die Echse an den Lagerplatz bei der Quelle und Joel hatte Muße, das fremdartige Tier zu betrachten. Es glich in etwa einer großen Eidechse, nur mit dem Unterschied, dass es auf seinem Rücken einen Kamm besaß, aus dem Stacheln von der Länge eines Fingers hervor ragten.

„Eine Agame. Man kann sie bedenkenlos essen, nur vor den Stacheln am Rücken sollte man sich in Acht nehmen. Ihr Gift ist nicht direkt gefährlich, doch es hat eine sehr stark ermüdende Wirkung. Ein kleiner Stich mit einem der Stacheln genügt, um einen Menschen zwei Tage ununterbrochen schlafen zu lassen.“

Haskets Grinsen bei dieser Information hatte geradezu etwas Spitzbübisches an sich, das Laakon gleich darauf erklärte.

„Wir verwenden das Gift dieser Stacheln, wenn wir – sehr selten – bei den Iboa auf Beutezug gehen. Axilara hat uns gelehrt, wie wir diese Stacheln aus schlanken Blasrohren verschießen können. Wenn du von einem solchen Stachelpfeil getroffen wirst, denkst du zunächst, ein Insekt habe dich gestochen. Doch kaum zwanzig Atemzüge später schläfst du tief und fest und hast die süßesten Träume. An den Stich aber erinnerst du dich nicht mehr, wenn du wieder aufwachst.“

Joel schüttelte den Kopf. Die Welt Sheehanos schien nicht weniger voller Wunder zu sein, als Kaana. Nur waren die Wunder eben von anderer Art.

Der Kangal verspeiste die Agame in kürzester Zeit und mit echtem Appetit, doch entweder hatte er – unwahrscheinlich – Laakons Erklärung verstanden oder aber sein Instinkt warnte ihn vor den Stacheln auf dem Rücken des Tiers. Sie blieben mitsamt der zähen Lederhaut, den Krallen und Knochen der Echse vom Festmahl des Hundes übrig. Hasket sammelt die Stacheln vorsichtig ein und verstaute sie in einem Säckchen aus einem schillernden Leder, das Joel schon mehrfach an seinem Gürtel gesehen und bewundert hatte.

Dann ging die Sonne unter und im nächsten Augenblick begriff Joel, was ihm seine Begleiter hinsichtlich der Nachtkälte im Sheenland erzählt hatten.

Es war, als würde man kristallenes Eis über einen ausschütten. Der Horizont im Westen glühte noch rot, da rollte die Kälte wie eine gigantische Woge über sie hinweg und es war eine vollkommen andere Art von Kälte, als Joel sie bis dahin erlebt hatte. Er kannte die klirrende Kälte am Fuß des Hiron – Gebirges und die heimtückische, weil kaum spürbare Kälte in den Nächten der Steppe, die ehemals Heimat der siebten Sippe gewesen war.

Die Kälte des Sheenlands war anders. Wie eine Art eisiger Staub legte sie sich auf die Haut und man hatte das Bedürfnis, sie einfach wegzuwischen, doch das ging leider nicht. Sie haftete an der Haut und nach wenigen Atemzügen begann man zu zittern. Joel ahnte, dass ein nackter oder nur wenig geschützter Mensch unter dieser Kälte in weniger als einer halben Nacht den Tod finden würde.

Ebenso wie Laakon und Hasket beeilte er sich deshalb, den schweren Ledermantel vom Sattel seines Hengstes zu lösen und ihn überzustreifen und freute sich an dem Gefühl der heimeligen Wärme, die sich sofort unter dem schwarzen Rindleder einstellte.

Laakon und Hasket aber begannen nun in fliegender Hast ihre Mulis zu satteln und drängten zum Aufbruch. Als sie auf ihren Reittieren saßen und in die klare Nacht hinaus zu reiten begannen, in die schwarzgelbe Welt des nächtlichen Sheenland, erklärte Hasket:

„Wir müssen uns bewegen und wir müssen darauf achten, dass wir die ganze Nacht in Bewegung bleiben, denn sonst frisst uns die Kälte auf. Du wirst in kurzer Zeit immer steifer und unbeweglicher und dann wirst du müde und schläfst ein. Das ist dann das Ende.“

„Verflucht sei Sheehano, dass er ein solches Land und eine solche Kälte erschaffen hat. Ich sehe keinen Sinn in der Existenz eines solchen Landes.“

„Darüber kannst du mit Axilara reden, wenn wir Oasa erreicht haben. Danach denkst du vielleicht anders. Ach ja, weißt du wie die Iboa diese Kälte nennen? Nein, du kannst es ja nicht wissen. Sie haben ihr den Namen „Bewahrer“ gegeben, denn wer in der Kälte der Nacht stirbt, verwest nicht sondern wird zur Mumie und seine Gesichtszüge sind noch in tausend Jahren zu erkennen.“

Joels Hengst blieb am Rand des Sandes stehen, ohne dass ihm sein Reiter das Signal dazu gegeben hätte und Joel ließ ihm diesen Ungehorsam anstandslos durchgehen, denn er verstand das Tier nur zu gut. Auch in seinem eigenen Innern schrillten die Alarmsignale. Wäre da nicht der Kangal gewesen, der bereits ein paar hundert Schritte voraus gelaufen war und nun wie eine goldene Silhouette auf dem Kamm einer Düne stand und ihnen lange entgegen sah, ehe er ein ermutigendes tiefes Gebell hören ließ, wahrscheinlich hätte er den Hengst gewendet und wäre in seine Heimat zurück gekehrt.

Dann aber tat der Hengst die entscheidenden Schritte und plötzlich wurde es auch Joel etwas leichter in der Brust. Er fügte sich in das Unvermeidliche und beschloss, so schnell wie möglich zu lernen, auch in einem solchen Land überleben zu können. Die ersten Schritte dazu waren bereits getan. Der Goldfalbe mochte die Datteln und der Kangal die großen Echsen, also mussten sie nicht verhungern. Joel konnte sich von beidem ernähren, von Datteln und dem Fleisch der Echsen, also blieb noch die Kunst, Wasser aufzuspüren und den tödlichen Gefahren der Sheenlandkreaturen aus dem Weg zu gehen, dann musste es zu schaffen sein. Ein Krieger und Kentaur, so beschloss Joel, konnte auch in Sheehanos Grenzen überleben.

Sie ritten die ganze Nacht und Joel konnte sich nicht erinnern, jemals einer derart unwirklichen Stille begegnet zu sein. Der schwarze Himmel spannte sich wie eine finstere Kuppel über die Sheenland, die Sterne schienen ihm viel näher zu sein und er hatte das Gefühl, als gäbe es auch sehr viel mehr Sterne als in der Steppe. Es war beinahe wieder Neumond und dennoch spendete die schmale Sichel des abnehmenden Mondes zusammen mit den Sternen Licht genug, dass man seinen Weg im Gelb des Sandes finden konnte. Das Sheenland war auch nicht eben, wie er zu Anfang gedacht hatte, der Sand hatte sich zu hohen Hügeln aufgetürmt und der unablässig wehende Wind veränderte die Form dieser Hügel ständig. Aber nicht nur ihre Form änderte sich, sondern auch ihr Standort. Wanderdünen nannte Joels Begleiter diese Sandhügel und erklärten ihm, dass es keinen Sinn machte, sie sich als Landmarken und Orientierungshilfen einzuprägen.

„Schau dorthin nach Osten, dann siehst du den Stamm eines abgestorbenen Baumes aus längst vergangenen Tagen. Ihn kannst du dir als Landmarke merken, denn er steht seit tausenden von Jahren dort und wird wohl auch noch in undenklicher Zukunft dort stehen. Er ist so alt, dass sein Holz zu Stein wurde und Wind und Sand, Kälte und Hitze ihm nicht mehr so viel anhaben können. Oder die Felsen dort vor uns. Jetzt sehen sie aus wie schwarze Kegel, doch bei Tag erkennst du, dass sie aus leuchtend rotem Stein sind. Auch sie kannst du dir als Landmarken einprägen. Doch niemals die Dünen.“

Später in der Nacht erreichten sie einen Bereich, in dem das Sheenland so flach war, wie der Fußboden eines Wagens und in einer seltsam grauen Farbe schimmerte.

„Solche Flächen musst du meiden, denn sie bedeuten einen schrecklichen und sehr langsamen Tod für jede Art des Lebens. Auch deinen Hund solltest du davon fernhalten, denn nur ein einziger Schritt in diese Fläche hinein bedeutet den Tod. Pass auf, was ich dir zeige.“

Hasket stieg von seinem Muli und hob einen faustgroßen Steinbrocken vom Boden auf. Mit einem kräftigen Schwung schleuderte er den Stein in die graue Fläche hinein. Joel traute seinen Augen kaum, als er sah, wie der Stein von der Fläche genauso schnell verschluckt wurde, als wäre er in Wasser gefallen. Es gab auch die nahezu selben Ringe auf der Oberfläche, wie wenn ein Gegenstand in Wasser fällt, nur das Platschen und Spritzen beim Aufschlag fehlte. Statt Spritzern aber stieg ein feiner Nebel an der Stelle auf, an welcher der Stein verschwunden war und hielt sich auch dann noch in der Luft, als sie schon mehr als die halbe Strecke entlang der grauen Fläche hinter sich gelassen hatten.

„Ein Asbestfeld. Niemand weiß, wie tief der Staub liegt, aber selbst ein Skorpion oder eine kleine Schlange würden dieses Feld niemals zu betreten versuchen. Sie würden verschlungen und nie mehr wieder auftauchen. Was der Staub verschlingt, gibt er nicht wieder frei. Doch nicht allein die Bodenlosigkeit des Staubes ist tödlich, auch der Staub selbst. Er steigt als feiner Nebel bei der geringsten Berührung auf und legt sich auf deine Atmungswege. Er dringt dir in Mund und Nase ein und verklebt deine Lungen. Er verursacht brennende Schmerzen und bist nach wenigen Augenblicken nicht mehr in der Lage zu atmen. Du erstickst jämmerlich.“

„Aber was geschieht, wenn Wind über diese Fläche streicht?“

„Nichts. Bei Wind bleibt der Staub liegen als wäre er aus massivem Fels. Selbst ein starker Sturm bewegt kein Körnchen an der Oberfläche dieses Asbestsumpfes. Hüte dich vor ihm besonders.“

Joel schüttelte sich innerlich und prägte sich die Merkmale ein, die ihm seine Begleiter als Warnhinweise nannten.

Ganz plötzlich und ohne die gewohnte Vorankündigung durch eine Dämmerung färbte sich der Himmel im Osten erst rosa, dann rot und Joels Begleiter lenkten ihre Mulis über einen Dünenkamm zu einem Haufen rotbrauner Felsen. Durch einen schmalen Spalt schlüpften sie zwischen die etwa vierzig oder auch fünfzig Fuß hoch aufragenden Steine und dann staunte Joel einmal mehr, denn eine andere Welt nahm sie auf.

Ein nahezu kreisrunder Platz, an dessen südlichem Rand eine kleine Quelle sprudelte, dichtes, sattgrünes Gras bedeckte den Boden und zwei schlanke Bäume ragten auf, unter deren Blätterkrone die grünen Früchte hingen, von denen man sich so hervorragend ernähren konnte. Dattelpalmen nannte Laakon sie. Innerhalb der Felsen war von der Eiseskälte der Nacht nichts mehr zu spüren. Es war angenehm, hier zu sein. Sie sattelten ihre Reittiere ab und der Goldfalbe drehte sich ein paar Mal im Kreis, untersuchte den Boden unter seinen Hufen und dann legte er sich nieder und wälzte sich genüsslich. Anschließend sprang er auf, schüttelte sich, trabte zu der Quelle, schnupperte kurz, dann tauchte er die Nase in das Wasser und begann in langen Zügen zu trinken. Die Mulis taten es ihm nach und auch der Kangal fand an dem Platz nichts auszusetzen, denn er hatte unmittelbar vor dem Zugangsspalt eine Beute – nach Haskets Auskunft ein Gürteltier - geschlagen, die er nun verzehrte.

Ein guter Platz, um den Tag zu verbringen.

Auch die drei Männer bereiteten sich aus Datteln und Dörrfleisch eine Mahlzeit zu, danach legten sie sich auf ihren Mänteln zu Boden, um den während der Nacht versäumten Schlaf nachzuholen. Sie konnten mühelos alle drei zugleich schlafen, denn auch hier zeigte sich der Kangal als ein wachsamer Hirte über seine Schutzbefohlenen….

Am Abend weckte Hasket sie lange genug vor Sonnenuntergang, dass sie noch etwas essen und sich am frischen Quellwasser satt trinken konnten, dann sattelten sie, legten ihre Mäntel um und setzten die Kapuzen auf. S vorbereitet bestiegen sie ihre Reittiere und kurz vor Sonnenuntergang führte Hasket sie durch den Spalt zwischen den Felsen wieder in die Sheenland hinaus.

Joel verschlug es den Atem, als sein Hengst den Schatten der Felsen hinter sich ließ. Auch der Hengst stieß ein überraschtes und irgendwie empört klingendes Schnauben aus, denn die Hitze sprang sie an, wie ein wütendes Tier. Wie schon die Kälte, so war auch die Hitze von völlig anderer Art, als diejenige, welche Joel aus der Steppe kannte. Selbst im heißesten Sommer war es in der Steppe niemals derart glühend, wie hier in der Unendlichkeit aus Sand und Stein. Sie waren nur wenige hundert Schritte aus dem Schatten ihres Tagesverstecks entfernt, als Joel bereits das Gefühl hatte, völlig ausgetrocknet zu sein und schon nach seinem Wasserschlauch greifen wollte, doch Haskets Hand legte sich auf seinen Arm und der Sheehanoa schüttelte den Kopf.

„Lass den Schlauch, es ist viel zu früh, um schon zu trinken. Wir müssen anfangen, unseren Körper an den Durst gewöhnen, denn von heute an werden wir neun Tage lang kein frisches Wasser mehr finden und der Inhalt unserer Schläuche muss so lange reichen.“

„Weshalb haben wir dann nicht noch ein wenig gewartet? Mussten wir bei dieser Glut bereits los reiten?“

„Ja, denn sieh genau hin und erkenne, die Sonne steht nur noch einen Fingerbreit über dem Horizont und ehe wird diesen Dünenkamm vor uns erreicht haben, hat uns die Kälte wieder. Dann ist es wichtig, dass wir bereits in Bewegung sind, denn nun sind wir wirklich in der Sheenland und es wird beträchtlich kälter werden, als in der vergangenen Nacht.“

Es kam, wie Hasket es angekündigt hatte. Kaum war die Sonne verschwunden, wurde aus der glühenden Hitze klirrende Kälte und Joel war froh, dass sie schon in Bewegung waren, denn bei dieser Kälte mit der Bewegung zu beginnen, wäre ihnen allen sehr schwer gefallen.

Wieder ritten sie die ganze Nacht und in dieser Nacht lernte Joel, wie man sich in der Sheenland orientieren konnte, auch wenn keine Landmarken als Hilfe zur Verfügung standen. Laakon erklärte ihm die Sternbilder und wie sie sich während der Nacht veränderten und Joel nahm alle Informationen auf wie ein Schwamm Wasser aufnimmt. Er lernte auch, die Geräusche des Sheenlands zu interpretieren, die sehr viel leiser waren, als die Geräusche der Steppe und dennoch war es auch in der Sheenland nie völlig still. Da war das leichte Knistern, das der vom Wind getriebene Sand auf den Dünen erzeugte, da waren kleine und kleinste Pfoten und Krallen, die sich im Sand bewegten und Geräusche hervorriefen. Er hörte das Fiepen von kleinen Nagern und lernte auf den nahezu lautlosen Flügelschlag von Eulen und Fledermäusen zu achten.

Es war, wie seine Begleiter es angekündigt hatten. Das Land Sheehanos lebte tatsächlich. Es lebte anders als Kaana, aber es war nicht tot.

Die nächsten Tage verbrachten sie im Schatten von kleinen Felsgruppen und als sie am siebten Tag einen solchen Schatten nicht erreichen konnten, steckten sie ihre Lanzen in den Sand und bauten aus ihren Mänteln ein Zelt, in dessen schwarzem Schatten sie den Tag überstanden. Joels Hengst lernte schon am zweiten Tag, sich während der Hitze zu den Menschen in den Schatten zu legen und bewegungslos den ganzen Tag liegen zu bleiben.

Joel war ohnehin über alle Maßen stolz auf seinen Goldfalben, denn das wundervolle Tier passte sich an das Leben in der Sheenland in einer Geschwindigkeit an, die verblüffend war. Morgens und abends zwei Hände voll süßer Datteln und er war zufrieden. Die Datteln, so erklärte es Laakon, speicherten die Flüssigkeit zusätzlich im Körper und verminderte den Durst. Sowohl der Hengst als auch Joel selbst benötigten nur einen kleinen Teil der Flüssigkeit, die sie normalerweise aufnahmen. Der Kangal dagegen war nahezu immer durstig, doch wie es sich für einen Beschützer der Herden gehörte, ignorierte er seinen Durst so lange, bis Joel ihn zu sich rief und ihm aus dem Schlauch ein paar Händevoll zu trinken gab.

Am Ende der neunten Nacht tauchten vor ihnen plötzlich die schwarzen Silhouetten von hohen Palmen auf, die sich im Sheenlandwind wiegten und sie hatten beinahe schon die große Wasserstelle erreicht, die eines ihrer Ziele gewesen war. Allerdings waren sie nicht die einzigen, die auf dem Weg zum Wasser waren. Östlich von ihnen stieg eine dünne Staubfahne im Licht des mittlerweile wieder zunehmenden Mondes auf, die sich erstaunlich schnell der Oase näherte. Viel schneller als sie sich selbst bewegten und Laakon begann leise vor sich hin zu fluchen.

„Gibt es ein Problem?“

„Siehst du, wie schnell sich der Staub dort bewegt? Dies ist der sichere Beweis dafür, dass sich unter dieser Staubfahne Iboa befinden, denn nur sie bewegen sich in solchem Tempo durch die Sheenland. Wir werden uns mit ihnen einigen müssen oder den Tag im Sheenland verbringen. Beides ist nicht wirklich einfach und angenehm.“

„Wie könnte eine solche Einigung aussehen?“

„Das hängt davon ab, zu wie vielen sie sind. Treffen wir nur auf wenige, mag es sein, dass wir mit ein paar Geschenken davon kommen. Sind es mehr als zehn, sollten allerdings wir besser in der Sheenland bleiben, bis sie weiter gezogen sind und das kann dauern. Das kann insbesondere dann dauern, wenn sie wissen, dass wir im Anmarsch sind.“

„Was schlägst du vor?“

„Zuerst müssen wir herausfinden, wie stark die Gruppe ist, danach entscheiden wir weiter.“

Ab sofort überquerten sie keinen Dünenkamm mehr, sondern bewegten sich in Schlangenlinien durch die Senken zwischen den Dünen. Sie ritten so langsam wie nur möglich, um jede Staubfahne zu vermeiden und schafften es so gerade noch vor Sonnenaufgang, in Sichtweite der Palmen und des Wassers zu gelangen.

Joel starrte auf einen geradezu paradiesischen Anblick. Ein Palmenhain umschloss einen tiefblauen See von mindestens dreihundert Schritten in der breiten und gut hundert Schritt in der schmalen Richtung. Unter den Palmen und am Seeufer stand das Gras fast so hoch, wie er es auf der Steppe gewohnt war, Buschwerk und kleinere Bäume gab es allenthalben und an den Bäumen hingen wundervoll leuchtende Früchte. Am Ufer des Sees, unmittelbar vor ihnen standen sieben Pferde bis zu den Bäuchen im Wasser und ebenso viele Menschen tobten sich lachend und planschend und splitternackt im seichten Wasser am Ufer des Sees aus. Joel erkannte zwei Männer und fünf Frauen und sie alle hatten eine erheblich dunklere Haut, als die Kaananiten und doch waren sie bei weitem nicht so schwarz wie zum Beispiel die Numa. Schlanke Menschen mit schwarzem Haar, in das sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen, dünne, wie Gold glitzernde Fäden eingeflochten waren. Menschen, Männer wie Frauen, mit starken, drahtigen Muskeln und geschmeidigen Bewegungen und trotz ihrer Nacktheit waren sie alle bewaffnet. An goldenen Armreifen waren Scheiden mit schmalen Dolchen befestigt und auch um die Hüften trugen sie goldene Bänder an denen lange, schmale Klingen zu sehen waren.

Krieger wie die Steppenreiter, mit dem Unterschied, dass auch die Frauen Waffen trugen und auf Pferden ritten?

Joel beobachtete aufmerksam, dann wandte er sich an seine Begleiter und meinte:

„Sie sind nur sieben, wir sollten ebenfalls zum Wasser gehen. Unsere Tiere haben Hunger und Durst und ich sehe keinen Grund, weshalb wir hier wie Feiglinge liegen und warten sollten, bis diese Iboa sich genug im Wasser vergnügt haben.“

Laakon und Hasket sahen den jungen Krieger entsetzt an, dann fragte Hasket leise:

„Du hast noch nie mit Iboa zu tun gehabt? Nun, dann kannst du es nicht wissen, aber diese sieben sind so gefährlich und tödlich wie sieben Mambas. Sie sehen im Augenblick zwar harmlos aus, aber sie verwandeln sich innerhalb eines Lidschlages in mörderische Feinde, die weder Gnade noch Kompromisse kennen. Wir werden gegen sie kämpfen müssen, sobald sie uns sehen, denn bei sieben zu drei sind sie die vorhersehbaren Sieger.“

„Ich habe noch nie gegen Iboa gekämpft. Doch ihr scheint Erfahrung mit ihnen zu haben?“

„Auch wir haben noch nicht gegen sie gekämpft, denn wir sind friedliebende Menschen. Wir kenne aber die Geschichten, die man sich über die Iboa erzählt und die genügen.“

„Geschichten? Ihr fürchtet euch vor Geschichten? Nun, dann sollte ich vielleicht besser wieder umkehren und meinen Ältesten berichten, dass wir uns in unseren Verwandten getäuscht haben. Wie wollt ihr mit uns für eine bessere Zukunft kämpfen, wenn ihr euch vor Geschichten fürchtet?“

Joels Stimme troff nur so vor Hohn und Spott und er tat, als wollte er seinen Hengst umdrehen, als vom See her laute Rufe ertönten, die Männer und Frauen rannten aus dem Wasser, sprangen wie Katzen auf ihre kleinen Pferde und rasten in gestrecktem Galopp auf sie zu. Einer von ihnen hatte die Bewegung entdeckt, mit der Joel seinen Hengst wenden wollte und genau das war auch Joels Absicht gewesen, denn jetzt waren die Gesetze der Handlung verändert, jetzt gab es kein Zaudern und Debattieren mehr.

Der Goldfalbe kreiselte herum, Joel lenkte ihn mit den Schenkeln auf die heran stürmenden Iboa zu und löste zugleich mit einer Hand die Nagaika vom Sattelhaken. Die Lanze ließ er an ihrem Platz im Köcher, auch den runden Schild ließ er hängen wo er war. Dann hatte er den Schatten der Palmen erreicht und brachte seinen Hengst zum Stehen. Er war im nächsten Moment von sieben kleinen, drahtigen aber hübsch anzusehenden Pferdchen umringt, sieben schwarz glühende Augenpaare waren auf ihn gerichtet und die Reiter hatten ihre Pferdchen nur unwesentlich weniger gut unter Kontrolle, als Joel seinen Hengst.

Joel ließ seine Blicke über die Iboa wandern und sah vier rein weiße Pferde und drei die von einem solch hellen Falbton waren, dass sie ebenfalls fast weiß wirkten. Die Pferde erinnerten ihn tatsächlich an die Gazellen der Steppe, so zierlich und feingliedrig erschienen sie ihm, doch ihre Hälse waren muskulös, die Kruppen rund und fest und er sah tatsächlich recht ansehnliche Kleinausgaben, der Steppenpferde.

Die Reiter auf den Pferden passten zu diesen.

Keiner der Reiter erreichte die Größe Joels, obwohl dieser noch nicht ausgewachsen war. Sie waren, wie er zuvor schon gesehen hatte, drahtig und schlank, doch sie alle hatten die Muskeln von Kriegern. Da sie nackt auf ihren Pferdchen hockten und immer noch vor Nässe tropften, sahen sie allerdings eher lustig als gefährlich aus. Außerdem waren die fünf jungen Frauen von einer Art, die bei Joel ein wohlbekanntes Ziehen im Lendenbereich auslöste. Er hatte dieses Ziehen schon mehrfach erlebt und auf dem letzten Sommertreffen die Ursache herausgefunden und auch das Gegenmittel dafür entdeckt.

Die Iboa starrten Joel nicht weniger intensiv und wissbegierig an, als dieser sie. Auch die Pferde musterten einander und nahmen Witterung auf und dann geschah, was oft genug im Leben geschieht. Natürliche Reaktionen, die aber Handlungen auslöste, die so vielleicht gar nicht gewollt waren.

Unter den kleinen Pferden der Iboa waren zwei Hengste und diese erkannten, was sich ihnen da in den Weg gestellt hatte. Einen solchen Konkurrenten hatten sie nie zuvor erlebt und es war einfach ein Naturinstinkt, der sie diesen vergleichsweise riesenhaften Eindringling hassen ließ und den Kampf befahlen. Sie begannen zu stampfen, zu steigen und herausfordernd zu wiehern und waren drauf und dran, sich der Kontrolle ihrer Reiter zu entziehen und sich auf den Fremden zu stürzen. Vor allem, weil zwei der Stuten plötzlich zu tänzeln begannen und deutliches Interesse an dem fremden Hengst zeigten. Auch der Goldfalbe kannte sich mit Stuten aus und zwischen seinen Hinterbeinen zuckte plötzlich ein mächtiges, schwarzes Glied, das jeden anderen Hengst wissen ließ, wie minderwertig er doch eigentlich war. Er wölbte den Hals auf, seine Nüstern blähten sich und wenn Joel es zugelassen hätte, er wäre wie ein schweres Gewitter, wie eine Urgewalt über die beiden kleinen Hengste herein gebrochen.

Joels Hengst war auch ohne solches Imponiergehabe eine Augenweide für jeden Reiter, doch in dem Augenblick, da er sich von seiner beeindruckendsten Seite zeigte, flackerte in sieben Augenpaaren die Habgier auf und ein Kampf war eigentlich nicht mehr vermeidbar.

Erstaunlicherweise war es dann eine der Frauen, die den Streit eröffnete. Sie ritt einen der beiden kleinen Hengste, einen Schimmel, die sich wie rasend gebärdeten und sie musste schreien, um sich über das Gewieher ihres Pferdes hinaus verständlich machen zu können.

„Wenn du von deinem Hengst absteigst und ihn mir an die Hand gibst, kommst du vielleicht mir dem Leben davon, Fremder!“

Joel ließ ein geringschätziges Lachen hören und antwortete:

„Mädchen, dies ist der Hengst eines Kriegers und nicht das Spielzeug einer Frau. Was wolltest du mit einem solchen Pferd anfangen?“

Die Wut, die auf diese Provokation in den Augen der Frau aufblitzte war grenzenlos. Ihre Schenkel pressten sich an die Flanken ihres eigenen Hengstes und wollte ihn zu einer wilden Attacke vorwärts springen lassen, doch das Tier war so außer Rand und Band, dass es die Hilfen seiner Reiterin ignorierte und eigenmächtig handeln wollte. Joels Hengst stand immer noch wie eine Statue, nur das blasige Geräusch seiner Nüstern und das auf und ab zuckende Glied unter seinem Leib ließen erkennen, dass er ein lebendes Tier war. Joel aber hob nun die linke Hand und rief der Reiterin zu:

„Bezähme deinen Zorn, Frau und verzeih mir meine frechen Worte. Ich will keinen Streit mit euch und ihr solltet euch auf keinen Kampf einlassen, den ihr kaum gewinnen könnt. Lass uns reden und ich denke, die Welt ist groß genug für uns alle.“

Die Frau hatte ihren Schimmel mittlerweile wieder besser unter Kontrolle und so antwortete sie mit etwas ruhigerer Stimme und dennoch unversöhnlichem Ton:

„Die Welt ist niemals groß genug für uns und deinesgleichen, Steppenreiter. Was immer dich in die Sheenlande geführt hat, du wirst es gleich bereuen und es wird die letzte Reue deines Lebens sein. Wir Iboa reden nicht mit Steppenreitern, wir töten sie!“

Jetzt gehorchte der Schimmelhengst ihren Schenkeln, sie riss eines der langen Messer aus ihrem Gürtel, ihr Hengst tat einen mächtigen Satz nach vorne und der Kampf war eröffnet.

Es wurde ein kurzer Kampf und am Ende für die Iboa eine schreckliche Niederlage. Der Goldfalbe erwachte aus seiner Erstarrung und wurde zu einem Vulkan. Mitten in die Vorwärtsbewegung des Schimmels hinein rammte die mächtige Schulter des Steppenhengstes den viel kleineren Kontrahenten und warf ihn einfach um. Stahlharte Hufe krachten herunter und einen Augenblick später war aus dem einstmals hübschen Kopf eines kleinen, weißen Hengstes eine blutige, breiige Masse geworden.

Auch die Reiterin überlebte den Gegenangriff Joels nicht.

Der Zusammenprall der Pferde hatte sie vom Rücken ihres Hengstes gefegt und im selben Moment, da sie wieder aufspringen und vielleicht ihr Messer werfen wollte, zischte etwas langes, dünnes wie eine tödliche Schlange auf sie zu, am Ende dieser Schlange blitzte es silbern auf und dann wurde es schwarz um die Frau, ihr Leben war zu Ende.

Der Goldfalbe aber drehte sich in aberwitziger Geschwindigkeit im Kreis, die blitzende Schlange folgte ihm und in weniger als fünf Atemzügen lagen vier weitere Menschen, die gerade noch bereit und im Begriff gewesen waren zu töten, selbst tot auf dem Boden und ihre Pferde jagten bockend und in tödlicher Panik davon.

Nur zwei der Iboa überlebten die Entfesselung eines Orkans und hielten ihre Pferde am Zaum, starrten mit vor Todesangst weit aufgerissenen Augen auf den fremden Krieger, seinen mächtigen Hengst und die Leichen ihrer Gefährten, dann wollten sie ihre Pferde herum reißen und flüchten, doch die helle Stimme des fremden Kriegers stoppte sie.

„Ihr könnt davon laufen, wenn ihr wollt, doch ich garantiere euch ihr kommt nicht weit. Bleibt stehen, redet mit mir und wir werden einen Weg finden, der in eine Zukunft führt.“

Die beiden Reiter blieben stehen, als wären ihre Pferde gegen eine Wand gelaufen. Allerdings nicht wegen Joels Worten, sondern weil vor ihnen wie aus dem Nichts eine lohfarbene Bestie aufgetaucht war, die mit gefletschten Zähnen und in angriffsbereiter Pose auf sie lauerte und in den Augen dieser Bestie sahen die beiden nichts anderes als den eigenen Tod.

Laakon und Hasket war es gelungen, die geflohenen Pferde der toten Iboa einzufangen. Nun standen sie alle sieben in einer Reihe an einem Lederseil, das Laakon zwischen zwei Palmen gespannt hatte und fünf von ihnen nagten mit hängenden Köpfen und lustlos am Gras zu ihren Füßen. Joel ahnte, dass die Pferdchen um ihre Reiter trauerten und auch er selbst war nicht gerade glücklich über seinen Sieg, denn er wusste, dass nicht mehr an dieser Begegnung hätte schief gehen können, als es der Fall gewesen war.

Hasket hatte ein kleines Feuer angezündet und mit geschickter Hand eine Angelrute gebastelt, nun brieten ein halbes Dutzend recht ordentlich großer Fische an Stöcken über der Glut und ein köstlicher Duft stieg den Menschen in die Nase. Joel saß seinen beiden Gefangenen gegenüber und obwohl er ihnen erlaubt hatte, sich zum Schutz vor der Hitze ihre weiten, dunkelblauen und schwarzen Gewänder überzuziehen, erinnerte er sich nur zu gut daran, was unter diesen Gewändern verborgen war:

Zwei wirklich bildschöne junge Frauen, kaum älter als er selbst, eher sogar noch ein wenig jünger, aber reif und voll entwickelt und Joel kam innerlich kaum zur Ruhe, weil er die Bilder der nackten Körper der beiden einfach nicht aus dem Kopf bekam. Dennoch schaffte er es, mit den beiden über die Situation zu sprechen.

„Ich schwöre es euch, ich wollte keinen Streit und keinen Kampf. Ich bin Krieger und wie ihr richtig erkannt habt stamme ich aus der Steppe. Ich bin seit vielen Tagen und Nächten in diesem mir fremden Land unterwegs und die Aussicht, jetzt und heute in der Hitze des Sheenlands bleiben zu müssen, während es hier kühlen Schatten und frisches Wasser im Überfluss gibt, hat mich bewogen, den Kontakt zu euch zu suchen. Das letzte was ich wollte, war ein Kampf, doch wer einem Steppenreiter einen Kampf aufzwingt, muss akzeptieren, dass er unterliegen kann.

Ich will immer noch keinen Streit mit eurem Volk. Wie also können wir aus dieser Situation wieder herausfinden?“

Die beiden Iboa starrten Joel an, als hätte dieser den Verstand verloren und es ihnen gerade eben offenbart, dann antwortete diejenige der beiden, die ebenfalls auf einem Hengst gesessen hatte:

„Wer oder was bist du, Steppenreiter, dass du von uns einen Ausweg aus einer Situation verlangst, aus der es keinen Ausweg gibt?

Du hast fünf von uns getötet und ihre Leichen liegen dort draußen im Sand, wo sich die Ameisen und Sandkäfer ein Festmahl aus ihnen bereiten und dennoch verlangst du einen Ausweg?

Ein Ausweg wäre gewesen, von deinem Hengst zu steigen, ihn meiner Schwester als Geschenk zu überlassen und zu hoffen, dass du mit dem Leben davon kommst, doch so?

Nein, ich sehe keinen Ausweg.

Mein Stamm wird dich jagen, wohin dein Weg dich auch führt und es wird keine Ruhe zwischen uns geben, ehe dein Kopf nicht vor meinen Füßen liegt.“

Nun war es an Joel, zu staunen und an der geistigen Gesundheit der Frau zu zweifeln, die ihm derart unversöhnlich gegenüber stand. Er brauchte tatsächlich ein paar Atemzüge lang, um diese Antworten zu verdauen, dann erwiderte er:

„Du fragst, wer oder was ich bin? Nun ich will es dir sagen. Ich bin Joel, sechster Sohn des Kazar, der Ältester der vierten Sippe ist und in ein oder zwei Jahren der oberste Kriegsherr des Volkes Kaana sein wird.

Ich bin der jüngste Kentaur, den es je im Volk gegeben hat und ich bin bei weitem der jüngste König der Lanzenreiter im Volk. Damit nicht genug habe ich im vergangen Sommer, als ich noch nicht sechzehn Jahre alt war, das Bus-Ka-Shi gewonnen die Zahl meiner Feinde, die ich getötet habe übersteigt vielleicht die Anzahl der Köpfe eures Stammes.

Nun weißt du also, wer ich bin. Ich will dir aber auch nicht verschweigen was ich bin.

In erster Linie bin ich ein vernünftiger Mann. Ich denke für gewöhnlich schneller, als ich handle, doch wenn man mich zum Handeln zwingt, geht auch das sehr schnell, wie ihr erlebt habt. Ich bin derjenige unter den Kaana, dem man nachsagt, dass er die größte Offenheit für Neuerungen und Veränderungen besitzt und meine Mission ist es, eine solche Veränderung abseits aller Traditionen in die Wege zu leiten.

Nun wisst ihr auch was ich bin, doch ich will euch noch etwas nicht verschweigen.

Was immer ihr seid, niemand wird jemals erfahren, dass wir uns begegnet sind, wenn wir uns nicht zu einem gemeinsamen und vernünftigen Weg zusammenfinden.

Ich versichere euch, ich habe keine Hemmungen, euch ebenfalls an die Ameisen und Sandkäfer oder, wenn euch das lieber sein sollte, auch an meinen Kangal zu verfüttern, wenn es sicherstellt, dass meine Mission dadurch nicht gefährdet wird.

Also frage ich jetzt noch einmal:

Gibt es einen Weg der Vernunft, auf dem euer Stamm und ich uns in Zukunft bewegen können?“

Die beiden Iboa sahen betreten zu Boden. Ein Mensch wie Joel war ihnen offenbar noch nie zuvor begegnet. Sie schwiegen lange und Joel ließ ihnen alle Zeit, die sie brauchten. Dann begann die Sprecherin von zuvor wieder zu reden.

„Ich bin Syrania, die Anführerin des zweiten Stammes der Iboa im Sheenland von Zeparana. Dies hier ist meine Schwester Caliada und drei weitere meiner Schwestern sowie zwei meiner Brüder hast du getötet.

Du hast aus einer starken und stolzen Familie in wenigen Atemzügen ein Nichts gemacht und du fragst, welchen Ausweg es aus dieser Situation geben könnte? Der zweite Stamm hat an einem einzigen Tag jeden Menschen verloren, der ihn zu leiten und zu führen fähig war und du fragst, welchen Ausweg es aus dieser Situation geben könnte?

Nun, es gibt einen Ausweg. Einen einzigen Ausweg.

Du nimmst uns als deine Gefangenen mit und sorgst für uns, denn unser Stamm wird tot sein, noch ehe dieser Tag vorüber ist. Du wirst uns bis an dein Lebensende um dich haben und du wirst nie sicher sein, ob dein Leben von langer oder kurzer Dauer sein wird, denn wir beide, Caliada und ich, werden nicht eher ruhen, bis der Tod unseres Stammes gerächt ist.“

Joel schüttelte den Kopf und erwiderte:

„Irgendwie verstehe ich euch nicht. Meine Sippe wurde vor zehn Jahren von einem Steppenfeuer bis auf einen einzigen Mann und seine fünf Gefährtinnen vernichtet. Heute aber, zehn Jahre später, ist die vierte Sippe mächtiger und bedeutender als je zuvor. Weshalb gebt ihr die Hoffnung auf?“

Wieder dauerte es lange, bis Joel eine Antwort erhielt. Diesmal jedoch war Caliada die Sprecherin.

„Meine Schwester scheut sich es zu sagen, deshalb werde ich es tun. Der zweite Stamm ist bereits tot. Was du vernichtet hast, war der hoffnungsvolle Beginn eines neuen Lebens im Sheenland. Wir haben uns vor wenigen Wochen von einem Stamm getrennt, der die Sheenlande weiter westlich von hier beherrscht und wir wollten, abseits von deren verkrusteten Strukturen und überholten Überlieferungen einen neuen Stamm gründen. Zwei Hengste und fünf Stuten sollten die Basis für unsere Pferdezucht bilden und ebenso wollten wir es mit dem Nachwuchs unter den Menschen halten.

Du hast nicht nur fünf Menschen getötet, du hast eine Idee ermordet.“

„Es mag sein und es tut mir unendlich leid, doch auch ich bin Träger einer Idee und diese Idee ist viel weit reichender in ihren Auswirkungen, als ihr es euch vielleicht vorstellen könnt.“

Joel erzählte den beiden Frauen alles, was er ohne Schaden für das Volk und seinen Plan erzählen konnte und am Ende schlug er vor:

„Ihr seid Iboa. Kommt mit mir, lernt das Volk Kaana kennen und wer weiß, vielleicht gelingt es uns auch einen Frieden zwischen unseren Völkern herzustellen. Wir leiden immer wieder unter Angriffen der Iboa und unser oberster Kriegsherr führt immer wieder unsere Reiter zu Racheakten gegen die Iboa. Das muss nicht sein. Helft mir, unter uns einen Weg des Friedens zu finden, denn was immer wir tun, es bleiben uns Feinde genug. Surbana und Shangtzu werden kein Interesse haben, mit den Nomaden der Steppe und der Sheenland in Frieden zu leben.“

Syrania sah den jungen Krieger aus halb geschlossenen Augenlidern an, dann sickerte es plötzlich feucht und glitzernd unter den langen, schwarzen Wimpern hervor und die junge Frau begann zu schluchzen. Sie lehnte sich an ihre Schwester, die beiden umarmten sich und versuchten einander Trost zu spenden und gemeinsam ließen sie sich zu Boden sinken und weinten sich in einen Schlaf der Erschöpfung. Auch Joel, Laakon und Hasket brauchten den Schlaf, doch keiner von ihnen war so vermessen, in dieser Situation allein auf den Schutz des Kangals zu vertrauen. So schliefen immer nur zwei von ihnen, der dritte aber hielt Wache.

Am Abend beschloss Joel, dass sie eine Nacht und einen weiteren Tag an der großen Wasserstelle verbringen wollten. Zehn Tage hatten sie für diesen Teil ihrer Reise geplant gehabt aber nur neun hatten sie gebraucht, als konnten sie einen Tag Rast einlegen, was allen, den Menschen so gut wie den Tieren nicht schaden konnte. Außerdem musste mit den beiden Frauen noch eine Einigung hergestellt werden, wie es weitergehen sollte.

„Könntest du die beiden tatsächlich töten?“

Laakon sah Joel mit großen Augen an, denn er geriet immer noch durcheinander, wenn er den Krieger Joel mit dem Menschen verglich, den er glaubte als Freund gewonnen zu haben.

„Ich würde es nicht gerne tun, doch wenn es sich nicht vermeiden lässt, muss ich es vielleicht tun.

Mein Volk zählt mehr als meine Wünsche. Für mein Volk würde ich auch dich und Hasket töten, auch den Kangal und sogar meinen Hengst.

Wenn mein Plan nicht gelingt, führt Chamjak das Volk Kaana noch vor Ende seiner Zeit als oberster Kriegsherr in eine Schlacht gegen die Städte und diese Schlacht können wir nicht gewinnen. Die Städte werden uns einfach mit ihren Menschenmassen zerquetschen und Kaana wird sterben.“

„Vielleicht wäre das die beste aller Lösungen.“

Syrania war ebenfalls wach geworden, hatte sich aufgesetzt und das Gespräch zwischen Joel und Laakon mit angehört.

„Was weißt du über Kaana, dass du es so hassenswert findest? Warst du jemals dort?“

„Nein, ich kenne die Steppe nur als den Ort, von dem alles Böse dieser Welt stammt. Unsere Ältesten und die Priester sagen es wieder und immer wieder, Kaana ist daran schuld, dass Sheehanos Land verdorrt und erfriert zugleich, denn Kaana besitzt das Wasser und die Kraft des Lebens und ist nicht bereit diese Besitztümer mit anderen Menschen zu teilen.“

„Ihr habt Priester? Ihr habt Älteste? Und sie alle erzählen solchen Unsinn? Dann wird es Zeit, dass ich dir ein wenig über Kaana und die Kraft des Lebens erzähle und glaube mir, es ist mir einerlei, ob du meine Anhängerin wirst oder nicht, denn ich bin kein Priester. Setz dich zu mir. Nein, halt. Wecke erst deine Schwester und dann setzt euch beide zu mir, damit ich nicht zweimal erzählen muss.“

Syrania tat, was Joel ihr vorgeschlagen hatte und dann saßen sie alle gemeinsam am Feuer und Joel hatte die Beine untergekreuzt, entspannt und gelassen saß er auf dem Boden und erzählte die Geschichte Kaanas, wie er sie erlebt und verstanden hatte.

Er erzählte bis tief in die Nacht hinein und ohne jemals unterbrochen zu werden. Nur einmal kam es zu einer kleinen Störung, als der Kangal plötzlich die Ohren spitzte und in die Nacht hinaus witterte. Joel legte ihm die Hand auf den Nacken und sofort beruhigte sich der Hund wieder, legte sich auf den Boden und starrte genauso gedankenverloren ins Feuer wie die vier Menschen, die zunehmend in den Bann von Joels Geschichte gerieten. Erst lange nach Mitternacht war die Geschichte zu Ende und Joel erhob sich aus seiner ungewohnten Stellung, er dehnte sich, er streckte seine Glieder, lockerte sich, dann hob er wie in Gedanken die Nagaika von seinem Sattel auf, ehe er sich in die Dunkelheit wandte und leise dort hinaus sprach:

„Du hättest es längst viel bequemer haben können, Frau mit dem weißen Haar. Willst du wenigstens jetzt an unser Feuer kommen, da meine Geschichte zu Ende erzählt ist?“

Syrania und Caliada, Laakon und Hasket saßen wie vom Donner gerührt am Feuer und verstanden nicht eines von Joels Worten, doch dann bewegte sich etwas am Rande eines großen Buschs, kaum zehn Schritte von ihrem Feuer entfernt und eine groß gewachsene, schlanke Frau mit schlohweißem, offen getragenem Haar, das bis weit über die Mitte ihrer Oberschenkel herunter reichte. Sie war mit einem grauen Mantel über einem fahlgelben Kleid bekleidet und trat nun langsam und zögernd aus der Dunkelheit heraus in den Kreis des Lichts. An ihrer Seite lief der Kangal und ließ keinen Zweifel daran, dass er darauf bestand, die Frau bis zum Feuer zu begleiten.

Laakon und Hasket standen mit offenen Mündern da und starrten der Frau entgegen, dann murmelte Laakon:

„Axilara? Weise Frau, wie kommst du hierher?“

Die Frau lächelte nur, trat endgültig an das Feuer heran, setzte sich zwischen Laakon und Hasket auf den Boden, dann fragte sie Joel:

„Bin ich jetzt ebenfalls deine Gefangene?“

„Wenn die Männer, die dort draußen lauern damit einverstanden sind, ja. Wenn nicht, werde ich dich wohl als Gast behandeln müssen, obwohl Gäste sich normalerweise anders verhalten als du.“

„Du scheinst die Augen einer Katze oder einer Eule zu haben, junger Mann. Deshalb sei so gut und behandle mich als Gast. Doch sag mir, was habe ich falsch gemacht?“

„Du? Du nichts, aber deine Männer. Sie sind mehr Jäger als Krieger. Dreh dich um und sieh hinaus in die Sheenland, dann weißt du was ich meine.“

Axilara, aber auch Syrania, Caliada und die beiden Sheehanoa sahen sich um, sie alle wollten herausfinden, was Joel gemeint hatte und als sie genau hinsahen, konnten sie es ebenfalls sehen. Vor dem hellen Hintergrund des Sheenlands konnte man mühelos ungefähr drei Dutzend dunkler Silhouetten erkennen, die lange Stäbe mit rötlich blinkenden Spitzen in ihren Händen hielten.

Kaana

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