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2 PERSÖNLICHER HINTERGRUND

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Der Moment war nun da, nach dem man sich so gesehnt und den man gleichzeitig auch so gefürchtet hatte. Fünfzig Jahre später ist es nicht einfach, sich wirklich der Gedanken und Gefühle jener Zeit zu erinnern, vieles habe ich vergessen, manches wurde durch spätere Ansichten und Einsichten verdrängt. Doch will ich versuchen, meinen Erinnerungen Relief zu verleihen und so ein wirklichkeitsnahes Bild von mir selbst zur Zeit des Umbruchs zu erhalten.

Während der ersten drei Schuljahre versuchte Frl. Kraus mit Schilddrüsenüberfunktion uns Dorfkindern verschiedenen Alters Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen, dem keine Prise politischer Beeinflussung beigemischt war. Auf dem Schulweg jedoch las ich öfters in einem Aushängekasten den Stürmer, der durch Julius Streicher, dem Gauleiter von Franken und neben Hitler dem größten Judenhasser Deutschlands, herausgegeben wurde. Da war die Rede von dem Weltherrschaftsstreben der Juden, von Plutokratie und Bolschewismus und man sah die furchterregenden Visagen, die alle Deutschlands Untergang wollten.

Aufgewühlt ging ich dann nach Hause und wusste nicht, was ich davon denken sollte, aber der Gedanke kam nicht in mir auf, mit meinen Eltern darüber zu sprechen, ihre Meinung zu erfragen und mir Kind in einfachen Worten die Hintergründe dieser Propaganda erklären zu lassen, als Basis späteren selbständigen Denkens und Urteilens. Es lag nicht an der geistigen Beschränktheit meines Vaters, er war kein Antisemit, denn er gab einer jüdischen Firma in 1930 den Vorzug bei der Suche nach Arbeit. Auch hatte er bei den letzten freien Wahlen 1932 die Zentrum-Partei gewählt, das heißt seine konservativ-katholische Überzeugung bezeugt. Seine Farbe in der politischen Landschaft war also schwarz und nicht braun. Rein instinktiv hätte es mir also leicht fallen müssen, mit ihm über die Streicher-Propaganda zu reden, aber sein introvertierter Charakter bildete eine Hürde, welche zusammen mit der Art, wie wir vier Kinder erzogen wurden, unüberwindlich groß war. Unsere Erziehung erschöpfte sich hauptsächlich darin, dass wir Kinder den Auffassungen unserer Eltern von Pflicht, Fleiß, Respekt, Gehorsam, Ehrlichkeit, Gottesfurcht, Sauberkeit, „frischer Luft“ und guter Schulbildung nachkommen mussten. Der ausschließliche Nachdruck, der auf Form gelegt wurde, führte zu einem vereinsamenden Innenleben, das mehr und mehr durch Tabus abgeschottet wurde.

Im Alter von zehn bis vierzehn Jahren war ich, so wie alle Jungen, Angehöriger des Jungvolks, einer nationalsozialistischen Jugendorganisation. Von den Zusammenkünften im Dorf erinnere ich mich eigentlich nur an das Abenteuerliche, an eine Gemeinschaft, die mich heute noch mehr an eine Pfandfinderorganisation denken lässt als an ein Erziehungsinstrument der Nazi-Ideologie.

Die Inhaber der Firma, bei der mein Vater arbeitete, waren schon lange nach ihrer Emigration nach England durch einen Bevollmächtigten ersetzt worden, als am Tage nach der Kristallnacht diese in fetten Schlagzeilen in den Zeitungen breitgetreten wurde und die moralische Entrüstung in dem Ausruf „Ach, wie schrecklich!“ steckenblieb.

Durch den Umzug unserer Familie nach Berlin Ostern 1939 änderte sich vieles schlagartig für mich. Der Einfluss der Metropole machte sich bemerkbar: in der schnellen, offenen Art der Berliner, mit ihrer kritischen Zunge und hauptsächlich sozialdemokratischen Einstellung, in der Ausstrahlung von Macht in geographischer Nähe der Vielzahl von Ministerien, der Reichskanzlei und den damit zusammenhängenden öffentlichen Kundgebungen und den Reden Hitlers und in der neuen Schule mit seinen viel höheren intellektuellen Anforderungen. Die hier stattfindenden Zusammenkünfte von uns Pimpfen des Jungvolks hatten für mich ihren Reiz verloren. Exerzieren und Liedersingen waren für mich kein Zeitvertreib und sicher nicht bei allmählich erwachender Pubertät.

Wie bei jedem von uns änderten sich in dieser Lebensphase meine Interessen und mein Lebensgefühl. Jetzt wollte ich nicht so sehr vor den Lehrern, sondern vor meinen Klassenkameraden auffallen, unter denen ich einige zu meinen Freunden rechnen wollte. Einerseits wollte ich einer kleinen, die Meinung und Stimmung beherrschenden Gruppe angehören und in ihr aufgehen und andererseits mir aber den Raum im unabhängigen Denken verschaffen, den ich so nötig brauchte und der mich dann aber wieder in Konflikt mit der Gruppe brachte. Nun waren die ersten Schritte im selbständigen Denken in manchen Schulfächern viel einfacher als die Grundsteinlegung im geschichtlich-politischen und philosophischen Raum war. Im Allgemeinen sind nicht die Eltern, aber doch Ältere, also Lehrer und die Eltern von Freunden die Leitenden in diesen schwierigen Anfängen, die sich aber weder in der Öffentlichkeit noch privat getraut haben, uns den Weg zu weisen, ganz abgesehen von den Eltern, welche durch ihre berufliche Position ohnehin kompromittiert waren.

Das ist heute leicht zu sagen, aber damals ahnte ich es nur nach und nach. Ein weiterer Aspekt bei der Beurteilung dieser Periode ist die Ursache des Aufbegehrens: war es pubertärer Art oder eine geistig begründete Absage an herrschende Macht und Gesetz. Eine solche Beurteilung überlasse ich dem Leser.

Am 1. September 1939 kündigte Hitler während einer Rede in der Kroll-Oper den Krieg gegen Polen an, wobei ich mich noch immer an seine überschlagende Stimme erinnere, mit der er sich rechtfertigen und der Welt drohen wollte. Gerade dreizehn geworden, nahm ich ihm seine fadenscheinigen Kriegsgründe schon nicht mehr ab und bekam bange Vorgefühle über seinen Ausgang. Vorläufig aber war man wenig später sehr eingenommen mit den Erfolgen des Blitzkrieges, auch ich mitsamt meinen Freunden und Schulkameraden.

Erste Regungen wirklicher Abneigung gegen das System wurden im Verlauf der Kinderlandverschickung wach. Das Abenteuerliche unseres Lebens während der ersten Wochen machte allmählich einer wachsenden Abkehr von sinnlosem Zwang Platz. Wie bereits kurz erwähnt, entpuppte sich die ursprüngliche Freiwilligkeit von uns Herder-Oberschülern im Alter von zehn bis vierzehn Jahren als eine nicht vermutete Verpflichtung, für lange Zeit ein Lagerleben führen zu müssen. Zwar standen wir unter der Aufsicht und waren in Begleitung von einigen Lehrern, aber wer hätte vermuten können, dass unser Latein-Lehrer Leeg mitsamt einem etwa achtzehn Jahre alten pockennarbigen Hitlerjugend-Führer mir das Leben so sauer machen würde. Meine Briefe wurden zensiert, die Hecke um den Park des Landgutes war die Grenze zur verbotenen Außenwelt und die Zeit tagsüber war gemäß den Befehlen und Wünschen der Lagerleitung eingeteilt. Begrüßung der Fahne geschah am Morgen noch vor dem Frühstück, dann Schulunterricht, Mittagessen und anschließend Ruhe. Der weitere Nachmittag wurde mit Hausaufgaben und Freizeitstunde ausgefüllt, bis die Brotmahlzeit den Auftakt zum Heimabend bildete, dessen Verlauf HJ-Führer Schulz bestimmte: neue und alte Lieder wurden geprobt und gesungen und zur Abwechslung von Tapferkeit, Treu und Kameradschaft handelnde Geschichten vorgelesen, jeden Abend außer Sonntag. Anschließend Zähne putzen, dann ins Bett und Maul halten. Wer wird bei solchem Zwang nicht rebellisch? Nicht nur an Heimweh litten wir, auch an zunehmender Antipathie gegen Leeg und Schulz und einem wachsenden Widersinn gegen den Zwang und dem damit zusammenhängenden System.

Konsequent weigerte ich darum nach meiner Rückkehr trotz wiederholtem Aufruf Mitglied der Hitler-Jugend zu werden, was aber merkwürdigerweise keine Repressalien zur Folge hatte. Der in diese Periode fallende militärische Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion löste erst Unglauben, dann Kopfschütteln und schließlich die Befürchtung aus, dass ein Schritt zu weit gemacht worden sei. Das löste Angst aus. Ein weiteres Zeichen war das Erscheinen des gelben Davidsterns in der Öffentlichkeit. Zum ersten Mal sah ich bewusst Juden, den früheren Karikaturen im Stürmer so gar nicht ähnlich. Ihr niedergeschlagener und mein verstohlener Blick, meine Scham und ihre Demut waren durch eine unsichtbare Barriere voneinander geschieden. Ihre Absonderung war dem Machtapparat vollkommen geglückt. Das Thema Juden und ihr Los waren tabu. Erst viel später erinnere ich mich, im engsten Freundeskreis darüber gesprochen zu haben und dann auch nur andeutungsweise. Angst und wachsende Repression gingen Hand in Hand.

So ereigneten sich zwei Zwischenfälle während des Ernteeinsatzes unserer Schulklasse im Sommer 1942 in Hinterpommern. Bei dem einen bezichtigte der Bauer-Bürgermeister des Dorfes im Gespräch mit meinem Freund Hille eine Einheit der Wehrmacht der Feigheit, worauf Hille dasselbe einem SS-Regiment vorwarf. Nach Heimkehr in Berlin wurde das durch eine Vorladung im Gestapo-Hauptquartier geahndet, mit der Androhung strenger Strafe bei Rückfall. Der zweite Zwischenfall hatte mit dem bereits erwähnten zwangsverpflichteten polnischen Zivilarbeiter zu tun, der auch auf dem mir zugeteilten Bauernhof arbeitete. Während des Pflügens bekam er solchen Streit mit der Bäuerin über die Breite und Tiefe der Furchen, dass er sie im Jähzorn mit der Pferdepeitsche schlug. Sie meldete den Vorfall, worauf der Pole durch die Grüne Polizei abgeholt wurde. Zehn Tage später meldete sie sich wieder mit der Mitteilung, dass die Tat des Untermenschen gesühnt worden sei: Tod durch den Strang. Nach dem Heldentod ihres Mannes und Sohns war dies der dritte Schock für die Bäuerin, aber ich zweifelte, ob dieser Vorfall der letzte war, der nötig war, diese hitlergläubige Frau von ihrem Wahn zu genesen.

Aus meiner Reaktion auf solche abscheulichen Vorfälle kann man aber nicht ohne Weiteres ableiten, dass ich mich von nun an in ausschließlicher Opposition zu dem herrschenden System befand. Neben der durch Pubertät und erwachendem politischen Bewusstsein genährten Rebellion hatte ich aber auch den Wunsch und das Bedürfnis, für etwas einzutreten, das bei meinen Freunden und Klassenkameraden ebenfalls lebte. Die zunehmende Dauer des Krieges mit seiner steigenden Härte, Verbissenheit und seinen Entbehrungen ließ uns alle zusammenrücken, legte uns die Verpflichtung auf, auch einen Beitrag zu leisten, wenn man zur Beschützung des Landes mitaufgerufen wurde. Die Wehrmacht wurde das Symbol und das Instrument der Beschützerrolle. Das Heer gab sich tapfer und ritterlich. Man zollte ihm Bewunderung wegen der siegreichen Feldzüge der ersten Jahre. Obwohl man eigentlich wusste, dass Hitler-Deutschland diesen Krieg angezettelt hatte und die Wehrmacht der Motor der Machtausbreitung war, überantwortete man sich doch leichten Herzens der Rolle eines Luftwaffenhelfers.

Die Verpflichtung einiger Klassen unserer Schule, Dienst zu leisten bei der Luftabwehr (Flak) um Berlin, kam unserem Verlangen, als Erwachsene behandelt zu werden, entgegen. Bei solch einem Leben war kein Platz mehr für die Schule. Die Lehrer verblichen zu Randfiguren und der Lehrstoff wurde zu lästigem Ballast. Doch blieb das Leben zwiespältig: auf der einen Seite das Mächtige, Abenteuerliche der Bombenangriffe, wenn man den Feind vom Himmel herabzuschießen versuchte, aber auf der anderen Seite der abscheuliche Drill und die hinterhältigen Schikanen.

Als frisch gebackener Luftwaffenhelfer ging ich meinen Batterie-Chef um Urlaub an, weil mein Bruder Werner aus Russland auf Fronturlaub zu Besuch war. Die in meinen Augen ganz normale Gewährung meines Gesuchs aber machte den Spieß (Hauptstabsfeldwebel und Mutter einer Kompagnie/Batterie, welcher der Schreibstube vorsteht und damit für die Administration verantwortlich ist) ganz närrisch wegen meiner Unverfrorenheit und seiner Wut darüber, dass er mich ohne Ausweis gehen lassen musste. In zwei Tagen, schärfte er mir ein, müsste ich ihm ein Passfoto bringen, damit der Ausweis ausgestellt werden könnte, denn ohne Ausweis kein Mensch!

Wie befohlen ging ich am nächsten Tag zum Kaufhaus KaDeWe, wo eine riesige Schlange Wartender auch Mensch werden bzw. bleiben wollte. „Mensch Meier, dit kost me men janse Urlaub“, dachte ich und zog wieder ab. Was brauchte ich als Sechzehnjähriger einen Luftwaffenhelfer-Ausweis, wo ich schon gar nicht die Absicht hatte, in Uniform herumzulaufen. Eine Woche später meldete ich mich beim Spieß zurück, indem ich erst mal auf die Türe seines Wohnwagens klopfte, denn als Respektperson hatte er Recht auf eine private Behausung. Kurz darauf guckte er durch das Fenster in der Türe, sah mich in strammer Haltung unten am Treppchen zu seiner Behausung stehen, aber seine Birne verschwand wieder, ohne dass etwas geschah. Unschlüssig blieb ich auf meinem Posten, da mir mulmig zumute war. Eine Stunde später(!) riss er die Türe auf und befahl mir mit sich überschlagender Stimme, in seinen Wohnwagen zu kommen. Dort gebärdete er sich wie ein Wilder. Er raste und tobte derart, dass man ihn nicht verstehen konnte und ich in meiner Naivität nicht einmal begriff, was er nun von mir wollte. Das reizte ihn noch mehr, sodass ich schließlich zu einem vierwöchigen Spindappell nach Dienstzeit verdonnert wurde. Doch wurde er der abendlichen Sauberkeits- und Ordnungskontrolle schnell überdrüssig und überließ die Routine weiterer Kontrollen einem Untergebenen; gebrandmarkt aber blieb ich. Dagegen wünschte ich ihm für die Zukunft seinen alten Beruf: Krawattenverkäufer mit Bauchladen.

Die ab Herbst 1943 in großem Maßstab einsetzenden Bombenangriffe der Anglo-Amerikaner ließen die vergangenen Schikanen, das Exerzieren und Schleifen, Appell und Übungen am Kommandogerät und auch die Schule vergessen. In den wenigen sternenklaren Nächten war das Schicksal eines im Scheinwerferkegel gefangenen Bombers schnell besiegelt, aber die vielen trüben, regenartigen Nächte machten unser optisches Kommandogerät blind und darum mussten wir uns aufs Funkmessgerät (Radar) verlassen, das mehr Glück als Zielsicherheit garantierte. Noch später wurden wir durch ausgeworfenes Stanniolpapier vollkommen blind und ballerten ohnmächtig in Sperrfeuerzonen hinein in der Hoffnung, den Feind damit abschrecken zu können, der aber Berlin in der Ferne in rote Glut tauchte. Auch das immer näherkommende Pfeifen von Luftminen injizierte uns das zwiespältige Gefühl zwischen zunehmender Todesangst und der Hoffnung auf Überleben, das unerträglicher wurde je länger das Orgeln drohend näher kam, bis Feuerblitz und Detonation wohlige Ruhe für einen kurzen Augenblick schenkten.

Das Wichtigste in jener Zeit aber war das fortwährende Zusammensein mit den Freunden und Klassenkameraden. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen teilten wir nicht nur militärischen Drill und Schule, sondern auch vor allem das Spielen, Raufen, Lesen und Diskutieren bis in die Nacht oder zum nächsten Fliegeralarm. Gerade wegen dieser schönen Erinnerungen haften die nachfolgenden Abschnitte des Arbeits- und Militärdiensts mir heute noch als trostlose Spannen in meinem Gedächtnis.

Selbst im Rückblick beruhten die Schikanen des bereits erwähnten Führers des Arbeitsdienstlagers gegen uns zwei, Götz und mich, nicht auf persönlicher Antipathie, sondern auf seinem unbeugsamen Vorsatz unsere Freundschaft, Individualität und unseren Willen zu brechen, uns fügsam zu machen, so wie die große Masse es schon war.

Das Spiel von Zug und Gegenzug endete mit der zeitweiligen Abkommandierung von Götz zum Gaustab. Bei seiner Rückkehr wollte ich ihm schon überglücklich seine Hand schütteln als nun mir der Befehl zugeschrien wurde, meine Sachen zu packen. Eine Stunde vor unserer Entlassung sahen wir uns wieder. Nicht die Härte der Schikanen steht zur Diskussion, sondern der Versuch des Systems, willfährige Geschöpfe heranzuziehen. Und es ist ihnen weitgehend gelungen. Eines Tages hielt ein SS-Sturmführer mit feurigen Worten einen Werbevortrag für die Elitetruppe Hitlers: die Waffen-SS. Schwärmerisch redete er von der großen Ehre, sich ganz dem Führer hingeben zu dürfen und rühmte auch die Tapferkeit, Treue und den Gehorsam dieser Verbände. Anschließend trat er vor jeden Einzelnen hin und heischte mit hypnotischem Blick eine positive Antwort auf seine Frage. Die meisten der einfältigen Bauerntölpel aus Ostpreußen, diese armen Kreaturen, antworteten mit Ja.

In meiner Erinnerung waren die Schikanen beim Kommiss eher zu ertragen als im Arbeitsdienst. Den Grund hierfür muss man nicht so sehr in der Gewöhnung suchen, sondern vielmehr in einer gewissen Achtung vor den Vorgesetzten, die jahrelang an der Front gekämpft hatten und uns deutlich zu machen versuchten, dass das Ertragen von Stress nur Fingerübungen fürs Überleben im Ernstfall sind. Und überleben wollte ich! Ein weiterer Unterschied leitete sich von unserer Offiziersanwärterschaft ab, wobei die Vorgesetzten im Umgang mit uns mehr Umsicht übten und mehr Überlegung walten ließen.

Mit dem Verstreichen der Jahreszeiten verfiel ich in Lethargie und Stumpfsinn. Das Einerlei des täglichen Dienstes war geisttötend, die Abende trostlos so wie die Sonntage, an denen man das Kasernengelände nicht einmal verlassen durfte. Die Freundschaft mit Götz blutete tot, weil wir uns nichts mehr zu sagen hatten. Die regelmäßigen Besuche meiner Eltern und Schwestern munterten mich zwar auf, aber Zusatzkost bedeuteten sie nicht mehr. Im Winter 1944/45 wurde mein Hunger immer größer, das Lesen stellte ich ganz ein.

Die Radioberichte der Wehrmacht verhüllten trotz des euphorischen Sprachgebrauchs nur in Einzelheiten, dass die Front stets näher rückte. Gespräche über die unausbleibliche Niederlage waren tabu und sehr gefährlich. Aber ebenso enthielten sich die Vorgesetzten aufmunternder Reden oder Kommentare. Schweigend schleppte sich die Zeit mit uns der Stunde der Wahrheit entgegen.

Nun war sie da.

Der andauernde Krieg

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