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I.

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Die einzigen, die am diesjährigen Rosenmontag-Abend still waren, das waren der Mond und der Rhein. Letzterer wälzte lautlos und feierlich seinen Silberschwall wie zur Nibelungenzeit durch die bläulich-helle, linde Februarnacht, und vom Sternenhimmel schmunzelte breit der Mann im Mond hinab auf den Fasching am Rhein, auf das Geschrei, Geklapper, Geknall, Getute aus der Giebelenge der Grossstadt, auf den besessenten, bunten Ameisenhaufen, der auf den Gassen kribbelte und im grossen Saal des Bürgerkasinos wimmelte.

Dort gab die Grosse Karnevalsgesellschaft ihren Fastnachtsball, und der Vorsitzende der Narrhalla war der Tierarzt Louis Steubesand, ein wohlbeleibter, fröhlicher Mann in den besten Jahren mit rötlichem Vollbart und humoristisch zwinkernden Augen. Heut’ mochten die Ferkel den Rotlauf bekommen, die Säul’ den Hufzwang und die Hund’ die Staupe, heut’ war er, der dicke Louis, hier Herr im Haus und hatte sich als ein Falstaff herausgeputzt, mit einem Bauch wie das Heidelberger Fass — denn zu seinem eigenen beträchtlichen Umfang hatte er noch das Federbett von der Amalche, seiner Frau, untergeschnallt. Sein Antlitz glänzte vom Schweiss und Selbstzufriedenheit. Er überschaute wie ein Feldherr die Hunderte von Odalisken, Schornsteinfegern, Kolombinen, Harlekinen und Zigeunerinnen, die mit schwarzen Larven vor den Gesichtern durch den Saal an ihm vorüberwalzten. Dann blickte er auf die grosse Wanduhr.

„Punkt elf Uhr elf Minuten“, sprach er gewichtig zu den Narrhallesen um ihn, die sonst das Jahr hindurch seine Stammtischbrüder waren, „hält der Prinz Karneval mit der Prinzessin und dem ganzen Hofstaat seinen Einzug. Es ist noch eine Stunde bis dahin, ihr Männer! . . . dass mir nachher keiner dort hinten im Schoppenstüble hockt, sondern alles bereit ist, den Prinzen mit Musiktusch und Hurragekreisch zu empfangen!“

„Der Prinz ist ja schon heimlich im Saal!“ Eine majestätische Königin der Nacht rauschte heran. Ihr schwarzes Schleppenkleid war mit Mondsicheln und Kometenschwänzen bestickt. Auf dem Graukopf trug sie ein Sternendiadem von Goldblech und eine schwarze Maske vor dem Gesicht. Der Tierarzt Steubesand erkannte trotzdem seine bessere Hälfte.

„Amalie — du siehst Geischter!“ versetzte er und prägte sich im Kopf wieder seine Ansprache an den Prinzen Karneval ein: „Euer Tollität! Einmal im Jahr ist der Mensch närrisch und wenn der Mensch närrisch ist, ist er g’scheit!“

„Du, Louis . . .“ Der Ochsenmetzger Mehlig trat heran. Er war Mitglied des hohen Elferrats. Er trug ein rotgelb geflammtes Wams, Pluderhosen und eine spisse Schellenkappe auf dem blühenden Gesichtsrund.

„Wenn der Mensch g’scheit ist“, wiederholte sich im Geist der Falstaff, „dann merkt er, dass die Erd’ bucklig ist und sich dreht und dass wir alle nit ewig lebe! Solang’ wir aber noch lebe, wollen wir uns auch drehe und tanze und trinke, dass sich alles um uns dreht, und uns des Lebens freun!“

„Louis!“ Der Ochsenmetzger raunte: „Weisst du’s Neuste?“

„Nix weiss ich!“

„Der Prinz ist ja schon im Saal!“

„Was bawwelst da, Euschen?“

„Es ist ihm einmal im Gedräng’ die Larv’ ein bisschen vom Gesicht gerutscht — da hat ihn mehr als einer erkannt!“

„Ach, halts Maul!“

Aber da kam aufgeregt der Hopfenhändler Pitterlin. Er gleisste wie ein riesiger Laufkäfer über seine ganze schmächtige Gestalt hin in Silberpracht und trug eine wehende Pfauenfeder auf dem Goldhelm und einen Zeremonienstab in der Hand. Denn er war der närrische Hofmarschall seiner Tollität.

„Der Prinz ist da!“ bestätigte er. „Ich hab’ ihn deutlich gesehen!“

„Was will der Jean denn jetzt schon hier?“

„Liebelei will er, der Schote!“ schrie der Ochsenmetzger. „Noch eins von seinen hundert Abenteuern mehr — so unter der Hand — in aller Stille, ehe er offiziell mit der Prinzessin einzieht!“

„Das sieht dem Jeanche Dörsam ähnlich!“ sprach der Hopfenhändler.

„Als was geht er denn?“ Der Tierarzt Louis Steubesand fasste sich instinktiv an den Bauch. Er hatte immer Angst, dass das untergestopfte Bett rutschen könnte.

„Als e schwarzer Mönch! Da guck’, Louis! Da geht er alleweil mitten durch den Saal! Und hinter ihm her das Gedränge der Masken!“

Der schwarze Mönch war mehr als mittelgross. Man sah trotz der faltigen, strichgegürteten Kutte, dass er schlank und straff gewachsen war. Und jung. Das verrieten, trotz seines Bemühens, würdevoll zu wandeln, seine lebhaften Bewegungen. Den Kopf deckte die Kapuze bis zum Larvenrand vor dem Gesicht mit dem bartfreien Kinn. Hinter ihm her strömte ein bunter, närrischer Schwarm, es zischelte, kicherte und neckte mit hellen Frauen- und dunklen Männerstimmen:

„Jeanche! Jeanche!“

„Jeanche — horch mal!“

„Jeanche! Bist du auf Abwegen?“

„Jeanche — wo hast du denn deine Prinzessin?“

„Jeanche! Ich sag’s der Betti!“

Der schwarze Mönch ging schneller. Aber jetzt verstärkte sich nur das Getuschel. Die Masken liefen lachend neben ihm her.

„Jeanche — es heisst doch, du bist mit der Betti verlobt!“

„Recht Haft! Die Betti bringt etwas mit!“

„In dem Babettche ihrer Tabakfabrik steckt noch mehr Geld als in deiner Weinhandlung!“

Der schwarze Mönch drehte sich unwillig ein wenig um. Nun wurde die Heiterkeit immer grösser.

„Man spricht doch, ihr wolltet es nächstens öffentlich bekanntgeben, dass ihr euch heiraten wollt! Verzürn’ das Babettche nit durch e neue Geschicht’ hier!“

„Du hast genug von der Sorte gehabt! Jetzt hört das Vergnügen auf . . . Nun wird geheiratet!“

„Nur Mut! Es tut nit weh!“

Dem schwarzen Mönch wurde bei der Lüftung seines Inkognito unheimlich. Er beschleunigte seine Schritte noch mehr und näherte sich dem Büffet. Lachende Rufe tönten hinter ihm her.

„Platz für Seine Tollität!“

„Der Prinz hat Dorscht!“

Ein Sterndeuter im Silberbart mahnte feierlich.

„Lasst Hans den Ersten von Narretanien in Frieden! Er ist halt hinter einem Mädche her! Er ist auch ein Mensch!“

Am Büffet schenkte man den deutschen Schaumwein in Kelchen aus. Der schwarze Mönch angelte nach einem Markstück in den Taschen seiner Kutte. Er fand nichts, wie er auch suchte. Um ihn war ein Gelächter des Übermuts.

„Der Prinz hat seine Geldtasche vergessen!“

„Der reiche Jean Dörsam hat kein Kleingeld!“

„Los! Wir müssen für Seine Tollität sammeln!“

„Lass nur! Da erhält er schon etwas!“

„Der grüne Page dort ist eine mitleidige Seel’! Er bringt ihm ein Glas Sekt!“

„Wie zierlich er geht! Das muss e schmuckes Mädche sein!“

„Schad’, dass man das Gesicht nicht sehen kann, unter der Larv’!“

„Jetzt beugt sie’s Knie, die Krott’, und kredenzt ihm mit einem Knix!“

„Der Prinz nimmt gleich e Kuhschluck von dem Champagner!“

„Proscht, Eure Tollität!“

„Proscht! Proscht!“

Der schwarze Mönch hatte den Sektkelch zu zwei Dritteln geleert. Er hielt ihn in der Hand. Der grüne Page stand vor ihm und machte ihm eine ehrerbietige Verbeugung oder mehr einen graziösen Knix in den Knien. Dann winkte er zum Abschied mit der Hand und entfernte sich ziemlich schnell in der Richtung nach dem Ausgang, mit dem leichten, zierlich wiegenden Gang einer Frau.

Der schwarze Mönch strich sich über die Stirne und schaute dem Pagen nach. Rund um ihn schwirrten die Lästerzungen.

„War das dein Herzgepusseltes, Jeanche?“

„Schickt sich denn das für e Fastemönch?“

„Jeanche — keusch is das nit!“

Und andere Stimmen mahnten:

„Da hinten guckt sie nochmal durch die Tür!“

„Rasch zum Stelldichein!“

„Auch e Prinz darf e Dame nit warte lasse!“

Der schwarze Mönch stand und schwieg beharrlich. Er kippte sich den Rest des Champagnerkelchs in die Kehle, schüttelte die Kapuze, so als ob ihm der Sekt nicht schmeckte und betrachtete wie geistesabwesend den Boden des leeren Glases, das er in der Hand hielt. In dem Gedränge wehte eine Pfauenfeder von einem Goldhelm. Der närrische Hofmarschall des Prinzen Karneval, der Hopfenhändler Pitterlin, schlüpfte wie ein grosser flinker Silberkäfer durch die Masken an die Seite des schwarzen Mönchs und raunte ihm zu:

„Jeanche — horch mal? Ach — wehr’ nit mit der Hand ab! Ich weiss doch, dass du’s bist! Hab’ dich ja vorhin erkannt!“

Der verkappte Prinz Karneval antwortete auch seinem Hofmarschall nicht. Er holte ein paarmal tief Atem. Der Hopfenhändler Pitterlin mahnte halblaut weiter.

„Du bist jetzt nit der erste beste, verliebte Maikäfer! Du bist heute der Faschingsprinz! Unsre Amtsperson! Du darfst jetzt nit wie sonst, wo’s dir passt, den Don Juan spiele!“

Der Prinz Karneval machte nur eine ganz sonderbare, träumerische Schulterbewegung.

„Wer war denn die froschgrüne Mamsell, mit der du eben getechtelmechtelt hast?“

Der schwarze Mönch antwortete nicht. Er stützte sich mit der freien Linken auf die Marmorkante des Büffets, so als ob ihm schwindlig zumute sei. Sein Getreuer rang die Hände und wandte sich zu den Umstehenden.

„Stumm wie ein Karpfe!“

„Der Jean Dörsam will nicht sprechen, damit man ihn nicht an der Stimme erkennt!“ klang es aus einem Frauenmund. Ein Kellerbass grunzte:

„Macht voran, Eure Tollität! Springt dem grünen Pagen nach! Sonst wird er Euch untreu!“

Der schwarze Mönch raffte sich auf. Er ging langsam, schweren Trittes, ganz anders als vorhin, in der Richtung nach der Saaltür. Der Hofmarschall lief nebenher und flehte.

„Jeanche — das muss doch nit sein! Jeanche — kümmer dich nit mehr um das Mädche mit dem Sektglas! Steig’ nit hinter ihr her! Du und das Babettche sind doch nit bloss Prinz und Prinzessin Karneval. Ihr seid schon so gut wie miteinander verlobt. Die ganze Stadt spricht ja davon. Du weisst, wie eifersüchtig das Babettche ist! Das ist e Speikatz’, wann sie fuchtig wird. Dafür kennt man ja das Babettche Spörlin!“

Die Sandalen des schwarzen Mönchs klapperten weiter auf dem Parkett, aber mit seltsam unregelmässigen, schleppenden Tritten. Der närrische Hofmarschall musterte besorgt seinen hohen Herrn.

„Was hat er nur?“ sagte er. „So läuft e Nachtwandler auf den Dächern spaziere, aber nit e regierender Fürscht von Narretanien!“

Der schwarze Mönch blieb stehen. Schaute wirr um sich, als wüsste er nicht mehr, wo er sei.

„Hebt ihn!“ rief es. „Er schwankt!“

Der Prinz Karneval in der Mönchkutte stand nicht mehr sicher. Er suchte nach dem nächsten Stuhl und sank darauf nieder. Das Glas entfiel seiner Rechten und zerschellte auf dem Parkett in glitzernde Scherben. Er sass, den Kopf vornübergesunken, ganz friedlich und rührte sich nicht mehr.

Der kleine, dralle weibliche Jockey, der dabeistand, trat verblüfft zurück. Die weithosige Suleika neben ihr schüttelte ungläubig ihr Rabenhaar. Ein wadenloser Kreuzfahrer beugte sich blechrasselnd vor. Der Sterndeuter mit weissem Fusssackbart schob die gehörnte Satanella und das blondbezopfte Gretchen vor ihm zur Seite. Noch tanzten weit im Saal die Paare. Aber so wie ein Stein im Wasser immer grössere Ringe zieht, so lief es von Mund zu Mund und lähmte bald die Beine.

„Was ist denn da drüben geschehen?“

,,’s is einem schlecht geworde!“

„Dem Prinzen Karneval!“ schrie es. „Dem Prinzen Karneval selber!“

Ein hundertstimmiges Echo hallte von den närrischen, mit gekreuzten Pritschen und Aschermittwochskatern geschmückten Wänden wieder.

„Was ist denn mit dem Jeanche geschehen?“

,,Hot er zu viel getrunke?“

„E Weinhändler? Die vertrage mehr als die anderen!“

„Eben war er noch ganz fest auf den Beinen!“

Jetzt stockte überall der Tanz. Mit einem jähen Missklang verstummten die pappnasigen Musikanten. Wirre Rufe.

„Ja — so helft ihm doch!“

„Ist denn kein Doktor da?“

„Da springt schon einer bei!“

Ein Minnesänger mit blonder Haartolle und umgehängter Harfe steuerte durch das Gemühl. Er hatte die Maske abgenommen. Man erkannte das rotbäckige, von vielen Schmissen gekerbte Kindergesicht des blutjungen Doktor Kniffer, der sich erst vor wenigen Wochen hier in der Stadt als praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer niedergelassen hatte. Er beugte sich zu dem Prinzen Karneval hinab, fühlte ihm den Puls, zog seine Uhr, zählte, schüttelte den Kopf.

Der Herr atmet ganz regelmässig, sein Pulsschlag ist normal!“ erklärte er.

„Gott sei Dank!“

„Ich glaub’, der Jeanche verstellt sich!“

„Das wär’ aber ein dummer Fastnachtswitz!“

,,Nein. Der Herr ist bewusstlos!“ stellte der Doktor mit der Harfe fest. Und da niemand dieser Tatsache widersprach: „Da geht etwas vor, wovon wir keine Ahnung haben!“

„Ha — das müsse Sie doch wisse!“ scholl es hitzig aus dem Kreis der Masken.

„Das Weitere wird die klinische Untersuchung ergeben!“

„Lasst Seine Korpulenz durch!“ schrie es von hinten.

Ein wohlbeleibter Falstaff arbeitete sich rücksichtslos durch das Gewühl. Mit seinem elastisch federnden, künstlichen Bauch fing der Tierarzt Louis Steubesand die Püffe und Ellenbogenstösse auf. Das joviale, rötlich vollbärtige Antlitz des Vorsitzenden der Narrhalla war ängstlich gespannt. Er blickte fragend aus den fidelen Äuglein, in denen noch die Faschingslaune flackerte, auf den Doktor Kniffer.

„Gerechter Strohsack!“ schrie er. „Was is denn da los?“

Der junge Arzt kniete noch neben dem schwarzen Mönch, schüttelte seine Troubadour Perücke, die ihm wie blonde Wolle um die Ohren hing, und stand auf, die zusammengerafften Scherben des Champagnerglases in der Hand.

„Man muss die Tropfenreste chemisch analysieren!“ verkündete er. „Der Patient hat etwas zu sich genommen, was ihm nicht bekommen ist!“

„Sie merke aber auch alles!“ schrie der Ochsenmetzger.

„Bitte lassen Sie mich ausreden — die Frage ist nur, ob er sich etwa diese Dosis selbst in sein Glas geschüttet hat . . .“

Ein allgemeiner Schrei des Widerspruches klang auf.

„Der Jean Dörsam — der Springfloh!“

„Er tut doch so etwas nit von selber!“

„Wo er ja der Prinz Karneval ist! Den brauche wir doch jetzt wie das tägliche Brot!“

„Der grüne Page war das Karnickel!“ schrie es dem Doktor in die Ohren.

„Er hat dem Prinzen das Glas Champagner gebracht!“

„So recht katzefreundlich . . . die Malefizkrott!“

„Und nachher nix wie fort!“

„Er war ja eben noch da!“ tönten viele Rufe. „An der Ausgangstür hat er gestanden und in den Saal geguckt!“

„Jetzt is er weg!“

„Den Augenblick hab’ ich ihn selbst noch gesehen! Weit kann er nit sein!“ Der Tierarzt Steubesand blickte sich im Kreise seiner Getreuen um. Er fasste den närrischen Hofmarschall Pitterlin an einer Borte seines Silberwamses.

„Auguscht . . . du und die Männer um dich als nur hinter der nixnutzigen grünen Kreatur her! Schaut, wo sie hin ist! Merkt euch das Haus! Bringt gleich Nachricht, damit kei’ Zeit verlore geht, bis die Polizei kommt!“

Der Hopfenhändler winkte den nächsten Narrhallesen. Er, ein Neger, ein Räuberhauptmann, ein Spanier stürmten davon. Louis Steubesand beugte seinen gewichtigen Körper zu dem schwarzen Mönch nieder, der immer noch still auf dem Stuhl sass.

„Da gilt jetzt kein Maskenzwang!“ sprach er. „Der Prinz kann nit länger inkognito bleiben. Wir wolle nun dem Jeanche den Pappendeckel vom Gesicht nehmen, damit er besser schnaufe kann . . .“

Er lüftete mit schonendem Handgriff die Larve. Es war ein teilnahmsvolles Schweigen umher. Und dann ein allgemeiner Aufschrei. Der Tierarzt Steubesand trat ungläubig zurück.

„Das is ja gar nit der Jean!“

„Das is nit der Karnevalsprinz!“

Nein — das waren nicht die stadtbekannten, schönen, brünett-leichtsinnigen Züge, das südliche Kraushaar, das schwarze Schnurrbärtchen des reichen jungen Weingrosshändlers Jean Dörsam. Es war ein auch noch junges, bleiches, längliches Amtsgesicht mit einem blonden Schnurrbart über dem strenggeschlossenen Mund. Ein Antlitz, das von nüchternem Pflichtgefühl sprach. Der dicke Louis Steubesand traute seinen Augen nicht. Er schaute fragend in der Runde. Ein betroffenes Gemurmel bestätigte es ihm.

„Ha — freilich ist er’s!“

„Ich seh’ es doch!“

„Den kennen viele!“

„Und manche, denen ’s gar nit lieb ist!“

,,Das ist der Staatsanwalt selbst!“ sprach feierlich der dicke Louis.

„Ja, der Staatsanwalt Pfeilschmidt!“ bestätigte der Ochsenmetzger Mehlig.

Es war eine ratlose Stille. Dann wieder Stimmen.

„Was tut denn der Mann auf dem Maskenball?“

„Als ein frommes Pfäffche! Das wär’ zum Lachen, wann’s nit so ernst wär’!“

„Und selle Mönchskutte“, sprach der Tierarzt Steubesand, „hat vorher der Jean Dörsam getragen. Das steht fest! Das haben meine Frau, die Amalie und der Mehlig da . . .“, er wies auf den leutseligen Ochsenmetzger mit der Schellenkappe des Elferrates auf dem Graukopf, „und die vernickelte Heuschreck’, der Pitterlin, bezeugt. Also haben der Prinz und der Staatsanwalt die Kostüme vertauscht!“

„Du liebe Zeit — warum denn?“

„Das weiss der stärkste Mann nit!“

„Und wem hat jetzt der Anschlag gegolten? Dem Jeanche oder dem Pfeilschmidt?“

„Der Jeanche mit seinen Liebschaften . . .“

„Der Staatsanwalt, der bei allem Lumpevolk verhasst is . . .“

„Scharf greift er zu! Er ist halt noch jung!“

„Und Ehrgeiz hat er!“

„Er steckt verkleidet in den Spelunken und horcht heimlich zu, wenn die Herren Verbrecher ihre künftigen Heldentaten beraten!“

„Der hat schon die ärgsten Spitzbuben hinter Schloss und Riegel gebracht!“

„Patient ist Patient!“ entschied der blondschopfige Troubadour, der jugendliche Doktor Kniffer. „Man muss ihn vor allem aus der Faschingsatmosphäre hier wegschaffen. Am besten in das städtische Krankenhaus gleich um die Ecke!“

Ein paar weissgewandete Pierrots und buntscheckige Harlekins trugen den Bewusstlosen. Der junge Doktor ging nebenher. Im Ballsaal herrschte beklommenes Schweigen. Unter dem grellen Lichterglanz des Kronleuchters, der sich im Parkett spiegelte, standen die Narren und Närrinnen stumm wie bunte Puppen im Wachsfiguren-Kabinett. Ein Greis näherte sich dem Vorsitzenden der Narrhalla. Er trug eine mächtige blaurote Pappnase, auf deren Warzen ein winziger, grüner Sonnenschirm schaukelte. Er flüsterte.

„Louis — deine Frau hat sich so arg alteriert. Die kann nicht mehr schnaufen vor Schrecken!“

„Das glaub’ ich!“ sprach der Tierarzt Steubesand geistesabwesend. „Ich hab’ ihr schon daheim gepredigt: „Amalie — schnür’ dich nit so arg! E Königin der Nacht braucht nit so auf Taille zu schwören! Nachts ist’s dunkel!‘“

„Es wird ihr noch schlimm, Louis! Die plumpst uns auch noch im Saal hin!“

„Das tät’ noch fehle!“ sagte Louis Steubesand. „Ich schaff’ die bessere Hälfte hurtig heim! Und komm dann gleich zurück! Wann der Pitterlin und seine Leut’ nach mir fragen, und ich bin noch nit da, so sollen sie mir in meiner Wohnung Meldung machen, was sie entdeckt haben! Ich lass das Haustor offen. Sie können jederzeit unbehelligt herein!“

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