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3.

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„Guck’, Amalie: ich hab’ dir schon hundertmal gepredigt . . . das kommt vom Schnüre!“ sprach auf dem Heimweg vom Maskenball zu der Wohnung in der Altstadt der Vorsitzende der Narrhalla, der Tierarzt Steubesand zu seiner Frau, „du bist e dicke Person! Musst dich denn zusammenquetsche als Königin der Nacht? Ha — woher weisst denn du, dass die so dünn war wie e Hering? Vielleicht ist das auch e umfangreiche Schönheit gewesen, gerad’ wie du? Gesehen hat sie keiner!“

„Als ob man bei dir die Rippe zähle könnt’ . . .“ Die Frau Steubesand sprach es erschöpft durch den Maskenlärm der Gassen.

„Wenn ich füllig ausschau’, so geschieht das mit Fleiss! Das macht das Federbett, das ich Rindvieh untergeschnallt hab’!“ schrie der Tierarzt. „Einmal in meinem Lebe als Falstaff auf dem Tanzball und mit wieder! Aber deswegen zwick’ ich mir doch kei’ Schnürleber wie du! Komm, Alte! Komm! . . . Herrgott — ich schmitz’ wie ein Steinesel!“

Er nahm seinen Spitzhut von dem blühenden, rötlich vollbärtigen Kopf, um sich den Schweiss abzuwischen. Aber die Schweinsblase, die er sich als Falstaffsche Glatze über den Schädel gespannt hatte, liess nichts durch.

„Als tapfer, Amalche!“ mahnte er. „Dir ist ja nix geschehen!“

„Steh du mal direkt daneben, wann einer auf den Stuhl plumpst und regt sich nicht! Ich hab’ einen Krischer gelasse vor Todesangst!“ Frau Steubesand atmete schwer und stützte sich auf den Arm des Gatten. „Die Aufregung gönn’ ich keittem! . . . Liebe Zeit. . . Was tanzen die Narren wieder auf offener Strass’ um einen ’rum wie die Rheinschnake! Lasst mich!“ Sie wedelte sich mit dem Taschentuch Luft. „Aus — sag’ ich! . . . Mir ist nicht zum Hupfen zumut!“

„Als munter, Amalche!“

„Du bist doch e Nachtkatz!“

„Wann alles schläft, dann macht die Königin der Nacht!“ johlten um sie die Masken. Ein Hansmurst meckerte:

„Das is e rechte Königin der Nacht, die wo mit den Hühnern schlafe geht!“

„Wo die Fastnacht erst anfängt! Marsch zurück!“

„Seht ihr denn nicht, ihr Schlechtschwätzer, dass die Frau abgespannt ist?“ Der Tierarzt rückte sich erbittert den rutschenden Vorbauch zurecht. „Komm weiter, Amalie! Lass es dir nit so zu Herzen gehen mit dem Staatsanwalt Pfeilschmidt seinem Unglück! Wenn du noch mal ein zartes Verhältnis mit ihm gehabt hättest . . . Aber du kennst ihn ja gar nit!“

„Wer ist denn überhaupt mit ihm bekannt?“ stöhnte Amalie Steubesand. „Er lebt ja so zurückgezogen! Der und Verhältnisse! Er ist doch eine hölzerne Natur! — Wie kommt er denn zu einer verlassetten Geliebten, die ihm etwas ins Becherche mischt? Zu so ’nem Opernhelden taugt der Mann ja gar nit! Da lachen die Gäns!“

„An einer solchen hat er sich die Finger verbrannt!“ sprach der Falstaff kurzatmig im Weitergehen. „Die lustige Witwe mit ihrem fortgesetzten Lebenswandel braucht mehr als einen Mann . . .“

„Ja — die . . . Und auf so etwas fallt ihr Männer rein!“

„Der Pfeilschmidt aber nicht. Er ist nicht für stille Teilhaber! Und aus war’s mit der Verlobung. Seitdem will er nix mehr von den Weibern wissen. Hat recht! Vor euch darf man sich hüte! So, Alte — jetzt sind wir glücklich vor unserem Fuchsbau!“

Es war ein düsteres, schmales, hochgiebeliges Haus in der Altstadt. Das Ehepaar keuchte die zwei Treppen zu ihrer Wohnung hinauf. Innen schob Louis Steubesand seine Gattin gleich an den beiden Schultern in das Schlafgemach.

„’runter mit Mond und Sternschnuppe und der ganzen Nachtherrlichkeit“, befahl er, „und ins Bett wie ’s Dunnerwetter! Morgen blühst du wieder wie e reife Rose. Was — die Lore wird sich wundern, dass wir schon heimkommen? Ihr geb’ ich schon Bescheid! Ich hab’ ja bereits von der Strasse gesehen, dass sie noch Licht hat!“

Der Tierarzt klopfte an die Tür seiner Tochter. Ein gedankenverlorenes „Herein!“ antwortete. Lore sass jetzt noch um die Mitternacht und in dem Lärm draussen bei der Studierlampe. Sie wandte dem Vater, als er eintrat, ihr immer noch geistesabwesendes, schmales Gesicht zu. Es war von herber Anmut, mit rotbraunem, leicht gelocktem Haar, wie der Vater, und ruhigen, grossen grauen Augen. Sie lächelte nachsichtig, als sie den verschwitzten, bunt ausstaffierten Falstaff sah, so als betrachtete sie ihre Eltern zu Fastnacht als grosse Kinder.

„Ihr geht ja mit den Hühnern schlafen . . .“, sagte sie. „So unheimlich solid kenn’ ich euch im Fasching gar nicht!“

„Ich lauf’ gleich wieder weg zu dem Vergnüge im Bürgerkasino. Ja — wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis. Ich bin ein alter Dämelack. Und so ein junger Gick-Gack wie du hockt da die liebe lange Nacht und büffelt, statt zu tanze!“

„Aufs Tanzen geben die Professoren nichts! Ich muss mich gehörig mit der Arbeit dazuhalten, wenn ich im Herbst auf die Universität nach Zürich kommen will . . .“ Lore stand auf — sie war mittelgross und schlank gewachsen und trug ein einfaches Hauskleid. Sie musste hell lachen. Der Vater vor ihr hatte sein Wams aus Heinrichs des Vierten Zeiten aufgeknöpft und nestelte verzweifelt an seinem eingebundenen Federbett.

„Helf’ mir, das ich das Schmitzkisse los werd’!“ sprach er. „Die Bäuch’, die Bäuch’, die dicke Bäuch’ — sie sind unser Schaden! Heisst ’s im,Brand im Hutzelwald‘. Ich geh’ jetzt lieber als e magerer Falstaff wieder in die Narrhalla zurück. Hab’ halt inzwischen in aller Geschwindigkeit e Entfettungskur durchgemacht, werd’ ich sagen. So — jetzt noch den Riemen da hinte — da, wo mit Verlaub der Rücken aufhört . . .“

Die Tochter löste mit dem fachlichen Ernst, der überhaupt auf ihren Zügen lag, die letzte Schnalle. Louis Steubesand atmete auf und streckte die Arme.

„Uff! Stell’ dir vor, Lore, was vorhin auf dem Ball geschehen ist! Mir, als dem Präsidenten der Narrhalla zittern jetzt noch die Knie. Also da kommt so ein grüner Laubfrosch — so ein verlarvtes Jüngferche, mein’ ich — im grünen Pagenkostüm . . .“ Er trat näher zu seiner Tochter heran, die noch am Boden kauerte, um das Bett zusammenzupacken, und ihm den Rücken zudrehte: „sie hält e Gläsche Champagner in der Hand und merkt, e Klosterbruder mit schwarzer Kutte und schwarzem Visier am Büffet hat Durst und . . .“

Louis Steubesand hielt inne.

Sein lebensfrohes, schmunzelndes Falstaffgesicht veränderte sich plötzlich unter dem rötlichen Vollbart und die weinseligen Augen weiteten sich ungläubig.

Zur Linken an der Wand ihres Stübchens hatte die Lore einen Kleiderschrank stehen. Er war geschlossen. Aber aus dem Spalt zwischen den beiden Flügeln lugte ein eingeklemmter grüner Zipfel hervor. Es schien der spitzenbesetzte Ärmel eines seidenen Rockes zu sein.

Solch ein Kleidungsstück hatte Louis Steubesand bei seiner Tochter noch nie gesehen. Er warf einen scheuen Blick auf Lore. Sie kniete immer noch vor ihm und war dem Schrank abgewandt. Es schien ihm, als ob ihr ganzer Körper leise zitterte. Sie blieb stumm und drehte nicht den Kopf. Eine unheimliche Neugierde erfasste ihn. Er streckte zögernd die Hand nach dem im Schloss steckenden Schrankschlüssel.

„Du bist ja völlig verrückt, Louis“, murmelte er vor sich hin, „des ist doch e Gedanke: wie aus dem Narreturm . . .“ Er liess die Hand sinken. „M’r schämt sich vor sich selbst!“ Er hob wieder den Arm. „Es ist ja nur, dass man Gewissheit hat . . .“

Die Schranktür sprang lautlos auf. Der Tierarzt Steubesand stand schweratmend und starrte entgeistert in das Innere. Da hing an der Stange in der Mitte zwischen den anderen Kleidern ein vollständiger grüner Pagenanzug. Es klebten noch Konfetti an dem gefälteten Seidenstoff. Ganz frische Fetzen von Papierschlangen hingen an der Halskrause mit weissen Spitzen. Das Kostüm musste erst soeben abgelegt worden sein.

Louis Steubesand fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wollte er ein Spukbild vermischen. Aber der grüne Anzug blieb. Lore erhob sich jetzt. Sie schaute nicht nach dem Schrank. Aber ihre Stimme war sehr unruhig, von unterdrückter Aufregung gepresst, als sie fragte:

„Warum sprichst du denn nicht weiter? Was ist denn auf dem Maskenball geschehen? Wie war es denn mit dem grünen Pagen?“

„Ha . . . das musst du doch am besten wissen!“ Der Tierarzt stiess es keuchend, mit einer Kraftanstrengung hervor.

„Ich?“ fragte Lore verwundert. Ihre grauen, nervös flackernden Augen folgten der Blickrichtung des Vaters. Jetzt erst sah sie, dass die Schranktür offenstand. Da drinnen hing friedlich das Fastnachtsgewand. Sie zuckte zusammen, ihr Gesicht veränderte sich. Es wurde starr und blass. Sie presste die Lippen aufeinander.

„Du warst heimlich auf dem Ball . . .“ Der Tierarzt Steubesand hatte sonst eine Stimme, mit der man Tote erwecken konnte. Aber jetzt flüsterte er nur noch.

Die Lore zögerte einen Augenblick. Sie schaute nach dem seidenen Spitzenwams, an dem noch die bunten Papierschlangen hingen. Dann zuckte sie die Achseln und sagte:

„Na ja!“

„Als grüner Page?“

„Das siehst du ja!“

Der Falstaff trat auf taumelnden Beinen vor die Tochter hin. Er stöhnte.

„Bist du übergeschnappt?“

„Nein, gar nicht! Warum soll ich nicht auch einmal ein Stündchen das Tanzbein schwingen? Du hast selbst jetzt eben gesagt, dass junge Mädel tanzen sollen!“

„Aber nit mit einem polizeiwidrigen Fläschchen in der Tasch’, aus dem man anderen etwas ins Glas schüttet!“

„Vater — du sprichst einfach in Rätseln!“

„Warum hast du dem Staatsanwalt Pfeilschmidt etwas eingegeben?“

„Ich?“ Lore wich entsetzt einen Schritt zurück.

„. . . dass er stracks auf den nächsten Stuhl geplumpst ist! Man weiss jetzt noch nicht, was mit ihm los ist! Schnaufen tut er zum Glück noch!“

„Ich soll das gewesen sein?“

„Ha — wer sonst?“

„Ja — was soll denn das um Gottes willen heissen?“

„Was war denn in dem Champagnerglas — he?“

„Ich hab’ den ganzen Abend kein Champagnerglas in der Hand gehabt!“

„Hat dir der Staatsanwalt Pfeilschmidt etwas zu Leide getan? Das möcht’ ich jetzt bloss wisse! ’raus mit der Sprach’?!“

„Herrgott im Himmel: ich bin dem Staatsanwalt Pfeilschmidt nie im Leben begegnet! Weiss nichts von ihm — nicht einmal, wie er ausschaut!“

Louis Steubesand strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte er sich von einem schweren Traum befreien. Aber er schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Den Pfeilschmidt haben sie im ganzen Saal für den Prinzen Karneval gehalten!“ murmelte er. „Alle Leut’ dachten, der Jeanche Dörsam steckt in der schwarzen Mönchskutte! Wahrscheinlich auch du!“

Es kam keine Antwort. Der Vater raunte heiser.

„Den Jean Dörsam kennst du doch?“

Lore nickte mit hartem Gesichtsausdruck.

„Warum hast du dich an ihm vergreifen wollen?“

„Ich hab’ keinem Menschen ein Leid angetan!“ schrie die Lore hellauf. „Mein Gewissen ist rein!“

„Was hast du denn dann heimlich auf dem Ball gewollt? Du hast mir und der Mama doch kein Wort erzählt, dass du hingehen wolltest?“

„Das kann ich nicht sagen!“

„Da hat man’s!“ Der Falstaff sank schwer auf einen Stuhl. „Von seinem eigenen Fleisch und Blut!“

„Ich hab’ nichts Schlechtes vorgehabt. Es ist eine Sache, die nur mich angeht. Ich bin zu stolz, davon zu reden! Aber ich bin unschuldig an dem, was in dem Saal geschehen ist. Ich schwöre es dir!“

„Ich hab’ doch selbst den Pfeilschmidt da bewusstlos hocken sehe! Wie soll denn das nachher zugegange sein?“

„Das weiss ich nicht. Ich kann nur sagen, dass ich von dem allen keine Kenntnis habe!“

„So? Aber die grüne Lappe da in deinem Kleiderschrank — die spreche eine fürchterliche Sprach’ . . . sie Kreische ja allen Leuten in die Ohren: die war’s!“

„Ich war’s nicht!“ sagte die Lore hart und fest — ihr herbes, hübsches Antlitz war geisterbleich geworden. Der Tierarzt rang die Hände.

„Ja — wer soll’s denn dann gewese sein?“

„Ein zweiter grüner Page! Anders kann ich es mir auch nicht erklären!“

„Und das soll dir einer glauben?“

Lore zuckte die Achseln und starrte vor sich hin. Die Flurschelle klingelte. Louis Steubesand schrak in sich zusammen. Er stand schwerfällig auf.

„Da komme sie schon, um dich zu verhafte!“ sprach er dumpf. Er ging mit schwankenden Schritten und öffnete. Aber da draussen stand keine Polizei, sondern der silberglitzernde, närrische Hofmarschall mit seiner langen Pfauenfeder, der martialische Räuberhauptmann mit dem pistolengeschmückten Gürtel und der stolze Spanier mit Stossdegen und Spitzbart.

„Gute Nachrichte, Louis!“ sprach der Hopfenhändler Pitterlin. „Auf Männer wie uns kann man sich halt verlassen. Darf man eintreten?“

„Als voran!“ sagte der Tierarzt Steubesand mühsam. Die Tür zu dem Zimmer seiner Tochter stand offen. Er hörte innen das Klappen, mit dem Lore hastig den Kleiderschrank schloss. Gleich darauf kam der Hofmarschall Seiner Tollität mit den anderen über die Schmelle.

„Entschuldigen Sie bloss, Fräulein Steubesand, dass so e Haufe Männer in Ihr Heiligtum ’reinbricht!“

„Die ganze Wohnung ist ja sonst dunkel! Meine Frau schläft!“ sprach Louis Steubesand mit zitternder Stimme. „Also — mas ist?“

„Wir wissen das Nest von dem grünen Galgenvogel. Vor dem Echaus Elisenstrasse 13 — weisst: in der feinen Villengegend — is er vor unseren Augen aus der Droschke gestiegen und drinnen verschwunden! Als ob ihn die Nacht verschluckt hätt’!“

„Jetzt eben?“

„Ha — freilich!“

Der Tierarzt warf einen Blick auf seine Tochter. Er faltete die Hände.

„Ich glaub“, ich hör’ nit recht!“ sagte er.

„Du wirst dich noch mehr wundern, wenn du hörst, mer in seller Villa wohnt! Die Jenny Wiederhold!“

„Die lustige Witwe . . .“

„Justament die, die der Staatsanwalt Pfeilschmidt vor der ganzen Stadt hat sitze lasse!“

„Kinner — hebt mich!“ sprach der dicke Steubesand. „Um mich dreht sich ’s ganze Zimmer!“

Aber gleich darauf fasste er sich. Er holte tief Atem. Trocknete sich den kalten Schweiss von der Stirn. Er richtete sich entschlossen in seiner Falstaffgewandung auf.

„Da haben wir Bürgersleut’ unsere Schuldigkeit getan!“ sprach er. „Die Täterin ist ermittelt. Jetzt gehört da auf der Stell’ die Obrigkeit bei!“

„Im Ballsaal, wo wir dich zuerst gesucht haben, haben sie gesagt, der Untersuchungsrichter — der wär’ schon tätig! Der Binkert lässt ja nit mit sich spasse! Er soll gleich herüber in das städtische Krankenhaus gegangen sein, um zu schauen, ob er etwas aus dem Patienten herausbekommt! Dort treffen wir ihn! Der Mann braucht die Nachricht brühwarm!“

„Er wird der lustigen Jenny schon ihre Streich’ versalze!“

„Also nix als in die Klinik!“ Der Tierarzt Steubesand legte den Arm um seine Tochter. Er flüsterte ihr selig ins Ohr: „Es hat also zwei grüne Pagen gegeben, und der andere hat das Unheil angewichtet! Von deinem Fähnche da im Schrank brauche wir gar nit zu rede! Das hängt da lang gut! Du bist unschuldig! Gott sei Dank und Lob!“

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