Читать книгу Filmgewitter - Rudolf Stratz - Страница 4
I
ОглавлениеDie märzfeuchte, menschenwimmelnde Berliner Strasse zitterte von einem gellenden gleichzeitigen dutzendfachen Aufschrei. Zu spät! Es war schon geschehen! Das Auto hielt. Der Chauffeur sass versteinert. Ein Menschenbündel lag zwischen den Gummirädern: Blutiges, graues Künstlerhaar unter einem schäbigen Filz . . . löcherige Stiefelsohlen . . . .
„Herr Schupo . . . Sie haben glücklich wieder einen überfahren . . .“
„Wat denn, Mensch? Herr Schupo: Der olle Mann is direktemang in das Auto rinjetapert!“
„Lititi war er!“ schrie ein Ladenmädel. „Ich hab’ ihn doch über die Strasse kranewanken seh’n . . .“
„Ich bin Arzt!“ sagte ein Herr. „Helfen Sie mir, den Verletzten in das Haus da tragen!“
Er kniete in der Torwölbung der düsteren Mietskaserne in Berlin O. neben dem stillen Mann nieder . . untersuchte ihn, erhob sich.
„Tot!“ versetzte er achselzuckend: „Schnapsgeruch! Potator!“
„So musste det ’mal kommen!“ Der Hauswart, ein greiser Schuster in grünem Schurzfell und grünen Pantoffeln, stand neben dem Doktor. „In der Früh’ schon eenen nach ’m anderen uff die Lampe . . . .“
„Sie kennen den Berunglückten?“
„Er is jeden Morgen hier anjetreten . . vier Treppen hoch . . . zum Herrn Billing . . . der hat ihn ejal photographiert. Für’n Film! Ik weiss nich, wat an so ’nem ollen Mann noch zu photographieren is . .“
Oben, im Filmraum unter dem Dach, durchmass Götz Billing, wie ein Leu im Käfig, den kahlen, windgeschüttelten Glaskasten, ein behelfsmässig zum Filmen eingerichtetes, dürftiges photographisches Atelier. Er hatte in dem kraftschulterigen Körperbau, den grimmig geblähten Nasenflügeln etwas vom Wüstenkönig. Sein blonder Vollbart wallte. Er schüttelte mit einer ungeduldigen Kopfbewegung die gelbe Mähne aus der Stirn. Er grollte:
„Wo bleibt er denn wieder — diese Spottgeburt von Dreck und Feuer — Schmerold, du versoffenes Wunder?“
„Ich zieh’ Punkt zehn Uhr Leine!“ verkündete drüben ein Geschöpf mit Knabenkörper und Mädchenstimme, das, als Page in, verschossenem, schwarzem Wams und Höschen, auf einem löcherigen Strohstuhl kauerte.
„Gefühllose Kröte!“
„Heut’ abend hops’ ich in Kottbus!“
„Ich versteh’ immer Kottbus!“
„Ich muss auf die Dörfer!“ Der Page hielt eine Zigarette schief im Mund. „Hier in Berlin treten wir einander ja schon auf die Hühneraugen! In der Provinz — da kann ich noch Menkenken machen!“
„Und das nennen sie Kunst! . .“ Der Riese reckte die gewaltigen Fäuste zu dem niederen, regenüberspülten Glasdach. „Die höhe — die heilige Kunst . . .“
„Die geht eklig nach Brot!“ Die Tänzerin sprang mit einem Satz vom Stuhl und federnd wie ein Gummiball auf die Fussspitzen. „Von den paar Märkern, Herr Billing, die Sie in der ollen Glaslaterne hier pro Tag und Nase berappen . . .“
„Ich hab’ doch nicht mehr . . .“
„Warum filmen Sie dann auf eigene Rechnung . . . mit Armut und Edelsinn? Sie — ’n Regisseur, um den sich die Direktoren reissen? Lassen Sie doch andere Leute pleite gehn!“
„Meschugge . .“, sprach im Hintergrund philosophisch das Faktotum, ein langer, sorgenvoller Berliner in weissem Kittel, in dem er wie ein Krankenwärter aussah.
„Krause . .“ seien Sie still! Warum ich mit meinen paar ersparten Kröten — und Schulden dazu — auf eigene Faust zu produzieren versuche? Weil ich — Kind, verzeihen Sie das harte Wort — ein Idealist bin . .“
„Wenn einer verrückt wird, wird er’s meist zuerst im Kopp!“ bestätigte hinten August Krause.
„. . . weil ich es dick habe, immer denselben Kitsch zu inszenieren! Das ist ja der Fluch der Zeit: Wir erfinden alles wie die Götter und missbrauchen es wie die Wilden! Auch den Film!“
„Sie werden den Film ooch nich anders machen, Herr Doktor!“ sprach der Berliner heiser.
„Ich werde ihn ändern.“ Die staubigen Dielen krachten unter dem wuchtigen Schritt. Die zugigen, grossen Scheiben klirrten: „Ich werde den Film hinauf ins Ewigmenschliche erheben . . . .“
„Mit dem ollen Bummler — dem Schmerold?“
„Er ist ein lebender Leichnam — ja! Aber immer noch ein Genie! Früher, in seiner Glanzzeit, hätt’ ich das göttliche Luder ja auch gar nicht zahlen können! Vorwärts! Sei spielbereit, Trude, wenn das alte Laster endlich kommt!“ Götz Billing schob den gähnenden Pagen in die Mitte des Raums. „Die Situation ist genau wie gestern: Du bist seine junge Frau. Er sieht in dir einen Engel! Optische Täuschung natürlich! In Wirklichkeit bist du ’n treuloses, kleines Biest — eine leichtsinnige Krabbe — kurz . . du bist eben ein Frauenzimmer . .“
„Sie“ — sagte der bleiche, schwarze Page langsam — „Sie müssen’s ja wissen . .“
„Wieso?“
„Na. Sie sind doch auch von Ihrer Frau geschieden . .“
Götz Billing ging ein paar Mal schweigend durch den Raum.
„Ganz richtig“, sagte er dann gelassen, mit veränderter Stimme. „Ich bin von meiner Frau geschieden. Aber das gehört nicht hierher! . . Also Sie haben sich heimlich als Page für den Maskenball angezogen, Fräulein! Ihr Mann sieht es . . Sie stehen erschrocken . . Vier Meter Spiel: Telleraugen . . Wogende Brust . . .“
„Womit soll sie denn wogen?“ frug wehmütig von hinten Krause, mit einem kopfschüttelnden Blick auf das heringsdünne Geschöpf.
„Die rechte Hand mehr zurück . . . Dein kleiner Finger gefällt mir nicht . .So . . Salzsäule . . Ich möchte nur wissen, wo der Papa Schmerold wieder steckt . . . . Trudchen — drüben stehn die Zigaretten! Warť ein bisschen! Fix, Krause! Wir wollen inzwischen ’mal die letzten Bilder begucken!“
In dem fensterlosen, winzigen Vorführungsraum standen drei alte, schwarzgestrichene Schulbänke hintereinander, in schwachem, elektrischem Deckenlicht, vor dem grossen, leeren Leinwandviereck an der Rückwand. Götz Billing zwängte den mächtigen Körper auf die vorderste Kinderbank. Er hörte hinter sich von oben das trockene Berlinisch des Faktotums:
„Können wir uns ins Vergnügen stürzen?“
„Frag’ nicht, Drehwurm! Los!“
Es wurde mit einem Schlag stockfinster. Geisterhaft hell stand die mattleuchtende Leinwandfläche. Man hörte nur das leise, gleichmässige Summen der Kurbel . . . Und da . . . Der blonde Recke auf der Schulbank atmete auf: Da bist du, Bogumil Schmerold — wenigstens im Lichtbild von gestern auf der Leinwand von heute . . Da stehst du — du Menschenwrack . . . Bravo, Schmerold — Eine Grossaufnahme blendet auf — nur, riesenhaft, das verwüstete Antlitz . . . Mein Gott — was kann der alte Schnapsbruder noch . .! Aber zu lang das Bild . . So lang darf man Schmerold überlebensgross nicht zeigen — dann legt sich gespenstig ein Spinnweb von Tod — von Verwesung über die Züge . . . Ein hastiger Griff im Dunkeln nach der winzigen elektrischen Stehlampe auf dem Pult. Ein Glühwürmchen blinkt. In seinem tassengrossen Lichtkreis eine Notiz ins Drehbuch . . . „Akt II. Bild 15 . . zwei Meter weg! . .“ Wieder Finsternis . . Der Regisseur schaute auf . . Ah. . Da lief die Trude, die nebenan Zigaretten rauchte, ins Bild — nicht als Page, sondern als scheinheiliges Hausmütterchen vom Land — dem Schmerold entsgegen — die Jugend . . die Eva . . . ewige Eva . . . Los, Schmerold . . . Du wirst jung . . . Umfasse dein Glück . . . Ringel – Reigen - Rosenkranz . . Ich tanz’ mit meiner Frau . . . . . Schneller drehen, Krause! Sonst kommen die Beine doppelt . . . Tanze, Papa Schmerold . . . Weiss Gott . . . Das alte Gestell walzt als Evas Spielzeug mit einer müden Grazie . . . in herbstlicher Anmut . . . So sollte man den Totentanz malen — mit einem lachenden, jungen Weibsstück — nicht mit einem klappernden Skelett . . . . Herrgott . . . Warum wird’s denn auf einmal taghell? Trude! Was fällt dir ein, die Türe aufzureissen?“
Auf der Schwelle stand der schwarze Page. Hinter ihm der greise Schuster im grünen Schurzfell. Die Tänzerin streckte, mit starren Augen und offenem Mund, die Hände aus.
„Aufhören . . .“, lallte sie. „Aufhören . .“
„Kindchen — spar’ dir das Theater für Kottbus auf! Mang die Berliner zieht das nicht . .“
„Da tanz’ ich ja . . . Das ist ja grässlich . . .“
„Natürlich tanzst du! Dazu hat dich der liebe Gott ja eigens geschaffen!“
„Huh . .“ Der Page schlug hysterisch wimmernd die Hände vor die Augen und taumelte mit knickenden Knien gegen den Türrahmen. „Aufhören . . Ich werd’ ja verrückt . . .“
„Bist du ja schon . . scheint’s . .“
,Aufhören . . . Aufhören . . .“ Sie kreischte auf. „Der nimmt mich ja mit . . Ich muss sterben . . .“ Plötzlich brach sie in ein nervöses Gelächter aus . . „Da tanz’ ich ja mit einem Toten!“
„Was?“
Die Leinwand erlosch. Ein graues Nichts. Die Kurbel stand still. Die Trude keuchte nach Luft. Sie wies mit dem Zeigefinger vor sich hinunter auf den Boden. Sie flüsterte:
„Im Portierkeller unten liegt er . . . mausetot . . .“
„Schmerold?“
„Vom Auto überfahren . . . vorm Haus . . .“ Sie fiel ächzend auf einen Stuhl. Sie greinte: . .
„Und dabei soll der Mensch in Kottbus tanzen! Ich verfehľ heilig den grossen Sprung und lande im Orchester — mit beiden Beinen in der grossen Pauke . . Doktor . .! Helfen Sie mir . . . Wo sind Sie denn?“
Sie schaute wirr um sich und merkte jetzt erst, dass sie allein in dem Atelier sass. Götz Billing war die Treppen hinabgestürzt und stand wortlos unten, in der Pförtnerstube, vor dem Leichnam.
Das Antlitz des alten Mannes war jetzt, in seiner Leblosigkeit, feierlich-starr — viel wissend, was Menschen nicht wussten. Der verfallene Schauspielermund streng gefchlossen, als dürfte er ein grosses Geheimnis nicht verraten. In der tiefen Stille umher ruhten auf ihm die warmen blauen Augen seines Regisseurs: Wo weilst du in dieser Minute schon, Bogumil Schmerold? Dies hier — dies spiritusdünstende Bündel Lumpen und Knochen bist du nicht! Wo flohst du hin — du Flamme? Ich habe in dir noch einmal dein Göttliches entdeckt. Es erlosch . . . . Gute Nacht, Papa Schmerold! Du hast das verrückte Ding überstanden, das man Leben nennt . . . du hast’s gut . . . .“
Schuhsohlen wie von Blei . . so schwer schleppten einen die Füsse wieder die vier Treppen der Hühnerstiege bis zum Atelier empor. Diese niedere, von grauem Märzlicht durchfröstelte Laterne mit ihren winddurchpfiffenen, regenüberschwemmten schrägen Glasscheiben schien jetzt auf einmal besonders plunderig, schofel, voll Spinnweb, Staub und Dalles. Mitten in der Schiffbruchstimmung der vier kahlen Wände sass Krause, der Mann für alles, mit seiner langen, wehmütigen Nase:
„Det jiebt ’ne schöne Leiche, Herr Doktor!“ sagte er gedankenvoll.
„Los!“ Götz Billing reckte den Zeigefinger nach der Dunkelkammer. „Die Leiche lebt!“
„Ik soll jetzt die Mangel drehn?“
„— da, wo wir vorhin aufgehört haben . . .“
„— Wo Schmeroldens Name heuť abend im Polizeibericht steht? Herr Doktor . . Wenn einer tot is, kann er nicht mehr loofen . . .“
,,Doch! Er kann! . . . Was können wir nicht . . . heutzutage? Wir sind verfluchte Kerle . . . Wir machen auch die Toten kreuzlebendig.“ . . Götz Billing lachte und warf sich im Vorführungsraum auf die vorderste schwarze Schulbank. „Ich hab’ jetzt so ’nen Galgenhumor in mir! Fix, Krausel . . . Lass’ mir ’mal den toten Schmerold auf ’nen Sprung heraufkommen . . Ich will von dem fabelhaften, alten Kerl Abschied nehmen — nicht von seinem Kadaver, sondern von seinem Geist . . .“
Tiefe Finsternis. Das geheimnisvolle Viereck der Leinwand leuchtet auf. Die Leinwand lügt: Da ist Schmerold. Und liegt doch bei Portiers im Souterrain kalt und steif. . Nein . . . die Leinwand lebt: . . . Da läuft der Leichnam, der dort ruht . . . Da lacht er . . . Da geistert er geschäftig. . hüpft . . buhlt und balzt wie ein verliebter Auerhahn mit der Trude . . macht ihr schelmische Äuglein . . . küsst sie . . . —Gott sei Dank — das wirkliche Trudchen hat sich schon umgezogen und ist davongerannt — zum Zug — nach Kottbus . . . Donnerwetter . . . Schmerold . . Diesem inbrünstigen Schmatz merkt man deine dreiundsechzig Lenze nicht an . . . Schmerold: Noch ’nen Augenblick hiergeblieben . . . in diesem irdischen Paradies! . . . Ich befehle es! Solang’ wir kurbeln, bleibst du . .! Wir sind Tausendsassas — wir Kerle des zwanzigsten Jahrhunderts . . . Wir können alles . . . Bloss, wir können nichts . . . Wir sind arme Deubel . . Wir tun bloss so dicke mit unserer schwarzen Kunst . . . Wir lassen heuť die Toten tanzen und wissen nicht, wovon wir selber morgen leben sollen . . .
Der Regisseur sass schweratmend in dem Kellerdunkel. Allmählich begriff er, dass er ruiniert war . . . einfach ruiniert . . . Aus dem schwachen, bläulich flimmernden Lichtkegel über seinem Haupt hörte er, vom Projektionsapparat hinten, Krauses nüchternes Berlinisch:
„Herr Doktor — lang lass’ ich Schmerolden selig nich mehr an der Strippe tanzen! Mir jrault zusehends — mit ’ner Jänsehaut jesetzten Alters . . . .“
„Ruhe!“
„Nu kommt der Streifen, wo der Schmerold immer jrösser wird und nach vorn aus dem Bild heraustritt . . .“
„Alter Esel . . . Er kann doch nicht aus der Leinwand . .“
Die Leinwand lügt. Nein. Die Leinwand lebt. Die Leinwand lacht: — Es gibt nicht Tod noch Leben . . Es gibt nur Menschenschatten, die kommen und schwinden, bis die Knochenhand abblendet . . ., Bogumil Schmerold, auf der Leinwand, lachte laut. Man glaubte ihn lachen zu hören. Aber es war nur ein mephistophelisches Grinsen. Bogumil Schmerold wankte, rasch immer grösser werdend, auf der Leinwand nach vorn. Bogumil Schmerold, der Komödiant, wuchs zu einem fürchterlichen Riesen. Er hob dräuend die Hand: Was stört ihr meine Ruhe? . . Er stand mit dem einen zerrissenen, gigantischen Stiefel scheinbar schon draussen im Vorführungsraum, auf dem Pult der Schulbank . . .
„Ick mach’ Schluss!“ sagte Krause. Die Bildfläche schwand in Schwarz. Das Kurbelsurren stoppte. Er schlurfte, etwas bleich um die hageren Stoppelwangen, in das Atelier. Er zerrte achtlos hinter sich eine dünne, raschelnde, dreissig Meter lange Schlange des aus der Kapsel gerissenen Filmstreifens über den Staub der Diele und wickelte sich, während er sich setzte und die Beine übereinanderschlug, nachdenklich das eine Ende um den Zeigefinger . . . lauter briefmarkengrosse, zusammenhängende Bildchen . . Schmerold — Dutzende von Malen hintereinander Schmerold — scheinbar immer in der gleichen Stellung. Man hätte genau mit der Lupe prüfen müssen, um die veränderte Bewegung von einer Aufnahme zur anderen zu unterscheiden.
„Den Film können wir uns nu sauer kochen lassen, Herr Doktor!“ sprach er.
Götz Billing antwortete nicht gleich. Er sass da, blondbärtig, ein Mann zu Mitte der Dreissig, mit versonnenen blauen Augen.
„Sehr richtig!“ sagte er langsam. „Mitten in den Aufnahmen stirbt uns der Schmerold weg. Ersatzmann gibt’s beim Film nicht. Also Schluss! Krause! Schmeissen Sie die ganzen Schmonzes, die wir gedreht haben, im Hof in ’n Müllkasten! Das Zeug ist keine Bohne mehr wert!“
„Na — so pleite — so pleite!“ sagte Krause.
„Bin ich! Im Lauf von einer Sekunde . . .“
„Wären Sie auf alle Fälle jeworden, Herr Doktor!“ tröstete der Berliner. „Det Ding hätt’ ja ’nen Reinfall von Schaffhausen jejeben! Nu darf man’s ja sagen! — Herr Doktor: Wat soll der Idealismus beim Film?“
„Ihn veredeln . . .“
„Verekeln! . . Mit dem höhern Wuppdich jraulen Sie bloss den kleinen Mann aus ’m Kientopp! Darüber sind sich die Jelehrten einig . .“
„Gut!“ Götz Billing stützte das blonde Löwenhaupt in die Fäuste. „Ich bin der deutsche Michel! Ich bin ein grosses Kind! Die Litanei hab’ ich nun schon bis zur Erschlaffung gehört! Die Leute haben total recht: Ich bin ein Esel. . . .“
„I Gott bewahre, Herr Doktor! Wenn einer als Regisseur seinen Mann steht, dann sind Sie’s! Sie wollen bloss nich . . . det is es!“
„. . . ein Esel, der, statt sich dem Meistbietenden auf Tage, Wochen und Monate zu vermieten, den Vogel hat, der Kunst zu dienen — der wirklichen Kunst . . . und mit so einem Sauhieb, wie eben, dankt einem das Ideal . .! Alles, was ich hab’, perdutto! Mehr! Es laufen auch noch so verfluchte Wechsel von mir, Krause.“
„Na — denen wünsch’ ich vergnügte Beene!“
„Hol’ der Teufel den Idealismus!“ Der blonde Recke sprang dröhnend auf die Beine. „Ich hab’ es dick, mich ewig vom Schicksal hohnepiepeln zu lassen! Ich mach’ jetzt jeden Unfug mit, der sich mir bietet! Ich inszeniere, was mir vor die Finger kommt! ,Karlchen geht heiraten’ und ,Das Auto in der Dachrinne’ und ,Die Bluthunde von Wildwest’! Je gehirnerweichter, desto besser! Mir höllisch Wurst!“ Götz Billing schüttelte grimmig die mächtigen Fäuste zum durchsichtigen Atelierdach empor. „Himmel — lass dich erweichen! Schick mir zehn Pfund Bockmist, dass ich ihn verfilme!“
„Können Sie geniessen!“ sprach eine weinerliche Stimme von der Türe. Der Hausherr schaute flüchtig auf den dürftigen kleinen Mann.
„Gott, Turkowitz . . .“, sagte er. Weiter nichts. Der Gast setzte sich unaufgefordert, den Hut im Genick, den nassen Regenschirm zwischen den Knien. Unter der Filzkrempe klebten ihm schwarzgeölte. Haarsträhne in das gelbliche Gesicht unbestimmten Alters. Über dem schwarzgefärbten Schnurrbärtchen liefen zwei gerissene, kohlschwarze Augen rastlos hin und her wie die Wiesel im Käfig. Turkowitz stiess beim Sprechen etwas mit der Zunge an. Er hob die Schultern.
„Nu — was is? Sie haben Pech gehabt! Machen Sie sich nix daraus! Immer wenn ich Sie treff’, haben Sie gerad’ Pech! Vor vier Jahren, wie ich Sie kennengelernt hab’, waren Sie eben von Ihrer Frau geschieden . . .“
„Was geht denn das Sie an?“ Götz Billing schritt wuchtig im Atelier auf und nieder. „Jeder kommt mir heute und redet mir von meiner früheren Frau . .“
„Ich hab’ sie nicht gekannt!“ sagte Ted Turkowitz. „Und wenn ich sie gekannt hätte — hätť ich ihr geraten: Lassen Sie sich nix scheiden! . . Denn Sie werden noch ’n gewaltiger Mann, Herr Doktor! An Ihnen werden wir noch ’was erleben! Das sag’ ich Ihnen als Freund! Meine Freunde haben alle ’ne Zukunft!“
„Wer sind denn Ihre Freunde?“
„Nu — die, die ’ne Zukunft haben! Sie sind ein Schlemihl, Doktor! Sie machen nix aus sich — mit all Ihrem Talent! Gut — mach’ ich Sie! . . Sehen Sie: Da hätt’ ich was für Sie! . . .“
Der kleine Mann sah sich scheu um. „Is Ihr Faktotum aus ’m Zimmer? Ja! . . Hören Sie: Ich dreh’ ’n Film, Doktor . . . . Auf eigene Rechnung.“
„Also auch verrückt geworden?“ sagte Götz Billing. „Schön! Geben Sie mir die Hand!
„Nu trifft sich das so glücklich, dass wir heute den Tod von Schmerold zu begrüssen haben! Denn nu sind Sie frei. Ich will nämlich Sie als Regisseur — und keinen anderen . . Warum drehen Sie denn die Hosentaschen um? . .“
„Tun Sie’s nur auch! Dann brauchen wir nicht erst zu schmusen! Sie haben nicht und ich ’n bissken weniger!“
„Werd’ ich Ihnen ’mal was zeigen!“ Der kleine Mann aus Tarnopol schob lauernd die Unterlippe vor. Er legte mit einem freundlichen und pfiffigen Schmunzeln das schwarze Köpfchen auf die Schulter. Er fingerte die Fächer einer dicken Brieftasche auseinander. Unter seinen zehn schwarzen Nagelrändern bauschten sich Stösse von deutschen und ausländischen Banknoten.
„Bitte — bedienen Sie sich!“ sprach Ted Turkowitz, als böte er als Hausherr eine Auswahl von Zigarren an. — „Wissen Sie, ich steck’ mir immer ’n bisschen Kleingeid ein — aus den grossen ganzen Paketen in meinem Kassenschrank — eh’ ich auf die Strasse geh’ . .“
,,Donnerwetter — muss das eine Arbeit gewesen sein . .“ sagte Götz Billing.
„Arbeit?“
„Na — die Scheine da alle nachzumachen!“
„Die Blüten sind echt!“ sprach Turkowitz ohne falsche Empfindlichkeit. „Greifen Sie zu, Doktor . . . Devisen . . Märker . . . was Sie wollen . . zehntausend . . . zwanzigtausend Emmchen . . . bitte . . Kleiner Vorschuss . . . Brauchen Sie natürlich . .“
„Turkowitz . . . Woher haben Sie das Geld . .?“
„Das nennt der arme Mann Geld . .“ Ted Turkowitz seufzte nachsichtig. Er hob zwischen den beiden Händen em entfaltetes Papier. Die schwarzen Augen funkelten wie Kohlen über den Rand. „Lesen Sie ’mal . . . Diesen Kontokorrent-Auszug von der Deutschen Bank . . auf meinen Namen . . .“
Der vor ihm sprang jäh empor und stiess den Stuhl zurück.
„Turkowitz!“ sagte er langsam . . „Das geht nicht mit rechten Dingen zu! . . Von wem stammt denn dieser polizeiwidrige Mammon?“
„Nu — von feinen Leuten . . . Was reden wir viel? . . . Was kümmert das Sie? . . Ich mach’ ’n Film . . und Sie sollen ihn drehen!“
Götz Billing ging unruhig auf und ab. Er schwieg. Er blieb stehen und schaute, die Hände in den Hosentaschen, auf den Sohn Tarnopols hinunter, und der, schlangenschlau lächelnd, zu ihm in die Höhe.
„Wie ich ’reinkam — da sehnten Sie sich doch gerade nach ’nem rechten, gesunden Kitsch! Ich hab’ da ein Manuskript — so ’was Schlechtes haben Sie schon lange nicht gesehen! . . Zu dem Ding hab’ ich ’n Zutrauen! Das Ding will ich in den Handel bringen! Mit Ihnen als Aufnahmeleiter! . . Da . . Das ist es!“
Der Regisseur öffnete das blaue Heft. Er wiederholte halblaut, stirnrunzelnd den Schreibmaschinen-Titel: „Die Geheimnisse von Stambul“ oder „Die Gouvernante im Harem.“ ,,Grosses Filmdrama in fünf Akten und einem Vorspiel.“ Er liess das Manuskript sinken.
„Das scheint allerdings ein ausgewachsener Kohl zu sein!“ sagte er . . „Wer hat denn das verbrochen?“
„Fragen Sie nix! Der Mann wünscht nicht genannt zu werden.“
„Das kann ich ihm nachfühlen!“ Götz Billing überflog das Personenverzeichnis: „Der Pascha — Gülnare, eine Odaliske — Pia Kardas, geprüfte Gouvernante — Jenö Pelikan, ein anatolischer Stationsbeamter . . . nette Menagerie! . . . Die arme Mali, eine Wiener Baroness — Fatme, Zuleika, zwei Sklavinnen . .“ Der blonde Hüne sandte einen stummen Blick zum Himmel. Er durchblätterte rasch, mit geübter Hand, die Seiten und überlas im Flug einzelne Stichproben.
„Machen kann man’s!“ entschied er. „Es ist technisch richtig! Von irgendeinem geübten Filmschreiber verfasst. Aber was wollen Sie denn mit dem Zeug?“
,,Gott! Die Leute freut’s!“
„Welche Leute? Turkowitz . . Wir sind doch beide aus den Windeln ’raus! . . Sie wissen genau so gut wie ich: Das Ding ist sauschlecht!“
„Deswegen wird es ja gerad’ ’n Geschäft! Aus Ihrem Film mit dem Schmerold selig da unten — was wär’ daraus geworden? Nix wär’ daraus geworden! . . Aber hier riecht’s nach Geld!“
„Es ist schade um Ihr schönes Geld!“
„Zerbrechen Sie sich doch nicht mei’ ausgeruhtes Köppchen, Doktor! Ich hab’ nu ’mal Meinung für die Sach’!“
„Da haben Sie womöglich schon die Darsteller engagiert?“
„Bleibt alles Ihnen überlassen! Nur da . .“ Turkowitz deutete, mit dem Zeigefinger auf die zweite Seite. „Für die Rolle des Pelikan — da möchť ich den Dimitrij Senestry haben.“
„Der filmt ja augenblicklich unter Gruithusen bei der ,Stella’ . .“
„Wird aber heute fertig! Wir fahren jetzt gleich hin!“
„Nehmen Sie sich nur gleich ’ne Stange Gold für den grossen Mann mit!“
„Geld spielt keine Rolle! Ihnen zahl’ ich auch Ihren ganzen totgeborenen Film mit dem Schmerold! Reden Sie nix! Schon erledigt! Sie sollen keine Geldsorgen im Kopf haben, wenn Sie mir meinen Film drehen! Ach ja . . e Kleinigkeit . . sehen Sie da, Doktor . . bloss, eh’ ich’s vergess’. . . die Rolle da . . ,Die arme Mali’ . . .“
„Die arme Mali — eine Wiener Baroness . .“
„. . die möchť ich gern mit einer bestimmten Dame besetzen . . . Sie gönnen mir den Spass . .? Nu?“
Götz Billing lächelte. Er glaubte jetzt zu verstehen, um was es sich bei der ganzen Geschichte handelte.
„Ich habe Ihnen als Regisseur überhaupt keine Vorschriften zu machen“, sagte er. „Ich habe mit dem Manuskript und dem Darstellermaterial zu arbeiten, das Sie mir anvertrauen! Ich werde mir alle Mühe geben, aus der betreffenden Dame, für die Sie sich interessieren, das Beste herauszuholen. Richten Sie ihr, bitte, das aus!“
„Nu — sagen Sie’s ihr selbst! Ich weiss . . Sie ist augenblicklich auch in der , Stella’! Kommen Sie! Ich hab’ unten ’n Auto zu warten! Kommen Sie, Doktor . . . Kommen Sie. Ich hab’s eilig . . . mit den Geheimnissen von Stambuľ . . .“