Читать книгу Filmgewitter - Rudolf Stratz - Страница 5

II

Оглавление

Der Taxameter stoppte, mitten in Nüchternheit und Nebel Berlins. Rechts von der Toreinfahrt, deren grosse Eisengitter offen standen, prangte an dem bröckeligen Hausverputz in goldenen Lettern ein Rattenkönig von Filmindustrie — „Rühlke und Sohn“, eigentlich eine eingetragene Fouragefirma der Berliner Produktenbörse, der das Glashaus hinten im Hof, ursprünglich ein Tattersall, gehörte. Die Geschäftsräume der ,,Stella“-Film G. m. b. H., die eben darin arbeitete. Die mit ihr verschwisterte „Californian Moving Pictures Company“. Die „Two Worlds Comp. Ltd.“, die Verbindungsschleuse zwischen Berlin und New York über den Ozean für die Springflut des amerikanischen Imports. Tochtergesellschaften heckten dazwischen wie die Kaninchen — der „Linda Sabbadini-Film“ mit italienischem Einschlag, der „Bewiliw“, der Berlin-Wiener Lichtspiel-Verleih, das Büro Dimitrij Senestrys, des grossen Kino-Divus, im zweiten Hinterhaus das Kontor des. „Kosmos“, Spezialgeschäft für Plania, Chromo, Motor- und Dynamokohlen, und das Atelier Knille für Reklame-Diapositive. Es roch nach Dollars, nach Übersee. Man hörte den Wellenschlag des Stillen Ozeans an der Küste von Los Angeles branden, man sah im Geist draussen in der Welt Nigger und Malayen, Rothäute und gelbe Männer vor der zappelnden Leinwand kauern.

Ein Häuflein Menschen stand wie immer am Toreingang und lugte neugierig in den Hof. Es lagen da Schutthaufen von zerschlagenen goldenen Ornamenten in den Wasserpfützen, tiefgrün und himmelblau bemalte Holzgestelle wurden auf Leiterwagen geschichtet, ein Thronsessel mit vergilbtem, purpurnem Baldachin lehnte einsam im Regen neben einem altrömischen Zirkuswagen, davor hielten reihenweise innen im Hof die wartenden Privatautos der drinnen tätigen Filmprominenten, von der Limousine bis zum offenen Ford-Schnauferl.

Der Pförtner kannte Götz Billing und den kleinen Turkowitz und legte zwei Finger an den roten Mützenrand.

„Heuť is drinnen Irosskampftag, meine Herren!“ . . meldete er leutselig. „Na — Sie da . .“ Er fasste einen blassen, bärtigen, kleinen Mann am Zipfel des Radmantels. „Wat schlängeln Sie sich denn schon vom Tor ab hinter den beiden Herren her? Jehören Sie zu ihnen? Na — also . . marsch retour, Männeken! . . Hier is kein Kientopp! Dat Ilashaus is hermetisch jesperrt!“

Haushohe, mit grauer Leinwand bespannte Balkengerüste verdunkelten den Eingangsraum. Die beiden Filmmänner arbeiteten sich, an den Wirrwarr des Ateliers gewöhnt, durch einen Urwald beiseite geschleppter byzantinischer Gipssäulen, Sänften, Sessel, geschnäbelter Barken, künstlicher Palmen, an einem Käfig mit ein paar lebendigen, grossen, braunen Brummbären vorbei, zwischen Leitern und Farbkübeln, Holzsägen, Hämmern, Gewindebohrern, Latten auf den staubigen Bodendielen. Immer noch sperrte die verschlissene, graue Rückwand der Dekoration die Aussicht. Es leuchtete ein goldiges Mittelmeergeflimmer durch die Ritzen, als glühe dahinter die Sonne des Südens. Ein hundertfaches, undeutliches Stimmengewirr drang aus dem Innenraum, ein Stimmen von Instrumenten, wie während der Theaterpause in der Oper.

„Krauchen Sie ’mal da unten durch, Doktor!“ sagte Turkowitz, einen schweren, hinten mit Segeltuch gefütterten Altarvorhang aufhebend, und hielt sich die Hand vor die Augen. „Uff! Da sind wir . .“

Licht . . Licht . . Licht . . Licht von allen Seiten. Ströme von Licht. Dutzende von künstlichen Sonnen. Rollende, hohe Bretterwände mit einem ganzen Sternhimmel blendender Jupiterlampen. Mächtige, wie Backofen glühende Reflektoren warfen aus den Ecken von den Galerien lange, leuchtende Strahlenkegel in den Farbenrausch des Hofes von Byzanz, in das Gewimmel von weisser Menschenhaut, purpurnen, meerblauen, nilgrünen, goldgestickten Gewändern und kostbarem, schimmerndem alten Samt, silbernen Harnischen, hochgetürmten blonden und schwarzen Perücken, hunderten von rosig geschminkten, schönen Gesichtern von Männern und Frauen. Berlin lag draussen, am Vormittag, plötzlich fern, in wesenloser, grauer Regennacht — ein Nebelheim — ein Schattenreich. Hier badete sich die Welt in goldenem Licht und allen Regenbogenfarben. Hier war man am Marmara-Meer, im sechsten Jahrhundert, im Palast der Kaiserin Theodora von Byzanz, der gekrönten Zirkusdirne, des Bärenwärters Tochter. Dort oben, auf dem Thron, sass sie in unwahrscheinlicher Schönheit, das Diadem auf dem bleichen Rabenhaupt, und biss in ein Schinkenbrot.

„Nicht so laut — während der Spielpause!“ donnerte eine Männerstimme wie das jüngste Gericht über das farbige Gewühl. „Wenn einer hier brüllt — dann bin ich’s!“

Das war also der Regisseur. Götz Billing und Ted Turkowitz steuerten, durch Haufen von Hetären, Gladiatoren, Priestern, Wagenlenkern, dem Ort des Getöses zu. Da stand Jan Gruithusen, der Regisseur zweiter Weltteile, in Hemdsärmeln und aufgesträubtem Grauhaar, breitschulterig, mit dem bartlosen Antlitz eines gut gelaunten Preisboxers. Er schubste einige byzantinische Prinzessinnen beiseite — „Platz, Kinder!“ — und quetschte wuchtig Götz Billings Hand.

„Sie beehren mich post festum, Kollege! Ich mach’ heuť Schluss! Ich lass’ eben die letzten Aufnahmen entwickeln. Nun sehen Sie ’mal den Staub in der Luft — da müssen die Photographien ja säuisch ausfallen! Los . . . Wasserzerstäuber! . . So. . .“ Die Handspritze feuchtete mit feinem Dunst das Geflimmer der Sonnenstäubchen in den Lichtbahnen der elektrischen Lampen. „Sind die Platten noch nicht aus ’m Bad? . . Na — dann wollen wir ’mal ’n bisschen tanzen.“ Der Gewaltmensch klatschte befehlend in die Hände. „Leben in die Schatulle! Ich seh’ da lauter so langweilige Gesichter . . . steife Beine . . . Go on!“

Die Musik spielte einen Foxtrott. Die bunte Palette der Komparserie wogte. Wüstenheilige und Buhlerinnen, Zirkuskutscher und Prinzessinnen, Sterndeuter und Blumenmädchen schoben sich und verschränkten im Takt die sandalenbeschuhten Füsse. Jan Gruithusen warf einen Feldherrnblick über den Reigen und wandte sich wieder zu Götz Billing. Ted Turkowitz war inzwischen still wie ein schnürender Fuchs hinter dem tanzenden Hofstaat zu einem Beobachtungswinkel in der Ecke geschlichen und betrachtete von da funkeläugig das vielhundertköpfige Gewoge.

„Was macht denn Ihr Film, alter Billing? Wie? Schmerold unter den Rädern? Mensch — haben Sie ein unverschämtes Glück! . . Mit dem Schmarren hätten Sie sich nämlich um Ehre und Reputation gebracht!“

„Das habe ich heute schon mehrmals gehört!“

„Wird Ihnen hinterher jeder clevere Mann sagen! . . Da . . old boy . . Betrachten Sie diesen Floh-Zirkus! Sehen will der Mensch — das grosse Kind — im Kino! Die Augen wollen leben! . . Das sogenannte Gehirn — das strapezieren wir uns schon ausserhalb vom Kientopp genug!“

„Ich drehe jetzt auch etwas Neues!“ sagte Götz Billing. „Für Turkowitz . .“

„Für Turkowitz? Werd’ ich Ihnen einen zugkräftigen Titel empfehlen: Der Mann ohne Geld!“

„Geld wie Heu . .“

„Wo hat der Turkowitz denn das gest . . . gestern frühestens bekommen.?“

„Geheimnis! Und der Titel steht schon fest!“ Götz Billing schlug sich mit der mächtigen Pranke auf die Brustseite, wo er das Drehbuch in der Innentasche eingeknöpft trug . . . „. . ,Die Gouvernante im Harem’ . .“

„Die Gouv . . . Das ist scherzhaft . . .“

„Nicht wahr? Und nun erlauben Sie mir ’mal, dass ich ein paar Worte mit Senestry rede! Sie brauchen ihn nicht mehr?“

„Von morgen ab: nee! . . . Die Gouv . . . Na . . Armund Beinbruch zu dem Film, Kollege!“

Alle diese massenhaft herumwimmelnden Hohenpriester, Höflinge und Herren von Byzanz trugen die langsträhnigen Apostelscheitel und gelockten Keilbärte ihrer Zeit. Es war eine harte Nuss, auch für den Kundigen, unter der Fülle künstlichen Haars und der Fettschicht der Schminke, gerade dasjenige glattrasierte Schauspielerantlitz herauszuahnen, das er suchte. Aber da wehte der feine, würzige Duft einer russischen Zigarette! Diese Feuersgefahr konnte sich, der Hausordnung zum Hohn, nur ein ganz Grosser erlauben! Richtig — da lehnte an einer Marmorwand aus getünchtem Gips des Byzantinerkaisers Majestät in höchst eigener Person, stiess den Qualm einer Papyros durch die Nasenlöcher und studierte, den Zwicker über ihnen, die Sportnachrichten im Morgenblatt, ohne sich um die eindringlichen Volksreden des Feuerwehrmannes vor ihm mehr zu kümmern als um das Gehämmer und Geklopfe ringsum — diese stete, alltäglich von früh bis spät an den Wänden widerdröhnende Begleitmusik des Glashauses. Hinter dem Wächter im Löschhelm tanzte angstvoll ein Hilfsregisseur hin und her und zischelte:

„Minimax! . . Reizen Sie um Gottes willen Herrn Senestry nicht! . . Wenn er aus der Stimmung kommt, schmeisst er uns die Schlussaufnahme! Der heutige Tag mit vierhundert Statisten kostet uns zehntausend Goldmärker auf den Tisch des Hauses!“

Der Kaiser Justinian liess den Bericht über den Boxerabend im Sportpalast sinken und schaute den Regisseur Billing schweigend an. Um die Lippen zuckte ihm noch, unter dem aufgeklebten, rötlichen Bocksbart, der Geist seiner Rolle — das grausam-fromme, tückisch-schmeichelnde Lächeln von Byzanz. Die Perücke und auf ihr die vergoldete Messingkrone verbargen die edle, schmale Kopfform. Nur die Augen in dem länglichen Antlitz waren echt. Sie erinnerten Götz Billing immer, wenn er den Mimen Senestry wieder sah, an die grossen, runden, geisterhaften Augen eines Nachtvogels, so verschleiert, geheimnisvoll, lagen sie tief in ihren Höhlen und spiegelten sich gespenstig auf der Leinwand.

„Nun — Meister — wie geht’s?“

Der Divus entschloss sich, den glimmenden Zigarettenstummel unter den argwöhnischen Blicken des Feuerwächters am Boden mit dem goldenen Schuh zu zertreten. Er antwortete nicht auf die banale Frage.

„Sind Sie zufrieden?“

„Zufrieden?“ wiederholte Dimitrij Senestry mechanisch. Er sprach sehr gut Deutsch. Er war eigentlich ganz waschechter Norddeutscher. Er machte nur seit ein paar Jahren die Russenmode im Film mit, die jetzt in der amerikanischen Sintflut ertrank.

„Ein Schauspieler soll zufrieden sein?“ sagte er leise und besorgt, „Schauspieler sind harmlose Irrsinnige. Man muss sie tagsüber nicht reizen. Dann sind sie nur abends zwischen acht und elf Uhr gemeingefährlich!“

„Aber hier stehen Sie doch als Filmstar!“

„Filmschauspieler sind noch viel krassere Prügelknaben der Schöpfung!“ Der geheimnisvolle Mensch wurde plötzlich lebhaft. Er tippte dem andern mit dem Zeigefinger, an dem ein seltsam geschnittener Kabbalastein funkelte, vor die Brust. „Ihr seid Schufte . . Ihr im Glashaus! Ihr seid Seelenverkäufer! Ihr macht aus mir einen umgekehrten Schlemihl — nicht einen Menschen ohne Schatten, sondern den Schatten von einem Menschen!“

„Es kommt auf die Rolle an . .“

„Es ist alles bei euch Teufelsdreck und blauer Dunst!“ Nervöser Groll umwölkte die leidenden Mitternachtsaugen des Kaisers Justinian. Um den geistreichen Mund haftete das sardonische Lächeln zwischen Altar und Arena. „Wo bleibt denn in dieser Räuberhöhle hier meine warme, wohltönende Menschenstimme? Wo bleibt der Glanz meines Purpurs? Auf dem Wege von der Lebendigkeit zur Leinwand verliere ich nicht nur die Farbe und die Sprache — ich verliere auch ein Drittel meines leiblichen Ich — die ganze schöne dritte Dimension. Ich behalte nur noch zwei! Ich werde grau und stumm und flach wie dies Stück Pappe hier . . . . Sehen Sie: darum fliehe ich in die vierte Dimension . . . zum Ausgleich für die dritte.“

Die geschminkte Majestät dämpfte ihre Stimme geheimnisvoll. „Ich habe seit voriger Woche wieder Klopf-Phänomene erlebt . . . Blumen-Apporte . . . Mein neues Medium ist grossartig . . Übrigens ’ne Wachtmeisterswitwe aus der Verlängerten Hedemannstrasse . .“

„Haben Ihnen Ihre Spirits auch schon verraten, was Ihnen morgen bevorsteht, Herr Senestry?“

„Morgen? . .“ Der Grossherr von Byzanz fingerte unter dem Kaiserornat nach der Zigarettendose und liess die gespenstig durchgeistigte Hand, auf einen verzweifelten Blick des Minimax hin, gottergeben wieder sinken. „Morgen bin ich aus dem Saustall hier heraus und autle auf meine Hühnerfarm in der Mark . . Verstehen Sie was von Zuchtrassen? Ich habe da jetzt eine einfach fabelhafte Kreuzung zwischen Hamburger Silberlack und den hundsgemeinen rebhuhnfarbenen Italienern! Sie müssen ’mal . . .“

„Ihre Geister haben Sie falsch unterrichtet, Herr Senestry! Sie werden nämlich von morgen ab wieder, mit Ihrer ganzen nachtwandelnden Genialität, bei uns vor dem Kurbelkasten stehn.“

„Kurbelt des Teufels Grossmutter!“ Der Cäsar spuckte aus. „Ich war heute zum letztenmal in eurem Kasperl-Theater hier!“

„Das sagen Sie im Theater nach jedem Bombenerfolg in der Première, und das sagen Sie im Glashaus regelmässig am Schluss der Aufnahmen! Aber diesmal rufen Ihnen Ihre Geister und Ihre Hühner umsonst! Ich bin von Herrn Turkowitz beauftragt, Sie um jeden Preis zu engagieren!“

„Turkowitz?“

„Er ist hier im Glashaus . .“

„Welcher leichtsinnige Mensch hat ihm denn das Strassenbahngeld geliehen?“

„Er muss Sie haben! . . Also kurz, Herr Senestry, was kosten Sie augenblicklich?“

Der Kaiser von Byzanz lächelte neronisch und ironisch. Er gähnte nervös. „Schön!“ sagte er dann belustigt . . „Fünfhundert Dollars täglich!“

„Abgemacht!“

,,Au!“ schrie ein Blumenmädchen von Byzanz. Der grosse Mime war ihr, während er völlig baff einen Schritt zurücktrat, achtlos auf die blossen Zehen getreten. Er fasste sich und versetzte leise und vertraulich:

„Sie müssen bald etwas dagegen tun, Herr Billing! . . Das sind krankhafte Zwangsvorstellungen bei Ihnen: Turkowitz und Geld! . . .“

„Das ganze Geld für einen Monat wird heute nachmittag noch notariell für Sie deponiert! Vorauszahlung nach Ihrem Belieben!“

„Was spiele ich denn?“

„Soweit ich das Manuskript eben im Auto durchflogen habe, einen mit allen Hunden gehetzten Balkan-Abenteurer! . .“

„Solche Rollen liegen mir!“ Der Kaiser Justinian riss zornig an seinem Prunkgewand . . „Diese historischen Bandwürmer . . . Alles Kaff . . . Längst überholt . . . Aber ein Stoff aus der lebendigen Gegenwart . . . Also . . Da habt ihr mich, Kinder! Ich darf mich neuen Aufgaben nicht entziehen! Ich bin das meinem Talent schuldig . . . und schliesslich dem Publikum auch, das mich nun einmal sehen will . . . Fünfhundert Greenbacks — sagten Sie?“

„Pro Tag . .“

„Sei’s denn . . Ich bin ein schwacher Mensch . . Nur weil ich unter Ihnen arbeiten darf . .“

„Mit mir!“

„Wo ist denn der Turkowitz?“

„Er pintschert hier irgendwo ’rum und sucht die Darstellerin für die Divarolle . .“

„Mit welcher Dame spiele ich?“

„Das ist Turkowitz sein Geheimnis . . Dort drüben schleicht er . . Jetzt bleibt er stehen. Er betrachtet irgend etwas, das er in der Hand hält . .“

„Das Bild seiner Geliebten!“ schmunzelte der Kaiser Justinian. Ihm wurde warm von den Dollars. Er war in rosigster Laune. Der Regisseur schüttelte den Kopf:

„Komisch: Er müsste doch seine Diva auch ohne Steckbrief kennen — der smarte Ted . . .“

„Ted! Ted! . .“ Die byzantinische Majestät feixte düster. ,,Tarnopol liegt doch nicht in den Vereinigten Staaten!“

„Aber Turkowitz hat ’mal in Amerika als Manager einer Wiener Operettengesellschaft gleich in den ersten Wochen umgeschmissen! Seitdem fühlt er sich halb als Yankee . .“

Drüben, am andern Ende der mächtigen Halle, vertrat sich der kleine Turkowitz die Beine. Er hatte die rastlos rollenden Schwarzkirschen von Augen scheinbar schläfrig zugekniffen. Er schlenderte, die Hände in den Hosentaschen, als ein Schlachtenbummler des Glashauses. Niemand achtete viel auf den olivgelben kleinen Mann mit dem pechfarbigen Haar. Jetzt blieb er stehen und hielt ein aufgeklapptes Notizbuch dicht vor die Augen, so dass man die darin steckende Photographie nicht sah. Die wenigen Herren im Alltagsgewand, die barhaupt zwischen dem buntgekleideten Filmvolk herumliefen — Regisseure, Inspizienten, Architekten, Kostümzeichner, Dramaturgen, Geschäftsführer —, hatten alle, mit Ausnahme der Operateure, irgendein Heft oder Aktenstück in der Hand. Es fiel nicht auf, dass der Kiebitz in der Ecke über den Rand hinweg rasch noch einmal irgend jemanden in der Nähe mit dem Bild innen verglich.

Dicht vor Turkowitz kauerte, auf einem Stapel staubiger Bretter, malerisch ein Schwarm byzantinischer Zirkushetären — lauter schöne Geschöpfe, blond, braun, brünett in höchst durchsichtigem und knappem Flor —, ein Blumenflor im Farbengegaukel von Zimmet- und Orangebis zu Lachs- und Pfirsich-, Elfenbein-, Perlmutter- und Bordeauxtönung. Einer der bunten Schmetterlinge führte das grosse Wort. Sie sass ganz oben auf dem Holzstoss, baumelte mit den blossen, dünnen Beinen und schwatzte in sprudelnder Suada, während ihre schlanken zehn Finger ebenso flink an einem himmelblauen Jumper strickten und die blanken Blauaugen im Saal herumliefen. Sie trug einen hochfrisierten, künstlichen Haarturm von venezianischem Rotgold. Darunter sah ihr grossäugiges, schmales und lebendiges Gesicht blendend hübsch aus — mit der naseweisen, zierlichen Nase und dem etwas grossen, spitzbübischen Mund. Der lief wie ein Mühlbach . .

„Nee — als Schwester im Feld erlebt man tolle Sachen . .“ sagte sie, heftig die Jumpermaschen auf die Nadeln reihend. Vor Ted Turkowitz raunte eine der ihm den Rücken drehenden Phrynen ihrer Nachbarin zu:

„Nun erzählt sie wieder ihre Räubergeschichten aus der Wasserpolackei . . .“

„Also an den Rokitnosümpfen — da war es gegen den Schluss hin dreckig“, berichtete das Zirkusmädchen eifrig aus seiner Höhe. „Läuse . . . nichts zu futtern . . Malaria — und alle Lazarette knüppelvoll . . Man musste ’mal ’raus . . Ich sag’ zu dem kleinen Leutnant: ,Seien Sie ’mal nett und nehmen Sie mich mit in den Schützengraben . .!’ Und weiss Gott . . er hat’s getan!“

„Nanu?“

„Ehrenwort!“ Die Märchenerzählerin stiess sich beteuernd die stumpfe Spitze der Stricknadel gegen die weisse Brust. Ihre blossen, weissen Arme leuchteten über dem halbfertigen Jumper. Sie trug zu dem goldroten Kunsthaar ein seidenpapierdünnes, klassisch kurzes Röckchen von dem pfaublauen, goldig wechselnden Schmelz des Mittelmeers und einen Kranz von weissen Rosen um die Stirne und hatte, als Blumenverkäuferin in der Arena, einen Korb mit papiernen Rosen neben sich stehen. Sie wirkte, von der blendenden Flut der elektrischen Sonnen von allen Seiten her golden-überflimmert, wie ein Hirtenbild aus Hellas, wie eine lebendig gewordene Tanagrafigur, und hatte dabei doch ein ganz modernes, nervöses, rein deutsches Gesicht.

„Ja . . . Das war noch ’ne Zeit damals . . . Gott . . ’s ist ja auch schon Jahre her — damals war ich ein blutjunger Affe . .“ Die Märchenprinzessin liess das Strickzeug sinken. „Da sitzt man nun hier als Flimmerjule siebter Güte! . . Und von morgen ab ist’s auch damit Essig — und man kann wieder daheimhocken und Tintenwischer fabrizieren . . immer ein Dutzend . . für die Fabrik . . Wie? . . ja . . . Tintenwischer . . lauter so Rumpelstilzchen. Und Dachauer Bäuerinnen in dicken Röcken als Nadelkissen . . Und dann kann man noch froh sein, dass man wenigstens das gelernt hat . .“

„Wo denn?“

„Gott . . Im Anfang meiner Karriere . . . als Kunstgewerblerin in München . . Man kommt ja zu nichts . . In dem Affenkasten hier erst recht nicht . . Wenn man erst ’mal in die Edel-Komparserie eingepfarrt ist, dann ist Schluss! Dann kann man sich die Halbgötter drüben aus der Entfernung bekieken!“

Mitten im Glashaus — um sie eine ehrfurchtsvolle Leere — standen die Prominenten mit den Direktoren, Regisseuren und ein paar von auswärts, von der Theaterprobe oder aus einem anderen Atelier gekommenen Kollegen und Kolleginnen in Zivil. Unter ihnen Dimitrij Senestry als Kaiser Justinian, Linda Sabbadini, die Italienerin, von Theodoras Thron gestiegen, der bärtige Feldherr Belisar in Helm und Harnisch, seine Gattin Antonina, die Seelenfreundin der Kaiserin — die schöne, blasse, schlanke Barbe Rank — eine kühle Blonde mit feuchten grauen Meerfrauen-Augen. Kammerfrauen mit kostbaren Pelzen über den Armen, Schneiderinnen, Coiffeusen, der Kellner aus der Kantine reihten sich im Hintergrund, der Befehle der grossen Emporgekommenen gewärtig. Hunderte von neugierigen Augenpaaren aus dem ganzen Saal hafteten auf den Erfolgreichen. Auf den Galerien standen Dutzende von Menschen, die, Gott weiss wie, wieder in das Glashaus gelangt waren, und starrten andächtig in die Tiefe. Auch die leichtsinnigen Hetären auf dem Holzstoss gafften stumm und i neidisch hinüber. Das meerblau bekränzte Blumenmädchen ganz oben zuckte wegwerfend die schmalen Schultern.

„Bloss Dusel! . . Was die können, kann ich auch . . Wenn man mich bloss mal liesse . . . Ihr fühlt einem das nicht nach! Ihr habt keinen Ehrgeiz . .“

Nein. Die um sie waren leichte Fliegen. Abends Statistinnen in den Revuen oder Tänzerinnen in den zahllosen Varietés und Kabaretts oder einfach mit dem Freund in der Luxusdiele. Die Sprecherin seufzte:

„Man ist eben ’n armes Luder . .“

„Haben Sie auch keine Eltern mehr?“

„Heftig hab’ ich noch welche! . . Aber bei Vatern vermuffeln? Nee!“

„Was ist er denn?“

„Mittlerer Postschwede . . . unten am Rhein . . Im besetzten Gebiet . . Ich bin Rheinländerin . . Merken Sie das nicht schon an meinem Sprechanismus? Jü . . Wer tippt einem da von hinten auf die blanke Schulter . . . Sie erschrecken einen ja . .“

„Verzeihen Sie . .“, sprach der kleine Mann aus Tarnopol hinter ihr. Er stiess mit der Zunge an, wenn er innerlich erregt war. „Kennen Sie mich? Nein? Werden Sie mich kennen lernen! . . Ted Turkowitz heiss ich . .“

„Hallo! . . Fauler Kopp!“ brummte unten warnend eine der Hetären. Das Blumenmädchen von Byzanz verstand. Sie äugte den Fremdling froschkalt über die Schulter an und versetzte kurz:

„Na — wenn schon . .“

“Ich habe doch das Vergnügen, mit Fräulein Hansine Peternell . .“

,,Wenn Ihnen das Vergnügen macht . . .“

„Endlich erwisch’ ich Sie, Fräulein Peternell! Ich suche Sie wie eine Stecknadel!“

„Sind Sie vom Kriminal? Wollen Sie mich einstecken? Weswegen? Ich war’s nicht! Das sag’ ich gleich . .“

„Engagieren will ich Sie, mein liebes Fräulein, — von morgen ab!“

„Hm . . Schön . .“, sagte die Blumenverkäuferin sinnend. „Ich will sehen, dass ich meine anderweitigen Verpflichtungen verschieben kann . . . Wieviel? . . . Tarif? . .“

„Vorsicht mit der Pinke-pinke . . .“, flüsterte es von unten.

„Tarif . . .“ Ted Turkowitz wiegte mitleidig das glänzend schwarzgeölte Köpfchen . . . „Spass: Tarif . . .“

„Den Tarif müssen Sie doch kennen? . . Sie sind doch Hilfsregisseur?“

„Ich bin der Generaldirektor der neugegründeten Memoria-Film-Gesellschaft’, die heute noch in das Handelsregister eingetragen wird. Wir drehen als erstes Bild unserer Produktion von morgen ab in Berlin und im Orient den Monumental-Film: ,Die Geheimnisse von Stambul!’ Für die männliche Hauptrolle wurde soeben Herr Dimitrij Senestry verpflichtet.“

Plötzlich hielt alles den Atem an. Achtungsvolle Blicke trafen den kleinen Mann. Hansine Peternell hatte ihren Jumper neben den Rosenkorb gelegt. Sie verschränkte im Sitzen die Hände über den hochgezogenen Knien und fragte burschikos — in tiefstem Misstrauen:

„Wenn Sie wirklich Generaldirektor sind — warum bemühen Sie sich denn dann persönlich zu ’ner Nutte wie mir?“

„Nu — warum . .?“ Turkowitz lispelte wieder heftig: „. . weil Sie, zusammen mit dem Senestry, die weibliche Hauptrolle spielen sollen!“

Hansine Peternell biss die Lippen zusammen und stand langsam auf. Sie mass den Manager schweigend von der kleinen Glatze bis zur Lackschuhkappe. Allmählich gefroren ihre fidelen blauen Augen in feindseliger Kälte. Ihr spärlich bekleideter Körper begann unter dem meerblauen, kniefreien Kittelchen heftig zu atmen.

„Kommen Sie ’mal ein bisschen beiseite . .“, sagte sie, elastisch vom Bretterstapel auf die biegsamen Sandalen springend, und zwei Schritte weiter, halblaut, sehr böse: „Also . . Herr Türkenbusch oder wie Sie sich schreiben . . Turkowitz? Is ja total piepe . . Also ich verbitte mir, dass Sie mir solchen faulen Zauber mit ’ner Hauptrolle vormachen! Ich bin kein Brustkind mehr! Ich fall’ darauf nicht ’rein!“

,,Aber liebe Peternell . . .“

„Ich bin nicht Ihre Peternell! . . Ich hab’ nicht mit Ihnen in irgendeiner Nachtbar Schmollis getrunken! . .“

„Gnädiges Fräulein . . .“

„Wenn Sie Anschluss suchen, dann wählen Sie sich unter meinen Kolleginnen drüben ein Schlachtopfer aus! Da finden Sie schon irgendwo Gegenliebe! Aber lassen Sie mich in Frieden — ja?“

„Sie verstehen mich ja miss . .“ Turkowitz, schnalzte verzweifelt mit der Zunge.

„Miss? . . Mies wird einem! Nun merken Sie sich gefälligst: Ich bin eine absolut anständige Person! . . . Jawoll! . . Kommt vor! . . Ich arbeite wie ein Neger um mein Leben! . . Ich filme eben, um ’was zu verdienen! . . Still! . . Ich hab’ schon Schweres im Leben durchgemacht! . . Ich red’ bloss nicht davon! Niemand sieht mir das an, wie ich hier stehe. Aber ich halt’ trotzdem die Ohren steif. Also Schluss, Herr Türkensohn! Bei mir verfangen Ihre Zicken nicht! Ich hab’ schon ganz andere Leute als Sie abblitzen lassen! Morjen!“

„So sollen Sie filmen!“ sprach Turkowitz befriedigt. „Temperament! . . Ist die Hauptsache beim Geschäft! Wird schon gehen . . . mit Ihnen . . . Nur Courage!“

„Fangen Sie noch einmal an?“ Die Peternell blieb unruhig stehen.

„Nu — soll ich aufhören? . . Machen wir gleich nachher den Kontrakt . . . rechtsverbindlich . . . Alle Kostüme frei . . . Freie Station auf Reisen . . . Eisenbahn erster Klasse . . . mit Schlafwagen nach Konstantinopel und Kleinasien und wo sonst noch hin . . Zwanzig Dollars Bewegungsgelder in Landesmünze täglich im Ausland . .“

„Ich glaube, dem piekt’s!“ sagte das Blumenmädchen von Byzanz zu den anderen, atemlos horchenden Zirkusbuhlerinnen. Aber der Rosenkorb an ihrem Ellbogen schaukelte leise vom unwillkürlichen, nervösen Zittern ihres Körpers.

„Nu — und dann der Hauptpunkt: die Gage . . .“

„Gage auch noch?“

„Was werden Sie nehmen? Es ist Ihre erste Hauptrolle in einem Weltfilm! Sie dürfen die ,Memoria-Gesellschaft’ nicht gleich ruinieren. Sagen wir fünfzehntausend Mark für ’nen Monat!“

„Ist kein Arzt im Haus?“ fragte Hansine Peternell besorgt und leise die umsitzenden Hetären.

,,Wo mag der Kunde entsprungen sein? . .“

„Man muss nach Dalldorf telephonieren!“

„Also zwanzigtausend! . . Sollen Sie haben, meine Gnädigste!“ lispelte Turkowitz.

„. . In ’nem Kellerwechsel auf irgend ’nen faulen Onkel, der aus ’m Handjelenk manifestiert, wenn Sie ihm den Wisch unter die Neese halten . . .“, warnte unten eine kundige Thebanerin. Das Rosenmädchen nickte. Sie hatte jetzt wieder ihr kühles Blut. Sie verschränkte die blossen, weissen Arme über der Brust und sah den Versucher fest und herausfordernd an.

„Zwanzigtausend Mark? Wann? — Wo? — Wie?“

„Gleich. Hier. Bar.“ Ted Turkowitz entwickelte seine Brieftasche, die von den Edelvaluten aller Goldländer gedunsen war wie die Boa nach dem Frass. „Greifen Sie munter zu, mein Fräulein!. . Sie sehen: Es ist bei mir nicht wie bei armen Leuten!“ Er stopfte ihr geschäftig ein paar dicke Bündel Banknoten in die Hände. „Den Rest hinterlegen wir für Sie . . . pupillarisch sicher . . . wo Sie wollen . . ja . . nu lacht sie . . das liebe Kind . . .“

Nein. Die hübsche, kupferhaarige Byzantinerin lachte nicht. Sie stand ganz verdattert — mit offenem Mund —, die beiden Augen eine einzige grosse blaue Frage: Träum’ ich oder wach’ ich? Sie umkrampfte mit beiden Fäusten die Geldpakete und guckte an sich hernieder.

„Wo soll ich denn das Zeug hinstecken?“ fragte sie auf einmal kläglich und völlig fassungslos. „Ich hab’ ja fast nichts an.“

Aber dann bemerkte sie hinter dem verbotenen Eingang einer seitlichen Glastüre ein älteres Fräulein, das, mit der sachlichen Nüchternheit einer Gouvernante, einen Haufen Kontorpapiere in der Hand, im Vorbeigehen einen flüchtigen Geschäftsblick auf den Feuer- und Farbenzauber im Glashaus warf. Die Peternell flitzte mit einem flüchtigen Satz über die gipsernen Reste des abgebauten prunkvollen Marmorbades der Kaiserin Theodora am Boden und fegte, in flatterndem, kurzem Röckchen, wie ein Wirbelwind auf ihre Freundin aus einem der Filmbüros im Vorderhaus zu.

„Frieda . . sei so gut und heb’ mir das Kleingeld auf! Ja — da staunt der Laie . .“ Sie war ausser Atem. „Wen ich umgebracht hab’? Es ist ein Verrückter im Glashaus . . Dort die schwarze, kleine Kröte . . . der teilt Geld aus . . Du — ich glaub’, ich bin übergeschnappt.“ Sie stand, die Hände vor der Brust gefaltet, blauflackernd die Augen, vor dem strengen Fräulein mit der Brille und dem schlichten Grauscheitel. „Ich werd’ ’ne Diva . . Ich krieg’ ’ne Bombenrolle . . Ich werde gross . .!“

„Herr Plänkner . .“ Die ältliche Filmsekretärin riss sie zur Seite. „Wo brennt’s denn? Sie rennen einen ja um!“

Der Chef-Operateur kam, mit wehendem Künstlergelock, wie aus der Pistole aus der Dunkelkammer nebenan geschossen. Zwei, drei Gehilfen in fliegenden weissen Mänteln, mit erhobenen Armen wie die Geisterbeschwörer, hinterher.

„Ich erdrossele diesen Massenmörder!“ Der Aufnahmeleiter und seine Magier keilten sich atemlos durch das Volk von Byzanz bis zu dem breitschulterigen, hemdsärmeligen Herrn des Glashauses, Jan Gruithusen, dem Regisseur, der sie ohne jede Neugier, mit der satten Ruhe eines Boxer-Champions, grausam anlächelte:

„Na — wie ist die Photographie?“

„Alles grossartig gelungen! Und nun sehen Sie bitte diese Schweinerei!“

Jan Gruithusen nahm den nassen Rohabzug aus der Hand des Schwarzkünstlers und hielt ihn gähnend vor die Augen. Stille rings vor dem Taifun . . . Er lachte aus vollem Hals und wandte sich zu dem heimlichen Napoleon des Schlachtfeldes, dem kleinen, wie ein Bankier aussehenden Generaldirektor William Piper, durch dessen Hände die Gelder gingen, und zu dessen mahnendem Gewissen, dem dicken Justizrat Lebes, Vorsitzendem des Aufsichtsrats, der die Verwendung der Hunderttausende beaufsichtigte.

„Ausgezeichnet!“ sagte er in unverwüstlicher guter Laune. „Hat der eine räudige Hund von Gladiator ganz vorn bei allen Aufnahmen die Armbanduhr anbehalten! An die Luft mit dem lieben Mann! Alles futsch! Keine Leichenreden! Die ganze Geschichte noch einmal!“

Er klatschte in die Hände.

„Linda! Avanti, Signora! . . Marsch auf den Thron! Legen Sie doch um Gottes willen Ihre Zigarette weg, Justinian! . . . Barbe . . Zum zehnten Male: Sie sollen halb hinter der Sabbadini stehen . . . Das ist doch die Kaiserin und Sie nur ’ne Generalin! . . Da kommt der Belisar endlich mit vollen Backen aus der Kantine. Aber es sind immer dieselben, auf die man warten muss!“

„Herr Gruithusen!“ Ein ängstliches Zupfen am Ärmel. „Madame Sabbadini hat ihr Morphium noch nicht!“

„Dann soll sie jetzt schnell in Kuckucksnamen pieken!“ Der Generalgewaltige kletterte, auf den Tisch. Er streckte Ruhe gebietend die Fäuste über das Gewoge von Helmen, Perrücken, Bischofsmützen und goldenen Stirnreifen. Seine Stimme hallte wie eine Posaune:

„Das war eben so schön, dass wir’s noch ’mal machen. Auf die Pfeife kommt ihr aufrührerisch hereingewimmelt — so wie’s an den Litfasssäulen heisst: ,Genossen, erscheint in Massen!’ Na — putschen könnt ihr doch! . . Das verstehen wir doch in Berlin . . Die Palastwache — die Sipo — verstanden? — wird niedergemacht! Blutwürstig — bitt’ ich mir aus . . die Regisseure drauf achten, dass die Toten ’ne Weile noch mit den Beinen zappeln und nicht gleich, für ihre zehn Märker täglich, blöd daliegen wie die Mehlsäcke! Sturm auf die Tore . . Die Zirkuskutscher — was jetzt die grossen Kanonen aus dem Sechstage-Rennen sind — und die Buhlerinnen ganz vorn!“

Jan Gruithusen reckte den Zeigefinger nach der Front der Komparserie.

„Der künstliche Mohr da — der lange Laban . . . Sie reissen die Rosenverkäuferin neben sich auf Ihre muskulösen Arme und tragen sie im Triumph als jauchzende und strampelnde Siegesgöttin des Aufruhrs voraus . . ja . . die da . . die Lange, Hübsche mein’ ich — ganz richtig: Die mit der roten Tolle . . Haben Sie’s kapiert, Kindchen?“

„Wird gemacht, Herr Regisseur!“ antwortete hinten Hansines helle Stimme.

„Und nun denkt, ihr demonstriert im Lustgarten! Wie ihr da alle ,Nieda! Nieda!’ schreit, so brüllt ihr jetzt ,Nika! . . . Nika!’ Das ist griechisch! Das heisst ,Siege!’“ Der Gewaltmensch wischte sich den Schweiss von der Stirn und wandte sich zu den Stars. „Sind die Herrschaften so weit?“

Linda Sabbadini hatte von ihrer Kammerfrau, die eigentlich ihre Mutter war, unauffällig, so als wollte ihr jene etwas am Gewand richten, eine Spritze Morphium oberhalb des Knies bekommen, wo man auch bei der verwegensten Decolletage den blauen Nadelpunkt nicht sah. Nun sass sie geistesabwesend, mit leeren, starren Mandelaugen des Südens, wie eine schöne Leiche auf dem Thron. Jan Gruithusen beugte sich zu ihr nieder. Er flüsterte ihr in kochender Energie ins Ohr. Er lud das stumme Frauenbild aus fernen Landen mit Elektrizität wie eine Leydener Flasche. Die schöne deutsche Barbe Rank sprang die Stufen zu dem Lattentisch hinab, wo Sekt in Gläsern für die Solokräfte bereitstand, kippte sich einen Kelch in die Kehle und lief mit — der Schminke wegen — unabgewischten Lippen auf ihren Platz zurück. Das Orchester spielte einen Sturmmarsch, um die Nerven des Glashauses aufzupeitschen. Es wurde plötzlich so überirdisch hell — von allen Seiten her — als sei das Lichtmeer bisher eine Dämmerung gewesen. Am Drahtseil segelte ein Holzgestell langsam hoch über den Köpfen durch die Luft. Bäuchlings lagen auf ihm die nach unten photographierenden Operateure. Breitbeinig stand über ihnen, zwischen Himmel und Erde, wild fuchtelnd ein Regisseur. Schwarze Kurbelkasten auf dreibeinigen Gestellen und weisskittelige Männer an drei, vier anderen Orten. Glühend die Luft. Flimmernd vor Erwartung.

Jan Gruithusen warf einen Blick auf die Stars. Barbe Rank stand bereit. Sie zitterte nervös, mit geblähten Nüstern, wie eine Vollblutstute am Start. Nun reckte sich auch die Sabbadini leidenschaftlich in die Höhe. Sie duckte sich, die weissen Zähne zeigend, gegen den Feind. Zwei sprungbereite Tigerinnen die beiden schlanken Frauen — die blonde und die schwarze . . .

„Jetzt hab’ ich dich!“ rief der Seelenfänger in Hemdsärmeln triumphierend seiner Puppe zu. „Los!“ Seine Stimme, erschütterte wie Donner das Glashaus. „Nika! Nika!“

„Nika! . . Nika! . .“ dröhnte der Massenschrei des heranbrausenden Volks von Byzanz. „Nika! Nika!“ jauchzte ganz vorn Hansine Peternell hoch oben auf dem Arm des Negers, der sie trug. Sie schwenkte fanatisch die dünnen, blossen, weissen Arme. „Hurra! . . Hurra!“

„Fräulein . . Sie sollen doch ,Nika!’ rufen!“ mahnte unten der schwarz angestrichene, stellungslose Bierfahrer.

„Hurra! Nieda! Nieda! Ich wird’ ’ne Diva! . . Ich krieg’ ’ne Rolle! . . Zwicken Sie mich nicht, gefälligst — Sie da unten! . . Abbau Linda! . . Abbau Rank! . . Jetzt komm’ ich!“

Die Rank reichte, in atemlosem Spiel nach dem regelnden Pfeifengetriller des Regisseurs, der Kaiserin den Krönungsmantel. Damit stürzte die Sabbadini wie eine Rachegöttin hinter dem als bocksbärtiger Bettler flüchtenden Justinian her. Sie schleuderte ihm den Ornat um die Schultern. Sie zerrte den Gatten auf den Thron zurück . .

„Der Purpur ist das Sterbekleid der Könige!“ donnerte der Regisseur. Signalpfeife: „Los! Belisar!“

Der Stratege stürzte sich geschwungenen Schwerts mit seiner Handvoll Getreuen wider die Blauen und Grünen. Staub wirbelte auf . . .

„Gemetzel!“ kommandierte Gruithusen mit vor der Brust verschlungenen Hemdsärmeln hoch vom Tisch. „Tempo! Tempo! Alles drunter und drüber! . . Oberbayrische Kirchweih! Feste, Kinders! . . So! . . Belisar siegt . . . . Wie meinen Sie, Herr Direktor? Ja — noch höchstens zehn Meter . . . . Gut! . . Flucht . . Flucht . . . Halt . . . .“

„Halt! . . . . . Halt.“ Die Pfeifen schrillten. „Licht aus!“ Trichterförmige Papprohre gellten es durch die Halle: „Licht aus! Plötzliches trübes Kellergrau überall. Ein Stimmengewirr. Ein Auseinanderströmen. Das letzte Bild des Mammut-Films „Theodora“ war gekurbelt.

Die Kammerfrauen sprangen und hüllten die erhitzten Divas in lange Pelze. „Kinder! . . Ich schwitz’ nicht schlecht!“ sagte Barbe Rank. Sie reichte den Umstehenden die Hand und wollte nach ihrer Garderobe. Götz Billing stand vor ihr. Sie schaute den grossen, stattlichen Mann mit dem Siegfriedsgelock und den blauen, deutschen Träumeraugen in frauenhaftem Wohlgefallen an. Aber sie wehrte nervös ab:

„Nur nicht jetzt schon wieder ’was vom Film . . Ich möchte’ jetzt ’mal ’n paar Wochen Mensch sein! Mein Mann und meine Kinder . . .“

„Die neue Gesellschaft, für die ich arbeite, gnädige Frau, verfügt über Millionen!“

„Ach nee?“ Die Rank blieb interessiert stehen.

„So jung kommen wir nicht wieder zusammen! . . Schliessen Sie lieber gleich ab!“

„Hauptrolle?“

„Eine Hauptrolle! Viele Hunderte von Metern!“

„Hoffentlich ’n blondes Biest?“

,,Ein Biest vom Balkan!“

„Mein Fall!“ sagte Barbe Rank nachdenklich . . „Na — ich will jedenfalls mit meinem Mann reden! Kommen Sie doch im Lauf des Tags ’mal bei mir ’ran!“

Die Diva wandelte, in ihren langen Chinchillapelz gewickelt, gelassenen Schrittes nach ihrer Einzelgarderobe. Sie musste an den Massenumkleideräumen für die Komparserie vorüber. Davor stand, noch in der Halle, ein langer Tisch. An seiner einen Längsseite stauten sich im Gänsemarsch die Statistinnen, stülpten sich die Perrücken von den Köpfen und lieferten sie den Beschliesserinnen ab. Als Hansine Peternell ihr rotes Gelock abgegeben hatte, hingen dem Blumenmädchen vom Marmara-Meer plötzlich kurze, hellblonde Bubisträhne um die Ohren. Drinnen in der Garderobe stieg sie aus dem herabgeglittenen, blaugrünen Byzantinerkittel, löste die Sandalen. Um sie war Gelächter, Geschwatz, losgelassene Liederlichkeit. Ihr schien das alles wie ein Traum.

Aber da tauchte an der Türe Frieda, die Freundin, auf. Sie war eine gesetzte Person. Sie steuerte durch die Gruppen mangelhaft bekleideter Weiblichkeit wie eine Gouvernante durch ihr schlafengehendes Pensionat.

,,Ach — da bist du, Hansinchen!“ rief das ältliche Fräulein mütterlich-zärtlich. „Ich hab’ von der Galerie zugeschaut! . . Himmlisch hast du ausgesehen — du goldige Puppe — auf dem Arm von dem Nigger . . .“

„Pah — wegen mir kann mich der Gruithusen aus dem Bild wegschneiden!“ sagte Hansine Peternell wegwerfend und strählte sich energisch den Pagenkopf. „Heute hab’ ich zum letzten Mal Volk markiert! Jetzt krieg’ ich ’ne Rolle! Jetzt werd’ ich ’n Solokrebs! . . Oder — hör’ mal — bild’ ich mit den ganzen Schwindel nur ein?“

„Da bring’ ich dir das Geld, das du mir zum Aufheben gegeben hast!“ . . . . . .

,,Das geht über meinen Grips!“ Die Peternell wog unruhig den Mammon in der mageren, flachen Hand. „Sonst treibt das Schicksal doch seit Jahren Schindluder mit mir — Na . . du kennst ja den Roman meines Lebens, Frieda — über den ich mich sonst krampfhaft ausschweige . . Und nun auf einmal . . .“

„Wir haben genau nachgesehen: Das Geld von dem Herrn Turkowitz ist echt. Er erwartet dich in der Halle! Er steht da mit Senestry!“

Dem Purpur Kaiser Justinians entstiegen, glich Dimitrij Senestry, der Löwe der Leinwand, jetzt, für den Spazierritt im Tiergarten gestiefelt und gespornt, in Sportjackett und bauschigen Breeches, die schwarzsamtne Reitkappe auf dem Haupt, am ersten mit seinem faltigen, bartlosen Charaktergesicht einem spleenigen englischen Lord. Nur die grossen Geisteraugen gossen immer noch ihr mystisches Helldunkel über die angelsächsische Nüchternheit der Züge. Der ausdrucksvolle Schauspielermund lächelte skeptisch.

„Die Gouvernante im Harem?“ sagte er. „Na — hören Sie ’mal, Herr Doktor Billing: Nach dem Titel zu schliessen . .“

„Sie spielen eine überlebensgrosse Inflationshyäne unserer Zeit! Keinen gewöhnlichen Berliner oder Wiener Raffke — sondern einen Millionenräuber ganz hinten aus dem Balkan — orientalischen Kriegslieferanten a. D. mit den ungebrochenen Raubtierinstinkten Halb-Asiens! Diese Aufgabe muss doch einen Meister wie Sie locken!“

Der Mime sog den Honigseim. Er legte nervös die flache Hand vor das Antlitz.

„Ich habe wieder Filmaugen!“ sagte er. „Ganz entzündet! Ich muss heute nacht Kamillen-Umschläge machen, wenn ich morgen bei Ihnen auf dem Posten sein soll! Und dabei dieser ewige Spektakel . . .“

Die grosse Halle dröhnte von einem halben Hundert hämmernder Handwerker. Ein Generalstab fremder Herren war erschienen und stand in der Mitte. Gleich hinter der ,,Stella“ zog die „Venus-Film-Gesellschaft“ ein. Sie hatte von der „Stella“ die noch stehende Dekoration gemietet, um den byzantinischen Kaisersaal für ein Münchener Künstlerfest in Schwabing auszuschlachten. Flinke Fäuste nagelten, unter dem anfeuernden Händeklatschen der Innen-Architekten, das Schützenlies! an die Stelle der heiligen Helena, ersetzten die orthodoxen Reliquien durch Radi’s und, Masskrüge. Durch das Getümmel trottete geschäftig. Turkowitz heran, den Vertrag in der Hand, kraft dessen Herr Fritz Eichmann, genannt Dimitrij Senestry, sich von morgen ab auf vier Wochen dem „Memoria-Film“ verpflichtete. Er reichte das beiderseits unterzeichnete Schriftstück dem Charakterspieler. Der schob es in die Rocktasche — stutzte . . .

„Da steckt ja ein Brief!“ sagte er. „Der war doch vorhin nicht drin! Meine Garderobe war doch verschlossen! Wie ist denn der Brief in meinen Rock gekommen?“

„Sie haben Ihren Rock vorhin einen Augenblick ausgezogen und auf den Stuhl gelegt,“ sagte Götz Billing, „weil Sie ein Stück heruntergerutschter, byzantinischer Goldflitter an der Brust kitzelte! Da hat eine Verehrerin ’n Billetdoux ’reinpraktiziert . .“

„Lesen Sie doch den Stuss . .!“ Turkowitz drängte neugierig, mit der Zunge anstossend . . „Macht doch Spass! Ich krieg’ so ’was nix!“

„Ich kenn’ diesen Kohl auswendig!“ Dimitrij Senestry klemmte sich blasiert den Zwicker auf die lange Nase und öffnete das schmale Schreiben aus mattem Elfenbeinpapier. „Natürlich Damenhandschrift: . . ,Verehrter Meister! Eine Freundin Ihrer grossen Kunst’ — den Gänsen fällt doch nie ’was Neues ein — ,warnt Sie vor den ,Geheimnissen von Stambul’. . . Was? . . Herrschaften — was heisst denn das? . . . Dieser Film ist lebensgefährlich für alle Beteiligten! Geben Sie dem elenden Turkowitz — Hier steht: ,dem elenden Turkowitz’ . .“

„Damit meint sie mich!“ sprach Ted Turkowitz.

„. . ,die Rolle zurück. Eine, die um Ihr Leben bangt . . ’ Schluss!“

„So ist ’n Glashaus! Die Wänd’ haben Ohren! . . .“ Der kleine Turkowitz zuckte gelassen die Achseln. „Neid! Neid!“

„Dummer Spass irgendeines Witzbolds hier in der Nähe!“ sagte der Regisseur Billing.

„Na — dann kann er auch gleich die Wirkung beobachten.“ Der Mime zerriss den Brief und liess die Fetzen zu Boden fallen. „. . Mahlzeit, Herrschaften!“

„’n Augenblick! . . Ich hab’ die Dame herbestellt, die die Ehre haben wird, mit Ihnen zu spielen, Herr Senestry! Gleich wird sie antreten. Erschrecken Sie nicht: Es ist noch eine Anfängerin. Aber ein enormes Talent! Fragen Sie nur den Biling!“

„Ich kenn’ sie ja gar nicht!“ raunte der Regisseur ärgerlich. Dimitrij Senestry achtete, sich eine Zigarette anzündend, nicht auf ihn.

„Einerlei!“ lispelte der kleine, gelbliche Mann. „Loben Sie sie . . bis in die Puppen . . damit der Senestry Mut kriegt . . .“

„Ja. Sie werden Ihre Freude an dem Mädel haben!“ sagte Götz Billing schnell und laut. „Noch ganz unverbildet . . ohne falsche Diva-Allüren — ein Kind der Natur . . .“

Weiter! — mahnte ein Blick von Turkowitz. Ein Achselzucken des blonden Hünen dagegen, das hiess: ,Ich hab’ sie doch nie in meinem Leben gesehen! . . Und dann in Gottesnamen:

„Das Fräulein ist sehr willig . . sehr eifrig . . sehr intelligent . . . Dabei leicht zu haben. Sie ist ja so glücklich, mit Ihnen spielen zu dürfen . . Sie können sie ruhig anschnauzen. Sie nimmt nicht leicht etwas krumm!“

Dimitrij Senestry drehte ihm den verträumten Geisterkopf zu.

„Wie heisst denn die Perle?“ fragte er skeptisch.

„Ja . . . Herrgott . . Turkowitz . . Wie war doch gleich der Name?“

„Da kommt sie eben!“ rief Ted Turkowitz.

An der Verbindungstür zwischen den Garderoben und dem Atelier stand Hansine Peternell vor dem einäugigen Wächter. Ungeheures Erstaunen malte sich auf ihrem schmalen, grossäugigen Gesicht.

„Mich wollen Sie nicht in den Saal lassen? Mich . .“ sprach sie leise und erschüttert. „Ja — für wen halten Sie mich denn?“

„Holen Sie sich man drüben Ihre paar Kröten!“ Der Kriegsversehrte wies nach den Kassenschaltern an der Seitenwand, die den mit ihrer Ausweiskarte in der Hand sich drängenden Statisten ihre Tagesgelder auszahlten. „Sie wissen doch janz jenau, Fräulein, dass der Komparserie das Betreten des Saales verboten ist.“

„Kom-par-se-rie . .? Ja — Mann Gottes: Wie soll denn der neue Monumentalfilm der Memoria’ ohne mich in der Hauptrolle gedreht werden? Sehen Sie nur, wie aufgeregt mir drüben der Herr Generaldirektor Turkowitz zuwinkt!“

„Verzeihen Sie, jnädige Frau . .“ Der Kriegsteilnehmer trat schnell einen Schritt zurück und gab ihr, militärisch grüssend, den Weg frei. „Det war allerdings ’ne optische Täuschung von mir! . . Verzeihen Sie . . .“

„Oh bitte . . . bitte . .“, sagte Hansine Peternell mit der liebenswürdigen Herablassung der angehenden Diva. Es durchrieselte sie warm bei diesem ersten Sonnenstrahl von oben. Sie schritt elastisch, lächelnd, ohne Übereilung, den Kopf im Nacken, auf Turkowitz und Senestry zu. Sie trug jetzt einen braunen Komplet-Anzug, braune Strümpfe, braune Halbschuhe, braunes Topfhütchen — braune Schirmkeule — eine Symphonie in Braun. Ihrem ranken Wuchs passte das Hängekleidchen von billiger Berliner Konfektions-Eleganz wie nach Luxus-Schneidermass der Lennéstrasse. Sie ähnelte mit ihrem kurzgeschnittenen Hellblond und ihrer klaren Hautfarbe, in dem langen Schritt und dem sorglosen Schaukeln der Schultern einer frischen, jungen vom Sportplatz kommenden, blauäugigen englischen Miss.

„Na — Meister . .“ Der Tarnopoler rollte seine ewig unruhigen Kirschaugen begeistert zu dem Mimen Senestry empor. „Was sagen Sie nu?“

„Auffallend hübsch!“ Der Glashauskundige nickte prüfend. „Nicht mehr ganz jung . . . Mitte zwanzig . .“

„Höchstens!“

„Aber sie hat dabei etwas Taufrisches, Unverbrauchtes!“ sprach Dimitrij Senestry in wachsendem Wohlgefallen.

„Das ist er — der internationale Typ!“ Ted Turkowitz lispelte in seinem Eifer. „Der neue Weltgeschmack! . . Dünn wie ’n Hering, schlenkert im Gehen mit Armen und Beinen, . . ’n Bubikopf . . .“

„. . und doch kein Schiffsjunge im Weiberrock!“ ergänzte der Mime sinnend. Er liess kein Auge von der Peternell, die, wohl wissend, dass man sie kritisch beobachtete, sich mit unbefangenem, sonnigem Lächeln näherte.

„Nein: E Frau — die nur so tut, als ob sie ein Junge wäre . . Aber die alte Eva guckt überall vor . . Das wollen die Leut’! Das sehen sie gern! . . Ich bin ein alter Praktikus . . Wenn ich so ’was billig krieg’ . . .“

Der kleine schwarze Mann lief geschäftig seiner Entdeckung entgegen.

„Ich wird’ Sie jetzt dem Senestry vorstellen,“ zischelte er Hastig, „und Ihrem Regisseur! Den Regisseur kennen Sie schon . . das heisst, Sie tun so, als ob . . . Verstanden?“

„Ja! Ich bin nicht so langsam von Begriffen!“ nickte eifrig die Peternell.

„Der Regisseur is ’e feiner Mensch . . .’e gebildeter Mensch . . Bei dem haben Sie’s gut . . Also: Fräulein Hansine Peternell . . unser neuestes Wickelkind . . . Herr Senestry . .“

„Bitte . . Haben Sie ein bisschen Nachsicht mit mir! . . . Ich werde mir wahnsinnig Mühe geben!“ versicherte die Peternell mit seelenvollem blauem Augenaufschlag. Der Held der Leinwand hielt ihre Hand fest und schaute ihr mit innigem Interesse in das vor Aufregung leicht gerötete Antlitz.

„Wir sind hier Hampelmänner und Hampelfrauen!“ sagte er mit seiner wohllautenden, warmen Bühnenstimme. „Auf den Herrn hinter mir kommt es an! Der ist der Pole Poppenspäler, der uns an seinen Drähten tanzen lässt! Darf ich Sie bekannt machen . . Herr Regisseur . .“

„Oh — wir kennen uns ja schon!“ sagte Hansine Peternell schnell, der Weisung des Mannes aus Tarnopol eingedenk, und streckte zutraulich und lächelnd die Hand aus . . .

Und hielt sie so . . wie gelähmt . . in der Luft. Und das Lächeln erstarb auf ihren Lippen.

Und vor ihr stand schweigend Götz Billing und sah sie an. Und der grosse, blonde Mann rührte sich auch nicht. Endlich — nach einer schweren Stille — frug er langsam:

„Wie kommst denn du ins Atelier?“

Eine gleichgültige, ein wenig müde Schulterbewegung drüben.

„Mein Gott! Irgendwie muss der Mensch doch leben!“ Und dann eine leichte, trotzige Hebung des Kinns.

„Überhaupt: Was geht das Sie an . . Herr Billing?“

,,Ja — was ist denn los?“ stotterte Ted Turkowitz. „Kennen Sie denn die Dame?“

„Ja — einigermassen!“ sagte Götz Billing. „Es ist nämlich meine geschiedene Frau.“

Filmgewitter

Подняться наверх