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III

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Es war ein allgemeines Schweigen. Dimitrij Senestry trat diskret etwas zur Seite. Ted Turkowitz rang nach Luft. Er zeigte offenen Mundes die schadhaften, gelblichen Zähne:

„Sie haben sich doch Fräulein Peternell genannt!“

„Bin ich auch! Ich habe nach unserer Trennung meinen Mädchennamen wieder angenommen.“

Hansine Peternells blaue Augen füllten sich langsam mit Tränen. Sie war sehr blass geworden. Sie sah zu Boden und seufzte tief. Und sagte traurig-gedehnt, ergebungsvoll nur:

„Na ja . .“

Dann kramte sie in ihrem Handtäschchen und brachte ein kleines Paket in Zeitungspapier zum Vorschein. Turkowitz beobachtete sie misstrauisch. Sie hielt ihm das Päckchen hin.

„Bitte! Zählen Sie nach! Ich hab’ noch nichts davon weggenommen! Es muss stimmen!“

„Was denn?“

„Das Geld, das Sie mir vorhin gegeben haben . .“

Und während der kleine Mann noch verblüfft schwieg, sagte sie mühsam:

„Nun kann ich ja wohl wieder gehen! Ich hab’s ja gewusst: Ich hab’ nie im Leben Glück!“

„Nu — was denn? . . Spass . .“ Turkowitz hatte sich gefasst. Er wich in Abscheu, mit gespreizten Fingern, vor dem Banknotenbündel zurück. „Ob Sie gleich werden Ihr Kleingeld wieder einstecken! Haben Sie sich nix verpflichtet für das Geld? Sollen Sie nix jetzt den Vertrag unterschreiben?“

„Aber ich kann doch nicht unter meinem geschiedenen Mann spielen!“

„Meine frühere Frau hat ganz recht!“ sagte der Regisseur. „Nur ist es an mir, von dem Film zurückzutreten! Ich bin schliesslich der wirtschaftlich Stärkere!“

„Pleite sind Sie durch den Tod des Schmerold!“ stotterte Ted Turkowitz . . „Wenn die Dame hier nix hat, haben Sie ’nen Haufen mehr — heisst: Schulden bis über die Ohren!“

„Trotzdem! . . . Das ist meine Sache! . . Ich will dem Aufstieg meiner früheren Frau nicht im Wege sein! . . Entheben Sie mich bitte meiner Verpflichtung als Regisseur!“

„So? Und der Kontrakt, den Sie unterzeichnet haben? Ich brauch’ die Dame! . . Und ich brauch’ Sie! . . Warum? — nu — ich hab’ meine Gründe . .“

„Aber wenn wir doch nun einmal ein paar Jahre miteinander verheiratet waren . .“

„Was geht das mich an, ob Sie sich nix vertragen haben?“ Der kleine Mann aus Tarnopol wurde böse. Er lief wild hin und her. Er blieb erbittert stehn. „Wollen Sie mir so ’n Geschäft verderben? Ich bin ’n seriöser Mensch! Ich halt’, was ich versprech’! Tun Sie’s auch . .“

,,Ich kann nicht!“ sagte Hansine Peternell. „Und ich würde sicher auch ganz miserabel spielen — ohne jedes Talent!“

„Werden Sie sich zwingen, Talent zu haben!“ Turkowitz zückte seinen Zeigefinger wie einen Dolch gegen ihre Brust. „Das is dem Doktor da . . dem Billing seine Sach’ — das Talent bei den Leuten ’rauszuholen!“

„Aber doch nicht bei mir!“

„Gerade bei Ihnen! . . Will ich Ihnen sagen: Eben weil Ihr euch kennt — so genau kennt — da versteht Ihr euch auf den ersten Blick . . da wisst Ihr euch ineinander zu schicken . . Da kommen doch auch Erinnerungen an schöne Zeiten . . . einmal . . früher . . Gott . . die erste Liebe . . Gott . . des Lebens Mai . . Gott . . man wird selber ganz gerührt . . Gott . . das feuert an . . Wer kann denn so in Ihre Seel’ eindringen wie Ihr früherer Mann? Ja — Sie weinen! . . Das tut weh . . Nu natürlich tut’s weh . . aller Aufstieg tut weh . . blaue Flecken am ganzen Leib . . aber dafür werden Sie gross . . . . Nu — sind Sie ihr das nicht schuldig, Herr Doktor . . . Ihrer früheren Frau? In vier Wochen ist sie fein ’raus — Wenn sie sich nix zu dumm anstellt — heisst sie ’ne Diva . . Edle Tat . . Gottes Lohn . . .“

„Keine Krokodilstränen, Turkowitz!“ sagte Senestry. Der andere drängte lispelnd:

„Morgen werden Sie gepfändet, Herr Billing, und Sie sind Statistin in Johannisthal, Fräulein Peternell . . Und hier habt Ihr beide ’ne Zukunft wie in Abrahams Schoss! Nu —?“

„Kinder! Seid keine Frösche! Vertragt euch auf vier Wochen!“ ergänzte Dimitrij Senestry.

Er legte Hansine Peternell väterlich die bleiche Geisterhand auf das Topfhütchen. Er redete ihr zu wie einem kranken Kind.

„Es ist ja gar nicht so schlimm, wie Sie denken, Püppchen. Ich bin auch schon öfters geschieden! Man heiratet doch schliesslich nicht auf Lebenszeit. Ich hab’ schon ein paarmal mit meinen verflossenen besseren Hälften gespielt . . Sie glauben nicht, liebes Kind, wie rasch man das alles über der Arbeit vergisst!“

„Bravo!“ ächzte Ted Turkowitz. Die beiden einstigen Gatten standen schweigend. Sie tauschten einen Blick. Dann sagte Götz Billing:

„Bitte gestatten Sie, dass Fräulein Peternell und ich uns einen Augenblick beiseite aussprechen!“

Die Halle hatte sich inzwischen schon wieder gefüllt. Münchener Maschkerer und G’spusis wimmelten an Stelle des blutrünstigen Hofes von Byzanz. Die Prinzessin Karneval schritt schön und gespreizt wie ein Pfau auf Theodoras Thron. Sie rief mit heller Stimme über die Schulter ihrer Kammerfrau zurück: „Klara . . ’n Kognak!“ Vier schwarzgetünchte Berliner Portierskinder trugen ihr als Negerlein die von falschen Edelsteinen übersäte Courschleppe. Der Fastnachtskönig stolzierte, ein Apollo in goldener Krone und weisser Seide, übernächtig gähnend, neben ihr. Mitten in dem farbigen Gekribbel, den letzten Hammerschlägen der Arbeiter, dem Geschrei der Regisseure, abseits von den Männern der „Memoria“, standen unbeachtet die beiden ehemaligen Gatten. Sie schauten sich stumm an, in einem bitteren Galgenhumor.

„Ja — was soll man machen . .?“ sagte endlich Götz Billing melancholisch, in den Jubel und Trubel der beginnenden Schwabinger Gaudi hinein. Hansine schüttelte den blassen, blonden Kopf.

„Wenn der erste Schrecken vorbei ist . . . dann wäre man doch schliesslich ein Schaf . . .“

„Kein Mensch dankt es uns, wenn wir verzichten!“

„Mir geht es doch so lausig!“ Die Stimme der jungen Frau schwankte in Tränen. „Ich hab’ nicht satt zu essen. Ich leb’ oft nur von Tee und Brot! Wenn das hier jetzt auch wieder nichts wird, muss ich als Statistin zur Revue und mich da vorn vor’s Publikum hinstellen — in einem Kostüm — oder ohne Kostüm . . . pfui . . . .“

„Ekelhaft . . .“

„Und . . . du . . .?“ Das „du“ kam holperig, gequält über die Lippen.

„Ich bin, wenn ich diesen Film nicht mache . . einfach aufgeschmissen! . . .“

„Also — dann hilft das nichts . . .“

„Dann sind wir eben vom lieben Gott noch einmal für vier Wochen zusammengespannt . . . .“

„Das wird grässlich . . .“

„Wir sehen uns doch nur im Dienst! Für mich bist du einfach das Fräulein Peternell, mit dem ich nach dem Willen der Gesellschaft zu arbeiten hab’. .“

„. . und du für mich der Regisseur Billing . . . und ich nenn’ dich Sie! Du duzest wahrscheinlich doch alle Damen!“

„Dich nicht!“

,,Also — in Gottes Namen . . . komm . . . .“

„Da sind wir!“ sagte der blonde Hüne zu Ted Turkowitz und wies auf seine stumme Begleiterin. „Wir haben uns in Gottes Namen in das.Unvermeidliche gefunden!“

„Nu — warum vorher das Gebarme?“ Der Direktor der „Memoria“ rieb sich geschäftig die Hände. „Geht bloss Zeit in die Brüche! Kommen Sie da nebenan . . .“

Es war da, im Glashaus, ein ebenerdiges kleines Zimmer für eilige Beratungen und Vertragsabschlüsse. Karikaturen berühmter Filmgrössen hingen an den Wänden. Photographien mit eigenhändiger schwungvoller Unterschrift. Der kleine, gelbliche Mann schob einen Stoss neuer, noch nicht dem Publikum vorgeführter Lichtbilder in die Mitte des Rundtisches, gegen die staubige Wasserflasche, und tunkte eine Feder ins Tintenfass.

„Unterzeichnen Sie Ihr Todesurteil, liebe Gnädige! . . Lachen Sie doch ’mal . . Sie sind ja noch viel hübscher, wenn Sie lachen! . . Geben Sie sich ’mal Mühe . . Nicht? Wissen Sie: Man muss das Leben nicht so tragisch nehmen! Um halber dreizehn ist alles aus!“

„Das ist auch noch ein Trost!“ sagte Hansine Peternell und schrieb mit phantastischen Künstlerschnörkeln ihren Namen. „Nur eine Bedingung . . Ihnen kann’s ja gleich sein . . Wir haben’s eben ausgemacht, mein früherer Mann und ich, dass niemand etwas davon erfahren soll, dass wir ’mal miteinander verheiratet waren!“

„Ehrenwort . .“, nickte Ted Turkowitz feierlich.

„Grosses Ehrenwort!“ bekräftigte aus dem Hintergrund Dimitrij Senestrys weiche Stimme. Er liess kein Auge von der Peternell. Der schwärzliche kleine Direktor von der „Memoria“ klopfte ihr gutmütig auf die Schulter.

„Nun gehn Sie nach Hause, liebes Fräulein, und ruhen Sie sich aus, nach so ’nem Schreck! Wo wohnen Sie? Brunnenstrasse 943, Gartenhaus, drei Treppen rechts bei Schneider Wippke? Gott soll bewahren! Es gibt doch viel Elend auf der Welt! Werden Sie morgen ausziehen und in eine vernünftige Pension im Westen, dass man mit Ihnen Staat machen kann! E Star wohnt nicht im Vogtland . . .“

„Ich möchť mir zähmen einen jungen Star . .“ rezitierte Senestry sinnend.

„Haha . . Werden wir auch! Die Frau wird noch gross aufgenommen werden! Ich hab’ ’nen Blick! . . Morgen früh um neun geht’s los . . . draussen . . . vor Berlin . . im Buchwitzer Atelier . . Kennen Sie’s.?“

„Ja, Herr Direktor! . . Ich war schon dort . . da fahr’ ich mit der Stadtbahn um . . . .“

„Stadtbahn sagt sie!“ unterbrach sie Turkowitz gerührt. „Punkt acht hält das Direktionsauto bei Ihnen in der Brunnenstrasse. Dann trödeln Sie gefälligst nix noch lange ’rum, sondern haben Ihre sieben Zwetschgen schon fix und fertig in ’nem Wäschekorb verpackt — den trägt Ihnen der Chauffeur in den Wagen . . Und dann los!“

„Was soll ich denn mitbringen?“

„Sie sind im Film: Die arme Mali. Eine Wiener Baroness“, erläuterte der Regisseur Billing geschäftsmässig mit einem Blick in das blaue Manuskriptheft. „Das sagt schon, dass Ihre Kleidung nicht an sich ärmlich ist, sondern vielmehr abgetragen, verschlissen — aber ehemaligen Wohlstand verratend — vielleicht sogar einstigen Luxus . . .“

„Das krieg’ ich ohne alle Apparate fertig“, sprach Hansine Peternell mit einem Zucken um die Lippen. „Solche frühere Herrlichkeit hängt bei mir schon noch im Schrank.“

„Nur . .“ Götz Billing las wieder . . . „das Stück spielt, in Ihren morgigen Bildern, schon vor einigen Jahren. Wir brauchen also eine unmoderne Toilette. Je älter, je besser.“

„Da hab’ ich gerad’ noch was“, sagte die hübsche Blondine plötzlich eifrig. „Ach — das war seinerzeit reizend . . . kornblumblau . . mit weissem Schwanbesatz . . . und Spitzen . . . jetzt ist’s natürlich ganz schäbig und vermottet. Ich hatt’ es so lieb . . drum hatt’ ich es mir als Andenken aufgehoben . . Ja . .“ Sie wechselte einen raschen Blick mit ihrem ehemaligen Gatten und wurde blass. ,,Das, was Sie meinen, Herr Billing . . . das, was ich damals auf der Hochzeitsreise mithatte.“

Einen Augenblick schien es, als zuckte es dem andern unter dem blonden Bart. Aber eigentlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck nicht. Er sagte, nach einer kurzen Pause, ruhig:

„Das wird das rechte sein! Ziehen Sie das nur draussen an, Fräulein Peternell! Auf Wiedersehen morgen!“

Der Regisseur schaute dem flüchtig davonwehenden, schlanken, braunen Komplet-Gewand nach, das kurzröckig um die schmalen, braunseiden bestrumpften Knöchel spielte. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er sagte:

„Ich möchte übrigens, im Interesse des Rufes meiner verflossenen Frau, betonen: Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen! Sie ist nur einfach eines schönen Tages von mir weg, weil sie behauptete, durchaus nicht mehr mit mir leben zu können!“

Die Herren schwiegen und nickten.

„Das waren eben diese grenzenlos leichtsinnigen Kriegstrauungen damals . . Man kannte sich ja gar nicht . .“ begann Götz Billing noch einmal nach einer Weile. „Ich vier Jahre im Feld — verwundet im Offiziers-Lazarett — sie — frisch aus dem Elternhaus — kaum achtzehn, Hilfsschwester. So kam’s . . Ich rede ja sonst nie davon . . Aber wir arbeiten doch nun vier Wochen zusammen. Ich möchte nicht, dass Sie ein falsches Bild von uns gewinnen. Deswegen erzähle ich Ihnen die ganze Moritat! Verzeihen Sie!“

„Heisst mir ’ne Ehre, Ihr Vertrauen, Herr Doktor!“ sprach Ted Turkowitz. „Werd’ ich Ihnen sagen: Es kommen auch bessere Tage! Das Leben ist wie’n Wasserfall! Bald ’rauf, bald ’runter!“

Ein glattrasierter Gent — ein lächelndes Modejournal, das Einglas im Auge, trat verbindlich heran.

„Ich muss die Herren bitten, das Schlachtfeld zu räumen!“ sagte er. „Die Aufnahmen beginnen!“

Götz Billing bahnte sich durch eine Musterkarte von Pierretten, Maharadschas, Rautendeleins, Apachen und Pagen einen Pfad in das Telephonzimmer. Er läutete sein eigenes Not-Atelier an und beorderte, als er das heisere: „Hier Hilfsregisseur Krause — wat jibt’s?“ vernahm:

„Krause! Wir drehen morgen ab neun in Buchwitz! Haben Sie Bleistift da? Notieren Sie! Bestellen Sie an der Filmbörse: ’n Dutzend Odalisken . . .“

„Dutzend Odalisken!“

„— darunter eine geprüfte Bauchtänzerin! Zwei Eunuchen. Ein blinder Meergreis mit einer Flöte. Ferner: Ich bau’ zwei Dekorationen nebeneinander und lasse abwechselnd photographieren, weil man mich mit der Zeit so drängt . . . Ferner also: einige Lebedamen — grosse Abendtoilette! —, sechs Falschspieler . . . Eine alte Kupplerin . . .“

„Eine Kupplerin . .“

„Aber ’was Besseres . . Für die gebildeten Stände . . . Ein verschwiemelter Nachtkellner! Machen Sie selber? Gut! Sonst noch was? Nein! Schluss!“

Götz Billing stand am Ausgang des Glashauses. Immer noch triefte der Regen draussen auf buntscheckiges, verblichenes Gerümpel. Und in diesem Nebelgeriesel erblickte er im Hof seine frühere Frau. Sie war doch schon vorhin weggeschickt worden! Was brauchte sie noch hier herumzutrödeln? Hansine Peternell hatte ihren Regenschirm aufgespannt. Darunter leuchtete das kurze, blonde Bubenhaar. Sie schritt leichtfüssig dem grossen, offenen Gittertor zu. Ihr einstiger Gatte schaute ihr nach. Jetzt trat sie auf die Strasse hinaus. Dort standen, wie immer, Gruppen von Gaffern. Aus ihnen löste sich ein bärtiger, kleiner Mann in schäbigem Radmantel — ein farbloses Stück Berliner Pflaster . . Er näherte sich der Peternell. Er sagte ihr ein paar Worte. Sie starrte ihn an. Sie wich langsam zurück — wieder in den Hof. Ihr Antlitz verzog sich unter dem getupften Schleier vor Angst. Sie eilte instinktiv, schutzsuchend, auf Götz Billing zu.

„Ich denke — er will mich anbetteln . .“, begann sie erschrocken.

„Der Kerl ist vorhin hier schon verdächtig hinter mir und dem Turkowitz hergeschlichen . .“

„. . . . statt dessen sagt er halblaut: ,Lassen Sie man ja die Finger von dem Stambul-Film! Sonst gibt’s ein Unglück!’ Herrgott, bin ich erschrocken! Mir zittern noch die Knie . .“

„Den Kunden wollen wir doch ’mal gleich . .“ murmelte Götz Billing. Aber der Mann im Radmantel draussen war spurlos im Gewühl verschwunden.

„An der nächsten Ecke wartet er womöglich auf mich!“ Hansine fröstelte. „Ich fürchte mich so . . Und wenn ich ein Auto nehme, fährt das grässliche Geschöpf am Ende hinter mir her . . .“

„Warum bist du auch hier noch unnötig lange ’rumgebummelt?“

„Ich? An der Kasse war ich! Meine zehn Märker als Blumenmädchen heute hab’ ich mir geholt! Wenn ich jetzt auch Geld hab’ — den Reichmeiern von der ,Stella’ schenk’ ich nichts . . Und dabei hab’ ich ’nen Hunger . . . Ich wollte mich in die nächste Konditorei stürzen! Aber nun wag’ ich mich nicht mehr allein irgendwohin!“

„Aber du siehst ja ganz elend aus!“

„Kunststück! Ich hab’ seit heute früh nichts gegessen! Ich hatte keinen Groschen mehr!“

„Dann werd’ ich dich also in Gottes Namen in die Kantine hier begleiten!“ sagte er kurz. „Das tu’ ich als Regisseur! Du musst bei Kräften bleiben!“

Im Tabaknebel sassen die Schnapsbrüder und Magier, Dirndl und zahme Engländer, Köche und Undinen, Bajazzos, heilige Johannas, Wilderersepps und Libellen. Der Thron Theodoras drinnen im Glashaus genügte den Ansprüchen Schwabings nicht und musste in Eile umgebaut werden. Der ganze Hofstaat des Prinzen Karneval war inzwischen wie eine Hammelherde aus dem Saal getrieben worden. Alle Tische in der Kantine waren voll. Götz Billing und Hansine sassen zwischen einem bebrillten Chinesen, einem Tippfräulein in Zivil, einem weiblichen Reitbuben in prallen Höschen vom Oktoberfest, ein paar hemdsärmeligen Monteuren. Sie waren das beide als Leute vom Bau nicht anders gewöhnt. Die blonde Frau warf einen hungrigen Blick auf die bierbefleckte Speisekarte und schnippte sie seufzend mit den Fingern weg.

„’s wird ja doch wieder die chronische Stulle mit Margarine! Zu Höherem langt’s ja nie!“ Und plötzlich, mit einem Schrei des Entzückens: „Herrgott . . Ich hab’ ja Geld! Heute ess’ ich Rührei mit Spargelspitzen . . . Das ist mein Traum seit einer Woche, wenn ich das jeden Tag hier les’ . . . Kellner: Rührei mit Spargelspitzen — für anderthalb Emmchen . . . aber fix . . . Heuť schlemm’ ich . . . und ’n Helles . . . Ach . . . Nun wird man ’mal satt . . . und wäre ’mal sorglos . . . Da steht nun wieder so’n angehender Massenmörder draussen. Was hab’ ich denn dem Menschen getan?“

„Du bist doch selbst ’n Filmhase — wenn auch noch ein ganz lütter!“ versetzte der Regisseur ruhig. „Du weisst doch:

Nächstenliebe ist gerade nicht die Pflanze, die im Glashaus blüht! Hast du noch nie ’was von neidischen Kolleginnen gehört? Es hat sich doch natürlich schon ’rumgesprochen, dass du Knall und Fall entdeckt bist und eine grosse Solorolle kriegst! Die wollen sie dir nun aus Leibeskräften vergraulen! Daher das ganze Theater!“

„Das hätt ich Schaf Gottes mir auch selber sagen können!“ Die Peternell schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirne und biss dann beruhigt, mit weissen Zähnen, in eine trockene Schrippe. An der Türe dämmerte die Elfenbeinkugel einer Glatze auf. Ein dicker Herr mit einem Zwicker auf der gebogenen Nase rief gebieterisch:

„Aufnahme! . . . Antreten!“

„. . ’rin in die Schatulle . .“ sprach heiser der Bruder Straubinger den beiden gegenüber und rückte seinen Stuhl. Der Zopfträger, der kleine, breithüftige Jockey, die ganze menschliche Maskengarderobe flutete hinaus. Die Kantine wurde leer. Nur ein Brodem von Tabak, Bier, Schweiss, Speisen und Parfüm brütete in der Luft. Der Kellner schlurfte herum und sammelte die Gläser, Tassen und Teller, ohne sich um das Paar in der Ecke zu kümmern.

Ein Schweigen dort . . .

„Nun hab’ ich mich so auf das Rührei gefreut, und jetzt schmeckt’s mir gar nicht so!“ sagte Hansine Peternell endlich traurig. Aber sie ass es doch. Ihr einstiger Gatte sah ihr stumm zu. Endlich sagte er:

„Vielleicht war ich mehr schuld . . . als ich damals dachte! Du warst eigentlich noch ein Kind . .“

,,Du warst damals ein grosses Kind . .“, die Peternell beschäftigte sich, die schönen Augen auf dem Teller, mit Messer und Gabel . ., „und wirst es zeitlebens bleiben . .“

„Ein Idealist . . . Hoffentlich!“

„Auf deutsch: Einer, der nie Geld hat!“ Hansine langte sich eine neue Schrippe.

„Wenn wir Geld gehabt hätten“, sagte ihr früherer Mann langsam . . „Ich bin heute noch überzeugt . .Es wäre nie so weit zwischen uns gekommen!“

„Wir hatten ja! . . Und haben’s verquast . . Ich verstand doch nichts davon mit achtzehn Jahren . . . gib mir ’mal bitte den Senf . .“

„Ich geb’s ja zu, Hansine . . . Es war ja ein Unsinn, dass wir das kleine Bankgeschäft aufmachten — wo wir doch keinen Schimmer von so ’was hatten. Aber andere taten’s doch auch . .“

„Alle pleite!“

„Jetzt . . . ja . . aber damals . . Herrgott ja — vor dem Krieg eben unproduktiver Doktor der Kunstgeschichte . . Im Krieg hatte man sich überhaupt jede Arbeit abgewöhnt . . . Nun stand man da . . . Man wollte doch ’was tun . . .“

„Ich hätte jede Arbeit getan . . .“

„Ein Prinzesschen warst du! . . . Riesige Rosinen hattest du im Kopf! . . Ein kolossales Selbstgefühl, was dir das Leben noch schuldig sei . . .“

„So?“ Die grossäugige, blonde, junge Frau fuhr heftig zu ihm herum . . „Habe ich nicht, wie sie die blauen Siegel an unsere Bankbude pappten, aus eigener Kraft ein Hutgeschäft aufgetan? Hinterm Ladentisch hab’ ich gestanden und die Kundinnen angeflötet . . Eigenhändig hab’ ich ihnen die Kartons an den Wagen getragen! Ja — so war ich . .“

„Wie lang hat denn die Herrlichkeit gedauert?“

„Jedenfalls länger als die Automobil-Agentur, mit der du uns über Wasser halten wolltest!“ sprach die Peternell erbittert. „Na — und dass es dann mit dem Kommissionsvertrieb von illustrierten Prachtbibeln nichts werden würde, das hatt’ ich mir gleich gedacht! Dazu passten wir auch wirklich wie die Igel zur Schlummerrolle! . . Du hast nichts aus dir gemacht — ewig der Hans im Traumland — du hast nichts aus mir gemacht — aus ’ner Frau wie mir . . . Immer tiefer sind wir ’runtergekommen . .“

„Nicht durch meine Schuld!“

„Durch meine gewiss nicht!“ Hansine Peternell leerte mit einer stürmischen Armbewegung ihr Bierglas. „Ich tanz’ doch so nett . . Ich hab’ dir gesagt: Ich wil mir ’nen Partner suchen und abends in den Luxushotels auftreten und einen Tanzkursus einrichten! Da warst du zu eifersüchtig. Ich hab’ nur ’ne Stimme wie ein Kanarienvogel mit ’m Pips . . aber ich kann doch sächsische Couplets und so Sächelchen urkomisch vortragen! Ich hab’ dir gesagt: Ich wil’s ’mal in ’nem ganz feinen, kleinen Kabarett probieren! Da warst du zu eifersüchtig! Ich kann doch geschmackvoll Buketts arrangieren. Ich hätte das flottgehende Blumenlädchen — nachts — in der Pompadour-Diele — pachten können — na — da gingst du ja in die Lüfte vor Eifersucht! Ja — wenn man so eifersüchtig ist, muss man doch auch ’was dafür bieten . . . Aber Eifersucht bei Wasser und Brot — na — ich danke . . .“

„Ich hab’ dich sehr lieb gehabt — damals — Hansine . .“

„Hoffentlich, Götz! Aber was half denn das? Ich konnt’ mich ja nicht rühren — neben dir . . Hände und Füsse waren einem gebunden! Ich hatte — sei nicht böse . . . Kellner . . nehmen Sie ’mal das da weg . . Ich hatte das Gefühl, als ob einer, der schwimmen kann, von einem, der nicht schwimmen kann, umfasst wird und mit in die Tiefe gezogen! Und ich wollte doch oben bleiben! Mit wenig über zwanzig! Das ist doch menschlich!“

„. . Nun sag’ ’mal ehrlich, Hansine: Du bist ja sehr hübsch! . . . Aber im übrigen: hast du da nicht doch recht . . . recht überschätzt, was du bist und kannst .?“

„Gott . . . das war doch damals . . . da war ich noch dumm . . . Kellner, zahlen! . . behalten Sie den Rest! . . Da bildete ich mir vielleicht allerdings einige Schwachheiten ein, . . . von denen ich jetzt allmählich kuriert bin . . . . Aber das ist ja nun einmal alles geschehen . . . .“

„Kurz und gut,“ sagte Götz Billing . . . „du warst ein bunter Vogel, und ich war dein Ring am Bein, und die Ehe war der Käfig . . . und du flogst eines schönen Tages davon . . in die weite Welt — um selber dein Glück zu suchen . . . . Hansine: hast du’s gefunden?“

„. . . Wann fangen wir doch morgen im Atelier an? . . Um neun?“

„Du hast recht! Ich will dich jetzt nicht mit Fragen quälen! Du erzählst mir später einmal, wie es dir gegangen ist, seit wir uns nicht mehr gesehen haben!“

„Wie ’ner Lumpenprinzessin!“ Die hübsche Peternell stand auf. „Und du solltest deinem Schöpfer danken, dass ich dich damals von mir befreit hab’! Wie du mich los warst, wurdest du über Nacht ein grosser Mann! Da haben sie dich als Regisseur entdeckt!“

„Vielleicht kommt jetzt auch deine Zeit!“

„Herrgott ja!“ Hansine Peternell klatschte plötzlich jauchzend in die Hände und machte einen Wirbelsprung durch die Luft. Der Kellner sah schlafmützig zu. Ihn wunderte nichts mehr beim Film. „Ich hab’ ja ’ne Rolle! Das hatt’ ich doch eben total verschwitzt! . . Ich geh’ hoch! . . Hurra . . Ach — nimm dich doch ja bei den Aufnahmen zusammen!“

„Tu’ du das lieber!“

„Ich meine bei meinen Aufnahmen! Nicht wahr: Du gibst dir ordentlich Mühe, trotzdem ich es bin? . . . Schone mich nicht! . . Probiere jede Szene, bis ich umfalle . .“

„Ich zwiebele dich schon nach Noten! Du sollst deinen Herrgott kennenlernen!“

„Danke schön!“ Sie streckte unwillkürlich die Rechte aus. Beide gaben sich, ohne viel Umstände, die Hand. Götz Billing sagte:

„Das ist mein Daseinszweck als Regisseur! Ich kriege unerbittlich alles aus dir ’raus, was du etwa bisher an schlummernden Gaben der Mitwelt vorenthalten hast! Vielleicht wirst du noch ’ne Henny oder Asta oder Mary! . . Und nun auf Wiedersehen morgen! Ich muss jetzt zu der Barbe Rank!“

Die Diva wohnte draussen in einem Mietspalast des neuen Westens. An der Seidentapete des prunkvollen Empfangsraums hingen eingerahmte Photographien von ihr in allen Lebenslagen und Verkleidungen des Films. Als Dollarprinzess und Primaner, im Pyjama und Autodress, in Nonnenkutte und Badetrikot und Krinoline des zweiten Napoleonreichs. und Reifrock der Pompadour. Die Rank verzweifelt an der unterirdischen Falltüre kratzend, die Rank entsetzt den Tod auf den Eisenbahnschienen erwartend, die Rank im ewigen Polareis von Partenkirchen, die Rank in der Sahara der Rüdersdorfer Kalkberge, die Rank im Jangtsekiang der Woltersdorfer Schleuse, die Rank unter den ägyptischen Säulen des Tempelhofer Feldes, die Rank bei den Cowboys von Neubabelsberg. Dann wirkliche Reisetrophäen: Tamburine aus Andalusien, Palmenwedel von Brioni, Seesterne von Scheveningen, Ansichtskarten grüsse von Kollegen und Kolleginnen aus allen möglichen Glashäusern und Aufnahmegeländen der Welt — von Hollywood bis Geislgasteig.

Jetzt vernahm der wartende Regisseur im Nebenzimmer die Stimme der Diva. Sie telephonierte dort:

„Auf Patientenbesuch? . Der Herr Doktor möchte doch gleich nachher ’mal anläuten!. . Ach nein . . Nichts Schlimmes . . . Nur ein bisschen Abweichen bei Erwinchen . . .“

Sie kam herein. Im Hauskleid. Geschäftig. Mütterlich. Nichts mehr von der Dämonie der Theodora in den kühlen grauen Augen. Nichts mehr von schlangenhafter, byzantinischer Verbuhltheit im Spiel der schlanken Glieder. Einfach eine schöne, blonde, mit den Gedanken noch bei Küche und Kindern weilende Hausfrau.

„Also — ich mach’ mit, Herr Doktor!“ sagte sie geschäftig, in junonischem Phlegma. „Ich bin es meinen Kindern schuldig! Ich muss Geld verdienen! Aber billig bin ich nicht. Ich muss mich dazu halten. Sie kennen das Sprichwort: Eine Stunde Glashaus ist eine Woche Jugend! Ich kann es nicht möglich machen unter einer Monatsgage von . . . Na . . . Sie erbleichen .?“

„Ich bin auf alles gefasst . .“

„Einer Gage — Alles sonst natürlich erstklassig frei — von . . . ach . . da bimmelt gerade der Doktor nebenan . . . Es ist wegen meines Kleinen . . . ’n Augenblick . . .“

Die blonde Juno lief in das Nebenzimmer. Sie liess die Tür offen. Sie hob den Hörer ans Ohr.

„Hier Frau Rank . . . ja . . Frau Rank selber. . . . Wie?. . Ja . . die Diva . . . wenn Sie mich durchaus so schimpfen wollen . . . Wer sind Sie denn? . . Nicht der Arzt? . . Wer?. . . Was?“

Barbe Rank horchte und stiess plötzlich einen grässlichen Schrei aus.

„Was sagen Sie? . . Sind Sie verrückt? . . . Meine Kinder? . .“ Ihr Atem flog . . . „Sie Unmensch . . . Was haben Ihnen denn meine Kinder getan . . .? Sie wären ein Freund . . .? . . Sie wollten nur rechtzeitig warnen . . .? Ja . . Wer denn? . . . Antworten Sie doch . . um Gottes willen . . . Niemand mehr am Apparat . .?“

Die schöne Rank wankte über die Schwelle . . totenbleich . . . mit einem Schrecken in den starren Augen, um den offenen Mund, wie sie ihn sonst nur in ihren besten Stunden im Glashaus hervorzauberte. Sie liess sich, ohne ihre berufliche plastische Anmut der Bewegung, mit einem Plumps in den nächsten Sessel fallen. „Das ist ja grauenhaft!“ ächzte sie. „Mir stehen die Haare zu Berge . . . .“ Sie schaute feindselig zu ihrem Besucher empor. „Und das verdankt man Ihnen, Herr Doktor!“

„Geben Sie mir keine Kreuzworträtsel auf, Gnädigste, sondern erzählen Sie, was . .“

Barbe Rank fuhr mit einem Schrei in die Höhe. Tippte auf die Klingel. Rannte nach der Türe — jetzt ganz ein Nervenbündel von Star —, befahl atemlos dem Mädchen auf der Schwelle:

,,Elmirchen darf keinen Schritt aus dem Haus . . . Verstanden? . . Sperrkette vor! . . Kein fremdes Gesicht in die Wohnung! Sonst gibt’s ein Unglück“ . . . und, während das Mädchen verdattert davonrannte, mit dem Fuss stampfend zu dem Regisseur: „Ich danke für Ihre ,Geheimnisse von Stambul‘ . . . dahinter scheinen ja nette Geheimnisse zu stecken . .“

„Wer war denn am Apparat?“

„Weiss ich’s? Eine Männerstimme, die sagte, man habe Sie zu mir kommen sehen! Sie würden den ganzen Tag beobachtet . .“

„Meinetwegen!“

„Was aus Ihnen wird, ist mir auch ganz Wurst! Ich bin Mutter! Meine Kinder . . . Die sollen mir geraubt werden, wenn ich in Ihrem Film mitspiel’ . . . versteckt gehalten — ermordet . . ich seh’ sie nicht wieder . . . Huh . . . Was murmeln Sie da von Nervenklaps?“ Die Rank fuhr auf. „Ich bin weiss Gott nicht furchtsam! Ich bin schon zehn Fuss hoch ins Wasser gesprungen . . . und auf ein Pferd gebunden . . . und als Hexe verbrannt . . und in der Arena ’rumgeschleift . . und von Hagenbeckschen Löwen zerrissen. Ich bin nicht so etepetete! Ich mach’ alles, wie’s im Drehbuch steht . . . Aber meine Kinder . . . meine süssen Kleinen . . .“

„Es krümmt ihnen ja niemand ein Haar!“

„Sie werden sie gerade in Berlin schützen, wenn Sie mit mir Gott weiss wo draussen in der Welt ’rumfilmen!“ Barbe Rank lachte hysterisch. Sie lief auf und ab wie eine Löwin, der man ihre Jungen raubt. „Also ich bedauere lebhaft, Herr Doktor! Aber ich muss ’was für meine Gesundheit tun. Ich gehe morgen mit meiner Familie auf den Weissen Hirsch!“

„Frau Barbe . . .“

„. . . Auf den Weissen Hirsch . . auf den Weissen Hirsch . .“

„Wenn wirklich etwas Besonderes mit dem Film los wäre . . .“

,,Adieu, Herr Doktor! Wünsche wohl zu drehen! . . .“

„. . so würde ich es Ihnen doch sagen! Aber ich weiss rein von nichts!“

„Dann werden Sie eben auch belämmert!“ sprach erschöpft Frau Rank. „Ich bin nicht so dumm! Ich hab’ ’nen ganz hausbackenen Verstand! Sehen Sie sich doch ’mal diesen guten Herrn Turkowitz näher an! Vielleicht steckt dahinter das Rätsel!“

Ted Turkowitz stand breitbeinig, die Hände in den Taschen, gefühlvoll vor sich hinsummend, draussen vor den Toren Berlins im Buchwitzer Atelier. Diese Glashalle klafterte die Masse eines mittleren deutschen Zentralbahnhofs. Sie war so riesig, dass die Menschen an ihrem andern Ende wie wimmelnde Ameisen erschienen. Sie dröhnte von hundertfachem Gehämmer, Gesäge, Gefeile, Gekarre, Gerumpel. Blusenmänner legten elektrische Drähte. Weisskittel tünchten, auf Leitern stehend, hohe Leinwandkulissen mit farbigem Pinsel, Herren in Hemdsärmeln halfen, als Kunstprofessoren, eigenhändig mit, Zimmerleute nagelten ein Wäldchen von wattebeflockten Tannenbäumen auf das weisse Gipsmehl einer Schneefläche am Boden. Tischler schleppten Sessel, Kanapés, Kommoden, Taglöhner schaufelten die Abfälle von Stuck, Staub und Holz in Schubkarren. Nirgends ein geschminktes Antlitz — ein Prinz aus Märchenland, ein Mädchen aus der Fremde. Kein farbiger Feuerzauber des Films. Keine rauschende Musik. Keine künstlichen Sonnen. Grau schien der Alltag durch gläserne Dächer in eine lärmende Fabrik. Heute war der Film das, was er wirklich war: ein Industriebetrieb gleich tausend andern — so wie er Tag für Tag in den Arbeitsräumen der Kopieranstalten, den Konferenzzimmern der Direktionen, den Kontoren der Verleihgesellschaften und Lizenzkäufer sich abrollte.

„Kommen Sie endlich, Doktor?“ sagte der kleine Mann aus Tarnopol zu dem herantretenden Regisseur. „Nu — is der Film besetzt . .?“

„Ja. Ich hab’ für morgen die Noatschek-Pichler — Christof Kühn — Limprecht — den dicken Platzl. Aber die Rank ist uns glücklich durch die Lappen gegangen! Ich hab’ nun an die Scarpa gedacht!“

„Waren Sie bei ihr?“

„Sie war gerade zu ihrer Schneiderin nach Dresden geflogen. Aber sie hat heuť abend um zehn ihre Nummer in der Revue ,Mensch — ärgere dich nicht!’ als Trillergirl aus New-Pankow. Ausserdem wird sie um Mitternacht auf dem Alpenball im Marmorsaal des 300 erwartet, und hinterher ist sie gewöhnlich im ,Floh’ am Kurfürstendamm!“

„Werd’ ich Ihnen sagen: Heute nacht wird sie Ihnen unterschreiben, was Sie wollen, und morgen mittag sitzt sie um zwölf noch ahnungslos wie ein Engel im Bett und telephoniert, sie müsse ’nen Schwips gehabt haben, sie wisse von nichts! . . Ich kenn’ sie doch, wie sie noch Lenchen Scharff hiess und kalte Mamsell in Jüterbog war! Sie unterzeichnet aus dem Handgelenk drei Verträge zugleich!“

„Aber unsern hält sie — wegen der Sensation! Wenn ich ihr sage: ,Die Rolle ist lebensgefährlich! Der ganze Film ist ein Pulverfass!’ — da setzt sie sich mit Wonne drauf und strampelt mit den Beinen . .“

„Mein Film ’n Pulverfass?“ sprach Ted Turkowitz langsam und ungläubig . . Doktor . . . Wollen Sie ’ne Eisblase hintern Kopf? Er fiebert — der Mann! . . Er fiebert . .“

„Herr Turkowitz: Es erfolgen dunkle Warnungen an Senestry — an meine frühere Frau — an die Rank . . .“

„Nu — Intrigen! Lacht m’r!“

„Warum inszenieren Sie — ein alter kundiger Thebaner — diesen Ladenhüter, mit dem man keinen Schusterjungen mehr in den Kientopp lockt? . .“

„Werden ja sehn, wie voll ’s wird!“

„Warum muss ein Senestry — für unsinniges Geld — seine Kunst an diesen Kohlstrunk verschwenden? Warum wird, in unglaublichem Leichtsinn, gerade meine frühere Frau, die noch nie in ihrem Leben eine Solopartie gespielt hat, frisch und munter in einer Hauptrolle vor den Kurbelkasten gestellt?“

,,Nu — lassen Sie mir doch mein Vergnügen! Für mein Geld! Für nix is nix! Und für etwas is ’was! Und für viel is viel! Ich geb’ viel — und ich verlang’ viel! Deswegen mieť ich mir Leute, die gross sind wie der Senestry — oder die gross sein könnten, wie jeden Augenblick Sie, wenn Sie’s nicht immer beim Film mit der Ps . . . Ps . . .“ Er stiess heftig mit der Zunge an. „. . mit der Psychologie hätten . . . . . oder Leute, die vielleicht ’mal gross sein werden, wie die Peternell!“

„Aber Sie decken mir Ihre Karten nicht auf, Herr Turkowitz! Ich kann Ihnen den Film nicht zu Dank machen, wenn ich nicht weiss, was Sie eigentlich letzten Endes mit diesem — offen gestanden — Mist von Manuskript bezwecken!“

„Ein G’schäft! Was sonst?“

Götz Billing zuckte die Achseln und schwieg. Rings dröhnte der Hämmertakt des Glashauses. Der kleine Mann vor ihm hob sich auf die Fussspitzen und schrie ihm ins Ohr hinauf:

„Ihre Sorgen möcht’ ich haben, Herr Billing! Ich wunder’ mich: Ein so baumlanger. Mann . . ein so starker Mann . . ein junger Mann . . . Ein Offizier im Krieg . . . Ein Fachmann vom Film. . . Und fürchtet sich . . . Fürchtet sich vor dem Geschmus von ’n paar unbekannten Leut’!“

„Herr Turkowitz . . .“

„Der Senestry wird morgen früh hierher kommen — die Peternell wird kommen, obwohl es gefährlich ist . . . die Scarpa wird kommen, weil es gefährlich ist . . alle werden kommen — nur der Regisseur bleibt daheim! Zustand! . . Doktor . . Sollen Sie alt werden . .“

Ted Turkowitz zog sich, der Vorsicht halber, hinter den grossen, schon für morgen aufgestellten Bakkarattisch eines Wiener Nachtklubs zurück. Aber der blonde Hüne vor ihm lächelte nur verächtlich.

„Morgen um acht Uhr bin ich hier!“ sagte er. „Vor allen andern! Mahlzeit!“

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