Читать книгу Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend - Rudolf Stratz - Страница 6

III

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Der Neckar floss hier in seinem Oberlauf noch schmal und jugendlich unter dem klaren, blauen Spätsommerhimmel zwischen den sonnenflimmernden schwäbischen Rebhügeln dahin. Ihre steilen, tiefgrünen Hänge liessen unten im Tal eben nur Raum für das Klingelbähnle und das Landsträssle daneben. Auf dem scheute ein knochiger Klepper vor dem just in die Station einfahrenden Zug und drehte sich mit dem Pritschenwägelchen und dem vom Bock kutschierenden jungen Mädchen im Kreise, dass die auf den Bahnhofsplatz hinaustretenden Marktweiber und Butterbauern und Winzersleute wie die Hühner auseinanderstoben.

„Da isch doch der Deufel ’laus g’wä!“ Die junge Dame riss wütend an den Zügeln. Der Gaul stieg wiehernd hoch. „Jörgle! Heidablitz! Bischt jetzt brav!“ Sie wandte im Kampf mit dem alten Wallach den hochmütigen, kleinen Aristokratenkopf nach rückwärts. Er war bloss. Das kastanienbraune Haar wirrte sich zerstrubbelt um den Scheitel in der Mitte. Plötzlich konnte sie gut Hochdeutsch. „Ist das der Ernst, der da mit seinem Köfferle steht? Dich hätt’ ich bald nit mehr erkannt! Wirf’s Köfferle von hinten nauf! So! Jetzt spring’ hurtig hinterher, eh’ der Jörgle durchgeht! Das sind die vielen Schmeissmucken! Die machen ihn rein närrisch! Jörgle — schämst dich nicht vor dem Herrle? Ruck besser ’rüber, Ernst — dicht zu mir! Wir müssen warten, bis ’s Zügle im Tunnel ist!“

„Bist du denn wirklich die Teuthild?“ frug Ernst Wachsmuth und zog die Knie hoch. Denn der Jörgle keilte mit den Hinterhufen nach rückwärts, dass es krachte.

„Ei ja! Lieber Gott . . . Du wirst doch noch dein Bäsle kennen!“

„Ich hab’ dich ja seit zehn Jahren nicht gesehen!“

„No ja, da war ich freilich noch ein Stumpe von sieben Jahren!“

„Du hast dich kolossal zu deinem Vorteil verändert, Teut!“

„Das sagt doch gleich jeder! . . . Herrgott ja — was muss ich früher wüst gewesen sein!“

„Na, jetzt bist du gründlich das Gegenteil — Donnerwetter ja!“

„Ach — schwätz’ nit! Los, Jörgle! Jetzt darfst springen!“

Das klapprige Fuhrwerk rasselte durch das schwäbische Amtsstädtchen. Die hohen, altertümlichen Fachwerkgiebel tanzten vorbei. Das zopfige kleine Rathaus mit der Schnörkeltreppe und dem bemoosten Marktbrunnen. „Brrr!“ Das junge Mädchen warf sich aus Leibeskräften mit den gestrafften Zügeln nach rückwärts, bis der Wagen stand. „Wo isch ’s Näh-Bäbele?“ schrie sie.

„Hier, Fräule Baron!“ Eine kleine Putzmacherin lief aus dem Haus und reichte ein Paket auf den Wagen. Weiter! Die Teut versetzte dem widerspenstigen, uralten Wallach einen Peitschenschmitz und frug:

„Du warst die letzt’ Zeit mit deinem Vater in München, Ernst?“

„Ja. Ich komme direkt von dort.“

„War’s schön?“

„O ja . . . soweit schon . . .“

Brrr! Noch ein Halt! „Kätterle!“ Diesmal war es eine junge Frau, die ein derb besohltes Stiefelchen aus dem Laden brachte. „Gute Morge au, Fräule Baron!“ Alle Welt im Städtchen kannte das Fräulein Baron. Sie nickte hochfahrend mit dem flinken braunen Köpfchen nach rechts und links zum Volk hinunter als Erwiderung der Grüsse. Das Wägelchen donnerte durch die Torwölbung des Stadtturms. Dahinter stieg die Strasse steil den Weinberg hinauf. Jetzt verging dem Jörgle der übermut. Die Siebzehnjährige legte atemlos die schlaffen Zügel auf die Knie.

„Ich bin ganz schnaufig geworden!“ sagte sie.

„Habt Ihr denn keinen Kutscher?“

„Ja — wer soll denn den zahlen? Bei den argen Zeiten! Bist schon ein Schlauer!“

,,Der Wein,“ sie deutete mit dem Peitschenstiel auf das Gewimmel der Rebstöcke, „sogar unsere beste Lage — so eine Art Katzedreckler, weisst — der Wein bringt ja bald gar nix mehr! Jetzt erzähl’ doch von München! Warst du bei den Kunstprofessoren?“

„Na und ob! . . . Gleich bei dreien von den Kerlen hintereinander!“

„Und was haben die denn gesagt?“

„Pass’ auf!“ warnte der Ernst. Ein Fuhrwerk rasselte rasch bergab um die Biegung. Beinahe prallten die beiden Gefährte zusammen.

„Das ist wieder dem Metzger sei’ Sauwägele!“ rief die Teut und schaute über die Schulter. „So a Esel — a dommer . . .“

„No stät, Jongferle!“ schrie der Schweineschlächter um die Ecke zurück, und hinterher das junge Mädchen:

„Saubauer!“

„Teut! Schämst du dich denn nicht?“

„Ach! Da kriegt man schon an Zörnle! . . . Da guck’ mal den Gedenkstein, da am Wäldchenrand! Den hat mein Vater vor drei Jahren, kurz vor seinem Tod, setze lasse! An der Stelle habe sich mal der Götz von Berlichingen und ein Drach von Wunnenstein zwei Stunden lang zu Pferd mit den Lanzen umeinander gejagt und zu guter Letzt die Armbrüst’ an die Köpf’ geschmissen! . . . Fein! Gelle?“ Die Teuthild Drach lachte, mehr noch mit den hellbraunen glänzenden Augen als mit dem frischen, etwas grossen Mund, über dem die Nase kühn vorsprang und ihrem blutjungen Antlitz in der Seitenansicht etwas Herbes, Junkerlich-Verwegenes gab. „Was siehst du mich denn so an, wie die Kuh das neue Tor?“

„Ich bin ganz paff, wie wunderhübsch du geworden bist!“

„Meinst?“ sprach die schmächtige junge Baronesse befriedigt. „Das ist halt die G’schicht vom Entche! Mir ist’s recht! . . . Du wirst ja Maler! Da musst du mich auch mal malen — oben — für den Ahnensaal! Aber es darf gar nix kosten! Wann gehst du denn jetzt nach München auf die Kunstakademie?“

„Ja . . . weisst du . . . so ganz genau steht der Zeitpunkt vorläufig noch nicht fest . . .“

„. . . und bei welchem Professor kommst du denn zuerst in die Klasse?“

„Gott . . . das ist augenblicklich auch noch nicht entschieden! Es ist eigentlich noch alles in der Schwebe!“

,, Ja — wieso denn?“

„Ach — das kann ich dir nicht jetzt gleich so haarklein auseinanderpolken!“

„Wie du willst! A Topfguckerle bin ich nit! . . . Da — nimm mal den Peitschenstock — ich muss die Zügel halten — und hau’ dem Jörgle fest grad hinter die Ohren! An der Stelle geht der Jörgle gern durch nach dem Stall, wenn er die Burg da vor sich sieht!“

Auf einem rebengrünen Kegel, gerade über dem Schlängelband des Neckars im Tal, hob sich der Wunnenstein als ein grauer, hoher Klotz von dem blassblauen Himmel. Er hatte keine Türme und Zinnen. Er war lediglich ein vier Stockwerk hoher, engbrüstig aufgemauerter Steinkasten, der weithin das Württemberger Hügelland beherrschte. Die Erbtochter des kleinen Weinguts, die Freiin Teuthild von Drach, drehte das mittelalterlich streng geschnittene, wie aus einem Ahnenbild entschlüpfte Köpfchen dem Better zu.

„Jetzt lass doch die Katz aus dem Sack: Was haben denn eigentlich die Herren Professoren in München zu deinen Arbeiten gesagt?“

„Ja — siehst du . . .“ Ernst Wachsmuth rückte unbehaglich und düster auf der Bank hin und her. „Die Meinungen waren verschieden . . . das heisst eigentlich nicht . . .“

Die Teut war nicht dumm. Sie blinzelte den jungen Mann spitzbübisch von der Seite an, schnalzte vielsagend mit der Zunge und zog die Stirne kraus. Dann lenkte sie das Wägelchen in den Burghof — einen freien Platz mit weitem Rundblick über das Schwabeländle bis zu den fernen blauen Schatten der Rauhen Alb — rechts neben dem festen Haus die letzten zerbröckelten Steintrümmer einer mittelalterlichen Mantelmauer, zur Linken, nach vorn in drei grossen Schwibbogen sich öffnend, der Kelterraum, mit Presse, Bottich und leeren Fässern an den Wänden, über dem unterirdischen Keller.

„Frieder!“ schrie die Teut mit heller, durchdringender Stimme. Ein steinaltes Faktotum, halb Küfer, halb Hausmeister, schlürfte hemdärmelig, in grünen Pantoffeln heran. Sie übergab dem weissstoppeligen Greis die Zügel und das Köfferchen und sprang mit einem federnden Satz vom Fuhrwerk hinunter auf die Füsse. Unten schlug sie lachend die Hände zusammen, während Ernst Wachsmuth hinter ihr zu Boden kletterte.

„Jetzt reisst er schon wieder die Gucklöcher auf! Du bist mir ein närrischer Vetter!“

„Ich bin ganz paff! Ich hatte dich ganz klein in Erinnerung! Und hab’ mir die ganze Zeit, wie ich jetzt neben dir gesessen bin, eingebildet, so wärst du geblieben! Und jetzt bist du auf einmal im Stehen beinah so gross wie ich!“

„Gelt — ich bin ein langer Stecken?“ sprach die Teut geschmeichelt und schaute an ihrer jungenhaft dünnen Rassegestalt herunter. Sie war steil aufgeschossen wie eine biegsame Gerte, noch nicht voll entwickelt, mit ganz schmalen Schultern, magerem Hals und flacher Brust. Ernst sah sie bewundernd an. Sie sagte unbefangen:

„So, Vetterle! Wenn du magst, kriegst du jetzt ’nen Kusinchekuss von mir! Drei hat die Mama erlaubt: einen zum Willkommen! Einen zum Abschied. Und einen dazwischen, wenn sich’s grad trifft.“

Ernst Wachsmuth wurde rot. Er drückte verwirrt seine Lippen auf den kühlen weichen Mädchenmund. Die Teut wischte sich hinterher seelenruhig mit dem Handrücken und meinte:

„Dein Flaum sticht noch nit! Der ist wie ein Butterbrötle ohne Salz! . . . Komm! Die Mama zankt sich eben mit dem Ochsewirt! Der soll uns den Rest vom Wein vom Vorjahr abkaufe und zahlt so bös! Ich zeig’ dir unterdes dein Zimmer! Drei Stiegen hoch! Du darfst unterwegs verschnaufen!“

Und oben in der grossmächtigen, von uraltem Hausrat erfüllten Stube, von der man beinahe nur den Schwalbenflug am Himmel vor sich sah und um die der Wind wie um einen Kirchturm sang — dort oben setzte sich die Teut auf das wurmstichige Himmelbett, in dem schon vor zwei Jahrhunderten ihre Vorfahren von Hirschhatz oder Hofgunst geträumt hatten, kreuzte die Arme über der Brust und sprach: „Das ist riegeldomm, dass du mir nicht die Wahrheit sagst! Der Mama musst du’s nachher doch beichten, wie’s in München gewesen ist . . .“

Der junge Mann wandte ihr düster, vom Fenster her, den bleichen Krauskopf zu und lachte wild auf.

„Du hast ganz recht: einmal muss es doch heraus!“

„Was ist denn passiert?“

„Die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen!“ schrie Ernst Wachsmuth und stürzte auf sie zu. Sie sprang auf: „Uije! Friss mich nicht!“ Er zuckte höhnisch die Schultern. Er wies verächtlich mit dem Haupt nach der Richtung, wo die Bayernhauptstadt lag. „Dünkel und Unverstand in schönem Bund! Vielleicht sogar Neid! Kannst du dir vorstellen, Teut . . .“ Er fasste die mageren Finger des Mädchens und presste sie.

„Au! Du!“

„. . . dass diese sämtlichen drei Idioten von Professoren sich gegen mich zusammengeschlossen haben? Sie haben einstimmig das blödsinnige Urteil abgegeben, mein Talent lange in keiner Weise zum Künstlerberuf! So — da liegt mein Leben in Scherben!“

„Denn jetzt —“ Ernst Wachsmuth liess sich schwer in einen gichtbrüchig krachenden Biedermeier-Armstuhl fallen, „jetzt muss ich das Versprechen, das ich meinem alten Herrn gegeben hab’, einlösen und Medizin studieren! Er möchte am liebsten in Strassburg, weil ich da von früher her meine Schulfreunde und für das Studium seine damaligen Kollegen zur Hand hab’! Meinetwegen! Mir ist alles gleich! Ich bin ein gebrochener Mann! . . . Ich geh’ von euch hier in vier Wochen nach Strassburg!“

„Gucket au! Also daher weht der Wind!“ sprach die Teuthild und legte mit offenem Mund die Hände ineinander.

„Für mich hat das Leben keinen Wert mehr!“

,,Ich bin tonträrer Ansicht, Ernstle! Ich find’ das Leben ganz g’spässig!“

„Ja — du! Da hockt sie auf dem Bett und zieht die Beine bis ans Knie und kichert.“

„Soll ich plärren?“

„Roh ist das von dir! Herzlos!“

„No — da bin ich halt a Galgenstrick! Mei’ Schuzpatronin, die heilige Teuthild, ist mir z’brav!“

,,Du kränkst mich . . . mit Absicht . . . pfui . . .“

„’s ist nicht mit Fleiss gescheh’n!“ Die Teut schnellte wie eine Sprungfeder von ihrem Platz auf und stand, die zehn Finger in die Seiten gespreizt, lang und schmächtig vor dem Vetter und zeigte ihm fidel zwei Reihen kleine, weisse Zähne. „Dank’ du doch deinem Herrgöttle, dass du kein Maler wirst, sondern ein anständiger Mensch!“

„Was kolkst du da?“

„Die Mama und ich haben uns schon so arg g’schämt, dass wir einen Künstler in die Familie kriegen sollen! Kunstmaler sind nix Feines! Die haben lange Haar’ und Ölfleck auf dem Kittel, und in der nobeln Welt, in München oder Stuttgart oder gar in Wien — da findest du sie nit! Ja — zu der guten Gesellschaft gehörst du doch auch, Ernstle! Mei’ Mutter und dei’ Mutter sind doch Schwestern! Geborene Paur zu Rain! So ein Name ist doch ebbes Schmucks!“

„Und was haben denn die Paur zu Rain durch die sieben Jahrhunderte geleistet? Fortgepflanzt haben sie sich! Schluss!“

„Du bist halt bürgerlich!“ sprach die Teuthild Drach mit einem leicht fremdartigen Nebenklang in der Stimme. „Es ist arg schad’! No — du kannst ja nix dafür!“

„Schmeisst mich nur gleich ’raus!“

„Dich behalten wir!“ Die Teut schlug den Vetter versöhnlich mit den beiden langen mageren Händen auf die Schultern und lachte ihm, ein bisschen errötend und noch hübscher werdend, mit den glänzenden hellbraunen Augen wohlgefällig ins Gesicht. Er merkte, dass er ihr gefiel. „Meinst, die Betterle wachsen hier wild?“ frug sie. „Ach — die Sorť ist rar! Ich bin froh, dass ’mal einer da ist! Und jetzt lass den Kopf nicht mehr hänge! . . . Dich kriegen wir hier schon noch hoch! Jetzt komm mit ’runter und zeig’ dich der Mutter!“

Erst beim Abstieg über die knarrenden Holztreppen, im Innern des festen Hauses Wunnenstein, sah man, wie wenig Raum eigentlich in dem nach aussen so trotzig ragenden Mauerklotz war. Ein paar Zimmer nur in jedem Turmstock und davon die Hälfte unbewohnt. Ein feiner Modergeruch wehte aus allen Fugen und Ritzen. Im Ahnensaal war schuhhoch der Hafer für den Jörgle auf geschüttet. Mausefallen standen dazwischen, und in der Ecke lagen die ersten Winteräpfel längs der Wände, an denen nur ein spärliches halbes Dutzend Vorfahren — fast alles napoleonische Rheinbundoffiziere — hingen.

„Hurra, Mama!“ Die Tür oben hinter sich zuknallend, in langen Sprüngen die Treppe hinabfegend, platzte die Tochter mit der grossen Neuigkeit in die Küche. „Hurra! Der Ernst ist in München durchgefallen! Man hat’s bis Studert plumpsen hören! Da ist er!“

„Hilf lieber die Gickele rupfen, Teuthild, statt so zu schreien!“ sagte die Tante Drach und reichte dem Neffen die Rechte. Sie war noch kleiner als dessen Mutter, rundlich und stämmig, eine Hornbrille auf dem energischen Graukopf. Sie sah in der langen Küchenschürze und den abgetretenen Hausschuhen wie eine gesetzte Wirtschafterin aus. Aber sie war in Sprache und Haltung ganz grosse Dame.

,,Das hör’ ich gern, dass du nicht unter das Künstlervolk gehst!“ Sie hielt Ernsts Hand glüdwünschend fest: „Das ist keine Karriere für einen jungen Mann von Stand!“

,,Gelt du?“ rief die Teut triumphierend vom Küchentisch her.

„Du kämst da in München in eine mehr als gemischte Gesellschaft, in der dir alle deine schönen Familienverbindungen nichts nützen würden!“

„Nein, Tante — weil man da selber was können muss!“

,,Er kann aber nix — das Betterle!“ jubelte es hell von hinten. „Da — wie er sich da gleich wieder aufplustert! Warť nur, Ernstle! Ich muss nur schnell die Fressgickele rupfen. Die müssen heuť noch zum Wildbrethändler nach Stuckert! Wir haben keinen Batzen im Haus . . .“

„Teut!“

„Meinst du, Mama, das weiss der Ernst nicht, dass ich ein bettelarmes Baronessle bin? Aber deswegen setzen wir ihm doch den Kopf zurecht! In vierzehn Tagen ist das Büble wieder obenauf . . .“

Der Morgen graute, zwei Wochen später, noch kaum vor den Fenstern des Turmgemachs, in dem Ernst Wachsmuth schlief. Ein Knüttelhieb dröhnte an der Türe. „Ob d’voran machst!“ drohte draussen eine helle Mädchenstimme. „Sonst wird’s zu spät zum Hasenschlagen!“

Als er hinaustrat, stand da auf dem Flur im Zwielicht ein junger Mann, nickte ihm zu und rutschte geübt rittlings auf dem Treppengeländer hinab ins Erdgeschoss und schrie:

„Flink, Ernstle! Als hinter mir her! So is’ brav!“ Die Teut sprang unten auf die Beine. „Was visitierst du mich denn so wie ein Gemeindebüttel?“

,,Teut — wo hast du denn um Gottes willen die Hosen her?“

„Ei — von meinem seligen Vater! Ich hab’ sie bloss unten abgeschnitten! Die Jagdjopp’ von ihm ist ja auch ein bissle füllig!“

Die Teut glich in den viel zu weiten Beinkleidern und dem viel zu grossen Wams, eine alte Schirmmütze auf dem unfrisierten Kopf, einen Eichenknüttel in der Faust, dem Lehrbuben einer Räuberbande. Sie hatte trotzdem noch eine schlenkerige Grazie am Leib, während sie vor Ernst durch das taufeuchte, in weissen Schwaden dünstende hohe Gras nach dem nahen Gehölz stampfte.

„Wir kriegen doch heuť mittag Gäst’!“ raunte sie gedämpft, um das Wild nicht zu verscheuchen.

„Euer Nachbar Winzingen — sagst du . . .“

„Ha freilich! Da muss ein Häsche bei, sonst haben wir ja nie in die Pfann’ zu tun“

„Hasen schiesst man doch!“

„Damit’s auch noch knallt? Wir dürfen kein Muckserle tun! Das Wäldche ist doch dem Winzingen selber seine Jagd! Der soll nur heute seinen eigenen Has’ schnabulieren!“

Die Teut drehte sich unvermutet und spitzbübisch um und fing einen Blick des jungen Mannes hinter sich auf, der sich unbeobachtet wähnte, und ihr frisches, hochmütiges Köpfchen wurde plötzlich blass.

„Du . . . Ernst . . .“, sagte sie leise und stockend …, „Warum hast du mich denn eben so komisch angeguckt?“

„Du siehst mich ja jetzt auch so an!“ versetzte der Better langsam und wurde so rot, wie sie farblos war.

Die beiden jungen Leute schwiegen und blickten verwirrt aneinander vorbei. Drüben im Osten erschien am fahlen Himmel ein erster langer, purpurner Querstreifen. Ein schwacher goldner Schein säumte fern das im Morgennebel dampfende Hügelland. Die beiden standen immer noch. Sie hörten durch die tiefe Stille ihren raschen Atem gehen, der sich in der Morgenkühle zu weissen Wölkchen krauste. Drüben, von der Burg her, krähte ein Hahn. Ernst Wachsmuth rührte sich nicht, andächtig lächelnd in das Bild des wirrköpfigen jungen Mannes mit den zu weiten Hosen und dem Eichenprügel vor ihm versunken. Aber die Teuthild gab sich einen Ruck.

„Da können wir uns hier noch lange die Absätze krumm stehen! Aber die Hasen hoppeln unterdes ins Feld. Marsch!“

Sie schlich auf den Fussspitzen am Waldsaum hin — wieder ganz die Alte — den schlanken Oberkörper in der schlottrigen Jagdjoppe des Vaters vorgebeugt, die Keule schlagfertig hoch in beiden Händen, blieb lauernd mit angehaltenem Atem stehen, machte einen Sprung wie die Katze auf die Maus, führte einen Streich. Ein schwaches Quäken. Dann zog die Teuthild einen zappelnden Hasen an den Löffeln aus seinem Lager unter einem Brombeerbusch hervor und machte ihm mit einem Klaps ins Genick den Garaus.

„Sodele! Jetzt haben wir den Braten!“ sprach sie befriedigt. „Die Forellen stehlen wir dem Winzingen besser nachher, wenn’s Wasser warm von der Sonne ist! No ja — wenn man jemanden einladet, muss man ihm doch Fisch’ geben. Man weiss doch, was sich schickt!“

,,Ihr reisst euch ja rein die Beine aus mit dem alten Herrn!“ sagte Ernst Wachsmuth. „Warum lachst du denn?“

„Ich bin halt so a vergnügts Nüssle!“ sagte die Teut.

Als er sie vormittags abholte, kniete sie vor dem Stall in ihrem alten Rock, von dessen Saum immer irgendwo unten der Stoss herunterbaumelte, und in der roten Bluse, an der er das talergrosse Loch am linken Ellbogen schon seit acht Tagen kannte, und wiegte einen ganzen Wurf dickköpfiger junger Teckel liebevoll auf dem Arm. Ihr kleines Raubrittergesicht sah viel weicher und weiblicher aus als sonst, wie sie da still in Backfisch-Mütterlichkeit ihre Puppies hätschelte. Ernst schaute stumm auf die knospend-herben, mager-geschmeidigen Linien ihres kauernden jungen Körpers. Sein Herz wurde heiss. Die Teut schien das zu spüren, obwohl sie ihm den Rücken zuwandte. Sie erhob sich hastig. Sonst ärgerte er sich immer über ihr stilles Selbstgefühl gegenüber dem bürgerlichen Vetter. Jetzt hatte sie plötzlich etwas Scheues . . .

„Pop Donnderle — wir müssen die Forellen greifen!“ sagte sie vorwurfsvoll, als mahnte eine vergessene Pflicht. „Da ist doch im Tal das Bächle zwischen den Erlen! Was? Das wär’ strafbar? Ach — geh’ mit dem Gebäff’! Guck lieber fleissig nach dem Flurschütz aus! Das ist so ein hagebüchner Kerl!“ Sie platschte im Wiesengrund mit einem Satz bis an die Waden ins Wasser und entschuldigte sich noch, dass sie nicht Schuhe und Strümpfe auszog. „Weisst: Man zerschneidet sich zu arg an den Steinen!“ Dann watete sie lauernd durch den Bach, sah eine kleine Forelle schiessen, bückte sich, langte sie am Schwanz aus einem Erdloch heraus und schlug sie fest mit dem Kopf auf einen Kiesel und reichte sie dem Vetter zur Verwahrung in dem vierzipflig geknoteten Taschentuch.

„Da hast den Schneiderbockel!“

Fang dem ollen Baron wenigstens ordentliche Fische aus seinem Bach!“

„Das ist nit so leicht wie Laugebretzle essen! Da . . da!“ die Teut schwenkte in wildem Triumph ein silbergeschupptes Gezappel durch die Luft. „Der wiegt sein Pfündle unter Brüdern!“

„Da kann der Greis lachen!“ Ernst Wachsmuth stiefelte am Bachrand weiter. Auf einer kleinen Waldwiese half er der Base aus dem Wasser klettern. Ihre Hände lagen kalt und nass in den seinen. Der Schwung seiner Arme riss die Teut bis dicht gegen seine Brust. Sie standen Aug’ in Aug’. Ihre jungen Züge waren plötzlich tiefernst. Neben ihnen schwatzte vergnüglich der Bach.

„Du, Teuthild . . .“

„Ja?“

„Ich hab’ doch von dir erst einen einzigen Kuss von den dreien gekriegt!“

„Freile! Den Bäscheschmass . . . gleich am Anfang!“

„Wann bekomm’ ich denn den zweiten?“

„Du hast ja noch nie darum gebeten!“

„Jetzt wär’ so grade der Moment — nicht?“

Die Teut schwieg.

„Aber nicht für so ein Kusinenküssle, sondern für einen richtigen Kuss, Teut!“

Wie wär’ denn der?“ Die Teut machte die Augen zu.

„Halt’ nur ’mal still! Dann zeig’ ich’s dir!“

Die Teut stand ergebungsvoll da. Sie hatte die Lider geschlossen und spitzte sanft, voll Erwartung, die Lippen. Der Better beugte sich andächtig zu ihrem roten Mund. Da flog das dunkle Köpfchen vor ihm hastig zu Seite. Die Base hatte drüben, auf dem Landsträsschen, einen roten Kragen bemerkt. Eine Dienstmütze. Der Flurschütz, der jetzt, zur Zeit der Traubenreife, von früh bis spät auf den Beinen war, schrie argwöhnisch herüber:

„Isch ebber do am Bächle?“

Die Teut hütete sich zu antworten. Sie zog den Better eilig mit sich in das Dickicht. Gebückt schlichen sie am Erlenrand dahin. Im Laufschritt weiter. Uff! Jetzt war man zwischen den hohen Mauern des Weinbergwegs in Sicherheit. Die Baronesse Drach schöpfte Luft und schüttelte das rote Sacktuch voll Forellen.

„Mir ist’s ganz zwirbelich! Ich hab’ ’ne Gänshaut übern Buckel kriegt! Uber Gottlob: Der Winzingen hat sein’ Sach’!“

Als Ernst Wachsmuth zwei Stunden später die Treppe zum Salon hinabstieg, hörte er schon durch die Tür das helle Geschwatz der Teut und dazwischen eine ganz jugendliche Männerstimme. Er trat ein und begriff jetzt, warum die Teut vorhin über ihn gelacht hatte. Da sass der Baron Winzingen — aber kein grosses Tier in Amt und Würden, wie Ernst sich nach den Zurüstungen ihm zu Ehren vorgestellt hatte, sondern ein blonder, etwas langsamer, schwach schwäbisch sprechender junger Herr zu Anfang der Zwanzig, der auch noch einen Freund, einen langen, hageren Grafen, mitgebracht hatte.

Der Neffe hatte seine Tante Drach noch nie so leutselig gesehen. Sie schien in ihrer um die Hüften gebauschten schwarzseidenen Staatsrobe heute um zehn Jahre jünger. Ihr rotes Gesicht blühte mütterlich wohlwollend unter dem grauen Haar. Sonst pflegte ihr Blick durch die Hornbrille junge Leute streng von Kopf bis zu Fuss zu messen! Heute kam sie aus dem liebenswürdigen Lächeln gegenüber dem schweigsamen, ein wenig schwerfälligen jungen Baron nicht heraus.

„Sie sind ein schlechter Nachbar!“ sagte sie. „Kaum acht Tage im Jahr sind Sie drüben auf der Rüdenburg!“

„Ich studier’ doch in Tübingen!“

„. . . und zwar wirklich!“ ergänzte sein Freund, der Graf Lauffen, „Ich kann’s als Mitjurist bezeugen!“

„Und in den Ferien bin ich halt bei den Eltern in Winzingen auf unserm Stammgut!“

„. . . und wer mal Winzingen erbt, ist aller Sorgen für dies Leben ledig!“ sagte der andere Aristokrat. Die beiden Damen nickten stumm und andächtig, und nun begriff der Mulus aus Giessen, warum den ganzen Tag gesotten und gebraten worden war, und warum die Teut sich auf Geheiss der Mutter stundenlang fein gemacht und die Haare hochfrisiert und ihr bestes, lämmchenweisses Unschuldsfähnchen angezogen hatte. Der blonde, schwäbelnde junge Baron, der da auf dem Sofa neben der Teut sass, war offenbar eine ganz grosse Partie. Die Teut kannte ihn, schien es, von Kindsbeinen an. Sie machte lebhaft mit ihm Konversation, Sie wirkte ganz damenhaft, wie sie schmächtig und wohlerzogen dasass, mit gesittetem Augenaufschlag und einem bescheidenen Lächeln, als könnte sie kein Wässerchen trüben — ganz das Bild der jungen Tochter aus schönem Hause. Nur wenn der Frieder, das greise Faktotum in einer vorsintflutlichen Livree, zittrig Fisch und Braten herumreichte und der biedere junge Winzingen sich arglos bediente, zuckte es dem Bäsche verstohlen um die feinen Nasenflügel, und einmal, als ihr Blick über den Tisch dem Ernsts begegnete, konnte sie nicht an sich halten und platzte heraus und nahm schleunigst das Mundtuch vor und tat, als hätte sie sich an einer Gräte verschluckt, und ihr Nachbar, der Winzingen, klopfte ihr hilfsbereit auf die Schultern und meinte: „Ja. Bei so Forelle muss man aufpasse!“

„Nicht wahr?“ sprach die Teut mit feuchten Augen und gab, als sie sich ein bisschen erholt hatte, dem Vetter ein unwilliges Zeichen mit dem Köpfchen: ,Sitz doch nicht so unwirsch da! Und schluck deine Eifersucht in dich hinein! Red’ doch auch ein Wörtle!’ Und der Ernst zog als Antwort verächtlich die Augenbrauen hoch. Das hiess: Was weiss ich denn von Schwabenadel und euern Hochzeiten und Kindtaufen und Stuttgarter Hofklatsch!

Die Teut natürlich — die kannte jeden Spitznamen, die verstand jede Anspielung, die war ganz bei der Sache. Nach einer Weile mahnte wieder ihr stummer. Blick: ,Ernstle — mach’ nicht ein Gesicht wie acht Täg’ Regenwetter!’, und der Better zuckte spöttisch die Schultern. Ihm waren die Ludwigsburger Ulanen ebenso Wurst, wie die Stuttgarter Königsdragoner und die Olga-Grenadiere, deren Rangliste die Teut, wie ihm schien, im Schlaf von rückwärts hersagen konnte. Und kaum war der Kaffee gereicht, so erhob er sich.

„Du erlaubst wohl, Tante, dass ich mich jetzt zurückziehe! Ich habe dringende Korrespondenzen zu erledigen!“ versetzte er hochmütig, machte eine steife Verbeugung zu den beiden schwäbischen Rittern, nickte der Teut zu und schritt, den Kopf im Nacken, hinaus.

Der frühe Herbstabend lag schon mondhell über den schwäbischen Hügeln, als die beiden Gäste, der Baron und der Graf, auf einem mit zwei Flinken Juckern bespannten Jagdwagen davonkutschierten, der Rüdenburg zu, die bei Tag in der Ferne selbstherrlich ihren Goliath von Bergfried über die ihr untertänigen Weinhawen, Wälder und Wiesen hob und doch nur ein Nebenerbe des jungen Barons Winzingen war. Das Gerassel seines hochrädrigen, leichten Pirschfuhrwerks hatte sich längst in der stillen Vollmondnacht verloren, als der Mulus finster von seinem vierten Turmstock herabstieg. Er suchte mit unheilverkündender Miene die Teut. Unten in den Wohnzimmern war sie nicht. Nur ihre Mutter, die da eigenhändig das sonst nie gebrauchte Familiensilber mit Putzpulver und Lederlappen bearbeitete. Die Tante Drach schaute sehr ungnädig von den Messern und Gabeln mit dem neunzackigen Drachenwappen auf.

„Ich weiss nicht, wo die Teut steckt! Was aber dein heutiges Benehmen betrifft, mein lieber Neffe . . .“

Der junge Mann wartete die Fortsetzung nicht ab, sondern schlenderte trübsinnig und gedrückt in die Nacht hinaus. Die Burg Wunnenstein besass keinen Park — kaum ein bescheidenes Rosenrondell in Mitte der Vorfahrt. Gleich hinter ihrem rückwärtigen Gemäuer begann eine rechte, grosse, schwäbische Obstwiese. Die roten Backen der Äpfel lachten selbst jetzt im nächtlichen Zwielicht aus dem Dunkel des Laubs. Darüber glitzerten die Sterne und stand zwischen ihnen die Mondscheibe so rund und hell am Himmel, dass Ernst Wachsmuth seinen eigenen Schatten vor sich über das hohe, taufeuchte Gras huschen sah. Er bummelte planlos dahin und hörte das Quaken der Frösche vom Neckar herauf und dann, ganz nahe neben sich, ein leises: „Pscht! pscht!“ Da kauerte hinter einem Birnbaum lauernd die Leut. Er frug düster:

„Was machst du denn da?“

„Quetschedieb’ erwische!“ wisperte sie leidenschaftlich.

„Du stiehist ja selber wie ein Rabe!“

Die Teuthild lachte ohne falsche Empfindlichkeit.

„Dem Winzingen hat’s arg gut geschmeckt!“

„Immer dieser Winzingen!“ schrie der Primaner erbittert und die Teut ebenso heftig, so dass jeder Obstdieb weit im Umkreis gewarnt war:

,,Ei — und du — der ihm ein schiefes Maul gezogen hat von einem Ohr bis zum andern! Wer hat denn dir was getan, dass du so giftgrün weggelaufen bist, mit Augen wie bei ’r Katz’?“

„Jeder! Jeder duckt mich!“

„Ach — geh’ her!“

„In Frankfurt protzen sie mit ihrem Geld! Und Ihr hier probt mit eurem Adel!“ Wenn ich aber aus meinen Anlagen was machen will, dann jagen sie mich in München weg! Ist das gerecht?“

„Armes Vetterle!“

„ . . . und wenn ich jetzt Medizin studiere, dann drückt mich zeitlebens mein berühmter Herr Vater! Ich soll nun ’mal nicht hoch kommen! Aber wozu davon reden? Ich hab’ ja doch keine Menschenseele, die mich versteht!“

„Ei — da bin ich ja!“ sprach das Bäschen.

„Als ob du dir ’ne Bohne was aus mir machtest!“

„. . . wo ich dich doch so gern hab’, Ernstle!“

„Teut . . .!“

„Ha — wenn’s doch wahr ist . . .“

„Hast du mich wirklich ein bisschen lieb?“

Ein sanfter Augenaufschlag von unten:

„Ich hab’ dich schon arg lieb, Ernst! Das muss ich kecklich sage!“

Das schmale hochmütige Gesichtchen der Teut war jetzt im Vollmondschein seltsam weiss und bleich — geisterhaft schön — geheimnisvoll gereift und veredelt — so als spuke da in der hellen Nacht eine junge Ahnfrau an ihrer Stelle. Aber in dem blassen Oval glänzten die helbraunen Augen sehr irdisch und waren die roten Lippen ganz von dieser Welt. Auf denen brannte stürmisch der Flaum des Vetters. Und nochmals und wieder.

Die Teut war atemlos.

„’S ist genug, Ernstle!“

„Noch lange nicht!“

„Ach — ich kann ja nit ,nein’ sage!“

Es stand eine Bank unter dem grossen Nussbaum. Auf der sass der Ernst und auf seinen Knien die Teut. Sie weinte, die dünnen Arme um den Hals des Vetters geschlungen.

„Ach — du . . .“

„Teut . . . geliebte Teut . . .“

„Du bist doch mei Büble!“

„. . . und du mein goldigs Mädle!“

„Jetzt haben wir noch vierzehn Täg’ vor uns, um uns lieb zu haben!“

„Das ist ’ne lange Zeit!“

. . . Und doch kam schliesslich der letzte Tag . . . Die Teut : und der Ernst gingen Hand in Hand noch einmal alle die schönen Erinnerungsplätzchen ab: die Wiese am Forellenbach, und der Brombeerstrauch am Waldsaum und die Bank unter dem Nussbaum, auf der sie seither jeden Abend gesessen. Alle die Nächte waren warm und sternenklar gewesen. Jeden Tag hatte, in diesen goldenen Spätsommerwochen, die Sonne vom blauen Himmel gelacht. Sie schien auch heute und doch war heute Herbst. Sommerfäden in der Luft. Herbstzeitlosen am Boden. Starenschwärme schwirrten auf und flogen gen Süden. Scheiden und Meiden . . . Ernst Bachsmuth und die Teut wandelten schwermütig dahin. Sie hielten sich stil umschlungen. Er blieb stehen. Er nickte ihr innig zu. Er nahm ihre Rechte in seine beiden Hände.“

Ich dank’ dir, Teut! Als ich herkam, war ich ein kaputter Mensch! Du hast mich aufgerichtet!“

„. . . ’s ist herzlich gern geschehen, Ernstle!“

„Du sollst auch künftig mein guter Geist im Leben sein!“

„Alleweil, Ernstle!“

„Nichts soll uns trennen!“

„Nix! Nix!“

„Darum hör’ mal, Teut! Ehe ich dich heute verlasse, will ich vor deine Mutter treten . . .“

„Aber Ernstle!“

„. . . . und ihr sagen . . .“

„Tu mir die Lieb, Ernstle, und lass das sein!“

„. . . dass wir uns lieben . . .“

„. . . und was schwätzt die Mama darauf: dass ich kaum siebzehn bin und du noch nicht mal Student! und wir wären beide Kinder! Ich kenn’ sie! Ach — Ernstle — dafür ist die Zeit noch z’ früh!“

,,So soll es vorläufig unser Geheimnis bleiben, Teut?“

„Freile! Fürcht nix! Ich bleib’ dir treu! An mir ist kein falsch’ Äderle . . .“

„Ich glaub’ an dich, mein Mädchen!“

„. . . und ich halt’ mich tapfer! Ich mach’ dir den Abschied nit schwer. So a Heulere bin ich nit! Schreib’ mir nur fleissig an die Adress’ vom Näh-Bäwele unten!“

„… Und du mir nach Strassburg!“

„. . . so oft ich nur kann!“

„Sicher, Teut?“

„Ich versprech’ es dir hoch und heilig. Auf mich derfst du dich verlasse!“

„Häuser bau’ ich auf unsere Liebe! Lebwohl, meine Teut! Sei treu und deutsch wie dein Name! Lebwohl!“

Du Unbekannte. Der Roman einer Jugend

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