Читать книгу Panik in Odessa - Rudolf Stratz - Страница 5

2

Оглавление

Paul von Minde drängte sich durch das Gewühl seiner Base zu. Es ging ihm durch den Kopf: Diese kleine weiche Petersburgerin mit dem träumerischen Kindergesicht und den zarten Bewegungen hat recht. Die Margarete da drüben wird kein Mensch für eine wahre Russin halten . . . . Dazu schaut sie viel zu tatenfroh in die Welt und hält den Kopf hoch und ist zu straff gewachsen!

Margarete Förster kam ihm entgegen, unbekümmert in ihren hohen Gummistiefeln durch die Pfüssen vor dem Bahnhof. Sie hatte einen festen und zugleich flüchtigen Gang. Um sie war ein Hauch von gesunder Frische. Ihre braunen Augen lachten dent Vetter zu. Sie streifte rasch den Handschuh ab und streckte ihm die Rechte hin.

„Gerade komme ich noch zurecht! Aber wenn du wüsstest; was ich zu tun hab’!“

Sie sprach deutsch. Er ebenso, ernst und gedämpft.

„Wie geht es deinem Vater?“

„Es wird nicht besser. Er verwechselt alles. Ich muss ihm die Geschäftskorrespondenz vorenthalten, damit nicht irgendein Unheil geschieht. Alles liegt auf mir. Ich weiss nicht, was aus der Firma noch werden soll! . . . Du — wer war denn die niedliche Krankenschwester, mit der du eben . . .?“

„Fräulein Schischko! Eine junge Dame von viel Geschmach. Sie fand, du seist sehr hübsch!“

„Nun — das Kompliment kann ich ihr zurüchgeben!“ sagte Margarete Förster leichthin. Sie stand mit ihrem Vetter vor ihrer zweispännigen Equipage und wies nach der langbärtigen, unförmlich auswattierten Herrschaftskutscher, dem die Pfauenfedern an der Pelzmüsse im Regensturm flatterten. „Pawel wird uns jetzt zu uns nach Hause fahren — mich musst du dann entschuldigen! Ich muss dann gleich weiter!“

„Wohin?“

„Geschäfte! Es ist doch Krieg. Odessa steht doch auf dem Kopf. Es wird wahnsinnig verdient und verloren. Bei uns alten soliden Firmen verlorent. Wir können es nicht treiben wie Ruben, Wainstein und Channeles und vom Grossfürsten bis zum Ofenheizer alle Welt bestechen! Nun — fahren wir!“

„Was soll ich bei euch zu Hause?“ Paul von Minde stieg hinter ihr in den Wagen. „Ich begleite dich lieber!“

„Ich muss in halb Odessa herumkutschieren!“

„Und ich möchte in ganz Odessa etwas entdecken!“

„Warum bist du denn eigentlich aus Petersburg gekommen!“

„Nun — um dich zu sehen!“ sagte Paul von Minde unschuldig. Margarete machte eine ärgerliche Handbewegung und wandte sich ab. Er sah nur noch ein Stüch ihrer schmalen Wange. Er lächelte. Er wusste: Gleichgültig war er der Base nicht . . .

Der Wagen rasselte über den Granit der schnurgeraden langen Strassenzüge und hielt in der Woronzoffgasse. Da war Gedränge und Redegewirr in allen Sprachen vor den Schaltern des Bankhauses Mahs. Margarete Förster rang in einer Ecke gegenüber einem der Direktoren die Hände.

„Wie denn? Der Rubelkurs an der Berliner Börse . . .“

„Seit gestern hundertsiebzig!“

„Statt zweihundertzwanzig noch vor einem Jahr!“

Ein Achselzucen des Bankbeamtent.

„Warum stützen wir nicht in Berlin den Kurs?“

Das russische Achselzuchen.

„Warum stiehlt man hier in Russland das Gold, das man in Berlin braucht?“

„Nicht so laut, Fräulein Förster! Rubent, Wainstein und Channeles haben ihre Spikel überall!“

„Zur Börse!“ sagte Margarete draussen dem Kutscher und innen in den Wagen aufgeregt zu ihrem Better: „Wir müssen alle schwimmenden Getreideladungen nach Freihäfen umdisponieren, bis sich der Rubel bessert! Wir können unseren Weizen nicht an die Leute in Rotterdam und Mannheim verschenken!“

An den Strassenecken flatterten die schwarzen Kaftane der unzähligen jüdischen Getreidekommissionäre. Auf dem nassen Pflaster lagen verstreut die gelben Weizenkörner und die blauen Probetüten dieser fliegenden Börsen. In dem eigentlichert unansehnlichen Börsengebäude waren wenig Besucher, Grosshändler aller Nationen mit besorgten Gesichtern. Im Vorsaal gab Fräulein Förster einem Makler die Hand. Paul von Minde merkte, dass sie vor Aufregung feuchte Augen hatte.

„Die Weizenpreise steigen immer noch?“ frug sie verstört.

„Ruben, Wainstein und Channeles zahlen jeden Preis. Sie verkaufen das Getreide immer noch mit riesigem Zwischengewinn an die Krone!“

„Und dann sind schwere Feldsteine im Mehl, und das Getreide ist durchnässt, damit es schwerer wiegt, und verfault nachher“, sagte im Vorbeigehen einer der Handelsherren. „Uber was ist das gegen den grossartigsten Betrug, der je da war: die Ochsenlieferungen nach dem Balkan!“

„Reden Sie sich nicht nach Sibirien!“ Ein Geschäftsfreund legte ihm die Hand auf die Schulter. „Hinter den Ochsenlieferungen steht der Grossfürst selber!“

Auf der Weiterfahrt rückte Margarete etwas näher an Paul von Minde heran. Es war eine unwillkürliche, weiche Bewegung. Sie suchte nicht nur bei dem Better Schutz. Das war mehr. Sie kämpfte immer noch mit Tränen.

„Glaube nicht, dass ich sonst ein nasses Seelchen bin!“ sagte sie. „Aber ich bin doch ein Frauenzimmer — ich bin doch so allein — so schrecklich allein zwischen allen diesen Männern, und habe niemand, der mir hilft . . .“

„Vorläufig bin ich ja da!“

„Ach ja . . .“ Es klang getröstet. Sie atmete auf. Er hatte ihre Hand gefasst. Sie drückte leise die seine.

„Sei gut zu mir!“ sagte sie, ohne ihn anzusehen. „Ich brauche es! Es lastet zu viel auf mir!“

Unten am Hafen hatte sie sich wieder ganz gesammelt. Unbekümmert drängte sie sich durch das Ameisengekribbel der Matrosen, Soldaten, Heizer, Schwarzarbeiter, das Rasseln der Krane, das Heulen der Sirenen, das Knarren der Büffelkarren. Auf der Laufbrücke, die zu einem grossen, am Kai vertauten Dampfer hinaufführte, hatte eine lange Reihe von Sadträgern ihren Gänsemarsch gehemmt. Margarete Förster zwang ihre blassen Züge zu einem liebenswürdigen Lächeln. Sie trat höflich auf einen Hafenbeamten zu, der stumpfsinnig am Ufer stand. Sie frug mit erstickter Stimme:

„Verzeihen Sie! Warum verhindern Sie die weitere Beladung dieses von der Firma Förster gecharterten Dampfers?“

„Das Schiff ist von der Regierung beschlagnahmt?“ sagte der Tschinownik gleichgültig.

„Für wen?“

„Für Ruben, Wainstein und Channeles!“

„Ich werde mich beim Gouverneur beschweren!“ sagte Margarete mit letzter Anstrengung.

„Belieben Sie!“

Nun schluchzte sie wirklich, als sie wieder mit dem Vetter im Wagen sass. Er streichelte ihr die Schulter. Er beruhigte sie. Sie trodnete sich die Wimpern. Sie richtete sich auf, sie wurde plötzlich wieder kampflustig.“

„Ich danke dir! Du gibst mir wieder Mut!“ sagte sie. „Man möchte manchmal verzagen! Ach — ich sehne mich aus Russland hinaus! Ich möchte lieber in Deutschland Holz hacken als hier das Fräulein Förster sein!“

Sie legte ihr Gesicht in die hochmütigen Linien einer Erblichen Ehrenbürgerstochter von Odessa. Sie stieg vor dem

Gouvernementspalais auf dem Richelieu-Boulevard aus. Sie ging an der Kanone auf dem Bürgersteig, deren Schuss die Mittagsstunde anzeigte, vorbei in das Innere und sagte zu den bleichen Schreiberseelen hinter den Tintenfässern einer Amtsstube von oben herab:

„Also Sie begreifen — bis zum Abend ist der Dampfer freigegeben!“

Sie hatte dabei unauffällig eine Anzahl buntfarbiger Hundertrubelscheine unter ein Aktenstück gelegt. Aber der eine Ischinownik schob das Bündel kurzerhand über die Tischplatte zurück.

„Behalten Sie Ihre paar Regenbogennoten!“ brummte er verächtlich und wandte sich seinen Schreibereien zu.

„Er nimmt nichts!“ sprach auf dem Flur Margarete Förster erschüttert zu ihrem Vetter. „Ruben, Wainstein und Channeles zahlen ihm das Zehnfache. — Unser Weizen wird wieder ausgeladen und verkommt im Regen am Ufer.“

„Es ist doch Krieg! Das ist Männersache!“ sagte sie verzweifelt aussen auf dem Boulevard. „Da kommt unsereins nicht mit!“

„Du bist ein sehr fixes Mädchen! Das merke ich immer mehr!“

„Ach — das tut einem wohl, mal so was zu hören!“ Margaretes Stimme klang wieder warnt und dankbar. „Es müsste eben ein Mann bei! Aber erzähle meinem Vater jetzt nicht von all den Geschäften! Es verwirrt ihn nur!“

Der Erbliche Ehrenbürger und Kaufmann Erster Gilde Andreas Förster war ein ergrauter müder Mann. Er hatte ein kluges, nüchternes, vollbärtiges Kaufmannsgesicht, aber mit abwesenden Augen. Er sass im ersten Stock seines Hauses am Neuen Basarplatz mit einigen alten Freunden zusammen. Er hatte ihnen etwas erzählen wollen — dom Krimkrieg — und plötzlich den Faden verloren. Ja — wie war das nur? Er fuhr sich mit der Hand über die Stirne. Er räusperte sich und war froh, dass das Glockenläuten draussen von der Nowo-Basarnaja-Kirche sein Steckenbleiben übertönte.

„Wir haben wieder einmal auf dem Balkan gesiegt!“ sprach gottergeben in das feierliche Bimbam hinein sein Jugendfreund und Schulkamerad, der alte Kopp. Er war klein, grauköpfig, humoristisch. Er war Junggeselle. Seidenimporteur. Mitglied der Stadtduma. Er war hochangesehen in der ganzen deutschen, russischen, französischen, griechischen, italienischen Kolonie.

„Hier in Odessa siegt nur einer!“ sprach der deutsche Maschinenfabrikant neben ihm. „Ruben, Wainstein und Channeles! Die aber immer!“

„Und mit welchen Mitteln?“ nickte der deutsche Brauereibesitzer gegenüber. „Das grosse Militärlazarett in Galta steht leer. Kommt ein Revisor, so werden die Betten auf vierundzwanzig Stunden mit kerngesunden Soldaten in blau-weissen Krankenkitteln belegt. Die Verpflegungsgelder teilt man in Petersburg!“

„Die neue hölzerne Militärbrücke über den Bug verfaulte in einer Sommernacht bis auf den letzten Span, als der Revisor kam. Sie hatte nie existiert. Der Senator war zufrieden.“

„. . . weil Ruben und Rubel sich beinahe reimen.“

„Ruben ist tot!“ Ein kränklicher gelblicher Mensch stürzte in das Zimmer. Seine Hosen und sein Mantel waren kotbesprisst. Er war so aufgeregt, dass er die Schirmkappe auf dem Kopf behielt. Andreas Förster mass seinen Hauskommissionär mit einem strengen Blick.

„Was fällt Euch ein, Schloime Naidisch, hier unangemeldet . . .“

„Ä Miesse Meschuno . . .“ Ein wildes Händespiel drüben. Ein verzerrtes Gesicht.

„Lasst Euer Hebräisch und sprecht Jiddisch-Deutsch!“ sagte der alte Kopp derweisend art Stelle des Hausherrn, der wieder geistesabwesend vor sich hinsah.

„Ä ungewöhnliche Todesart heisst Miesse Mesdhuno!“ ächzte Schloime Raidisch. „Ä grausam ungewöhnliche! Umgebracht haben se den graussen Ruben . . .“

„Was?“ Die Herren standen auf.

„Heit nacht — im Zug nach Odessa . . . .“

„Und die Mörder . . .?“

„Ä Hackel-Backel haben se verhaftet! Ä Bagasch. Arme Leut’! Die waren es nix!“

„Aber wer denn?“

Ein leidenschaftliches Achselzucken. Ein verzweifelter Blick des Kommissionärs zum Himmel. Ruben tot! . . . . Avrom Ruben . . . .

„Geht jetzt, Naidisch!“ sagte der alte Kopp und rief seinem Freund Andreas Förster, der plötzlich eingeschlafen war, ins Ohr:

„Man hat heute nacht Ruben getötet . . . Gerade jetzt . . .“

„Gerade jetzt“, wiederholte der Maschinenfabrikant, „wo man sich über seine Ochsenlieferungen Dinge erzählt . . . . Ich kann es nicht glauben . . . ein Betrug in diesem Massstab wäre selbst in Russland noch nicht dagewesen . . .“

„Es handelt sich um Millionen“, sprach der Seidengrosshändler. Und der Brauereibesitzer:

„Wer weiss, was da alles bei den Ochsenverschiffungen zwischen der Krim und der Donaumündung passiert!“

„Es sollen diesmal sogar schon Gerüchte bis zu den hohen Stellen in Petersburg gedrungen sein!“ nickte der alte Kopp.

„Ich bin ein neugieriger Mensch!“ klang von der Tür her eine frische, junge Männerstimme. Paul von Minde trat mit Margarete zusammen ein. Er schüttelte seinem Oheim und den alten Kaufherren die Hand und setzte sich. „Sie sprachen da eben von Ochsenlieferungen!“ fuhr er heiter fort. „Sie haben recht: Es wird schon in Petersburg von den Ochsen gemunkelt. Aber man munkelt im Dunkeln. Wie ist es doch? Sie sind hier an Ort und Stelle. Bitte — stillen Sie meine Wissbegierde!“

„Die Sache ist diese“, sagte der alte Kopp, „Ruben, Wainstein und Channeles haben die Lieferung von Schlachtvieh für die Balkanarmee übernommen. Es handelt sich um Kronsaufträge, wie sie in diesem Ausmass in dem ganzen Krieg nicht erteilt worden sind. Die Büffel werden in den Steppen drüben jenseits des Dnjepr aufgekauft. Sammelpunkt ist die Mennonitenkolonie Katharinental in der nördlichen Strim. Von da werden die Herden die kurze Strecke bis Eupatoria getrieben und von hier auf dem kürzesten Wege durch das Schwarze Meer nach der Donaumündung und durch den Kilia- und Sulina-Arm oder den Sankt-Georgs-Kanal nach den rumänischen Flusshäfen, nach Galass oder Braila, verschifft. Der letzte Transport ist nach der Schlangeninsel gegangen, die, wie Sie wissen, einsam mitten im Meer vor der Donaumündung liegt.“

„So weit geht alles in Ordnung“, schaltete der Maschinenfabrikant ein. „Aber nun fragen Sie einmal an unserer Front!“

„Da gibt es kein Fleisch! Da sind keine Ochsen!“ versetzte der alte Kopp. „Unsere Truppen hungern!“

„Und wo sind die Ochsentransporte geblieben?“

„Rätselhafte Unglücksfälle“, sprach trocken der Brauereibesitzer. „Einmal erfroren sie zu Tausenden im Schnee der Balkanpässe. Ich bitte Sie: jetzt schon, im Herbst! Das Fleisch der Tiere? Sie stürzten in Abgründe. Man muss mit den Wölfen und Geiern in dortiger Gegend rechnen.“

„Neulich raffte eine Seuche eine Riesenherde unterwegs auf dem Landmarsch nach Rustschuk hin. Kein Stück blieb übrig“, ergänzte der Maschinenbauer. „Diese Kadaver mussten natürlich schleunigst vergraben werden.“

„Ein anderer Dampfer sank in schwerem Sturm auf der kurzen Strecke zwischen der Schlangeninsel und dem Donaudelta. Die Mannschaft konnte sich retten. Die Ochsen nicht.“

„Diese Transporte scheinen vom Unglück verfolgt“, sprach der alte Kopp.

„Der letzte muss ietzt auch schon längst auf der Schlangeninsel eingetroffen sein“, brummte der Maschinenfabrikant. „Aber man hat weiter nichts von ihm gehört.“

„Dann will ich mich jetzt nur in Eile säubern und umkleident“, Paul von Minde stand auf, „und dann selber einmal mich auf der Schlangeninsel umsehen.“

„Auf der Schlangeninsel“, wiederholte sein Oheim Andreas Förster, die Hand am Ohr. Er war mit halb geschlossenen Augen dem Gespräch nur zum Teil gefolgt. „Was willst du auf diesem gottverlassenen Stück Erde?“

„Ich war als Kind schon so wissensdurstig.“ Paul von Minde lachte. „Es ist eine Schwäche von mir.“

„Wie kommst du hin?“

„Gleich nach dem Mittagskanonenschuss geht ein grosser Transportdampfer mit Teilen der hiesigen Garnison nach der Schlangeninsel in See. Ich erfuhr es eben unten im Hafen, während Margarete sich vor Eurem Weizenschiff mit einem Tschinownik herumstritt. Die Odessiter stehen jetzt schon zu Tausenden an den Uferkais, um Abschied zu nehmen.“

„Man wird dich, einen Zivilisten, nicht mitnehmen!“

„Dieser Zivilist hat ein Papier bei sich, auf das hin ihm jedes Kronsschiff Quartier gewährt!“ sagte Paul von Minde. „Margarete — weise mir ein Zimmer an! Ich muss in ein paar Stunden wieder fort!“

Auf dem Militärdampfer im Hafen wehten die Seekriegsflagge — das blaue Andreaskreuz auf weissem Grund — und hinten der lange blaue Abfahrtswimpel. Sein Deck war voll von Kosaken, Schützen und Sappeuren. Pferde zappelten in Hängegurten hoch in der Luft, durch Dampfkrane vom Ufer in den Bauch des Schiffes befördert. Alte Weiber reichten den letzten an Bord eilenden Offizieren Heiligenbilder zum Kuss. Langbärtige russische Kaufleute verbeugten sich mit tiefhängenden Armen vor den Kriegern oben an der Schiffsreling und warfen ihnen Kopekenstücke in die hinuntergehaltenen Mützen. Die Musik spielte: „Gott schütze den Zaren!“ Alle Häupter entblössten sich. Auch Paul von Minde nahm seine Schirmkappe ab.

„Nun heisst es schon wieder Abschied nehmen, Margarete!“ sagte er zu der Base, die, in ihren windflatternden Mantel genüllt, neben ihm stand.

Sie erwiderte nichts. Ihre hübschen Züge waren blass, weicher als sonst. Paul von Minde blickte auf die endlose Fläche des Schwarzen Meeres hinaus.

„Es ist rauhe See!“ sagte er vergnügt. „Sieh, wie die Popowskas draussen tanzen!“

Diese vier Popowskas — eine Erfindung des russischen Admirals Popow — waren die einzigen Kriegsschiffe auf der Welt, die als kreisrunde Kugeln gebaut waren. Nur ihre oberste, abgeflachte Wölbung ragte aus dem Wasser und trug einen kleinen Turm mit zwei Kanonenrohren. Margarete Förster beobachtete, wie die Küstenpanzer sich gleich Kreiseln in den weissen Wogenkämmen drehten.

„Musst du denn fort?“ sagte sie leise und schmerzlich.

„Du siehst es!“

„Es gibt ja Sturm! Warte doch, bis sich das Wetter bessert!“

„Hat man heute nacht gewartet, als man Ruben umbrachte?“

„Was hat das mit deiner Fahrt nach der Schlangeninsel zu tun?“

„Wer hatte diese geheimnisvollen Ochsenlieferungen? Avrom Ruben! Wer ist tot? Avrom Ruben! Begreifst du nicht, dass da möglicherweise ein Zusammenhang besteht? Ein noch sehr dunkler — ich gebe es zu!“

„Ich wollte, du bliebst hier!“ sagte Margarete. Ich bin so ruhig, wenn ich dich in der Nähe weiss.“

„Wenn ja, dann ist jetzt nach dem Tode des Ruben, in der allgemeinen Verwirrung dieser Bande, die Zeit, zuzugreifen. Ich darf keine Minute verlieren!“

„Was hast denn du nur bei dem allen zu tun?“

„Margarete — ich glaube, du kannst schweigen“, sagte ver junge Mann.

„Ja, ich kann.“

„Dann will ich es dir anvertrauen und sonst niemandem: Ich habe vom Zehnten Departement der Geheimen Staatspolizei in Petersburg den Auftrag, Licht in diese Ochsenlieferungen zu bringen . . .“

„Herr . . . Erbarme dich . . .“ Margarete faltete entsetzt die Hände.

„. . . und damit, wenn ich Glück habe, den Herren Wainstein und Channeles den Weg nach Sibirien zu ebnen!“

„Aber das ist ja lebensgefährlich!“ rief Margarete. Er sah die helle Angst in ihren Augen. Er nickte.

„Sogar sehr!“

„Du hast es da mit verzweifelten Menschen zu tun!“

„Ich bin, wenn es nottut, auch ein ganz verzweifelter Bursche. Und unbestechlich als Deutscher dazu! Sonst hätten sie nicht gerade mich in Petersburg ausgewählt!“ sagte Paul von Minde kaltblütig und fasste ihre Hand. „Nun sei mal tapfer!“

„Ach — ich bin’s, so gut ich kann.“ Margarete erwiderte, ohne ihn anzusehen, mit einer verhaltenen Leidenschaft den kräftigen Druck seiner Rechten. Ihre Stimme schwankte. „Komm bald wieder!“

„Ewig bleib’ ich nicht weg, Margarete!“

„Wärst du nur schon wieder da! Ich hab’ von jetzt ab keine Stunde Ruhe!“

„Vielleicht werden andere unruhig, die es mehr verdienen.“ Paul von Minde machte sich lachend los. „Siehst du auf dem Getreidedampfer drüben den kleinen schwarzen Kerl mit den Hamsterbacken, der mit seinen krummen Beinen auf dem Haufen Weizensäcken steht und händefuchtelt und kommandiert?“

„Das ist ja Channeles selber!“ sagte Fräulein Förster voll bitteren Abscheus.

„Er scheint noch nichts vom Tode seines Sozius zu ahnen und noch weniger, was sich über dem Rest der Firma zusammenzieht . . . Warte nur, du Spitzbube!“

Panik in Odessa

Подняться наверх