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Warum dieses Buch?

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Auf mein letztes Buch Die ausgetretene Kirche. Mein Plädoyer für ein anderes Verständnis von ‹glauben› habe ich etliche Kommentare erhalten wie: «Da schreibt sich einer den Frust vom Leib». Das mag so gewesen sein. Aber aus dem Frust ist mittlerweile Wut geworden. Ich bin und werde zunehmend wütend, weil sich offenbar ganz und gar nichts ändert in dieser römisch-katholischen Kirche, aber auch in anderen christlichen Konfessionen – und selbst in anderen Religionen.

Man kann den Eindruck haben, dass es – mit wenigen Ausnahmen – den meisten nur um die Bewahrung der eigenen Institution, um die eigene Tradition, den eigenen Kult und die eigene Gemeinschaft geht. Aber der Weitblick, die Einsicht, dass wir als eine «Menschheitsfamilie» auf dieser «Einen Welt» leben, wie es Papst Franziskus in seinem Schreiben Laudato si (2015) formulierte, scheint weit weg vom allgemeinen Bewusstsein.

Eine recht junge und begeisterte Leserin meines Buches fragte mich damals: Wozu braucht es überhaupt noch die Kirche? Es hat mich ein wenig erschreckt, dass sie gerade durch die Lektüre meiner Gedanken auf so eine wesentliche Frage kam, aber so langsam stelle ich mir diese auch. Wenn die institutionellen Kirchen in der Öffentlichkeit hauptsächlich so wahrgenommen werden, dass sie in sich schon zerstritten sind (wie aus dem Mikrokosmos Vatikan immer wieder publik wird), dass Konfessionen sich zunehmend wieder voneinander abgrenzen anstelle die Ökumene voranzubringen, dass Religionen (gerade ihre Fundamentalisten und Extremisten) für Krieg und Gewalt verantwortlich sind bzw. gemacht werden, dann ist es nicht weit hergeholt, wenn immer mehr fordern, dass Religionen endlich abgeschafft werden sollten.

Gerade da setzen meine Überlegungen an. Was fehlt uns als Menschheitsfamilie, wenn wir tatsächlich die Religionen abschaffen? Ist es wirklich angesagt, ‹tabula rasa› zu machen, den Tisch komplett abzuräumen – die Altäre zu schleifen, Kirchen, Tempel, Moscheen usw. anders oder sinnvoller zu nutzen? Oder was sind die Teile der Religionen, die unbedingt bewahrt werden müssen, damit das Leben auf dieser Welt auch weiterhin lebenswert bleibt?

Ich mache mich also in einer Zeit, in der die «Eine Welt» tatsächlich zusammengewachsen ist – mit allen Vor- und Nachteilen, wie die Corona-Pandemie zeigte – auf die Suche nach dem, was die Welt «im Innersten zusammenhält». Das hat bekanntlich Goethes Dr. Faust auch schon mal gesucht – und es ging teuflisch daneben. Nur zwischen Goethes Versuch und heute liegen über 200 Jahre. Und in denen hat sich unsere Welt radikal verändert.

Denjenigen, die nun glauben, ich möchte hier einen neuen Gott erfinden oder eine neue Religion propagieren, sei gleich gesagt: keineswegs! Ich habe auch nicht die Absicht, wie der große Theologe Hans Küng (1928-2021) ein neues «Projekt Weltethos» anzugehen. Dieses Buch wäre sogar unnötig, wenn dessen Werk (erschienen 1992) genügend beherzigt worden wäre. Denn ich bin überzeugt: eine weltweite Ethik gibt es schon längst. Wir brauchen auch keine neue Vision: die findet sich in allerlei Schriften, ob religiöser, philosophischer oder anthropologischer Natur. Was wir brauchen sind gemeinsame Ziele, über alle Nations- und Religionsgrenzen hinaus.

Wenn ich dies hier schreibe, habe ich ganz konkrete Menschen vor Augen: Menschen, die schon längst so denken und handeln, wie ich es hier anrege, ‹Gläubige›, die solche Gedanken keineswegs als einen Verrat an ihrer eigenen Religion, Konfession oder Kultur sehen. Und dann natürlich die Gegner solcher Äußerungen, die mich am liebsten in die Hölle verbannen oder zumindest exkommunizieren wollen. Dazwischen gibt es sehr sehr viele ‹Farbtöne von Menschen›, die mehr dahin oder mehr dorthin tendieren.

Menschen verschiedenster Religionen, Konfessionen und Kulturen, aber auch religiös Desinteressierte, Agnostiker oder Atheisten miteinander ins Gespräch zu bringen, ist das primäre Ziel dieser Schrift. Und wenn aus diesem Dialog dann noch ein Übereinkommen erwächst, dass Religion, wie es hier verstanden wird, doch etwas sehr Sinnvolles und Unverzichtbares in dieser «Einen Welt» ist, dann hätte ich mein Ziel erreicht.

Ob meine Gedanken, Wünsche, Hoffnungen usw. realistisch, visionär oder gar utopisch sind, überlasse ich dem Urteil der Leserschaft.

Zürich, im Dezember 2021

Religion ist nicht für Dumme - aber für Mutige

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