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Zweites Capitel.
Die physiologischen Gewebe
ОглавлениеAnatomische Classification der Gewebe. Die drei allgemein-histologischen Kategorien. Die speciellen Gewebe. Die Organe und Systeme oder Apparate.
Die Epithelialgewebe. Platten-, Cylinder- und Uebergangsepithel. Epidermis und Rete Malpighii. Nagel und Nagelkrankheiten. Haare. Linse. Pigment. Drüsenzellen.
Die Gewebe der Bindesubstanz. Das Binde- oder Zellgewebe. Die Theorien von Schwann, Henle und Reichert. Meine Theorie. Die Bindegewebskörperchen. Die Fibrillen des Bindegewebes als Intercellularsubstanz. Secretion derselben. Der Knorpel (hyaliner, Faser- und Netzknorpel). Incapsulirte und freie Knorpelkörperchen (Knochenknorpel). Schleimgewebe. Pigmentirtes Bindegewebe. Fettgewebe. Anastomose der Elemente: saftführendes Röhren- oder Kanalsystem.
Die höheren Thiergewebe: Muskeln, Nerven, Gefässe, Blut, Lymphdrüsen. Vorkommen dieser Gewebe in Verbindung mit Interstitialgewebe. Muskeln. Quergestreifte. Faserzellen. Herzmuskulatur. Muskelkörperchen. Fibrillen. Disdiaklasten. Glatte Muskelfasern. Muskelatrophie. Die contractile Substanz (Syntonin) und die Contractilität überhaupt. Cutis anserina und Arrectores pilorum. Gefässe. Capillaren. Contractile Gefässe.
Die normalen Gewebe lassen sich ohne Zwang in drei Kategorien eintheilen: Entweder man hat Gewebe, welche einzig und allein aus Zellen bestehen, in welchen Zelle an Zelle liegt, also in dem modernen Sinne Zellengewebe. Oder es sind Gewebe, in welchen regelmässig eine Zelle von der andern getrennt ist durch eine gewisse Zwischenmasse (Intercellularsubstanz), in welchen also eine Art von Bindemittel existirt, das die einzelnen Elemente in sichtbarer Weise aneinander, aber auch auseinander hält. Hierher gehören die Gewebe, welche man heut zu Tage gewöhnlich unter dem Namen der Gewebe der Bindesubstanz zusammenfasst, und in welche als Hauptmasse dasjenige eintritt, was man früherhin allgemein Zellgewebe nannte. Endlich gibt es eine dritte Gruppe von Geweben, in welchen specifische Ausbildungen der Zellen Statt gefunden haben, vermöge deren sie eine ganz eigenthümliche Einrichtung erlangt haben, zum Theil so eigenthümlich, wie sie einzig und allein der thierischen Oekonomie zukommt. Diese Gewebe höherer Ordnung sind es, welche eigentlich den Character des Thieres ausmachen, wenngleich einzelne unter ihnen Uebergänge zu Pflanzenformen darbieten. Hierher gehören die Nerven- und Muskelapparate, die Gefässe und das Blut. Damit ist die Reihe der Gewebe abgeschlossen.
Eine solche Gruppirung der histologischen Erfahrungen unterscheidet sich sehr wesentlich von derjenigen, welche nach dem Vorgange von Bichat so lange die allgemeine Anatomie beherrscht hat. Die Gewebe der älteren Schule stellten zu einem grossen Theile nicht so sehr dasjenige dar, was wir heute als die Gegenstände der allgemeinen Histologie betrachten, sondern vielmehr das, was wir als den Inhalt der speciellen Histologie bezeichnen müssen. Wenn man die Sehnen, die Knochen, die Fascien als besondere Gewebe nimmt, so giebt dies eine ausserordentliche Mannichfaltigkeit von Kategorien (Bichat hatte deren 21), aber es entsprechen ihnen nicht eben so viele einfache Gewebsformen.
In unserem Sinne lässt das ganze anatomische Gebiet sich zunächst zerlegen nach allgemein-histologischen Kategorien (eigentliche Gewebe). Die specielle Histologie beschäftigt sich sodann mit dem Falle, wo eine Zusammenfügung von zum Theil sehr verschiedenartigen Geweben zu einem einzigen Ganzen (Organ) Statt findet. Wir sprechen z. B. mit Recht von Knochengewebe, allein dieses Gewebe, die Tela ossea im allgemein-histologischen Sinne, bildet für sich keinen Knochen, denn kein Knochen besteht durch und durch, einzig und allein aus Tela ossea, sondern es gehören dazu mit einer gewissen Nothwendigkeit mindestens Periost und Gefässe. Ja, von dieser einfachen Vorstellung eines Knochens unterscheidet sich die jedes grösseren, z. B. eines Röhrenknochens: dies ist ein wirkliches Organ, in dem wir wenigstens vier verschiedene Gewebe unterscheiden. Wir haben da die eigentliche Tela ossea, die Knorpellage am Gelenk, die Bindegewebsschicht des Periosts, das eigenthümliche Mark. Jeder dieser einzelnen Theile kann wieder eine innere Verschiedenartigkeit der zusammensetzenden Bestandtheile darbieten; es gehen z. B. Gefässe und Nerven mit in die Zusammensetzung des Markes, der Beinhaut u. s. f. ein. Alles dies zusammengenommen, giebt erst den vollen Organismus eines Knochens. Bevor man also zu den eigentlichen Systemen oder Apparaten, dem speciellen Vorwurfe der descriptiven Anatomie kommt, hat man eine ganze Stufenfolge zu durchlaufen. Man muss sich daher bei Diskussionen mit Anderen immer erst klar werden, was in Frage ist. Wenn man Knochen und Knochengewebe zusammenwirft, so gibt dies eine eben so grosse Verwirrung, als wenn man Nerven- und Gehirnmasse einfach identificiren wollte. Das Gehirn enthält viele Dinge, die nicht nervös sind, und seine physiologischen und pathologischen Zustände lassen sich nicht begreifen, wenn man sie auf eine Zusammenordnung rein nervöser Theile bezieht, wenn man nicht neben den Nerven auf die Häute, das Zwischengewebe, die Gefässe Rücksicht nimmt.
Betrachten wir nun die erste allgemein-histologische Gruppe etwas genauer, nämlich die einfachen Zellengewebe, so ist unzweifelhaft am leichtesten übersichtlich die Horn- oder Epithelialformation, wie wir sie in der Epidermis und dem Rete Malpighii an der äussern Oberfläche, im Cylinder- und Plattenepithelium auf den Schleim- und serösen Häuten antreffen. Der Name Epithelium stammt von Ruysch, der zuerst an der Brustwarze ϑηλή ein ablösbares Häutchen auffand, welches er weiterhin in ähnlicher Weise auch an Schleimhäuten nachwies. Heusinger hat das Verdienst, den Zusammenhang aller Horngebilde dargelegt zu haben, indem er die chemische und physikalische Uebereinstimmung derselben lehrte. Das allgemeine Schema ist hier, dass Zelle an Zelle stösst, so dass in dem günstigsten Falle, wie bei der Pflanze, vier- oder sechseckige Zellen unmittelbar sich an einander schliessen und zwischen ihnen nichts Anderes weiter, als höchstens eine geringe Kittsubstanz, gefunden wird. So ist es an manchen Orten mit dem Platten- oder Pflasterepithel (Fig. 17). Die besonderen Formen der Epithelialzellen sind offenbar grossentheils Druckwirkungen. Wenn alle Elemente eines Zellengewebes eine vollkommene Regelmässigkeit haben sollen, so setzt dies voraus, dass sich alle Elemente völlig gleichmässig entwickeln und gleichzeitig vergrössern. Geschieht ihre Entwickelung dagegen unter Verhältnissen, wo nach einer Seite hin ein geringerer Widerstand besteht, so kann es sein, dass die Elemente, wie bei den Säulen- oder Cylinderepithelien, nur in einer Richtung auswachsen und sehr lang werden, während sie in den andern Richtungen sehr dünn bleiben. Aber auch ein solches Element wird, auf einem Querschnitt angesehen, sich als ein sechseckiges darstellen: wenn wir Cylinder-Epithel von der freien Fläche her betrachten, so sehen wir auch bei ihm ganz regelmässig polygonale Formen (Fig. 15, b).
Fig. 15. Säulen- oder Cylinderepithel der Gallenblase. a. Vier zusammenhängende Zellen, von der Seite gesehen, mit Kern und Kernkörperchen, der Inhalt leicht längs gestreift, am freien Rande (oben) ein dickerer, fein radiär gestreifter Saum. b. Aehnliche Zellen, halb von der freien Fläche (oben, aussen) gesehen, um die sechseckige Gestalt des Querschnittes und den dicken Randsaum zu zeigen. c. Durch Imbibition veränderte, etwas aufgequollene und am oberen Saum aufgefaserte Zellen.
Im Gegensatze dazu finden sich ausserordentlich unregelmässige Formen an solchen Orten, wo die Zellen in unregelmässiger Weise hervorwachsen, so besonders constant an der Oberfläche der Harnwege (Fig. 16), in der ganzen Ausdehnung der Schleimhaut von den Nierenkelchen bis zur Urethra. An allen diesen Stellen trifft man sehr gewöhnlich Anordnungen, wo einzelne Zellen an dem einen Ende rund sind, während sie an dem anderen in eine Spitze auslaufen, andere Zellen ziemlich grobe Spindeln darstellen, andere wieder an einer Seite platt abgerundet, an der anderen ausgebuchtet sind, oder wo eine Zelle sich so zwischen andere einschiebt, dass sie eine kolbige oder zackige Form annimmt. Immer entspricht hier die eine Zelle der Form der Lücke zwischen den anderen, und es ist nicht die Eigenthümlichkeit der Zelle, welche die Form bedingt, sondern die Art ihrer Lagerung, das Nachbarverhältniss, die Abhängigkeit von der Anordnung der nächsten Theile. In der Richtung des geringeren Widerstandes bekommen die Zellen Spitzen, Zacken und Fortsätze der mannichfaltigsten Art. Diese Art von Epithel nannte man, da sie sich nicht recht unterbringen liess, mit Henle Uebergangs-Epithel, weil sie schliesslich gewöhnlich in deutliches Platten- oder Cylinderepithel übergeht. Zuweilen ist dies aber nicht der Fall und man könnte ebenso gut einen anderen Namen dafür einführen. Sie stellt das Vorbild zu der vielbesprochenen Polymorphie gewisser pathologischer Epithelialzellen, z. B. der Krebszellen dar.
An der Oberhaut (Epidermis) haben wir den günstigen Fall, dass eine Reihe von Zellenlagen über einander liegt, was an vielen Schleimhäuten nicht der Fall ist. Es lassen sich daher die jungen Lagen (das Rete Malpighii oder die Schleimschicht der früheren Autoren) von den älteren (der eigentlichen Epidermis) bequem trennen.
Fig. 16. Uebergangsepithel der Harnblase. a. Eine grössere, am Rande ausgebuchtete Zelle mit keulen- und spindelförmigen, feineren Zellen besetzt, b. dasselbe: die grössere Zelle mit zwei Kernen. c. Eine grössere, unregelmässig eckige Zelle mit vier Kernen. d. Eine ähnliche mit zwei Kernen und 9 von der Fläche aus gesehenen Gruben, den Randausbuchtungen entsprechend (vgl. Archiv f. path. Anat. u. Phys. Bd. III. Taf. I. Fig 8.)
Wenn man einen senkrechten Durchschnitt der Hautoberfläche betrachtet, so erblickt man zumeist nach aussen ein sehr dichtes, verschieden dickes Stratum, welches aus lauter platten Elementen besteht, die von der Seite her wie einfache Linien aussehen. Man könnte sie bei dieser Betrachtung für Fasern halten, welche übereinander geschichtet mit leichten Niveau-Verschiedenheiten die ganze Oberhaut zusammensetzen. Von der Fläche aus gesehen, erweisen sie sich jedoch als rundlich-ovale Plättchen, die bei Einwirkung von Alkalien sich zu dickeren, linsenförmigen Körpern aufblähen. Unterhalb dieser Lagen folgt in verschiedener Mächtigkeit das sogenannte Rete Malpighii, welches unmittelbar bis an die Papillen der Haut (Lederhaut, Cutis, Corium) reicht. Untersuchen wir nun die Grenze zwischen Epidermis und Rete, so ergibt sich fast bei allen Arten der Betrachtung, dass fast plötzlich an die innerste Lage der Epidermis sich Elemente anschliessen, die zunächst noch immer platt sind, aber doch schon einen grösseren Dickendurchmesser haben, innerhalb deren man sehr deutlich Kerne erkennt, welche in den Plättchen der Epidermis fehlen. Diese ziemlich grossen Elemente stellen den Uebergang dar von den ältesten Schichten des Rete Malpighii zu den jüngsten der Epidermis. Hier ist der Punkt, von wo aus sich die Epidermis regenerirt, welche ihrerseits eine träge Masse darstellt die an der Oberfläche durch Reibung und Abblätterung allmählich entfernt wird. Und hier ist im Allgemeinen auch die Grenze, wo die pathologischen Processe einsetzen. Je weiter wir gegen die Tiefe hin untersuchen, um so kleiner werden die Elemente; die letzten stehen als kleine Cylinder auf der Oberfläche der Hautpapillen (Fig. 17, r, r).
Fig. 17. Senkrechter Schnitt durch die Oberfläche der Haut von der Zehe, mit Essigsäure behandelt. P. P. Spitzen durchschnittener Papillen, in denen man je eine Gefässschlinge und daneben kleine spindelförmige und an der Basis netzförmige Bindegewebselemente bemerkt: links eine Ausbiegung der Papille, entsprechend einem nicht mehr dargestellten, tiefer gelegenen Tastkörperchen. R. R. Das Rete Malpighii, zunächst an der Papille eine sehr dichte Lage kleiner cylinderförmiger Zellen (r, r), nach aussen immer grösser werdende polygonale Zellen. E. Epidermis, aus platten, dichteren Zellenlagen bestehend. S. S. Ein durchtretender Schweisskanal. – Vergröss. 300.
Im Grossen ist das Verhältniss der verschiedenen Schichten an der ganzen Hautoberfläche überall dasselbe, so mannichfaltig auch im Einzelnen die Besonderheiten sein mögen, welche sie in Beziehung auf Dicke, Lagerung, Festigkeit und Zusammenfügung darbieten. Ein Durchschnitt z. B. des Nagels, der seiner äusseren Erscheinung nach gewiss weit von der gewöhnlichen Oberhaut abweicht, zeigt doch im Allgemeinen dasselbe Bild, wie diese; er unterscheidet sich nur in einem Punkte wesentlich, nehmlich dadurch, dass sich an ihm zwei verschiedene epidermoidale Gebilde übereinanderschieben. Dadurch entsteht eine Complication, die, wenn man sie nicht erkennt, zu der Annahme gewisser specifischer Verschiedenheiten des Nagels von anderen Theilen der Epidermis führen kann, während sie doch nur durch eine eigenthümliche Verschiebung gewisser Epidermislagen gegen andere bedingt ist. Die äusserst dichten und festen Plättchen, welche den frei zu Tage liegenden Theil, das sogenannte Nagelblatt, zusammensetzen, lassen sich auf verschiedene Weise wieder in Formen zurückführen, in denen sie das gewöhnliche Bild von Zellen darbieten; am deutlichsten durch Behandlung mit einem Alkali, wo ein jedes Plättchen zu einer grossen, rundlich-ovalen Blase anschwillt.
In den oberen Schichten der Oberhaut werden die Zellen überall platter, und in den äussersten findet man, wie gesagt, gar keine Kerne mehr. Trotzdem besteht kein ursprünglicher Unterschied zwischen der Epidermis und dem Rete Malpighii; das letztere ist vielmehr die Bildungsstätte (Matrix) der Epidermis oder die jüngste Epidermislage selbst, insofern von hieraus immer neue Theile sich ansetzen, sich abplatten und in die Höhe rücken, in dem Maasse, als aussen durch Waschen, Reiben u. s. w. Theile verloren gehen. Auch zwischen der untersten Schicht des Rete und der Oberfläche der Cutis gibt es keine weitere Zwischenlage mehr, keine amorphe Flüssigkeit, kein Blastem, das in sich Zellen bilden könnte; die Zellen sitzen direct auf der Bindegewebspapille der Cutis auf. Es ist hier nirgends ein Raum, wie man noch vor Kurzem dachte, in welchen aus den Papillen und den in ihnen enthaltenen Gefässen Flüssigkeit transsudirte, damit aus und in derselben neue Elemente durch freie Urzeugung entständen und hervorwüchsen. Eine blosse Schleimschicht, welche als Cytoblastem für die neuen Zellen diente, ist absolut nicht wahrnehmbar. Durch die ganze Reihe der Zellenlagen des Rete und der Epidermis besteht dasselbe Continuitätsverhältniss, wie man es an der Rinde eines Baumes kennt. Die Rindenschicht einer Kartoffel (Fig. 2) zeigt in gleicher Weise aussen korkhaltige epidermoidale Elemente und darunter, wie im Rete Malpighii, eine Lage kernhaltiger Zellen, das Cambium, welches die Matrix des Nachwuchses für die Rinde darstellt.
Sehr ähnlich verhält es sich am Nagel. Betrachtet man den Durchschnitt eines Nagels, quer auf die Längsrichtung des Fingers, so sieht man dieselbe Anordnung, wie an der gewöhnlichen Haut, nur entspricht jede einzelne Ausbuchtung der unteren Fläche nicht einer zapfenförmigen Verlängerung der Cutis, einer Papille, sondern einer Leiste, welche über die ganze Länge des Nagelbettes hinläuft und welche mit den Leisten zu vergleichen ist, die an der Volarseite der Finger zu sehen sind. Auf diesen Leisten des Nagelbettes befinden sich sehr niedrige und verkommene Papillen, an deren Oberfläche das mehr cylindrisch gestaltete jüngste Lager des Rete Malpighii aufsitzt; daran schliessen sich immer grössere Elemente an, und endlich folgt eine hornig-blätterige Schicht, welche der Epidermis entspricht.
Es ist jedoch, um dies gleich vorweg zu nehmen, da wir auf den Nagel nicht wieder zu sprechen kommen werden, seine Zusammensetzung deshalb schwierig zu ermitteln gewesen, weil man sich ihn als einheitliches Gebilde gedacht hat. Daher hat sich der Streit hauptsächlich um die Frage gedreht, wo die Matrix des Nagels sei, ob er von der ganzen Fläche wachse, oder nur von dem kleinen Falz, in welchem er hinten steckt. Die eigentliche feste Masse, das compacte Nagelblatt, wächst allerdings nur von hinten her und schiebt sich über die Fläche des sogenannten Nagelbettes hinweg, aber das Nagelbett erzeugt seinerseits eine bestimmte Masse von Zellen, die als Aequivalente einer Epidermislage zu betrachten sind. Macht man einen Durchschnitt durch die Mitte eines Nagels, so kommt man zu äusserst auf das von hinten gewachsene Nagelblatt, dann auf die losere Substanz, welche von dem Nagelbett abgesondert ist, dann auf das Rete Malpighii, und endlich auf die Leisten, auf welchen der Nagel ruht6. Es combiniren sich also in der Nagelbildung zwei Epidermoidalstrata: ein äusseres oder oberes, dessen Matrix das Rete im Falz ist, und ein inneres oder unteres, dessen Matrix das Rete des Bettes ist.
So begreift man, dass das Nagelblatt bis zu einem gewissen Maasse locker liegt und sich leicht vorwärts bewegen kann, indem es sich auf einer beweglichen Unterlage vorschiebt. Aber es ist auch sofort zu verstehen, wie leicht man sich in der Deutung des Bildes, welches senkrechte Durchschnitte durch den Nagel gewähren, täuschen kann, und wie nahe es liegt, anzunehmen, auch das Nagelblatt beziehe seine Elemente wenigstens zum Theil aus der Matrix des Bettes. Es fügen sich jedoch die von letzterer gelieferten Elemente nur lose der unteren Fläche des Nagelblattes an. Diese Fläche besitzt daher, entsprechend den erwähnten Leisten, seichte Ausbuchtungen, so dass der wachsende Nagel, indem er über die Leisten fortgleitet, seitliche Bewegungen nur innerhalb beschränkter Grenzen machen kann. Man kann daher sagen: es bewegt sich das von hinten wachsende Nagelblatt über ein Polster von lockerer Epidermismasse nach vorn (Fig. 18, a) in Rinnen, welche zwischen den längslaufenden Leisten oder Falten des Nagelbettes gelegen sind. Das Nagelblatt selbst, frisch untersucht, besteht dagegen aus einer so dichten Masse, dass man einzelne Zellen daran kaum zu unterscheiden im Stande ist, ja, dass man ein Bild bekommt, wie an manchen Stellen im Knorpel. Aber durch Behandlung mit Kali, welches die Zellen aufquellen macht und von einander trennt, kann man sich überzeugen, dass er überall nur aus Epidermiszellen besteht.
Fig. 18. Schematische Darstellung des Längsdurchschnittes vom Nagel. a. Das normale Verhältniss: leicht gekrümmtes, horizontales Nagelblatt, in seinem Falze steckend und durch ein schwaches Polster von dem Nagelbette getrennt. b. Stärker gekrümmtes und etwas dickeres Nagelblatt mit stark verdicktem Polster und stärker gewölbtem Nagelbette, der Falz kürzer und weiter. c. Onychogryphosis: das kurze und dicke Nagelblatt steil aufgerichtet, der Falz kurz und weit, das Nagelbett auf der Fläche eingebogen, das Polster sehr dick und aus übereinander geschichteten Lagen von lockeren Zellen bestehend.
Kennt man diese Entwickelung, so lassen sich die Krankheiten des Nagels in leicht fasslicher Weise von einander scheiden. Es gibt nehmlich Krankheiten des Nagelbettes, welche das Wachsthum des Nagelblattes nicht ändern, aber Dislocationen desselben bedingen. Wenn auf dem Nagelbette eine sehr reichliche Entwickelung von Polstermasse stattfindet, so kann das Nagelblatt in die Höhe gehoben werden (Fig. 18, b), ja es kommt, namentlich an den Zehen, nicht selten vor, dass es, statt horizontal, senkrecht in die Höhe wächst und der Raum unter ihm von dicken Anhäufungen des blätterigen Polsters erfüllt wird (Fig. 18, c). Selbst Eiterungen können auf dem Nagelbette stattfinden, ohne dass die Entwickelung des Nagelblattes dadurch gehindert wird. Die sonderbarsten Veränderungen zeigen sich bei den Pocken. Wenn eine Blatter auf dem Nagelbett sich bildet, so bekommt der Nagel nur eine gelbliche, etwas unebene Stelle; entwickelt sich dagegen die Pocke im Nagelfalze, so sieht man Wochen nachher das Bild der Pocke in einer kreisförmig vertieften, wie ausgeschnittenen Stelle des sich allmählich vorschiebenden Nagelblattes, als einen Beweis des Ausfalls von Elementen, gerade wie auf der Epidermis. Denn jede Krankheit, welche den Nagelfalz (die Matrix) trifft, ändert auch das Nagelblatt, und wenn der Falz zerstört wird, so kann ein wirkliches Blatt nicht mehr nachgebildet werden; das Bett bedeckt sich dann nur mit einer hornigen, unregelmässig geschichteten Masse, wie sie sich zuweilen auch auf grossen Narben anderer Hautstellen, namentlich nach partiellen Amputationen des Fusses, erzeugt. —
Wie am Nagel, so erfahren auch an anderen Orten unter besonderen Verhältnissen die epidermoidalen Elemente besondere Umwandlungen, wodurch sie ihrem ursprünglichen Habitus ausserordentlich unähnlich werden und allmählich Erscheinungsformen annehmen, die es jedem, welcher die Entwickelungsgeschichte nicht kennt, unmöglich machen, ihre ursprüngliche Epidermis-Natur auch nur zu ahnen. So ist es mit den Haaren. Die am meisten abweichende Entwickelung findet sich jedoch an der Krystallinse des Auges, welche ursprünglich eine reine Epidermis-Anhäufung ist. Sie entsteht bekanntlich dadurch, dass sich ein Theil der Haut von aussen sackförmig einstülpt. Anfangs bleibt durch eine leichte Membran die Verbindung mit den äusseren Theilen erhalten, durch die Membrana capsulo-pupillaris; später atrophirt diese und lässt die abgeschlossene Linse im Innern des Auges liegen. Die sogenannten Linsenfasern sind also weiter nichts, wie schon Carl Vogt zeigte, als epidermoidale Elemente mit eigenthümlicher Entwickelung, und die Regeneration derselben z. B. nach Extraction der Cataract, ist nur so lange möglich, als noch Epithel an der Capsel vorhanden ist, welches den Neubau übernimmt und gleichsam ein dünnes Lager von Rete Malpighii darstellt. Dieses reproducirt in derselben Weise die Linse, wie das gewöhnliche Rete Malpighii der Haut die Epidermis; nur ist die Regeneration der Linse gewöhnlich unvollständig, da die sich vermehrenden Rete-Zellen hauptsächlich am Umfange der Linsenkapsel liegen. Die neu gebildete Linse ist daher in der Regel ein Ring, der in der Mitte nicht ausgefüllt ist.
Unter den sonstigen Modificationen epithelialer Gebilde werden wir noch gelegentlich die eigenthümlichen Pigmentzellen zu erwähnen haben, die an den verschiedensten Punkten aus der Umwandlung von Rete- oder Epithelial-Elementen hervorgehen, indem sich der Inhalt der Zellen entweder durch Imbibition färbt oder in sich durch (metabolische) Umsetzung des Inhalts Pigment erzeugt. So entstehen Pigmentzellen in dem Rete gefärbter Hautstellen oder gefärbter Racen, bei Naevi und Bronzekrankheit; so bilden sich die dunkle Zellenschicht der Chorioides oculi (Fig. 6), gewisse pigmentirte Zellen in den Alveolen der Lunge (Fig. 8). —
Fig. 19. A. Entwickelung der Schweissdrüsen durch Wucherung der Zellen des Rete Malpighii nach innen. e. Epidermis, r. Rete Malpighii, g g solider Zapfen, der ersten Drüsenanlage entsprechend. Nach Kölliker.
B. Stück eines Schweissdrüsenkanals im entwickelten Zustande, t t Tunica propria. e e Epithellagen.
Zu den Epithelien gehört noch eine andere, ganz besondere Art von Elementen, die bei dem Zustandekommen gewisser höherer Functionen des Thiers eine sehr bedeutende Rolle spielen, nehmlich die Drüsenzellen. Die eigentlich activen Elemente der gewöhnlichen, mit Ausführungsgängen versehenen Drüsen sind wesentlich epitheliale. Es ist eines der grössten Verdienste von Remak, gezeigt zu haben, dass in der normalen Entwickelung des Embryo von den bekannten drei Keimblättern das äussere und innere hauptsächlich epitheliale Gebilde hervorbringen, von denen unter Anderem durch allmähliche Wucherung die Drüsengestaltung ausgeht. Schon andere Forscher hatten ähnliche Beobachtungen gemacht, insbesondere Kölliker. Gegenwärtig kann man es als allgemeine Doctrin hinstellen, dass die Drüsenbildung überhaupt als ein directer Wucherungsprocess von Epithelial-Gebilden zu betrachten ist. Früher dachte man sich Cytoblastem-Haufen, in denen unabhängig Drüsenmasse entstände; allein mit Ausnahme der Lymphdrüsen, welche in ein ganz anderes Gebiet gehören, entstehen sämmtliche Drüsen in der Weise, dass an einem gewissen Punkte in ähnlicher Art, wie ich von den Auswüchsen der Pflanzen angegeben habe (S. 25), epitheliale Zellen anfangen sich zu theilen, sich wieder und wieder theilen, bis allmählich ein kleiner Zapfen von zelligen Elementen entstanden ist (Fig. 19, A). Dieser wächst nach innen und bildet, indem er sich seitlich ausbreitet und im Innern aushöhlt, einen Drüsengang (Fig. 19, B), welcher demnach sofort ein Continuum mit äusseren Zellenlagen darstellt. So entstehen die Drüsen der Oberfläche (die Schweiss- und Talgdrüsen der Haut, die Milchdrüse), so entstehen aber auch die inneren Drüsen des Digestionstractus (Magendrüsen, Lieberkühnsche Darmdrüsen, Leber), der Eierstock u. s. w. Die einfachsten Formen, welche eine Drüse darbieten kann, kommen beim Menschen nicht vor. Es sind dies einzellige Drüsen, wie sie in neuerer Zeit bei niederen Thieren vielfach gefunden sind. Die menschlichen Drüsen sind stets Anhäufungen von vielen Elementen, die jedoch genetisch auf ziemlich einfache Anlagen zurückführen. Freilich gehen ausser den epithelialen Elementen in unsern zusammengesetzten Drüsen noch andere nothwendige Bestandtheile (Bindegewebe, Gefässe, Nerven) in die Zusammensetzung ein, und man kann nicht sagen, dass die Drüse, als Organ betrachtet, bloss aus Drüsenzellen bestehe. Jedoch ist man darüber gegenwärtig ziemlich einig, dass das bestimmende Element in der Zusammensetzung die Drüsenzelle ist, ebenso wie bei den Muskeln das Muskelprimitivbündel, und dass die specifische Thätigkeit der Drüse hauptsächlich in der Natur und eigenthümlichen Einrichtung dieser Elemente begründet ist.
Im Allgemeinen bestehen also die Drüsen aus Anhäufungen von Zellen, welche in der Regel offene Kanäle bilden. Wenn man von den Drüsen mit zweifelhafter Function (Schilddrüse, Nebennieren) absieht, so gibt es beim Menschen nur die Eierstöcke, welche eine Ausnahme machen, indem ihre Follikel nur zu Zeiten offen sind; aber auch sie müssen offen sein, wenn die specifische Secretion der Eier stattfinden soll. Bei den meisten Drüsen kommt freilich bei der Secretion noch eine gewisse Menge transsudirter Flüssigkeit hinzu, allein diese Flüssigkeit stellt nur das Vehikel dar, welches die Elemente selbst oder ihre specifischen Produkte wegschwemmt. Wenn sich in den Hodenkanälen eine Zelle ablöst, in welcher Samenfäden entstehen, so transsudirt zugleich eine gewisse Menge von Flüssigkeit, welche dieselben fortträgt, aber das, was den Samen zum Samen macht, was das Specifische der Thätigkeit gibt, ist die Zellenfunction. Die blosse Transsudation von den Gefässen aus ist wohl ein Mittel zur Fortbewegung, gibt aber nicht das specifische Produkt der Drüse, das Secret im engeren Sinne des Worts. Wie am Hoden, so geht im Wesentlichen an allen Drüsen, an denen wir mit Bestimmtheit das Einzelne ihrer Thätigkeit übersehen können, die wesentliche Eigenthümlichkeit ihrer Energie von der Entwickelung, Umgestaltung und Thätigkeit epithelialer Elemente aus. —
Die zweite histologische Gruppe bilden die Gewebe der Bindesubstanz. Es ist dies diejenige Gruppe, welche gerade für mich das meiste Interesse hat, weil von hier aus meine allgemein-physiologischen Anschauungen zu dem Abschlusse gekommen sind, den ich im Eingange kurz darstellte. Die Aenderungen, welche es mir gelungen ist, in der histologischen Auffassung der ganzen Gruppe herbeizuführen, haben mir zugleich die Möglichkeit gegeben, die Cellulardoctrin zu einer gewissen Abrundung zu bringen.
Die Hauptglieder dieser Gruppe sind das Bindegewebe, das Schleimgewebe, der Knorpel, das Knochengewebe, das Zahnbein, die Neuroglia und das Fettgewebe. Betrachten wir zuerst das Bindegewebe als das für die Auffassung der übrigen mehr oder weniger bestimmende. Bis in die neueste Zeit hiess es fast allgemein Zellgewebe (tela cellulosa), weil man annahm, dass es regelmässig kleinere Räume (cellulae, areolae) enthalte. Erst Johannes Müller führte den Ausdruck Bindegewebe (tela conjunctoria s. connectiva), freilich nur für eine gewisse Art, ein; er meinte damit, was wir gegenwärtig interstitielles Gewebe zu nennen pflegen, nehmlich dasjenige „Zellgewebe“, welches Organe oder Organtheile mit einander verbindet. Sehr langsam, zum Theil aus blossem Widerwillen gegen den schlechten Namen Zellgewebe, ist die Bezeichnung Bindegewebe auf alles Zellgewebe und auf alle daraus zusammengesetzten Theile (Lederhaut, Sehnen, Fascien) ausgedehnt worden. Gegenwärtig muss man sich fast in Acht nehmen, nicht noch weiterzugehen und auch die übrigen Glieder dieser Gruppe dem Bindegewebe zuzurechnen. „Bindesubstanz“ soll diesem weiteren Klassenbegriff entsprechen.
Fig. 20. A. Bündel von gewöhnlichem lockigem Bindegewebe (Intercellularsubstanz), am Ende in feine Fibrillen zersplitternd.
B. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach Schwann. a. Spindelzelle (geschwänztes Körperchen, fibroplastisches Körperchen Lebert) mit Kern und Kernkörperchen. b. Zerklüftung des Zellkörpers in Fibrillen.
C. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach Henle. a. Hyaline Grundsubstanz (Blastem) mit regelmässig eingestreuten, nucleolirten Kernen. b. Zerfaserung des Blastems (directe Fibrillenbildung) und Umwandlung der Kerne in Kernfasern.
Seit Haller betrachtete man das Zellgewebe oder, wie man auch wohl sagte, das Fasergewebe (tela fibrosa) als wesentlich aus Fasern (fibrae, fibrillae) zusammengesetzt und sah in diesen Fasern, wie im ersten Capitel (S. 22) hervorgehoben ist, die eigentlich elementare Form des Organischen. In der That, wenn man Bindegewebe an verschiedenen Regionen, z. B. an den Sehnen und Bändern, der Pia mater, dem subserösen und submucösen Zellgewebe untersucht, so findet man überall wellige Faserbündel (Fascikel), sogenanntes lockiges Bindegewebe (Fig. 20, A). Die Zusammensetzung dieser Bündel glaubte man um so bestimmter auf einzelne Fasern zurückführen zu können, als wirklich nicht selten an dem Ende der Bündel isolirte Fädchen herausstehen. Trotzdem ist gerade auf diesen Punkt vor etwa 25 Jahren ein ernsthafter Angriff gemacht worden, der, wenngleich in einer anderen, als der beabsichtigten Richtung, eine sehr grosse Bedeutung gewonnen hat. Reichert suchte nehmlich zu zeigen, dass die Fasern nur der optische Ausdruck von Falten seien, und dass das Bindegewebe vielmehr an allen Orten eine homogene, jedoch mit grosser Neigung zur Faltenbildung versehene Masse darstelle.
Schwann hatte die Bildung des Bindegewebes so dargestellt, dass ursprünglich zellige Elemente von spindelförmiger Gestalt vorhanden wären, die nachher so berühmt gewordenen geschwänzten Körperchen, Spindel- oder Faserzellen (fibroplastischen Körper Lebert's, Fig. 4, b), und dass aus solchen Zellen unmittelbar Fascikel von Bindegewebe in der Weise hervorgingen, dass der Körper der Zelle in einzelne Fibrillen sich zerspalte, während der Kern als solcher liegen bliebe (Fig. 20, B). Jede Spindelzelle würde also für sich oder in Verbindung mit anderen, an sie anstossenden und mit ihr verschmelzenden Spindelzellen ein Bündel von Fasern liefern. Henle dagegen glaubte aus der Entwickelungsgeschichte schliessen zu müssen, dass ursprünglich gar keine Zellen vorhanden seien, sondern nur einfaches Blastem, in welchem Kerne in gewissen Abständen sich bildeten; die späteren Fasern sollten durch eine directe Zerklüftung des Blastems entstehen. Während so die Zwischenmasse sich differenzire zu Fasern, sollten die Kerne sich allmählich verlängern und endlich zusammenwachsen, so dass daraus eigenthümliche feine Längsfasern entständen, die sogenannten Kernfasern (Fig. 20, C, b). Reichert hat gegenüber diesen Ansichten einen ausserordentlich wichtigen Schritt gethan. Er bewies nehmlich, dass ursprünglich nur Zellen in grosser Masse vorhanden sind, zwischen welche erst später homogene Intercellularmasse abgelagert wird. Zu einer gewissen Zeit verschmölzen dann, wie er glaubte, die Membranen der Zellen mit der Intercellularsubstanz, und es komme nun ein Stadium, dem von Henle beschriebenen analog, wo keine Grenze zwischen den alten Zellen und der Zwischenmasse mehr existire. Endlich sollten auch die Kerne in einigen Formen gänzlich verschwinden, während sie in anderen sich erhielten. Dagegen leugnete Reichert entschieden, dass die spindelförmigen Elemente von Schwann überhaupt vorkämen. Alle spindelförmigen, geschwänzten oder gezackten Elemente wären Kunstproducte, gleich wie die Fasern, welche man in der Zwischenmasse sähe und welche nur scheinbar etwas für sich Existirendes darstellten, da sie in Wahrheit eine falsche Deutung des optischen Bildes, der Ausdruck blosser Falten und Streifungen einer an sich durchaus gleichmässigen Substanz seien.
Fig. 21. Bindegewebe vom Schweinsembryo nach längerem Kochen. Grosse zum Theil isolierte, zum Theil noch in der Grundsubstanz eingeschlossene und anastomisirende Spindelzellen (Bindegewebskörperchen). Grosse Kerne mit abgelöster Membran; zum Theil geschrumpfter Zelleninhalt. Vergr. 350.
Meine Untersuchungen haben gelehrt, dass die Auffassung sowohl von Schwann, als von Reichert bis zu einem gewissen Grade auf richtigen Anschauungen beruht. Erstlich mit Schwann und gegen Reichert, dass in der That spindelförmige (Fig. 21) und sternförmige Elemente mit vollkommener Sicherheit existiren, dann aber gegen Schwann und mit Henle und Reichert, dass eine directe Zerklüftung der Zellen zu Fasern nicht geschieht, dass vielmehr dasjenige, was wir nachher als Bindegewebe vor uns sehen, an die Stelle der früher gleichmässigen Intercellular-Substanz tritt. Ich fand ferner, dass Reichert sowohl, als Schwann und Henle darin Unrecht hatten, wenn sie zuletzt im besten Falle Kerne oder Kernfasern bestehen liessen; dass vielmehr in den meisten Fällen auch die Zellen selbst sich erhalten. Das Bindegewebe der späteren Zeit unterscheidet sich der allgemeinen Structur und Anlage nach in gar nichts von dem Bindegewebe der früheren Zeit. Es gibt nicht ein embryonales oder unreifes Bindegewebe mit Spindeln und ein ausgebildetes oder reifes ohne diese, sondern die Elemente bleiben dieselben, wenngleich sie oft nicht sofort zu sehen sind7.
Fig. 22. Schema der Bindegewebs-Entwickelung nach meinen Untersuchungen. A. Jüngstes Stadium. Hyaline Grundsubstanz (Intercellularsubstanz) mit grösseren Zellen (Bindegewebskörperchen); letztere in regelmässigen Abständen, reihenweise gestellt, Anfangs getrennt, spindelförmig und einfach, späterhin anastomosirend und verästelt. B. Aelteres Stadium: bei a. streifig gewordene (fibrilläre) Grundsubstanz, durch die reihenweise Einlagerung von Zellen fasciculär erscheinend; die Zellen schmäler und feiner werdend; bei b. nach Einwirkung von Essigsäure ist das streifige Aussehen der Grundsubstanz wieder verschwunden, und man sieht die noch kernhaltigen, feinen und langen anastomosirenden Faserzellen (Bindegewebskörperchen).
Mit dem Nachweise von der Persistenz der Zellen im Bindegewebe gelangte ich zu einer gänzlich verschiedenen Betrachtungsweise der physiologischen und pathologischen Bedeutung der einzelnen Bestandtheile. Während bis dahin die Fasern als die eigentlich constituirenden Elemente des Bindegewebes angesehen waren, wie es Robin und die französische Schule noch heute thun, so rückten sie in meiner Vorstellung als Bestandtheile der Intercellularsubstanz in eine durchaus untergeordnete Stellung. Sie verhalten sich zu den Bindegewebszellen, oder, wie ich sie gewöhnlich nenne, den Bindegewebskörperchen, wie die Fasern des Fibrins in einem Blutgerinnsel zu den Blutkörperchen. Sie geben dem Gewebe Consistenz, Dehnbarkeit, Widerstandsfähigkeit, Ausdehnungsfähigkeit, Farbe und Aussehen, aber sie sind nicht die Sitze der Lebensthätigkeit, nicht die lebenden Mittelpunkte des Gewebes.
Da die Substanz, welche sich zwischen den Bindegewebskörperchen befindet, ursprünglich homogen ist und erst später fibrillär wird, so muss man sich vorstellen, dass die Fibrillation in ähnlicher Weise vor sich geht, wie in dem Fibringerinnsel, welches zuerst auch homogen und gallertartig ist. Und da ferner die Substanz zwischen den Zellen später auftritt, als die Zellen, so kann man sie nicht im Sinne Henle's als Cytoblastem betrachten, sondern sie lässt sich nur als ein von den Zellen geliefertes Secret ansehen. In der letzten Zeit haben Manche mit Max Schultze Werth darauf gelegt, die Intercellularsubstanz nicht als ein Secret aufzufassen, sondern als die äussere, metamorphosirte Schicht der Zellen oder, um in der Schulsprache zu reden, als das veränderte Protoplasma selbst. Dieser Streit ist ein rein doctrinärer. Denn auch die Vorstellung von der Secretion der Intercellularsubstanz geht davon aus, dass das Secret einmal innerhalb der Zellen befindlich gewesen sei, und es versteht sich von selbst, dass eine Zelle nach geschehener Secretion der Intercellularsubstanz um so viel kleiner sein muss, als Secret aus ihr hervorgetreten ist (vorausgesetzt, dass sie nicht wieder neue Substanz von aussen her in sich aufgenommen hat). Dass aber wirklich die Corticalschicht der Bindegewebskörperchen in Intercellularsubstanz verwandelt werde, hat noch Niemand dargethan.
Demnach ist das Bindegewebe aufzufassen als zusammengesetzt aus Zellenterritorien (S. 17), von denen jedes eine Zelle mit dem ihr zugehörigen Antheil von Intercellularsubstanz enthält, und deren Grenzen gänzlich verschmolzen sind. Man kann diess auch so ausdrücken, dass man sagt: das Bindegewebe besteht aus einer im Wesentlichen faserigen Intercellularsubstanz und Zellen, welche in regelmässigen Abständen in dieselbe eingeschlossen sind. Diese Formel gilt übrigens für sämmtliche Gewebe der Bindesubstanz, nur dass die Beschaffenheit der Intercellularsubstanz verschieden und keineswegs überall faserig ist. Im ausgebildeten Zustande besteht wenigstens scheinbar fast überall der grösste Theil des Gewebes aus Intercellularsubstanz, und deshalb ist diese letztere in hohem Maasse für die äussere Erscheinung des Gewebes bestimmend. Die Zellen sind der Masse nach meist unbedeutend und sie können die mannichfachsten Formen haben. Daher lassen die Gewebe sich nicht darnach unterscheiden, dass das eine nur runde, das andere dagegen geschwänzte oder sternförmige Zellen enthält; vielmehr können in allen Geweben der Bindesubstanz runde, lange, eckige oder verästelte Elemente vorkommen.
Fig. 23. Senkrechter Durchschnitt durch den wachsenden Knorpel der Patella. a. Die Gelenkfläche mit parallel gelagerten Spindelzellen (Knorpelkörperchen). b. Beginnende Wucherung der Zellen. c. Vorgeschrittene Wucherung; grosse, rundliche Gruppen; innerhalb der ausgedehnten Capseln immer zahlreichere runde Zellen. – Vergröss. 50.
Der einfachste Fall ist der, dass runde Zellen in gewissen Abständen liegen, durch Intercellularsubstanz getrennt. Das ist diejenige Form, welche wir am schönsten in den Knorpeln finden, z. B. in den Gelenküberzügen, wo die Zwischenmasse vollkommen homogen und an ihr nichts zu sehen ist, als eine vielleicht hier und da schwach gekörnte, im Ganzen jedoch völlig wasserklare Substanz, so homogen, dass, wenn man nicht die Grenze des Objectes vor sich hat, man in Zweifel sein kann, ob überhaupt etwas zwischen den Zellen vorhanden ist. Diese Substanz characterisirt den hyalinen Knorpel.
Unter gewissen Verhältnissen wandeln aber die runden Elemente sich auch im Knorpel in längliche, spindelförmige um, z. B. ganz regelmässig gegen die Gelenkoberflächen hin. Je näher man bei der Durchforschung des Gelenkknorpels der freien Oberfläche kommt (Fig. 23, a), um so platter werden die Zellen; zuletzt sieht man nur kleine, flach linsenförmige, auf einem Längsdurchschnitt spindelförmig erscheinende Körper, zwischen denen die Intercellularsubstanz zuweilen ein leicht streifiges Aussehen zeigt. Hier tritt also, ohne dass das Gewebe aufhört, Knorpel zu sein, ein Typus auf, den wir viel regelmässiger im Bindegewebe antreffen, und es kann leicht daraus die Vorstellung erwachsen, als sei der Gelenkknorpel noch mit einer besonderen Membran überzogen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Es legt sich keine Synovialhaut über den Knorpel; die Grenze des Knorpels gegen das Gelenk hin ist überall vom Knorpel selbst gebildet. Die Synovialhaut fängt erst da an, wo der Knorpel aufhört, am Knochenrande.
An anderen Stellen geht der Knorpel über in ein Gewebe, wo die Zellen nach mehreren Richtungen Fortsätze aussenden, dadurch sternförmig werden, und wo die endliche Anastamose der Elemente sich vorbereitet; endlich trifft man Stellen, wo man nicht mehr sagen kann, wo das eine Element aufhört und das andere anfängt: sie hängen durch ihre Fortsätze direct mit einander zusammen, sie anastomosiren, ohne dass eine Grenze zwischen ihnen zu erkennen wäre. Wenn ein solcher Fall eintritt, so wird die bis dahin gleichmässige hyaline Intercellularsubstanz ungleichmässig, streifig, faserig. Solchen Knorpel hat man schon seit langer Zeit Faserknorpel genannt.
Von diesen beiden Arten unterscheidet man eine dritte, den sogenannten Netzknorpel, so an Ohr und Nase, wo die Elemente rund sind, aber eine eigenthümliche Art von dicken, steifen Fasern um sie herum liegt, deren Entstehung noch nicht ganz erforscht ist, die aber offenbar durch eine Metamorphose der Intercellularsubstanz entstehen.
Wir haben schon früher (S. 8) gesehen, dass der ausgebildete Knorpel incapsulirte Zellen hat. Hier ist also die Zelle von der Intercellularsubstanz noch durch eine besondere, oft sehr dicke Wand getrennt. Wenn nun nicht bezweifelt werden kann, dass auch diese Wand ein Secretionsproduct der Zelle ist, so folgt, dass, genau genommen, die Capsel der Intercellularsubstanz angehört, deren jüngster Theil sie ist. In allen Rippenknorpeln ist es gewöhnlich, um einzelne Zellen sogar zwei und mehr Capselschichten zu sehen (Fig. 14), unter deren Ausbildung die Zelle immer kleiner und kleiner wird, so dass sie manchmal nur noch als ein granulirtes Kügelchen im Innern der Capselhöhle erscheint. Durch Jodzusatz lässt sie sich jedoch leicht erkennen, indem sie sich roth färbt, während Capsel- und Intercellularsubstanz nur gelb werden. Die Existenz der Capsel ist in hohem Maasse characteristisch für den Knorpel. Aber sie ist nicht entscheidend, denn in jungem und unentwickeltem Knorpel, sowie in dem von mir als Knochenknorpel (osteoidem Gewebe) benannten Gewebe fehlt sie und die Intercellularsubstanz stösst unmittelbar an die Oberfläche der Zelle.
Mit diesen verschiedenen Typen, welche der Knorpel an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten seiner Entwickelung darbietet, sind auch alle die Verschiedenheiten gegeben, welche die übrigen Gewebe der Bindesubstanz darbieten. Es gibt auch wahres Bindegewebe mit runden, mit langen und sternförmigen Zellen. Ebenso finden sich innerhalb des eigenthümlichen Gewebes, welches ich Schleimgewebe genannt habe, runde Zellen in einer hyalinen, spindelförmige in einer streifigen, netzförmige in einer maschigen Grundsubstanz. Das Haupt-Kriterium für die Scheidung der Gewebe beruht daher auf der Bestimmung der chemischen Qualität der Intercellularsubstanz. Bindegewebe wird ein Gewebe genannt, dessen Grundsubstanz beim Kochen Leim (Colla, Gluten) gibt; Knorpel liefert aus seiner Zwischenmasse Chondrin, Schleimgewebe einen durch Alkohol in Fäden fällbaren und in Wasser wieder aufquellenden, durch Essigsäure fällbaren und im Ueberschuss sich nicht lösenden, dagegen in Salz- und Salpetersäure löslichen Stoff, das Mucin (Schleimstoff).
Weitere Verschiedenheiten des Gewebes können sich späterhin einstellen durch die besondere Gestaltung und Füllung der einzelnen Zellen. Auch die Knorpel- und Bindegewebszellen führen zuweilen Farbstoffe, wie die epithelialen: es gibt also auch pigmentirte Bindesubstanz. Was wir kurzweg Fett nennen, ist ein Gewebe, welches sich hier unmittelbar anschliesst und welches sich wesentlich dadurch unterscheidet, dass die einzelnen Zellen sich haufenweise vermehren, vergrössern und mit Fett vollstopfen, wobei der Kern zur Seite gedrängt wird. An sich ist die Structur des Fettgewebes aber dieselbe wie die des Bindegewebes, und unter Umständen kann das Fett so vollständig schwinden, dass das Fettgewebe wieder auf einfaches gallertartiges Bindegewebe oder Schleimgewebe zurückgeführt wird8. Und umgekehrt kann nicht bloss Schleim- und Bindegewebe sich direct in Fettgewebe umwandeln, sondern es kann auch ganz direct fetthaltiges Mark aus Knorpel- oder Knochengewebe entstehen.
Fig. 24. Knochenkörperchen aus einem pathologischen Knochen von der Dura mater cerebralis. Man sieht die verästelten und anastomosirenden Fortsätze derselben (Knochenkanälchen) und innerhalb der Knochenkörperchen kleine Punkte, welche den trichterförmigen Anfang der Kanälchen bezeichnen. Vergröss. 600.
Unter den Geweben der Bindesubstanz besitzen diejenigen für die pathologische Anschauung die grösste Wichtigkeit, in welchen eine netzförmige Anordnung der Elemente besteht, oder anders ausgedrückt, in welchen die Elemente durch Ausläufer oder Fortsätze untereinander anastomosiren (Fig. 21; 22, A; 24). Ueberall, wo solche Anastomosen Statt finden, wo ein Element mit dem anderen zusammenhängt, da lässt sich mit einer gewissen Sicherheit darthun, dass diese Anastomosen eine Art von Röhren- oder Kanalsystem darstellen, welches den grossen Kanalsystemen des Körpers angereiht, welches namentlich neben den Blut- und Lymphkanälen als eine neue Erwerbung unserer Anschauungen betrachtet werden muss, also eine Art von Ersatz für die alten Vasa serosa bietet, die in der früher angenommenen Weise nicht existiren. Eine solche Einrichtung kommt vor im Faserknorpel, Bindegewebe, Knochen, Schleimgewebe an den verschiedensten Theilen und jedesmal unterscheiden sich die Gewebe, welche solche Anastomosen besitzen, von denen mit isolirten Elementen durch ihre grössere Fähigkeit, krankhafte Processe zu leiten. —
Nachdem wir die Gruppe der Epithelial- oder Epidermoidalformation und die der Bindesubstanzen betrachtet haben, so bleibt uns noch eine ebenso grosse, als wichtige Gruppe, deren einzelne Glieder freilich nicht in der Weise, wie dies bei der Epithelial- und Bindegewebs-Formation der Fall ist, eine wirkliche Verwandtschaft untereinander haben. Ihre Uebereinstimmung ist vielmehr eine physiologische, indem sie die höheren animalischen Gebilde darstellen, welche sich durch die specifische Art ihrer Einrichtung und Leistung von den mehr indifferenten Epithelial- und Bindegeweben unterscheiden. Hierhin zähle ich das Muskelgewebe, das Nervengewebe, die feineren Gefässe mit Blut, Lymphe und Lymphdrüsen. Allerdings sind diese Gewebe unter sich so verschieden, dass man aus jedem derselben eine besondere Gruppe bilden könnte. Ich will darüber nicht streiten. Indess spricht die praktische Bequemlichkeit, sämmtliche Gewebe höherer Dignität in eine einzige Gruppe zusammenzufassen, für meinen Vorschlag.
Ein anderer Umstand scheint auf den ersten Anblick die Nothwendigkeit einer solchen Vereinigung darzuthun. Gerade die Elemente der Hauptglieder dieser Gruppe stellen sich uns dar in der Form von zusammenhängenden, weithin durch den Körper verbreiteten, mehr oder weniger röhrenartigen Gebilden. Wenn man Muskeln, Nerven und Capillaren mit einander vergleicht, so kann man sehr leicht zu der Vorstellung kommen, es handle sich bei allen dreien um wirkliche Röhren, welche mit einem bald mehr, bald weniger beweglichen Inhalt gefüllt seien. Diese Vorstellung, so bequem sie für eine oberflächliche Anschauung ist, genügt jedoch deshalb nicht, weil wir den Inhalt der verschiedenen Röhren nicht einfach vergleichen können. Das Blut, welches in den Gefässen enthalten ist, lässt sich nicht als ein Analogen des Axencylinders oder des Markes einer Nervenröhre, oder der contractilen Substanz eines Muskelprimitivbündels betrachten. Allerdings ist die Entwickelung mancher Gebilde, welche ich in dieser Gruppe zusammenfasse, noch ein Gegenstand grosser Differenzen, und die Ansicht über die zellige Natur vieler der hier einschlagenden Elemente findet noch Widersacher. So viel ist indess sicher, wenn wir die fötale Entwickelung ins Auge fassen, dass die Blutkörperchen ebenso gut Zellen sind, wie die einzelnen Elemente der Gefässwand, innerhalb deren das Blut strömt, und dass man das Gefäss nicht als eine einfache Röhre bezeichnen kann, welche die Blutkörperchen umfasst, wie eine Zellmembran ihren Inhalt. Deshalb ist es nothwendig, dass man bei den Gefässen den Inhalt von der Wand, dem eigentlichen Gefässe trennt und dass man die Aehnlichkeit der Gefässe mit den Nervenröhren und Muskelbündeln nicht zu stark hervorhebt. Von entschiedener Bedeutung ist auch hier die Entwickelungsgeschichte. Nur was genetisch zusammengehört, muss zusammengehalten werden. Es ist aus diesem Grunde berechtigt, zum Blute die Lymphdrüsen hinzuzunehmen, insofern das Verhältniss beider zu einander ein gleiches ist, wie wir es bei den Epithelialformationen zwischen Epidermis und Rete angetroffen haben. Die Lymphdrüsen unterscheiden sich von den eigentlichen Drüsen nicht allein dadurch, dass sie keinen Ausführungsgang im gewöhnlichen Sinne des Wortes besitzen, sondern sie stehen auch ihrer Entwickelung nach keineswegs den gewöhnlichen Drüsen gleich; in ihrer ganzen Geschichte schliessen sie sich so eng an die Gewebe der Bindesubstanz, dass man eher versucht sein kann, anzunehmen, dass sie aus einer Umwandlung von Bindegewebe hervorgehen.
Bei der Mehrzahl der höheren Gewebe tritt noch eine eigenthümliche Schwierigkeit hervor, welche wir schon bei den Drüsen (S. 38) kennen gelernt haben. Manche dieser Gewebe kommen überhaupt nirgends ganz rein vor. Sie sind vielmehr gemischt und zusammengehalten durch interstitielles Gewebe, welches von den specifischen Elementen ganz verschieden ist und ausnahmslos irgend einer Art von Bindesubstanz angehört. Es entsteht daher in der Regel ein zusammengesetzter, organartiger Bau, dessen Erforschung grosse Vorsicht erfordert, da sehr leicht die mehr indifferenten Elemente des interstitiellen Gewebes (welches wohl von Intercellularsubstanz zu unterscheiden ist) mit den eigentlich functionellen Elementen verwechselt werden können. Ein Muskel besteht aus wirklich muskulösen Elementen und Interstitialgewebe mit Bindegewebskörperchen, zu welchen noch Gefässe und Nerven hinzukommen. Das Gehirn enthält Nervenzellen, Nervenfasern und Interstitialgewebe mit einfachen Zellen, Gefässe u. s. w. Gehirnzellen im strengen Sinne des Wortes sind Nerven- oder Ganglienzellen, im weiteren können auch Gliazellen ebenso genannt werden.
Fig. 25. Eine Gruppe von Muskelprimitivbündeln (Muskelfasern). a. Die natürliche Erscheinung eines frischen Primitivbündels mit seinen Querstreifen (Bändern oder Scheiben). b. Ein Bündel nach leichter Einwirkung von Essigsäure; die Kerne treten deutlich hervor und man sieht in dem einen zwei Kernkörperchen, den anderen völlig getheilt. c. Stärkere Einwirkung der Essigsäure: der Inhalt quillt am Ende aus der Scheide (Sarcolemm) hervor. d. Fettige Atrophie. Vergröss. 300.
Unter den Gliedern der hier in Rede stehenden Gruppe hat man gewöhnlich die muskulösen Elemente als die einfachsten betrachtet. Untersucht man einen gewöhnlichen rothen Muskel, so findet man ihn wesentlich zusammengesetzt aus einer Menge von meistentheils gleich dicken Cylindern (den Primitivbündeln oder Muskelfasern), die auf einem Querschnitte sich als runde Körper darstellen. An ihnen nimmt man alsbald die bekannten Querstreifen wahr, das heisst breite Linien, welche sich gewöhnlich etwas zackig über die Oberfläche des Bündels erstrecken, und welche nahezu so breit sind, wie die Zwischenräume, welche sie trennen (Fig. 25, a). Neben dieser Querstreifung sieht man weiterhin, namentlich nach gewissen Präparationsmethoden, eine der Länge nach verlaufende Streifung, die sogar in manchen Präparaten so überwiegend wird, dass das Muskelbündel fast nur längsgestreift erscheint. Wendet man nun Essigsäure an, so zeigen sich, während die Streifen erblassen, an der Wand, hier und da auch mehr gegen die Mitte des Cylinders hin, in gewissen Abständen grosse, rundlich-ovale Kerne mit glänzenden, ziemlich grossen Kernkörperchen, bald in grösserer, bald in kleinerer Zahl. Auf diese Weise gewinnen wir, nachdem wir durch die Einwirkung der Essigsäure die innere Substanz geklärt haben, ein Bild, welches an Zellenformen erinnert, und man ist daher um so mehr geneigt gewesen, das ganze Primitivbündel als aus einer einzigen Zelle hervorgegangen anzusehen, als nach der älteren Ansicht innerhalb eines jeden Muskels die einzelnen Primitivbündel von dem einen Insertionspunkte bis zu dem andern reichen sollten, also so lang gedacht wurden, als der Muskel selbst. Letztere Annahme ist freilich durch Untersuchungen, welche unter Brücke's Leitung in Wien durch Rollett angestellt wurden, erschüttert worden, indem dieser nachwies, dass im Verlaufe vieler Muskeln sich Enden der Primitivbündel mit zulaufenden Spitzen finden. Diese Enden schieben sich ineinander, und es entspricht demnach keineswegs die Länge aller Primitivbündel der ganzen Ausdehnung des Muskels. Allein diese Entdeckung, statt die Ansicht von der zelligen Natur der Primitivbündel zu erschüttern, hat sie vielmehr befestigt; sie zeigt, dass auch das fertige Muskelprimitivbündel sich verhält, wie eine Faserzelle (Fig. 105, A).
Die einzige bekannte Ausnahme von dieser Einrichtung findet sich, wie Eberth gefunden hat, an der Herzmuskulatur, welche durch das Bestehen verzweigter und anastomosirender Bündel schon seit Leeuwenhoek die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, und welche auch durch den Mangel eines ausgebildeten Sarcolemma eine so eigenthümliche Stellung einnimmt. Hier gibt es statt der Faserzellen kürzere, mit platten Enden oder eckigen Grenzen aneinanderstossende und so mit einander verschmelzende Abtheilungen, von denen jede für sich einer Zelle entspricht.
Auf der anderen Seite sind gerade in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten Beobachtungen gemacht worden, welche eher geeignet schienen, die einzellige Natur der Primitivbündel in Zweifel zu ziehen. Leydig hat zuerst die Ansicht aufgestellt, dass in jedem Cylinder (Primitivbündel) eine Reihe von zelligen Elementen kleinerer Art enthalten sei. In der That liegt jeder Kern in einer besonderen, langgestreckten Lücke, welche durch das Auseinanderrücken der quergestreiften (contractilen) Substanz des Bündels gebildet wird. Die Lücke ist nach Leydig von einer besondern Membran umschlossen und sie stellt nach seiner Ansicht eine intramusculäre Zelle vor. Es handelt sich, sobald diese letzte Zusammensetzung discutirt wird, um äusserst schwierige Verhältnisse, und ich bekenne, dass, so sehr ich von der ursprünglich einzelligen Natur der Primitivbündel überzeugt bin, ich doch die sonderbaren Erscheinungen im Innern derselben zu gut kenne, als dass ich nicht zugestehen müsste, dass eine andere Ansicht aufgestellt werden könne.
An jedem Cylinder (Primitivbündel) kann man leicht eine membranöse äussere Hülle (Sarcolemma) und einen Inhalt unterscheiden. In letzterem liegen die Kerne und an ihm kann man im natürlichen Zustande die eigenthümliche Quer- und Längsstreifung erkennen. Diese Streifung ist durchaus eine innere und nicht eine äussere. Die Membran an sich ist vollkommen glatt und eben; die Querstreifung gehört dem Inhalt an, welcher im Grossen die eigentliche rothe Muskelmasse, das Fleisch darstellt. Jedes Primitivbündel ist daher ein nach beiden Seiten hin zugespitzt endigender, meist sehr langer Cylinder, der eine Membran, einen Inhalt und Kerne besitzt, also die Eigenschaften einer sehr verlängerten Zelle darbietet. Damit stimmt die Entwickelungsgeschichte überein, insofern jedes Primitivbündel in der That durch doppelseitiges Wachsthum aus einer einzigen, ursprünglich ganz einfachen Bildungszelle hervorgeht, in welcher sich erst allmählich der specifische Inhalt, die Fleischsubstanz ablagert. Nun sieht man aber von Anfang an, dass die Ablagerung dieses specifischen Inhalts nicht an allen Punkten der Zellen erfolgt, sondern dass die nächste Umgebung des Kerns frei davon bleibt. Auch für pathologisch neugebildete Muskelzellen habe ich dies nachgewiesen9. Je grösser die Muskelzellen werden, um so mehr tritt diese von specifischem Inhalt freie Lücke um den Kern hervor, und zwar so, dass sie, wenn man den Cylinder von der Fläche aus betrachtet, als ein spindelförmiger Raum erscheint, während er auf einem Querdurchschnitt meist eckig oder sternförmig aussieht und nicht selten sich in verästelte und anastomosirende Fortsätze verfolgen lässt. Letztere nimmt man zuweilen, namentlich am Herzmuskel des Menschen, auch bei der Betrachtung von der Fläche her als feine interfibrilläre Linien oder Striche wahr (Fig. 26, C). Wie mir scheint, erstrecken sich diese Fortsätze ununterbrochen in das von Cohnheim entdeckte intermusculäre Gitterwerk, welches die Fleischsubstanz durchsetzt. Aber die Ansichten über die Natur der um die Kerne gelegenen Zeichnungen gehen noch weit auseinander. Während Leydig, wie erwähnt, sie als eine Art von Bindegewebskörperchen und die specifische Inhaltsmasse des Primitivbündels als ein Analogon der Bindegewebs-Intercellularsubstanz betrachtet, nimmt Rollett sie mit den dazu gehörigen Fortsätzen als ein intramusculäres Lacunensystem. Max Schultze endlich denkt sich diese von ihm als Muskelkörperchen bezeichneten Gebilde als membranlose Körper, nur aus Kern und Protoplasma bestehend, so jedoch, dass das Protoplasma derselben mit dem in der übrigen Fleischsubstanz vorhandenen und hier durch die Einlagerung anderer Bestandtheile zum Theil verdeckten Protoplasma continuirlich zusammenhänge.
Fig. 26. Muskelelemente aus dem Herzfleische einer Puerpera. A. Eigenthümliche, den Faserzellen der Milzpulpe ganz ähnliche Spindelzellen, vielleicht dem Sarcolemma angehörig, bei dem Zerzupfen des Präparates frei geworden. a. halbmondförmig gekrümmte, an einem Ende etwas platte Zelle, von der Fläche gesehen, b. eine ähnliche, von der Seite gesehen, der Kern platt, c. d. Zellen, deren Kerne in einer herniösen Ausbuchtung der Membran liegen; e. eine ähnliche Zelle, von der Fläche gesehen, der Kern wie aufgelagert. B. Ein Primitivbündel ohne Hülle (Sarcolemma) mit deutlichen Längsfibrillen und grossen rundlichen Kernen, von denen einer zwei Kernkörperchen enthält (beginnende Theilung). C. Ein Primitivbündel, zerzupft und leicht durch Essigsäure gelichtet; ausser einem getheilten Kerne sieht man zwischen den Längsfibrillen feine pfriemenförmige Striche, die Andeutung von Ausläufern der intramuskulären Körper (Lücken, Zellen). – Vergröss. 300.
Zunächst fragt es sich hier also, ob die Gebilde von Membranen begrenzt sind, wie vollständige Zellen, oder nicht; sodann, ob sie nur Lacunen und feinste Kanäle darstellen, oder Körper mit Fortsätzen. Beides ist sehr schwer zu entscheiden, und es ist mir nicht gelungen, constante Resultate zu erlangen. An Froschmuskeln, wie es Sczelkow ganz richtig dargelegt hat10, findet sich eine so deutlich durch scharfe, dunkle Contouren begrenzte Zeichnung, dass man an der Existenz von Membranen kaum zweifeln möchte; am Herzmuskel des Menschen habe ich häufig, jedoch nicht in der Mehrzahl der Fälle, dasselbe gesehen. Unter pathologischen Verhältnissen, wie von A. Böttcher, namentlich aber von C. O. Weber gezeigt ist, und wie ich bestätigen kann, findet man um die Kerne blasige, durchaus zellenähnliche Gebilde, oder doch sehr deutliche, differente Absätze, z. B. Pigmentkörnchen (in der braunen Atrophie). In der grossen Mehrzahl der Muskeln kann ich von Membranen nichts erkennen und noch weniger Körper oder Fortsätze isoliren. Es ist daher wohl möglich, dass die Beschaffenheit dieser Gebilde eine wechselnde ist; jedenfalls können wir von der Entscheidung dieser Frage unser Urtheil nicht abhängig machen, da wir aus der Entwickelungsgeschichte ganz bestimmt wissen, dass die fraglichen Gebilde im Innern von Zellen entstehen.
Wir müssen daher das Primitivbündel (die Muskelfaser) als eine ursprünglich einfache, jedoch späterhin zusammengesetzte Zelle betrachten, welche im entwickelten Zustande sowohl kernhaltige Muskelkörperchen, als eine specifische Inhaltsmasse umschliesst. Letztere ist es, an der unzweifelhaft die Eigenschaft der Contractilität haftet, und die je nach dem Zustande der Contraction selbst in ihren Erscheinungen variirt, indem sie bei der Contraction kürzer und breiter wird, während die Zwischenräume zwischen den einzelnen Querbändern oder Streifen sich etwas verschmälern. Es erfolgt also bei der Contraction eine Umordnung der kleinsten Bestandtheile, und zwar, wie aus den Untersuchungen von Brücke hervorgeht, nicht bloss der physikalischen Molecüle, sondern auch der sichtbaren anatomischen Bestandtheile. Brücke hat nehmlich, indem er den Muskel im polarisirten Lichte untersuchte, verschiedene optische Eigenschaften der einzelnen Substanzlagen gefunden, derer, welche die Querstreifen und derer, welche die Zwischenmasse darstellen. Jene bestehen aus Theilchen, welche das Licht doppelt brechen (Disdiaklasten), diese nicht.
Bei gewissen Methoden der Präparation kann man den Inhalt eines jeden Muskel-Primitivbündels in Platten oder Scheiben (Bowman's discs) zerlegen, welche ihrerseits wieder aus lauter kleinen Körnchen (Bowman's sarcous elements) zusammengesetzt sind. In Wirklichkeit besteht jedoch der Inhalt des Primitivbündels aus einer grossen Menge feiner Längsfibrillen, von denen jede, entsprechend der Lage der Querstreifen oder scheinbaren Scheiben des Primitivbündels, kleine Körner enthält, welche durch eine blasse Zwischenmasse zusammengehalten werden. Indem nun viele Primitivfibrillen zusammenliegen, so entsteht durch die symmetrische Lage der kleinen Körnchen eben der Anschein von Scheiben, die eigentlich nicht vorhanden sind. Je nach der Thätigkeit des Muskels nehmen diese Theile eine veränderte Stellung zu einander an: bei der Contraction nähern sich die Körner einander, während die Zwischensubstanz kürzer und zugleich breiter wird.
Fig. 27. Glatte Muskeln aus der Wand der Harnblase. A. Zusammenhängendes Bündel, aus dem bei a, a einzelne, isolirte Faserzellen hervortreten, während bei b die einfachen Durchschnitte derselben erscheinen. B. Ein solches Bündel nach Behandlung mit Essigsäure, wo die langen und schmalen Kerne deutlich werden; a und b wie oben. – Vergr. 300.
Verhältnissmässig sehr viel einfacher erscheint die Zusammensetzung der glatten, organischen oder, obgleich weniger bezeichnend, unwillkürlichen Muskelfasern. Wenn man irgend einen Theil derjenigen Organe, worin glatte Muskelfasern enthalten sind, untersucht, so findet man in der Mehrzahl der Fälle zunächst in ähnlicher Weise, wie bei den quergestreiften Muskeln, kleine Bündel, z. B. in der Muskelhaut der Harnblase. Innerhalb dieser Fascikel unterscheidet man bei weiterer Untersuchung eine Reihe von einzelnen Elementen, von denen eine gewisse Zahl, 6, 10, 20 und mehr durch eine gemeinschaftliche Bindemasse zusammengehalten wird. Nach der Vorstellung, welche bis in die letzten Tage allgemein gültig war, würde jedes einzelne dieser Elemente ein Analogon des Primitivbündels der quergestreiften Muskeln darstellen. Denn sobald es gelingt, diese Fascikel in ihre feineren Bestandtheile zu zerlegen, so bekommt man als letzte Elemente lange spindelförmige Zellen, die in der Regel in der Mitte einen Kern besitzen (Fig. 6, b). Nach derjenigen Anschauung dagegen, welche in den letzten Tagen von verschiedenen Seiten anfängt bewegt zu werden, namentlich angeregt durch Leydig's Untersuchungen, würde man vielmehr ein Fascikel, worin eine ganze Reihe von Faserzellen enthalten ist, als Analogon eines quergestreiften Primitivbündels betrachten müssen. Berücksichtige ich jedoch die Entwickelungsgeschichte, so erscheint es mir zweckmässig und den bekannten Thatsachen am meisten entsprechend, die einzelne Faserzelle als Aequivalent des Primitivbündels festzuhalten.
An einer solchen spindelförmigen oder Faser-Zelle ist es schwer, ausser dem Kern und dem Zellkörper etwas Besonderes zu unterscheiden. Bei recht grossen Zellen und bei starker Vergrösserung unterscheidet man allerdings häufig eine feine Längsstreifung (Fig. 6, b), so dass es aussieht, als ob auch hier im Innern eine Art von Fibrillen der Länge nach geordnet wäre, während von einer Querstreifung nur bei der Contraction (Meissner) etwas wahrzunehmen ist. Trotzdem haben die blassen, glatten Muskeln chemisch eine ziemlich grosse Uebereinstimmung mit den quergestreiften, indem man eine ähnliche Substanz (das sogenannte Syntonin Lehmann's) aus beiden ausziehen kann durch verdünnte Salzsäure, und indem gerade einer der am meisten characteristischen Bestandtheile, das Kreatin, welches in dem Muskelfleisch der rothen Theile gefunden wird, nach der Untersuchung von G. Siegmund auch in den glatten Muskeln des Uterus vorkommt. Brücke hat neuerlich auch in glatten Muskeln eine doppeltbrechende Substanz nachgewiesen.
Ausserordentlich häufig findet man bei der Untersuchung von rothen Muskeln pathologisch interessante Stellen, insbesondere Bündel, welche das Bild des Muskels in der sogenannten progressiven (fettigen) Atrophie darbieten. Ein solches degenerirtes Bündel ist meist kleiner und schmäler, und zugleich zeigen sich zwischen den Längsfibrillen kleine Fettkörnchen aufgereiht (Fig. 25, d). Was an den Muskeln die Atrophie überhaupt macht, ist die Verkleinerung des Durchmessers der Primitivbündel, also die Abnahme der Fleischsubstanz; bei der fettigen Atrophie kommt dazu noch die gröbere Veränderung, dass im Innern des Primitivbündels kleine Reihen von Fettkörnchen auftreten, unter deren Vermehrung die eigentliche contractile Substanz an Masse abnimmt. Je mehr Fett, desto weniger contractile Substanz, oder mit anderen Worten: der Muskel wird weniger leistungsfähig, je geringer der normale Inhalt seiner Primitivbündel wird. Auch die pathologische Erfahrung bezeichnet daher als die Trägerin der Contractilität eine bestimmte Substanz.
Sehen wir hier zunächst ab von der Contractilität kleiner Zellen, welche für die Beurtheilung der sogenannten motorischen Vorgänge ohne Bedeutung sind, und halten wir uns an jene Erscheinungen, welche Ortsveränderungen zusammengesetzter Theile bedingen, so finden wir als Grund derselben überall muskulöse Elemente. Während man früher neben der Muskelsubstanz noch manche andere Dinge, z. B. das Bindegewebe (als Ganzes, nicht bloss in seinen Zellen) als contractil annahm, so hat sich, namentlich seit den wichtigen Entdeckungen von Kölliker, die Lehre von den Bewegungen im menschlichen Körper eigentlich auf jene Substanz zurückgezogen, und es ist gelungen, fast alle die so mannichfaltigen und zum Theil so sonderbaren motorischen Phänomene auf die Existenz von grösseren oder kleineren Theilen wirklich muskulöser Natur zurückzuführen. So liegen in der Haut des Menschen kleine Muskeln, ungefähr so gross, wie die kleinsten Fascikel von der Harnblasenwand, aus ganz kleinen Faserzellen bestehende Bündel, welche vom Grunde der Haarfollikel gegen die Haut verlaufen, und welche, wenn sie sich zusammenziehen, die Oberfläche der Haut gegen die Wurzel des Haarbalges nähern. Das Resultat davon ist natürlich, dass die Haut uneben wird und man, wie man sagt, eine Gänsehaut bekommt. Dies sonderbare Phänomen, welches nach den früheren Anschauungen unerklärlich war, wurde sofort und einfach erklärt durch den Nachweis jener rein mikroskopischen Muskeln, der Arrectores pilorum.
Fig. 28. Kleine Arterie aus der Basis des Grosshirns nach Behandlung mit Essigsäure. A kleiner Stamm, B und C gröbere Aeste, D und D feinste Aeste (capillare Arterien). a, a Adventitia mit Kernen, welche, der Längenausdehnung entsprechend, anfangs in doppelter, später in einfacher Lage sich finden, mit streifiger Grundsubstanz, bei D und E einfache Lage mit Längskernen, hier und da durch Fettkörnchenhaufen ersetzt (fettige Degeneration). b, b Media (Ringfaser- oder Muskelhaut) mit langen, walzenförmigen Kernen, welche quer um das Gefäss verlaufen und am Rande (auf dem scheinbaren Querschnitt) als runde Körper erscheinen; bei D und E immer seltener werdende Querkerne der Media. c, c Intima, bei D und E mit Längskernen. Vergr. 300.
So wissen wir gegenwärtig, dass die mittlere Haut grösserer Gefässe grossentheils aus Elementen dieser Art besteht, und dass die Contractionsphänomene der Gefässe einzig und allein auf die Wirkung von Muskeln zurückbezogen werden müssen, welche in ihnen in Form von Ring- oder Längsmuskeln enthalten sind. Eine kleine Vene oder eine kleine Arterie kann sich nur soweit zusammenziehen, als sie mit Muskeln versehen ist; sie unterscheiden sich hauptsächlich durch den Umstand, dass entweder mehr die Längs- oder mehr die Quermuskulatur entwickelt ist.
Diese Beispiele sind besonders geeignet zu zeigen, wie eine einfache anatomische Entdeckung die wichtigsten Aufschlüsse über zum Theil ganz weit auseinanderliegende physiologische Erfahrungen gibt, und wie an den Nachweis bestimmter morphologischer Elemente sofort die wichtigsten Verdeutlichungen von Funktionen geknüpft werden können, die ohne eine solche thatsächliche Voraussetzung ganz unbegreiflich sein würden oder eine ganz willkürliche Erklärung finden müssten.
Ich übergehe es hier, über die feineren Einrichtungen des Nervenapparates zu sprechen, weil ich später im Zusammenhange darauf zurückkommen werde; sonst würde dies der Gegenstand sein, welcher hier zunächst anzuschliessen wäre, weil zwischen Muskel- und Nervenfasern in der Einrichtung vielfache Aehnlichkeiten bestehen. Zu den Nerven gehören aber nothwendig die Ganglienzellen, welche die einzelnen Fasern untereinander verbinden, und welche als die wichtigsten Sammelpunkte des ganzen Nervenlebens betrachtet werden müssen, und ich verspare mir daher die Betrachtung dieser Gebilde für spätere Capitel.
Auch über die Einrichtung des Gefässapparates will ich hier nicht im Zusammenhange handeln, und nur so viel sagen, als nöthig ist, um eine vorläufige Anschauung zu geben.
Das Capillar-Gefäss ist eine einfache Röhre (Fig. 4, c.), welche bei der mikroskopischen Betrachtung aus einer einfachen Haut zu bestehen scheint, an welcher nichts wahrzunehmen ist, als von Strecke zu Strecke platte Kernen, welche, wenn das Gefäss von der Fläche angesehen wird, dasselbe Bild darbieten, wie an den Muskelelementen, welche aber gewöhnlich mehr am Rande bemerkbar werden und hier pfriemenförmig oder oval erscheinen, indem man nur ihre scharfe Kante oder einen kleineren Theil ihrer Fläche wahrnimmt. In der Nähe ihres Ursprunges aus den Arterien schliesst sich äusserlich noch eine feine, aus Bindegewebe bestehende Adventitia an. Bis vor Kurzem war man allgemein der Meinung, dass die Capillar-Membran ganz continuirlich sei und nur aus pathologischen Erscheinungen schloss ich (S. 19. Fig. 10, c.), dass sie in einzelne Zellenterritorien zu zerlegen sei. Mein damaliges Schema ist durch Untersuchungen von Auerbach, Eberth und Hoyer im Jahre 1865 als der Ausdruck einer thatsächlichen Zusammensetzung aus platten Zellen bestätigt worden, deren Grenzen sich durch Anwendung von Reagentien, namentlich von Silbernitrat deutlich nachweisen lassen. Ob man diese Zellen als blosse Epithelien und die Capillaren dem entsprechend als blosse Intercellulargänge zu betrachten habe, ist mir jedoch zweifelhaft, da die Entwickelungsgeschichte der Capillaren mit der sonst bekannten Entstehung der epithelialen Gebilde nicht ganz übereinstimmt.
Diese einfachsten Gefässe sind es, welche wir heut zu Tage einzig und allein Capillaren nennen. Von ihnen können wir nicht sagen, dass sie sich durch eigene Thätigkeit erweitern oder verengern, höchstens dass ihre Elasticität eine Verengung möglich macht. Mit Ausnahme von Stricker hat niemand in neuerer Zeit an ihnen eigentliche Vorgänge der Contraction oder des Nachlasses derselben bemerkt. Die früheren Discussionen über die Contractilität der Capillaren sind wesentlich auf kleine Arterien und Venen zu beziehen, deren Lumen sich durch Contraction ihrer Muskelwand verengt oder sich bei Nachlass der Contraction unter dem Blutdrucke erweitert. Es war dies eine überaus wichtige Thatsache, welche sofort aus der genaueren histologischen Kenntniss der feineren und grösseren Gefässe hervorging; sie lehrte, dass man überhaupt nicht von allgemeinen Eigenschaften, am wenigsten von einer überall in gleicher Weise vorhandenen Thätigkeit der Gefässe sprechen kann, insofern der capillare Theil wesentlich anders gebaut ist, als die kleinen Arterien und Venen. Diese sind höchst zusammengesetzte Organe, während das Capillargefäss eine einfache Röhre von fest elementarem Bau darstellt.
6
Vgl. meine Abhandlung zur normalen und pathologischen Anatomie der Nagel und der Oberhaut, insbesondere über hornige Entartung und Pilzbildung an den Nägeln. Vgl. Würzb. Verhandl. 1854. V. 83.
7
Vergl. meine Abhandlung über das Bindegewebe in den Würzburger Verhandl. 1851. II. 150.
8
Archiv f. path. Anatomie und Physiol. 1859. XVI. 15.
9
Würzb. Verhandl. 1850. I. 189. Archiv f. path. Anat. 1854. VII. 137. Taf. II. Fig. 4.
10
Archiv f. path. Anat. 1860. XIX. 215. Taf. V.