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Fünftes Capitel.
Die Ernährung und ihre Wege
ОглавлениеSelbsterhaltung als Grundlage der Lehre vom Leben. Ernährung und Stoffwechsel. Ernährung im Sinne des Gesammt-Organismus: Nahrungsstoffe, Verdauung, Circulation. Ernährung im cellularen Sinne. Endosmose und Exosmose, todter Stoffwechsel. Intermediärer Stoffwechsel (Transito-Verkehr). Eigentlich nutritiver Stoffwechsel. Ernährungseinheiten und Krankheitsheerde.
Thätigkeit der Gefässe bei der Ernährung. Verhältniss von Gefäss und Gewebe. Leber. Niere. Gehirn. Muskelhaut des Magens. Knorpel. Knochen.
Abhängigkeit der Gewebe von den Gefässen. Metastasen. Gefässterritorien (vasculäre Einheiten). Die Ernährungsleitung in den Saftkanälen der Gewebe. Knochen. Zahn. Faserknorpel. Hornhaut. Bandscheiben.
Die Grundlage aller Vorstellungen über das Leben bildet die Erfahrung von der allem Lebendigen zukommenden Fähigkeit der Selbsterhaltung. Sowohl das organische Gesammt-Individuum, als die einzelne Zelle sind vermöge ihrer inneren Einrichtung (Organisation) befähigt, sich unter den mannichfaltigsten äusseren Verhältnissen zu erhalten, Störungen, die sie erlitten haben, auszugleichen (zu reguliren), und eine Reihe von Thätigkeiten zu äussern, deren einfachstes Ergebniss die Erhaltung des Status quo ist. Die Gesammtheit der Vorgänge, durch welche dieses Ergebniss erzielt wird, pflegt man mit einem allerdings sehr dehnbaren und daher auch häufig nur wenig zutreffenden Ausdrucke Ernährung (Nutrition) zu nennen19. Als das eigentliche Wesen der Ernährung gilt wiederum sehr allgemein der Stoffwechsel, d. h. die Aufnahme, Assimilation, Zersetzung (Desintegration) und Wiederausscheidung gewisser Stoffe, welche dieser Anschauung entsprechend Nahrungsstoffe genannt werden.
Es ist leicht verständlich, dass in der Meinung vieler Physiologen und Pathologen, namentlich vieler praktischen Aerzte die Lehre von der Ernährung als der Ausgangspunkt aller weiteren Erörterungen erscheint, und wir wollen daher diesen Punkt sofort besprechen, um so mehr, als ich die überlieferten Vorstellungen in mehrfacher Beziehung nicht als berechtigt anerkenne. Selbst die Physiologie hat erst in den letzten Jahren angefangen, sich derjenigen Betrachtungsweise anzunähern, welche ich seit langer Zeit als die entscheidende vertheidigt habe. Zwei Umstände namentlich sind es gewesen, welche die Vereinbarung erschwert haben. Einerseits die hervorragende Stellung, welche den Vorgängen der Ernährung im Gesammt-Organismus angewiesen wurde. Die Folge davon war, dass man die Forschung wesentlich auf die Geschichte der Nahrungsstoffe in den „ersten Wegen“, d. h. die Verdauung, und im Blute beschränkte, dass man also gewissermaassen da Halt machte, wo in der cellularen Anschauung die Ernährung im engeren Sinne eigentlich erst beginnt, nehmlich an den Geweben. Denn begreiflicherweise sind für denjenigen, welcher die Ernährung der einzelnen Theile als das Wesentliche ansieht, alle anderen Vorgänge nur Vorbereitungen, und so wichtig Verdauung und Circulation auch sein mögen, so können sie doch nur als Akte gelten, welche die Bestimmung haben, den Elementartheilen geeignetes Material für ihre Ernährung zu liefern. – Andererseits war der Umstand für die Einigung der verschiedenen Forscher hinderlich, dass man glaubte, mit dem blossen äusserlichen Stoffwechsel, der sogenannten Endosmose und Exosmose, das Hauptsächliche der Ernährung abgethan zu haben. Man übersah dabei, dass es auch im Todten einen Stoffwechsel gibt, wie die Geschichte der im menschlichen Körper selbst eingeschlossenen mortificirten Theile deutlich erkennen lässt20, und dass es viel mehr auf den inneren Stoffwechsel ankommt, der sich durch blosse Endosmose und Exosmose nur unvollständig erkennen lässt. Aufnahme und Abgabe von Stoffen können erfolgen, ohne dass damit eine Ernährung bewirkt wird. Gleichwie ein Infusorium ein Indigokorn oder den Kieselpanzer einer Diatomee „frisst“, möglicherweise ohne Mund und Magen in sein Inneres aufnimmt, und diese Körper nachher wieder, möglicherweise ohne After, auswirft, so „fressen“ viele Zellen Fett, ohne es zu assimiliren oder zu verbrauchen, und sie werfen es später wieder aus, ohne es „verdaut“ zu haben. Dieser, wie ich ihn genannt habe21, nur intermediäre Stoffwechsel (Transito-Verkehr) ist von dem eigentlich nutritiven wohl zu trennen.
Ich bin von Anfang an22 davon ausgegangen, dass die Zellen die eigentlichen Ernährungseinheiten seien und dass sie gerade aus diesem Grunde auch als die eigentlichen Krankheitseinheiten (Krankheitsheerde) aufgefasst werden müssten. Meine eigenen Vorstellungen haben sich insofern erweitert, als ich später in schärferer Weise, als es mir ursprünglich erschien, die formativen und functionellen Vorgänge von den nutritiven getrennt habe. Trotzdem muss ich noch gegenwärtig daran festhalten, dass die cellulare Nutrition in der That die erste Grundlage für die Betrachtung der vitalen Vorgänge bildet. In diesem Sinne wollen wir uns auch zunächst mit ihr beschäftigen.
Gewöhnlich betrachtet man in der Lehre von der Ernährung die Gefässe als diejenigen Kanäle, welche nicht nur den Stoffverkehr vermitteln, sondern auch durch bald active, bald passive Hülfe den einzelnen Theil in seinem Stoffverkehr überwachen. Seit lange hat man daher das Bestimmende bei dem Ernährungsvorgange mit einem Ausdrucke, der sich auch in die heutige Sprache hinübergeschlichen hat, in der Thätigkeit der Gefässe gesucht, wie wenn die Gefässe ein unmittelbares Regiment über die ihnen benachbarten oder von ihnen versorgten Gewebstheile ausübten.
Wie ich schon früher bei Gelegenheit der Muskelfasern hervorhob (S. 61), so können wir heut zu Tage von einer Action der Gefässe nur in so weit sprechen, als Muskelfasern in denselben vorhanden sind, und als sich demnach die Gefässe durch Zusammenziehung ihrer Muskeln verengern oder verkürzen können. Die Verengerung hat das Resultat, dass der Durchtritt der Flüssigkeiten gehemmt wird, während umgekehrt bei Erschlaffung oder Lähmung der Muskeln das durch den Blutdruck erweiterte Gefäss den Durchtritt der Flüssigkeiten begünstigen kann. Gestehen wir dies zu, aber vergessen wir auch nicht, die Gewebsmasse, welche neben den Gefässen liegt, und welche man sich gewöhnlich als eine sehr einfache und träge Masse vorstellt, mit in Betracht zu ziehen.
Fig. 32. Stück von der Peripherie der Leber eines Kaninchens; die Gefässe vollkommen injicirt. Vergr. 11.
Wenn wir Theile wählen, in welchen die Gefässe recht dicht liegen, in welchen vielleicht fast eben so viel an Gefässen vorhanden ist, als an Gewebe, so sehen wir, dass jedes einzelne Spatium, welches zwischen den Gefässen übrig bleibt, durch eine ganz kleine Zahl von Elementen erfüllt wird. Ein solches Organ ist die Leber, bei der in der That dieses Verhältniss ganz zutrifft. Denn eine Leber im gefüllten Zustande der Gefässe hat nahezu so viel Volumen Gefäss, als eigentliche Lebersubstanz. Betrachten wir einen einzelnen Acinus der Leber für sich, so finden wir in dem glücklichsten Falle des Querschnittes in seiner Mitte die Vena centralis oder intralobularis, die zur Lebervene geht, im Umfange Aeste der Pfortader, welche in das Innere des Acinus capillare Zweige senden. Letztere bilden sofort ein Anfangs langmaschiges, später kürzeres Netz, welches sich in der Richtung gegen die Vena centralis (hepatica) fortsetzt und zuletzt in dieselbe einmündet. Das Blut strömt also, indem es von der V. interlobularis (portalis) eintritt, durch das Capillarnetz hindurch zur Vena intralobularis, von wo es durch die Venae hepaticae wieder zum Herzen zurückgeführt wird. Hat man nun eine injicirte Leber vor sich, so sieht man dieses Netz so dicht, dass dasjenige Gewebe, welches die Maschen des Netzes erfüllt, fast geringer an Masse erscheint, als der Raum, welcher von den Gefässen eingenommen wird. So kann man sich leicht vorstellen, wie die älteren Autoren, vor Allen Ruysch, durch ihre Injectionen auf die Vermuthung kommen konnten, dass fast Alles im Körper aus Gefässen bestände und dass die verschiedenen Organe nur durch Differenzen in der Anordnung ihrer Gefässe sich unterschieden. Gerade umgekehrt, wie an einem Injectionspräparat, erscheint jedoch das Verhältniss an einem gewöhnlichen Präparat aus einer blutleeren Leber. Hier nimmt man die Gefässe fast gar nicht wahr. Man sieht wohl ein ähnliches Netz, aber dies ist das Netz der Leberzellen (Fig. 29), welche, dicht an einander gedrängt, allein vorhanden zu sein scheinen. Es ergiebt sich also, dass Gefässnetz und Zellennetz sich auf das Innigste durchflechten, so dass überall fast unmittelbar an der Gefässwand Zellen des Leberparenchyms liegen. Zwischen den Zellen und der Gefässwand bemerkt man nur sehr schwer noch eine feine Lage, von der es unter den Histologen immer noch streitig ist, ob sie einer besonderen und continuirlichen Wand zuzuschreiben ist, welche die feinsten Gallengänge zusammensetzt, oder ob nur eine minimale Menge von Bindegewebszellen die Zellennetze umgreift.
In diesem Falle kann man allerdings ein sehr einfaches Verhältniss zwischen den Gefässen und den Zellen annehmen; man kann sich vorstellen, dass das Blut, welches in den Gefässen strömt, je nach den Erweiterungszuständen der letzteren und je nach seiner Menge unmittelbar auf die anstossenden Elemente einwirkt und unmittelbar Ernährungsstoffe an sie abgiebt, sowie Zersetzungsstoffe aus ihnen aufnimmt. Freilich kann man in Beziehung auf die Ernährungsverhältnisse entgegenhalten, dass es sich hier um eine ganz eigenthümliche Gefäss-Einrichtung handelt, die wesentlich venöser Natur ist, zusammengesetzt aus Pfortader- und Lebervenenästen, allein in dasselbe Capillarnetz geht auch die Arteria hepatica hinein, und das Blut lässt sich in dem Netz nicht mehr in seine einzelnen arteriellen und venösen Theile zerlegen. Die Injectionen gelangen von jedem der Gefässe zuletzt in dasselbe Capillarnetz hinein. Nichts desto weniger halte ich es für berechtigt, gerade bei einem Organe, wie die Leber, welches einen so ausgezeichnet intermediären Stoffverkehr hat, die grosse Nähe der Capillaren für wichtiger in Beziehung auf diesen Stoffverkehr, als in Beziehung auf die eigentliche Ernährung zu halten. Jedenfalls begreift man leicht, dass alle Produkte des Transito-Verkehrs zuerst und am stärksten in denjenigen Zellen erscheinen, welche von dem einströmenden Blute zuerst berührt werden. Es sind dies die peripherischen Zellen der einzelnen Acini.
Fig. 33. Durchschnitt durch die Rindensubstanz einer künstlich injicirten menschlichen Niere. a. Bindegewebskörperchen des Stromas oder des interstitiellen Gewebes, dessen Masse in der Zeichnung etwas zu gross ausgefallen ist. b. Tunica propria des Harnkanälchens. c, c Capillargefässe. d. Das Harnkanälchen mit seinem Epithellager. Vergr. 300. (Nach A. Beer, Die Bindesubstanz der menschlichen Niere. Berlin 1859. Fig. 3.)
Etwas anders ist das Verhältniss schon in der Niere. Macht man einen feinen Durchschnitt durch die Rindensubstanz, nachdem man vorher die Gefässe sorgfältig injicirt hat, so bemerkt man, dass letztere die Harnkanälchen ziemlich dicht umspinnen (Fig. 33, c, e). Diese sind ihrerseits zusammengesetzt aus einer strukturlosen Haut, der sogenannten Tunica propria (Fig. 33, b), und einem zusammenhängenden Epithel, welches das freie Kanallumen (d) umgiebt. Hier bleibt zwischen den Gefässen und der Tunica propria noch ein kleiner Raum, in welchem bei genauester Untersuchung ein fast strukturloses, feinstreifiges Bindegewebe mit Zellen, Bindegewebskörperchen (a), gelagert ist. Die Epithelialzellen sind demnach von den Capillaren getrennt durch die Tunica propria und diese Bindegewebslage, und die Blutflüssigkeit muss, um zu den Epithelzellen Säfte abgeben zu können, nicht nur die Capillarwand, sondern auch die genannten zwei Septa durchdringen, deren Zustände natürlich nicht ohne Bedeutung für die Möglichkeit dieser Durchdringung sein können. Ueberdies bemerkt man leicht, dass eine grössere Zahl von Zellen stets einer einzigen Capillarschlinge anliegt, und es bedarf wohl nur dieser Erinnerung, um darauf aufmerksam zu machen, dass es schwer erklärlich sein würde, wie, was zuweilen vorkommt, nur einzelne Zellen besondere nutritive Abweichungen zeigen, wenn in der That die Gefässe das allein Bestimmende bei der Ernährung wären.
So einfach, wie in der Leber und in der Niere, gestalten sich aber die Verhältnisse in den meisten anderen Theilen nicht; gewöhnlich liegen ziemlich bedeutende Zwischenräume zwischen den einzelnen Gefässen, und nicht unbeträchtliche Mengen von Elementen sind in jeder einzelnen Capillar-Masche enthalten. Ja, in demselben Organe sind diese Verhältnisse sehr verschieden, je nachdem die Function der einzelnen Theile einen rascheren Wechsel der Stoffe erfordert. Nirgends tritt dies so auffällig hervor, als im Gehirn. Hier ist die Gefässverbreitung in der weissen Substanz, die hauptsächlich Nervenfasern enthält, ziemlich spärlich, während sie in der grauen Substanz, welche die Ganglienzellen führt, überaus reichlich ist. Das eine hier abgebildete Object (Fig. 34) zeigt eine künstliche Injection der Rinde des Kleinhirns, das zweite (Fig. 35) die natürliche Gefässfülle in dem sehr rothen Corpus striatum eines Geisteskranken, der unter einer starken Hyperämie des Gehirns gestorben war. Der Schnitt ist quer durch das Corpus striatum gelegt, und man erkennt von Strecke zu Strecke grössere, bei durchfallendem Lichte dunkel erscheinende Stellen, rundliche Flecke (Fig. 35, a, a, a), die bei auffallendem Lichte und für das blosse Auge weiss aussehen und Querdurchschnitte jener Bündel von Nervenfasern darstellen, welche in langen Zügen gegen das Rückenmark hinziehen. Gefässe treten in diese Bündel fast gar nicht ein. Die übrige Masse dagegen besteht aus der eigentlichen grauen Substanz des Corpus striatum; innerhalb derselben verbreitet sich ein sehr feinmaschiges Gefässnetz, wie denn überhaupt die graue Substanz der Nervencentren sich sowohl im Innern, als an der Rinde durch ihren grossen Gefässreichthum vor der weissen Substanz auszeichnet. In dem Object sieht man einzelne grössere Gefässe, von welchen Aeste ausgehen, die sich immer feiner verzweigen, bis sie endlich in ganz feinmaschige Capillarnetze übergehen. Allein so eng dieses Netz in der grauen Substanz auch sein mag, so stösst doch keinesweges jedes einzelne Element der Hirnsubstanz unmittelbar an ein Capillargefäss.
Fig. 34. Künstliche Injection der Rinde des menschlichen Kleinhirns, a a. Weisse Substanz der Arbor vitae, g g. graue Substanz, s s. Sulci zwischen den Gyri, in welche die Arterien mit der Pia mater eintreten und von da Aeste in die Hirnsubstanz senden, welche in der grauen Substanz ein ganz feines Netz bilden, zum Theil aber in grösseren Stämmen zur weissen Substanz durchtreten, wo sie sehr spärliche Netze bilden. Nach einer Injection des Herrn Gerlach. Ganz schwache Vergrösserung.
Fig. 35. Natürliche Injection des Corpus striatum eines Geisteskranken. a a. Gefässlose Lücken, entsprechend den Zügen von Nervenfasern, welche das Ganglion durchsetzen. Vergröss. 80.
Gleichmässiger ist die Gefässvertheilung an der Muskelhaut des Magens: hier bilden die Gefässe ziemlich regelmässige, unter einander durch Queranastomosen in Verbindung stehende Netze, von denen aus sich immer kleinere Gefässe verästeln, die zuletzt feinste Netze bilden, so dass dadurch das Ganze in eine Reihe von unregelmässig viereckigen Abtheilungen zerlegt wird. Auf jeden letzten Zwischenraum fällt eine grössere Zahl von Muskelelementen, so dass die Gefässe an einigen Stellen die Muskelfasern berühren, an anderen Stellen entfernter davon liegen.
Fig. 36. Injectionspräparat von der Muskelhaut des Magens eines Kaninchens, 11 mal vergrössert.
Fig. 37. Durchschnitt des Calcaneus-Knorpels vom Neugebornen. C. der Knorpel, dessen Zellen durch feine Punkte angedeutet sind. P. Perichondrium und anstossendes Fasergewebe. a. die Ansatzzelle am Knochen, mit den von der Arteria nutritia aufsteigenden Gefässschlingen. b b. Gefässe, die durch das Perichondrium gegen den Knorpel andringen. Vergröss. 11.
Fig. 38. Knochenschliff aus der compacten Rindensubstanz eines Os femoris. P P. die dem Periost zugewendete Oberfläche, an welcher parallele Züge von Knochenkörperchen liegen, v v. grössere Gefässe, die aus dem Periost in den Knochen eindringen und sich bald verästeln, v' v' kleinere Gefässe derselben Art. Alle dunklen Züge und Flecke bezeichnen angeschliffene Gefässkanäle. Sie sind von parallelen und concentrischen Lagen von Knochenkörperchen begleitet. Vergröss. 120.
Verfolgt man in dieser Weise die Einrichtung der verschiedenen Organe und Gewebe, so kommt man von solchen, welche nach der Injection fast nur aus Gefässen zu bestehen scheinen, mit der Zeit zu denjenigen, welche fast gar keine Gefässe enthalten und endlich zu solchen, welche wirklich keine mehr führen. Dieses Verhältniss trifft man am meisten ausgesprochen in den Epithelialformationen, welche auch da, wo sie am mächtigsten ausgebildet sind, keine Gefässe besitzen; nächstdem in den Geweben der Bindesubstanz, und hier wieder am reinsten am Knorpel, weniger rein am Knochengewebe. Der entwickelte normale Knorpel hat überhaupt gar keine Gefässe; der entwickelte Knochen enthält allerdings Gefässe, aber in einem sehr wechselnden Maasse und zum Theil recht spärlich. Dass der entwickelte Knorpel keine Gefässe enthält, davon gibt fast jedes Knorpelpräparat Zeugniss (Fig. 9, 14, 23). Eine fast beständige Ausnahme davon macht der wachsende Knorpel, der sich zur Verknöcherung anschickt, gleichviel ob im physiologischen oder pathologischen Wege. Besonders interessant ist das Verhältniss an jungem, wachsendem Knorpel. Fig. 37 zeigt einen Schnitt aus dem Caleaneus eines neugebornen Kindes, wo von der schon gebildeten centralen Knochenmasse, dem sogenannten Knochenkern aus Gefässe in den noch sehr reichlichen peripherischen Knorpel hineingehen. Das Präparat zeigt an seiner äussersten Oberfläche die Uebergänge zu dem Perichondrium, während der untere Theil des Schnittes bis nahe an die Grenze des schon gebildeten Knochenkerns reicht. Von hier aus steigen grosse Gefässe auf, welche von der Arteria nutritia herstammen; sie endigen mitten im Knorpel, indem sie Schlingen und Netze bilden und gleichsam Zottenbäume inmitten des Knorpels darstellen, welche sehr ähnlich sind den Chorion-Zotten am Ei. In der That wachsen von der Arteria nutritia her die Gefässe in den Knorpel hinein, aber nur bis zu einer gewissen Höhe. Hier lösen sie sich in wirkliche Schlingen oder in ein feines Netzwerk von Capillaren auf, aus dem sich Venen zusammensetzen, die in derselben Richtung, in welcher die Arterien herkamen, zurückgehen. Die ganze übrige Masse besteht aus gefässlosem Knorpel, dessen Körperchen bei schwacher Vergrösserung als feine Punkte erscheinen. Es liegt also ein ganzes Heer von Knorpelkörperchen zwischen den letzten Schlingen und der äusseren Oberfläche, die meisten sehr entfernt von den äussersten Gefässenden. Diese ganze Lage ist in ihrer Ernährung allerdings abhängig von dem Safte, der aus den Endschlingen austritt, zum Theil auch von den Stoffen, welche die spärlichen Gefässe des Perichondriums zuführen, jedoch nicht so, dass jedes Körperchen eine besondere Beziehung zu einzelnen Gefässen oder Gefässtheilen hätte. Die von der Arteria nutritia stammenden Gefässe bezeichnen an allen Knorpeln schon ziemlich frühzeitig ungefähr die Grenze, bis zu welcher späterhin die Ossification fortschreiten wird, während derjenige Theil, welcher als Knorpelrest am Gelenk liegen bleibt, niemals Gefässe enthält.
Was die Knochen selbst anbetrifft, so ist bei ihnen das Gefäss-Verhältniss ein ziemlich einfaches, aber auch zugleich ein sehr charakteristisches. Wenn man die äussere Oberfläche der Knochenrinde betrachtet, so sieht man schon mit dem blossen Auge kleine Löcher (Poren). Es sind dies die Oeffnungen von Kanälen, durch welche Gefässe aus dem Periost in die Knochenrinde eintreten. Bei einer mässigen Vergrösserung erkennt man, dass diese Kanäle (Fig. 38, v, v') alsbald unter der Oberfläche sich verästeln. So entsteht ein System unter einander anastomosirender Röhren, die zuweilen mehr schräg nach Innen gehen, aber im Wesentlichen eine Längsrichtung einhalten. Zwischen diesen Maschen bleiben verhältnissmässig breite Zwischenräume, welche von dem eigentlichen Knochengewebe erfüllt sind. In dem letzteren liegen die Knochenkörperchen, grade so, wie in dem vorigen Beispiele die Knorpelkörperchen, und zwar im Allgemeinen in Reihen parallel den Gefässen. Nur die am meisten peripherischen Lagen der Rinde zeigen Knochenkörperchen, welche der Oberfläche parallel sind und deren Längsrichtung an langen Knochen (Röhrenknochen) der Längsaxe entspricht. Untersucht man dagegen Querschnitte, so bekommt man natürlich an den Stellen, wo vorher Längskanäle zu sehen waren, einfache runde Löcher, Durchschnitte (Fig. 39, a) zu Gesicht, hier und da durch eine schräge Verbindung vereinigt. Zwischen ihnen befindet sich die eigentliche Tela ossea mit den Knochenkörperchen, in lamellösen Schichten gelagert, und zwar concentrisch um die Gefässe. Im Allgemeinen kann man daher sagen, dass die compacte Substanz der Knochen durchweg aus einer Zusammenordnung paralleler Lagen von Knochengewebe besteht, welche zu mehreren die einzelnen Gefässe umgeben. Nur da, wo diese Systeme von concentrischen Lamellen endigen, gewissermaassen in den Räumen, welche zwischen diesen Systemen übrig bleiben, findet sich eine geringe Masse von Knochengewebe (Fig. 39, i), welche nicht dieselbe Anordnung zeigt, sondern sich mehr unabhängig verhält; bei genauer Analyse zeigt sich, dass sie aus kleinen Säulen gebildet ist, welche meist senkrecht auf der Längsaxe des Knochens stehen und in eine Art von Bogen übergehen, die der Längsaxe parallel sind. Dies sind die Ueberreste der bei dem Dickenwachsthum des Knochens zuerst gebildeten, also ältesten Balken der Tela ossea.
Fig. 39. Knochenschliff, a querdurchschnittener Mark- (Gefäss-) Kanal, um welchen die concentrischen Lamellen l mit Knochenkörperchen und anastomosirenden Knochenkanälchen liegen. r längsdurchschnittene, parallele Lamellen. i unregelmässige Lagerung in den ältesten Knochenschichten, v Gefässkanal. Vergröss. 280.
Da man meistentheils in den Kanal-Durchschnitten, die man in Schliffen des Knochens gewinnt, die Gefässe selbst nicht mehr erkennt, so nannte man die Höhlungen (Fig. 38, v, v'; 39, a, v), in denen die Gefässe verlaufen, Markkanäle, insofern uneigentlich, als in diesen engen Kanälen meist kein Mark enthalten ist; man sollte eigentlich sagen: Gefässkanäle, doch ist jener Ausdruck so allgemein angenommen, dass man ihn auch da gebraucht, wo die Gefässwand sich unmittelbar an die innere Oberfläche der Höhlung anlegt. Häufig bezeichnet man die Kanäle auch nach ihrem Entdecker Havers. Im nächsten Umfange dieser Kanäle liegt stets eine Reihe von eigenthümlichen Gebilden: längliche oder rundliche, bei durchfallendem Lichte gewöhnlich schwarz erscheinende Körper, die mit Zacken oder Ausläufern versehen sind. Man nannte sie Knochenkörperchen (Fig. 24) und ihre Ausläufer Knochenkanälchen (Canaliculi ossei). Johannes Müller, welcher die Ansicht hegte, dass die Kalksubstanz in ihnen abgelagert sei und das dunklere Aussehen, welches sie bei durchfallendem Lichte darzubieten pflegen, eben von ihrem Kalkgehalte herrühre, bezeichnete die Kanälchen als Canaliculi chalicophori, ein Name, der heut zu Tage ganz gestrichen ist, weil man sich überzeugt hat, dass der Kalk gerade in ihnen nicht, sondern überall in der homogenen Grundsubstanz enthalten ist, welche zwischen ihnen liegt.
Fig. 40. Knochenschliff (Längsschnitt) aus der Rinde einer sklerotischen Tibia. a a Mark- (Gefäss-) Kanäle, zwischen ihnen die grossentheils parallel, bei b concentrisch (Querschnitt) geordneten Knochenkörperchen. Vergr. 80.
Als man erkannte, dass der Absatz des Kalkes in dem Knochengewebe gerade umgekehrt, wie man geglaubt hatte, stattfindet, so ging man alsbald in das andere Extrem über, indem man den Namen der Knochenkörperchen durch den der Knochenlücken (Lacunen) ersetzte und annahm, der Knochen enthalte nur eine Reihe von leeren Höhlen und Kanälen, in welche allenfalls Flüssigkeit oder Gas gelange, welche aber eigentlich doch nur Spalten des Knochens darstellten. Einzelne nannten sie auch geradezu Knochenspältchen (Bruch). Ich habe mich bemüht, auf verschiedene Weise den Nachweis zu führen, dass es wirkliche Körperchen sind und nicht bloss Höhlen in einem Grundgewebe, mit einem Wort, dass es Gebilde sind, mit besonderen Wandungen und eigenen Grenzen versehen, welche sich aus der Grundsubstanz auslösen lassen. Durch chemische Einwirkung, insbesondere durch Maceration in concentrirter Salz- oder Salpetersäure, kann man es dahin bringen, dass die Grundsubstanz sich auflöst und die Körperchen frei werden. Dadurch ist wohl am sichersten der Nachweis geliefert, dass es körperliche, wirklich für sich bestehende Gebilde sind. Ueberdies erkennt man in ihnen Kerne, und, auch ohne auf die Entwickelungsgeschichte einzugehen, findet man, dass man es auch hier wieder mit zelligen Elementen sternförmiger Art zu thun hat. Die Zusammensetzung des Knochens ergiebt demnach ein Gewebe, welches in einer scheinbar ganz homogenen, verkalkten Grundmasse (Intercellularsubstanz) sehr regelmässig vertheilt die eigentlichen, sternförmigen Knochenzellen enthält.
Die Entfernung zwischen je zwei Knochengefässen ist oft sehr bedeutend; ganze Lamellensysteme schieben sich zwischen die Markkanäle ein, mit zahlreichen Knochenkörperchen durchsetzt. Hier ist es gewiss schwierig, sich die Ernährung eines so complicirten Apparates als abhängig von der Thätigkeit der zum Theil so weit entfernten Gefässe zu denken, namentlich sich vorzustellen, wie jedes einzelne Körperchen in dieser grossen Zusammensetzung immer noch in einem Specialverhältniss der Ernährung zu den Gefässen stehen soll. Ueberdies lehrt die Erfahrung, dass wirklich jedes einzelne Knochenkörperchen für sich ein besonderes Ernährungs-Verhältniss besitzt. —
Ich habe diese Einzelheiten vorgeführt, um die lange Stufenleiter zu zeigen, die von den gefässreichen und den gefässhaltigen zu den gefässarmen und den gefässlosen Theilen stattfindet. Will man eine einfache und zugleich befriedigende Anschauung der Ernährungs-Verhältnisse haben, so glaube ich es als logische Forderung aufstellen zu müssen, dass Alles, was von der Ernährung der gefässreichen Theile ausgesagt wird, auch für die gefässarmen und für die gefässlosen Gültigkeit haben muss, und dass, wenn man die Ernährung der einzelnen Theile in eine direkte Abhängigkeit von den Gefässen oder dem Blute stellt, man wenigstens darthun muss, dass alle Elemente, welche in nächster Beziehung zu einem und demselben Gefässe stehen, welche also in ihrer Ernährung auf ein einziges Gefäss angewiesen sind, auch wesentlich gleichartige Lebensverhältnisse darbieten. In dem Falle vom Knochen müsste jedes System von Lamellen, welches nur ein Gefäss für seine Ernährung hat, auch immer gleichartige Zustände der Ernährung darbieten. Denn wenn das Gefäss oder das Blut, welches in demselben circulirt, das Thätige bei der Ernährung ist, so könnte man höchstens zulassen, dass ein Theil der Elemente, nehmlich der zunächst an den Gefässkanal anstossende, ihrer Einwirkung mehr, ein anderer, nehmlich der entferntere, weniger ausgesetzt sei; im Wesentlichen müssten sie aber doch eine gemeinschaftliche und gleichartige, höchstens quantitativ verschiedene Einwirkung erfahren. Dass dies keine unbillige Anforderung ist, dass man eine gewisse Abhängigkeit bestimmter Gewebs-Territorien von bestimmten Gefässen allerdings zugestehen muss, davon haben wir die schönsten Beispiele in der Lehre von den Metastasen, namentlich in dem Studium der Veränderungen, welche durch die Verschliessung einzelner Capillargefässe zu Stande kommen, wie wir sie aus der Geschichte der Capillar-Embolie kennen. In solchen Fällen sehen wir in der That, dass ein ganzes Gewebsstück, so weit es in einer unmittelbaren Beziehung zu einem Gefässe steht, auch in seinen pathologischen Verhältnissen ein Ganzes vorstellt, ein vasculäres Territorium, eine Gefässeinheit. Allein diese Gefässeinheit erscheint vor einer feineren Auffassung immer noch als ein Vielfaches, als eine mehr oder weniger grosse Summe von Ernährungseinheiten (Zellenterritorien) und es genügt nicht, den Körper etwa in lauter Gefässterritorien zu zerlegen, sondern man muss noch innerhalb derselben weiter auf die Zellenterritorien zurückgehen.
In dieser Auffassung ist es, wie ich glaube, ein wesentlicher Fortschritt gewesen, dass durch meine Untersuchungen innerhalb der Gewebe der Bindesubstanz, wie ich früher hervorgehoben habe (S. 48), ein besonderes System anastomosirender Elemente nachgewiesen ist, und dass wir auf diese Weise anstatt der Vasa serosa, welche sich die Früheren für diese nächsten Zwecke der Ernährung zu den Capillaren hinzudachten, eine thatsächliche Ergänzung bekommen haben, durch welche die Möglichkeit von Saftströmungen an Orten gegeben ist, die an sich arm an Gefässen sind. Wenn wir beim Knochen stehen bleiben, so wären Vasa serosa eine nicht zu rechtfertigende Annahme. Die harte Grundsubstanz ist durch und durch ganz gleichmässig mit Kalksalzen erfüllt, so gleichmässig, dass man gar keine Grenze zwischen den einzelnen Kalktheilchen wahrnimmt. Wenn Einzelne angenommen haben, dass man kleine Körner daran unterscheiden könne, so ist dies ein Irrthum. Das Einzige, was man in der Grundsubstanz sieht, sind die Canaliculi, welche zuletzt alle zurückführen auf die Körper der Knochenzellen (Knochenkörperchen), und welche ihrerseits wieder verästelt sind. Die inneren Enden dieser Aeste, dieser kleinen Fortsätze reichen unmittelbar bis an die Oberfläche des Gefässkanals (Markkanals). Sie setzen also unmittelbar da ein, wo die Gefässmembran anliegt (Fig. 41), denn man kann sie deutlich auf der Wand des Kanals als kleine Löcherchen wahrnehmen. Da nun die verschiedenen Knochenkörperchen wieder unter sich in offener Verbindung stehen, so ist dadurch die Möglichkeit gegeben, dass eine gewisse Quantität von Saft, welcher an der inneren Fläche des Gefässkanals aufgenommen ist, durch die ganze Gewebsmasse hindurch dringt, nicht diffus, sondern innerhalb dieser feinen prädestinirten und continuirlichen Wege, welche der Injection vom Gefässe aus nicht mehr zugänglich sind. Eine Zeitlang hat man geglaubt dass die Kanälchen vom Gefässe aus zu injiciren seien, allein dies ist nur vom leeren (macerirten) Gefäss- oder Markkanal aus möglich.
Fig. 41. Schliff aus einem neugebildeten Knochen der Arachnoides cerebralis, der übrigens ganz normale Verhältnisse des Baues zeigt. Man sieht einen verästelten Gefäss- (Mark-) Kanal mit den in ihn einmündenden und zu den Knochenkörperchen führenden Knochenkanälchen. Vergröss. 350.
Fig. 42. Zahnschliff von der Krone. a äussere Oberfläche des Zahns, i innere Grenze gegen die Markhöhle hin. S Schmelz, D Dentin. Vergr. 150.
Fig. 43. Durchschnitt aus der halbmondförmigen Bandscheibe (Cartilago semilunaris) des Kniegelenks vom Kinde. a. Faserzüge mit spindelförmigen, parallel liegenden und anastomosirenden Zellen (Längsschnitt). b. Netzzellen mit breiten verzweigten und anastomosirenden Kanälchen (Querschnitt). Mit Essigsäure behandelt. Vergr. 350.
Es ist dies ein ganz ähnliches Verhältniss, wie am Zahn, wo man von der leeren Zahnhöhle aus die Zahnkanälchen oder Zahnröhrchen (Fig. 42) injiciren kann. Spritzt man Carminlösung in eine leere Zahnhöhle, so sieht man die Zahnkanälchen zahlreich neben einander als nahezu parallel, nur wenig strahlig auseinander gehende Röhren zu der Oberfläche aufsteigen. Die Zahnsubstanz bildet eben auch eine breite Lage von gefässloser Substanz. Gefässe finden sich nur in der Markhöhle des Zahns; von da nach aussen haben wir weiter nichts, als die eigentliche Zahnsubstauz (Dentin) mit ihrem Röhrensystem, welches an der Krone bis nahe an den Schmelz (Fig. 42, S) reicht, an der Zahnwurzel dagegen unmittelbar übergeht in eine Lage von wirklicher Knochensubstanz (Cement). Hier sitzen die Knochenkörperchen am Ende dieser Röhren auf. Eine ähnliche Einrichtung für die Saftströmung, wie vom Marke der Knochen, geht hier von der Zahnpulpe aus; der Ernährungssaft kann durch Röhren bis zum Schmelz und zum Cement geleitet werden.
Diese Art von Röhrensystemen, die im Knochen und Zahn in einer so ausgesprochenen Weise sich findet, ist in den weichen Gebilden mit einer ungleich geringeren Klarheit zu erkennen. Das ist wohl der hauptsächliche Grund gewesen, weshalb die Analogie, welche zwischen den weichen Geweben der Bindesubstanz und den harten der Knochen besteht, nicht recht zur Anschauung gelangt ist. Am deutlichsten sieht man solche Einrichtungen an Punkten, die eine mehr knorpelige Beschaffenheit haben, namentlich im Faserknorpel. Aber es ist noch viel mehr bezeichnend, dass wir von dem Knorpel eine Reihe von Uebergängen zu anderen Geweben der Bindesubstanz finden, in welchen sich stets dasselbe Verhältniss wiederholt. Zuerst Theile, die chemisch noch zum Knorpel gehören, z. B. die Hornhaut, welche beim Kochen Chondrin gibt, obgleich sie Niemand als wirklichen Knorpel ansieht. Viel auffälliger ist die Einrichtung bei solchen Theilen, bei denen die äussere Erscheinung für Knorpel spricht, ohne dass die chemischen Eigenschaften übereinstimmen, z. B. bei den Cartilagines semilunares im Kniegelenk, jenen Bandscheiben zwischen Femur und Tibia, welche die Gelenkknorpel vor zu starken Berührungen schützen. Diese Theile, welche bis vor Kurzem allgemein als Knorpel beschrieben wurden, geben beim Kochen nicht Chondrin, sondern Leim. In diesem harten Bindegewebe treffen wir, wie in der Hornhaut und dem Faserknorpel, dasselbe System von anastomosirenden Elementen mit einer ungewöhnlichen Schärfe und Klarheit. Gefässe fehlen darin fast gänzlich; dagegen enthalten diese Bandscheiben ein Röhrensystem von seltener Schönheit. Auf dem Durchschnitte sieht man, dass das Ganze sich zunächst zerlegt in grosse Abschnitte, ganz ähnlich wie eine Sehne; diese zerfallen wieder in kleinere, und die kleinen endlich sind durchsetzt von einem feinen, sternförmigen System von Röhren, oder wenn man will, von Zellen, insofern der Begriff einer Röhre und der einer Zelle hier zusammenfallen. Die Zellennetze, welche das Röhrensystem bilden, gehen nach aussen hin in die Grenzlager der einzelnen Abschnitte über, und hier sehen wir nebeneinander beträchtliche Anhäufungen von Spindelzellen. Auch in den Bandscheiben hängt dieses Netz von Röhrchen nur äusserlich zusammen mit dem Circulationsapparat: Alles, was in das Innere des Gewebes gelangen soll, muss auf grossen Umwegen ein Kanalsystem mit zahlreichen Anastomosen passiren, und die innere Ernährung ist ganz und gar abhängig von dieser Art der Leitung. Die Bandscheiben sind Gebilde von beträchtlichem Umfange und grosser Dichtigkeit; und da hier alle Ernährung auf das letzte feine System von Zellen zurückzuführen ist, so haben wir es noch viel mehr, als beim Knorpel, mit einer Art der Saftzufuhr zu thun, welche nicht mehr direkt von den Gefässen bestimmt werden kann.
Für das Verständniss der Abbildung (Fig. 43) füge ich noch hinzu, dass die letzten Elemente der Bandscheiben als sehr kleine Zellkörper erscheinen, die in lange, feine Fäden ausgehen, welche sich verästeln. Durchschnitte dieser Fäden stellen sich als kleine Punkte mit einem hellen Centrum dar. Alle Fäden lassen sich mit grosser Bestimmtheit bis an gemeinschaftliche Zellkörper verfolgen, ganz wie im Knochen. Es sind feinste Röhren, die in innigem Zusammenhang unter einander stehen, nur dass sie sich an gewissen Punkten zu grösseren Haufen sammeln, durch welche die Hauptleitung erfolgt, und dass die Zwischensubstanz in keinem Falle Kalk aufnimmt, sondern stets ihre Bindegewebsnatur beibehält.
19
Vgl. meinen Vortrag über Nahrungs- und Genussmittel. Berlin 1868. S. 23.
20
Verhandlungen der Berliner medic. Gesellschaft 1867. S. 254.
21
Archiv 1857. XI. 574.
22
Ebendas. 1852. IV. 387. 1855. VIII. 15. 1856. XI. 40. Gesammelte Abhandl. 1856. S. 50.