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Vorwort

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Wie der erste Band enthält auch dieser Texte aus den letzten 18 Jahren meiner Tätigkeit als Publizist, Kolumnist und Sachbuch-Kritiker. Bei der Auswahl der Texte konzentrierte ich mich auf Arbeiten, die ohne Anmerkungen verständlich sind, dem tagespolitischen Handgemenge also nicht zu nahe stehen. Die Daten der Erstveröffentlichung verweisen auf die historischen und politischen Kontexte.

Den Titel – »Aufgreifen, begreifen, angreifen« – habe ich nicht geändert. Aus zwei Gründen. Viele Leserinnen und Leser fanden ihn treffend. Und ich selbst merkte erst bei der Zusammenstellung der Texte für den zweiten und die folgenden Bände, wie präzis er meine Schreibhaltung beschreibt: Ich möchte mit meinen Arbeiten begreifen, was ich als Thema aufgreife oder was mir von Redaktionen an Themen zum Aufgreifen angeboten wird. Im Prozess des Begreifens des Aufgegriffenen spielt das kritische Moment – das Angreifen von Positionen, Institutionen, Bräuchen und Personen, kurz »der böse Blick« (Adorno) jeder angemessenen Gesellschaftskritik – eine wesentliche Rolle. Das Begreifen – einen Sachverhalt auf den Begriff zu bringen – funktioniert als Scharnier zwischen dem Aufgreifen eines Themas und der Adressierung von Kritik, Reflexion und Würdigung.

Die Anlässe für die Essays und Porträts diktierten das journalistische Gewerbe, der Sachbuchmarkt und eigene Interessen an Themen und Personen. Die politischen Kommentare für die Tages- und Wochenzeitungen beziehen sich auf die tagespolitische Aktualität und entstanden in der Zusammenarbeit mit den beteiligten Redakteuren. Im Nachhinein erweisen sich manche Essays und Porträts als Vorarbeiten für politische Kommentare. Meiner Ansicht nach nicht zu deren Nachteil. Thematische Überschneidungen zwischen Essays, Porträts und Kommentaren sind deshalb nicht nur nicht zu vermeiden, sondern beabsichtigt.

Ich habe darauf verzichtet, die Texte nachträglich in starre Rahmen von kalendarisch oder thematisch geordneten Blöcken zu pressen, die noch gar nicht existierten, als die Texte geschrieben wurden. Die meisten Texte entstanden aus äußerlichen Zwängen des Kulturbetriebs, aus situativen Intuitionen sowie als subjektive Reaktion auf den laufenden sprachlichen und politischen Schwachsinn – also aus zufälligen Anlässen, die sich gegen eine systematische Ordnung sperren. Damit soll das Moment von Spontaneität der Reflexion und der Reaktion, das ich mit dem Titel auch andeute, betont und erhalten bleiben. Jede Behauptung eines »roten Fadens«, dem die Texte folgten, liefe auf eine alberne Selbstinterpretation hinaus. Den durchgehenden Faden zu erkennen oder zu bestreiten, ist Sache der Leserinnen und Leser.

Die kurzen Glossen sind zum größten Teil auf der Wahrheitsseite der »Tageszeitung« erstmals erschienen. Ich schätze diese Kurzform, weil sie von ihrem Umfang her zu sprachlicher und intellektueller Disziplin zwingt.

Ein großer Teil meiner Arbeiten besteht aus Besprechungen politischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Bücher. Ich habe aus der Fülle der Rezensionen nur exemplarische Verrisse ausgewählt. Diese Auswahl beruht nicht auf einem atavistischen Willen, Autoren und ihren Büchern oder den Verlagen zu schaden. Selbst wenn ich das wollte, schaffte ich dies als Sachbuch-Rezensent nicht, denn alle diese Bücher werden von Vielen besprochen und bewertet. Verrisse sind mir auch deshalb wichtig, weil das redaktionelle Gewerbe sie nicht schätzt und dafür uneigennützig und freiwillig dabei mithilft, restlos überflüssige – darunter ausgesprochen liederliche – Bücher auf gute Plätze in Sachbuch-Bestenlisten zu hieven. Dabei nicht mitzuspielen, gehört zum Ethos von Kritik und Aufklärung.

Der journalistische Betrieb hat sich durch die Konkurrenz mit dem Internet in den letzten Jahren stark verändert. Neben einigen Vorteilen hat die enorme Beschleunigung des Betriebs und die Vermehrung der Plattformen auch Nachteile – die gravierendsten sind boulevardesk-personalisierende Oberflächlichkeit und der Verlust an intellektueller Substanz, der in vielen Feuilletons mit Händen zu greifen ist. Ich verstehe meine Arbeiten auch als Alternativen zum Instant-Journalismus des Betriebs, der seichte Home-, People- und Zeitgeist-Storys sowie Sammelrezensionen schätzt.

Die Texte sind in sechs Blöcke eingeteilt, die unterschiedliche Textsorten enthalten: Historische Essays (I.), Porträts gegen das Vergessen (II.), politische Kommentare (III.), Glossen (IV.), Verrisse (V.). Am Schluss stehen drei Texte in eigener Sache (VI.).

Einige Texte sind mehrfach oder in gekürzten und redaktionell mehr oder weniger stilsicher bearbeiteten Versionen erschienen. In gravierenden Fällen habe ich deshalb meine ursprünglichen Textversionen den von fremder Hand zugerichteten vorgezogen und mache dies durch das Kürzel UTV (ursprüngliche Textversion) in der Liste der Erstdruckorte am Ende des Buches deutlich. Bloße Druckfehler und kleine Irrtümer oder stilistische Unebenheiten habe ich stillschweigend korrigiert. Inhaltlich habe ich die Texte nicht verändert und biete sie als durchaus zeitgebundene den Lesern zum Beurteilen an. Nur Narren irren nie.

Mein Dank gilt wiederum Britta Gerloff, Michael Billmann und Roland Tauber vom Verlag für die Hilfe bei der Organisation der Texte für den Druck. Ich widme das Buch erneut Eva-Maria in Dankbarkeit und Bewunderung. Sie hat alle Texte als Erste gelesen und korrigiert. Mit Hinweisen, Ratschlägen, fulminanten Verweisen und ultimativen Vetos am Textrand hat sie mich in vielen, zuweilen turbulenten Diskussionen vor etlichen Abwegen und Irrtümern bewahrt. Die verbliebenen gehen auf mein Konto.

Frankfurt, Februar 2012 Rudolf Walther
Aufgreifen, begreifen, angreifen - Band 2

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