Читать книгу Schmunzelmord - Michael Kothe, Rudolf Widmann Georg - Страница 10
Autohandel
ОглавлениеSchorsch Siebensohn trat den glimmenden Zigarettenstummel aus. Nervös drehte er die Fußspitze kräftig und lang darauf herum, bis die Fasern des Filters unter seiner Sohle hervorquollen. Wird alles laufen wie geplant? Was kann schiefgehen? Sein Freund war nicht so aufgeregt, er lehnte lässig am Kotflügel des schwarzen, auf Hochglanz polierten Audi A6, der zumindest optisch das Potenzial zum Dienstfahrzeug einer Konzernleitung hatte.
Sie warteten auf dem Parkplatz des Möbeldiscounters im Echinger Industriegebiet im Norden Münchens, ein gutes Stück hinter dem schwedischen Möbelgiganten an der Liebigstraße und seiner Konkurrenz auf der anderen Straßenseite. Von dort musste man links in den letzten Abschnitt der Dieselstraße abbiegen und an dessen Ende rechts die Hälfte der Ohmstraße entlangfahren, sonst landete man auf dem Ring der Heisenbergstraße, die um den ausladenden Flachbau des Bekleidungsgeschäfts führte. Für die bekannte Kette von Modemärkten hatte Birgit Schrowange jahrelang Werbung betrieben. Der Wind trug den Verkehrslärm von der westlich vorbeiführenden A9 bis zu ihnen herüber. Freitagnachmittag. Die Pendler verließen die Landeshauptstadt und schoben sich im Stau nordwärts.
Den Gebrauchtwagenmarkt auf dem Gelände des Aschheimer Autokinos wollten sie nicht für den Verkauf nutzen. Erstens fand der nur samstags statt, und das auch nicht an jedem Wochenende, und zweitens war ihnen das Publikum dort nicht geheuer. Zu viele dunkle Gestalten, die Fahrzeuge sonstwohin verschieben wollen, zu viele Nörgler, die auch am besten Auto trotz Topzustands noch etwas auszusetzen hatten. Auch wurde dort zu aggressiv nach unten verhandelt. Zu viele billige Autos. Der Ort hier versprach eine ungestörte Abwicklung. Sie waren auch nicht der Gefahr ausgesetzt, sich einer plötzlich zusammengerotteten Gruppe erwehren zu müssen, die ihre Sympathie für den potenziellen Käufer, einen der Ihren, vehement ausdrückte – und manchmal auch nicht nur verbal. Sie hatten ihre Erfahrung.
A6, 3-Liter Diesel, Quattro, 130.000km, unfallfrei, sieben Jahre alt, scheckheftgepflegt. Beim Händler gut und gerne seine 24.000 Euro wert.
Auf diesen Text hatten sie sich geeinigt, danach wollten sie, damit das Verkaufsgespräch lebendiger würde, mit verteilten Rollen noch die Extras und die weiteren Vorzüge aufzählen. Schorsch schlenderte um den Audi herum, es war seine vierte Runde nacheinander. In immer kürzeren Abständen drehte er das Handgelenk, schaute auf seine Armbanduhr. Er hatte sich entschieden, die Breitling-Replika zu tragen, sie passte am besten zu dem Fahrzeug. Sie sollte beeindrucken. Sein Freund nahm das nicht so genau, sein Outfit war Schorsch zu leger, aber Bastian hatte nur die Schultern gezuckt.
Dass der Käufer schon zwanzig Minuten überfällig war, zerrte an den Nerven. Wollte er sie weichkochen, mürbe machen?
Jedes Fahrzeug, das auf den Parkplatz fuhr, beäugte Schorsch intensiv. Meistens waren es kleinere oder ältere Autos, aus denen Leute stiegen, die ihrer Kleidung oder ihrem Auftreten nach durchaus die angemessene Klientel des preiswerten Möbelgeschäfts darstellten, in dem sie dann auch konsequenterweise verschwanden. Er kam sich in dieser Umgebung overdressed vor, wenn man diesen Begriff auch auf ein Fahrzeug der Oberklasse anwenden durfte. Das steigerte seine Nervosität, er fühlte sich auf dem Präsentierteller für alle Neugierigen, obwohl kaum einer Notiz von ihm nahm. Schließlich hätte er ja auch ein Kunde des riesigen Baumarkts oder des Dekorationsgeschäfts auf dem Nachbargrundstück sein können, der diesen Parkplatz hier nur nutzte, weil drüben die Parkbuchten für sein Schlachtschiff zu eng waren.
Den mattroten Mercedes Kombi, ein wirklich älteres Baujahr, beachtete Schorsch kaum. Der hielt, kaum, dass er die Zufahrt zum Parkplatz hinter sich gelassen hatte, etwas abseits der übrigen Fahrzeuge. »Wieder ein Familienvater, der einen billigen Schrankbausatz oder ein Jugendzimmer kaufen will.« Er schaute auf die Uhr. 25 Minuten. Hatte der Kunde sie versetzt? Dann wäre es immerhin ein Gebot der Höflichkeit gewesen, sich telefonisch zu melden, schließlich hatten sie die Handynummern ausgetauscht.
Bastian stemmte die Fahrertür auf, drehte sich zu Schorsch um, winkte ihn zu sich.
»Sie kommen. Haben eben angerufen, von der Zufahrt zum Industriegebiet aus. Waren an der Kreuzung beim Schotten.«
Schorsch seufzte. Wann konnte Bastian endlich mit dem Blödsinn aufhören, den Schnellimbiss amerikanischer Provenienz als schottisches Restaurant zu bezeichnen?
Der rote Mercedes hatte wieder Fahrt aufgenommen, langsam kam er dem Audi näher. Mit zwei Wagenlängen Abstand hielt er an, drei Personen stiegen aus.
Der flotte Mittdreißiger in beiger Hose und im Sommerhemd, dessen Qualität und Preis Schorsch sofort auffielen, kam auf ihn zu, ein kurzes Taxieren, dann gab er ihm die Hand.
»Hallo. Herr Siebensohn?«
Schorsch nickte.
»Herr Döbler? Grüß Gott.«
»Genau der. Die Verspätung tut mir leid, aber Sie kennen ja die A9. Die Abgase aus dem Stau riecht man bis hierher.«
Jetzt fielen sie Schorsch auch auf.
Die beiden anderen aus dem Benz kamen auf ihn zu. In einem ungünstigen Augenblick, denn er schnupperte gerade geräuschvoll mit nach oben gereckter Nase und hatte keinen Blick für die Neuankömmlinge.
Ein kurzer gegenseitiger Händedruck, keine weitere Begrüßung. Das Ritual wiederholte sich bei Bastian, der hinter dem Lenkrad hervorgeklettert kam.
Der Beifahrer von Döbler gab sich wortkarg, Schorsch und Bastian hatten bei seinem Anblick geschluckt. Seine Zurückhaltung war ihnen recht, sie hatten seinen starken Akzent nicht einordnen können, und verstanden hatten sie ihn auch kaum. Außerdem wollten sie mit dem stiernackigen Mann, aus dessen Muscleshirt voluminöse Schulterkugeln und mächtige Bizeps herauswuchsen, nicht allzu viel zu tun bekommen. Er musste reichlich Zeit für Bodybuilding aufgewandt haben.
Die brünette Begleiterin Döblers schien desinteressiert, sie schenkte ihren lila lackierten Fingernägeln mehr Aufmerksamkeit als den beiden Männern, denen Döbler das Auto abkaufen wollte. Ihre High Heels, die knappe Kleidung und ihr Gang passten zu diesem Verhalten.
Schorsch drehte sich höflich um, damit keiner sein Grinsen bemerkte. Ihm hatte sich beim Anblick der Brünetten der Bilderwitz mit dem betenden Jungen aufgedrängt: »Bitte, lieber Gott, gib den armen Frauen auf Papas Computer was Warmes zum Anziehen!«
Das Verkaufsgespräch entwickelte sich zu Schorschs und Bastians voller Zufriedenheit. Sie hatten ihre eingeübten Sprüche aufgesagt, Döbler mehrfach darauf hingewiesen, wie gut ihm dieses Nobelfahrzeug stünde, und seine Fragen bezüglich des Zustands detailliert beantwortet. Über die Technik wollte Döbler nichts wissen. Der Wagen sei nicht für ihn, er sei nur der Beauftragte von jemandem, der wisse, was er wolle. Und er wollte diesen Wagen.
Die Probefahrt verlief problemlos, Schorsch und Bastian tauschten immer wieder verstohlen vielseitige Blicke, ihre Augen strahlten. Döbler fuhr, Bastian hatte auf dem linken Rücksitz Platz genommen, Schorsch saß auf dem Beifahrersitz. Das stand ihm zu, er war der Aktivere bei dem Geschäft. Und bei der Brünetten wollte keiner der beiden zurückbleiben, hauptsächlich des Stiernackens im Tanktop wegen.
Für 24.000 Euro wurden sie den Audi dann doch nicht los. Zwar hatte Döbler nicht herumgemeckert, aber er baute einen Tablet-PC auf der Motorhaube seines Mercedes auf und zeigte den beiden einige Vergleichsangebote aus den einschlägigen Verkaufsportalen. Außerdem hätte sein Auftraggeber ihm eine finanzielle Obergrenze gesetzt. Schluckend schlug Schorsch bei 21.000 Euro ein. Das Unterschreiben des vorgefertigten Kaufvertrags war nach dem Handschlag kein Thema mehr.
Die Übergabe Zug um Zug gestaltete sich für Schorsch und seinen Kumpel spannend. Der Stiernacken öffnete die Heckklappe des Daimlers, zog einen an der Rückenlehne angegurteten Alukoffer an die Ladekante, nachdem er den Gummiriemen gelöst hatte.
Schorsch hielt den Atem an. »Wie im Krimi, jetzt dürfen wir kurz in den Koffer schauen, die Scheine zählen, und dann bekommen wir den Koffer im Austausch für Wagenschlüssel und KFZ-Brief, ach nein, Zulassungsbescheinigung heißt der Lappen ja seit Ende 2005.«
Er sollte beinahe recht behalten, nur rückte der Stiernacken nicht den ganzen Koffer zu Schorsch herüber, sondern entnahm ihm eine Kunststofftasche, die sehr an einen einfachen Kulturbeutel erinnerte. Schorsch griff hinein, ließ die eng gestopften Fünfziger durch seine Finger gleiten, fuhr mit dem Daumen über den freien Rand der Geldbündel, zählte die Banderolen. Überschlagsweise stimmte der Betrag von 20.000 Euro. Zwanzig 50-Euro-Scheine zog der Bodybuilder aus einem kleinen Abteil im Innern des Kofferdeckels und drückte sie Schorsch lose in die Hand.
Ein paar freundliche Floskeln zum Abschied, dann stieg der Stiernacken hinters Steuer des Kombis, Döbler führte seine Begleitung zum Audi und hielt ihr die Beifahrertüre auf. Ganz Kavalier der alten Schule. Nachdem sie sich in den Ledersitz fallengelassen und die sittsam aneinandergepressten Beine im Fußraum verstaut hatte, lief er hinten um den Wagen herum, stieg hinters Lenkrad. Nach einer halben Minute befanden sich beide Fahrzeuge in der Ausfahrt.
Schorsch und Bastian grinsten sich an. So einfach hatten sie sich das Geschäft doch nicht vorgestellt. Nun war der Wagen weg. Dass er gestohlen war, würde Döbler erst merken, wenn er irgendwann eine Grenze überquerte oder in eine Verkehrskontrolle geriet. Der Kaufvertrag mit den Namen aus den gefälschten Ausweisen würde auch nicht auf ihre Spur führen. Oder könnte Döbler von sich aus gleich zurückkehren, um den Vertrag aus seiner Sicht nachzubessern? Seinem schlagenden Argument im Muscleshirt wären sie nicht gewachsen. Aber das würde wohl nicht passieren.
Euphorisch schritten die beiden auf den Imbisswagen neben dem Eingang zum Möbeldiscounter zu. Sie hatten den Erfolg ihres Geschäfts in einem gehobenen Ambiente feiern wollen, aber das konnten sie jederzeit nachholen. Momentan hatten sie einfach Hunger.
»Zweimal das Nackensteak in der Semmel«, bestellte Schorsch bei dem Mann mit der senfbekleckerten Schürze, »und haben Sie Pikkolos?« Obwohl dessen Gehilfe sie bediente, ignorierten sie den und betrieben Smalltalk mit dem Budeninhaber, bis sie das Bestellte in Händen hielten.
Minuten später lehnten Schorsch und Bastian mit vollem Mund an einem der drei Stehtische. Den Imbisswirt hatte Schorsch mit einem der Scheine aus dem Täschchen bezahlt.
Sie standen mit dem Rücken zum Parkplatz. Sie hatten sich nicht mehr umgedreht, seit sie Döbler bei seiner Abfahrt zum Gruß kurz zugewinkt hatten. So entging ihnen, dass der Audi und der Benz undmittelbar nach dem Verlassen des Parkplatzes von zwei Streifenwagen gestoppt wurden. Sie kamen aus einem Firmengelände auf die Straße geschnellt, die die einzige Ausfahrt von diesem Teil des Industriegebiets darstellte. Den Rückweg schnitt Döbler & Co gerade ein drittes Polizeifahrzeug ab.
»Prost!« meinte Bastian.
Sie stießen mit den kleinen Sektflaschen an. Richtig kalt war der Sekt nicht, aber für den Abend war der Besuch einer Party angesagt. Dort konnte man den Handel angemessen begießen, und das auf Kosten anderer.
Noch auf dem letzten Bissen kauend – Bastian stocherte mit einem Zahnstocher zwischen Zähnen und Fleischstückchen herum - strebten die beiden gut gelaunt dem schmalen Durchgang im Zaun zwischen den zwei Parkplätzen entgegen. Mit Absicht hatten sie Schorschs alten Honda vor dem Baumarkt geparkt, dessen Vorgänger bis vor einigen Jahren mit dem Biber seine Werbung betrieben hatte.
»Würden Sie bitte stehenbleiben. Polizei.«
Zu dem Gehilfen der Imbissbude, der ihnen nachgegangen war, hatten sich zwei Arbeiter gesellt, die vorher neben einem unauffälligen Lieferwagen gestanden hatten. Sie versperrten ihnen den Rückweg, nickten den drei Zivilbeamten zu, die vor Schorsch und Bastian aufgetaucht waren und deren Sprecher denen gerade seinen Dienstausweis vorhielt. Die drei hatten neben dem Durchgang an einem Blumenkübel gestanden und sich unterhalten.
»Bitte, was haben wir getan?«
»Sie wissen doch, wer Banknoten fälscht oder nachmacht oder gefälschte oder nachgemachte Banknoten in Umlauf bringt …« Der Gehilfe von der Imbissbude wedelte lachend mit dem 50-Euro-Schein, mit dem Schorsch bezahlt hatte. »Und Sie haben eine ganze Tasche davon.«