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Bauernschläue

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In Gedanken winkte er dem Autotransporter nach, der gerade vom Hof fuhr. Die beiden Traktoren auf der Ladefläche hatten ihm jahrelang zuverlässig gedient, jedoch hielt der Anflug von Nostalgie nicht lange an. Schon nachdem er sich umgedreht hatte, stapfte er zufrieden die matschige Einfahrt zu seinem Wohnhaus zurück. Er rieb sich die Hände. Ein gutes Geschäft! Für seine beiden Ackerschlepper, die nun nach Norddeutschland unterwegs waren, hatte er einen Preis erzielt, der seine Erwartung überstieg. Der John Deere 6300 und der Fendt aus der 700er-Reihe, beide um die Jahrtausendwende gebaut, hatten sein finanzielles Polster um über 80.000 Euro erhöht.

Der Beifahrer war der Käufer, er hatte den Betrag in bar beglichen.

Dem gegenüber nahm sich der Kaufpreis für seinen neu erworbenen John Deere 6300 und den in der letzten Woche gekauften Fendt aus der 700er-Reihe, beide um die Jahrtausendwende gebaut, bescheiden aus. Zusammen nicht einmal 20.000 Euro. Dass die Fahrzeuge unter schweren Motor- und Getriebeschäden litten, deren Reparaturkosten ein Mehrfaches der Kaufpreise betragen würden, fiel nicht ins Gewicht. Sie sollten in der kommenden Woche geliefert werden. Er wollte sie in seine Scheune schleppen, er hatte ja noch seinen kleinen funktionstüchtigen Deutz, mit dem er sie rangieren konnte. Die beiden Neuen würden ohnehin nie auf dem Acker zum Einsatz kommen.

Er hatte an alles gedacht, alles bis ins Kleinste ausgetüftelt.

Dachseder bewirtschaftete einen abgelegenen Bauernhof in Westerndorf, einem Ortsteil von Haimhausen, das sich nördlich von Unterschleißheim an die B13 anschmiegte. Man erreichte ihn, indem man von der Kirche St. Peter und Paul dem Biberbach nach Westen folgte und ihn nach einiger Zeit überquerte. Gegen die Weiler Westendorf und Ostendorf auf der einen Seite und das Dörfchen Biberbach auf der anderen Seite lag der Hof sichtgeschützt hinter Waldstücken.

Seine beiden Traktoren wurden im Abstand zweier Tage geliefert, Dachseder bugsierte sie in die Scheune, ohne dass ihn jemand dabei beobachtet hätte. Mit einem Schraubendreher bewaffnet beschäftigte er sich danach damit, die Nummernschilder anzuschrauben. Er hatte sie von seinen verkauften Traktoren vor deren Abmeldung entfernt. Als er nach getaner Arbeit das Werkzeug hinlegte, schwoll seine Brust vor Stolz.

Er hatte an alles gedacht.

Seine alten Schlepper hatte er nach Norden verkauft, auf eine Suchanzeige hin, die er in einem Online-Portal für gebrauchte Landmaschinen fand. Seine neuen entdeckte er in zwei voneinander unabhängigen Angeboten eines anderen Portals. Er hatte sie vor dem Kauf in Niederbayern besichtigt, war eigens mit dem Auto dorthin gefahren und hatte sie persönlich begutachtet. Er bezahlte sie bar.

Dachseder richtete sich auf, verließ die Scheune nicht durch das schwere zweiflügelige Holztor, durch das er die Traktoren hereingebracht hatte, sondern durch die metallene Feuerschutztür in der einzigen gemauerten Wand. Ein Anflug von Ärger bemächtigte sich seiner, als er sich mit der Schulter dagegen stemmte. Er musste dringend die Türangeln fetten und in die Klinke eine neue Schraube eindrehen, das Gewinde der alten war ausgeleiert.

Im Wohnhaus angekommen, zog er in der Diele seine Stiefel aus, begab sich ins Wohnzimmer und schrieb an dem Entwurf seines Briefes an die Versicherungsgesellschaft weiter.

Nun musste er nur noch auf gutes Wetter warten.

Der Frühsommer in Deutschland war außerordentlich heiß gewesen. Weiter im Norden war es zu zahlreichen Waldbränden gekommen, oft genug durch ein unglückliches Zusammentreffen der Trockenheit und eines Gewitters. Auf die Bekämpfung von Waldbränden oder Flächenbränden auf Feldern war man nicht eingerichtet, die Schäden waren beträchtlich.

Dachseder hoffte zudem auf ein noch aufzulegendes Hilfsprogramm des bayrischen Landwirtschaftsministeriums für Landwirte, die auf Grund der Trockenheit Ernteausfälle erlitten hatten. Er zählte sich im Geiste schon zu dem Empfängerkreis. Es würde ein gutes Jahr werden.

Die Tage waren heiß und trocken. Zwei Wochen gleißende Sonne tagsüber, nachts kaum Abkühlung, stehende Schwüle 24 Stunden täglich. Seinen kleinen Gemüsegarten hatte er ausreichend bewässert. Seit seine Frau gestorben war, lebte er auf dem Hof allein. Das Handtuch von Beet genügte ihm, seine Äcker ließ er darben.

Donner riss ihn aus dem Schlaf, er fuhr auf, saß senkrecht im Bett. Normalerweise hätte er Minuten gebraucht, sich zu sammeln und zu orientieren. Nun aber benötigte er nur Sekunden, um sich an die Arbeit zu machen.

Er hatte schließlich an alles gedacht und sich bestens vorbereitet.

In der Diele schlüpfte er in seine Stiefel, zog den Mantel vom Garderobenhaken neben der Haustür, warf ihn sich über, als er den Hof schon halb überquert hatte. Der Boden war knochentrocken, er hinterließ keine Spuren, die ihm zum Verhängnis werden könnten.

An einer Seite des Scheunentores hatte er schon vor Tagen einen Strohballen angelehnt, Stroh auch vor der Toröffnung ausgestreut. Der Blitz würde in die Scheune eingeschlagen und das Stroh entzündet haben, wäre später die Vermutung der Brandexperten, die er sich im Geiste zurechtgelegt hatte. Er fingerte in seiner Manteltasche, zog das Feuerzeug heraus und schaute sich zur Vorsicht nach allen Seiten um. Kein Mensch weit und breit, keine Zeugen. Nun konnte er beginnen, es würde das perfekte Verbrechen! Er wartete auf den nächsten Blitz und drehte das Reibrad des Feuerzeugs. Wieder und wieder. Ohne Erfolg, der Gewitterwind wehte von der Scheune weg aufs freie Feld. Keine Flamme konnte sich erheben, kein Fünkchen länger als einen Atemzug lang glimmen. Das Stroh war einfach nicht in Brand zu setzen, das Verbrechen des Jahrhunderts wollte nicht gelingen. Es war zum Verzweifeln!

»Scheißg´lump!« Dachseder fluchte. Da er ja an alles gedacht hatte, war das Einweggasfeuerzeug neu gekauft – in der Anonymität eines Unterschleißheimer Lebensmitteldiscounters, denn in seiner Umgebung wusste jeder, dass er nicht rauchte. Die Funktionstüchtigkeit hatte er mehrfach geprüft und nachgewiesen. Im Haus funktionierte es ausnahmslos.

»Im Haus? Ja.« Er lächelte.

Er ging halb um die Scheune herum und zog die Feuerschutztür auf. Die Klinke wackelte, und er musste sie leicht verkanten. Licht machte er nicht. Erstens herrschte auch im Innern ein Halbdunkel, zweitens leuchteten in nunmehr schneller Folge Blitze durch die Ritzen im Holztor und in der Holzwand darum herum in die Scheune. Er musste sich beeilen, sie musste brennen, bevor der letzte Blitz erloschen war. Andernfalls würden die Ermittler von Polizei und Versicherung unbequeme Fragen stellen.

Wenn nun alles glattging, brauchte er seine Schadensmeldung nur noch um Datum und Uhrzeit zu ergänzen und abzuschicken. Der adressierte und ausreichend frankierte Umschlag lag neben dem Schreiben auf dem Sideboard im Wohnzimmer. Nur der beschriebene Schadensfall musste noch herbeigeführt werden.

Seine Hände zitterten. Doch … in der Scheune funktionierte das Feuerzeug. Mit einem zweimaligen Reiben setzte er das lose Stroh innen am Tor in Brand, wenige Sekunden nur brauchten die kleinen Flammen, sich durch den Spalt in das Stroh und den Strohballen an der Außenseite zu fressen.

Dachseder blieb noch eine Weile. Er wollte sichergehen, sah gleich darauf seinen Plan aufgehen. Zudem war er fasziniert vom Flammenspiel, das sich nun ausweitete. Jungenhaft ausgelassen kickte er mit dem Fuß noch ein paar dünne Äste in die Flammen. Tor und Holzwand fingen Feuer, die innen angelehnten Holzplanken kohlten an, er hatte sie gut ausbalanciert, sie kippten auf die beiden defekten Traktoren, von denen niemand wusste, dass sie seine wertvollen Geräte ersetzt hatten. Die Tanks waren halbvoll, und es lag genügend Gerümpel herum, um die ganze Scheune schnell in Flammen zu setzen. Die Holzwand mit dem Tor brannte bereits lichterloh.

Dachseder war hochzufrieden. Das Geld, das die Feuerversicherung zahlen würde, reichte zusammen mit dem Überschuss aus seinem Traktorentausch aus, ihm einen nicht nur sorgenfreien, sondern bequemen oder regelrecht luxuriösen Lebensabend zu sichern. Auch daran hatte er gedacht.

Und das Ganze ohne Brandbeschleuniger! Das war ihm wichtig. Er hatte zwar nie verstanden, wie die Ermittler in Fällen von Brandstiftung letzte Spuren von Benzin oder anderen Flüssigkeiten nachweisen konnten, aber er wollte sichergehen.

Er hatte an alles gedacht.

Als der Lack des zweiten Traktors Blasen warf, drehte sich Dachseder um. Es wurde Zeit, ins Wohnhaus zurückzukehren, im Bett aufzuwachen, den Feuerschein aus der Scheune zu bemerken und die Feuerwehr oder die Notrufzentrale anzurufen. Außerdem dürften in wenigen Minuten die ersten Schaulustigen im Hof stehen.

Er drückte die Klinke der Blechtür, nichts passierte. Er drückte ein zweites Mal – und hielt sie in der Hand. Den Vierkant hatte er nach außen geschoben, denn die Madenschraube hatte sich endgültig aus ihrem Gewinde gelöst und war auf dem Boden in einer dünnen Schicht Unrat verschwunden. Das Halbdunkel der Scheune verhinderte ohnehin, sie zu finden, auch wenn der Boden sauber gewesen wäre. Und selbst wenn … ohne den Vierkant war sie sowieso nutzlos.

Der Landwirt rutschte dennoch auf Knien vor der Tür herum, seine Fingerspitzen fuhren tastend über den Boden. Die Sinnlosigkeit seines Tuns erkannte er nicht. Holzsplitter, Steinchen, Stroh, Erde, aber keine Schraube. Mittlerweile hatte der Rauch die Scheune so weit gefüllt, dass er sich auch auf dem Boden ausbreitete und jede Sicht nahm. Als sich Dachseder einmal umdrehte, verlor er die Orientierung, kroch immer weiter in die Scheune hinein. Er hustete. Immer kräftiger und in immer kürzeren Abständen. Der Rauch verätzte ihm die Lungen, das Feuer hatte die Kunststoffkanister mit dem Flüssigdünger erreicht.

Bevor er das Bewusstsein verlor, ging ihm sein Plan nochmals durch den Kopf. »Ich hab´ doch an alles gedacht!« Auch an die Madenschraube. Aber denken allein genügt nicht immer.

Schmunzelmord

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