Читать книгу Die Liste vor der Kiste - Ruediger Dahlke - Страница 5

Оглавление

Wer die Lebensmitte überschritten hat – was biologisch gesehen mit einundfünfzig der Fall ist –, sollte sich eigentlich seiner Endlichkeit hier auf Erden immer stärker bewusst werden. Selbst wer in jüngeren Jahren meint, er habe alle Zeit der Welt, ist (zu) optimistisch. Siddhartha Gautama, der Buddha, sagte fünfhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung: »Das Problem ist, du denkst, du hast Zeit.«

Worauf wollen wir warten? Wie schlau ist es denn, jeden runden Geburtstag zu feiern und dabei zu übersehen, dass er uns dem verdrängten Ende einen deutlichen Schritt näher bringt? Es gibt nur eine Zeit, zu leben beziehungsweise damit anzufangen, und nur einen Ort, wo das möglich ist: Hier und Jetzt, das viel besungene Doppelgespann Raum und Zeit. Die beiden sind für uns Menschen die großen Täuscher, aber auch die Schlüssel zum Glück: Der einzige Ort und die einzige Zeit zu leben ist der Augenblick. Oder in den Worten von Anne Frank: »Wie wundervoll, dass niemand einen einzigen Moment warten muss, bevor er anfängt, die Welt zu verbessern.«

Wenn wir – Goethes und Angelus Silesius’ Rat folgend – den Tod beizeiten auf der Seelen-Bilder-Ebene zu uns einladen, können wir jetzt schon das große Geschenk in Empfang nehmen, das er uns anzubieten hat: das Leben vor dem Tod. In diesem Sinne wird uns der Tod zu seiner Zeit vollkommen ehrlich machen und unserer Wahrheit näherbringen.

Im Angesicht des Todes werden fast alle Menschen in einer tiefen Weise ehrlich, was Angehörige und andere Zurückbleibende oft erschreckt. Vielleicht ist das einer der Gründe, warum der Tod uns überhaupt so unheimlich ist. Dazu nur einige Beispiele aus meinem Feld der Medizin: Auf dem Totenbett konnte Edward Jenner, der Entdecker des Impfens, eingestehen, dass er der Menschheit mit der Impfung statt des erhofften Segens ein Monster beschert hatte. Erst auf dem Totenbett erkannte Louis Pasteur, in dessen Namen wir bis heute die sowieso schon gefährliche Trinkmilch noch weiter ruinieren, dass er die Erreger über- und das Terrain unterschätzt hat. Kurz vor seinem Tod gestand der Nervenarzt Leon Eisenberg, dass er das Krankheitsbild ADHS, das Zappelphilipp-Syndrom, passend zur Droge Ritalin erfunden habe und nicht etwa umgekehrt – typisches Beispiel eines von vielen im Dienste der Industrie erfundenen Krankheitsbilder.

Die Liste vor der Kiste

Подняться наверх