Читать книгу Das Bild der Zeit - Ruprecht Günther - Страница 7
Prolog
ОглавлениеAuf einmal war es so, als berge selbst das Licht ein Geheimnis. Ein schräger Sonnenstrahl tastete sich über die Stufen hinab und zeichnete schnurgerade Bahnen aus glitzerndem Staub. Die zerbrochenen, vor Schmutz starrenden Scheiben glühten auf wie flüssiges Feuer. Selbst die Spinnweben stapelten hoch und wirkten für Augenblicke, als seien sie aus Gold gewebt. Der Abenddunst verspann sich zu einem transparenten Pulver, das alles, worauf es sich legte, verwandelte in etwas höher Geordnetes und Edles:
Der rostige alte VW-Bus war plötzlich ein Gefäß für Zauberformeln und magische Utensilien; die Blätter des rachitischen Buschs vor der Kellertür dienten in Wahrheit zur Zubereitung eines kostbaren Aphrodisiakums; der Schimmel an der bröckelnden Hauswand war ein Pilz, der je nach Dosierung töten mochte oder einen Adepten einführen in uralte und geheimnisvolle Riten.
Die hintere Klappe des Busses war geöffnet. Dahinter stapelten sich in wilder Unordnung Masken, diverse Kleider und Perücken, eine Glaskugel und mystisch anmutende Figuren. Ein dürrer dunkelhäutiger Mann, dem sein erschrockener Ausdruck auf dem Gesicht festgeschrieben schien, griff mit spitzen Fingern nach einer rot-schwarzen Statuette und ließ sie um ein Haar fallen.
»Pass doch auf, du Idiot«, zischte sein Mentor Valtinho, ein hochgewachsener, gut gebauter Schwarzer mit kurz geschnittenen Haaren. »Oder willst du, dass dich Exu auf der Stelle in die Hölle nimmt?«
Der Kleinere zuckte zusammen. »Jetzt noch nicht!«
Er schlug sich an die Stirne und lies die Figur dabei um ein Haar erneut fallen. Valtinho lachte schallend. Ungeduldig riss er seinem Assistenten die Statue aus den Fingern und erteilte ihm einen Tritt. Er wog den Exu liebevoll in der Hand und eilte mit schwingenden Hüften über die Treppe nach unten.
»Wenn ich nicht wäre, lägen meine Heiligen längst alle zerbrochen auf dem Müll.«
Er lachte wieder. Vorsichtig setzte er die Figur an der rechten Seite des Eingangs ab. An der linken thronte bereits ein ähnliches Exemplar. Valtinho hob beide Hände an und murmelte Beschwörungen in einer fremdartigen gutturalen Sprache. Dann öffnete er die quietschende Türe und betrat den Keller.
Ihm schlug ein stechender Geruch nach Moder und verdorbenem Fleisch entgegen. An der Rückwand hing ein sorgfältig gebündelter blutroter Vorhang. Davor standen ein heruntergekommener Sessel und größere Statuetten mit Darstellungen des Exu, des großen Dämons. Er besaß die Macht, Menschenwege zu öffnen und zu schließen, und mit seiner Hilfe sollte jedes wichtige Vorhaben auf der Erde beginnen.
Zu ihm gesellte sich die im Tanz erstarrte Gestalt Maria Mulambos, deren schwarz glänzende Haare in einem imaginären Wind zu flattern schienen. Vor dem Sessel stand ein kleiner, in schmutziges Weiß gedeckter Tisch mit zwei Stühlen. Über den staubigen Betonboden breitete sich ein zerschlissener Teppich. Zu beiden Seiten des spärlich beleuchteten Raums lagerte Gerümpel.
Valtinho trat konzentriert an den Tisch. Darauf lagen zu einem Kreis gebündelte Ketten aus bunten Perlen. In ihrer Mitte ruhte ein Satz kleiner Miesmuscheln.
Seine Hand fasste nach den Muscheln und warf sie mit einer raschen Bewegung flach auf den Tisch. Aufmerksam betrachtete er den Wurf. Er drehte nachdenklich seinen goldenen Ring und schürzte die Lippen. »Sie verlangt wieder ein Spiel …«
Sein sinnlicher Mund verzog sich zu einem Lächeln.