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1.3 Struktur der Studie

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Der erste Teil der Studie besteht aus einer theoretischen Einleitung (Kapitel 2) und einer gegenwärtigen diskurspolitischen Kontextualisierung (Kapitel 3), die die Grundlagen für die anschließenden Textanalysen bilden.

Im zweiten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen gelegt. Hier dient zunächst Gerhard Seyfrieds Roman Herero (2003) als Folie für die theoretische Erörterung der Studie. Eingangs wird der allgemeine Kontext der heutigen Literaturwissenschaft skizziert, vor allem die gegenwärtige Multikrise, einschließlich der deutsch-afrikanischen Beziehungen, die zunehmend in das Blickfeld der Geisteswissenschaften gerät. Vor allem im Bereich der heute gängigen literaturwissenschaftlichen Ansätze, die meist historisch-kontextualisierend arbeiten, werden Desiderata aufgezeichnet, so dass der Bezug zum heutigen Moment oft verloren geht. Im Gegensatz dazu entwirft und erprobt die vorliegende Studie einen affektorientierten Ansatz, in dessen Zentrum ein erweiterter Affektbegriff steht.

Im dritten Kapitel wird, nach einem einführenden Exkurs zum Familienroman Hellmut Lemmers, Der Sand der Namib (2014), eine ausführliche Analyse der Bundestagsdebatten zu den Beziehungen zu Namibia unternommen, um so das Fundament für die im zweiten und dritten Teil der Studie folgenden Analysen sechs weiterer belletristischer Fallstudien zu legen und sie in den heutigen Kontext einbetten zu können. Ausschlaggebend für diese Untersuchung ist weniger die sehr vorsichtige und ausschließlich „privat“ gemeinte Entschuldigung, die von der damaligen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in Namibia 2004 ausgesprochen wurde, als vielmehr die Nähe zu den fast gleichzeitig stattfindenden Debatten im Bundestag über den Armenienvölkermord (Jelpke et al. 2015). Es zeigt sich, dass in vielen der herrschenden Diskursmuster Distanz, Gleichgültigkeit und Überheblichkeit, wie gegenüber den heutigen namibischen Verhandlungspartnern, spürbar sind, die in etlichen Hinsichten koloniale Züge aufzeigen.

Der zweite Teil der Studie ist dem für diese Untersuchung als paradigmatisch geltenden Roman Uwe Timms aus dem Jahre 1978, Morenga (2000 [1978] / 2020 [1978]), gewidmet. Die Kapitel vier und fünf bauen auf die gegenwartsbezogene (geo-)politische Diskursanalyse der Bundestagsdebatte auf, um eine affektorientierte Textanalyse des Romans zu unternehmen. Es wird gezeigt, dass die Montage-Methode Timms nicht nur einen epistemisch-historischen „Verfremdungseffekt“ erzeugt, sondern dass das Nebeneinander von Textfragmenten verschiedener Gattungen ein Modell liefert, welches das In-Bezug-Setzen von disparaten geschichtlichen Epochen und anscheinend auseinanderliegenden Völkern, Dingen und Lebensweisen konkret werden lässt. So entwirft Timms Roman auf dem Hintergrund des Deutsch-Namibischen Kriegs und des Herero- bzw. Nama-Völkermords ein Konzept für einen auf dem komplexen, dynamischen Gewebe des Lebens beruhenden erweiterten Affektbegriff.

Im Anschluss an die Analyse von Morenga werden im dritten Teil der Studie fünf andere Romane aus drei Jahrzehnten untersucht, ausgehend von Dietmar Beetz’ Flucht vom Waterberg (1989) und Giselher W. Hoffmanns Die schweigenden Feuer (1994) (Kapitel 6), über Stephan Wackwitz’ Ein unsichtbares Land (2003) (Kapitel 7) sowie Andrea Paluchs und Robert Habecks Der Schrei der Hyänen (2004) (Kapitel 8) bis hin zu Bernhard Jaumanns Der lange Schatten (2015) (Kapitel 9), um die verschiedenen Gestaltungsformen der affektiven Verbindungsmodi zur afrikanischen Vergangenheit bzw. Gegenwart darzulegen. Die affekttheoretischen Ergebnisse fallen insgesamt bei aller Komplexität der Texte ernüchternd aus, zeigen jedoch auf, inwiefern die Verwobenheit der zwei Kulturen trotz der Entfernung voneinander über ein Jahrhundert weiterbesteht.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Morenga seiner Zeit weit voraus war und bis heute ist. Timm „hat […] den Roman nicht als Parabel auf seine Zeit angelegt, und so konnte und kann der Roman weit über seine Gegenwart hinausweisen“, so Habeck (2020: 474) in seinem Nachwort zur jüngsten dtv-Ausgabe des Romans. Timms Hauptfigur Gottschalk entwickelt eine starke affektive Verbindung zum Land Südwestafrika und zu seinen Bewohnern, kann dies jedoch nicht in eine grundsätzliche persönliche Haltung bzw. Lebenspraxis umsetzen – was zugegebenermaßen zu der Zeit, in der der Roman spielt, sowieso fast unmöglich gewesen wäre. Da wo Gottschalk als Figur scheitert, gelingt es aber Timms Text, ein Bündel affektbasierter Schreibstrategien darzubieten, die das kompensieren, was die Figur selbst nicht kann. Diese textuellen Strategien deuten – wohlgemerkt – bereits Mitte der 1970er-Jahre das an, was spätestens heutzutage aufgrund der zunehmenden Verflechtung der beiden Kontinente miteinander an positiven politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Strategien notwendig wäre, um die bestehende Distanz in eine genuine, gleichberechtigte Zusammenarbeit umzuwandeln. Der zukunftsträchtige Charakter der Timm’schen Strategien tritt umso stärker in den Vordergrund, je affektarmer die textuellen Strategien der nachfolgenden Fiktionen des Deutsch-Namibischen Kriegs ausfallen.

Mit teilweiser Ausnahme von Jaumanns Krimi Der lange Schatten (2015) wird in den Texten eine große Distanz zu den dargestellten afrikanischen Bevölkerungen stillschweigend vorausgesetzt und durch die textuellen Strategien der Fiktionen aufrechterhalten. Beetz’ Flucht vom Waterberg (1989) verwendet einen Protagonisten, dessen hybride Identität eine affektive Anschlussstelle für den erzählerischen Einblick in die Welt der nicht-weißen Beteiligten am Deutsch-Namibischen Krieg bietet, solche Einfühlungsperspektiven jedoch in abstrakten Verbündnisträumen verpuffen lässt. Hoffmanns Die schweigenden Feuer (1994) ist von einem Deutsch-Namibier verfasst, so dass man von einer gewissen affektiven Nähe zu den afrikanischen Protagonisten ausgehen könnte. Diese Annahme ruht auf der empathischen Darstellung des Herero-Lebens, teilweise untermauert durch eine pseudo-autobiografische Stimme. Es bleibt aber bis zum Ende unklar, inwiefern das hier wortwörtlich verflochtene deutsch-namibische Schicksal ein residuales koloniales Wissen in Erscheinung treten lässt, das in eine unterschwellige Bejahung des Untergangs des Herero-Volkes mündet und auf diese Weise nicht dessen Ferne, sondern vielmehr dessen Abwesenheit postuliert. Wackwitz’ Ein unsichtbares Land (2003), Paluchs / Habecks Der Schrei der Hyänen (2004) und Lemmers Der Sand der Namib (2014) sind deutsche Familienromane, welche durch die generisch bedingte Selbstfokussierung auf die deutsche Seite jener „Verflechtungsgeschichte“ zwangsweise die afrikanische Seite mehr oder weniger ausblenden. In diesen Romanen bleibt Afrika weitgehend fernab der deutschen Realitäten von heute.

Fazit: Morenga ist nicht grundlos nach wie vor bei der deutschen Leserschaft beliebt, wie die seit vier Jahrzehnten konstant bleibenden Verkaufszahlen und regelmäßigen Neuauflagen (zuletzt Anfang 2020 mit einem Nachwort von Robert Habeck) zeigen. Diese Beliebtheit beruht darauf, dass der Roman ein Publikum anspricht, das einer affektiven Beziehung zur Vergangenheit und Gegenwart Afrikas offen gegenübersteht, auch wenn er durch seine Montage-Technik keine leichte Kost ist. Bleibt Morenga vielleicht deshalb so erfolgreich, weil die affektive Arbeit, die der Roman leistet, nach wie vor ein Desiderat sowohl in der deutschsprachigen Belletristik als auch in der deutschen Außen- bzw. Kulturpolitik darstellt?

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