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Da stand er nun am Mittelkreis der mit 12.500 Zuschauern bis auf den letzten Platz ausverkauften Royal Arena in Kopenhagen. Es war Donnerstagabend, der 10. Januar 2019, kurz nach 20 Uhr. Er trug beigefarbene Wildlederschuhe, einen dunkelblauen, schimmernden Samtanzug, ein hellblaues Hemd und eine Krawatte im Grauton. In seinen Händen hielt der dänische Kronprinz Frederik ein Stück Papier, auf dem die Eröffnungsrede zur 26. Handball-Weltmeisterschaft der Männer in Dänemark und Deutschland stand. Und die ging so:

„Heute Nacht sind wir gemeinsam hier, um den Handball zu feiern, die Weltmeisterschaft im Handball. Meine Damen und Herren, liebe Handballfans – willkommen in Kopenhagen, willkommen in Dänemark, willkommen in der Heimat des Handballs. Handball ist eine dänische Erfindung, die bereits über 100 Jahre alt ist. Vor über 100 Jahren hatten dänische Lehrer die Idee, einen Ball mit der Hand zu werfen, anstatt ihn mit dem Fuß zu spielen. Sie haben sich damals bestimmt nicht diese Szenerie vorgestellt, die wir hier heute erleben dürfen. Einen Sport, der den gesamten Globus umspannt, Millionen von Aktiven, Athleten und passionierten Fans hat.

Das erste WM-Spiel auf dänischem Boden seit 1978 steht kurz bevor und somit die gesamte WM, die gemeinsam mit Deutschland ausgerichtet wird. Danke an die Organisatoren, die Partner und an die Tausenden von Freiwilligen für ihren unermüdlichen Einsatz bis hierher und für alles, was während des Turniers noch kommen mag. Wir sind bereit, um dies zu einem wundervollen und unvergesslichen Turnier für die Teilnehmer und Fans von überall auf der Welt zu machen. Wir werden nun Zeugen von herausragendem Können, Freundschaft und Respekt, der wahren Kraft des Sports. Bitte genießt und feiert die Eröffnung der Handball-WM in Dänemark.“

(Die Originalrede wurde in englischer Sprache gehalten, siehe https://www.youtube.com/watch?v=jnzeocB0YA0)

Womit wir gleich beim Thema und dem guten alten Ricola-Werbeslogan sind: Wer hat es erfunden? So viel steht fest: Die Schweizer waren es nicht. Aber waren es tatsächlich die Dänen, wie ihr Kronprinz behauptet? Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Ist England doch längst als Mutterland des Fußballs anerkannt, so liegen die Dinge im Handball nicht ganz so einfach.

Die große Frage lautet: Ist Handball eine in Deutschland entstandene Sportart oder stammt sie doch aus dem Ausland, etwa aus Dänemark? Endgültig klären lässt es sich bis heute nicht. Einen ersten Versuch dazu hat Walfried Rieckhoff, Wissenschaftler aus Hamburg, unternommen.

„Rund 20 in- und ausländische Spiele, verwirrend viele also, verortete der Hamburger bereits zu Beginn der 1940er-Jahre als Urformen, als er seine detailreiche Dissertation Historische Untersuchungen über die Vorläufer und Anfänge des Deutschen Handballspiels in Angriff nahm“, (Eggers, 2014, S. 11).

Anfänge soll es bereits in der Antike mit einem Wurfspiel gegeben haben. Die Griechen nannten es Harpaston, was so viel wie „rauben“ und „schnell wegnehmen“ bedeutet. Im antiken Rom war dieses bis ins fünfte Jahrhundert beliebte Spiel als Harpastum, eine „Übung mit dem kleinen Ball“, bekannt. Betrachtet man es mit heutigem Wissen, dürfte es als eine Mischung aus Rugby und Handball durchgehen.

„Den ersten Hinweis im 19. Jahrhundert auf ein mannschaftsartiges Ballspiel, das man als Vorform des Handballs bezeichnen könnte, beinhaltete der Katechismus der Turnkunst von 1852“ (Eggers, 2014, S. 12).

Der Braunschweiger Pädagoge Konrad Koch (1846-1911) hatte bereits 1874 Rugby in der Schule spielen lassen. Später gehörte er zu den Fußballpionieren des Landes und 1891 entwickelte er das sogenannte Raffballspiel. In den ersten veröffentlichten Regeln von 1897 war davon die Rede, dass Spieler den Ball nur mit der Hand spielen durften und maximal zwei Schritte mit dem Spielgerät in der Hand laufen durften. Dieses Spiel gilt vielen als Vorläufer des modernen Handballs.

Auch in Skandinavien wurde an den Anfängen des heutigen Handballs getüftelt.

„Das älteste Zeugnis einer solchen Spielform im nördlichen Europa ist 1898 im dänischen Helsingör zu finden. Als der geistige Vater des ‚Haandbold‘ genannten Spiels gilt der 1866 geborene Turninspektor Holger Nielsen, ein namhafter Repräsentant der dänischen Sport- und Gymnastikbewegung“ (Eggers, 2014, S. 17).

Doch selbst im kleinen Dänemark ist die Lage nicht ganz eindeutig. Klar ist: Holger Louise Nielsen, so der vollständige Name des Mannes, der später die Herz-Lungen-Wiederbelebung (Vorgänger der Mund-zu-Mund-Beatmung) erfand, veröffentlichte 1906 die ersten offiziellen Regeln seines Handballspiels in dem Buch Vejledning i håndbold (Gebrauchsanweisung Handball).

Der Olympiamedaillengewinner von 1896 (einmal Bronze im Fechten, je einmal Bronze und Silber im Schießen) war im Beruf Lehrer an der Ordrup Latein- und Realschule. Der Schulhof war zu klein für das gerade immer beliebter werdende Fußballspiel. Außerdem hatte Nielsens Schulleiter Fußball verboten, und so entwickelte sein Angestellter eine Ballspielvariante mit der Hand.

Normalt tildeler vi æren til Holger Nielsen, som var lærer på Ordrup Latin- og Realskole. Han begyndte i slutningen af 1800-tallet at eksperimentere med et boldspil med hænderne. Og i hvert fald var det Holger Nielsen, som i 1906 fremkom med det første regelsæt for spillet” (Videnskab.dk, 2009).

„Normalerweise schreiben wir dem Lehrer an der Ordrup Latein- und Realschule, Holger Nielsen, die Ehre zu, den Handball erfunden zu haben. Er begann Ende des 18. Jahrhunderts (Anmerkung des Autors: Es müsste Ende des 19. Jahrhunderts sein), mit einem Ballspiel zu experimentieren, bei dem nur die Hände benutzt werden durften. Es war jedenfalls Nielsen, der 1906 die ersten Regeln dieses Spiels veröffentlichte“ (Videnskab.dk, 2009).

Laut dem Autor, Forscher und Historiker Niels Kayser Nielsen aus dem dänischen Aarhus hatte jedoch auch ein anderer Landsmann seine Finger im Spiel.

„Auf der Bürger- und Gemeindeschule in Nyborg hatte der junge Lehrer Rasmus Nicolaj Ernst im Großen und Ganzen zur gleichen Zeit mit einer Gruppe Schüler Handball gespielt. Witzigerweise wussten die beiden Pioniere sehr wahrscheinlich nichts voneinander“ (Videnskab.dk, 2009).

Sie standen sich 1907 aber in einem der ersten Handballspiele der Geschichte mit ihren Teams als Gegner gegenüber. Es war die Partie zwischen einer Auswahl der Ordrup Latein- und Realschule (Nielsen) und der Helsingør Højere Almene Skole (die allgemeine höhere Schule Helsingör), an der Ernst 1905 angestellt worden war. Ordrup gewann mit 21:0.

Gut möglich, dass sich der dänische Kronprinz eben auf diese Ausführungen bezogen hat, als er davon sprach, dass „dänische Lehrer“ Handball erfunden haben. In Nielsens Augen gibt es jedenfalls mindestens diese beiden guten Gründe, weshalb sich Dänemark, heute eine der führenden Handballnationen, auch damit brüsten kann, diese Sportart sogar erfunden zu haben.

„Es ist weltweit anerkannt, dass Dänemark das Mutterland des Handballs ist, auch wenn einst die Tschechoslowakei versuchte, sich mit diesen Federn zu schmücken“ (Videnskab.dk, 2009).

Neben dem in Schweden verbreiteten „Handboll“, was aus dem dänischen „Håndbold“ abgeleitet worden sein soll, gab es im heutigen Tschechien einen weiteren Handballvorläufer, der von Frauen und Männern gespielt wurde.

„Die dritte einflussreiche Variante aus dem europäischen Ausland hieß ‚Hazena‘ und war bereits 1892 zum ersten Mal im heutigen Tschechien gespielt worden. Die Ähnlichkeiten zum heutigen Hallenhandball sind bemerkenswert: Jede Partei besaß sieben Akteure, die in 2 x 25 Minuten den Sieger ausfochten. Das Feld war 48 x 32 Meter groß, die Tore waren 2,4 Meter hoch und zwei Meter breit, die Strafraumlinie war sechs Meter vom Tor entfernt. Der Einwurf wurde wie beim Fußball vorgenommen. Vor allem aber durften die Spieler bei Alleingängen den Ball höchstens drei Schritt tragen und im Stehen nicht länger als drei Sekunden halten. Danach musste der Ball hochgeworfen oder auf den Boden getippt werden, maximal aber zweimal nacheinander, dann musste der Ball weitergegeben werden“ (Eggers, 2014, S. 18).

Auch in der Ukraine und in der Schweiz (also doch) soll es Spiele gegeben haben, die dem heutigen Handball als Vorbilder gedient haben können. Doch zurück nach Deutschland.

Neben dem Namen Koch ist hier vor allem der von Carl Schelenz, „ … von allen nur als ‚Vater des Handballs‘ bezeichnet …“ (Eggers, 2014, S. 11), zu erwähnen. Doch auch Max Heiser darf nicht unerwähnt bleiben. Der Weg vom Raffball bis zum Handball war – auch aufgrund des Ersten Weltkriegs – jedoch langwierig und führte zunächst zum Torball.

Im Jahre 1915 etablierte Heiser das Torballspiel für Frauen. Es war eine Art Handball, aber ohne Körperkontakt und Zweikämpfe. Der Ball hatte den im Vergleich zu heutigen Handbällen enormen Durchmesser von 71 cm.

Am Montag, den 29. Oktober 1917 um 19.30 Uhr erfolgte schließlich die Geburtsstunde von Handball – zumindest verbal und auf dem Papier. Heiser veröffentlichte die ersten Regeln und Spielbestimmungen des Handballs, immer noch für Frauen.

„Doch weil sich seine Schöpfung nicht durchsetzen konnte, musste er sich diesen Ruhm mit anderen Männern teilen“ (Eggers, 2014, S. 23).

Einer dieser Männer war besagter Carl Schelenz. Gemeinsam mit Eugen König und Ernst Heinz entwickelte er das Heisersche Handballspiel weiter und schuf 1919 daraus eine Männervariante. An dieser Stelle sei erwähnt, dass bei all den bisherigen Formen stets vom Handball im Freien, also Feldhandball, die Rede ist. Der Hallenhandball, von dem heute automatisch die Rede ist, wenn von Handball gesprochen wird, entwickelte sich erst später.

Genau wie Heisers Frauen-Spiel war auch diese neue Form von Schelenz zunächst stark auf den Berliner Raum beschränkt. Der Grund: Beide stammten aus Berlin. Schelenz träumte von Beginn an von einer deutschen Meisterschaft, doch bis es so weit war, musste Handball in den großen Institutionen anerkannt werden. Hier waren die Turner die Gegenspieler der Leichtathleten. Während Letztere sofort das Potenzial erkannten, dauerte es bei den Turnern. Erst Anfang 1920 veröffentlichte der Deutsche Turner-Bund die Regeln.

Im Jahr 1920 hatten am 22. Februar die Vereine BTV 1850 Berlin und GutsMuths Berlin (4:1) bereits das allererste Feldhandballspiel ausgetragen. Bereits ein Jahr später trug die Deutsche Turnerschaft erstmals eine deutsche Meisterschaft aus. Der Sieger hieß: TSV 1860 Spandau aus Berlin. Dank des Engagements aus der Turnerschaft hatte die neue Sportart Handball ihren Durchbruch geschafft und begann in Deutschland ihren Aufstieg zu dem, was sie heute ist: nach König Fußball eine der beliebtesten Mannschaftssportarten des Landes.

In Halle an der Saale wurde am 13. September 1925 das erste Länderspiel (Männer) weltweit ausgetragen. Deutschland unterlag Österreich mit 3:6. Trainer der deutschen Mannschaft war Schelenz. Fünf Jahre später waren die Frauen an der Reihe und es kam zum Ländervergleich zwischen Deutschland und Österreich. Am 7. September 1930 wurde in Prag gespielt und auch hier siegte Österreich (5:4).

Dennoch war Deutschland in den kommenden Jahren die führende Nation im Feldhandball. Dies lag daran, dass die Nationalsozialisten die Sportart förderten, weil ihnen die hohe Überlegenheit der eigenen Mannschaft gefiel. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin wurde Feldhandball extra – und zum einzigen Mal – ins Programm genommen. Deutschland gewann vor 100.000 Zuschauern gegen Österreich die Goldmedaille. Auf internationaler Ebene lief der Handball unter dem Dach der IAHF (International Amateur Handball Federation), dem Vorgänger zum heutigen Weltverband IHF (International Handballfederation) mit. Hier wurden auch die verschiedenen Regelwerke, mit denen damals (vor allem in Deutschland) gespielt wurde, zu einem einheitlichen zusammengefasst.

1938 trug der Verband erstmals Weltmeisterschaften aus: eine im Feld und eine in der Halle. Beide Male gewann Deutschland. Dabei trug Deutschland am 5. Februar gegen Dänemark (11:3) sein erstes Hallenhandball-Länderspiel auf heimischem Boden aus. Die Dänen hatten bereits drei Jahre zuvor gegen Schweden das erste Hallenländerspiel weltweit bestritten (und mit 12:18 verloren). Der deutsche WM-Sieg in der Halle war rückblickend gleichzeitig die Geburtsstunde des Hallenhandballs. Trainer der deutschen Mannschaft war von 1934 bis 1939 Otto Kaudinya, der somit alle drei Titel gewann. Der Zweite Weltkrieg verhinderte, dass es noch mehr wurden und dass sich Handball überhaupt irgendwie weiterentwickeln konnte.

Den nächsten Entwicklungsschritt gab es erst wieder im Jahr 1946, als am 11. Juli in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen der Weltverband gegründet wurde. Die IHF löste die IAHF ab, die während des Krieges bereits ihre Aktivitäten eingestellt hatte und die aufgrund ihres stark deutsch geprägten Einflusses nicht mehr erwünscht war. Ebenso wenig wie die Deutschen, die zunächst keinen Platz in der IHF bekamen. Mittlerweile gehört der Deutsche Handballbund (DHB) natürlich zur IHF und ist einer von insgesamt 209 Mitgliedsverbänden.

Der DHB wurde am 1. Oktober 1949 in Mülheim an der Ruhr gegründet und erkannte bereits damals beide Handballvarianten gleichermaßen an. Erster Vorsitzender war Willi Daume. Der spätere Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland (NOK) war selbst Feldhandballnationalspieler und wäre beim Olympiasieg 1936 dabei gewesen, wenn er nicht kurzfristig ins Basketballnationalteam berufen worden wäre. Hier wurde er zu allem Überfluss nicht eingesetzt.

Daume schaffte es, dem Handball, der genau wie Deutschland am Boden lag, wieder auf die Füße zu helfen. Im Krieg war der einst populäre Sport mit einem Negativimage befleckt worden (Handball galt als Wehrsport, rau und kämpferisch).

„Der DHB profitiert sehr von Daume, seinem ersten Präsidenten. Leute wie Daume seien sehr schwer zu ersetzen, klagte Nachfolger Ernst Feick 1955 über jenen Mann, der dem deutschen Handball nach dem Krieg wieder etwas verlieh, was er 1933 verloren hatte: Moral und Reputation“ (Eggers, 2014, S. 130).

Unter Daume wurden zudem die Grundlagen geschaffen, die aus dem DHB im Laufe der Jahre den größten Handballverband der Welt gemacht haben. Im Jahre 2018 (Stand: 1. Januar) hatte der DHB 757.593 Mitglieder (471.797 Männer, 285.796 Frauen) die sich auf 4.241 Vereine und über 21.000 Mannschaften verteilten. Trotz eines Rückgangs seit 2008 (842.070 Mitglieder) sind dies beachtliche Zahlen bei weltweit schätzungsweise 27 Millionen aktiven Handballern (davon ca. sechs Millionen Frauen). Der DHB ist damit zugleich der siebtgrößte Sportverband in Deutschland. 1957 wurde der bis dahin eigenständige Verband Saar eingegliedert und 1991 der DHV, der Handball-Verband der ehemaligen DDR.

In der Deutschen Demokratischen Republik war der Handball, zu Beginn der Feldhandball, genau wie in der BRD äußerst beliebt. Und die DDR-Handballer waren ebenfalls gut und erfolgreich. Im Feld gab es für die Männer WM-Gold (1963) und -Silber (1966). In der Halle zudem 1970 und 1974 Silber sowie zweimal Bronze. Und 1980 gelang der DDR, was der DHB-Auswahl bis heute verwehrt geblieben ist: der Olympiasieg. Die Frauen-Mannschaft der DDR holte in Moskau Bronze. Vier Jahre zuvor, beim ersten olympischen Turnier für Frauen, gab es Silber. Mit drei WM-Titeln (1971, 1975 und 1978) ist die DDR bei den Frauen immer noch die zweitbeste Nation der Geschichte.

Genau wie im Westen wurde auch im Osten Hallenhandball schnell immer populärer. 1958 wurden die Männer-WM in der DDR ausgetragen und ein gesamtdeutsches Team gewann die Bronzemedaille. Dieser Erfolg führte u. a. dazu, dass Handball, im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten (Basketball, Wasserball, Tennis, Ski, Reitsport und Eishockey), finanziell gefördert wurde. Dies spiegelte sich auch im Vereinshandball wider, wo große Namen wie der SC Leipzig, TSV Berlin (Frauen) und SC DHfK Leipzig, ASK Vorwärts Frankfurt/Oder sowie SC Magdeburg (Männer) auch international Erfolge feierten.

Zurück zum DHB: Der Sitz des Verbandes ist seit jeher in Dortmund, im Willi-Daume-Haus, das 1995, ein Jahr vor Daumes Tod, zu seinen Ehren als Schaltzentrale des DHB eingeweiht wurde. Von hier aus werden die 22 Landesverbände (historisch bedingt, gibt es mehr Landesverbände als Bundesländer) und sämtliche Aufgaben des DHB koordiniert. Zentrales Thema ist ganz aktuell die sogenannte Strukturreform, mit der sich der DHB fit für die Zukunft machen will. Auf dem Bundesrat in Hamburg in Herbst 2019 wurden die entsprechenden Weichen gestellt. Ab 2021 soll die Reform, die sich u. a. mit den Themen Leistungssport und Mitgliederentwicklung beschäftigt, in Kraft treten kann.

Die Präsidenten des DHB im Laufe der Jahre:

Willi Daume (1949-1955)

Ernst Feick (1955-1966)

Otto Seeber (1966-1972)

Bernhard Thiele (1972-1989)

Hans-Jürgen Hinrichs (1989-1993)

Bernd Steinhauser (1993-1998)

Ulrich Strombach (1998-2013)

Bernhard Bauer (2013-2015)

Andreas Michelmann (seit 2015)

Noch einmal zum Wandel vom Feld in die Halle: Nach dem Krieg setzte der Abstieg des Feldhandballs und der gleichzeitige Aufstieg der Hallenvarianten endgültig ein. Bei den Olympischen Spielen 1948 in London wurde Feldhandball aus dem Programm gestrichen, Deutschland durfte an den Spielen gar nicht teilnehmen.

Bei den folgenden Weltmeisterschaften nahm die Teilnehmerzahl auf dem Feld ab, in der Halle hingegen zu. Zwar war die WM 1955 durchaus noch einmal ein Höhepunkt und auch die Frauen bekamen 1949 ihre erste WM, insgesamt blieb es aber eine rein deutsche Domäne (zumindest bei den Männern) und war in anderen Ländern immer weniger beliebt. Bis auf Schweden 1948 gingen alle WM-Titel immer an deutsche Teams (1963 an die DDR). So auch der letzte 1966. Bis 1975 wurde in Deutschland noch eine nationale Meisterschaft ausgespielt, doch da war Handball längst eine Hallensportart.

In den 1950er-Jahren waren es die skandinavischen Länder, die beim Wandel des Spiels eine Vorreiterrolle einnahmen. Das Klima im hohen Norden Europas ließ nur wenige Monate im Jahr Handball unter freiem Himmel zu. Also wurde ein Dach über das Spiel gesetzt. Deutschland zog in den 1960er-Jahren nach, indem etliche Sporthallen gebaut wurden. Zudem gewannen die Feldhandballstars wie Hans-Günther Schmidt und Herbert Lübking immer mehr Gefallen an der Hallenvariante, die durch die Einführung des durchgehenden Prellens, die Drei-Schritt-Regel (1958) und den Freiwurf ohne Anpfiff (1965) an Tempo und Attraktivität gewann.

Apropos: Wenig attraktiv und somit auch ein Teil des Niedergangs vom Feldhandball war die internationale Langeweile. Deutschland, das den Sport einst groß gemacht hatte, siegte ihn quasi auch klein. Von insgesamt 120 Länderspielen wurden nur vier verloren. Längst wurden auch keine großen Fußballstadien mehr mit Zuschauermassen wie in den 1950er-Jahren gefüllt, und so kam es, dass beim Wort Handball bald ganz automatisch Hallenhandball gemeint war. Bis heute ist das so geblieben.

Ausgerechnet Willi Daume, selbst Feldhandballer und glühender Verfechter dieser Version, war es, der Handball – in der Halle – wieder ins olympische Programm beförderte. Bei den Sommerspielen 1972 in München war er Organisationschef und ließ im Vorfeld ein Demonstrationsspiel ausrichten. Die Begeisterung war groß, Hallenhandball wurde bei den Männern ins Programm aufgenommen und ist seit 1976 auch bei den Frauen dabei. Feldhandball spielt seither keine Rolle mehr.

In Deutschland gab es damals bereits eine Männer-Bundesliga und zwar seit 1966/67. Zunächst in zwei Staffeln (Nord und Süd) unterteilt, wird der Meister seit 1977/78 in einer eingleisigen Liga ermittelt. Die Bundesliga der Frauen wurde 1975 gegründet und seit 2011 gibt es auch Bundesligen im A-Jugend-Bereich.

Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Männer-Bundesliga, die 2016 ihr 50-jähriges Jubiläum feierte, sowie der Handball insgesamt, trotz einiger Rückschläge, positiv. Für Negativschlagzeilen sorgten beispielsweise immer wieder Vereine, die in finanzielle Schieflage gerieten. Eines der jüngsten und prominentesten Beispiele war der HSV aus Hamburg. Nach der Meisterschaft (2011) und dem Champions-League-Sieg (2013) folgte in der Saison 2015/16 die Insolvenz und der Zwangsabstieg in die dritte Liga.

Ein strengeres Lizensierungsverfahren führt seit einigen Jahren dazu, dass die wirtschaftliche Lage der Vereine stabiler ist. Die HBL (Handball-Bundesliga), die im Jahre 2004 gegründet wurde, steht hier federführend für die Einhaltung und Überwachung. Mit der Gründung der HBL wurde die Professionalisierung vorangetrieben. Der Zuschauerzuspruch in den Hallen und am TV stieg kontinuierlich an, die Vermarktung im In- und Ausland und mit all dem auch die Gehälter im Handball. Wobei der Sport in allen wirtschaftlichen Bereichen weiterhin Lichtjahre vom großen Bruder Fußball entfernt ist.

Die Bundesliga wurde – zwar selbsternannt, aber aufgrund der Star- und Leistungsdichte durchaus berechtigt – zur „stärksten Liga der Welt“. Auch wenn in den letzten Jahren vor allem wegen der hohen Belastung viele ausländische Spieler abgewandert sind und in Europa etliche Topklubs in anderen Ländern starke (vor allem finanziell) Konkurrenz darstellen, ist die Bundesliga für viele Experten weiterhin das Nonplusultra im Vereinshandball.

Bei den Frauen sieht das anders aus. Genau wie das deutsche Nationalteam, spielt auch die heimische Liga aktuell im internationalen Vergleich nur eine zweitrangige Rolle. Viele Jahre war die dänische Liga die beste. In den letzten Jahren hat sich vieles auf den Balkan oder gar nach Russland verlagert, wobei skandinavische Teams immer noch attraktive Adressen sind.

Apropos Frauen: Worin liegt eigentlich der größte Unterschied zwischen Frauen- und Männer-Handball? Das Prinzip und die Regeln des Spiels sind natürlich gleich, aber Grit Jurack, deutsche Rekord-Nationalspielerin und -Torschützin (siehe Kap. 3) meint: „Frauen-Handball ist nicht so physisch, es gibt nicht so viele Zweikämpfe, der Ball läuft meistens flüssiger und länger, weil es zudem nicht so viele Unterbrechungen wie bei den Männern gibt.“ In ihren Augen spielen Frauen manchmal „zu emotional“ und „riskieren zu viel“. In Situationen, in denen ihre männlichen Kollegen „cooler bleiben, sicherer spielen“, wagen Frauen ihrer Meinung nach riskantere Pässe oder Würfe. Außerdem glaubt sie, machen Männer „im Schnitt weniger technische Fehler“.

Jurack ist fest davon überzeugt, dass die „besten Frauen vom Niveau mit den besten Männern zu vergleichen sind“, da es jedoch viel mehr Männer als Frauen gibt, die Handball spielen, gibt es auch deutlich mehr gute Männer. „Bei den Frauen geht die leistungsmäßige Streuung früher los.“

Frauen-Handball leidet in Deutschland jedenfalls unter dem Problem, dass Frauensport besonders bei den Mannschaftssportarten in der öffentlichen Wahrnehmung nur schwer an die jeweiligen männlichen Kollegen heranreicht. Während beispielsweise im Wintersport, in der Leichtathletik oder im Tennisfrauensport auf Augenhöhe behandelt wird, haben es selbst die Fußballfrauen hierzulande schwer, von den Handballerinnen ganz zu schweigen. In den Medien finden sie kaum statt und solange die Nationalmannschaft – der letzte Titel war der WM-Sieg 1993 – keine vorzeigbaren Erfolge feiert, wird es schwer sein, junge Mädchen für Handball zu begeistern. Die Weltspitze ist im Frauen-Handball jedenfalls in Skandinavien, auf dem Balkan, in Russland, Frankreich, den Niederlanden und Brasilien unterwegs.

Handball ist in Deutschland – zumindest im Männer-Bereich – im Laufe der Zeit vom Amateursport zu einem hochprofessionellen Sport geworden. Während die deutschen Weltmeister von 1978 noch reine Amateure waren, bestand das Team der Europameister von 2016, die „Bad Boys“, so der Spitzname, ausschließlich aus Vollprofis.

Dem Handball ist es bei diesem Wandel gelungen, seine Historie und Tradition zu bewahren, dabei aber mit der Moderne zu gehen und neue Märkte zu entdecken.

Nach dem WM-Titel von 1978 waren ohne Zweifel die wichtigsten Ereignisse hierzulande der WM-Gewinn 2007, das sogenannte Wintermärchen (siehe auch Kap. 7) und der EM-Titel 2016. Denn es gilt ganz klar: Die Nationalmannschaft ist und bleibt das Zugpferd der Sportart und spielt die DHB-Auswahl gut, geht es dem Handball gut.

Der DHB hat sich in seiner Perspektive 2020+ u. a. auf die Fahnen geschrieben, dass die Nationalteams sportlichen Erfolg haben sollen. Die Mitgliederentwicklung ist ein zentrales Thema, starke Ligen und Professionalisierung sowie wirtschaftlicher Erfolg. Ein wichtiger Baustein in diesem Konzept ist der Fokus auf die Jugend. Nach dem WM-Sieg 2007 wurde es verpasst, die Euphorie auszunutzen und Kinder sowie Jugendliche dauerhaft an den Handball zu binden. Dies scheint in jüngster Vergangenheit besser zu gelingen. Jedenfalls machen die über 300.000 DHB-Mitglieder unter 18 Jahren einen großen Teil in der Gesamtbilanz aus.

Dazu trägt auch die neueste und ohne Zweifel jugendlichste Variante des Handballs bei: Beachhandball. Wie der Name schon sagt, wird sie am Beach, also am Strand bzw. im Sand, gespielt.

Auf einem 27 x 12 Meter großen Feld treten zwei Teams à vier Spieler gegeneinander an. Gespielt wird zweimal 10 Minuten, beide Halbzeiten werden unterschiedlich voneinander gewertet. Besonderheit: Tore zählen je nach Art des Wurfs unterschiedlich viel. Ein Treffer nach einem Kempa-Trick zählt beispielsweise doppelt (siehe auch Kap. 3), in manchen Ländern dreifach. Außerdem darf der Torwart im eigenen Angriff durch den sogenannten Schlüsselspieler ersetzt werden. Tore von diesem Akteur zählen ebenfalls zweifach.

Die Ursprünge der Sandvariante gehen bis in die 1980er-Jahre zurück. In Deutschland kam Beachhandball ernsthaft in den 1990er-Jahren auf. Längst hat diese Form sich etabliert und es gibt neben einer deutschen Meisterschaft und der Champions League auch Europasowie Weltmeisterschaften.

Es ist zwar äußerst unwahrscheinlich, dass sich im Handball nochmals ein vollkommener Wandel vollzieht und so, wie einst der Hallenhandball den Feldhandball abgelöst hat, irgendwann Beachhandball dem Hallenspiel den Rang ablaufen wird. Aber Handball geht mit der Zeit, spricht ein neues, junges Publikum an und die IHF hat beim Internationalen Olympischen Komitee offiziell den Antrag gestellt, Beachhandball als neues Event bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris ins Programm aufzunehmen. Es passt perfekt zum Vorhaben des IOC (Internationales Olympisches Komitee), mit neuen, trendigen Sportarten die junge Generation anzusprechen. Spätestens 2028 bei den Spielen in Los Angeles dürfte Beachhandball dabei sein. Die USA sind ohnehin aktuell einer der großen Märkte, die im Handball angegangen werden. Zwar wird längst überall auf der Welt Handball gespielt, aber Nordamerika und auch China sowie der Süden Afrikas sind nach wie vor handballerisches Niemandsland.

Ganz anders sieht es hierzulande aus. Auch wenn die anfängliche Frage – wo hat der Handball eigentlich seine Ursprünge? – nicht gänzlich geklärt werden kann, so ist festzuhalten: Deutschland ist ein Handballland und im internationalen Vergleich heute sicherlich ein führendes.

In Deutschland gehen die Verantwortlichen ebenfalls mit der Zeit, zumindest versuchen sie es. Es wird auf neue Technologien gesetzt. Im Profibereich gibt es ebenso einen Chip im Ball wie in den Trikots der Bundesligaakteure. Dadurch lassen sich viele, bislang nie dagewesene Daten über das Spiel Handball sammeln. Bei sportlichen Erfolgen, vor allem der Nationalteams, lassen sich die Deutschen für Handball begeistern, die Hallen sind meistens gut gefüllt, es gibt eine große Fannähe, Handballer sind authentisch, bodenständig und nahbar, der Sport ist fernsehtauglich, schnell, actionreich und auf den Rängen geht es fair zu.

Der DHB versorgt die große Handballfamilie in Deutschland in regelmäßigen Abständen auch immer wieder mit internationalen Großereignissen im eigenen Land. Nach der Frauen-WM 2017, der Männer-WM 2019, die, wie eingangs erwähnt, gemeinsam mit Dänemark ausgerichtet wurde, werfen die nächsten Turniere bereits ihre Schatten voraus. Im Jahr 2024 wird der DHB die Europameisterschaft der Männer ausrichten – als alleiniger Gastgeber und zum aller ersten Mal in der Geschichte des Turniers. Zudem erhielt Deutschland Ende Februar 2020 vom Weltverband (IHF) den Zuschlag, um 2025 gemeinsam mit den Niederlanden die Frauen-WM auszurichten. Außerdem wird der DHB 2027 Gastgeber der Männer-WM sein und 2023 die U21-Weltmeisterschaft organisieren.

Es waren zwar die Dänen von Kronprinz Frederik, die im Januar 2019 die WM in Herning im eigenen Land gewannen, doch auch in Deutschland war, ist und wird Handball immer ein starkes Thema bleiben.

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