Читать книгу Die Chroniken der drei Kriege - S. A. Lee - Страница 8

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Fort

Sie wandelte durch die Straßen der schwarzen Stadt, die Arme vor sich ausgestreckt; sie ahnte ihren Weg mehr, als dass sie ihn sah, nur geleitet vom glatten, feuchten Boden unter ihren Füßen. Unzählige Augen ruhten auf ihr, doch seltsamerweise machten sie ihr in diesem Moment keine Angst. Sie war auf dem Weg nach Hause, spürte sie, und auf diesem Weg konnte ihr nichts und niemand gefährlich werden. Wie immer war die Stimme allgegenwärtig, doch sie klang sanfter, freundlicher als sonst, als wüsste der, der dort rief, dass sie endlich den richtigen Weg gefunden hatte und nicht mehr davon abweichen würde.

›Komm‹, sagte sie, ›komm nach Hause. Komm.‹

»Ich komme«, antwortete Elouané und schloss lächelnd die Augen, als ein sanfter Wind ihr Gesicht streifte. Sie hob die Arme und fühlte, wie sie wie ein Blatt im Wind davongetragen wurde. Sie tanzte, schwebte, folgte dem Wind, ohne sich zu widersetzen. Sie fühlte die warme Feuchtigkeit an den Wänden der Häuser, die an ihr vorbeizogen, und schon von weitem sah sie den Turm, der über alles andere hinausragte wie ein Speer, der auf das Herz des Himmels zielte. Sie erkannte, wie schön er eigentlich war, wie vollkommen, und ihr Herz begann zu klopfen, als sie immer schneller darauf zuflog, sie streckte die Hände danach aus, wünschte ihn sich näher, brannte darauf …

Elouané wachte auf.

Zu ihrem Schrecken stellte sie fest, dass sie die Hände im Schlaf vor sich ausgestreckt hatte, als wollte sie tatsächlich nach dem schwarzen Turm greifen, der ihr im Traum so wirklich vorgekommen war. Sie ließ die Arme sinken, nur um im nächsten Augenblick zusammenzuzucken: Sie war nicht im Schrein der Waage, wo sie sich nach Kirins Aufbruch hinbegeben hatte, um zu beten, sondern stand auf einem verlassenen, mit Platten ausgelegten Pfad, der links und rechts von hohen Hecken umgeben war und den sie nicht kannte.

Entsetzt fuhr sie herum; wo auch immer sie hinsah, erstreckten sich nur gleichförmige, von Hecken umgebene Wege, und sie waren menschenleer. Sie zitterte, und als sie an sich hinuntersah, bemerkte sie, dass sie barfuß war und auch ihr Gebetstuch nicht mehr bei sich trug.

›Was geht hier vor?‹

Sie hob ihre bebende Hand an die Stirn, um sich zu beruhigen, und versuchte sich zu erinnern, wie sie hierhergekommen war. Sie hatte beim Schrein gekniet und gebetet und war plötzlich so müde geworden … danach erinnerte sie sich an nichts.

Undeutlich fiel ihr ein, dass Megan ihr einmal von sogenannten Schlafwandlern erzählt hatte, die sie in der Bibliothek von Aléh hatte behandeln müssen. Als Elouané ihr von ihren Träumen berichtet hatte, hatte sie ihr beruhigende Kräutersäfte zubereitet, die die Wirkung dieser Erscheinungen hatten mildern und verhindern sollen, dass sie in der Nacht herumlief. Gegen die Träume hatten sie zwar nicht geholfen, aber zumindest war Elouané dabei ruhig liegengeblieben. Jetzt aber schien die überwältigende Kraft der Traumgebilde sie eingeholt zu haben. Sie atmete tief ein und aus und versuchte sich zu beruhigen.

›Ich muss noch irgendwo in den Gärten des Palastes sein‹, überlegte sie, ›ansonsten wäre ich irgendwann gegen Mauern oder Gitter gestoßen.‹

Aber wo? In den kurzen Wochen, die sie im Haus des Großfürsten verbracht hatte, hatte sie nur zu erahnen begonnen, wie weitläufig die Parkanlagen wirklich waren; sie beherbergten ein Theater und Wasserspiele und unzählige kleine Pergolen, die als Rückzugsorte dienten und die gut versteckt in entlegenen Winkeln der Gärten lagen. Sie hatte einmal ein Bild gesehen, nach dem die Außenanlagen angelegt worden waren, und dabei hatte sich ihr ein unübersichtliches, verwinkeltes Labyrinth präsentiert, in dem man sich tagelang aufhalten konnte, ohne einer Menschenseele zu begegnen.

›Aber Kirin hat überall Wachen aufstellen lassen‹, dachte sie. ›Sogar vor dem Heiligtum standen welche. Wo sind sie?‹

Sie warf einen hilfesuchenden Blick zum Himmel; sie hatte sich vor Sonnenaufgang zum Gebet niedergelassen, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass seither eine Menge Zeit verstrichen war. Die Sonne war nirgends zu sehen, und mit jedem Herzschlag, den sie weiter so verharrte, schien es dunkler zu werden.

Ein Krächzen in ihrem Rücken ließ sie zusammenfahren, und als sie hinsah, erkannte sie eine riesenhafte Krähe, die in den Ästen der nächstgelegenen Hecke hockte und sie mit boshaftem Vergnügen beobachtete.

Elouané wich zurück, bis sie die gegenüberliegenden Büsche im Rücken spürte.

»Geh weg von mir, Vogel der Finsternis«, wisperte sie und machte unbewusst das Zeichen der Drei über ihrer Stirn. Sie hatte früher Zuneigung zu jeder Art von Lebewesen empfunden, aber seit sie gesehen hatte, wie die Hexer des schwarzen Ordens diese Tiere für ihre Zwecke manipulieren konnten, waren Abscheu und Argwohn in ihr gewachsen. Der Vogel rührte sich nicht, sondern erwiderte stumm ihren Blick, ein hämisches Glitzern in den Augen.

Zu ihrer Linken raschelte ein Zweig, und Elouanés Herz machte einen Satz in ihre Kehle; die Dunkelheit wurde dichter auf diesem Teil des Weges, und während sie hinsah, war ihr, als kröchen lebende Schatten über den Boden auf sie zu, um ihre Fußgelenke zu packen. Sie wirbelte herum und rannte los, das alarmierte Krächzen des Vogels ignorierend. Bei der nächsten Wegkreuzung stürzte sie blindlings nach rechts, während ein dunkler Lufthauch ihren Nacken streifte.

Raus hier – sie musste raus aus den Gärten und jemanden finden!

Da trat jäh vor ihr eine Gestalt auf den Weg.

Elouané sah nur das Wirbeln von Roben und das Blitzen eines Messers in der Hand des Mannes – und noch ehe sie bremsen konnte, prallte sie gegen ihn. Der Mann strauchelte und fluchte, wedelte mit den Armen durch die Luft und versuchte sein Gleichgewicht wieder zu finden. Elouané fuhr auf dem Absatz herum, um davonzurennen, doch in diesem Augenblick schlossen sich kräftige Finger um ihren rechten Oberarm und zogen sie zurück. Elouané schrie und kämpfte wie wild und zerkratzte ihm mit ihren Fingernägeln das Gesicht.

»Aua! Verflucht, Mädchen, wartet doch mal! Beruhigt Euch!«

Elouané zögerte; sie blinzelte heftig, und als ihr Blick sich klärte, erkannte sie ein bärtiges Gesicht mit deutlich arachinischen Zügen, außerdem fiel ihr auf, dass die Robe, die der Mann trug, nicht schwarz, sondern braun war. An seiner rechten Wange prangte eine hässliche Kratzspur, doch als sie aufhörte sich zu wehren, lockerte er seinen Griff ein wenig.

Verwirrt musterte er sie.

»Seid Ihr nicht die junge Novizin, die der Großfürst unter seinen Schutz gestellt hat?«, fragte er. »Was, bei den Dreien und all ihren Geschöpfen, macht Ihr hier?«

Elouané musterte sein Gesicht; sie glaubte, den Mann schon einmal im Palast gesehen zu haben, wie er flüchtig mit Megan sprach. Er war ein Heiler, seiner Robe nach zu schließen. Kirin hatte ihn aus seinem Kreis ausgeschlossen, weil … Elouanés Herz zog sich zusammen; weil er dem schwarzen Orden zur Rückkehr verholfen hatte.

Sie riss ihren Arm von ihm los und wich zurück.

Der Heiler betastete seine verletzte Wange und verzog das Gesicht. Dann sah er sich um, sichtbar irritiert. »Ihr solltet nicht hier herumwandern, ganz allein! Wo sind Eure Wachen? Seine Exzellenz hat ausdrücklich befohlen, dass Ihr stets unter Aufsicht bleiben müsst.« Einen Moment lang dachte der Mann nach, dann fuhr er mit gerunzelter Stirn fort: »Überhaupt dachte ich, Ihr wäret heute mit Seiner Exzellenz fortgegangen, um Euren Tempel einzuweihen? Die ganze Stadt spricht davon. Seine Exzellenz hat zwar in letzter Zeit davon abgesehen, mich persönlich über seine Vorhaben zu informieren, aber …« Erst jetzt bemerkte er ihren Gesichtsausdruck. »Kind, was ist mit Euch? Ist Euch nicht gut? Ihr seht aus, als hättet Ihr ein Gespenst gesehen!«

Elouané antwortete nicht; ihr Blick hing starr an der Waffe in den erdverklebten Fingern des Heilers; es war ein gebogener, brutal aussehender Dolch, in dessen Griff Runen und Verzierungen eingraviert waren.

Schattenrunen.

Derselbe Dolch, den der Dunkle Gott auf vielen Darstellungen bei sich trug.

Sie wich zurück, sämtliche Muskeln angespannt.

Der Heiler folgte ihr.

»Was habt Ihr denn? Wo ist Asusza? Wo sind Eure Leibwächter?«

Elouané antwortete noch immer nicht, und endlich schien der Mann zu begreifen; er folgte ihrem Blick und ließ hastig den Dolch sinken. »Habt keine Angst«, versuchte er es und verstaute die Waffe an seinem Gürtel. »Ihr habt nichts zu befürchten. Aber es ist dennoch besser, wenn ich Euch …«

Einen Herzschlag wandte er den Blick ab, und Elouané nutzte ihre Chance; ohne auf seinen überraschten Ruf zu achten, rannte sie los, in die Richtung, aus der sie gekommen war. Sie stürmte auf den kleinen Kreuzweg hinaus, an dem sie zuvor rechts abgebogen war, hetzte ohne nachzudenken weiter – und prallte zum zweiten Mal binnen weniger Minuten mit jemandem zusammen, diesmal so heftig, dass es sie rücklings hinschlug. Die Luft wich aus ihren Lungen, und einen Augenblick sah sie nichts außer verschwommenen Schlieren, während sie verzweifelt versuchte, wieder zu Atem zu kommen. In dem Augenblick, als sie sich auf den Bauch drehte, senkte sich ein schwarzer Stiefel vor ihr ins Gras.

»Nun seht, wie unser Gebieter stets über uns wacht«, sagte eine schnarrende Stimme. »Von Seinem Willen geführt, läuft das ersehnte Gefäß uns direkt in die Arme.«

Elouané sah hoch und schauderte, als der schwarzgekleidete Mann sich über sie beugte; sein hageres Gesicht war verzerrt und wirkte in dem seltsamen Zwielicht des Gartens kaum lebendig.

»Kaum zu glauben, welche Mühe es einigen meiner Brüder bereitet hat, dich zu finden«, meinte er weich, »wo du dich doch so bereitwillig in unsere Obhut begibst.«

Wieder raschelte es hinter ihr, und einen Augenblick später erschien der Heiler zwischen den Hecken. Sein Blick wanderte von Elouané zu dem Schwarzgekleideten, und während er noch hinsah, tauchten aus den angrenzenden Wegen weitere Schatten auf.

»Sieh da«, höhnte der mit dem verwischten Gesicht und erhob sich. »Ein Zuschauer.«

»Das ist der Mann, der unserem Oberen Stilicho die falschen Versprechungen gemacht hat«, wisperte einer seiner Gefährten, die jetzt einen engeren Kreis zogen, sodass weder Elouané noch der Heiler einen Fluchtweg hatten. »Der Heiler.«

Hämisches Kichern breitete sich unter den Männern aus, dass sich Elouané die Nackenhaare sträubten.

Der Heiler trat vor, während er argwöhnisch von einem zum anderen blickte. »Was habt ihr hier zu suchen? Wie seid ihr an den Wachen vorbeigekommen?«

Wieder lachten die Männer.

»Nun, das mit deinen Wachen hat sich erledigt«, erwiderte der Mann mit den deformierten Zügen. »Der kleine Junge, dem du dienst, dachte wohl, wir wären dumm genug, auf seine Täuschung hereinzufallen – es war ein Fehler von ihm, so viele seiner Soldaten abzuziehen. Es braucht viele gewöhnliche Menschen, um mit wenigen von uns fertigzuwerden.«

Der bärtige Heiler machte einen weiteren vorsichtigen Schritt nach vorn, sodass er an Elouanés Seite stand. »Falls ihr es auf Seine Exzellenz abgesehen habt, ist euer Vorgehen dennoch töricht: Die Palastsoldaten werden mit ihm kommen, wenn er zurückkehrt.«

»Falls er zurückkehrt«, berichtigte der Schwarzgewandete, und seine Gefährten lachten wieder. Dann jedoch wurden die verwischten Züge ernst. »Aber genug mit dem Geschwätz; dein Großfürst ist nicht von Belang für mich – mein Gott wird ihn früh genug verschlingen, weil er es wagte, sich gegen Ihn zu erheben. Alles, was mich interessiert, ist das Gefäß. Wir werden sie in die Heimat unseres Gottes bringen, und du wirst uns dabei nicht im Weg sein, oder auch du wirst Seinen Zorn auf dich ziehen.«

Der Heiler sagte nichts und sah sich langsam nach Elouané um; sie hatte sich auf die Füße gekämpft, doch sie wusste, dass sie nirgendwohin fliehen konnte. Der Heiler erwiderte ihren Blick einen Augenblick lang mit undeutbarer Miene, dann machte er einen einzigen, demonstrativen Schritt zwischen sie und die Männer in Schwarz.

Erneut brandete hie und da Gelächter auf, Elouanés Herz schlug ihr bis zum Hals.

»Das ist eine sehr dumme Entscheidung«, sagte der Mann mit dem entstellten Gesicht kalt und hob die Hand.

Es war, als sähe Elouané dabei zu, wie sich zwischen ihr und dem Mann in Schwarz ein Wasserfall auftat; die Luft um seine Hände wurde flüssig, dann ertönte ein fürchterliches Brausen, und im nächsten Augenblick traf ein magischer Schlag den Heiler, mit solcher Wucht, dass er nach hinten in die Hecke geschleudert wurde und sie umriss; Äste und Strauchwerk regneten auf ihn nieder und begruben ihn augenblicklich unter sich.

Er bewegte sich nicht mehr.

»NEIN! NEIN! MÖRDER! UNGEHEUER!«

Elouané schrie und weinte wild durcheinander, aber ehe sie irgendetwas tun konnte, schob sich wie eine Wand aus Finsternis der Mann mit dem furchtbaren Gesicht in ihr Blickfeld. Mit eiskalten Händen packte er ihr Gesicht und verschloss ihr den Mund, sodass sie kaum noch Luft bekam. Sie schüttelte den Kopf, wollte sich freimachen von ihm und seinen grässlichen Fingern – und dann sickerte etwas in ihren Verstand wie kühler, flüssiger Honig, ihre Augen rollten nach innen und alles wurde schwarz.

»Sie ist fort.«

Kirin hatte damit gerechnet, von dem Moment an, als er die Schneeeule gesehen hatte, aber es laut zu hören, war trotzdem unsagbar grausam. Das Gesicht in den Händen vergraben, saß er am Kopfende eines von scheußlichen medizinischen Düften umgebenen Bettes, während draußen eine blutrote Sonne unterging.

Der Kampf in der Stadt hatte lange gedauert, und noch länger die Suche nach Elouané, bei der sie den gesamten Palast auseinandergenommen hatten. Schließlich hatte man weit in den westlichsten Ausläufern der Gärten Aderuz gefunden, von einer völlig zerstörten Hecke begraben, an ihm die deutlichen Spuren schwarzer Magie. Als die Windreiter festgestellt hatten, dass der Mann entgegen aller Hoffnung noch lebte, hatten sie ihn so schnell wie möglich in den Palast gebracht, wo Megan und einige Heilergehilfen sich seiner angenommen hatten. Der Unterschenkel, der von einem magischen Angriff komplett zerfetzt worden war, hatte bis zum Knie amputiert werden müssen, außerdem waren laut Megan mehrere Wirbel gebrochen und Gewebe verätzt, das sie ebenfalls entfernt hatte. Trotzdem glaubte sie, dass Aderuz überleben konnte.

Wenn er Glück hatte.

Larniax, der die bitteren Worte ausgesprochen hatte, verharrte reglos an der Tür und blickte einigermaßen hilflos von einem zum anderen. »Was tun wir jetzt?«

Monzù stand mit finsterer Miene am Fußende des Bettes und hielt den Blick starr auf das Gesicht des ohnmächtigen Heilers gerichtet. »Die Stadt quillt über vor panischen Menschen, Plünderern und Soldaten. In diesem Durcheinander werden wir sie nie finden.«

»Wahrscheinlich ist sie ohnehin längst tot«, entgegnete Rhùk ohne eine Spur seines üblichen Spotts. Bei diesen Worten zogen sich Kirins Eingeweide zusammen, doch ehe er etwas entgegnen konnte, hob Megan den Kopf: »Wenn sie tot wäre, hätten sie sich wohl kaum die Mühe gemacht, sie mitzunehmen. Die anderen haben sie auch einfach liegenlassen.«

Unweit der westlichen Gartenmauer hatte man vier tote Windreiter gefunden, die offensichtlich völlig überrascht worden waren; nur einer von ihnen war noch dazu gekommen, seine Schwerter zu ziehen. Offenbar hatten die Schwarzmagier gewusst, wo im Palast sich am wenigsten Wachen befinden würden. Was allerdings Elouané dazu bewogen hatte, derart weit vom Palast entfernt in den Gärten herumzuirren, wusste niemand.

Asusza stand grimmig schweigend an der Tür; sie hatte über Elouané gewacht, als sie in dem Schrein gebetet hatte. Das Mädchen sei eingeschlafen, berichtete sie, und urplötzlich habe Asusza schreckliche Geräusche gehört, die aus den Fürstengemächern gekommen seien. Sofort hatte sie sich aufgemacht, um nachzusehen, nur um von den dortigen Wachen versichert zu bekommen, dass alles ruhig sei und keiner von ihnen auch nur im Entferntesten Lärm gehört habe. Als sie daraufhin zum Schrein zurückgekehrt war, war Elouané weggewesen, und wie sehr sie auch nach ihr gesucht hatte, sie hatte sie nicht mehr finden können.

Die Entführung einer ihr anvertrauten Person machte Asusza schwer zu schaffen, doch Kirin vermutete, dass auch die Windreiterkommandeurin gegen die eingedrungenen Hexer machtlos gewesen wäre. Zumindest war sie noch am Leben.

Wie aufs Stichwort schlug Aderuz die Augen auf. Er gab ein leises Stöhnen von sich, und seine Augen rollten einen Augenblick wild in ihren Höhlen umher, ehe sie Megan fixierten. Der Heiler starrte seine junge Kollegin etwa drei Herzschläge lang an, dann schien in seinem Kopf etwas einzurasten. Ein Ruck ging durch seinen Körper, und im nächsten Moment hatte er Megan am Kragen gepackt und sich in eine halb aufgerichtete Position gewuchtet, das eingefallene Gesicht aschgrau.

»Das Mädchen! Sie haben das Mädchen mitgenommen!«

»Ich weiß«, erwiderte Megan erstaunlich ruhig, wenn man bedachte, dass ihr ein Mann am Kragen hing, der etwa dreißig Kilo schwerer war als sie. »Wisst Ihr, wo man sie hingebracht hat?«

Aderuz atmete stoßweise ein und aus und wurde dabei zusehends bleicher.

»Legt Euch hin«, befahl Kirin und ging um das Bett herum.

Behutsam befreite er Megan aus dem Klammergriff des Heilers, dessen Augen sich bei seinem Anblick weiteten.

»Exzellenz«, raunte er, »Exzellenz, vergebt mir. Ich habe Euch enttäuscht. Ich habe versucht, sie davon abzuhalten... aber ich konnte nicht … Ich … ich habe …« Er stockte einen Moment, und seine Augen füllten sich mit Tränen. »Ich war es, der diesen Schattenkreaturen Tür und Tor geöffnet hat. Ich war … blind in meinem Ehrgeiz, zu blind, das Böse zu sehen …«

Kirin umfasste die Hände des Heilers, die sich beunruhigend kalt anfühlten. »Es war sehr mutig von Euch, ihnen entgegenzutreten«, sagte er.

»Mutig und dumm«, ergänzte Megan, die die Veränderung im Teint des Heilers mit Besorgnis verfolgte. »Es war pures Glück, dass Ihr nicht getötet worden seid.«

Der Schatten eines Lächelns glitt über Aderuz‹ Gesicht. »Kein Glück – Schicksal«, sagte er heiser und wies mit den Augen auf Kirins Gürtel.

Der Schattendolch, der bei Aderuz gefunden worden war, hing dort, die Klinge merkwürdig verbogen. »Als sie ihre Magie auf mich warfen, ist sie von ihrer eigenen Waffe abgeprallt. Hätte ich sie nicht bei mir getragen …« Mit schmerzverzerrtem Gesicht brach er ab.

»Aderuz«, begann Kirin und setzte sich an die Seite des Heilers. »Ich weiß, Ihr seid verletzt und braucht Ruhe – aber haben die Schattenanhänger irgendetwas gesagt, bevor sie Elouané entführt haben? Irgendetwas, das uns einen Hinweis liefern könnte, wo sie sie hingebracht haben?«

Der Heiler blieb einen Moment mit geschlossenen Augen liegen, während sich seine Brust krampfhaft hob und senkte. Dann sah er Kirin wieder an, einen flehenden Ausdruck im Gesicht.

»Sie sagten … dass sie sie in die Heimat ihres Gottes bringen wollen. Und sie nannten sie … sie haben ihr einen Namen gegeben … Gefäß, glaube ich …«

Megan hob den Kopf und sah hinüber zu Rhùk. »Wenn ich mich nicht irre, war das auch das Wort, das der Schattenjünger in dieser Höhle verwendet hat.«

»Was bedeutet das?«, fragte Kirin.

Aderuz umklammerte seine Hand so fest, dass er ihm die Finger zerquetschte.

»Etwas Böses, Exzellenz. Ich habe diesen Kreaturen in die Augen gesehen, und ich sah keine Seele darin. Sie … sie …« Zu mehr jedoch fehlte ihm die Kraft; mit verzerrtem Gesicht ließ er sich in die Kissen zurücksinken, und Megan gab Kirin und den anderen ein Zeichen, zu gehen.

Draußen auf dem Korridor tigerte Kirin unruhig auf und ab. »Die Heimat ihres Gottes … wo ist die Heimat ihres Gottes?«

»In einem Königreich zehntausend Meilen unter der Erde, so heißt es«, erwiderte Rhùk mit einem Achselzucken. »Ich würde gern sehen, wie sie versuchen, dort hinzugelangen.«

Kirin rieb sich das Gesicht. »Und was meinen sie, wenn sie Elouané als ‹Gefäß’ bezeichnen? Was heißt das?«

»Tja«, meinte Rhùk, und mit einer unguten Ahnung sah Kirin, wie sich in seinem Gesicht ein Lächeln ausbreitete, »fragen wir.«

Der Raum war schon seit der Gründung des Palastes als Kerker genutzt worden, allerdings hatte man für diesen speziellen Gefangenen zusätzlich aufrüsten müssen: Blank polierte Metallscheiben waren in einem engen Kreis um den Priester herum aufgestellt worden, hinter denen die Windreiter Wache hielten wie hinter einem Schildwall. Durch winzige Lücken zwischen den Metallplatten reckten sie ihre Schwerter gegen den Gefangenen, so dass kaum ein Daumenbreit Abstand zwischen den Schwertspitzen und seinem Hals lag. Jeder der Krieger war hoch wachsam und bereit, den Alten in Herzschlagschnelle zu durchbohren, sollte er Magie einsetzen wollen.

Kirin steckte sein Schwert durch einen Spalt in den Schilden und platzierte die Spitze direkt am Adamsapfel des gefangenen Mannes. »Ihr seid der Ordensvorsteher des Schattenkultes in Nardéz, ist das richtig?«, fragte er.

Die Augen des alten Mannes – viel mehr konnte er nicht bewegen, ohne aufgespießt zu werden – huschten in Kirins Richtung; wegen der Stahlbarrikaden konnte er ihn nicht sehen, aber Kirin war sicher, dass er seine Stimme erkannte, denn das faltige Gesicht nahm einen durch und durch bösen Ausdruck an.

»Das bin ich wohl«, entgegnete er. »Doch seid Ihr ein Großfürst, wenn Ihr Euch hinter Euren Soldaten und Blechschilden versteckt und mich in Fesseln legt?« Dabei hob er anklagend die dürren, mit Ketten versehenen Handgelenke.

»Wo haben Eure Leute Elouané hingebracht?«, fragte Kirin, ohne darauf einzugehen.

Der alte Mann kniff die dünnen Lippen zusammen und schwieg.

»Euch ist bewusst, dass im Moment sieben Windklingen auf Euren Hals gerichtet sind, die nur darauf warten, Euch zu Eurem Gott zu schicken?«

Der alte Ordensführer lachte heiser. »Ich habe Euch das Leben gerettet«, ächzte er. »Ich allein stand zwischen Euch und einer vergifteten Klinge, und zum Dank dafür wollt Ihr mich töten?«

»Stimmt, Kirin, das wäre undankbar«, warf Rhùk, der sich von hinten an Kirin herangestohlen hatte, ein. »Hack ihm doch lieber seine Hände ab, die braucht er nicht zum Reden.«

»Eine gute Idee«, stimmte Kirin zu, doch der Mann in der Kutte lachte nur. »Das würdet Ihr nicht tun – einen unbewaffneten Mann zu verstümmeln, das klingt nicht nach Euch.«

Kirin dachte einen Augenblick nach. »Da habt Ihr wohl Recht. Rhùk, würdest du …?«

»Aber liebend gern«, lächelte dieser. Die übrigen Windreiter machten Platz, damit Rhùk sich durch einen Spalt in den Schilden hindurchzwängen konnte.

Kirin folgte ihm, dann schloss sich der Kreis wieder. Rhùk trat an den Ordensvorsteher heran und zog eines seiner Schwerter aus der Scheide.

»Das ist Izhulzka«, erklärte er ihm lächelnd. »Siehst du den Kratzer hier? Das ist das Werk von einem deiner Freunde. Lass mich dir dafür die Hand schütteln.«

Der alte Mann erbleichte; er wollte vor Rhùk zurückweichen, lief dabei jedoch Gefahr, sich an einer der auf ihn gerichteten Klingen aufzuspießen.

»Ihr könnt versuchen, einen Schutzschild zu erschaffen«, sagte Kirin, während er dabei zusah, wie Rhùk den Alten an den Armen packte. »Das heißt, nur, wenn Ihr herausfinden wollt, ob Ihr schneller seid als acht ausgebildete Windreiter. Und ich«, fügte er hinzu und setzte die Spitze seiner eigenen Waffe erneut an die Kehle des Mannes.

»Ich rate Euch also«, wisperte er, während dem Alten der Schweiß über die Stirn lief, »besinnt Euch. Bevor Rhùk Euch Stück für Stück auseinandernimmt.« Rhùk wartete zwei Herzschläge, dann nahm er Maß für einen Schlag, der dem Alten die Hand direkt am Gelenk abtrennen würde.

»Wartet!«, kreischte der Ordensführer.

Sichtlich enttäuscht brach Rhùk ab.

Die Pupillen des hässlichen alten Mannes waren winzig, als er sich Kirin zuwandte. »Ich sage Euch, was Ihr wissen wollt! Nur haltet ihn zurück!«

Kirin verzog verächtlich den Mund. »Haben die Opfer Eurer nächtlichen Raubzüge auch so gefleht, bevor Ihr und Eure Kumpane ihnen die Hälse aufgeschlitzt habt?«

Der Obere schloss die Augen. »Sie starben als würdige Opfer für meinen Gott. Es gibt keinen ehrenvolleren Tod.«

»Daran solltest du immer denken, Alter«, knurrte Rhùk bösartig.

Kirin erhöhte den Druck seines Schwertes auf den Hals des alten Mannes, bis dieser die Augen wieder öffnete.

»Wo habt ihr Elouané hingebracht? Was wollt ihr von ihr?«

Einen langen Moment erwiderte der Alte nichts. Dann kräuselten sich seine Lippen zu einem grausamen Lächeln.

»Ihr habt tatsächlich geglaubt, wir wären so dumm, nicht wahr? Dass wir auf Eure armselige List hereinfallen.« Er stieß ein keckerndes Lachen aus. »Ich bin sicher, Ihr seid Euch ungemein klug vorgekommen, als Ihr uns scheinbar überrumpelt hattet. Und in der Zwischenzeit sind meine Brüder in Euer Nest gestiegen, um sich das kleine rote Vögelchen zu holen.«

»Zugegeben, ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass diese hässliche alte Krähe, die sich in meinen Gärten herumtreibt, mehr ist als nur ein Unglücksbringer«, stimmte Kirin zu; der Alte stockte, sichtlich überrascht. »Aber trotzdem glaube ich nicht, dass Euer Plan vorgesehen hatte, dass Ihr in einem dunklen feuchten Kerker endet, mit meinem Schwert an Eurem schrumpeligen Krötenhals!« Ein einzelner Blutstropfen rann über die Kehle des Mannes. »Was habt ihr vor mit Elouané? Warum ist sie für euch so wichtig? Redet, oder Rhùk wird nicht der Einzige sein, der sich ein Stück von Euch holt!«

Der Ordensvorsteher warf Kirin einen hasserfüllten Blick zu, dann begann er mit zusammengebissenen Zähnen zu erzählen: »Es gibt eine Prophezeiung … ein jahrtausendealtes Geheimnis, das von meinem Orden bewahrt wird. Ebenso von den Konventen der grauen und weißen Götzen. Es besagt, dass zu einer Zeit, in der die Menschen den Glauben an die Götter verlieren und ihre Macht zu vergehen droht, zwei Sterbliche geboren werden, die ausersehen sind, durch ihre Vereinigung die Zeit der Unsterblichen wieder anbrechen zu lassen. Während die anderen Orden jedoch im Laufe der Jahrhunderte vergaßen und aufhörten, an ihre eigenen Gebete und Überlieferungen zu glauben, blieb der dunkle Konvent seinem Gebieter stets treu.

Wir haben nie aufgehört, nach den Zeichen zu suchen, haben Ausschau gehalten und das Wissen von Generation zu Generation weitergegeben. So waren auch wir es, die die Geburt des auserwählten Knaben von den Sternen ablasen und ihn in unseren Besitz brachten. Dadurch jedoch wurden einige der verblendeten Anhänger des weißen Götzen ebenfalls aufmerksam und begannen, in ihren staubigen Archiven zu kramen, bis sie per Zufall auf die Weissagung stießen. Und so beschlossen sie, unser hehres Ansinnen zu vereiteln – es hat fast zwanzig Jahre gedauert, bis die Zeichen für die Geburt des zweiten Kindes abzulesen waren, doch sie waren bereit und schafften es, des Mädchens habhaft zu werden und sie vor uns zu verstecken.

Allerdings wussten sie, dass wir, die wir dem Einen dienen, nicht ruhen würden, bis sie gefunden wäre. Also belegten diejenigen, die um ihr Geheimnis wussten, das Kind mit einem Zauber, der das Wissen um ihre Herkunft tief in ihr einschloss, sodass selbst sie nicht mehr wusste, wer sie war. Man schaffte sie fort, beinahe ans Ende der Welt. Auf diese Art war sie vor unseren Augen und denen des Einen verborgen. Jetzt aber haben wir sie gefunden, und die Prophezeiung wird sich erfüllen.«

»Ich verstehe kein Wort von dem Gefasel«, kommentierte Rhùk herablassend; sein Schwert zuckte ungeduldig.

Kirin ließ den Alten nicht aus den Augen. »Ihr sprecht von Elouané – sie ist dieses zweite Kind.«

Der Alte nickte, ein triumphierendes Glimmen in den Augen.

»Wieso nennt ihr sie das ‹Gefäß’?«.

»Weil sie das ist«, erwiderte der Alte grinsend. »Das Behältnis, meinen Gott aufzufangen.«

»Wer ist das andere Kind?«, fragte Rhùk.

»Ein Knabe, der in unseren Reihen aufgezogen und von uns unterwiesen worden ist. Jetzt ist er ein Mann und der Oberste und Mächtigste meines Ordens. Er ist der Vollbringer.«

In einem Versuch, die rätselhafte Erzählung zu ordnen, fragte Kirin: »Ihr sagtet, diese Kinder wären auserwählt, die Zeit der Götter zurückzubringen … Was bedeutet das?«

»Es bedeutet, dass zur Rìzhar-Nacht der Eine Gott wiederkehren wird, um die Herrschaft über alle Seelen dieser Welt anzutreten, wie es Ihm zusteht. Und es bedeutet, dass diejenigen, die sich Ihm widersetzt haben, eine Ewigkeit in Qual verbringen werden.« Ein grausames, siegesgewisses Lächeln umspielte die alten, ausgedörrten Lippen.

Allerdings verwandelte es sich nur einen Lidschlag später in eine schmerzverzerrte Grimasse, als Rhùk ihm mit voller Wucht seinen Schwertgriff ins Gesicht rammte. Nur mit Mühe gelang es dem Alten, sich aufrecht zu halten, sodass er nicht kopfüber in die Klingen seiner Bewacher stürzte.

»Was die Ewigkeit in Qual betrifft, so bist du hier am rechten Ort«, erklärte ihm Rhùk voller Verachtung. »Ich habe Geschichten gehört von den Dingen, die hier in diesen Kerkern vorgefallen sind … da würde sich selbst dein Gott vor Angst verkriechen.«

»Nur zu«, keuchte der Alte, die gichtgekrümmten Finger an seiner blutenden Lippe. »Nur zu, lach weiter und halte dich in deiner Rüstung für unangreifbar – wenn der Eine mit Seiner Stadt zurückkehrt, wirst du einer der ersten sein, der Seinen Zorn zu spüren bekommt!«

Kirin horchte auf.

»Eine Stadt? Welche Stadt? Nardéz?«

Doch das Gesicht des Alten wurde verschlossen, als würde ihm plötzlich bewusst, dass er zu viel erzählt hatte. Er reckte das Kinn und schüttelte trotzig den Kopf.

Mit einer seltsamen Mischung aus Ekel und Befriedigung sah Kirin zu, wie Rhùk ein paar weiter Male auf ihn einschlug, bis der Ordensmann schließlich zusammenbrach.

»Das reicht!«, befahl Kirin, als der Windreiter zum Tritt gegen ihn ausholte. »Wir lassen ihm einen Moment Zeit zum Überlegen. Bewacht ihn weiterhin und lasst euch nicht von seiner Schwäche täuschen«, wies Kirin die Wachen an. »Er ist gerissen und seine Magie kann jeden von euch töten.«

Dann verließ er gemeinsam mit Rhùk den Kerker.

»Die Nacht des Rìzhar?«, fragte Megan. »Davon habe ich noch nie gehört. Ich weiß nicht einmal, aus welcher Sprache dieses Wort stammt.«

Enttäuscht ließ sich Kirin in seinen Sessel sinken; zusammen mit Rhùk, Monzù, Larniax und Megan hatte er sich ins Beratungszimmer zurückgezogen, um die merkwürdigen und unzusammenhängenden Worte des Priesters zu erörtern. Mehr als auf alle anderen hatte darauf gehofft, dass Megan irgendwo davon gelesen und ihm erklären könnte, was hinter dieser rätselhaften Geschichte steckte. Umso mehr raubte ihm ihre Ratlosigkeit alle Hoffnung.

Rhùk zuckte die Achseln. »Andauernd hat er davon geredet, dass der Eine Gott zurückkehren wird – und von zwei auserwählten Kindern, von denen eines die kleine Novizin ist.«

»Soweit ich das verstanden habe, scheint sich alles um diese Prophezeiung zu drehen«, sagte Kirin langsam, die Augen geschlossen, um sich besser zu konzentrieren. »Irgendeine Prophezeiung, die darauf hinausläuft, dass in einer bestimmten Nacht und mithilfe von Elouané und diesem Priester der Schatten zurückkehren soll.«

»Das klingt völlig verrückt«, meinte Monzù herablassend, doch ansonsten sagte keiner etwas.

»Die alten Schriften sind voll von Prophezeiungen und Weissagungen. Bei den meisten weiß man nicht mehr, wer sie gemacht hat, und viele haben sich nie erfüllt.« Megan stützte das Kinn in die Hände.

»Was heißt überhaupt ‹zurückkehren’?«, warf Rhùk leicht genervt ein. »Wie kann ein Gott oder was immer es sein mag zurückkehren? Ich dachte, die Götter wohnen irgendwo tief unten in der Erde oder in den Wolken?«

»Es heißt, dass während des ersten Zyklus Kreaturen und Dämonen in dieser Welt umgingen«, antwortete Megan, »Wesen, die wir heute nur noch als Märchen kennen. Unter anderem sollen in frühesten Zeiten auch die Götter auf der Erde gehaust haben, in menschlicher oder tierischer Gestalt und stofflich. Mit der Zeit aber verloren die Menschen zusehends ihren Glauben an sie, woraufhin sich die Macht der Götter verringerte und sie sich irgendwann aus der Welt der Sterblichen zurückziehen mussten. Auch darüber existieren unzählige Geschichten. Aber darin war, soweit ich mich erinnere, nie von einer Rìzhar-Nacht und einem Gefäß die Rede.«

In dieser und ähnlicher Weise setzten sich die Diskussionen fort, bis draußen schon wieder der Morgen graute.

Dann zogen Monzù und Larniax sich zurück, und auch Rhùk entschuldigte sich, tiefe Ringen unter den Augen.

»Dieses ganze Gerede ist nichts für mich«, klagte er und drückte im Vorbeigehen einen schmatzenden Kuss auf Megans Wange.

Die Heilerin für ihren Teil blieb sitzen, rieb sich die Augen und gähnte unverhohlen.

»Du solltest dich auch ausruhen«, sagte Kirin müde; er fühlte sich hundert Jahre alt und zentnerschwer, und an ihm nagte die Sorge um Elouané. Wenn dieser alte Priester nicht bereit war, zu reden … wenn sie ihn auch mit Prügel und Folter nicht zum Reden bringen würden … was wäre dann?

»Selbst wenn ich wollte, es geht nicht!«, entgegnete Megan und schlug gereizt mit den Fäusten auf den Tisch. »Ich kann nicht glauben, dass ich noch nie etwas von einer Prophezeiung um eine Rìzhar-Nacht gehört habe!« Sie warf Kirin einen Seitenblick zu. »Aber du solltest etwas schlafen – du siehst aus wie eine Leiche.«

Kirin schüttelte den Kopf. »Bloß nicht. Ich weiß genau, dass ich wieder Albträume haben werde.«

»Wieder?« Megan runzelte die Stirn.

Kirin zögerte erst, dann jedoch erzählte er ihr von den Träumen mit der Krähe und dem Blut, dem toten Falken und der Schneeeule. »Ich habe schon angefangen zu glauben, dass ich den Verstand verliere«, erklärte er ihr. »Dann habe ich die Krähe gesehen und die Eule draußen in der Stadt, die mich zu den Schattenjüngern geführt hat. Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber ich glaube, dass diese Träume in Zusammenhang stehen mit dem, was sie planen. Es ist, als hätte mich jemand die ganze Zeit mit der Nase drauf stoßen wollen.«

Megan betrachtete ihn über ihre aneinandergelegten Finger hinweg. »Also du hast von Blut geträumt und Vögeln«, sagte sie. »Sonst noch etwas?«

Kirin dachte nach. »Einmal hatte ich … ich weiß nicht, was es war, eine Art Vision … ich meine, ich war hellwach, und auf einmal war der ganze Gang, in dem ich stand, voller Blut. Und dann hatte ich Träume von einem blutroten Meer … und die Krähe war dort. Und ein Turm, ein schwarzer Turm, der aus dem Meer aufgetaucht ist, mitten aus einem Strudel.«

»Ein schwarzer Turm?« Megan starrte ihn an, als wäre er ganz plötzlich aus dem Boden gewachsen. Ganze vier Herzschläge lang saß sie völlig unbeweglich da, dann sprang sie auf, so heftig, dass ihr Stuhl umkippte. Wie von Sinnen schlug sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Oh, ich bin ja so dumm!«, rief sie, »so idiotisch! Ich kann nicht glauben, dass ich so lange gebraucht habe! Ich habe … ich muss …« Wie ein aufgescheuchtes Tier rannte sie hin und her, die Hände in den Haaren. »Elouané hat mir von ähnlichen Träumen erzählt! Ich habe die Verbindung nicht gesehen … nur … ich kann mich nicht mehr erinnern …«

»Wovon redest du eigentlich?«, fragte Kirin und stand auf, versucht, sie festzuhalten. Mit erzwungener Ruhe blieb Megan stehen, aber ihre Hände flogen in heller Aufregung durch die Luft.

»Ich habe vor Jahren etwas in der Richtung gelesen … aber ich habe die Details vergessen … ich wünschte nur, ich wäre in der Großen Bibliothek, dann könnte ich nachlesen!«

»Es gibt eine Bibliothek hier«, sagte Kirin, »aber ich habe sie noch nie wirklich benutzt. Ich kann jemanden mit dir schicken, der sie dir zeigt.«

Megans Augen glühten bei diesen Worten auf, und ohne Umschweife rannte sie zur Tür. »Sehr gut. Ich hoffe nur, dass ihr habt, was ich suche.«

»Das hoffe ich auch«, sagte Kirin leise, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

Stilicho träumte.

Es war eine Kunst, die nur wenige Jünger des Dunklen jemals erlernten, da es innerhalb des Ordens so viel einfacher war, mithilfe von Spiegel miteinander zu kommunizieren. Stilicho jedoch hatte die unscheinbaren Zweige der Magie niemals unterschätzt, und so ließ er sich auch jetzt, umgeben von den ungläubigen Westsoldaten mit ihren Schwertern und ihrem geschliffenen Metall, tief in die Abgründe seines Geistes sinken und entfernte sich von seinem sterblichen Leib. Er überließ seine Essenz den Strömen des magischen Flusses und begab sich auf die Suche, auf die Suche nach einem Geschöpf, das wie er die Künste der Seelenwanderung beherrschte und mit dem er in Kontakt treten konnte. Er spürte, wie er dahinflog und andere Wesen streifte, Magier, Mitbrüder seines Ordens, die ihm jedoch keine Hilfe waren. Tatsächlich gab es nur einen einzigen Menschen, der ihm in seiner jetzigen Lage helfen konnte; Skaidridt, der Oberste seines Ordens, würde seine Not spüren und dafür sorgen, dass die nichtswürdigen Hunde, die ihn festhielten, ihr blaues Wunder erlebten.

Es dauerte lange, bis er die Präsenz seines Obersten spürte. Als es soweit war, schlang er sein ganzes Sein um die Essenz des Ordensführers, klammerte sich an ihn und schilderte ihm, was geschehen war.

Lange, lange Zeit herrschte Stille.

Stilicho wusste, dass Skaidridt ihn gespürt und verstanden hatte, und daher beunruhigte ihn dieses Schweigen. Es wurde zunehmend anstrengend, die Verbindung aufrecht zu erhalten, und außerdem wurde sein Körper schwächer, je länger seine Seele ihm fernblieb. Wenn Skaidridt nicht bald antwortete, würde er die Verbindung abbrechen müssen. Kaum hatte er das gedacht, als er mit einer solchen Gewalt in seinen Körper zurückgedrängt wurde, dass ihm für einen Augenblick die Luft wegblieb; mit weit aufgerissenem Mund wachte er auf, auf dem Rücken liegend, Arme und Beine von sich gestreckt, aber nichtsdestotrotz noch immer unter Bewachung der Arachinen, die sich hinter ihren stählernen Schilden alarmierte Blicke zuwarfen. Er versuchte sich auf die Seite zu drehen, doch irgendetwas hielt ihn am Boden fest; verwirrt registrierte er, dass er nicht vollständig zu sich selbst zurückgekehrt war, sondern dass ein Teil seines Geistes noch immer in jener höheren Ebene festhing, die nur so wenige jemals betreten durften.

Wie durch einen inneren Zwang drehte er den Kopf und sah sein eigenes, aschgraues Gesicht in einem der Metallschilde gespiegelt. Doch war es wirklich sein Gesicht? Während er hinsah, schienen sich die Züge zu verändern und zu verzerren, bis er sich jemandem gegenübersah, der zwar ebenfalls eine schwarze Kapuze trug, sich ansonsten jedoch gänzlich von ihm unterschied.

»Du bist also gefangen worden«, sagte Skaidridts Stimme in den Tiefen seines Verstandes. Stilicho wollte antworten, doch seine Kiefermuskeln waren starr und ließen sich nicht bewegen.

»Du elender Narr hast dich einfangen lassen. Dabei habe ich geplant, Narvek und dich für eure Heldentat zu belohnen. Ja, Narvek hat mir bereits berichtet, dass es ihm gelungen ist, sich des Gefäßes zu bemächtigen«, nickte Skaidridt, und sein Gesicht verschwamm vor Stilichos Augen. »Er ist so begierig, sich zu beweisen. Als ich von deinem Versagen erfuhr, war ich fast sicher, dass er es irgendwie bewerkstelligen würde, dich zu töten, in der Hoffnung, ich würde es nicht erfahren. Doch offenbar habe ich seinen Mut überschätzt … ebenso wie deinen Nutzen.« Die Reflexion des Obersten auf dem Schild stieß heftig Luft aus. »Doch ist es nun gleich; die Aufgabe wurde erfüllt, das Gefäß wird in Sicherheit gebracht werden. Und der Großfürst von Aracanon und die Seinen werden nie erfahren, wie groß ihr Versagen wirklich war, bis der Eine herannaht und sie verschlingt. Denn der einzige, dem sie das Geheimnis entlocken könnten, wird nicht mehr in der Lage sein, zu sprechen.«

Stilicho kämpfte gegen die Starre in seinem Körper an, wehrte und sträubte sich bis zum Zerreißen – doch in seinen Eingeweiden begann es zu kochen, und noch ehe einer seiner Wächter mehr tun konnte, als aufzuschreien, erfasste das Feuer seinen gesamten Körper, und er zerfiel zu Asche.

Es war fast Mittag, als Megan siegestrunken in die Bibliothek zurückkehrte. In den Armen trug sie ein in Leder gebundenes Buch, das dicker war als die eichene Tischplatte, an der Kirin saß. Mit einem Krachen ließ sie den Wälzer auf den Tisch fallen. »Ich musste eine Ewigkeit lang suchen, aber ich glaube, ich habe die Stelle gefunden«, sagte sie. »Galihl war vielleicht ein Wahnsinniger, aber seine Bibliothek ist gut geordnet.«

Eifrig schlug sie die Seite auf, die sie mit einem Lesezeichen markiert hatte. Der Text war auf Hochfallonisch, erkannte Kirin, und da er schon in einem sehr frühen Stadium erkannt hatte, dass er dieser Sprache niemals mächtig sein würde, versuchte er gar nicht erst, ihn selbst zu entziffern. Stattdessen blickte er Megan erwartungsvoll an, und sie las vor:

Aus den Büchern des Staubes, Kapitel L: Vom Ende des ersten Zyklus

Die Zweigeborene, ein aus sterblichem Fleisch geborenes Kind, war nun also von dem Dunklen Gott gefangengenommen worden und sah keine Möglichkeit, ein weiteres Mal zu fliehen. Und der Schatten machte sich von seinem Sitz, dem Schwarzen Turm aus, daran, eine Stadt zu errichten als Zeichen seiner Stärke und als Mahnmal für all jene, die seinen göttlichen Willen herauszufordern suchten. Es ward eine Stadt, schwarz wie der Turm, an den Ufern des Ozeans, der heute Verlorenes Meer genannt wird, und die mit Ausnahme der Zweigeborenen niemals von Sterblichen bewohnt wurde. Kreaturen und Geschöpfe gingen darin um, deren Gestalt die menschliche Vorstellungskraft übersteigt und deren Willen allein an den des Dunklen Gottes gebunden war. Auf sein Geheiß vergrößerten und schmückten sie die Stadt, auf dass sie schrecklicher und gewaltiger werde als alles, was vor ihr dagewesen war. Als Kunde an die Ohren des Dunklen drang, dass auch der Letzte der Großen Alten getötet worden war, war sein Triumph über die Massen groß: Keine Macht sollte es mehr geben, die der seinen trotzte, und die Schwarze Stadt würde als ihr Symbol überdauern.««

Sie hielt einen Moment inne und suchte mit zusammengezogenen Brauen die Seite ab – ihr Finger wanderte Zeile um Zeile hinab. »Blablabla, das ist alles uninteressant … ach, hier geht es weiter:

»Und die Götter erkannten, dass ihre Macht schwächer wurde. Der Glaube der Menschen verließ sie, wie die Kinder die Liebe zu ihren Eltern verlässt, und langsam, aber unaufhaltsam, waren sie gezwungen, sich zurückzuziehen. Die Magie verließ die Bühne der Welt und an ihre Stelle traten Krieger, Menschen, Könige. Licht und Waage waren es zufrieden, die Menschen von ihren hehren Wohnsitzen herab oder in der Gestalt von Tieren zu beobachten und nur noch selten in ihre Geschicke einzugreifen. Doch der Schatten konnte und wollte seinen Machtverlust nicht hinnehmen. Um seine mächtigste Waffe, das Verfluchte Schwert, betrogen, sann der Göttliche auf Rache und fasste einen grausamen Plan; Fußend auf dem, was er einst dem blinden Seher an Wissen entlockt hatte, wollte er ein Kind auf der Erde hinterlassen, das seine Göttlichkeit in sich trug, vermischt jedoch mit dem Blut des sterblichen Geschöpfes, dessen er sich bemächtigt hatte. In diesem Kind, so wusste er, würde sein göttlicher Geist sich mit menschlicher Stärke vereinen und kein Zauber und kein Gesetz der Welt würden ihm so die Rückkehr in die Welt verwehren können.

Und in der Nacht des Rìzhar, als der Blutmond am Himmel erstrahlte, umhüllte der Dunkle Gott den geschwächten Geist der Zweigeborenen und beschlief sie, und aus dieser Verbindung entsprang ein Samen der Finsternis, der in ihr wucherte und sie mit fürchterlichen Visionen quälte, bis die bisher unbezwungene Seele zu brechen drohten. In diesem Augenblick der höchsten Not geschah es nun, dass die Zweigeborene die Treppe zum schwarzen Turm selbst erklomm und über seine Zinnen hinweg die Stadt sah, die sich wie ein Pestmal auf dem Gesicht des Kontinents auszubreiten drohte. Und endlich erkannte sie, dass es nur einen Weg gab, die geplanten Gräuel zu verhindern: Wie eine Taube in das Maul des Drachen, warf sie sich von der Spitze des Turms und setzte ihrem Leben ein Ende, bis zuletzt voller Rechtschaffenheit.

Als der Dunkle erkannte, was sie getan hatte, stieß er einen Schrei aus, der die Grundfesten der Stadt erschütterte und alle Ungeheuer und Kreaturen, die darin waren, vor Angst erstarren ließ. Der Berg, an den die Schwarze Stadt grenzte, spie Feuer, die Mauern der Feste begannen zu bröckeln, das Meer, blutrot im Angesicht des grausigen Mondes, toste und kochte unter dem Zorn seines Gebieters, und endlich öffnete sich der Rachen des Ozeans und verschlang die verfluchte Stadt mit all jenen, die in ihr waren. Sie sank auf die Tiefen des Meeresgrundes, wo sie immer noch darauf wartet, dereinst an die Oberfläche zurückzukehren und den alten Schrecken heraufzubeschwören, der selbst an jenem Ort der Vergessenheit noch immer in ihr ruht.

Der Schatten selbst jedoch fügte sich scheinbar dem Spruch seiner Geschwister und zog sich in die Finsternis hinter der Welt zurück, wo er wartet, bis es ihm dereinst möglich sein wird, in Form eines Kindes auf die Erde zurückzukehren, auf dass er in Gestalt eines der Ihren über die Menschen gebiete, sie zum alten Glauben zurückführe und schließlich die Fesseln des Menschseins sprenge, um in seiner wahren, ursprünglichen Gestalt in seiner Heimstätte am Amodros zu herrschen.««

Als sie geendet hatte, bemühte sich Kirin, seine Gedanken zu ordnen.

Langsam sagte er: »Die Zweigeborene … wer ist das?«

»Der Sage nach eine junge Frau, der es als einzigem Menschen jemals gelungen ist, aus den Verliesen des Dunklen Gottes zu entkommen. Es gibt jedoch eine Legende, die von der Entstehung des Hauses Aracanon berichtet und in der erzählt wird, dass sie später erneut an den Schatten ausgeliefert wurde, im Austausch gegen das Schwarze Schwert. Es ist eine ziemlich verwickelte Geschichte und für das, was hier berichtet wird, nicht von Bedeutung«, fügte sie hinzu, als Kirin sichtlich orientierungslos den Mund öffnete. »Der Punkt ist, diese junge Frau wurde von dem Dunklen Gott selbst geschwängert, der einzige Weg, nach dem Ende des Götterzeitalters in die Welt zurückzukehren. Sie jedoch brachte sich um, bevor die Schattenbrut geboren werden konnte, und damit ging auch sein Sitz, die Schwarze Stadt, unter. Wenn ich richtig verstehe, was der alte Priester euch erzählt hat, und es mit den merkwürdigen Träumen in Verbindung bringe, die Elouané und du hattet …«

Kirin begriff, noch ehe sie geendet hatte: »Du glaubst, die Schattenjünger wissen von dieser Geschichte und haben vor, sie zu wiederholen. Sie wollen, dass dieser andere ‹Auserwählte’ Elouané schwängert und ihr Gott in einem Kind wiedergeboren wird.«

»So oder so ähnlich«, nickte Megan, deren Begeisterung über ihre Entdeckung verblasste. »Und zwar, wenn ich das richtig deute, in dieser einen bestimmten Nacht, in der ‹der Blutmond am Himmel erstrahlt’, was auch immer das bedeutet.«

Kirin rieb sich die Stirn. »Als ich in der Bibliothek in Aléh war, hat mir einer der Astronomiemeister erzählt … lass mich überlegen … dass es bei einem bestimmten Stand der Sonne dazu kommen kann, dass ein Schatten auf den Mond fällt und es so aussieht, als wäre er rot. Er meinte, in den alten Geschichten hätten die Leute dann von einem Blutmond gesprochen.«

Megan zog die linke Augenbraue hoch. »Großartig, und woher wissen wir, wann wieder so eine Erscheinung auftritt?«

Kirin schnippte mit den Fingern. »Es gibt einige Gelehrte am Hof, die sich mit solchen Dingen beschäftigen. Ich schicke Larniax zu ihnen, er soll sie fragen.«

Megan nickte. »Und außerdem würde ich mich noch einmal mit diesem reizenden Ordensvorsteher befassen – er soll uns sagen, was genau bei diesem Ritual geschieht – und vor allem, wo es stattfindet.«

Megan hatte kaum den Mund geschlossen, als die Tür zum Beratungszimmer aufgerissen wurde.

Mìszak kam hereingeplatzt, für einmal völlig außer sich.

»Exzellenz, vergebt mir die Störung«, stammelte er, »aber Ihr solltet sofort kommen … der Priester, Exzellenz … er hatte eine Art Anfall … Seine Wachen sind ratlos …«

Schreckliches ahnend, folgte Kirin Mìszak im Laufschritt hinunter in die Kerker. Schon von weitem schlug ihm der Gestank von verbranntem Fleisch entgegen. Als er den Kerker betrat, hatten sich die Windreiter um einen riesigen schwarzen Brandfleck am Boden versammelt, die Schilde aus Stahl lagen nutzlos neben ihnen auf dem Boden.

Bei seinem Anblick richteten die Krieger sich auf.

»Herr«, sagte einer von ihnen, »es ist uns unerklärlich, Herr … wir haben ihn bewacht, wie Ihr sagtet, und auf einmal ist er zusammengebrochen. Wir haben nicht gewagt, uns ihm zu nähern, aus Angst, es wäre eine List … und dann, aus dem Nichts, ist er in Flammen aufgegangen, als ob ihn jemand mit Pech übergossen hätte. Es hat nur wenige Lidschläge gedauert.«

»Ihr habt keine Schuld«, beruhigte ihn Kirin. »Vermutlich wollte er verhindern, dass wir ihm noch mehr Geheimnisse abpressen.« Er stieß einen wüsten yoreninischen Fluch aus, dann wandte er sich von der verbrannten Fläche am Boden ab. »Kehrt auf eure Posten zurück. Und trommelt Larniax, Monzù und Rhùk zusammen – wir haben ein Problem.«

Die Chroniken der drei Kriege

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